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Document 62013CJ0447

Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 13. November 2014.
Riccardo Nencini gegen Europäisches Parlament.
Rechtsmittel – Mitglied des Europäischen Parlaments – Vergütungen zur Deckung der bei der Wahrnehmung parlamentarischer Aufgaben entstandenen Kosten – Rückforderung zu viel gezahlter Beträge – Einziehung – Verjährung – Angemessene Frist.
Rechtssache C‑447/13 P.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2014:2372

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

13. November 2014 ( *1 )

„Rechtsmittel — Mitglied des Europäischen Parlaments — Vergütungen zur Deckung der bei der Wahrnehmung parlamentarischer Aufgaben entstandenen Kosten — Rückforderung zu viel gezahlter Beträge — Einziehung — Verjährung — Angemessene Frist“

In der Rechtssache C‑447/13 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 2. August 2013,

Riccardo Nencini, wohnhaft in Barberino di Mugello (Italien), vertreten durch M. Chiti, avvocato,

Rechtsmittelführer,

andere Partei des Verfahrens:

Europäisches Parlament, vertreten durch S. Seyr und N. Lorenz als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagter im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Zweiten Kammer sowie der Richter J.‑C. Bonichot (Berichterstatter), A. Arabadjiev und J. L. da Cruz Vilaça,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. April 2014,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Juni 2014

folgendes

Urteil

1

Mit seinem Rechtsmittel beantragt Herr Nencini die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union Nencini/Parlament (T‑431/10 und T‑560/10, EU:T:2013:290, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht zum einen in der Rechtssache T‑560/10 seine Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments vom 7. Oktober 2010 zur Rückforderung bestimmter Beträge zurückgewiesen hat, die dem Rechtsmittelführer, einem ehemaligen Mitglied des Europäischen Parlaments, als Erstattung von Reisekosten und der Kosten für parlamentarische Assistenz zu Unrecht gezahlt worden waren, sowie der Belastungsanzeige Nr. 315653 des Generaldirektors der Generaldirektion Finanzen des Parlaments vom 13. Oktober 2010 und aller anderen damit im Zusammenhang stehenden oder vorangegangenen Akte, und, hilfsweise, auf Zurückverweisung der Sache an den Generalsekretär des Parlaments zur angemessenen Neufestsetzung des Betrags, dessen Rückzahlung verlangt wurde, und mit dem es ihm zum anderen die Kosten in der Rechtssache T‑560/10 in vollem Umfang und in der Rechtssache T‑431/10 teilweise auferlegt hat.

Vorgeschichte des Rechtsstreits

2

Die Vorgeschichte des Rechtsstreits wurde in den Rn. 1 bis 8 des angefochtenen Urteils dargelegt und kann wie folgt zusammengefasst werden.

3

Der Rechtsmittelführer war in der von 1994 bis 1999 dauernden Legislaturperiode Mitglied des Europäischen Parlaments.

4

Nach einer Untersuchung des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) führte das Parlament im Dezember 2006 im Bereich der Ausgaben für parlamentarische Assistenz und der Reisekosten ein Nachprüfungsverfahren durch, das u. a. den Rechtsmittelführer betraf.

5

Am 16. Juli 2010 erließ der Generalsekretär des Parlaments in einem Verfahren zur Einziehung bestimmter Beträge, die zur Erstattung von Reisekosten und der Kosten für parlamentarische Assistenz zu Unrecht an den Rechtsmittelführer gezahlt worden waren, den Beschluss Nr. 311847 (im Folgenden: erster Beschluss des Generalsekretärs).

6

Gemäß dem ersten Beschluss des Generalsekretärs, der in englischer Sprache abgefasst war, war dem Rechtsmittelführer während seines parlamentarischen Mandats nach der Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung für die Mitglieder des Europäischen Parlaments ein Gesamtbetrag von 455903,04 Euro (davon 46550,88 Euro für Reisekosten und 409 352,16 Euro für die Ausgaben für parlamentarische Assistenz) (im Folgenden: streitiger Betrag) zu Unrecht gezahlt worden. Dem Rechtsmittelführer wurde die Belastungsanzeige Nr. 312331 des Generaldirektors der Generaldirektion Finanzen des Parlaments vom 4. August 2010 über die Einziehung des streitigen Betrags (im Folgenden: erste Belastungsanzeige) zugestellt.

