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Document 52020DC0187

    BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT über die Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Europäische Schutzanordnung

    COM/2020/187 final

    Brüssel, den 11.5.2020

    COM(2020) 187 final

    BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT

    über die Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Europäische Schutzanordnung


    1.Einleitung

    1.1.Hintergrund

    Die Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung (im Folgenden die „Richtlinie“) ist die erste Richtlinie über die gegenseitige Anerkennung solcher Anordnungen, die nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gemäß Artikel 82 Absatz 1 Buchstaben a und d AEUV erlassen wurde.

    Die Richtlinie wurde 2010 auf Initiative von zwölf Mitgliedstaaten (Belgien, Bulgarien, Estland, Spanien, Frankreich, Italien, Ungarn, Polen, Portugal, Rumänien, Finnland und Schweden) vorgeschlagen und am 13. Dezember 2011 angenommen. Zusammen mit der Verordnung Nr. 606/2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen 1 (im Folgenden die „Verordnung“) und der Richtlinie 2012/29/EU über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten 2 (im Folgenden die „Opferschutzrichtlinie“) bildete sie ein Maßnahmenpaket zur Stärkung der Rechte und des Schutzes von Opfern von Straftaten in der EU. Konkret betreffen die Richtlinie und die Verordnung die Anerkennung von Schutzanordnungen in Straf- und Zivilsachen und zielen darauf ab, den Schutz von Personen in Not (Opfer und potenzielle Opfer) bei Reisen in einen anderen Mitgliedstaat oder einem Umzug dorthin zu verbessern.

    Die Richtlinie ist für alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme Irlands und Dänemarks verbindlich.

    Im Jahr 2018 veröffentlichte das Europäische Parlament auf der Grundlage einer Studie aus dem Jahr 2017 3 einen Bericht über die Umsetzung der Richtlinie 4 . Darüber hinaus prüfte das Europäische Parlament im Rahmen einer 2018 veröffentlichten allgemeinen Studie zum Strafprozessrecht in der EU 5 die Funktionsweise der Europäischen Schutzanordnung.

    1.2.Zweck und wesentliche Elemente der Richtlinie

    Ziel der Richtlinie ist es, sicherzustellen, dass eine Person, die in einem Mitgliedstaat in den Genuss einer Schutzmaßnahme kommt, diesen Schutz auch weiterhin in Anspruch nehmen kann, wenn sie in einen anderen Mitgliedstaat umzieht oder dorthin reist.

    Die Richtlinie enthält Vorschriften, die es den zuständigen Behörden ermöglichen, einen solchen kontinuierlichen Schutz in der gesamten Union sicherzustellen.

    Die Richtlinie verpflichtet die zuständigen Behörden des anordnenden Staates, auf der Grundlage einer nationalen Schutzanordnung die Europäische Schutzanordnung (im Folgenden „Europäische Schutzanordnung“) zu erlassen und zwecks Anerkennung und Vollstreckung an die zuständigen Behörden des vollstreckenden Mitgliedstaates weiterzuleiten. Die vollstreckende Behörde kann jede nach ihrem nationalen Recht in einem vergleichbaren Fall zur Verfügung stehende Maßnahme treffen, um der geschützten Person weiterhin Schutz zu gewähren. Auf der Grundlage dieses Instruments kann die zuständige vollstreckende Behörde die geschützte Person in ihrem eigenen Hoheitsgebiet weiterhin schützen.

    Die Richtlinie gilt für nationale Schutzmaßnahmen, die darauf abzielen, eine Person vor strafbaren Handlungen zu schützen, die ihr Leben oder ihre physische, psychische und sexuelle Integrität beziehungsweise ihre Würde oder persönliche Freiheit gefährden können. Sie gilt für die drei gebräuchlichsten Arten nationaler Schutzmaßnahmen:

    ·ein Verbot des Betretens bestimmter Orte, an denen die geschützte Person wohnt oder arbeitet, die sie regelmäßig aufsucht oder an denen sie sich aufhält;

    ·ein Verbot oder eine Regelung jeglicher Form der Kontaktaufnahme mit der geschützten Person;

    ·das Verbot, sich der geschützten Person auf eine geringere als die festgelegte Entfernung zu nähern, oder eine Regelung dazu.

    In der Praxis werden Schutzmaßnahmen zumeist zum Schutz von Frauen in Fällen von Gewalt durch Intimpartner oder häuslicher Gewalt, Belästigung, Stalking oder sexueller Übergriffe angewandt. Der Grund hierfür ist, dass Opfer solcher Straftaten in besonderem Maße sekundärer und wiederholter Viktimisierung, Einschüchterung und Vergeltung ausgesetzt sind.

    1.3.Ziel und Umfang des Berichts

    In diesem Bericht wird den Anforderungen des Artikels 23 entsprechend die Anwendung der Richtlinie bewertet. Die Bewertung stützt sich auf eine Analyse der nationalen Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie, die der Kommission mitgeteilt wurden, sowie auf zusätzliche Daten, die die Mitgliedstaaten der Kommission übermittelt haben (Artikel 21 bzw. Artikel 22 der Richtlinie).

