EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62012CC0425

Schlussanträge des Generalanwalts Wahl vom 18. September 2013.
Portgás - Sociedade de Produção e Distribuição de Gás SA gegen Ministério da Agricultura, do Mar, do Ambiente e do Ordenamento do Território.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal Administrativo e Fiscal do Porto - Portugal.
Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor - Richtlinie 93/38/EWG - Fehlende Umsetzung in innerstaatliches Recht - Für den Staat bestehende Möglichkeit, sich gegenüber einem Konzessionär einer öffentlichen Dienstleistung auf diese Richtlinie zu berufen, wenn diese nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt wurde.
Rechtssache C-425/12.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2013:623

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NILS WAHL

vom 18. September 2013 ( 1 )

Rechtssache C‑425/12

Portgás – Sociedade de Produção e Distribuição de Gás SA

gegen

Ministério da Agricultura, do Mar, do Ambiente e do Ordenamento do Território

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Administrativo e Fiscal do Porto [Portugal])

„Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge im Bereich der Wasser‑, Energie‑ und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor — Richtlinie 93/38/EWG — Fehlende Umsetzung in internes Recht — Möglichkeit für eine staatliche Behörde, bestimmte Vorschriften der Richtlinie 93/38/EWG gegenüber einer Einrichtung, die eine Konzession zur Erbringung einer öffentlichen Dienstleistung besitzt und Auftraggeberin ist, geltend zu machen“

1. 

Während der Gerichtshof unlängst des fünfzigsten Jahrestags seines symbolischen Urteils van Gend & Loos ( 2 ) gedacht hat, sind die Debatten über die Folgen der Anerkennung der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts noch lange nicht beendet. Das betrifft insbesondere den Umfang der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien. Davon zeugt die vorliegende Rechtssache, die dem Gerichtshof eine neue Gelegenheit bietet, an die Voraussetzungen zu erinnern, unter denen eine Berufung auf eine nicht in internes Recht umgesetzte Richtlinie möglich ist.

2. 

Die Rechtssache wirft genauer gesagt die Frage auf, ob und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen ein Staat gegenüber einer Einrichtung, die eine Konzession zur Erbringung öffentlicher Dienstleistungen besitzt und überdies Auftraggeberin ist, eine Reihe von Vorschriften der Richtlinie 93/38 EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie‑ und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor ( 3 ) in der durch die Richtlinie 98/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 ( 4 ) geänderten Fassung geltend machen kann, wenn dieser Rechtsakt innerhalb der vorgeschriebenen Frist nicht in internes Recht umgesetzt wurde.

I – Der rechtliche Rahmen

A – Das Unionsrecht

3.

Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 93/38 lautet:

„Diese Richtlinie gilt für Auftraggeber, die

a)

staatliche Behörden oder öffentliche Unternehmen sind und die eine Tätigkeit im Sinne des Absatzes 2 ausüben;

b)

oder wenn sie nicht staatliche Behörden oder öffentliche Unternehmen sind, als eine ihrer Tätigkeiten eine Tätigkeit im Sinne des Absatzes 2 oder verschiedene dieser Tätigkeiten auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausüben, die von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats gewährt wurden.“

4.

Unter den in Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 93/38 genannten Tätigkeiten befindet sich die Bereitstellung oder das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der Produktion, dem Transport oder der Verteilung von Gas.

5.

Art. 4 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)   Die Auftraggeber wenden bei der Vergabe ihrer Liefer‑, Bau‑ und Dienstleistungsaufträge oder der Durchführung ihrer Wettbewerbe Verfahren an, die den Vorschriften dieser Richtlinie entsprechen.

(2)   Die Auftraggeber sorgen dafür, dass keine Diskriminierung von Lieferanten, Unternehmen oder Dienstleistungserbringern stattfindet.“

6.

Gemäß ihrem Art. 14 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i gilt diese Richtlinie für Aufträge von Auftraggebern, die Tätigkeiten im Bereich der Fortleitung oder der Verteilung von Gas ausüben, vorausgesetzt, dass der geschätzte Wert ohne Mehrwertsteuer sich auf mindestens 400000 Euro beläuft.

7.

Aufgrund des Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie 93/38 war die Republik Portugal verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um dieser Richtlinie nachzukommen, und sie spätestens ab dem 1. Januar 1998 anzuwenden. Die Änderungen dieser Richtlinie durch die Richtlinie 98/4 waren gemäß Art. 2 Abs. 2 der letztgenannten Richtlinie bis spätestens zum 16. Februar 2000 in die interne portugiesische Rechtsordnung umzusetzen.

B – Das portugiesische Recht

8.

Mit der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 223/2001 vom 9. August 2001 ( 5 ) wurde die Richtlinie 93/38 in die portugiesische Rechtsordnung umgesetzt. Gemäß ihrem Art. 53 Abs. 1 trat die gesetzesvertretende Verordnung Nr. 223/2001 120 Tage nach ihrer Veröffentlichung in Kraft.

II – Der Ausgangsrechtsstreit, die Vorlagefrage und das Verfahren vor dem Gerichtshof

9.

Die Portgás – Sociedade de Produção e Distribuição de Gás SA (im Folgenden: Portgás) ist eine Aktiengesellschaft portugiesischen Rechts, die im Bereich der Gewinnung und der Verteilung von Erdgas tätig ist ( 6 ).

10.

Am 7. Juli 2001 schloss Portgás mit der Gesellschaft Soporgás – Sociedade Portuguesa de Gás Lda einen Vertrag über die Lieferung von Gaszählern. Der Wert dieses Auftrags belief sich auf 437053,20 Euro ohne Mehrwertsteuer (sprich 532736,92 Euro).

11.

Am 21. Dezember 2001 stellte Portgás einen Antrag auf gemeinschaftliche Kofinanzierung im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, dem stattgegeben wurde. Der Vertrag über die Gewährung finanzieller Beihilfen zur Deckung der beihilfefähigen Ausgaben des Projekts POR/3.2/007/DREN, das den Erwerb der Gaszähler umfasste, wurde am 11. Oktober 2002 unterzeichnet.