7

Am 7. Oktober 2010 erließ der Generalsekretär des Parlaments einen in italienischer Sprache verfassten Beschluss, der den ersten Beschluss des Generalsekretärs ersetzte (im Folgenden: zweiter Beschluss des Generalsekretärs). Diesem Beschluss war die Belastungsanzeige Nr. 315653 des Generaldirektors der Generaldirektion des Parlaments vom selben Tag beigefügt, die in Höhe des streitigen Betrags die erste Belastungsanzeige ersetzte (im Folgenden: zweite Belastungsanzeige). Die beiden Akte wurden dem Rechtsmittelführer am 13. Oktober 2010 mitgeteilt.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

8

Der Rechtsmittelführer focht in der Rechtssache T‑431/10 mit Klageschrift, die am 24. September 2010 bei der Kanzlei des Gerichts einging, den ersten Beschluss des Generalsekretärs, die erste Belastungsanzeige und alle anderen damit im Zusammenhang stehenden oder vorangegangenen Akte an.

9

Mit Klageschrift, die am 10. Dezember 2010 bei der Kanzlei des Gerichts einging, focht der Rechtsmittelführer in der Rechtssache T‑560/10 den zweiten Beschluss des Generalsekretärs und die zweite Belastungsanzeige sowie den ersten Beschluss des Generalsekretärs, die erste Belastungsanzeige und alle anderen damit im Zusammenhang stehenden oder vorangegangenen Akte an.

10

Die Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz, die der Rechtsmittelführer parallel dazu eingereicht hatte, sind durch die Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts Nencini/Parlament (T‑431/10 R, EU:T:2010:441) und Nencini/Parlament (T‑560/10 R, EU:T:2011:40) zurückgewiesen worden.

11

Die Rechtssachen T‑431/10 und T‑560/10 wurden zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.

12

In der mündlichen Verhandlung vom 18. April 2012 teilte der Rechtsmittelführer dem Gericht mit, dass er seine Klage in der Rechtssache T‑431/10 zurücknehme.

13

Das Gericht hat in dem angefochtenen Urteil die Klagerücknahme in der Rechtssache T‑431/10 zur Kenntnis genommen und folglich die Streichung dieser Rechtssache aus dem Register angeordnet.

14

Im Rahmen der Entscheidung über die Klage in der Rechtssache T‑560/10 war das Gericht der Auffassung, dass sich der Antrag des Rechtsmittelführers auf Nichtigerklärung „aller anderen [mit dem zweiten Beschluss des Generalsekretärs] im Zusammenhang stehenden oder vorangegangenen Akte“ gegen rein vorbereitende Maßnahmen richte und daher unzulässig sei.

15

Es war ferner der Auffassung, dass sich der Antrag des Rechtsmittelführers auf Nichtigerklärung der zweiten Belastungsanzeige gegen eine den zweiten Beschluss des Generalsekretärs lediglich bestätigende Maßnahme richte und daher ebenfalls unzulässig sei.

16

Das Gericht hat den Antrag des Rechtsmittelführers auf Nichtigerklärung des zweiten Beschlusses des Generalsekretärs als unbegründet zurückgewiesen.

17

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht den Rechtsmittelführer zur Tragung der Kosten in der Rechtssache T‑560/10 einschließlich der Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes verurteilt und den Parteien in der Rechtssache T‑431/10 jeweils ihre eigenen Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes auferlegt.

Rechtsmittel

18

Der Rechtsmittelführer beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit darin sein Antrag auf Nichtigerklärung des zweiten Beschlusses des Generalsekretärs zurückgewiesen wird;

hilfsweise, die Sache an den Generalsekretär des Parlaments zurückzuverweisen, damit dieser in angemessener Weise den geschuldeten Betrag festlegt, und

dem Parlament die in den Rechtssachen T‑431/10 und T‑560/10 im Verfahren vor dem Gericht entstandenen Kosten sowie die Kosten des Verfahrens vor dem Gerichtshof aufzuerlegen.

