INT/973
Nachhaltige Unternehmensführung
STELLUNGNAHME
Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937
[COM(2022) 71 final]
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Kontakt
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int@eesc.europa.eu
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Verwaltungsrätin
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Claudia DREWES-WRAN
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Datum des Dokuments
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01/07/2022
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Berichterstatterin: Antje GERSTEIN
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Befassung
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Europäisches Parlament, 04/04/2022
Rat der Europäischen Union, 05/04/2022
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Rechtsgrundlage
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Artikel 50 Absätze 1 und 2 sowie Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
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Zuständige Fachgruppe
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Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch
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Annahme in der Fachgruppe
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27/06/2022
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Ergebnis der Abstimmung
(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)
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76/0/3
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Verabschiedung im Plenum
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DD/MM/YYYY
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Plenartagung Nr.
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...
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Ergebnis der Abstimmung
(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)
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…/…/…
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1.Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag als wichtigen Schritt zur Schaffung eines kohärenten EU-Rechtsrahmens für nachhaltige Unternehmensführung und Sorgfaltspflichten im Bereich der Nachhaltigkeit, denn er wirkt darauf hin, die Achtung der Menschenrechte für Unternehmen und Mitglieder der Unternehmensleitung zur Pflicht zu machen. Ziel muss es sein, Rechtssicherheit für Unternehmen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und alle anderen Interessenträger zu schaffen.
1.2Daher fordert der EWSA die beiden gesetzgebenden Organe auf, die Frage gleicher Wettbewerbsbedingungen im Auge zu behalten und zumindest bei wesentlichen Bestimmungen eine vollständige Harmonisierung anzustreben. Es gilt, handelsverzerrende Diskrepanzen zwischen den Umsetzungsvorschriften der Mitgliedstaaten zu vermeiden.
1.3Der EWSA unterstreicht die große Bedeutung der Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP). Sie sind der Maßstab, der die Pflichten und Verantwortlichkeiten aller Akteure (Staaten, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter) mit dem Dreisäulenmodell „Schutz, Achtung, Abhilfe“ klar umreißt, um die Menschenrechtslage entlang der Liefer- und Wertschöpfungsketten weltweit zu verbessern. Die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten im Bereich der Menschenrechte verlangen, dass sie die Menschenrechte des Einzelnen in ihrem Hoheitsgebiet und/oder unter ihrer Gerichtsbarkeit achten, schützen und durchsetzen.
1.4Ein systemischer und nachhaltiger Wandel vor Ort kann nur erreicht werden, wenn die Staaten dabei unterstützt werden, ihrer Pflicht zum Schutz der Menschenrechte besser nachzukommen. Die Unternehmen tragen eine klare Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte, sie können allerdings nicht den Staat in seiner entscheidenden Rolle und ordnungsgemäßen Funktionsweise ersetzen. In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA die angekündigte Gesetzgebungsinitiative der Kommission, die sich speziell mit Zwangsarbeit befassen wird.
1.5Der EWSA dringt auf eine klare Unterscheidung in der Richtlinie zwischen nachteiligen Auswirkungen, die von einem Unternehmen entweder verursacht oder beeinflusst werden, und Auswirkungen, die zwar nicht von einem Unternehmen verursacht oder beeinflusst werden, aber unmittelbar durch eine Geschäftsbeziehung mit seinen Tätigkeiten, Produkten oder Dienstleistungen zusammenhängen. Die Sorgfaltspflicht erfordert bekanntlich einen risikobasierten Ansatz und kann eine Priorisierung auf der Grundlage der Risikobewertung beinhalten.
1.6Der EWSA weist darauf hin, dass die politischen Entscheidungsträger die schwierige Situation der KKMU mitbedenken und darauf achten müssen, dass Instrumente zu ihrer Unterstützung auf europäischer und nationaler Ebene zur Verfügung stehen, sobald die Rechtsvorschriften über die Sorgfaltspflicht in Kraft treten.
1.7Die Erfüllung der Sorgfaltspflicht von Unternehmen ist ein kontinuierlicher Prozess, dessen Erfolg unter anderem von der Einbeziehung der Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter abhängt. Der EWSA spricht sich dafür aus, die Weiterentwicklung des EU-Rahmens für nachhaltige Unternehmensführung in Erwägung zu ziehen. In diesem Zusammenhang bietet die bestehende Mitwirkung organisierter und gewählter Arbeitnehmervertreter, z. B. auf der Grundlage der Arbeit der Europäischen Betriebsräte oder internationaler Rahmenvereinbarungen und ggf. in den Leitungsorganen von Unternehmen, Orientierung und Unterstützung.