12.

Am 29. Oktober 2009 ordnete der Verwalter des Programa Operacional Norte (Operationelles Programm Nord) im Anschluss an eine Prüfung des Projekts durch die Generalinspektion für Finanzen die Rückzahlung des Portgás im Rahmen des Projekts POR/3.2/007/DREN gewährten finanziellen Zuschusses mit der Begründung an, dass die gesamten öffentlich kofinanzierten Ausgaben als nicht beihilfefähig angesehen werden müssten, weil die genannte Gesellschaft gegen die unionsrechtlichen Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge verstoßen habe.

13.

Portgás erhob beim Tribunal Administrativo e Fiscal do Porto eine besondere Verwaltungsklage, mit der sie beantragte, diese Entscheidung für nichtig zu erklären oder aufzuheben, weil der portugiesische Staat von ihr, einem privaten Unternehmen, nicht verlangen könne, dass sie sich an die Bestimmungen der Richtlinie 93/38 halte. Da diese Richtlinie zum Zeitpunkt des streitigen Sachverhalts noch nicht in die portugiesische Rechtsordnung umgesetzt gewesen sei, könnten diese Bestimmungen ihr gegenüber keinerlei unmittelbare Wirkung entfalten.

14.

Das Ministério da Agricultura, do Mar, do Ambiente e do Ordenamento do Território (Ministerium für Landwirtschaft, Meer, Umwelt und Raumplanung; im Folgenden: Ministerium), der Beklagte des Ausgangsverfahrens, hat seinerseits vor dem vorlegenden Gericht vorgetragen, dass die Richtlinie 93/38 sich nicht nur an die Mitgliedstaaten, sondern auch an alle in dieser Richtlinie bezeichneten Auftraggeber richte. Dem Ministerium zufolge unterlag Portgás den Verpflichtungen nach dieser Richtlinie in ihrer Eigenschaft als Alleinkonzessionärin für die Erbringung einer öffentlichen Dienstleistung im Konzessionsgebiet.

15.

Da das Tribunal Administrativo e Fiscal do Porto Zweifel an der Auslegung der im Ausgangsverfahren geltend gemachten Bestimmungen des Unionsrechts hat, hat es am 26. Juni 2012 beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gericht folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Können Art. 4 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 93/38 in der durch die Richtlinie 98/4 geänderten Fassung sowie die übrigen Bestimmungen dieser Richtlinien oder die anwendbaren allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie für private Einrichtungen (insbesondere eine Einrichtung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 93/38), die eine Konzession zur Erbringung öffentlicher Dienstleistungen besitzen, Verpflichtungen schaffen, solange diese Richtlinie vom portugiesischen Staat noch nicht in internes Recht umgesetzt wurde, und dass der portugiesische Staat sich durch einen Rechtsakt seiner Ministerien gegenüber dieser privaten Konzessionärin auf die Nichterfüllung dieser Verpflichtungen berufen kann?

16.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die portugiesische Regierung sowie die Europäische Kommission haben dem Gerichtshof schriftliche Erklärungen vorgelegt.

17.

An die Parteien sind schriftliche Fragen und ein Ersuchen auf Konzentration der mündlichen Ausführungen gerichtet worden. Die mündliche Verhandlung hat am 4. Juli 2013 stattgefunden.

III – Analyse

18.

Ich erinnere daran, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen seinen Ursprung in einem Rechtsstreit zwischen Portgás und dem Ministerium über eine Entscheidung hat, mit der die Rückzahlung der dieser Gesellschaft im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gewährten finanziellen Beihilfe mit der Begründung angeordnet wurde, Portgás habe bei der Beschaffung von Gaszählern von einer anderen Firma eine Reihe von im Bereich öffentlicher Aufträge anwendbaren Bestimmungen des Unionsrechts nicht beachtet.

19.

Portgás geht gegen diese Entscheidung vor, indem sie unterstreicht, dass die Bestimmungen der Richtlinie 93/38, die zum Zeitpunkt des Sachverhalts noch nicht in internes Recht umgesetzt gewesen sei, ihr gegenüber angesichts ihrer Eigenschaft als Privatunternehmen keine vertikale unmittelbare Wirkung entfalten könnten. Das Ministerium, das seinerseits der Ansicht ist, dass Adressaten der Richtlinie 93/38 nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern alle Auftraggeber im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie seien, trägt vor, dass diese Pflichten für alle von dieser Bestimmung erfassten Einrichtungen beinhalte, insbesondere diejenigen, die von einem Mitgliedstaat exklusive Rechte übertragen bekommen hätten. Dies sei gerade bei der klagenden Gesellschaft als Konzessionärin einer öffentlichen Dienstleistung der Fall.

20.

Der Gerichtshof ist hauptsächlich zu der Frage angerufen worden, ob und unter welchen Voraussetzungen die Bestimmungen der Richtlinie 93/38 einem Konzessionär einer öffentlichen Dienstleistung mit der Eigenschaft eines Auftraggebers entgegengehalten werden können, wenn diese Richtlinie nicht in internes Recht umgesetzt worden ist.

21.

Auch wenn, wie aus einer gefestigten Rechtsprechung hervorgeht, die Frage der möglichen Berufung auf eine Richtlinie gegenüber einer Einrichtung, die Konzessionärin einer öffentlichen Dienstleistung ist, bei Weitem nicht neu ist, weist die vorliegende Rechtssache insofern eine gewisse Besonderheit auf, als die Berufung von einer staatlichen Behörde gefordert wird.

22.

Zunächst weise ich darauf hin, dass keineswegs die Frage debattiert wird, ob die Bestimmungen der Richtlinie – genauer gesagt Art. 4 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 93/38 –, deren Anwendung gefordert wird, die „technischen“ Voraussetzungen der Genauigkeit, der Klarheit und der Bedingungslosigkeit erfüllen, um sich gegenüber einem Staat auf sie berufen zu können ( 7 ).