19

Das Parlament beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und dem Rechtsmittelführer die Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

20

Der Rechtsmittelführer stützt sein Rechtsmittel auf fünf Gründe. Die ersten vier Rechtsmittelgründe beziehen sich auf die Begründung des Gerichts für die Zurückweisung des Vorbringens des Rechtsmittelführers in Bezug auf die Nichtigerklärung des zweiten Beschlusses des Generalsekretärs. Mit seinem fünften Rechtsmittelgrund wendet sich der Rechtsmittelführer dagegen, dass das Gericht ihm sowohl in der Rechtssache T‑431/10 als auch in der Rechtssache T‑560/10 die Kosten auferlegt hat.

21

Das Parlament macht die Unzulässigkeit bzw. die Unbegründetheit dieser Rechtsmittelgründe geltend.

Zu den Rechtsmittelanträgen, soweit sie die Auferlegung der Kosten in der Rechtssache T‑431/10 betreffen

22

Nach Art. 58 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist ein Rechtsmittel nur gegen die Kostenentscheidung oder gegen die Kostenfestsetzung unzulässig.

23

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass der Tenor des angefochtenen Urteils in Bezug auf die Rechtssache T‑431/10 die Nrn. 3 und 4 enthält, wonach diese Rechtssache aus dem Register des Gerichts gestrichen wird und jede Partei ihre eigenen Kosten in dieser Rechtssache trägt.

24

Der Rechtsmittelführer wendet sich mit dem vorliegenden Rechtsmittel allerdings nur gegen die Begründung dieses Teils des angefochtenen Urteils, die sich auf die die Kosten betreffende Nr. 4 des Tenors dieses Urteils bezieht.

25

Wie jedoch aus der vorstehend genannten Vorschrift des Statuts des Gerichtshofs hervorgeht, fällt die Kontrolle der Kostenentscheidung nicht in dessen Zuständigkeit (vgl. u. a. Beschluss Eurostrategies/Kommission, C‑122/07 P, EU:C:2007:743, Rn. 24).

26

Die Rechtsmittelanträge sind unzulässig, soweit sie die Auferlegung der Kosten in der Rechtssache T‑431/10 betreffen. Soweit sie diese Rechtssache betreffen, sind die Rechtsmittelanträge daher zurückzuweisen.

Zu den Rechtsmittelanträgen, soweit sie die Rechtssache T‑560/10 betreffen

Vorbringen der Parteien

27

Der Rechtsmittelführer, der sich im ersten Rechtszug ohne Erfolg auf die Verjährung der gegen ihn erhobenen Forderung berufen hatte, macht mit dem ersten Rechtsmittelgrund geltend, das Gericht habe gegen die im vorliegenden Fall anwendbaren Verjährungsvorschriften verstoßen. Es habe nämlich bei Bestimmung des Beginns der Verjährungsfrist – erstens – Art. 73a der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates vom 25. Juni 2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 248, S. 1) in der durch die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1995/2006 des Rates vom 13. Dezember 2006 (ABl. L 390, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Haushaltsordnung) und Art. 85b der Verordnung Nr. 2342/2002 der Kommission vom23. Dezember 2002 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 1605/2002 (ABl. L 357, S. 1) in der durch die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 478/2007 der Kommission vom 23. April 2007 (ABl. L 111, S. 13) geänderten Fassung (im Folgenden: Durchführungsverordnung) falsch ausgelegt.

28

Nach Auffassung des Rechtsmittelführers ist, ohne dass die Grundsätze der Rechtssicherheit und eines wirksamen Schutzes missachtet würden, die fünfjährige Verjährungsfrist, die in der höherrangigen Rechtsnorm, nämlich Art. 73a der Haushaltsordnung, vorgesehen sei, soweit sie für den Zeitraum gelte, in dem die Forderung festzulegen sei, anderer Natur als die in Art. 85b der Durchführungsverordnung vorgesehene Frist, die nur für den Zeitraum gelte, in dem diese Forderung eingezogen werden müsse. Der Beginn dieser beiden Fristen könne daher entgegen der Auffassung des Gerichts nicht zusammenfallen.

