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Document 62013CC0213

    Schlussanträge des Generalanwalts Wahl vom 15. Mai 2014.
    Impresa Pizzarotti & C. Spa gegen Comune di Bari und andere.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Consiglio di Stato - Italien.
    Vorabentscheidungsersuchen - Öffentliche Bauaufträge - Richtlinie 93/37/EWG - ‚Verpflichtungserklärung zur Vermietung‘ von noch nicht errichteten Gebäuden - Rechtskräftige nationalgerichtliche Entscheidung - Tragweite der Rechtskraftwirkung im Fall einer mit dem Unionsrecht unvereinbaren Situation.
    Rechtssache C-213/13.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2014:335

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    NILS WAHL

    vom 15. Mai 2014 ( 1 )

    Rechtssache C‑213/13

    Impresa Pizzarotti & C. Spa

    gegen

    Comune di Bari

    (Vorabentscheidungsersuchen des Consiglio di Stato [Italien])

    „Öffentliche Aufträge — Richtlinien 93/37/EWG und 2004/18/EG — Begriff ‚öffentliche Bauaufträge‘ — Über die Vermietung eines noch nicht errichteten Bauwerks abzuschließender Vertrag — Tragweite des Grundsatzes der Rechtskraft im Fall einer mit dem Unionsrecht unvereinbaren Situation“

    1. 

    Das Vorhaben zur Errichtung des neuen Justizzentrums von Bari (Italien), das durch die Schaffung eines einheitlichen Sitzes der Rationalisierung der Verwendung der Ressourcen dienen soll, die den Gerichten des Gerichtsbezirks Bari zur Verfügung gestellt werden, war auf eine gelinde gesagt paradoxe Weise Schauplatz eines ausgiebigen Rechtsstreits. Davon zeugt die Vorgeschichte des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens, die sich in den Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Impresa Pizzarotti & C. SpA (im Folgenden: Pizzarotti) und den örtlich zuständigen italienischen Behörden infolge der Marktuntersuchung einfügt, die die Errichtung dieses neuen Justizzentrums zum Gegenstand hatte. Dieses Ersuchen erfolgte gleichzeitig mit einer von der Comune di Bari an die Europäische Kommission gerichteten Beschwerde, die zur Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Italienische Republik auf der Grundlage von Art. 258 AEUV führte.

    2. 

    Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof dazu aufgerufen, in Fortführung der Erkenntnisse aus der Rechtssache „KölnMesse“ ( 2 ) klarzustellen, ob der Vertrag über die Vermietung eines zukünftigen Bauwerks wie der des Ausgangsverfahrens unter die Regeln über die Vergabe öffentlicher Bauaufträge fällt oder nicht. Unter Umständen und für den Fall, dass eine solche Qualifizierung als Verstoß gegen rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen erachtet würde, wird sich der Gerichtshof zur Tragweite der Regel der Unantastbarkeit rechtskräftiger Entscheidungen in einer Situation, die als mit dem Unionsrecht unvereinbar angesehen wird, äußern müssen.

    I – Rechtlicher Rahmen

    3.

    Nach dem Wortlaut des zehnten Erwägungsgrundes der Richtlinie 92/50/EWG ( 3 )„[weisen] Dienstleistungsaufträge, die den Erwerb oder die Miete bzw. Pacht von unbeweglichem Vermögen oder Rechten daran betreffen, … Merkmale auf, die die Anwendung von Vergabevorschriften unangemessen erscheinen lassen“.

    4.

    Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 92/50 definiert „öffentliche Dienstleistungsaufträge“ im Sinne dieser Richtlinie als „die zwischen einem Dienstleistungserbringer und einem öffentlichen Auftraggeber geschlossenen schriftlichen entgeltlichen Verträge, ausgenommen … iii) ungeachtet deren Finanzmodalitäten Verträge über Erwerb oder Miete von oder Rechte an Grundstücken oder vorhandenen Gebäuden oder anderem unbeweglichen Vermögen …“.

    5.

    Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 93/37/EWG ( 4 ) definiert „öffentliche Bauaufträge“ im Sinne dieser Richtlinie als „die zwischen einem Unternehmer und einem unter Buchstabe b) näher bezeichneten öffentlichen Auftraggeber geschlossenen schriftlichen entgeltlichen Verträge über entweder die Ausführung oder gleichzeitig die Ausführung und die Planung von Bauvorhaben im Zusammenhang mit einer der in Anhang II genannten Tätigkeiten oder eines Bauwerks im Sinne des Buchstabens c) oder die Erbringung einer Bauleistung durch Dritte, gleichgültig mit welchen Mitteln, gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen“.

    6.

    Unter den in Anhang II der Richtlinie 93/37 genannten gewerblichen Tätigkeiten befindet sich die Klasse 50 („Baugewerbe“). Zu dieser Klasse gehören u. a. das „Allgemeine Baugewerbe (ohne ausgeprägten Schwerpunkt)“ (Untergruppe 500.1) sowie das „Rohbaugewerbe“ (Gruppe 501).

    7.

    Im 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18/EG ( 5 ) heißt es:

    „Dienstleistungsaufträge, die den Erwerb oder die Miete von unbeweglichem Vermögen oder Rechten daran betreffen, weisen Merkmale auf, die die Anwendung von Vorschriften über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen unangemessen erscheinen lassen.“

    8.

    Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie lautet:

    „a)

    ‚Öffentliche Aufträge‘ sind zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern geschlossene schriftliche entgeltliche Verträge über die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne dieser Richtlinie.

    b)

    ‚Öffentliche Bauaufträge‘ sind öffentliche Aufträge über entweder die Ausführung oder gleichzeitig die Planung und die Ausführung von Bauvorhaben im Zusammenhang mit einer der in Anhang I genannten Tätigkeiten oder eines Bauwerks oder die Erbringung einer Bauleistung durch Dritte, gleichgültig mit welchen Mitteln, gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen. …

    …“

    9.

    In Art. 16 („Besondere Ausnahmen“) dieser Richtlinie heißt es:

    „Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf öffentliche Dienstleistungsaufträge, die Folgendes zum Gegenstand haben:

    a)

    Erwerb oder Miete von Grundstücken oder vorhandenen Gebäuden oder anderem unbeweglichen Vermögen oder Rechte daran ungeachtet der Finanzmodalitäten dieser Aufträge; …

    …“

    II – Sachverhalt, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

    10.

    Die Vorgeschichte des Rechtsstreits, wie sie insbesondere aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, zeichnet sich durch eine relative Komplexität aus. Für die Zwecke der Prüfung ist Folgendes zu erwähnen.

    11.

    Das Ausgangsverfahren hat seinen Ursprung in der Veröffentlichung einer öffentlichen Bekanntmachung einer Marktuntersuchung durch die Comune di Bari am 14. August 2003, um die Justizverwaltung schnellstmöglich mit einem einheitlichen, geeigneten und angemessenen Sitz für alle in Bari angesiedelten Gerichte auszustatten ( 6 ).

    12.

    Dieser Bekanntmachung zufolge hatten sich alle Bewerber zu verpflichten, mit den Bauarbeiten vor dem 31. Dezember 2003 zu beginnen. Verlangt waren außerdem klare und vollständige Angaben über die zulasten der Gemeindeverwaltung und des Justizministeriums gehenden Kosten und die Zahlungsmodalitäten unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich die verfügbaren öffentlichen Mittel auf 43,5 Mio. Euro beliefen, die bereits für das Projekt bestimmt waren, zuzüglich 3 Mio. Euro, die der Höhe der jährlich von der Comune di Bari getragenen Miete für die Anmietung der Gebäude entsprechen, in denen die betreffenden Gerichte untergebracht sind. Dieser Bekanntmachung war ein von der Corte d’appello di Bari (Italien) verfasstes Dokument beigefügt, mit dem ein Anforderungsrahmen festgelegt wurde.

    13.

    Unter den vier Angeboten, die eingereicht wurden, wählte die Comune di Bari mit Entscheidung Nr. 1045/2003 vom 18. Dezember 2003 dasjenige von Pizzarotti aus. Diese Entscheidung sah vor, dass ein Teil der Gebäude an die Comune di Bari für 43 Mio. Euro verkauft würde und dass ihr der übrige Teil für eine jährliche Miete von 3 Mio. Euro zur Verfügung gestellt würde.

    14.