    Der vorliegende Bericht konzentriert sich auf Bestimmungen, die den Kern der Richtlinie bilden und für das reibungslose Funktionieren der Europäischen Schutzanordnung von entscheidender Bedeutung sind. Diese Bestimmungen umfassen Folgendes: die Benennung der zuständigen Stellen; die Voraussetzung des Bestehens einer Schutzmaßnahme nach nationalem Recht; Erlass und Anerkennung einer Europäischen Schutzanordnung; Folgen eines Verstoßes gegen die auf der Grundlage einer Europäischen Schutzanordnung getroffenen Maßnahmen und die Verpflichtung, die Parteien über ihre Rechte und einschlägigen Entscheidungen zu informieren.

    In dem Bericht werden alle an die Richtlinie gebundenen Mitgliedstaaten erfasst. 6

    2.Allgemeine Bewertung

    Bei Ablauf der Umsetzungsfrist am 11. Januar 2015 (Artikel 21 Absatz 1) hatten die folgenden 14 Mitgliedstaaten der Kommission die erforderlichen Maßnahmen nicht mitgeteilt: Belgien, Bulgarien, Tschechien, Griechenland, Frankreich, Zypern, Lettland, Litauen, Portugal, Rumänien, Slowenien, die Slowakei, Finnland und Schweden.

    Im März 2015 leitete die Kommission gegen all diese Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 258 AEUV ein, weil sie ihre Umsetzungsmaßnahmen nicht mitgeteilt hatten. Im Dezember 2015 übermittelte die Kommission mit Gründen versehene Stellungnahmen an Griechenland und Rumänien und im Juli 2016 an Belgien. Bis zum 4. Oktober 2017 hatten alle an die Richtlinie gebundenen Mitgliedstaaten der Kommission ihre nationalen Umsetzungsmaßnahmen mitgeteilt. Die erste Einschätzung der mitgeteilten Maßnahmen ergab keine Lücken. Die Vertragsverletzungsverfahren wegen unvollständiger Umsetzung wurden eingestellt. Dies schließt jedoch nicht aus, dass die Kommission weitere Vertragsverletzungsverfahren wegen nicht ordnungsgemäßer Umsetzung der Richtlinie einleiten kann.

    Alle Mitgliedstaaten teilten der Kommission Justizbehörden oder gleichwertige Behörden mit, die für den Erlass und die Vollstreckung von Europäischen Schutzanordnungen zuständig sind. Einige Mitgliedstaaten haben keine einschlägigen Daten über die Anwendung des in Artikel 22 der Richtlinie vorgeschriebenen Instruments übermittelt.

    Die Analyse zeigt, dass ein Mitgliedstaat die für den Erlass und die Anerkennung Europäischer Schutzanordnungen erforderlichen Strukturen nicht geschaffen hat. Die Kommission arbeitet derzeit mit diesem Mitgliedstaat an einer Lösung des Problems. Erforderlichenfalls kann die Kommission rechtliche Schritte einleiten.

    3.Einzelne Aspekte der Bewertung

    3.1.Zuständige Behörden (Artikel 3 und Artikel 4)

    Nach Artikel 3 müssen die Mitgliedstaaten die Kommission darüber informieren, welche Justiz- oder gleichwertigen Behörden für den Erlass und die Anerkennung Europäischer Schutzanordnungen zuständig sind.

    In den meisten Mitgliedstaaten sind Gerichte, Staatsanwälte oder Untersuchungsrichter für den Erlass von Europäischen Schutzanordnungen zuständig. In einem Mitgliedstaat wurden Polizeibehörden benannt. Ein Mitgliedstaat, in dem Europäische Schutzanordnungen in Strafsachen nicht erlassen werden können, hat als vollstreckender Staat Zivilgerichte als für die Entgegennahme von Anträgen auf Erlass Europäischer Schutzanordnungen und deren Übermittlung an den Anordnungsstaat gemäß Artikel 6 Absatz 3 zuständig benannt.

    Eine große Mehrheit der Mitgliedstaaten hat geografisch zuständige Justizbehörden als zuständige Vollstreckungsbehörden benannt. Ein Mitgliedstaat hat die Polizei benannt. Für Fälle mit unbekanntem Wohnsitz der geschützten Person haben zwei Mitgliedstaaten zusätzlich die Gerichte in ihren Hauptstädten benannt.

    Artikel 4 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten eine oder mehrere zentrale Behörden zur Unterstützung der zuständigen Behörden benennen können. Mehr als die Hälfte der Mitgliedstaaten hat eine zentrale Behörde benannt (in den meisten Fällen das Justizministerium).

    Die Informationen über die zuständigen Behörden wurden hauptsächlich über das EU‑Justizportal eingeholt. Allerdings beantwortete nur die Hälfte der Mitgliedstaaten das Ersuchen um Auskünfte für die E-Justiz und einige wenige von ihnen übermittelten Informationen direkt in einem gesonderten Dokument an die Datenbank für nationale Vollstreckungsmaßnahmen. Mangels Mitteilungen der übrigen Mitgliedstaaten mussten Informationen über die zuständigen Behörden aus den gesetzgeberischen Maßnahmen der einzelnen Staaten, die an die Datenbank für nationale Vollstreckungsmaßnahmen übermittelt worden waren, abgeleitet werden. Die eingegangenen Informationen stehen in der Website des Europäischen Justiziellen Netzes 7 zur Verfügung.