29

Für den Fall, dass dieser Auslegungsvorschlag nicht zugelassen wird, macht der Rechtsmittelführer – zweitens – im Wege einer Einrede die Rechtswidrigkeit der beiden Verordnungen geltend, da diese gegen die allgemeinen Verjährungsgrundsätze sowie gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und eines wirksamen Schutzes verstießen und die dem Schuldner zustehenden Verteidigungsrechte verletzten. Der Rechtsmittelführer wirft dem Gericht – drittens – vor, das Argument, auf das er den Klagegrund eines Verstoßes gegen die Verjährungsvorschriften gestützt habe und mit dem er geltend gemacht habe, dass das Parlament die angemessene Frist für die Feststellung seiner Forderung nicht beachtet habe, als eigenständiges Argument geprüft zu haben.

30

Das Parlament hält diesen Rechtsmittelgrund für unzulässig, da der Rechtsmittelführer zum einen erneut die im ersten Rechtszug geltend gemachten Argumente vortrage, wonach zwei Verjährungsfristen existierten. Zum anderen werde die Einrede der Rechtswidrigkeit erstmals im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels vorgebracht.

31

Jedenfalls sei dieser Rechtsmittelgrund unbegründet, da das Gericht die absolut eindeutigen Regelungen der Art. 73a der Haushaltsordnung und 85b der Durchführungsverordnung, auf die sich der Rechtsmittelführer selbst berufe, korrekt angewandt habe.

Würdigung durch den Gerichtshof

– Zulässigkeit des ersten Rechtsmittelgrundes betreffend die Auslegung der Art. 73a der Haushaltsordnung und 85b der Durchführungsordnung

32

Aus Art. 256 AEUV, Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 169 seiner Verfahrensordnung folgt, dass ein Rechtsmittel die beanstandeten Teile des Urteils, dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die rechtlichen Argumente, die diesen Antrag speziell stützen, genau bezeichnen muss. Diesem Erfordernis entspricht ein Rechtsmittel nicht, das sich darauf beschränkt, die bereits vor dem Gericht dargelegten Klagegründe und Argumente zu wiederholen oder wörtlich wiederzugeben, aber überhaupt keine Ausführungen speziell zur Bezeichnung des Rechtsfehlers enthält, mit dem das angefochtene Urteil behaftet sein soll.

33

Dagegen können im ersten Rechtszug geprüfte Rechtsfragen im Rechtsmittelverfahren erneut aufgeworfen werden, wenn ein Rechtsmittelführer die Auslegung oder Anwendung des Unionsrechts durch das Gericht beanstandet. Könnte nämlich ein Rechtsmittelführer sein Rechtsmittel nicht in dieser Weise auf bereits vor dem Gericht geltend gemachte Klagegründe und Argumente stützen, so würde dies dem Rechtsmittelverfahren einen Teil seiner Bedeutung nehmen.

34

Mit dem ersten Rechtsmittelgrund soll aber gerade die Auslegung der Haushaltsordnung und der Durchführungsverordnung durch das Gericht in Frage gestellt werden, mit der dieses den im ersten Rechtszug geltend gemachten ersten Klagegrund zurückgewiesen hat. Der Rechtsmittelführer zieht somit die ausdrückliche Antwort des Gerichts auf eine im angefochtenen Urteil behandelte Rechtsfrage in Zweifel; diese Antwort kann der Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittels überprüfen.

35

Der erste Rechtsmittelgrund ist demnach für zulässig zu erklären, soweit er sich auf die Auslegung der Art. 73a der Haushaltsordnung und 85b der Durchführungsverordnung durch das Gericht bezieht.