    Mit Schreiben vom 4. Februar 2004 informierte das Justizministerium die Comune di Bari darüber, dass die verfügbaren öffentlichen Mittel auf 18,5 Mio. Euro gekürzt worden seien, und forderte sie auf, zu prüfen, ob es in Anbetracht der erhaltenen Angebote möglich sei, das Projekt in den von diesem neuen wirtschaftlichen Rahmen abgesteckten Grenzen erfolgreich durchzuführen. Mit Schreiben vom 11. Februar 2004 erkundigte sich die Comune di Bari bei Pizzarotti, ob sie bereit sei, das begonnene Verfahren fortzuführen. Pizzarotti bejahte dies und formulierte ihr Angebot entsprechend der Kürzung der verfügbaren öffentlichen Mittel um.

    15.

    Die öffentliche Finanzierung wurde im September 2004 vollständig gestrichen. Pizzarotti reichte bei der Comune di Bari ein neues Angebot ein und verwies auf die Möglichkeit der Realisierung der für die Vermietung bestimmten Gebäude, wie sie im ursprünglichen Angebot ins Auge gefasst worden waren.

    16.

    Aufgrund der Untätigkeit der kommunalen Behörden erhob Pizzarotti Klage, um die Rechtswidrigkeit des Nichthandelns der Verwaltung zu rügen und die Comune di Bari zum Handeln zu verpflichten.

    17.

    Nach einem abweisenden Urteil des Tribunale amministrativo regionale per la Puglia (Regionales Verwaltungsgericht für Apulien) vom 8. Februar 2007 gab der Consiglio di Stato mit Urteil Nr. 4267/2007 der von Pizzarotti eingelegten Berufung statt. Da er der Auffassung war, dass das Verfahren nicht durch die Billigung des Ergebnisses der Marktuntersuchung beendet worden sei, entschied er, dass die Comune di Bari „unter Beachtung der Grundsätze der Angemessenheit, von Treu und Glauben und des Vertrauensschutzes das Verfahren in nachvollziehbarer Weise angemessen zu Ende bringen muss, indem sie ihre eigenen Handlungen konsequent weiterführt und im Rahmen der eingegangenen Angebote prüft, ob das Bauwerk innerhalb des geänderten wirtschaftlichen Rahmens errichtet werden kann“.

    18.

    Der wegen der Durchführung seines Urteils Nr. 4267/2007 angerufene Consiglio di Stato stellte mit Urteil Nr. 3817/2008 die Untätigkeit der Comune di Bari fest und gab dieser auf, den Tenor des Urteils Nr. 4267/2007 innerhalb einer Frist von 30 Tagen vollständig durchzuführen. Er ernannte für den Fall einer andauernden Untätigkeit den Präfekten von Bari zum Commissario ad acta (Kommissar für Einzelmaßnahmen), damit dieser – gegebenenfalls mittels einer beauftragten Person – alle zur Durchführung dieses Urteils erforderlichen Handlungen vornehme.

    19.

    Am 21. November 2008 befand der vom Präfekten von Bari beauftragte Commissario ad acta die Angebote von Pizzarotti für gültig und stellte folglich fest, dass das Verfahren bezüglich der Marktuntersuchung positiv geendet habe.

    20.

    Die Giunta comunale di Bari beendete ihrerseits das mit der Bekanntmachung der Marktuntersuchung eingeleitete Verfahren und berief sich dabei auf die fehlende Übereinstimmung des letzten Angebots von Pizzarotti mit den in der Bekanntmachung enthaltenen Vorgaben.

    21.

    Pizzarotti und die Comune di Bari erhoben jeweils Klage beim Consiglio di Stato. Pizzarotti machte geltend, dass mangels einer vertraglichen Verpflichtungserklärung der Comune di Bari, das Gebäude zu mieten, diese die im Urteil Nr. 3817/2008 enthaltene Anordnung nicht ordnungsgemäß durchgeführt habe. Die Comune di Bari rügte die fehlende Feststellung der Verschlechterung der Bedingungen, die die Durchführung des Verfahrens beeinträchtigt hätten.

    22.

    Mit der Durchführungsentscheidung Nr. 2153/2010 vom 15. April 2010 gab der Consiglio di Stato der Klage von Pizzarotti statt und wies die Klage der Comune di Bari ab. Was das Tätigwerden des Commissario ad acta anbelangt, war er der Ansicht, dass dieses, obwohl es angemessen gewesen sei, allerdings wegen des fehlenden „nachvollziehbaren angemessenen Abschlusses“ im Sinne des Urteils Nr. 4267/2007 unvollständig sei. Er setzte daher eine Frist von 180 Tagen für den Abschluss des Verfahrens durch die Vornahme der für die konkrete Realisierung des Angebots von Pizzarotti notwendigen Handlungen.

    23.

    Mit Bescheid vom 27. Mai 2010 kam der Commissario ad acta zu dem Ergebnis, dass „die Bekanntgabe für eine Marktuntersuchung vom August 2003 … kein positives Ende gefunden habe“.

    24.

    Pizzarotti erhob dagegen Klage beim Consiglio di Stato, der mit der Durchführungsentscheidung Nr. 8420/2010 vom 3. Dezember 2010 stattgegeben wurde. Unter Hinweis auf die Inkohärenz der Ergebnisse zur Bekanntmachung der Marktuntersuchung im Bescheid vom 21. November 2008 und in dem vom 27. Mai 2010 vertrat der Consiglio di Stato die Auffassung, das einzige Ergebnis, das sich aufgedrängt habe, sei das im ersten dieser beiden Bescheide. Was die Beteiligung eines Dritterwerbers und ‑vermieters der Gebäude, die für den Gerichtskomplex von Bari bestimmt sind, sowie die Verpflichtungserklärung zur Vermietung anbelangt, stellte er fest, dass die Beurteilung des Commissario ad acta nicht auf einer eingehenden Prüfung beruhe und somit gegen die Anordnung des Gerichts verstoße, die darin bestanden habe, die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der konkreten Realisierung des Angebots zu überprüfen. Was die angebliche fehlende städtebauliche Vereinbarkeit des Angebots von Pizzarotti betrifft, bekräftigte er erneut die Notwendigkeit für den Commissario ad acta, die für die Annahme dieses Angebots notwendigen Verfahren nach Überprüfung der anderen vorgeschriebenen Voraussetzungen einzuleiten. Folglich wurde die Handlung des Commissario ad acta für nichtig erklärt, weil sie die Rechtskraft verletzt habe.

    25.

    Später ergriff der neue vom Präfekten von Bari ernannte Commissario ad acta alle Maßnahmen, die erforderlich waren, damit eine „städtebauliche Variante“ zum Flächennutzungsplan der Comune di Bari für die von der Errichtung des Justizzentrums betroffenen Grundstücke am 23. April 2012 angenommen werden konnte.

    26.

    Pizzarotti focht diese Entscheidung beim Consiglio di Stato mit der Begründung an, sie umgehe die Rechtskraft.

    27.

    Das vorlegende Gericht fragt sich erstens, ob der Vertrag über die Vermietung einer zukünftigen Immobilie in Form einer Verpflichtungserklärung zu deren Vermietung trotz des Vorliegens charakteristischer Merkmale eines Mietvertrags einem Bauauftrag gleichkomme, auf den die spezielle Ausschlussklausel in Art. 16 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 keine Anwendung finde. Es fragt sich insbesondere nach der Tragweite der Begriffe „anderes unbewegliches Vermögen“ in dieser Bestimmung sowie der Bedeutung des 24. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie.

    28.

    Falls dieser Vertrag einen Bauauftrag darstellen sollte, fragt sich das vorlegende Gericht zweitens, ob es seinem Urteil Nr. 4267/2007 die Rechtskraft absprechen könne, da es aufgrund späterer Durchführungsentscheidungen und von Bescheiden des Commissario ad acta zu einer Situation geführt habe, die mit dem Vergaberecht der Union unvereinbar sei. Nach seiner eigenen Rechtsprechung könne es den ursprünglichen Tenor einer seiner Entscheidungen mit einer Entscheidung, die diese durchführe, ergänzen, wobei es zu einer „stufenweise eintretenden Rechtskraft“ komme. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs behindere die Rechtskraftwirkung, wie sie von Art. 2909 des Codice civile anerkannt werde, eine korrekte Anwendung des Unionsrechts auf eine von dieser Wirkung erfassten Situation nicht.