1.8Der EWSA ist besorgt über die zahlreichen unklaren Rechtsbegriffe im Kommissionsvorschlag, die Auslegungsspielraum bieten. Er hält es daher für notwendig, Begriffe wie „etablierte Geschäftsbeziehung“, „nachgelagerte Wertschöpfungskette“ und „geeignete Maßnahmen“ besser zu definieren, da sie nicht nur den Anwendungsbereich der Richtlinie, sondern auch die damit verbundenen Sorgfaltspflichten, Sanktionen und die Haftung definieren, beeinflussen bzw. festlegen.
1.9Nach Ansicht des EWSA sollte der Vorschlag in Bezug auf Unternehmensgruppen und Sorgfaltspflichten klarer formuliert werden. Anstatt auf „Unternehmen“ (Artikel 3 Buchstabe a) Bezug zu nehmen, hält der EWSA eine Bezugnahme auf eine „Unternehmensgruppe“ für angemessener und schlüssiger, wenn es um Offenlegungsmechanismen, Meldeverfahren, die Bearbeitung von Berichten/Beschwerden und unternehmensinterne Bildungsmaßnahmen geht.
2.Hintergrund des Kommissionsvorschlags
2.1Die Menschenrechte sind ein zentrales Anliegen der Europäischen Union, ihrer Mitgliedstaaten, der europäischen Unternehmen, der Arbeitnehmerschaft sowie der Zivilgesellschaft. Der Übergang der Union zu einer klimaneutralen und grünen Wirtschaft und ihr ehrgeiziger Plan zur Verwirklichung der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung sind Triebkräfte für das starke Engagement der EU für die Agenda für Wirtschaft und Menschenrechte. Der EWSA unterstützt voll und ganz die bestehenden internationalen Standards und ihre umfassenden Errungenschaften, insbesondere die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP) und die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. Er hält eine mit diesen Instrumenten kohärente Politik für sehr wichtig. Der EWSA dringt außerdem auf Kohärenz zwischen einzelstaatlichen Maßnahmen und EU‑Rechtsvorschriften, die derzeit ausgearbeitet werden und ähnliche Bereiche abdecken oder ebenfalls Sorgfaltspflichten umfassen. Beispiele für solche Rechtsvorschriften sind: die Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD)
, der Vorschlag für eine Verordnung über entwaldungsfreie Erzeugnisse, der Vorschlag für eine neue Batterien‑Verordnung, die Initiative für nachhaltige Produkte (SPI), die EU-Taxonomie für nachhaltige Investitionen und der anstehende Gesetzgebungsvorschlag der Europäischen Kommission für ein wirksames Verbot von Produkten, die mit Zwangsarbeit hergestellt wurden, im EU-Markt (Verbot des Inverkehrbringens)
.
2.2Nachdem einige Mitgliedstaaten nationale Rechtsvorschriften über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen erlassen hatten, entstand mehr und mehr der Wunsch, EU-weit gleiche Ausgangsbedingungen für Unternehmen innerhalb der Union zu schaffen und eine Fragmentierung zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund hat die Europäische Kommission nun diesen Vorschlag für einen übergreifenden Rahmen vorgelegt, mit dem Unternehmen ermutigt werden sollen, ihr Scherflein zur Achtung der Menschenrechte und der Umwelt beizutragen.
3.Allgemeine Bemerkungen
3.1Der beispiellose Angriff Russlands auf die Ukraine verändert die Geopolitik tiefgreifend. Er hat zu einer grundlegenden Neubewertung der Wirtschaftsbeziehungen und Abhängigkeiten in unserer globalisierten Wirtschaft geführt und das Streben Europas nach größerer Unabhängigkeit in wichtigen strategischen Bereichen beschleunigt. Eine konsequente, weitreichende Neujustierung unserer Lieferketten erfordert Überlegungen zum Verhältnis zwischen der Sorgfaltspflicht und der Einhaltung politisch beschlossener Sanktionen, die die Geschäftstätigkeit einschränken. Daher fordert der EWSA einen Ansatz, der praktikabel ist, den neuen wirtschaftlichen Realitäten Rechnung trägt und die dringend benötigte Orientierung gibt.