    3.2.Sprachenregelung (Artikel 17)

    Eine Europäische Schutzanordnung muss von der zuständigen Behörde des anordnenden Staats in die Amtssprache oder eine der Amtssprachen des vollstreckenden Staats übersetzt werden (Artikel 17 Absatz 1). Die Mitgliedstaaten können eine Erklärung abgeben, dass sie eine Übersetzung in eine oder mehrere andere Amtssprachen der Union akzeptieren (Artikel 17 Absatz 3).

    Nur wenige Mitgliedstaaten haben der Kommission mitgeteilt, dass sie andere Sprachen als ihre eigenen akzeptieren. Mehrere Mitgliedstaaten akzeptieren die englische Sprache. Auf Gegenseitigkeitsbasis akzeptieren einige wenige Mitgliedstaaten eingehende Europäische Schutzanordnungen in weiteren Sprachen.

    3.3.Erlass einer Europäischen Schutzanordnung (Artikel 5 und Artikel 6)

    Nach der Richtlinie wird eine Europäische Schutzanordnung nicht automatisch auf Antrag der geschützten Person erlassen. Die zuständige Justizbehörde muss prüfen, ob die Voraussetzungen für den Erlass einer Europäischen Schutzanordnung nach Artikel 5 erfüllt sind, und dabei die Dauer des geplanten Aufenthalts und die Dringlichkeit des Schutzbedarfs berücksichtigen.

    Einige Mitgliedstaaten schreiben die Voraussetzungen in ihren Rechtsvorschriften formell fest. Ein Mitgliedstaat fordert beispielsweise eine Beschreibung der Gründe für den Umzug in einen anderen Mitgliedstaat. Ein anderer Mitgliedstaat schreibt eine Aufenthaltsdauer von mehr als drei Monaten vor.

    Die Richtlinie verlangt, dass der Antrag auf Erlass einer Europäischen Schutzanordnung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls mit angemessener Schnelligkeit behandelt werden sollte (Erwägungsgrund 13). In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass einige Mitgliedstaaten Fristen für die Entscheidung über eine Europäische Schutzanordnung von drei, zehn oder fünfzehn Tagen festgelegt haben. Ein Mitgliedstaat gibt an, dass eine Europäische Schutzanordnung gleichzeitig mit der Anordnung der nationalen Schutzmaßnahme erlassen werden kann.

    Die Richtlinie sieht ferner vor, dass die geschützte Person bei der zuständigen Behörde des anordnenden oder des vollstreckenden Staates einen Antrag auf Erlass einer Europäischen Schutzanordnung stellen kann. Letztere ist verpflichtet, den Antrag so bald wie möglich an die zuständige Behörde des Anordnungsstaates weiterzuleiten (Artikel 6 Absatz 3). Eine beträchtliche Zahl von Mitgliedstaaten hat ermöglicht, dass eine solche Übermittlung der Anträge stattfinden kann.

    In einigen Mitgliedstaaten hat die Kommission jedoch keine Bestimmungen ermittelt, mit denen die Übermittlung von Ersuchen ermöglicht wird.

    3.3.1.Verfahrensgarantien für die gefährdende Person (Artikel 6 Absatz 4)

    Die Richtlinie schreibt vor, dass vor dem Erlass einer Europäischen Schutzanordnung der gefährdenden Person ein Anspruch auf rechtliches Gehör sowie ein Recht zur Anfechtung der Schutzmaßnahme zusteht, sofern ihr diese Rechte nicht bereits in dem zum Erlass der Schutzmaßnahme führenden Verfahren gewährt worden sind (Artikel 6 Absatz 4).

    Mehr als die Hälfte der Mitgliedstaaten hat diese Bestimmung umgesetzt. Einige von ihnen gehen über die in Artikel 6 Absatz 4 der Richtlinie festgelegte Mindestanforderung hinaus. Beispielsweise wird in einem Mitgliedstaat eine gefährdende Person, die in dem Verfahren, in dem die nationale Schutzmaßnahme erlassen wurde, nicht angehört wurde, innerhalb von 72 Stunden nach der Stellung des Antrags auf Erlass einer Europäischen Schutzanordnung zu einer Anhörung geladen. In einem anderen Mitgliedstaat muss die anordnende Behörde überprüfen, ob die nationale Schutzmaßnahme in einem kontradiktorischen Verfahren erlassen wurde. Ist dies nicht der Fall, teilt sie der gefährdenden Person die Entscheidung mit, die die nationale Schutzmaßnahme enthält. Ein anderer Mitgliedstaat schreibt vor, dass sowohl die geschützte als auch die gefährdende Person angehört werden, sofern die beiden Parteien nicht einem schriftlichen Verfahren zustimmen.