    29.

    Unter diesen Umständen hat der Consiglio di Stato beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    Entspricht der abzuschließende Vertrag über die Vermietung einer zukünftigen Sache, auch in der zuletzt vorgeschlagenen Form einer Verpflichtungserklärung zur Vermietung, einem Bauauftrag, wenn auch mit einigen Merkmalen eines Mietvertrags, so dass er nicht als ein Vertrag angesehen werden kann, der gemäß Art. 16 der Richtlinie 2004/18 von der Anwendung der Regelung über die Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen ist?

    2.

    Kann das nationale Gericht, insbesondere das vorlegende Gericht, im Fall der Bejahung der ersten Frage die gegebenenfalls in Rechtskraft erwachsene Entscheidung über den vorliegenden, in der Sachverhaltsdarstellung beschriebenen Fall als unwirksam betrachten, da durch sie eine mit dem Unionsrecht über die Vergabe öffentlicher Aufträge unvereinbare Rechtslage fortbesteht? Ist es also möglich, eine mit dem Unionsrecht unvereinbare rechtskräftige Entscheidung zu vollstrecken?

    30.

    Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die italienische und die deutsche Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

    31.

    Eine mündliche Verhandlung hat am 27. Februar 2014 stattgefunden, an der die Parteien des Ausgangsverfahrens, die italienische und die deutsche Regierung sowie die Kommission teilgenommen haben.

    III – Würdigung

    A – Zur Zulässigkeit

    32.

    Pizzarotti hat Zweifel an der Zulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen, und zwar aus zwei Gründen.

    33.

    Erstens sei die Richtlinie 2004/18, die in dem Vorabentscheidungsersuchen als einzige genannt werde, in zeitlicher Hinsicht auf das Ausgangsverfahren nicht anwendbar.

    34.

    Zweitens macht Pizzarotti geltend, die Antwort des Gerichtshofs könne keine Auswirkung auf die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits haben, der durch das Vorhandensein mehrerer gerichtlicher Entscheidungen ( 7 ) gekennzeichnet sei, die gemäß dem innerstaatlichen italienischen Recht rechtskräftig geworden seien.

    35.

    Keiner der von Pizzarotti vorgetragenen Unzulässigkeitsgründe überzeugt mich.

    36.

    Was erstens den auf die Unanwendbarkeit der Richtlinie 2004/18, die die einzige vom vorlegenden Gericht genannte ist, im vorliegenden Fall gestützten Grund betrifft, erscheint er mir kaum ausreichend, um das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig zu erklären.

    37.

    Gewiss ist es, wie u. a. Pizzarotti und die Kommission hervorgehoben haben, ständige Rechtsprechung ( 8 ), dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Ermittlung der auf einen öffentlichen Auftrag anwendbaren Rechtsvorschriften der ist, zu dem der öffentliche Auftraggeber die Art des Verfahrens auswählt und endgültig entscheidet, ob die Verpflichtung zu einem vorherigen Aufruf zum Wettbewerb für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags besteht. Daraus ergibt sich im vorliegenden Fall, dass die Entscheidung vom 14. August 2003 die maßgebliche ist ( 9 ). Zu diesem Zeitpunkt war jedoch nur die Richtlinie 93/37 in Verbindung mit der Richtlinie 92/50 anwendbar.

    38.

    Ich bin allerdings der Auffassung, dass dieser Fehler bei der Ermittlung der im vorliegenden Fall anwendbaren unionsrechtlichen Vorschriften sehr relativ ist und im vorliegenden Fall keine Konsequenzen hat. Die Bestimmungen, die einschlägig sind, und zwar Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 93/37 und Art. 1 Buchst. a Ziff. iii der Richtlinie 92/50, wurden nämlich in sehr ähnlichem Wortlaut in der Richtlinie 2004/18 übernommen, da Letztere im Wesentlichen in einer Neufassung und einer Vereinfachung der bis dahin anwendbaren Regelung besteht.

    39.

    In einer solchen Konstellation – die eindeutig keine Änderung der von der Vorlageentscheidung aufgeworfenen juristischen Problematik oder eine Prüfung von Rechtsfragen, die überhaupt nicht im Rahmen des Ausgangsverfahrens diskutiert worden sind ( 10 ), mit sich bringt, bin ich der Meinung, dass eine Umformulierung der Fragen dahin, dass mit ihnen in Wirklichkeit eine Auslegung der Richtlinie 93/37 begehrt wird, ohne Weiteres denkbar ist.

    40.

    Was zweitens den auf das Vorhandensein von rechtskräftig gewordenen gerichtlichen Entscheidungen, die den Antworten des Gerichtshofs jeden Nutzen für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nähmen, gestützten Unzulässigkeitsgrund betrifft, kann auch diesem nicht gefolgt werden. Die Bewertung der Konsequenzen der Rechtskraft, die den vom vorlegenden Gericht genannten Entscheidungen zugeschrieben wird, liegt im Zentrum der in der zweiten Frage angesprochenen Problematik. Selbst wenn man annimmt, dass Pizzarotti mit ihrer Argumentation in Wirklichkeit beabsichtigt, auch die Erheblichkeit der Vorlagefragen in Frage zu stellen, genügt der Hinweis, dass es grundsätzlich nur Sache der mit einem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichte ist, die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Der Gerichtshof geht nur anders vor, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind ( 11 ). Dies scheint mir nicht der Fall zu sein.

    41.

    Das Vorabentscheidungsersuchen ist daher als zulässig anzusehen.

    B – Zur ersten Frage: Vorliegen eines öffentlichen Bauauftrags im Sinne der Richtlinie 93/37

    1. Darstellung der Problematik

    42.

    Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht Klarstellungen zur rechtlichen Qualifizierung eines Vertrags, der vom vorlegenden Gericht als ein „Vertrag über die Vermietung einer zukünftigen Sache, der u. a. in der zuletzt vorgeschlagenen Form einer Verpflichtungserklärung zur Vermietung abzuschließen ist“, bezeichnet wird, im Hinblick auf die unionsrechtlichen Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge erhalten.

    43.

    Genauer gesagt ist zu ermitteln, ob der infolge der Streichung der ursprünglich vorgesehenen öffentlichen Finanzierung von der Comune di Bari an Pizzarotti gerichtete Vorschlag als auf den Abschluss eines Vermietungsgeschäfts gerichtet zu beurteilen ist, auf den die unionsrechtlichen Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge keine Anwendung finden, oder ob er im Gegenteil geeignet ist, die Comune di Bari zur Vergabe eines öffentlichen Bauauftrags zu verpflichten und damit die Eröffnung eines neuen Verfahrens zu verlangen.

    44.

    Im Wesentlichen stehen sich zwei Auffassungen gegenüber.

    45.

    Pizzarotti und die italienische Regierung, in wesentlichen Punkten von der deutschen Regierung unterstützt, machen geltend, dass der im Ausgangsverfahren beabsichtigte Vertrag nicht den Definitionskriterien eines Bauauftrags entspreche, die in der anwendbaren Regelung enthalten und vom Gerichtshof näher erläutert worden seien. Dieser Vertrag falle unter die in Art. 1 Buchst. a Ziff. iii der Richtlinie 92/50 und Art. 16 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 vorgesehene Ausnahme.

    46.

    Sie tragen erstens vor, dass es im Ausgangsverfahren nicht um die Errichtung eines Bauwerks gehe, sondern um die Vermietung eines Gebäudes. Dies gehe insbesondere aus dem Wortlaut der Ausschreibung und der Entscheidung der Comune di Bari vom 18. Dezember 2003 sowie den dem Vertrag eigenen Merkmalen hervor, die für einen Mietvertrag im Sinne von Art. 1571 des Codice civile typisch seien und die sich eindeutig von denen unterschieden, die in der Rechtssache in Rede gestanden hätten, in der das Urteil KölnMesse ergangen sei.

    47.

    Zweitens machen sie geltend, die Comune di Bari sei im Ausgangsverfahren nicht verpflichtet, eine finanzielle Gegenleistung zu entrichten, um eine Bauleistung zu erhalten, die in ihrem unmittelbaren finanziellen Interesse liege, was dem Vertrag seinen entgeltlichen Charakter nehme.

    48.

    Pizzarotti und die italienische Regierung tragen drittens vor, die Comune di Bari habe nicht die Befugnis, Pizzarotti auf gerichtlichem Wege zu zwingen, die Arbeiten durchzuführen.