– Begründetheit des ersten Rechtsmittelgrundes betreffend die Auslegung der Art. 73a der Haushaltsordnung und 85b der Durchführungsverordnung durch das Gericht

36

Es ist darauf hinzuweisen, dass zum einen nach Art. 73a der Haushaltsordnung „[u]nbeschadet der Bestimmungen besonderer Regelungen und der Anwendung des Beschlusses des Rates über das System der Eigenmittel der [Europäischen Union] für die Forderungen der [Union] gegenüber Dritten sowie für die Forderungen Dritter gegenüber [der Union] eine Verjährungsfrist von fünf Jahren [gilt]. Der Beginn der Verjährungsfrist und die Bedingungen für ihre Unterbrechung werden in den Durchführungsbestimmungen festgelegt“. Zum anderen beginnt nach Art. 85b Abs. 1 Unterabs. 1 der Durchführungsverordnung „[d]ie Verjährungsfrist für Forderungen der [Union] gegenüber Dritten … an dem Tag, an dem die Frist, die … dem Schuldner in der Belastungsanzeige mitgeteilt wurde, abläuft“.

37

Um den Klagegrund des Rechtsmittelführers, zum Zeitpunkt des Erlasses des zweiten Beschlusses des Generalsekretärs, dem 7. Oktober 2010, habe der Maßnahme des Parlaments zur Rückforderung des streitigen Betrags nach Art. 73a der Haushaltsordnung die Verjährung entgegengestanden, zurückzuweisen, hat das Gericht zunächst im Wesentlichen in den Rn. 39 und 40 des angefochtenen Urteils die Auffassung vertreten, dass in Anwendung dieser Vorschrift in Verbindung mit Art. 85b der Durchführungsverordnung die Verjährungsfrist erst ab dem Tag zu laufen begonnen habe, an dem die Frist, die dem Rechtsmittelführer in der zweiten Belastungsanzeige mitgeteilt worden sei, abgelaufen sei, also am 20. Januar 2011. Es hat daraus in Rn. 41 des angefochtenen Urteils den Schluss gezogen, dass die Verjährungsfrist am 7. Oktober 2010 noch nicht zu laufen begonnen gehabt habe und dass daher an diesem Tag keineswegs die Verjährung eingetreten gewesen sei.

38

Sodann hat das Gericht in Rn. 43 des angefochtenen Urteils die Ansicht vertreten, dass der Rechtsmittelführer auch habe rügen wollen, dass das Parlament den ihm nach dem Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer obliegenden Anforderungen nicht nachgekommen sei, der es unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtssicherheit den Unionsorganen verwehre, die Ausübung ihrer Rechte auf unbegrenzte Zeit hinauszuschieben. Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass die Pflicht, Verwaltungsverfahren innerhalb einer angemessenen Frist durchzuführen, einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstelle, dessen Beachtung der Unionsrichter sicherstelle und dass dieser Grundsatz als Bestandteil des Rechts auf eine gute Verwaltung in Art. 41 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union übernommen worden sei.

39

Das Gericht hat ausgeführt, dass die Einhaltung einer angemessenen Frist in allen Fällen notwendig sei, in denen es mangels einer entsprechenden Regelung die Grundsätze der Rechtssicherheit oder des Vertrauensschutzes nicht zuließen, dass die Unionsorgane ohne jede zeitliche Begrenzung handeln könnten, und in den Rn. 45 und 46 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass im vorliegenden Fall weder die Haushaltsordnung noch die Durchführungsverordnung eine Frist festlegten, innerhalb deren eine Belastungsanzeige mitzuteilen sei, und dass es daher zu prüfen habe, ob das Parlament seine Verpflichtungen aus dem Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer erfüllt habe.

40

In den Rn. 47 und 49 des angefochtenen Urteils hat das Gericht die Auffassung vertreten, dass sich zum einen die Zeitspanne, die zwischen dem Ende des parlamentarischen Mandats des Rechtsmittelführers im Jahr 1999 und dem Zeitpunkt des Erlasses der zweiten Beschlusses des Generalsekretärs, dem 7. Oktober 2010, nicht als über jede Kritik im Hinblick auf den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer erhaben erweise. Zum anderen hätten die Tatsachen, die dem Betroffenen vorgeworfen worden seien, mit sich bereits im Besitz des Parlaments befindlichen Buchungsbelegen im Zusammenhang gestanden; dessen Aufmerksamkeit im Hinblick auf mögliche Fehler hätte im Übrigen durch ein Schreiben des Rechtsmittelführers vom 13. Juli 1999 geweckt werden müssen, durch das es aufgefordert worden sei, die Modalitäten für die Erstattung der Kosten für parlamentarische Assistenz zu klären.