    3.3.2.Verpflichtungen zur Unterrichtung der geschützten Person (Artikel 6 Absatz 5 und 7)

    Laut der Richtlinie sollte die zuständige Behörde im Fall der Anordnung einer nationalen Schutzmaßnahme die geschützte Person im Einklang mit den Verfahren nach ihrem nationalen Recht über die Möglichkeit informieren, eine Europäische Schutzanordnung zu beantragen (Artikel 6 Absatz 5).

    Einige Mitgliedstaaten haben diese Verpflichtung umgesetzt, indem sie die zuständigen Behörden ausdrücklich dazu verpflichtet haben, die geschützte Person beim Erlass einer nationalen Schutzmaßnahme zu informieren.

    Darüber hinaus sieht die Richtlinie vor, dass die zuständige Behörde des Anordnungsstaats in Fällen, in denen der Antrag auf Erlass einer Europäischen Schutzanordnung abgelehnt wird, die geschützte Person über die nach ihrem nationalen Recht gegen diese Entscheidung zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe belehren muss (Artikel 6 Absatz 7).

    Die Verpflichtung zur Unterrichtung der geschützten Person wurde von den Mitgliedstaaten auf unterschiedliche Weise umgesetzt. In mehreren von ihnen ist die Behörde, die den Antrag auf Erlass einer Europäischen Schutzanordnung ablehnt, im Rahmen der nationalen Rechtsvorschriften verpflichtet, die geschützte Person über die zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe zu unterrichten. In einigen wenigen Mitgliedstaaten wird die Entscheidung über die Ablehnung des Erlasses einer Europäischen Schutzanordnung der geschützten Person mitgeteilt oder die geschützte Person wird über die Entscheidung und ihre Gründe unterrichtet. Aus den Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie geht jedoch nicht eindeutig hervor, dass die geschützte Person auch über bestehende Rechtsbehelfe informiert wird.

    In einigen Mitgliedstaaten ließen sich keine Bestimmungen zur Unterrichtung der geschützten Person über die Rechtsbehelfe feststellen.

    3.4.Anerkennung einer Europäischen Schutzanordnung (Artikel 9, Artikel 10 und Artikel 15)

    3.4.1.Anerkennungs- und Anordnungsverfahren (Artikel 9 Absätze 1 – 2)

    Bei Eingang einer Europäischen Schutzanordnung muss der vollstreckende Staat diese unverzüglich anerkennen und eine nach ihrem nationalen Recht in einem vergleichbaren Fall vorgesehene, einschlägige Schutzmaßnahme erlassen (Artikel 9 Absatz 1 und 2). Die zuständige Behörde des vollstreckenden Staats verfügt bei der Festlegung einer solchen Maßnahme über einen gewissen Ermessensspielraum.

    Der vorstehend beschriebene Anpassungsmechanismus ist in fast allen Mitgliedstaaten verfügbar. Nur ein Mitgliedstaat hat die Kommission nicht über seine nationalen Maßnahmen zur Umsetzung des Verfahrens für den Erlass und die Anerkennung von Europäischen Schutzanordnungen informiert.

    In den nationalen Rechtsvorschriften einiger weniger Mitgliedstaaten wird eindeutig erklärt, dass die erlassene Maßnahme nicht strenger oder strikter als die ursprüngliche Maßnahme sein darf, dass sie gleichwertig oder milder sein sollte und dass etwaige Unterschiede zugunsten der gefährdenden Person zu berücksichtigen sind. 

    In einem Mitgliedstaat ist in der Bestimmung zur Umsetzung der Richtlinie vorgesehen, dass die Vollstreckungsbehörde dann, wenn sie die Schutzmaßnahme, wie sie sich aus der Europäischen Schutzanordnung ergibt, als zur Gewährleistung eines fortgesetzten Schutzes nicht ausreichend und angemessen erachtet, ein aus drei Richtern bestehendes Gremium ersuchen kann, die Maßnahme anzupassen oder eine andere in ihrem nationalen Recht vorgesehene Maßnahme anzuordnen.

    Was die Dauer der neuen Schutzmaßnahme angeht, so erlaubt das nationale Recht eines Mitgliedstaats ausdrücklich den Erlass einer nationalen Schutzmaßnahme, die dieselbe Dauer hat wie diejenige, die im anordnenden Staat erlassen wurde. In zwei anderen Mitgliedstaaten darf die neue Schutzmaßnahme eine bestimmte Dauer nicht überschreiten – 180 Tage in einem dieser Staaten und ein Jahr im anderen.

    3.4.2.Zeitrahmen für die Anerkennung und Vorrang der Anerkennung (Artikel 15) 

    Die Richtlinie sieht keine verbindliche Frist für die Anerkennung einer Europäischen Schutzanordnung oder den Erlass einer nationalen Schutzmaßnahme auf der Grundlage einer Europäischen Schutzanordnung vor. Nichtsdestotrotz haben einige Mitgliedstaaten besondere Fristen für die Vollstreckung einer Europäischen Schutzanordnung eingeführt‚ innerhalb derer ihre zuständigen Behörden verpflichtet sind, eine Europäische Schutzanordnung anzuerkennen oder eine andere Entscheidung über die Maßnahme zu treffen. Je nach Mitgliedstaat beträgt die Frist zwei Tage, drei Tage, zehn Tage, fünfzehn Tage, sieben + zehn Tage oder 28 Tage. Diese Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit zur Verlängerung der Frist eingeführt, wenn ihre zuständigen Behörden die zuständigen Behörden des anordnenden Staates aufgrund unvollständiger Angaben in der Europäischen Schutzanordnung konsultieren müssen (Verfahren nach Artikel 9 Absatz 4).