    49.

    Viertens habe die Comune di Bari dem von der Commissione di manutenzione della Corte d’appello di Bari erstellten Dokument weder technische Spezifikationen im Sinne von Punkt 1 des Anhangs III der Richtlinie 93/37 oder von Punkt 1 Buchst. a des Anhangs VI der Richtlinie 2004/18 noch Verdingungsunterlagen im Sinne von Art. 10 der Richtlinie 93/37 oder Art. 23 der Richtlinie 2004/18 beigefügt, was bestätige, dass es nicht ihre Absicht gewesen sei, einen öffentlichen Bauauftrag zu vergeben, sondern eine nicht zwingende Marktuntersuchung zu erhalten, mit der private Initiativen gesammelt werden sollten, die sie völlig selbständig und ohne Pflicht zu einer Entscheidung habe prüfen wollen. Pizzarotti und die italienische Regierung fügen hinzu, der im Ausgangsverfahren beabsichtigte Vertrag sei jedenfalls durch das Fehlen von genauen technischen Spezifikationen über die Art der durchzuführenden Arbeiten wie denen in der Rechtssache KölnMesse gekennzeichnet.

    50.

    Die Comune di Bari und die Kommission sind für ihren Teil der Auffassung, dass der im Ausgangsverfahren beabsichtigte Vertrag einen öffentlichen Bauauftrag im Sinne von Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 93/37 darstelle, dessen Vergabe unter Beachtung der von dieser Richtlinie vorgesehenen Verfahrens- und Transparenzregeln hätte vorgenommen werden müssen.

    51.

    Es ist festzustellen, dass die von den Parteien des Ausgangsverfahrens und von den verschiedenen am vorliegenden Verfahren Beteiligten entwickelte Argumentation im Wesentlichen die Frage betrifft, ob die Voraussetzungen, die der Gerichtshof u. a. in seinem Urteil KölnMesse erwähnt und näher erläutert hat, für die Annahme, dass ein öffentlicher Bauauftrag im Sinne der Unionsregeln vorliegt, im Ausgangsverfahren erfüllt sind.

    52.

    Ich stelle jedoch fest, dass die Rechtssache KölnMesse eine andere Problematik rechtlicher Einordnung des in Rede stehenden Geschäfts betraf als diejenige, die die erste Frage des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens aufwirft. In der genannten Rechtssache war der Gerichtshof aufgerufen, zu ermitteln, ob der Aspekt „Vermietung“ des zwischen der Stadt Köln und der Grundstücksgesellschaft Köln Messe 8-11 GbR geschlossenen Vertrags gegenüber dem Ziel der Errichtung von Bauwerken überwog. Der in Art. 1 Buchst. a Ziff. iii der Richtlinie 92/50 und in Art. 16 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 genannte Ausschluss stand dabei in keiner Weise in Frage.

    53.

    Im Ausgangsverfahren stellt sich in Anbetracht der vom vorlegenden Gericht gewählten Formulierung vor allem anderen die Frage, ob Geschäfte über zukünftig fertiggestellte Sachen unter die Ausnahme von der Anwendung der in diesen Bestimmungen vorgesehenen Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge fallen können. Dies impliziert, dass das vorlegende Gericht, so scheint es, von dem Postulat ausgeht, dass der beabsichtigte Vertrag einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag betraf, auf den in Anbetracht seiner Besonderheit die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge möglicherweise nicht zur Anwendung gelangen.

    54.

    Daher werde ich zunächst darstellen, aus welchen Gründen meiner Meinung nach davon auszugehen ist, dass die in Rede stehende Ausnahme jedenfalls nicht Bauwerke betreffen kann, deren Errichtung nicht begonnen hat.

    55.

    Da jedoch die Auffassung vertreten werden könnte, dass es über diese vom vorlegenden Gericht gestellte Frage hinaus angebracht sein könnte, sich außerdem zu der Frage zu äußern, ob unter den Umständen des vorliegenden Falls die Voraussetzungen für die Annahme erfüllt sind, dass eher ein „öffentlicher Bauauftrag“ als ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag gegeben ist, werde ich darlegen, wie meiner Meinung nach, und zwar in Fortführung der Erkenntnisse aus dem Urteil KölnMesse, der im Ausgangsverfahren streitige Vertragsentwurf betrachtet werden sollte.

    2. Art. 1 Buchst. a Ziff. iii der Richtlinie 92/50 betrifft zwangsläufig Geschäfte über eine vorhandene Immobilie

    56.

    Es scheint mir zweckmäßig, auf einen Schlüsselparameter hinzuweisen, der zu berücksichtigen ist, um zu ermitteln, ob ein Geschäft in den Anwendungsbereich der Richtlinie über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge fällt oder nicht: Die Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge haben als erstes Ziel, die Beschränkungen der Grundfreiheiten aufzuheben und eine wirksame Ausschreibung zu fördern ( 12 ).

    57.

    Dieses Ziel wird gefährdet, sobald ein öffentlicher Auftraggeber, ohne zuvor die in den Unionsvorschriften vorgesehenen Verfahren zur Vergabe der Aufträge eingeleitet zu haben, ein Unternehmen beauftragt, Arbeiten durchzuführen oder Dienstleistungen zu erbringen, gleichviel, aus welchen Gründen und in welchem Zusammenhang diese Arbeiten oder Dienstleistungen durchgeführt werden und welchen Verwendungszweck sie haben sollen ( 13 ).

    58.

    Die wirksame Verfolgung dieses Ziels bringt zwangsläufig mit sich, dass die Qualifizierung eines gegebenen Geschäfts als Bauauftrag weit auszudehnen ist, und parallel dazu, dass die Ausschlussfälle ihrerseits eng auszulegen sind.

    59.

    Dies gilt insbesondere für die in Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 92/50 genannten spezifischen Ausnahmen zu bestimmten öffentlichen Dienstleistungsaufträgen (die im Wesentlichen von Art. 16 der Richtlinie 2004/18 übernommen worden sind) ( 14 ). Wie im 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18 erwähnt wird, sind es die „Merkmale“ bestimmter Aufträge, die die Anwendung von Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge unangemessen erscheinen lassen.

    60.

    Was den den Erwerb oder die Miete von – in einem weiten Sinne verstanden – unbeweglichem Vermögen betreffenden Ausschluss anbelangt ( 15 ), kann er sich meiner Meinung nach nur auf vorhandenes Vermögen beziehen. Die sich aus der Anwendung der Regeln über die Vergabe öffentlicher Aufträge ergebende Ausschreibung macht nämlich wenig Sinn, wenn sie sich auf die Vermietung oder den Verkauf einer gegebenen vorhandenen Sache bezieht, die sich wegen ihrer Einzigartigkeit nicht zu einer Gegenüberstellung mit einer anderen eignet. Außerdem geht aus bestimmten Vorarbeiten hervor, dass sich der Ausschluss der Verträge über die Vermietung oder den Erwerb von unbeweglichem Vermögen ursprünglich durch den lokalen und nicht grenzüberschreitenden Charakter dieser Aufträge erklärt ( 16 ). Sobald hingegen die in Rede stehenden Tätigkeiten die zukünftige Errichtung von Immobilien mit sich bringen, und damit die Durchführung von Arbeiten, erweisen sich die von diesen Regeln geforderte Ausschreibung und Transparenz keineswegs als zweckwidrig, und die genannten Regeln sind anzuwenden. Daher ist der in den fraglichen Bestimmungen enthaltene Verweis auf „anderes unbewegliches Vermögen“ meiner Meinung nach so zu verstehen, dass er Vermögen einer anderen Art als Grundstücke und Gebäude bezeichnet und nicht noch nicht errichtete Gebäude.

    61.

    Daraus folgt, dass, ohne dass man sich genau zu der Frage zu äußern braucht, ab welchem Stadium eine Immobilie existent wird, die Ausnahme zum Erwerb oder die Vermietung von „Grundstücken, Gebäuden oder anderem unbeweglichen Vermögen“ in keinem Fall Vermögen betreffen kann, dessen Entstehung noch nicht einmal begonnen hat, wie dies im Ausgangsverfahren der Fall zu sein scheint. Falls sich eine öffentliche Verwaltung im Rahmen der Unterbringung bestimmter Dienststellen für ein Modell des Erwerbs oder der Vermietung eines zu errichtenden Gebäudes entscheidet, ist dieses Geschäft den von der einschlägigen Regelung vorgesehenen Verfahren über die Vergabe von Aufträgen zu unterwerfen.