41

Das Gericht hat daraus in Rn. 50 des angefochtenen Urteils geschlossen, dass das vom Parlament eingeleitete Nachprüfungsverfahren früher hätte durchgeführt und dass der zweite Beschluss des Generalsekretärs ebenfalls früher hätte erlassen werden können, so dass das Parlament gegen seine Verpflichtungen aus dem Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer verstoßen habe.

42

Es hat jedoch entschieden, dass der Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer geltend gemacht worden sei, zurückzuweisen sei, da er zur Nichtigerklärung eines damit behafteten Rechtsakts nur dann führen könne, wenn der Adressat durch den Verstoß in der Ausübung der Verteidigungsrechte beeinträchtigt worden sei. Das Gericht hat aber in Rn. 52 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass der Rechtsmittelführer im vorliegenden Fall in seinem Vorbringen zu diesem Verstoß nichts geltend gemacht habe, woraus sich eine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte ergeben hätte.

43

Hierzu ist festzustellen, dass Art. 73a der Haushaltsordnung eine allgemeine Regel festlegt, die für Forderungen der Union eine Verjährungsfrist von fünf Jahren vorsieht und für die Festlegung des Beginns dieser Verjährungsfrist auf Durchführungsbestimmungen verweist, die nach Art. 183 dieser Verordnung die Europäische Kommission zu erlassen hat.

44

Aus diesen Bestimmungen ergibt sich zum einen, dass Art. 73a der Haushaltsordnung nicht mit Erfolg allein, ohne seine Durchführungsbestimmungen geltend gemacht werden kann, um die Verjährung einer Forderung der Union darzutun.

45

Zum anderen ist der Gesetzgeber der Union dadurch, dass er auf diese Weise eine allgemeine Regel bestimmt hat, die eine Verjährungsfrist von fünf Jahren vorsieht, davon ausgegangen, dass eine solche Frist ausreiche, um die Interessen des Schuldners im Hinblick auf die Anforderungen der Grundsätze der Rechtssicherheit und des berechtigten Vertrauens zu schützen, und um es den Einrichtungen der Union zu ermöglichen, die Rückzahlung zu Unrecht gezahlter Beträge zu erwirken. Wie der Generalanwalt in Nr. 50 seiner Schlussanträge festgestellt hat, soll Art. 73a der Haushaltsordnung im Interesse des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung die Möglichkeit, die Forderungen der Union gegenüber Dritten einzuziehen, zeitlich beschränken. Die Durchführungsbestimmungen zu der in diesem Art. 73a aufgestellten Regelung können nur im Einklang mit diesen Zielen erlassen werden.

46

Insoweit bestimmt Art. 85b der Durchführungsverordnung den Beginn der Verjährungsfrist als den Tag, an dem die Frist abläuft, die dem Schuldner in der Belastungsanzeige – d. h. in dem Akt, mit dem die Feststellung einer Forderung durch den Anweisungsbefugten dem Schuldner, dem eine Zahlungsfrist gesetzt wird, zur Kenntnis gebracht wird – gemäß Art. 78 der Durchführungsverordnung mitgeteilt wurde.

47

Wie das Gericht in Rn. 45 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, ist jedoch weder in der Haushaltsordnung noch in der Durchführungsverordnung im Einzelnen festgelegt, innerhalb welcher Frist nach dem Zeitpunkt der Entstehung der fraglichen Forderung eine Belastungsanzeige übermittelt werden muss.