    Nach Artikel 15 der Richtlinie muss eine Europäische Schutzanordnung mit dem gleichen Vorrang anerkannt werden, wie er in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall anwendbar wäre. Einige Mitgliedstaaten haben den Wortlaut von Artikel 15 wörtlich in nationales Recht übernommen. Mehrere Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Entscheidung über die Anerkennung unverzüglich, umgehend oder dringend zu treffen ist.

    3.4.3.Verpflichtung, die geschützte Person, die gefährdende Person und die zuständige Behörde des anordnenden Staats über die getroffenen Maßnahmen und die Folgen von Verstößen zu unterrichten (Artikel 9 Absatz 3)

    Die Richtlinie verpflichtet die zuständige Behörde des Vollstreckungsstaats, die geschützte Person, die gefährdende Person und die zuständige Behörde des anordnenden Staats über alle Maßnahmen zu unterrichten, die auf der Grundlage einer Europäischen Schutzanordnung getroffen wurden. Ferner muss sie diesen Personenkreis über die im nationalen Recht vorgesehenen, Artikel 11 Absatz 2 entsprechenden, möglichen Rechtsfolgen (z. B. Sanktionen) eines Verstoßes gegen eine solche Maßnahme unterrichten.

    Der Grad der Umsetzung dieser Verpflichtung ist von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich. Die meisten Mitgliedstaaten haben die Verpflichtung zur Übermittlung von Informationen über die auf der Grundlage einer Europäischen Schutzanordnung erlassenen Maßnahmen in Bezug auf alle drei Parteien umgesetzt. Mehrere Mitgliedstaaten haben den Anwendungsbereich dieser Verpflichtung beschränkt und richten die Informationen nur an folgende Stellen:

    -den anordnenden Staat und die gefährdende Person;

    -die geschützte Person und die gefährdende Person sowie in einigen wenigen Mitgliedstaaten zusätzlich die im vollstreckenden Staat in der Nähe der geschützten Person befindlichen Behörden wie Staatsanwaltschaft oder Polizei;

    -die zuständige Behörde des anordnenden Staats in der Erwartung, dass die dortigen zuständigen Behörden die Informationen an die geschützte Person weiterleiten.

    In einigen wenigen Mitgliedstaaten konnten die einschlägigen Bestimmungen nicht ermittelt werden.

    Darüber hinaus werden in einigen Mitgliedstaaten keine Informationen über die möglichen rechtlichen Folgen eines Verstoßes gegen die auf der Grundlage der Europäischen Schutzanordnung erlassene Schutzmaßnahme übermittelt. Ein Mitgliedsstaat stellt sie nur der gefährdenden Person und ein anderer nur der zuständigen Behörde des anordnenden Staats und der gefährdenden Person zur Verfügung.

    3.4.4.Gründe für die Nichtanerkennung (Artikel 10 Absatz 1)

    Die Richtlinie sieht neun Gründe für die Nichtanerkennung einer Europäischen Schutzanordnung vor (Artikel 10 Absatz 1). Die vollstreckenden Behörden können die Anerkennung einer Europäischen Schutzanordnung aus diesen Gründen ablehnen. Mehrere Mitgliedstaaten haben die Gründe als fakultativ in nationales Recht umgesetzt, und einer hat sie als obligatorisch eingeführt. In einigen anderen Mitgliedstaaten werden die meisten Gründe für die Nichtanerkennung als obligatorische Gründe und eine geringe Zahl als fakultative Gründe eingeführt. Zwei von ihnen haben bei der Umsetzung dieser Gründe in nationales Rechte beide Ansätze (obligatorisch und fakultativ) fast gleichberechtigt angewendet.

    Einige andere Mitgliedstaaten haben die meisten Gründe für die Nichtanerkennung (als fakultativ) umgesetzt, gleichzeitig aber einen der Gründe für die Nichtanerkennung nicht eingeführt. Einige haben die Gründe für die Nichtanerkennung überhaupt nicht in nationales Recht überführt.

    Solche Umsetzungskonzepte können zu Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen führen und die Anwendung der Richtlinie in der Praxis möglicherweise erschweren.

    Einige wenige Mitgliedstaaten haben neben den in Artikel 10 der Richtlinie festgelegten Nichtanerkennungsgründen in ihren nationalen Rechtsvorschriften zusätzliche Gründe für die Nichtanerkennung Europäischer Schutzanordnungen dargelegt, die mit einer möglichen Verletzung der Grundrechte der gefährdenden Person zusammenhängen.