3.2Angesichts der hohen Komplexität der heutigen Lieferketten erfordert die konkrete Ausgestaltung dieser Richtlinie das richtige Augenmaß, wobei Gründlichkeit Vorrang vor Geschwindigkeit haben muss. Ausgangspunkt sollte neben der vollen Beachtung internationaler Menschenrechtsnormen und -instrumente stets sein, wie die bewährten Elemente der Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte und der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen in praktischer und wirkungsvoller Weise mit einer sorgfältigen Bewertung der Folgen/Wirkungen dieser Richtlinie auf verschiedene Arten europäischer Unternehmen (z. B. KKMU, international tätige Holding-Strukturen) kombiniert werden können.
3.3Der EWSA unterstreicht, dass die vorgeschlagene Richtlinie nur ein Element einer viel umfassenderen EU-Agenda zur Förderung ökologischer Nachhaltigkeit, guter Arbeit und der Menschenrechte weltweit sein kann. Ein systemischer und nachhaltiger Wandel vor Ort kann nur erreicht werden, wenn die Staaten dabei unterstützt werden, ihrer Pflicht zum Schutz der Menschenrechte besser nachzukommen. Die Unternehmen tragen eine klare Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte. Sie können allerdings nicht den Staat in seiner entscheidenden Rolle und ordnungsgemäßen Funktionsweise ersetzen. Dies gilt insbesondere für die Pflicht des Staates, in seinem Hoheitsgebiet und unter seiner Gerichtsbarkeit vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen, indem geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um Menschenrechtsverletzungen durch wirksame politische Maßnahmen, Gesetze, Vorschriften und Gerichtsentscheidungen zu verhindern, zu untersuchen, strafrechtlich zu verfolgen und entsprechende Abhilfe zu schaffen.
3.4Unternehmen sind verpflichtet, die geltenden Rechtsvorschriften einzuhalten, und tragen Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte im Einklang mit den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte. Sie müssen ein funktionierendes Verfahren zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht einrichten, um für die Achtung der Menschenrechte entlang der Wertschöpfungsketten zu sorgen. Die Staaten und ihre Regierungen haben die Pflicht, Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich zu verfolgen. Sie sind die Ansprechpartner in Bezug auf Menschenrechte und entsprechende internationale Übereinkommen. Die Staaten haben zu Recht zahlreiche Durchsetzungsbefugnisse, über die die Unternehmen nicht verfügen und die sie auch nie haben sollten. Dazu gehören die Inspektion von Arbeitsplätzen, die Verhängung von Geldstrafen, die Beschlagnahme von Vermögenswerten, der Entzug von Gewerbegenehmigungen, die Festnahme von Verdächtigen, die Anklage von mutmaßlichen Tätern und die Inhaftierung verurteilter Personen.
3.5Der EWSA betont, dass neben dem Sozialschutz und der Wahrung der Menschenrechte einschließlich gewerkschaftlicher und Arbeitnehmerrechte die Ökowende weiterhin Priorität haben muss. Den Organisationen der Zivilgesellschaft muss bei der Schaffung verlässlicher Transparenz in Bezug auf Verstöße gegen Menschen- und Umweltrechte sowie bei der Überwachung der Einhaltung der EU-Taxonomie für Investitionen in Bezug auf den Grundsatz der „Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen“ und die Mindestgarantien ebenfalls eine Schlüsselrolle zukommen.
3.6Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter wissen genau, wo mögliches Fehlverhalten auftreten kann. Der EWSA weist daher darauf hin, dass es wichtig ist, Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaften in die Einrichtung von Verfahren bezüglich der Sorgfaltspflichten (Risikokartierung) sowie in deren Überwachung (Umsetzung) und die Meldung von Verstößen (Warnmechanismen) einzubeziehen. Nur mit einer fruchtbaren Sozialpartnerschaft kann der Wandel hin zu einer sozial und ökologisch nachhaltigeren Wirtschaft gelingen.
3.7Der EWSA stellt fest, dass die Liste der internationalen Menschenrechte, auf die sich die Richtlinie stützt, weit über relevante Menschenrechte wie bspw. die Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit und ihre Folgemaßnahmen hinausgeht. Nach Auffassung des EWSA sollte sich die Sorgfaltspflicht von Unternehmen auf die Prüfung der Menschenrechtsnormen erstrecken, die in den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte
anerkannt sind. Sie umfassen die Grundsätze im Zusammenhang mit den Kernarbeitsnormen der IAO (Verbot von Zwangsarbeit, Kinderarbeit und Diskriminierung sowie Vereinigungsfreiheit), die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Darüber hinaus sind in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie in der vom Europarat verabschiedeten Europäischen Menschenrechtskonvention und der Europäischen Sozialcharta Rechte, Werte und Grundsätze niedergelegt, die der gesamten EU als Richtschnur dienen.