23.

Im Übrigen scheint es mir kaum zweifelhaft, dass diese Bestimmungen die geforderten Kriterien erfüllen. Bei Liefer‑ und Dienstleistungsaufträgen, deren geschätzter Wert ohne Mehrwertsteuer sich auf mindestens 400000 Euro beläuft, erlegen sie nämlich insbesondere den Auftraggebern, die Tätigkeiten im Bereich der Fortleitung oder der Verteilung von Gas ausüben, eine genaue und unbedingte Pflicht auf, nach der die Vergabe der genannten Aufträge im Einklang mit den in der Richtlinie 93/38 vorgesehenen Bestimmungen und Verfahren stehen und ohne Diskriminierung zwischen den Lieferanten, Unternehmern und Dienstleistern durchgeführt werden muss. Es bedarf offensichtlich keiner speziellen Durchführungsmaßnahmen, um die Beachtung dieser Anforderungen zu sichern. Diese Bewertung findet meines Erachtens eine solide Stütze in der Rechtsprechung zu vergleichbaren Bestimmungen im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge ( 8 ).

24.

Dagegen wird die Frage diskutiert, ob die genannten Bestimmungen Portgás in ihrer bloßen Eigenschaft als Konzessionär einer öffentlichen Dienstleistung, der Auftraggeber im Sinne des Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 93/38 ist, entgegengehalten werden können. Ebenso stellt sich die Frage, ob unabhängig von der Möglichkeit, Portgás als dem Staat zuzurechnende Stelle im Sinne der Rechtsprechung zu betrachten, eine staatliche Behörde die Anwendung einer Reihe von Bestimmungen dieser Richtlinie fordern kann.

25.

Um die gestellte Frage zu beantworten, empfiehlt es sich daher meiner Meinung nach, in diesem Fall zunächst zu bestimmen, ob Portgás in ihrer bloßen Eigenschaft als Konzessionär einer öffentlichen Dienstleistung die Bestimmungen der Richtlinie 93/38 entgegenhalten werden können, und, wenn ja, ob die Verwaltungsbehörden eines Mitgliedstaats ihr gegenüber die Anwendung der Bestimmungen der genannten Richtlinie, die zum Zeitpunkt des streitigen Sachverhalts nicht in die Rechtsordnung umgesetzt worden waren, verlangen können.

26.

Nach der Beantwortung der Frage, wem gegenüber die Anwendung der Bestimmungen der nicht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzten Richtlinie geltend gemacht werden kann, bleibt mit anderen Worten zu bestimmen, wer – und gegebenenfalls in welcher Eigenschaft – sich auf die genannten Bestimmungen berufen kann.

A – Zur Möglichkeit, die Bestimmungen der Richtlinie 93/38 gegenüber Portgás in ihrer bloßen Eigenschaft als Konzessionär einer öffentlichen Dienstleistung und Auftraggeber im Sinne des Art. 2 der genannten Richtlinie geltend zu machen

27.

Im vorliegenden Fall stehen sich zwei Auffassungen gegenüber.

28.

Einerseits macht die Klägerin des Ausgangsverfahrens im Wesentlichen geltend, dass die portugiesischen Verwaltungsbehörden sich ihr gegenüber nicht auf die Bestimmungen der Richtlinie 93/38 berufen könnten, da diese Richtlinie zum Zeitpunkt des Abschlusses des fraglichen Liefervertrags noch nicht in internes Recht umgesetzt gewesen sei. Sie weist darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung nicht umgesetzte Richtlinien keine Pflichten für Einzelne begründen könnten. Jedoch handele es sich bei ihr, ungeachtet ihrer Eigenschaft als Konzessionär einer öffentlichen Dienstleistung, gerade um einen Einzelnen. Sie unterstreicht in dieser Hinsicht, dass sie über keine vom gemeinen Recht abweichenden Sonderrechte verfüge.

29.

Andererseits vertreten die portugiesische Regierung und die Kommission im Wesentlichen die Auffassung, dass Portgás in ihrer Eigenschaft als ausschließlicher Konzessionär einer öffentlichen Dienstleistung und Auftraggeber im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 93/38 verpflichtet gewesen sei, sich gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie zu verhalten, auch wenn dieser Rechtsakt zum Zeitpunkt des Abschlusses des streitigen Liefervertrags noch nicht in internes Recht umgesetzt gewesen sei.

30.

Mir erscheint es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Anerkennung der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien letztlich auf zwei einander ergänzenden Zielen beruht: der Notwendigkeit, die Rechte, die Einzelne aus diesen Rechtsakten herleiten können, wirksam zu garantieren, und dem Wunsch, eine Sanktion gegen die nationalen Behörden zu verhängen, die es versäumt haben, die bindende Wirkung zu achten und ihre wirksame Anwendung sicherzustellen ( 9 ).

31.

Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet und entsprechend den wiederholten Ausführungen des Gerichtshofs besteht der verbindliche Charakter einer Richtlinie, auf dem die Möglichkeit beruht, sich vor einem nationalen Gericht auf die Richtlinie zu berufen, nur für „jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird“. Daraus folgt, dass eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann und dass eine Richtlinienbestimmung daher nicht als solche gegenüber einer derartigen Person in Anspruch genommen werden kann ( 10 ). Eine nationale Behörde kann sich nicht zulasten eines Einzelnen auf eine Bestimmung einer Richtlinie berufen, deren erforderliche Umsetzung in nationales Recht noch nicht erfolgt ist ( 11 ).

32.

Mit anderen Worten – und ungeachtet der Zweifel, die in dieser Hinsicht legitimerweise entstehen konnten ( 12 ) – kann die unmittelbare Wirkung von Richtlinien nur „vertikaler“ und „nach oben gerichteter“ Natur sein, in dem Sinne, dass sie nur bei einer Klage eines Einzelnen gegen eine staatliche Behörde zum Tragen kommen kann. Diese Regel bringt es mit sich, dass die Verpflichtung des nationalen Gerichts, die Vorschriften des nationalen Rechts im Einklang mit den Bestimmungen einer Richtlinie auszulegen, ihre Grenze findet, wenn eine solche Auslegung dazu führt, dass einem Einzelnen eine in einer nicht umgesetzten Richtlinie vorgesehene Verpflichtung entgegengehalten wird ( 13 ).