    3. Die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Bauauftrags sind jedenfalls in einer Konstellation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden erfüllt

    62.

    Wie der Gerichtshof ständig darauf hingewiesen hat, fällt die Qualifizierung eines öffentlichen Bauauftrags in den Bereich des Unionsrechts und muss von der auf der Grundlage des nationalen Rechts zugrunde gelegten Qualifizierung unabhängig sein ( 17 ). Für die Entscheidung, ob eine Vereinbarung oder ein Geschäft in den Anwendungsbereich einer Richtlinie über die Vergabe öffentlicher Aufträge fällt, sind die eventuell von den Vertragsparteien vorgenommenen rechtlichen Qualifizierungen auch nicht entscheidend ( 18 ).

    63.

    Was das Ausgangsverfahren betrifft, ist die formale Qualifizierung des in Rede stehenden Vertrags als „Mietvertrag“ daher kein entscheidender Anhaltspunkt. Ebenso ist die Tatsache, dass der beabsichtigte Vertrag, wie Pizzarotti und die italienische Regierung geltend machen, bestimmte Eigenschaften eines Vertrags über die Vermietung – im Sinne von Art. 1571 des Codice civile – eines Gebäudekomplexes aufweist, keineswegs von Bedeutung.

    64.

    In diesem Zusammenhang ist eine Klarstellung vorzunehmen. Es geht nicht darum, die Freiheit in Frage zu stellen, über die die nationalen öffentlichen Behörden bei der Wahl des vertraglichen Vorgehens verfügen, das sie für die Realisierung von Arbeiten oder Dienstleistungen für angemessen halten, oder die Rechtmäßigkeit des Rückgriffs auf bestimmte Arten von Verträgen in Frage zu stellen, sondern die Risiken der Umgehung der Regeln über die Vergabe öffentlicher Aufträge zu verhindern, die der Rückgriff auf bestimmte Vertragsmodelle mit sich bringen könnte. Mit anderen Worten präjudizieren die Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht die Rechtmäßigkeit des Rückgriffs auf einen Mietvertrag zur Errichtung eines Gebäudes, wenn vor seinem Abschluss die von diesen Vorschriften vorgesehenen Regeln über die Publizität und die Ausschreibung eingehalten werden.

    65.

    Außerdem ist der Anwendungsbereich der Richtlinie nur unter Verweis auf die objektiven Voraussetzungen, die ausdrücklich von den in diesem Bereich erlassenen Richtlinien definiert werden, zu bestimmen.

    66.

    Dies impliziert zunächst, dass die tatsächlichen oder vermeintlichen Ziele, die die öffentlichen Behörden zu verfolgen beabsichtigen, bei der Beurteilung, ob ein Vertrag als Bauauftrag zu qualifizieren ist, ohne Belang sind. Daher kann nicht der Umstand berücksichtigt werden – angenommen, er erweist sich als gegeben –, dass die Comune di Bari anfangs nur die Absicht hatte, die Justizverwaltung mit einem einheitlichen Sitz in Bari auszustatten, ohne dass dies zwangsläufig durch die Durchführung von Arbeiten geschieht.

    67.

    Der Gerichtshof hat so hervorgehoben, dass die Definition des Begriffs „öffentlicher Bauauftrag“ in Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 93/37 sämtliche Vorhaben einschließt, in denen ein entgeltlicher Vertrag zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Unternehmer geschlossen wird, der die Errichtung eines „Bauwerks“ im Sinne von Art. 1 Buchst. c dieser Richtlinie durch den Unternehmer zum Gegenstand hat. Das ausschlaggebende Kriterium ist insoweit, dass dieses Bauwerk gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen errichtet wird, gleichgültig, welche Mittel hierfür eingesetzt werden ( 19 ). Dies ist nur dann der Fall, wenn der Auftraggeber Maßnahmen ergriffen hat, um die Merkmale der Bauleistung zu definieren oder zumindest einen entscheidenden Einfluss auf ihre Konzeption auszuüben ( 20 ).

    68.

    Nach der Rechtsprechung bestimmt sich, wenn ein Vertrag zugleich Elemente eines öffentlichen Bauauftrags und Elemente eines Auftrags anderer Art aufweist, nach dem Hauptgegenstand des Vertrags, welche unionsrechtlichen Vorschriften anwendbar sind ( 21 ).

    69.

    Im vorliegenden Fall bringt mich der Akteninhalt zu der Annahme, dass das im Ausgangsverfahren genannte Geschäft alle Merkmale eines öffentlichen Bauauftrags aufweist, da dieses letztendlich die entgeltliche Errichtung eines Gebäudes zum Gegenstand hat, das den vom öffentlichen Auftraggeber vorgegebenen Bedürfnissen entspricht.

    70.

    Erstens zeigen diese Anhaltspunkte, dass das Ziel des gesamten hier in Rede stehenden Verfahrens, das mit der Veröffentlichung einer Marktuntersuchung am 14. August 2003 begann, in der Errichtung neuer Räumlichkeiten gemäß den von den zuständigen öffentlichen Behörden geäußerten Wünschen bestand, die dazu bestimmt waren, als einheitlicher Sitz der in Bari angesiedelten Gerichte genutzt zu werden.

    71.

    Dies geht zunächst aus der öffentlichen Bekanntmachung der Ausschreibung („Ricerca di Mercato“) vom 14. August 2003 hervor, die insbesondere erwähnt, dass „sich der Bieter mit der Abgabe seines Angebots verpflichtet, die Bauarbeiten vor dem 31. Dezember des laufenden Jahres zu beginnen“.

    72.

    Sodann geht aus dem der Marktuntersuchung beigefügten Dokument (mit dem Titel „Quadro esigenziale“ [Anforderungsrahmen]), das von der Corte d’appello di Bari verfasst und von der Commissione di manutenzione gebilligt wurde und dessen Bedeutung für die Prüfung des beabsichtigten Vertrags nicht in Frage steht ( 22 ), hervor, dass die zuständigen öffentlichen Behörden eine gewisse Zahl von strukturellen, funktionalen und organisatorischen Anforderungen spezifiziert haben, denen der Entwurf des einheitlichen Justizzentrums unter Berücksichtigung der anwendbaren Vorschriften und eines Bündels statistischer Daten zu den gerichtlichen Tätigkeiten von Bari entsprechen musste. Diese Anforderungen, die auf mehreren Dutzend Seiten dargestellt werden, scheinen mir weit über die üblichen Anforderungen eines Mieters an ein neues Gebäude von einer gewissen Größe hinauszugehen ( 23 ).

    73.

    Schließlich bezieht sich der Beschluss des Gemeinderats Nr. 1045/2003 vom 18. Dezember 2003 über die Auswahl des von Pizzarotti vorgelegten Angebots ausdrücklich auf die „Errichtung eines einheitlichen Sitzes“ der Gerichte.

    74.

    Allgemeiner gesagt bin ich der Meinung, dass im Sinne der Richtlinien 93/37 und 2004/18 der unmittelbare und damit Hauptgegenstand eines Vertrags über ein Bauwerk, dessen Errichtung noch nicht begonnen hat, grundsätzlich und in Fortführung der Erkenntnisse aus dem Urteil KölnMesse nicht als Vermietung eines Gebäudes angesehen werden kann, und dies unabhängig von dem nach dem nationalen Recht gewählten Vertragsmodell. Vorrangiges Ziel eines solchen Vertrags konnte daher denknotwendig nur die Errichtung dieser Bauwerke sein, die anschließend dem öffentlichen Auftraggeber im Wege einer als „Mietvertrag“ bezeichneten vertraglichen Beziehung zur Verfügung zu stellen waren ( 24 ).

    75.

    Um auf das Ausgangsverfahren zurückzukommen, scheint es, dass Pizzarotti in keinem Fall die in dem Entwurf der Verpflichtungserklärung zur Vermietung enthaltene Verpflichtung erfüllen konnte, das spezifische Gebäude in der bestimmten Zone zur Verfügung zu stellen, ohne es zuvor zu errichten.

    76.