    3.4.5.Verpflichtungen zur Unterrichtung der geschützten Person und des Anordnungsstaates über die Nichtanerkennung der Europäischen Schutzanordnung (Artikel 10 Absatz 2)

    Die Richtlinie erlegt der zuständigen Behörde des die Anerkennung einer Europäischen Schutzanordnung verweigernden Vollstreckungsstaates eine Reihe von Informationspflichten auf. Diese zuständige Behörde muss den Anordnungsstaat und die geschützte Person unverzüglich über diese ablehnende Entscheidung und die Gründe dafür unterrichten. Fast alle betroffenen Mitgliedstaaten haben diese Verpflichtung in nationales Recht umgesetzt. In einigen Durchführungsbestimmungen sind die zuständigen Behörden jedoch verpflichtet, nur den Anordnungsstaat, nicht aber die geschützte Person zu informieren.

    Darüber hinaus muss die zuständige Behörde des vollstreckenden Staates die geschützte Person gegebenenfalls über die Möglichkeit informieren, den Erlass einer Schutzmaßnahme nach ihrem nationalen Recht zu beantragen. Einige Mitgliedstaaten haben diese Verpflichtung umgesetzt, andere haben dies jedoch nicht getan.

    Die Richtlinie sieht vor, dass die geschützte Person von der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaats auch über alle nach dem nationalen Recht dieses Staates verfügbaren Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung über die Nichtanerkennung zu unterrichten ist. Mehrere Mitgliedstaaten haben diese Verpflichtung nicht in nationales Recht umgesetzt.

    3.5.Erlass von Schutzmaßnahmen auf der Grundlage einer Europäischen Schutzanordnung, Verstoß gegen die Maßnahmen und dessen Folgen sowie Meldepflicht im Zusammenhang mit dem Verstoß (Artikel 11 und Artikel 12)

    3.5.1.Verfahren für den Erlass und die Vollstreckung der Schutzmaßnahmen (Artikel 11 Absatz 1)

    Laut Richtlinie muss der vollstreckende Staat befugt sein, nach der Anerkennung einer Europäischen Schutzanordnung in seinem Hoheitsgebiet Maßnahmen zu erlassen und zu vollstrecken, wobei für solche Entscheidungen das Recht des vollstreckenden Staates gilt (Artikel 11 Absatz 1).

    Bis auf einen Mitgliedstaat wird in allen Mitgliedstaaten in der Umsetzungsbestimmung daran erinnert, dass für den Erlass und die Vollstreckung von Schutzmaßnahmen das nationale Recht gilt. Ein Mitgliedstaat hat festgelegt, dass bei Erlass einer nationalen Schutzmaßnahme eine Anhörung der gefährdenden Person erforderlich ist. In einem anderen Mitgliedstaat ist eine solche Anhörung erforderlich, außer wenn sowohl die geschützte als auch die gefährdende Person stattdessen einem schriftlichen Verfahren zustimmen. In einigen wenigen anderen Mitgliedstaaten sind solche Anhörungen nach Möglichkeit durchzuführen. Ferner gibt es einen Mitgliedstaat, der in den Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie ausdrücklich vorsieht, dass die Anerkennung einer Europäischen Schutzanordnung und der Erlass geeigneter Schutzmaßnahmen ohne Anhörung der gefährdenden Person erfolgen.

    Das Recht des vollstreckenden Staates muss auch für die Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen gelten, die in dem betreffenden Staat in Bezug auf die Europäische Schutzanordnung getroffen wurden (Artikel 11 Absatz 1). Die Richtlinie sieht keinen eigenständigen Rechtsbehelf für die gefährdende Person vor, wenn diese die im Vollstreckungsstaat erlassene Schutzmaßnahme anfechten möchte. In diesem Zusammenhang verweist die Richtlinie auf die nationalen Verfahren, sofern sie im innerstaatlichen Recht des betreffenden Staates vorgesehen sind. Es sei darauf hingewiesen, dass die Richtlinie keine Verpflichtung vorsieht, die gefährdende Person über die verfügbaren Rechtsbehelfe zu belehren.

    Einige wenige Mitgliedstaaten haben in ihren Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie ausdrücklich vorgesehen, dass die gefährdende Person das Recht hat, die Anerkennung einer Europäischen Schutzanordnung bzw. den Erlass einer darauf beruhenden nationalen Schutzmaßnahme anzufechten. Die verfügbaren Rechtsbehelfe reichen von einer Beschwerde (mit oder ohne aufschiebende Wirkung) bei derselben Behörde, die auch die Europäische Schutzanordnung anerkannt und die nationale Schutzmaßnahme erlassen hat, über einen Einspruch aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen bei einer höheren Behörde bis zur Anfechtung der Zulässigkeit.

    3.5.2.Folgen bei einem Verstoß gegen die Schutzmaßnahme (Artikel 11 Absatz 2)

    Die Richtlinie regelt Sanktionen und andere Rechtsfolgen im Falle eines Verstoßes gegen eine oder mehrere der Maßnahmen, die der vollstreckende Staat nach der Anerkennung einer Europäischen Schutzanordnung getroffen hat (Artikel 11 Absatz 2).

    Die Richtlinie erlaubt dem vollstreckenden Staat, als Folge des Verstoßes strafrechtliche Sanktionen zu verhängen und jede sonstige Maßnahmen zu ergreifen, wenn dieser Verstoß nach dem Recht dieses Staates eine strafbare Handlung darstellt (Artikel 11 Absatz 2 Buchstabe a).