33.

Diese Begrenzung wird jedoch durch die Tatsache ausgeglichen, dass die Einheiten, denen die unbedingten und genauen Bestimmungen einer europäischen Richtlinie entgegengehalten werden können, viele Formen und Eigenschaften aufweisen. Es ist nämlich auch anerkannt, dass der Begriff des „Mitgliedstaats“, gegenüber dem die Bestimmungen einer Richtlinie geltend gemacht werden können, funktional und weit ist.

34.

Er umfasst zunächst alle Organe der öffentlichen Verwaltung, einschließlich der dezentralisierten Stellen ( 14 ). Können sich die Einzelnen gegenüber dem Staat auf eine Richtlinie berufen, so können sie dies im Übrigen unabhängig davon tun, in welcher Eigenschaft – als Arbeitgeber oder als Hoheitsträger – er handelt. In dem einen wie dem anderen Fall muss nämlich verhindert werden, dass der Staat aus seiner Nichtbeachtung des Unionsrechts Nutzen ziehen kann ( 15 ).

35.

Dieser Begriff zielt umfassender auf die Gesamtheit der öffentlichen und privaten Personen ab, die mit dem Staat in einer besonderen Verbindung stehen, d. h., – um die im Urteil Foster u. a. ( 16 ) verwendete und seither häufig wiederholte ( 17 ) Formulierung zu übernehmen – die Einrichtungen und Unternehmen, die unabhängig von ihrer Rechtsform kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen haben und die hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über die für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften hinausgehen.

36.

So hat der Gerichtshof entschieden, dass einer juristischen Person des Privatrechts die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen einer Richtlinie entgegenhalten werden können, wenn der Staat dieser juristischen Person eine spezielle Aufgabe anvertraut hat und sie direkt oder indirekt beaufsichtigt ( 18 ).

37.

Dagegen scheint mir aus der Rechtsprechung nicht hervorzugehen, dass der bloße Umstand, dass eine Einrichtung Auftraggeber im Sinne der europäischen Regelung ist, impliziert, dass sie als Teil des Staates angesehen wird.

38.

Wenn gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Bestimmungen einer Richtlinie unmittelbare Wirkung gegenüber einer Einrichtung entfalten können, die – unter staatlicher Aufsicht – mit der Erbringung einer im öffentlichen Interesse stehenden Dienstleistung beauftragt ist, so muss diese allerdings mit besonderen Rechten ausgestattet sein, die über die für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften hinausgehen.

39.

Auch wenn, wie von der Kommission erwähnt, die Eigenschaft als Auftraggeber dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 93/38 nach nur privaten Einrichtungen mit „besonderen oder ausschließlichen Rechten …, die von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats gewährt wurden“, zuerkannt wird, impliziert diese nicht unbedingt, dass die genannten Einrichtungen über „besondere Rechte“ im Sinne der Rechtsprechung Foster u. a. verfügen, wie sie insbesondere in den genannten Urteilen Collino und Chiappero ( 19 ) sowie Rieser Internationale Transporte ( 20 ) präzisiert wurde.

40.

Im Übrigen bin ich bei Weitem nicht davon überzeugt, dass die Möglichkeit, Richtlinien im Wege ihrer unmittelbaren Wirkung geltend zu machen, dahin gehend ausgeweitet werden sollte, dass sie gegenüber einer solchen Einrichtung zum Tragen kommen kann.

41.

Zunächst ist zu unterstreichen, dass generell die Tatsache, dass eine Einrichtung vom persönlichen Anwendungsbereich einer Richtlinie erfasst wird, kein ausschlaggebender Faktor dafür ist, dass ihr die nicht umgesetzten Bestimmungen der entsprechenden Richtlinie entgegenhalten werden können ( 21 ), da maßgeblich ist, dass die Richtlinie gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV nur an die Staaten gerichtet ist. Auch wenn Portgás in ihrer Eigenschaft als Gesellschaft mit einer Konzession für eine ihr vom Staat exklusiv übertragene öffentliche Dienstleistung ausdrücklich zu den vom Anwendungsbereich der streitigen Richtlinie erfassten Einrichtungen gehört, lässt sich demnach schwer vertreten, dass sie sich vor dem Inkrafttreten des Umsetzungsakts nach den Bestimmungen der Richtlinie 93/38 hätte richten müssen.

42.

Sodann hat der Begriff des „Auftraggebers“ trotz des Zusammenhangs, der zu Recht hergestellt werden kann, nicht dieselbe Bedeutung wie der des „Staates“ im funktionellen Wortsinn, gegenüber dem der Einzelne die unmittelbare Wirkung einer Richtlinie geltend machen kann ( 22 ).

43.

Ebenso reicht der Umstand der Beauftragung eines Privatunternehmens als Alleinkonzessionär mit der Erfüllung einer im öffentlichen Interesse liegenden Dienstleistung nicht aus, um ihm die Bestimmungen einer nicht in die interne Rechtsordnung umgesetzten Richtlinie entgegenhalten zu können. Erforderlich ist die Feststellung, dass das genannte Unternehmen über besondere Rechte verfügt und der Aufsicht der staatlichen Behörden unterliegt ( 23 ).

44.

Um zur Ausgangsrechtssache zurückzukehren, geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen ( 24 ) auf den ersten Blick hervor, dass die Beziehung von Portgás zu den staatlichen portugiesischen Behörden nicht so eng ist wie die, die die betroffene Einrichtung in der Rechtssache, in der das Urteil Foster u. a. erging, zu den britischen Behörden hatte. Die Kontrollbefugnisse, die die portugiesischen Behörden gegenüber Portgás haben, scheinen mir sehr viel beschränkter zu sein ( 25 ).