    Die zahlreichen in den Referenzdokumenten enthaltenen technischen Spezifikationen zeigen, dass der öffentliche Auftraggeber Maßnahmen getroffen hat, um die Eigenschaften des Bauwerks festzulegen oder zumindest einen entscheidenden Einfluss auf dessen Konzeption auszuüben. Diese Gesichtspunkte sowie die umfangreichen Rechtsstreitigkeiten, die aus dem Nichtabschluss des im Ausgangsverfahren beabsichtigten Vertrags entstanden sind, machen meiner Meinung nach klar die Tatsache deutlich, dass Pizzarotti nicht bereit gewesen wäre, das Bauwerk, um das es geht, bei Fehlen spezifisch von der Comune di Bari formulierter Bedürfnisse und deren Annahme des in Antwort auf die öffentliche Bekanntmachung der Marktuntersuchung formulierten Realisierungsvorschlags zu errichten.

    77.

    Zweitens scheint es mir ziemlich eindeutig, dass, obwohl er sich in diesem Punkt von der Rechtssache KölnMesse ( 25 ) unterscheidet, der im Ausgangsverfahren genannte Vertrag entgeltlich abgeschlossen wurde.

    78.

    Zwar ist es richtig, dass die Vergütung in Form einer jährlichen Miete, die die Comune di Bari während der 18-jährigen Laufzeit des fraglichen Vertrags zahlen sollte, bei Weitem nicht die Kosten der Realisierung des Bauwerks decken.

    79.

    Diese Feststellung kann allerdings nicht dazu führen, den entgeltlichen Charakter des fraglichen Vertrags zu leugnen.

    80.

    Um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag von einem öffentlichen Bauauftrag zu unterscheiden ( 26 ), kann nämlich entgegen dem, was Pizzarotti und die italienische und die deutsche Regierung ( 27 ) vorzuschlagen scheinen, dem Betrag der finanziellen Gegenleistung der Bauleistungen kein entscheidendes Gewicht zukommen. Wie der Gerichtshof für Recht erkannt hat, ist für die Einstufung eines Auftrags dessen Hauptgegenstand ausschlaggebend und nicht die Höhe der Vergütung des Unternehmers oder die Art und Weise ihrer Zahlung ( 28 ). Die Tatsache, dass die Zahlung der Jahresmiete während einer Dauer von 18 Jahren, die nunmehr in dem beabsichtigten Vertrag vorgesehen ist, nicht vollständig die Kosten der Realisierung des Bauwerks decken, kann keinesfalls die entgeltliche Art des Vertrags ändern und daher dazu führen, dass das Vorliegen eines öffentlichen Bauauftrags ausgeschlossen wird. Insoweit kann die tatsächliche Erlangung eines Vorteils durch den Wirtschaftsteilnehmer keine für die Qualifizierung eines Vertrags als öffentlicher Bauauftrag notwendige Voraussetzung darstellen ( 29 ).

    81.

    Die an das Vorliegen eines „unmittelbaren wirtschaftlichen Interesses für den öffentlichen Auftraggeber“ geknüpfte Voraussetzung impliziert nicht zwangsläufig, dass dieser Eigentümer des Bauwerks wird, da diese Voraussetzung durch eine Mietvereinbarung erfüllt werden kann, die der betreffenden öffentlichen Stelle die Verfügbarkeit überträgt ( 30 ).

    82.

    In Anbetracht dieser Erwägungen schlage ich vor, auf die erste Frage zu antworten, dass ein Vertrag über die Vermietung eines zukünftigen Bauwerks, der die Eigenschaften des im Ausgangsverfahren genannten aufweist, als öffentlicher Bauauftrag im Sinne von Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 93/37 zu qualifizieren ist.

    C – Zur zweiten Frage: Erfordernisse, die sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und der Beachtung der Rechtskraft bei Vorliegen einer für mit dem Unionsrecht unvereinbar gehaltenen Situation ergeben

    83.

    Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es die eventuell in Rechtskraft erwachsene Entscheidung in der fraglichen Rechtssache als unwirksam betrachten könne, weil sie zu einer mit den Vorschriften der Union über die Vergabe öffentlicher Bauaufträge unvereinbaren Lage geführt habe, und ob es daher möglich sei, eine rechtskräftige Entscheidung durchzuführen, die mit dem Unionsrecht unvereinbar sei.

    84.

    Ich muss gleich zu Beginn meiner Verblüffung bezüglich der genauen Ermittlung dessen Ausdruck verleihen, was in den Augen des vorlegenden Gerichts die „Rechtskraft“ – nämlich sowohl das thema decidendum als auch die ratio decidendi – darstellt, die sich unter dem Blickwinkel der Beachtung des Unionsrechts als problematisch erweise.

    85.

    Obwohl ich mir bewusst bin, dass es letztendlich einzig Sache des nationalen Gerichts ist, festzulegen, was die gerichtliche Entscheidung oder die gerichtlichen Entscheidungen sind, die einer vollen Anwendung des Unionsrechts im Weg stehen, bringt mich die Notwendigkeit, dem vorlegenden Gericht eine so nützliche Antwort wie möglich zu geben, zu folgenden Feststellungen.

    86.

    Im vorliegenden Fall bildet die einzige „Rechtskraft“, auf die sich das vorlegende Gericht ( 31 ) bezieht, das Urteil Nr. 4267/2007, genauer gesagt die in diesem Urteil enthaltene Entscheidung, wonach die Comune di Bari „unter Beachtung der Grundsätze der Angemessenheit, von Treu und Glauben und des Vertrauensschutzes das Verfahren in nachvollziehbarer Weise angemessen zu Ende bringen muss, indem sie ihre eigenen Handlungen konsequent weiterführt und im Rahmen der eingegangenen Angebote prüft, ob das Gebäude innerhalb des geänderten wirtschaftlichen Rahmens errichtet werden kann“.

    87.

    Wenn, wie der Consiglio di Stato feststellt, diese Entscheidung „auf zahlreiche und verschiedene Arten umgesetzt werden kann“, ist es a priori schwer zu verstehen, aus welchen Gründen sich die Durchführung dieses Urteils zwangsläufig als mit dem Unionsrecht, und genauer gesagt mit der Anwendung der einschlägigen Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Bauaufträge, unvereinbar erweisen sollte.

    88.

    Wie die Comune di Bari erwähnt hat, bezieht sich die einzige vom Consiglio di Stato im Urteil Nr. 4267/2007 (endgültig) rechtskräftig gewordene Entscheidung offenbar auf die ihr (sowie dem Commissario ad acta) auferlegte Verpflichtung, das durch die Bekanntmachung der Marktuntersuchung eingeleitete Verfahren zu beenden. A priori kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses Verfahren im Sinne dieses Urteils in Form der Einleitung eines neuen Vergabeverfahrens unter Beachtung der Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge abgeschlossen werden kann.

    89.

    Allerdings scheint es, dass das vorlegende Gericht sich zumindest teilweise ( 32 ) die von Pizzarotti vertretene Auslegung zu eigen gemacht hat, wonach dieses Urteil und die nachfolgenden gerichtlichen Entscheidungen dahin ausgelegt werden sollten, dass sie den Abschluss des von Pizzarotti beabsichtigten „Mietvertrags“ verlangen, was eine mit dem Unionsrecht unvereinbare Lage hervorzurufen geeignet ist. Zudem scheint den vom Commissario ad acta erlassenen Durchführungsentscheidungen eine gewisse Autorität zuerkannt worden zu sein (vgl. Entscheidung Nr. 8420/2010). Nach meinem Verständnis der Bestimmungen der italienischen Verwaltungsprozessordnung (Codice del processo amministrativo) entscheidet das Gericht jedoch über alle Fragen bezüglich der ordnungsgemäßen Herbeiführung der Vereinbarkeit einschließlich derjenigen, die sich aus den Handlungen des Commissario ad acta ergeben, wobei dieser in seiner Eigenschaft als Hilfsperson des Gerichts handelt.

    90.

    Zwar erweist sich, wie dies aus den Bestimmungen der Verwaltungsprozessordnung ( 33 ), wie sie vom vorlegenden Gericht ausgelegt wird, hervorzugehen scheint, dass dieses über die Befugnis verfügt, den Tenor des Urteils Nr. 4267/2007 zu ergänzen, wobei es zu einer „stufenweise eintretenden Rechtskraft“ kommt, es erscheint mir jedoch schwer, zu dem Ergebnis zu kommen, dass der Grundsatz der Unantastbarkeit der Rechtskraft in Frage gestellt wird. Sofern das Justizorgan über die Möglichkeit verfügt, eine zuvor gefällte Entscheidung zu präzisieren oder abzuändern, muss diese Möglichkeit unter denselben Bedingungen anerkannt werden, um die volle Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen.