3.8Der EWSA ist der Auffassung, dass die Richtlinie im Hinblick auf mehr Harmonisierung, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit deutlich verbessert werden muss. Ein verbindlicher Rahmen für die Sorgfaltspflicht könnte durch eine gemeinsam vereinbarte Norm erreicht werden, die durch verhältnismäßige, wirksame und abschreckende Sanktionen durchgesetzt werden kann, während eine Haftung nur aufgrund eines Verstoßes gegen klar definierte Menschenrechte eintreten würde.
4.Besondere Bemerkungen
4.1Der EWSA ist besorgt über die zahlreichen unklaren Rechtsbegriffe im Kommissionsvorschlag, die Auslegungsspielraum bieten und von den nationalen Behörden und Gerichten unterschiedlich angewandt werden können. Er hält es insbesondere für notwendig, den Begriff der „etablierten Geschäftsbeziehung“ besser zu definieren, da er nicht nur für den Anwendungsbereich der Richtlinie, sondern auch für Sorgfaltspflichten, Sanktionen und Haftung für Schäden bestimmend ist. Auch der Begriff „nachgelagerte Wertschöpfungskette“ erfordert eine solidere Definition. Es ist nicht Sache eines Unternehmens, das Handeln seiner Kunden zu kontrollieren und dafür geradezustehen. Es muss genauer bestimmt und mit Beispielen unterlegt werden, welche „geeigneten Maßnahmen“ von einem Unternehmen erwartet werden, damit es von der Haftung befreit werden kann. Nicht zuletzt ist die vorgeschlagene Pflicht der Mitglieder der Unternehmensleitung, den Beitrag von „Interessenträgern“ zu berücksichtigen, nicht klar.
4.2Die im Richtlinienentwurf vorgeschlagene Wertschöpfungskette umfasst nicht nur direkte und indirekte Lieferanten, d. h. „vorgelagerte“ Tätigkeiten, sondern auch die Nutzung und gegebenenfalls die Entsorgung eines Produkts oder einer Dienstleistung, d. h. „nachgelagerte“ Tätigkeiten oder Tätigkeiten am Ende des Lebenszyklus. Die Rückverfolgung von „nachgelagerten“ Tätigkeiten wirft nämlich eine Vielzahl ausgesprochen praktischer Probleme auf. Insbesondere dürfte die Verfolgung eines Produkts nach seinem Inverkehrbringen noch schwieriger sein als die Rückverfolgung der Beschaffung von Rohstoffen und Komponenten. Dies gilt insbesondere für Recyclingprodukte, bei denen eine Rückverfolgung oft unmöglich ist.
4.3Von den Unternehmen sollte erwartet werden, dass sie ihre Verfahren zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte risikobasiert und in einem angemessenen Verhältnis zu ihrer potenziellen und tatsächlichen Wirkung gestalten. Daher hält es der EWSA für notwendig, den Anwendungsbereich entsprechend zuzuschneiden, entweder auf direkte Vertragspartner oder auf indirekte Partner. Bei Letzteren sollte dies nur geschehen, wenn nach den Umständen des Falles vernünftigerweise zu erwarten ist, dass geeignete Schritte unternommen werden, um die nachteiligen Auswirkungen zu verhindern, abzumildern, zu beenden oder ihren Umfang zu begrenzen, zum Beispiel bei einem hohen Grad vertikaler Integration. Diese erprobte und bewährte Haftungsmethode findet sich bereits in bestehenden Rechtsvorschriften, wie z. B. in Bezug auf die Rückverfolgbarkeit gemäß der EU‑Grundverordnung (Verordnung (EG) Nr. 178/2002). Im Wesentlichen setzt dies voraus, dass ein Unternehmen Systeme und Verfahren einführt, die auf dem Grundsatz „einen Schritt nach hinten, einen Schritt nach vorn“ beruhen, um festzustellen, wer der direkte Lieferant und der direkte Abnehmer (abgesehen vom Endverbraucher) seiner Produkte ist. Der etablierte Ansatz ist angemessen, weil jedes einzelne Glied der Wertschöpfungskette eindeutig für die Prozesse haftbar gemacht werden kann, auf die es tatsächlich Einfluss nehmen kann.