45.

Da jedoch das vorlegende Gericht nicht genügend Informationen zu Portgás übermittelt hat, um festzustellen, ob das genannte Unternehmen zum maßgeblichen Zeitpunkt über besondere Rechte verfügte und der Aufsicht der staatlichen Behörden unterlag, ist es nach der im Urteil Foster u. a. ( 26 ) zum Ausdruck gebrachten Regel und nach dem vom Gerichtshof in ähnlichen Rechtssachen ( 27 ) herkömmlich verfolgten Ansatz Sache dieses Gerichts, zu überprüfen, ob diese Voraussetzungen bei Portgás zum maßgeblichen Zeitpunkt vorlagen.

46.

Mangels Informationen, die belegen, dass Portgás dem Staat gleichzustellen ist, sollte die Geltendmachung der Richtlinie ausgeschlossen sein, da – wie aus der oben angeführten ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht – die Bestimmungen einer nicht umgesetzten Richtlinie keine Verpflichtungen für den Einzelnen begründen können und ihm nicht entgegengehalten werden können.

47.

Eine andere Entscheidung würde dazu führen, den Bestimmungen der Richtlinie 93/38 eine unmittelbare Wirkung nach unten beizumessen und es zudem dem – als Einheit verstandenen – Staat zu ermöglichen, sein Versagen gegenüber dem Einzelnen geltend zu machen.

48.

Dagegen ist für den Fall, dass Portgás einem Unternehmen mit hoheitlichen Befugnissen gleichzustellen ist und damit unter den oben genannten funktionellen Begriff des Staates fällt oder dem Staat zuzurechnen ist, noch zu prüfen, ob das hier in Rede stehende Ministerium sich auf die Anwendung der nicht umgesetzten Richtlinie berufen kann.

B – Zur Frage, ob eine staatliche Behörde sich auf die Bestimmungen der streitigen Richtlinie gegenüber einer „Stelle, die dem Staat zuzurechnen ist “ berufen kann

49.

Wie ich oben erwähnt habe, scheint es kaum Zweifel daran zu geben, dass Richtlinienbestimmungen nicht als mit unmittelbarer Wirkung versehen gegenüber Einzelnen geltend gemacht werden können, da Richtlinien nur Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten begründen, an die sie gerichtet sind.

50.

Nach dieser Feststellung bleibt eine weitere Frage. Muss in jedem Fall ausgeschlossen werden, dass sich der Staat auf die Bestimmungen einer nicht umgesetzten Richtlinie berufen kann, oder gilt diese Beschränkung nur für den Fall, dass die Bestimmungen der Richtlinie einem Einzelnen gegenüber geltend gemacht werden sollen? Muss hier, sofern davon auszugehen sein sollte, dass es sich bei Portgás um eine „Stelle, die dem Staat zuzurechnen ist“ handelt, der die Bestimmungen der Richtlinie entgegengehalten werden können, deswegen ausgeschlossen werden, dass sich das Ministerium auf die genannte Richtlinie berufen kann?

51.

Meines Erachtens sollte diese Frage verneint werden.

52.

Aus den von mir im Folgenden erläuterten Gründen scheint mir jedoch, dass die Möglichkeit für eine staatliche Behörde, gegenüber einer anderen staatlichen Stelle die Nichtbeachtung von Vorschriften einer Richtlinie geltend zu machen, in einem solchen hypothetischen Fall nicht der Problematik der traditionellen Diskussion über die unmittelbare vertikale – und erst recht horizontale – Wirkung von Richtlinien zuzuordnen wäre, sondern ihren Ursprung in der für alle staatlichen Behörden geltenden Verpflichtung fände, Richtlinienbestimmungen zu beachten (Art. 288 Abs. 3 AEUV) sowie auf loyale Weise zusammenzuarbeiten und die vollständige Erfüllung der Verpflichtungen sicherzustellen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe ergeben (Art. 4 Abs. 3 EUV).

53.

Erstens steht die Problematik meiner Ansicht nach offenbar in keiner Verbindung zur Rechtsprechung über die Intensität der unmittelbaren Wirkung, die Richtlinienbestimmungen zuzuerkennen ist.

54.

Aus den in der Rechtsprechung gewählten Formulierungen und ihrer im Übrigen im Schrifttum vorgenommenen Auslegung geht nämlich hervor, dass sich die „beiden entgegengesetzten Seiten des für die unmittelbare Wirkung von Richtlinien charakteristischen vertikalen Verhältnisses“ ( 28 ) – wie ich oben ausgeführt habe – so darstellen, dass auf der einen Seite ein „Mitgliedstaat“ steht – oder eine Stelle, die Teil eines Mitgliedstaats ist oder ihm zuzurechnen ist –, gegenüber dem die Bestimmungen einer nicht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzten Richtlinie geltend gemacht werden können, und auf der anderen Seite ein „Einzelner“, der – und nur der – sich auf diese Bestimmungen berufen kann, sowie die Umsetzungsfrist abgelaufen ist ( 29 ).

55.

Es trifft zwar zu, dass der Gerichtshof anerkannt hat, dass öffentlich-rechtliche Körperschaften, die von vornherein mit Teilen des Staates gleichzusetzen sind, sich aufgrund der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien eventuell auf genaue und unbedingte Bestimmungen einer nicht umgesetzten Richtlinie berufen können, doch mussten die genannten Körperschaften oder Einheiten im Hinblick auf die fragliche Richtlinie gerade als Einzelne angesehen werden. So hat der Gerichtshof in der Rechtssache Comune di Carpaneto Piacentino u. a. betont, dass „[d]ie Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die in diesem Zusammenhang den Einzelnen gleichzustellen sind, … sich daher in Bezug auf die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegenden Tätigkeiten, die nicht in Anhang D der Richtlinie aufgeführt sind, auf die Regel der Behandlung als Nichtsteuerpflichtige berufen [können]“ ( 30 ).