48

Somit verlangt, wie in Rn. 44 des angefochtenen Urteils festgestellt worden ist, mangels einer entsprechenden Regelung der Grundsatz der Rechtssicherheit, dass das betreffende Organ diese Mitteilung innerhalb einer angemessenen Frist vornimmt. Andernfalls könnte nämlich der Anweisungsbefugte, der in der Belastungsanzeige den Zahlungstermin bestimmen darf, der nach dem Wortlaut von Art. 85b der Durchführungsverordnung den Beginn der Verjährungsfrist darstellt, diesen Beginn nach Belieben ohne Anknüpfung an den Zeitpunkt der Entstehung der fraglichen Forderung festlegen, was offensichtlich im Widerspruch zum Grundsatz der Rechtssicherheit und zum Zweck von Art. 73a der Haushaltsordnung stünde.

49

Insoweit muss unter Berücksichtigung von Art. 73a der Haushaltsordnung die Frist für die Mitteilung einer Belastungsanzeige als unangemessen gelten, wenn diese Mitteilung später als fünf Jahre nach dem Zeitpunkt erfolgt, in dem das Organ seine Forderung normalerweise hat geltend machen können. Diese Vermutung kann nur widerlegt werden, wenn das betreffende Organ nachweist, dass das verspätete Tätigwerden trotz aller Sorgfalt, die es aufgewandt habe, dem Verhalten des Schuldners zuzurechnen ist, u. a. dessen Verzögerungstaktik oder Böswilligkeit. Ohne einen solchen Nachweis muss daher festgestellt werden, dass das Organ seinen Verpflichtungen aus dem Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer nicht nachgekommen ist.

50

Im vorliegenden Fall hat das Parlament, wie das Gericht in den Rn. 46 bis 50 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, den zweiten Beschluss des Generalsekretärs und die zweite Belastungsanzeige erst im Oktober 2010 erlassen und dem Rechtsmittelführer übermittelt, obwohl das parlamentarische Mandat des Betroffenen 1999 geendet hatte, das Parlament am 18. März 2005, dem Zeitpunkt, zu dem ihm der Abschlussbericht des OLAF übermittelt wurde, von dem fraglichen Sachverhalt Kenntnis erlangt hatte und es vor diesem Zeitpunkt über diesen Sachverhalt betreffende Buchungsbelege verfügt hatte. Mangels Beweises für ein Verhalten des Betroffenen, das diese Verspätung erklären könnte, hat das Gericht zu Recht befunden, dass das Parlament im vorliegenden Fall gegen seine Verpflichtungen aus dem Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer verstoßen habe.

51

Jedoch hat das Gericht dadurch, dass es in den Rn. 51 und 52 des angefochtenen Urteils davon ausgegangen ist, dass dieser Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer deshalb nicht zur Nichtigerklärung des zweiten Beschlusses des Generalsekretärs führen könne, weil der Rechtsmittelführer nicht dargetan habe, dass dieser Verstoß die Verteidigungsrechte beeinträchtigt habe, die Folgen, die aus dem Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer zu ziehen sind, verkannt, da der Gesetzgeber der Union eine allgemeine Regel erlassen hat, die den Unionsorganen das Tätigwerden innerhalb einer bestimmten Frist vorschreibt.

52

Mit dem Erlass einer – wie in Rn. 45 des vorliegenden Urteils ausgeführt – allgemeinen Regel, nach der, wie aus Art. 73a der Haushaltsordnung hervorgeht, die Forderungen der Union gegenüber Dritten nach Ablauf einer Frist von fünf Jahren verjähren, wollte der Unionsgesetzgeber etwaigen Schuldnern der Union garantieren, dass mit Ablauf dieser Frist im Einklang mit den Erfordernissen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes gegen sie grundsätzlich keine Maßnahmen zur Einziehung solcher Forderungen ergehen können, ohne dass sie den Beweis zu erbringen haben, dass sie nicht Schuldner dieser Forderungen sind.

53

Es ist daher dem auf diese Weise vom Unionsgesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebrachten Willen Rechnung zu tragen, die Möglichkeit der Einziehung von Forderungen der Union gegenüber Dritten durch die Organe zeitlich zu beschränken, und es sind die Konsequenzen aus der Feststellung zu ziehen, dass eines dieser Organe seinen Verpflichtungen aus dem Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer nicht nachgekommen ist.