4.4Ein risikobasierter Ansatz kann auch eine sektorbezogene Herangehensweise umfassen: Der EWSA begrüßt es, dass in der vorgeschlagenen Richtlinie anerkannt wird, dass bei Maßnahmen zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht sektoralen Besonderheiten Rechnung zu tragen ist. Der EWSA fordert die beiden gesetzgebenden Organe auf, die wichtigen Multi‑Stakeholder‑Initiativen und -Standards zu berücksichtigen, die in besonders anfälligen Bereichen (wie Kakao, Bananen und Palmöl) entwickelt wurden.
4.5Der EWSA weist darauf hin, dass die Leitprinzipien der Vereinten Nationen Nr. 15 und Nr. 22 Wiedergutmachung verlangen, falls ein Unternehmen eine Menschenrechtsverletzung selbst verursacht oder dazu beigetragen hat. Nach den UNGP ist ein Unternehmen jedoch nicht zur Abhilfe verpflichtet, wenn die nachteilige Wirkung von einem anderen Unternehmen in der Lieferkette verursacht wurde. Diese Bestimmungen spiegeln somit den Rechtsgrundsatz wider, dass die Haftung nur dann auferlegt werden sollte, wenn ein klarer und vorhersehbarer Zusammenhang zwischen dem Schaden des Geschädigten und dem für den Schaden verantwortlichen Unternehmen besteht. Ebenso wird in den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen betont, dass durch das Bemühen, nachteilige Wirkungen in Lieferketten zu verhüten, nicht die Haftung von dem Unternehmen, das eine nachteilige Wirkung verursacht hat, auf das Unternehmen, mit dem es eine Geschäftsbeziehung unterhält, übergeht. Der EWSA meint, dass im Sinne der Kohärenz Unternehmen auch gemäß der EU-Richtlinie nur dann zivilrechtlich haftbar gemacht werden sollten, wenn sie selbst eine Menschenrechtsverletzung unmittelbar verursacht oder dazu beigetragen (d. h. sie teilweise mitverursacht) haben.
4.6Der EWSA schließt sich dem Ansatz der Kommission an, wonach die Sanktionen der nationalen Behörden „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein müssen. Bei Fahrlässigkeit und Vorsatz sollte die Behörde angemessene Geldbußen festsetzen können. Der Anwendungsbereich der Sanktionen sollte jedoch auf europäischer Ebene festgelegt werden.
4.7Nach Ansicht des EWSA sollte der Vorschlag in Bezug auf Unternehmensgruppen und Sorgfaltspflichten klarer formuliert werden. In der jetzigen Fassung deutet die Definition des Begriffs „Unternehmen“ (Artikel 3 Buchstabe a) darauf hin, dass die Anforderungen der Richtlinie für einzelne Unternehmen, nicht aber für Unternehmensgruppen gelten. Das würde bedeuten, dass ein Unternehmen aus einem Mitgliedstaat, dessen in den Anwendungsbereich fallende Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten tätig sind, den Entscheidungen verschiedener Aufsichtsbehörden unterliegen würde, was praktisch schwierig und umständlicher ist. Eine Unternehmensgruppen erfassende Lösung bietet zahlreiche Vorteile, z. B. mehr Kohärenz in Bezug auf Offenlegungsmechanismen, Berichterstattungsverfahren, die Bearbeitung von Berichten/Beschwerden und unternehmensinterne Schulungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen. Dies wird im Vorschlag für die Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen anerkannt, der eine Ausnahme für Tochterunternehmen vorsieht, wenn die Berichterstattung auf Gruppenebene erfolgt. Eine Gruppenlösung trägt den Unterschieden in den nationalen Rechtsvorschriften besser Rechnung, die bei der Umsetzung dieser Richtlinie in allen 27 Mitgliedstaaten auftreten dürften, und kann auch dazu dienen, den größten gemeinsamen Nenner zu bilden oder sogar darüber hinauszugehen. Aus diesen Gründen spricht sich der EWSA für eine Gruppenlösung bei der Sorgfaltspflicht aus.