56.

Zweitens erscheint es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass das auf den Grundsatz des „estoppel“ oder die Regel „nemo auditur propriam turpitudinem allegans“ gestützte Argument nicht die gleiche Zustimmung in einer Fallgestaltung findet, in der sich eine staatliche Einheit gegenüber einer anderen staatlichen Einheit oder einem anderen Teil des Staates auf die Bestimmungen einer Richtlinie beruft. Dieses Argument ist zwar sinnvoll, wenn der Staat Einzelnen die Nichterfüllung von Verpflichtungen aus einer europäischen Richtlinie entgegenhalten möchte, soweit damit verhindert werden soll, dass der Staat irgendeinen Vorteil aus seiner Umsetzungsverpflichtung ziehen kann, anders verhält es sich jedoch in dem Fall, dass sich in einem Rechtsstreit zwei Teile des Staates einander gegenüberstehen.

57.

Wenn man – um zum Ausgangsverfahren zurückzukehren – unterstellt, dass Portgás als Stelle, die dem Staat zuzurechnen ist, im Sinne der erwähnten Rechtsprechung Foster u. a. anzusehen ist, wären wir somit letztlich mit zwei Mängeln konfrontiert: Zum einen hätte der Staat seine Verpflichtung aus Art. 288 AEUV, die Richtlinie 93/38 umzusetzen, nicht beachtet, zum anderen aber wäre Portgás als Auftraggeberin vorzuwerfen, die Bestimmungen der genannten Richtlinie nicht beachtet zu haben.

58.

In einer solchen Fallgestaltung bin ich der Ansicht, dass diese Problematik nicht mit irgendeiner Diskussion über die Tragweite und die Intensität der unmittelbaren Wirkung, die genauen und unbedingten Richtlinienbestimmungen zukommen muss, in Zusammenhang steht, sondern sich in den Rahmen der Verpflichtungen, die den staatlichen Behörden aufgrund ihrer Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit sowie ihrer Pflicht zur Sicherstellung der vollständigen Erfüllung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Verpflichtungen einfügt.

59.

In dieser Hinsicht ist es mir wichtig zu betonen, dass die erste Verpflichtung der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der Durchführung von Richtlinien zwar unleugbar darin besteht, das nationale Recht durch den fristgerechten Erlass von Umsetzungsmaßnahmen, die sowohl dem Wortlaut als auch den verfolgten Zielen entsprechen, mit den jeweiligen Richtlinien in Einklang zu bringen, dass diese Verpflichtung aber noch weiter geht. Die Richtlinien zuerkannte Bindungswirkung bedeutet, dass auch über die Umsetzungsverpflichtung hinaus alle Behörden und Teile des Staates die wirksame Durchführung dieser Rechtsakte gewährleisten.

60.

Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit ergreifen die Mitgliedstaaten alle zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Unionsrecht geeigneten Maßnahmen allgemeiner und besonderer Art. Wie der Gerichtshof dargelegt hat, gelten die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in ihr vorgesehene Ergebnis zu erreichen, sowie die Pflicht kraft der Verträge, alle zur Erfüllung der Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu ergreifen, für alle Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten ( 31 ).

61.

Der Gerichtshof hat so festgestellt, dass neben den zentralen staatlichen Behörden auch die dezentralisierten Behörden – unabhängig von ihrem Grad an Autonomie – sowie die Gerichte der Verpflichtung unterliegen, alle zur Gewährleistung der Durchführung von Richtlinien geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu ergreifen.

62.

Meiner Ansicht nach ist diese Durchführungsverpflichtung nicht allein auf diese Behörden zu beschränken, und es ist – im Interesse der Kohärenz – angebracht, sie auf alle Stellen und Einheiten zu erstrecken, die die Voraussetzungen dafür erfüllen, im funktionellen Sinne dem Staat zugerechnet werden zu können, wobei die groben Linien für diese Zurechnung im bereits erwähnten Urteil Foster u. a. formuliert wurden.

63.

Sollte somit, um zum hier vorgelegten Fall zurückzukehren, festgestellt werden, dass eine Einrichtung wie Portgás, die eine Konzession zur Erbringung einer öffentlichen Dienstleistung besitzt und zudem Auftraggeberin ist, dem Staat gleichzustellen ist, sehe ich keinen Hinderungsgrund dafür, dass ihr die Bestimmungen der Richtlinie 93/38 entgegengehalten werden können. Vielmehr können ihr nicht nur diese Bestimmungen entgegengehalten werden, sondern sie hätte zudem in ihrer Eigenschaft als Teil des Staates die Verpflichtung, alle zu ihrer Umsetzung erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, was im Übrigen unabhängig davon gilt, ob die Bestimmungen die technischen Voraussetzungen für eine Geltendmachung im Wege der unmittelbaren Wirkung erfüllen. In diesem Fall müsste der Schluss gezogen werden, dass Portgás den mit dieser Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen seit dem 1. Januar 1998 unterlag, und sie hätte im Übrigen wegen einer Verletzung dieser Verpflichtungen entweder durch eine Entscheidung der zuständigen Aufsichtsbehörde oder durch eine Entscheidung der mitgliedstaatlichen Gerichtsbarkeit auf die Klage von durch die Verletzung geschädigten Dritten hin mit Sanktionen belegt werden können. Solche Sanktionen wären angemessene Maßnahmen zur Umsetzung der fraglichen Richtlinie, weil sie gerade zum Ziel haben, den Erlass von Entscheidungen oder die Wahl von Verfahren zu fördern, die mit der Richtlinie im Einklang stehen.

64.

Außerdem ist das Ministerium in seiner Eigenschaft als Aufsichtsbehörde durch die Geltendmachung der Missachtung einiger Bestimmungen der in Rede stehenden Richtlinie 93/38 durch Portgás nur seiner Verpflichtung zur Durchführung und zur loyalen Zusammenarbeit nachgekommen, unabhängig von der Umsetzung der genannten Richtlinie. Man kann ihm aus dieser Perspektive nicht vorwerfen, irgendeinen Vorteil aus der Situation der Nichtumsetzung gezogen zu haben.