    91.

    In einer solchen Konstellation geht es letztendlich für das nationale Gericht darum, bei der Durchführung gerichtlicher Entscheidungen, die unterschiedlich ausgelegt werden können, diejenige zu bevorzugen, die garantiert, dass die Verwaltung gemäß dem Unionsrecht handelt.

    92.

    In dem Fall dagegen, in dem das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass die ordnungsgemäße Anwendung des Unionsrechts über die Vergabe öffentlicher Bauaufträge zwangsläufig der Rechtskraft seines Urteils Nr. 4267/2007 oder späterer Entscheidungen ( 34 ) entgegensteht, was nur es allein überprüfen kann, fallen die Modalitäten der Umsetzung der Rechtskraft vorbehaltlich der Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität unter die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten.

    93.

    Hierzu hat der Gerichtshof immer wieder auf die Bedeutung hingewiesen, die der Grundsatz der Rechtskraft sowohl in der Unionsrechtsordnung als auch in den nationalen Rechtsordnungen hat. Zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege sollen nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der entsprechenden Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordene Gerichtsentscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden können ( 35 ). Das Unionsrecht gebietet einem nationalen Gericht folglich nicht, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften, aufgrund deren eine Entscheidung Rechtskraft erlangt, abzusehen, selbst wenn dadurch ein Verstoß dieser Entscheidung gegen Unionsrecht abgestellt werden könnte ( 36 ).

    94.

    Da auf diesem Gebiet Unionsvorschriften fehlen, ist es nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, die Modalitäten der Umsetzung des Grundsatzes der Rechtskraft festzulegen. Sie dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als die, die bei ähnlichen internen Sachverhalten gelten (Grundsatz der Äquivalenz), und nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) ( 37 ).

    95.

    Die offensichtliche Durchbrechung des Grundsatzes der Rechtskraft durch das Urteil Lucchini ( 38 ) wurde vom Gerichtshof selbst auf den sehr speziellen Bereich der staatlichen Beihilfen beschränkt.

    96.

    Der Gerichtshof hat nämlich in diesem Urteil klargestellt, dass, da ausschließlich die Kommission, die dabei der Kontrolle des Gemeinschaftsrichters unterliegt, für die Beurteilung der Vereinbarkeit von Beihilfemaßnahmen oder einer Beihilferegelung mit dem Gemeinsamen Markt zuständig ist, das Gemeinschaftsrecht der Anwendung einer auf die Verankerung des Grundsatzes der Rechtskraft abzielenden Vorschrift des nationalen Rechts wie Art. 2909 des Codice civile entgegensteht, soweit ihre Anwendung die Rückforderung einer unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht gewährten staatlichen Beihilfe behindert, deren Unvereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt durch eine bestandskräftig gewordene Entscheidung der Kommission festgestellt worden ist ( 39 ).

    97.

    Die Besonderheiten der Rechtssache Lucchini wurden auch in der Rechtssache hervorgehoben, in der das Urteil Fallimento Olimpiclub ( 40 ) ergangen ist, in dem der Gerichtshof klargestellt hat, dass die Rechtssache Lucchini einen ganz besonderen Sachverhalt betraf, in dem einige Grundsätze der Verteilung der Kompetenzen zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet staatlicher Beihilfen in Frage standen, wobei ausschließlich die Kommission für die Beurteilung der Vereinbarkeit von Beihilfemaßnahmen mit dem Gemeinsamen Markt zuständig ist.

    98.

    In Bezug auf die Analogie, die zwischen den Verpflichtungen der Verwaltungsorgane aufgrund ihrer Pflicht zur Zusammenarbeit, wie sie u. a. im Urteil Kühne & Heitz ( 41 ) klargestellt werden, und denjenigen, die sich gemäß derselben Pflicht für die nationalen Gerichte aufdrängen, ist sie weit davon entfernt, mich zu überzeugen.

    99.

    Gewiss beruht die Beachtung sowohl des definitiven Charakters einer Verwaltungsentscheidung als auch der einer gerichtlichen Entscheidung zukommenden Autorität in Anbetracht des Grundsatzes der Rechtssicherheit auf der Notwendigkeit, die Beständigkeit rechtlicher Beziehungen zu bewahren. Ebenso betrifft das Ausgangsverfahren die eigenartige Situation, in der gemäß den vom Consiglio di Stato gegebenen Informationen dieser den Tenor einer seiner Entscheidungen, die einen endgültigen Charakter erlangt haben, vervollständigen und gegebenenfalls Entscheidungen, die in Durchführung der genannten Entscheidungen durch den Commissario ad acta getroffen wurden, rückgängig machen könnte.

    100.

    Angenommen, diese Möglichkeit kann so angesehen werden, dass sie die Unantastbarkeit der Rechtskraft abmildert, was nicht eindeutig erwiesen ist (vgl. Nr. 90 der vorliegenden Schlussanträge), besteht ein bedeutender Unterschied zwischen der Möglichkeit der Überprüfung einer bestandskräftig gewordenen Verwaltungsentscheidung und der Möglichkeit, eine rechtskräftig gewordene gerichtliche Entscheidung rückgängig zu machen. Die vom Urteil Kühne & Heitz (EU:C:2004:17) sanktionierte Verpflichtung für das Verwaltungsorgan, unter bestimmten Umständen eine bestandskräftig gewordene Verwaltungsentscheidung rückgängig zu machen, beruht auf der Prämisse, dass eine solche Überprüfung nicht geeignet ist, Dritte zu verletzen. Diese Voraussetzung scheint mir nicht erfüllt, was die Überprüfung von rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidungen anbelangt. Außerdem bin ich der Auffassung, dass dieses Urteil in Anbetracht der im innerstaatlichen Recht zuerkannten Möglichkeit, unter bestimmten Bedingungen bestandskräftig gewordene Verwaltungsentscheidungen rückgängig zu machen, letztendlich als eine Anwendung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität aufgefasst werden kann.

    101.

    Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass, sofern eine gerichtliche Entscheidung, gegebenenfalls durch die Wirkungen weiterer gerichtlicher Durchführungsentscheidungen, eine mit dem Unionsrecht unvereinbare Lage geschaffen hat, es grundsätzlich nicht Sache des nationalen Gerichts ist, diese rückgängig zu machen.

    102.

    Es besteht außerdem eine Möglichkeit, der Situation des Verstoßes gegen das Unionsrecht abzuhelfen. In dem Fall nämlich, in dem die Rechtskraft die Anwendung des Unionsrechts unmöglich machen würde, bleibt die Möglichkeit einer Klage auf Ersatz der Schäden, die Privatpersonen entstanden sind ( 42 ).

    103.

    Daher schlage ich vor, auf die zweite Frage zu antworten, dass es einzig Sache des nationalen Gerichts ist, den exakten Wortlaut einer rechtskräftig gewordenen Entscheidung zu bestimmen. Die Modalitäten der Durchführung einer rechtskräftigen Entscheidung fallen vorbehaltlich der Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität unter die innerstaatliche Rechtsordnung der Mitgliedstaaten. Falls das nationale Gericht nach den nationalen Verfahrensregeln über die Befugnis verfügt, den Wortlaut der rechtskräftigen Entscheidung zu vervollständigen oder sogar zu ersetzen, obliegt es ihm, diese zwecks einer angemessenen Umsetzung des Unionsrechts durchzuführen.

    IV – Ergebnis

    104.

    Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Consiglio di Stato vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

    1.

    Ein Vertrag über die Vermietung eines zukünftigen Bauwerks, der die Eigenschaften des im Ausgangsverfahren genannten aufweist, ist als „Bauauftrag“ im Sinne von Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge zu qualifizieren.

    2.

    Es ist einzig Sache des nationalen Gerichts, den exakten Wortlaut einer rechtskräftig gewordenen Entscheidung zu bestimmen. Die Modalitäten der Durchführung einer rechtskräftigen Entscheidung fallen vorbehaltlich der Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität unter die innerstaatliche Rechtsordnung der Mitgliedstaaten. Falls das nationale Gericht nach den nationalen Verfahrensregeln über die Befugnis verfügt, den Wortlaut der rechtskräftigen Entscheidung zu vervollständigen oder sogar zu ersetzen, obliegt es ihm, diese zwecks einer angemessenen Umsetzung des Unionsrechts durchzuführen.