4.8Obgleich die Sorgfaltspflicht primär für Großunternehmen gilt, werden KKMU indirekt betroffen sein. Denn die unter die Richtlinie fallenden Unternehmen werden höhere Anforderungen an ihre Lieferanten in Bezug auf die Umsetzung der UNGP, die Berichterstattung über nicht-finanzielle Aspekte und deren eigenes Lieferkettenmanagement stellen. Der erhebliche Aufwand ist für Großunternehmen einfacher zu bewältigen als für kleinere Unternehmen, die noch nicht in den Anwendungsbereich dieser Art von Rechtsvorschriften einbezogen wurden. Kleine Unternehmen haben vor allem weniger Einfluss auf Menschenrechtsrisiken in ihrer Lieferkette und deutlich weniger Ressourcen für die Durchführung umfassender Risikobewertungen. Der EWSA schlägt vor, dass die Europäische Kommission einen Helpdesk einrichtet, der leicht zugängliche Informationen über Menschenrechtsrisiken in Ländern und Regionen bereitstellt. Es sollte den Interessenträgern möglich sein, sich an einen solchen Helpdesk zu wenden, und Partnerländer oder -regionen sollten mit ihm zusammenarbeiten können. Dieser Helpdesk sollte auch Lieferanten in Drittländern beim Kapazitätsaufbau im Bereich Menschenrechte sowie bei der Verbesserung ihrer Umweltleistung unterstützen. Darüber hinaus fordert der EWSA die Mitgliedstaaten auf, insbesondere KKMU in einer praktischen, spezifischen und effizienten Art und Weise zu unterstützen, was im Rahmen einer strukturellen Zusammenarbeit mit den betroffenen repräsentativen Organisationen erfolgen sollte. Aus Sicht des EWSA ist es sehr wichtig, dass der Kreis der von dieser Richtlinie erfassten Unternehmen mit anderen einschlägigen EU‑Rechtsakten, die in Ziffer 2.1 genannt wurden, übereinstimmt.
4.9Der EWSA stellt fest, dass die Kommission den Finanzsektor ausdrücklich in ihren Vorschlag einbezieht. Ein nachhaltiges Finanzwesen umfasst die Achtung der Menschenrechte und ist ein wichtiges Element bei der Umgestaltung der Wirtschaft zu einem umweltfreundlicheren und sozialeren System. Der Vorschlag bleibt jedoch vage in puncto Überprüfungsverfahren für die Kreditvergabe oder Finanzierungen. Es ist zu befürchten, dass die Bestimmungen der Richtlinie, die sich nicht ausdrücklich auf KKMU erstreckt, de facto indirekt ausgeweitet werden. KKMU sind als Lieferanten in der Lieferkette indirekt betroffen, sie stehen daher vor enormen Herausforderungen.
4.10Der EWSA erkennt an, dass eine nachhaltige Unternehmensführung mit einem klaren und glaubwürdigen Engagement der Unternehmensleitung einhergeht, was die Einführung eines soliden und funktionierenden Verfahrens für die Sorgfaltspflicht im Unternehmen betrifft. Dadurch wird die Rechenschaftspflicht der Unternehmen für die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit unterstützt. Der EWSA verweist auf die Richtlinie über Aktionärsrechte, in der der Zusammenhang zwischen der Leistung von Unternehmen und Mitgliedern der Unternehmensleitung und Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsrisiken klargestellt wird. Der EWSA stellt fest, dass die Aufgaben der Unternehmensleitung zuverlässige Sorgfaltspflichten umfassen müssen, die auf einem Sanktionssystem für den Fall beruhen, dass Unternehmen diese Pflichten nicht einhalten. Ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit sollte nicht nur für die Aktionäre, sondern für alle Interessenträger eines Unternehmens das Ziel sein. In einigen EU-Mitgliedstaaten gilt ein obligatorisches Mitspracherecht der Arbeitnehmervertreter in den Leitungsorganen. Diese nationalen Gesetze und Vorschriften sind einzuhalten.
4.11Der EWSA hat den Standpunkt des der Europäischen Kommission unterstehenden Ausschusses für Regulierungskontrolle zur Kenntnis genommen. Dieser stellte Elemente in Frage, die über die Sorgfaltspflicht hinausgehen: Es sei nicht klar, warum über die Sorgfaltspflichten hinaus die Pflichten der Mitglieder der Unternehmensleitung geregelt werden müssen. Zudem sei es erforderlich, den Mehrwert einer Regelung der Pflichten der Mitglieder der Geschäftsleitung besser zu erklären und zu bewerten, da das Verfahren der Sorgfaltspflicht ja bereits ein Risikomanagement und eine Berücksichtigung der Interessen der Interessenträger erfordere. Vor diesem Hintergrund hält es der EWSA für notwendig, die Aufgaben der Geschäftsleitung weiter auszugestalten und besser auf die Ziele des Grünen Deals abzustimmen.
Brüssel, den 27. Juni 2022
Alain COHEUR
Vorsitzender der Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch
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