65.

Diese Verpflichtung zur Zusammenarbeit und zur Herstellung von Konformität dürfte meines Erachtens noch verstärkt sein, wenn, wie im Ausgangsverfahren, die fragliche staatliche Behörde als Aufsichtsbehörde damit beauftragt ist, die ordnungsgemäße Verwaltung und die Konformität von Operationen sicherzustellen, die Gegenstand einer Finanzierung durch die Strukturfonds sind. Wie die Kommission in ihren Schriftsätzen betont hat, tragen die von den Mitgliedstaaten zur Verwaltung der Interventionen dieser Fonds ausgewählten Verwaltungsbehörden eine besondere Verantwortung dahin gehend, dass sie ausdrücklich sicherstellen müssen, dass diese den Bestimmungen des Vertrags und der Sekundärrechtsakte entsprechen, unter denen sich diejenigen über die Vergabe öffentlicher Aufträge befinden ( 32 ).

66.

Wenn man zu der Schlussfolgerung gelangen sollte, dass Portgás dem Staat gleichzustellen ist, sehe ich demnach keinen Hinderungsgrund dafür, ihr die Bestimmungen der Richtlinie 93/38 entgegenzuhalten, und zwar auch dann nicht, wenn dies von einer anderen Behörde des Staates geltend gemacht wird. Es trifft zwar zu, dass die Rechtsprechung die unmittelbare Wirkung nicht umgesetzter Richtlinien nur dann anerkennt, wenn ein Einzelner sie gegenüber dem Staat oder einer anderen ihm gleichgestellten Einrichtung geltend macht, und sie ausdrücklich ausschließt, wenn der Staat sie gegenüber einem Einzelnen geltend macht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Bestimmungen einer Richtlinie nicht in einem Rechtsstreit zwischen dem Staat und einer ihm angegliederten Einrichtung geltend gemacht werden können. Es geht dann nicht mehr um die Frage nach der unmittelbaren Wirkung, sondern um das Gebot der Umsetzung einer Richtlinie im Hinblick auf die Pflicht zur Erfüllung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Verpflichtungen und zur loyalen Zusammenarbeit, die allen Behörden und Teilen des Staates obliegt.

IV – Ergebnis

67.

Im Licht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Tribunal Administrativo e Fiscal do Porto zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:

Art. 4 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie‑ und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor in der durch die Richtlinie 98/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 geänderten Fassung können von den Behörden eines Mitgliedstaats gegenüber einem Privatunternehmen nicht mit der alleinigen Begründung, es handele sich um einen Alleinkonzessionär einer im öffentlichen Interesse liegenden und in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Dienstleistung, geltend gemacht werden, wenn die Richtlinie noch nicht in die nationale Rechtsordnung des entsprechenden Staates umgesetzt wurde. Es ist Sache des nationalen Richters, zu klären, ob das fragliche Unternehmen zusätzlich zu seiner Stellung als Konzessionär einer öffentlichen Dienstleistung über außerordentliche Befugnisse verfügt.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) Urteil vom 5. Februar 1963 (26/62, Slg. 1963, 3).

( 3 ) ABl. L 199, S. 84.

( 4 ) ABl. L 101, S. 1.

( 5 ) Diário da República I, Serie A, Nr. 184 vom 9. August 2001, S. 5002.

( 6 ) Sie wird nach den Angaben der Klägerin des Ausgangsverfahrens seit ihrer Gründung mehrheitlich von privaten Aktionären gehalten.

( 7 ) Nach ständiger Rechtsprechung können sich die Einzelnen in all den Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat (vgl. u. a. Urteile vom 19. Januar 1982, Becker, 8/81, Slg. 1982, 53, Randnr. 25, und vom 24. Januar 2012, Dominguez, C‑282/10, Randnr. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 8 ) Vgl. u. a. Urteile vom 20. September 1988, Beentjes (31/87, Slg. 1988, 4635, Randnrn. 40 bis 44), vom 22. Juni 1989, Costanzo (103/88, Slg. 1989, 1839, Randnrn. 29 bis 31), vom 24. September 1998, Tögel (C-76/97, Slg. 1998, I-5357, Randnrn. 42 bis 47), vom 4. März 1999, HI (C-258/97, Slg. 1999, I-1405, Randnrn. 34 bis 39), vom 16. September 1999, Fracasso und Leitschutz (C-27/98, Slg. 1999, I-5697, Randnrn. 36 und 37), und vom 18. Oktober 2001, SIAC Construction (C-19/00, Slg. 2001, I-7725, Randnrn. 35 bis 45).

( 9 ) Vgl. u. a. Urteil vom 26. Februar 1986, Marshall (152/84, Slg. 1986, 723, Randnr. 47).

( 10 ) Urteile Marshall (Randnr. 48), vom 8. Oktober 1987, Kolpinghuis Nijmegen (80/86, Slg. 1987, 3969, Randnr. 9), und vom 26. September 1996, Arcaro (C-168/95, Slg. 1996, I-4705, Randnr. 36).

( 11 ) Vgl. u. a. Urteil Kolpinghuis Nijmegen (Randnr. 10).

( 12 ) Es ist nicht möglich, an dieser Stelle die zahlreichen Kommentare zur Rechtsprechung und die Beiträge der Lehre, die den Voraussetzungen für die Geltendmachung von Richtlinien, insbesondere in horizontalen Streitigkeiten, gewidmet sind, aufzuzählen. Ich beschränke mich insoweit darauf, auf die Quellen zu verweisen, die Generalanwalt Cruz Villalón unter der Nr. 75 (Fn. 32) seiner unlängst verlesenen Schlussanträge in der beim Gerichtshof anhängigen Rechtssache Association de médiation sociale (C‑176/12) angegeben hat.

( 13 ) Vgl. u. a. Urteil Arcaro (Randnr. 42).