    Dieser Staat darf auch alle nicht-strafrechtlichen Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Verstoß (Artikel 11 Absatz 2 Buchstabe b) und alle dringenden und vorläufigen Maßnahmen zur Beendigung des Verstoßes treffen, bis der anordnende Staat gegebenenfalls eine weitere Entscheidung trifft (Artikel 11 Absatz 2 Buchstabe c).

    Mehrere Mitgliedstaaten haben diese Bestimmungen fast wörtlich in nationales Recht umgesetzt. Einige Mitgliedstaaten haben in ihren Umsetzungsbestimmungen die Folgen der Nichteinhaltung der von ihren zuständigen Behörden zur Anerkennung einer Europäischen Schutzanordnung getroffenen Maßnahme im Einzelnen festgelegt. Die nationalen Rechtsvorschriften einiger weniger Mitgliedstaaten sehen eine Freiheits- bzw. Geldstrafe für die Nichteinhaltung von Verpflichtungen oder Verboten vor, die in einer Europäischen Schutzanordnung angeordnet werden. Einige Mitgliedstaaten sehen lediglich finanzielle Sanktionen vor. Einige andere haben darauf hingewiesen, dass die zuständige Justizbehörde eine „stärkere“ oder „härtere“ Maßnahme oder eine „Maßnahme im Rahmen einer anderen Art des Schutzes oder der Unterstützung“ ergreifen wird.

    In einigen wenigen Mitgliedstaaten wurden keine nationalen Bestimmungen zur Umsetzung von Artikel 11 Absatz 2 der Richtlinie ermittelt.

    3.5.3.Verpflichtung zur Unterrichtung der zuständigen Behörde des anordnenden Staates im Falle eines Verstoßes gegen die Schutzmaßnahme (Artikel 12)

    Die Richtlinie verpflichtet den vollstreckenden Staat zur Unterrichtung des anordnenden Staats oder des Staats der Überwachung 8 über jeden Verstoß gegen die Maßnahme(n), die auf der Grundlage der Europäischen Schutzanordnung getroffen wurde(n) (Artikel 12). Mit dieser Mitteilung soll die zuständige Behörde des anordnenden Staates in die Lage versetzt werden, unverzüglich über angemessene Reaktionen hinsichtlich der Schutzmaßnahme zu entscheiden, die der gefährdenden Person in diesem Staat auferlegt wurde (Erwägungsgrund 26).

    Zur Erleichterung der Unterrichtung wird in Anhang II der Richtlinie ein einheitliches Formblatt bereitgestellt, zu dessen Verwendung die zuständige Behörde des vollstreckenden Staates verpflichtet ist (Artikel 12). Das Formblatt sollte Standardangaben zu den betroffenen Personen, Einzelheiten über die Europäische Schutzanordnung und die zuständigen Behörden enthalten.

    Ein Mitgliedstaat hat diese Verpflichtung nicht umgesetzt.

    4.Datenerfassung

    Die Richtlinie sieht zur Erleichterung der Bewertung ihrer Anwendung vor, dass die Mitgliedstaaten der Kommission einschlägige Daten in Bezug auf die Anwendung nationaler Verfahren zur Europäischen Schutzanordnung, zumindest zur Zahl der beantragten, erlassenen und/oder anerkannten Europäischen Schutzanordnungen, mitteilen (Artikel 22). Darüber hinaus werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, andere Arten von Daten wie etwa die Art der betroffenen Straftaten bereitzustellen (Erwägungsgrund 32).

    Den Mitgliedstaaten wurden zum 1. September 2017 (für die Jahre 2015 bis Mitte 2017 9 ) und zum 11. März 2019 (für die Jahre 2015-2018) zwei Fragebögen zugesandt, in denen sie um die Übermittlung der vorstehend genannten Angaben gebeten wurden.

    19 Mitgliedstaaten beantworteten den Fragebogen aus dem Jahr 2017 und/oder den Fragebogen aus dem Jahr 2019. Drei der 19 Staaten antworteten nur auf den 2017 versandten Fragebogen. Die übrigen 16 Mitgliedstaaten übermittelten 2019 aktualisierte Informationen.

    Die von den Mitgliedstaaten übermittelten, für die Jahre 2015-2018 erstellten Statistiken weisen insgesamt 37 erlassene Europäische Schutzanordnungen aus. Den Fragebogenantworten zufolge wurde die Mehrzahl der gemeldeten Europäischen Schutzanordnungen von einem einzigen Mitgliedstaat erlassen (27 von 37). Zwei weitere Mitgliedstaaten berichteten ebenfalls, Europäische Schutzanordnungen erlassen zu haben. Den verfügbaren Informationen zufolge wurden im Vollstreckungsstaat nur 15 Europäische Schutzanordnungen anerkannt und führten zum Erlass von Schutzmaßnahmen (vier im Jahr 2015, fünf im Jahr 2016, drei im ersten Halbjahr 2017 und drei im Zeitraum 2017-2018). Und schließlich meldeten zehn Mitgliedstaaten, dass sie Europäische Schutzanordnungen weder erlassen noch anerkannt haben.