    ( 1 ) Originalsprache: Französisch.

    ( 2 ) Urteil Kommission/Deutschland (C‑536/07, EU:C:2009:664) (im Folgenden: Urteil KölnMesse).

    ( 3 ) Richtlinie des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1).

    ( 4 ) Richtlinie des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 199, S. 54).

    ( 5 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114).

    ( 6 ) Diese Bekanntmachung wurde u. a. im Amtsblatt der Europäischen Union vom 23. August 2003 veröffentlicht (ABl. S 161).

    ( 7 ) Pizzarotti bezieht sich auf zwei Entscheidungen: Die erste sei die des Tribunale amministrativo regionale per la Puglia vom 18. Mai 2004, das, als es über die Klage eines unterlegenen Bieters zu befinden gehabt habe, entschieden habe, dass die Marktuntersuchung nur Sondierungscharakter zur Suche nach geeigneten Lösungen für die Errichtung des Justizzentrums von Bari gehabt habe, und folglich keine Zusage der Gemeindeverwaltung enthalten habe, später einen Bauauftrag zu vergeben. Die zweite sei das Urteil Nr. 4267/2007 des Consiglio di Stato, der diese Verwaltung verpflichtet habe, das eingeleitete Verfahren dadurch zu einem Ende zu bringen, dass mit Pizzarotti ein Vertrag über die Vermietung einer zukünftigen Sache geschlossen werde.

    ( 8 ) Vgl. u. a. Urteil Kommission/Niederlande (C‑576/10, EU:C:2013:510, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 9 ) Wie der Consiglio di Stato erwähnt hat, stellen „die von der Comune di Bari durchgeführte Marktuntersuchung, die Auswahl des vom Unternehmen Pizzarotti ausgearbeiteten Entwurfs am Ende dieser Untersuchung, die Vorlage dieses Entwurfs an das Justizministerium und der Bescheid Nr. 249 vom 4. Februar 2004 dieser Behörde auch Etappen eines komplexen Verfahrens zur Errichtung eines neuen Justizzentrums dar“.

    ( 10 ) In diesem Sinne hat der Gerichtshof ständig darauf hingewiesen, dass es seine Aufgabe ist, alle Bestimmungen des Unionsrechts auszulegen, die die nationalen Gerichte benötigen, um die bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden, auch wenn diese Bestimmungen in den ihm von diesen Gerichten vorgelegten Fragen nicht ausdrücklich genannt sind (vgl. u. a. Urteile Fuß, C‑243/09, EU:C:2010:609, Rn. 39, und Worten, C‑342/12, EU:C:2013:355, Rn. 30).

    ( 11 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil Fish Legal und Shirley (C‑279/12, EU:C:2013:853, Rn. 30).

    ( 12 ) Vgl. die Erwägungsgründe 2 und 10 der Richtlinie 93/37 sowie den zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18.

    ( 13 ) Vgl. in diesem Sinne die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Auroux u. a. (C‑220/05, EU:C:2006:410, Nr. 43).

    ( 14 ) Vgl. auch Art. 10 Buchst. a der kürzlich verabschiedeten Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18 (ABl. L 94, S. 65).

    ( 15 ) Art. 1 Buchst. a Ziff. iii der Richtlinie 92/50 und Art. 16 Buchst. a der Richtlinie 2004/18.

    ( 16 ) Vgl. u. a. die Begründung des am 6. Dezember 1990 vorgestellten Vorschlags für eine Richtlinie des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (KOM[90] 372 endg. – SYN 293).

    ( 17 ) Vgl. Urteil Auroux u. a. (C‑220/05, EU:C:2007:31, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 18 ) Urteil KölnMesse (Rn. 54).

    ( 19 ) Urteil KölnMesse (Rn. 55).

    ( 20 ) Urteil Helmut Müller (C‑451/08, EU:C:2010:168, Rn. 67).

    ( 21 ) Vgl. u. a. Urteil KölnMesse (Rn. 57).

    ( 22 ) Der Entwurf der Verpflichtungserklärung zur Vermietung, die auf Mai 2012 datiert ist, verweist insbesondere in ihrem zehnten Erwägungsgrund und in ihrem Art. 7 auf diesen Anforderungsrahmen.

    ( 23 ) Urteil KölnMesse (Rn. 58).

    ( 24 ) Ebd. (Rn. 56).

    ( 25 ) In dieser Rechtssache erwähnte die deutsche Regierung den Umstand, dass der der Grundstücksgesellschaft Köln Messe 8-11 GbR als Miete zu zahlende Gesamtbetrag, der sich letztendlich auf ca. 600 Mio. Euro belaufe, über den Baukosten der Gebäude gelegen habe, die sich auf ca. 235 Mio. Euro belaufen hätten.

    ( 26 ) Dies im Unterschied zu der Unterscheidung zwischen einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag und einem öffentlichen Lieferauftrag (vgl. u. a. Art. 2 der Richtlinie 92/50 und Art. 1 Abs. 2 Buchst. d Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/18).

    ( 27 ) Sie beziehen sich u. a. auf die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak in der Rechtssache Kommission/Deutschland (C‑536/07, EU:C:2009:340), die vorschlug, ebenfalls einen „Vergleich der jeweiligen Kostpreise“ vorzunehmen.

    ( 28 ) Vgl. Urteil KölnMesse (Rn. 61).

    ( 29 ) Urteil Ordine degli Ingegneri della Provincia di Lecce u. a. (C‑159/11, EU:C:2012:817).

    ( 30 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil Helmut Müller (EU:C:2010:168, Rn. 50 und 51).

    ( 31 ) Und dies sogar, obwohl die Parteien offenbar die Übereinstimmung mit dem Urteil Nr. 8420/2010 verlangt haben.

    ( 32 ) Vgl. hierzu die Darstellung der vom Consigli di Stato erlassenen Entscheidungen in Reaktion u. a. auf die Handlungen des Commissario ad acta vom 27. Mai 2010 (Nrn. 23 bis 25 der vorliegenden Schlussanträge).

    ( 33 ) Decreto legislativo Nr. 104 vom 2. Juli 2010 (GURI Nr. 156 vom 7. Juli 2010).

    ( 34 ) Der Consiglio di Stato lässt in der Tat verlauten, dass es seine Durchführungsentscheidungen (vom 15. April 2010 und vom 3. Dezember 2010) über die Tätigkeiten des Commissario ad acta seien, die zu einer möglicherweise mit dem Unionsrecht unvereinbaren Lage geführt hätten, da sie den Erlass der Handlungen angeordnet hätten, die für den Abschluss des Vertrags über die Vermietung der zukünftigen Sache, den dieses Unternehmen der Verwaltung als letzten Vorschlag nach der 2004 eingetretenen Umwälzung des wirtschaftlichen Rahmens vorgelegt hätten, notwendig gewesen seien.

    ( 35 ) Vgl. u. a. Urteile Köbler (C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 38), Kapferer (C‑234/04, EU:C:2006:178, Rn. 20) und Fallimento Olimpiclub (C‑2/08, EU:C:2009:506, Rn. 22).

    ( 36 ) Urteile Eco Swiss (C‑126/97, EU:C:1999:269, Rn. 48), Kapferer (EU:C:2006:178, Rn. 21) und Fallimento Olimpiclub (EU:C:2009:506, Rn. 23).

    ( 37 ) Urteile Kapferer (EU:C:2006:178, Rn. 22) und Fallimento Olimpiclub (EU:C:2009:506, Rn. 24).

    ( 38 ) C‑119/05, EU:C:2007:434.

    ( 39 ) Ebd. (Rn. 62 und 63).

    ( 40 ) Urteil Fallimento Olimpiclub (EU:C:2009:506, Rn. 25).

    ( 41 ) Urteil Kühne & Heitz (C‑453/00, EU:C:2004:17, Rn. 28). Vgl. auch Urteile i-21 Germany und Arcor (C‑392/04 und C‑422/04, EU:C:2006:586, Rn. 51 bis 55) und Kempter (C‑2/06, EU:C:2008:78).

    ( 42 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil Köbler (EU:C:2003:513, Rn. 51 ff.).

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