( 14 ) Vgl. u. a. Urteil Costanzo (Randnr. 32).

( 15 ) Vgl. u. a. Urteil Marshall (Randnr. 49).

( 16 ) Urteil vom 12. Juli 1990 (C-188/89, Slg. 1990, I-3313, Randnr. 20).

( 17 ) Urteile vom 14. September 2000, Collino und Chiappero (C-343/98, Slg. 2000, I-6659, Randnr. 23), vom 5. Februar 2004, Rieser Internationale Transporte (C-157/02, Slg. 2004, I-1477, Randnr. 24), vom 19. April 2007, Farrell (C-356/05, Slg. 2007, I-3067, Randnr. 40), und Dominguez (Randnr. 39).

( 18 ) Vgl. Urteil Rieser Internationale Transporte (Randnr. 29).

( 19 ) Vgl. Urteil Collino und Chiappero (Randnr. 23).

( 20 ) Vgl. Randnrn. 25 bis 27 des Urteils. Um zu der Schlussfolgerung zu gelangen, dass Asfinag sich die Bestimmungen einer Richtlinie, die unmittelbare Wirkung haben könnte, entgegenhalten lassen muss, hat der Gerichtshof zuvor festgestellt, dass diese Einrichtung nicht nur kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen hatte, sondern zudem mit besonderen Rechten ausgestattet war.

( 21 ) Vgl. u. a. Urteile vom 14. Juli 1994, Faccini Dori (C-91/92, Slg. 1994, I-3325), in Bezug auf die Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Fall von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl. L 372, S. 31) und vom 12. Dezember 1996, X (C-74/95 und C-129/95, Slg. 1996, I-6609), in Bezug auf Personen, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 90/270/EWG des Rates vom 29. Mai 1990 über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (fünfte Einzelrichtlinie im Sinne von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. L 156, S. 14) fallen.

( 22 ) Wie Generalanwalt Alber in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache, in der das Urteil Rieser Internationale Transporte ergangen ist, dargelegt hat (Nr. 35), muss „[d]er Begriff des öffentlichen Auftraggebers … nicht zwingend dieselbe Bedeutung haben wie der Begriff des Staates im funktionellen Sinne, dem gegenüber sich der Einzelne auf die unmittelbare Wirkung einer Richtlinie berufen kann“.

( 23 ) Wie Generalanwalt Van Gerven in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Foster u. a. (Nr. 22) betont hat, kann eine unbedingte und hinreichend genaue Bestimmung gegenüber einem solchen Unternehmen geltend gemacht werden, für das der Staat „eine Verantwortung übernommen hat, die ihn in die Lage versetzt, auf welche Weise auch immer (nur nicht durch allgemeine Gesetzgebung) entscheidend Einfluss auf dessen Verhalten in dem Bereich zu nehmen, für den die betreffende Richtlinienbestimmung, die der Mitgliedstaat nicht in sein nationales Recht umgesetzt hat, eine Verpflichtung auferlegt“.

( 24 ) Diese bestehen insbesondere in der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 33/91 (Diário da República I, Serie A, Nr. 13 vom 16. Januar 1991, S. 235) und in dem im Dezember 1993 zwischen Portgás und dem portugiesischen Staat geschlossenen Vertrag über die Konzession zur Verteilung von Gas.

( 25 ) In diesem Sinne zeigt sich, dass der Staat nicht über die Befugnis zur Ernennung der Unternehmensleitung, die Möglichkeit, allgemeine Leitlinien – und in einzelnen Fällen verbindliche Anweisungen – zu diversen Fragen zu geben oder die Befugnis verfügt, den Verwendungszweck bestimmter Gelder anzuordnen, wodurch auf die betroffene Unternehmensleitung Druck ausgeübt werden könnte.

( 26 ) Wie aus Randnr. 15 des Urteils Foster u. a. hervorgeht, ist der Gerichtshof dafür zuständig, im Wege der Vorabentscheidung festzustellen, gegenüber welchen Gruppen von Rechtssubjekten die Bestimmungen einer Richtlinie geltend gemacht werden können, doch ist es Sache der nationalen Gerichte, darüber zu entscheiden, ob eine Partei in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit zu einer dieser so definierten Gruppen gehört.

( 27 ) Vgl. u. a. Urteile Collino und Chiappero (Randnr. 24), Farrell (Randnr. 41) sowie Dominguez (Randnr. 40).

( 28 ) Vgl. Simon, D., La directive européenne, Dalloz, 1997, S. 73.

( 29 ) Wenn man im Übrigen die ursprüngliche vom Unionsrichter verwendete Formulierung übernimmt, beruht die Anerkennung der unmittelbaren Wirkung auf der „Wachsamkeit der an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Einzelnen“ (vgl. Urteil van Gend & Loos, S. 26).

( 30 ) Urteil vom 17. Oktober 1989, Comune di Carpaneto Piacentino u. a. (231/87 und 129/88, Slg. 1989, 3233, Randnr. 31).

( 31 ) Vgl. insbesondere Urteile vom 10. April 1984, von Colson und Kamann (14/83, Slg. 1983, 1891), und Kolpinghuis Nijmegen (Randnr. 12).

( 32 ) Vgl. insbesondere die Art. 12 und 38 der Verordnung (EG) Nr. 1260/1999 des Rates vom 21. Juni 1999 mit allgemeinen Bestimmungen über die Strukturfonds (ABl. L 161 S. 1), die auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar ist. Im vorliegenden Fall könnte es erstaunen, dass die Debatte sich auf die Frage der möglichen Geltendmachung der Richtlinie 93/38 fokussiert hat, obwohl die zuständigen nationalen Behörden in jedem Fall gehalten waren, die volle Beachtung der Bestimmungen der europäischen Verordnung sicherzustellen, die auf die im Bereich der öffentlichen Aufträge anwendbaren Vorschriften verweisen, deren Verbindlichkeit und unmittelbare Wirkung außer Zweifel steht.

Top