    In einigen Mitgliedstaaten gibt es Beispiele für bewährte Verfahren von Fallbearbeitungssystemen, von denen einige die Registrierung von Europäischen Schutzanordnungen umfassen.

    5.Schlussfolgerung

    Die nationalen Durchführungsvorschriften, die von sämtlichen 26 an die Richtlinie gebundenen Mitgliedstaaten übermittelt wurden, scheinen insgesamt zufriedenstellend zu sein, insbesondere was den Mechanismus für die Anerkennung Europäischer Schutzanordnungen angeht. Die Umsetzungsbestimmungen reichen in allen Mitgliedstaaten bis auf einen für die Erlassung und Anerkennung Europäischer Schutzanordnungen aus.

    Eine Analyse der praktischen Anwendung der Richtlinie zeigt jedoch, dass ihr Potenzial angesichts der geringen Zahl erlassener und vollstreckter Europäischer Schutzanordnungen noch nicht voll ausgeschöpft ist. Nach den der Kommission vorliegenden Informationen wurden nur 37 Europäische Schutzanordnungen erlassen und nur 15 vollstreckt. Die für den Erlass Europäischer Schutzanordnungen zuständigen nationalen Behörden sind sich der Möglichkeiten hierfür nicht vollständig bewusst. Darüber hinaus ist schutzbedürftigen Personen die Möglichkeit zur Beantragung einer Europäischen Schutzanordnung vielleicht nicht in vollem Umfang bekannt.

    Bei der Umsetzung einiger Bestimmungen der Richtlinie, beispielsweise der Informationspflicht, besteht in einigen Mitgliedstaaten Verbesserungsbedarf.

    Einige Mitgliedstaaten sehen keine Sanktionen für einen Verstoß gegen Maßnahmen vor, die in Anerkennung einer Europäischen Schutzanordnung erlassen wurden. Dies kann von möglichen Ersuchen um diese Form des grenzüberschreitenden Schutzes abschrecken.

    Die Vielzahl der Schutzmaßnahmen, die in den Mitgliedstaaten (im Rahmen von Zivil-, Verwaltungs- oder Strafverfahren) zur Verfügung stehen, kann ein weiterer Grund dafür sein, dass die Europäische Schutzanordnung nach wie vor nicht in vollem Umfang genutzt wird.

    Die Kommission wird die Einhaltung der Richtlinie durch die Mitgliedstaaten auch weiterhin überprüfen und alle geeigneten Maßnahmen ergreifen, um die Beachtung ihrer Bestimmungen in der gesamten Union sicherzustellen. Erforderlichenfalls wird die Kommission Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten einleiten, die der Richtlinie nicht nachkommen.

    Gleichzeitig arbeitet die Kommission eng mit den Mitgliedstaaten zusammen, um die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Richtlinie zu überwinden. Die Kommission fördert – insbesondere mittels finanzieller Unterstützung – die wirkungsvolle Anwendung nationaler Schutzanordnungen, indem sie ihren Bekanntheitsgrad erhöht und die Notwendigkeit hervorhebt, Anwender bezüglich der Verfügbarkeit der Europäischen Schutzanordnung 10 zu schulen.

    (1) Verordnung (EU) Nr. 606/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen (ABl. L 181 vom 29.6.2013, S. 4).
    (2) Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI (ABl. L 315 vom 14.11.2012, S. 57).
    (3) Studie über die Europäische Schutzanordnung, EPRS, PE 603.272, September 2017 (auf Englisch), http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2017/603272/EPRS_STU(2017)603272_EN.pdf
    (4) Bericht über die Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung (2016/2329(INI)), 14. März 2018), https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-8-2018-0065_DE.html
    (5)  Strafprozessrecht in der Europäischen Union. – Eine vergleichende Analyse ausgewählter wichtiger Unterschiede und ihrer Auswirkungen auf die Entwicklung von EU-weiten Rechtsvorschriften (auf Englisch), PE 604.977, August 2018, https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2018/604977/IPOL_STU(2018)604977_EN.pdf
    (6) Das Vereinigte Königreich ist ebenfalls Gegenstand des Berichts, da sich die Bewertung sowohl auf die Zeit bezieht, in der es ein EU-Mitgliedstaat war, als auch auf einen Teil des Übergangszeitraums, in dem die Richtlinie im Vereinigten Königreich gilt.
    (7)   https://www.ejn-crimjust.europa.eu/ejn/libcategories.aspx?l=DE&id=85
    (8) Dies gilt im Fall eines Urteils nach Artikel 2 des Rahmenbeschlusses 2008/947/JI über Bewährungsmaßnahmen und alternative Sanktionen oder im Fall einer Entscheidung über Überwachungsmaßnahmen nach Artikel 4 des Rahmenbeschlusses 2009/829/JI.
    (9)  30. Juni 2017.
    (10) Verordnung (EU) Nr. 1382/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 zur Einrichtung des Programms „Justiz“ für den Zeitraum 2014 bis 2020 (ABl. L 354 vom 28.12.2013, S. 73).
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