54

Angesichts der Erfordernisse der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, die diesem Willen des Gesetzgebers zugrunde liegen, ist die vom Gericht in Rn. 51 des angefochtenen Urteils angeführte Rechtsprechung, nach der ein Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer nur in dem Fall zur Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung führen kann, in dem durch diesen Verstoß die Verteidigungsrechte beeinträchtigt worden sind, im vorliegenden Fall ohne Relevanz.

55

Da das Gericht vorliegend festgestellt hat, dass das Parlament seinen Verpflichtungen aus dem Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer nicht nachgekommen sei, konnte es von einer Nichtigerklärung des zweiten Beschlusses des Generalsekretärs nicht rechtsfehlerfrei mit der Begründung absehen, dass der Rechtsmittelführer keine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte geltend gemacht habe.

56

Daraus folgt, dass das Gericht den ersten Klagegrund des Rechtsmittelführers zu Unrecht zurückgewiesen hat.

57

Nach alledem ist das angefochtene Urteil, soweit es die Rechtssache T‑560/10 betrifft, aufzuheben, ohne dass die weiteren Rechtsmittelgründe und das weitere Vorbringen der Parteien geprüft werden müssten.

Zur Klage vor dem Gericht

58

Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs kann der Gerichtshof, wenn er das angefochtene Urteil aufhebt, den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist.

59

Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof der Ansicht, dass die von Herrn Nencini vor dem Gericht erhobene Nichtigkeitsklage entscheidungsreif und daher endgültig über sie zu entscheiden ist.

60

Dem ersten Klagegrund, mit dem der Rechtsmittelführer die Verjährung und einen Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer geltend macht, ist aus den in den Rn. 48 bis 50 des vorliegenden Urteils dargelegten Gründen stattzugeben.

61

Daher sind der zweite Beschluss des Generalsekretärs und die zweite Belastungsanzeige für nichtig zu erklären.

Kosten

62

Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist oder wenn das Rechtsmittel begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet.

63

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach Art. 184 Abs. 1 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Der Gerichtshof kann nach dieser Vorschrift jedoch entscheiden, dass eine Partei außer ihren eigenen Kosten einen Teil der Kosten der Gegenpartei trägt, wenn dies in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt erscheint.

64

Im vorliegenden Fall ist zum einen der Rechtsmittelführer unterlegen, soweit sich sein Rechtsmittel auf die Rechtssache T‑431/10 bezieht. Zum anderen ist das Parlament mit seinem Vorbringen im Rahmen des Rechtsmittels in Bezug auf die Rechtssache T‑560/10 unterlegen. Da jede Partei beantragt hat, der anderen die Kosten aufzuerlegen, sind folglich dem Parlament außer seinen eigenen Kosten drei Viertel der Kosten des Rechtsmittelführers im vorliegenden Rechtsmittelverfahren aufzuerlegen.

65

Die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug in der Rechtssache T‑560/10 trägt das Parlament.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union Nencini/Parlament (T‑431/10 und T‑560/10, EU:T:2013:290) wird aufgehoben, soweit es die Rechtssache T‑560/10 betrifft.

 

2.

Der Beschluss des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments vom 7. Oktober 2010 zur Rückforderung bestimmter Beträge, die Herr Riccardo Nencini, ein ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments, als Erstattung von Reisekosten und der Kosten für parlamentarische Assistenz erhalten hat, sowie die Belastungsanzeige Nr. 315653 des Generaldirektors der Generaldirektion Finanzen des Europäischen Parlaments vom 13. Oktober 2010 werden für nichtig erklärt.

 

3.

Das Europäische Parlament trägt neben seinen eigenen Kosten drei Viertel der Herrn Riccardo Nencini im vorliegenden Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten.

 

4.

Das Europäische Parlament trägt die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug in der Rechtssache T‑560/10.

 

5.

Im Übrigen wird das Rechtsmittel zurückgewiesen.

 

Unterschriften


( *1 )   Verfahrenssprache: Italienisch.

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