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Document 61999CC0316

Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 18. Januar 2001.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland.
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 96/43/EG - Nichtumsetzung innerhalb der vorgeschriebenen Frist.
Rechtssache C-316/99.

Sammlung der Rechtsprechung 2001 I-02037

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2001:38

61999C0316

Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 18. Januar 2001. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 96/43/EG - Nichtumsetzung innerhalb der vorgeschriebenen Frist. - Rechtssache C-316/99.

Sammlung der Rechtsprechung 2001 Seite I-02037


Schlußanträge des Generalanwalts


A - Ausgangsverfahren

1. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 24. August 1999 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 226 Absatz 2 EG Klage erhoben auf Feststellung, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag und der Richtlinie 96/43/EG des Rates vom 26. Juni 1996 zur Änderung und Kodifizierung der Richtlinie 85/73/EWG zur Sicherstellung der Finanzierung der veterinär- und hygienerechtlichen Kontrollen von lebenden Tieren und bestimmten tierischen Erzeugnissen sowie zur Änderung der Richtlinien 90/675/EWG und 91/496/EWG (ABl. L 162, S. 1; im Folgenden: Richtlinie) verstoßen hat, dass sie nicht innerhalb der festgesetzten Frist die Vorschriften erlassen hat, deren es bedurfte, um diese Richtlinie in innerstaatliches Recht umzusetzen.

2. Artikel 1 der Richtlinie ersetzte die Artikel und die Anhänge der Richtlinie 85/73 durch die neue Fassung im Anhang der Richtlinie, während Artikel 2 der Richtlinie verschiedene Änderungen der Richtlinien 90/675 und 91/496 vornahm. Sodann sah Artikel 4 der Richtlinie vor, dass die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, die erforderlich sind, um der Richtlinie nachzukommen (Absatz 1), und der Kommission den Wortlaut der wichtigsten innerstaatlichen Rechtsvorschriften mitteilen, die sie auf dem unter die Richtlinie fallenden Gebiet erlassen (Absatz 2). Nach Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe i der Richtlinie musste der Erlass dieser innerstaatlichen Rechtsvorschriften für Artikel 7 und Kapitel I Nummer 1 Buchstabe e des Anhangs A der Richtlinie 85/73/EWG bis zum 1. Juli 1996 erfolgen, für Kapitel II und Kapitel III Abschnitt II des Anhangs A und Kapitel II des Anhangs C der Richtlinie 85/73/EWG bis zum 1. Januar 1997 (Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe ii in der Fassung der Berichtigung vom 11. Januar 1997, ABl. L 8, S. 32) und für die übrigen Änderungen bis zum 1. Juli 1997 (Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe iii). In Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie wurde den Mitgliedstaaten jedoch eine zusätzliche Frist bis zum 1. Juli 1999 gewährt, um Kapitel III Abschnitt I des Anhangs A der Richtlinie 85/73/EWG nachzukommen.

B - Vorverfahren

3. Da die Kommission keine Mitteilung über die Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie in innerstaatliches Recht von der deutschen Regierung erhalten hatte, ersuchte sie diese am 5. November 1997 gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) um Äußerung binnen zwei Monaten. In ihrer Mitteilung vom 11. Februar 1998, übermittelt mit Schreiben der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland vom 17. Februar 1998, antwortete die Bundesregierung der Kommission im Wesentlichen, die Umsetzung des in die Zuständigkeit des Bundes fallenden Teils der Richtlinie sei beendet, während die Umsetzung auf Länderebene noch im Gange, aber fast abgeschlossen sei.

4. Nachdem die Kommission daraufhin festgestellt hatte, dass die Umsetzung der Richtlinie noch nicht beendet war und sie seit diesem Schriftwechsel von der Bundesregierung auch keine weitere diesbezügliche Mitteilung erhalten hatte, richtete sie am 7. August 1998 an die Bundesregierung eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie dieser die Verletzung der sich aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen vorwarf und sie aufforderte, die notwendigen Maßnahmen innerhalb einer Frist von zwei Monaten zu treffen. In ihrer Antwort vom November 1998 auf die mit Gründen versehene Stellungnahme aktualisierte die Bundesrepublik die Übersicht über den Stand der Umsetzung der Richtlinie in den Bundesländern. Auch aus diesen Daten ging jedoch hervor, dass die Umsetzung noch nicht als abgeschlossen gelten konnte.

5. Da die Kommission seitdem keine weiteren Informationen von der Bundesregierung erhalten hatte und die Frist, die in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme angegeben war, längst abgelaufen war, hat sie am 24. August 1999 das vorliegende Verfahren anhängig gemacht.

C - Verteidigung der Bundesregierung

6. Die Bundesregierung führt in ihrer Klagebeantwortung aus, die Umsetzung der Richtlinie habe gegenüber dem in der Klageschrift dargelegten Sachverhalt zwar weitere Fortschritte gemacht, sei aber noch nicht abgeschlossen. Sie bestreitet also nicht, dass die Richtlinie bei Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission angegeben war, nicht vollständig in deutsches Recht umgesetzt war; sie wendet lediglich ein, die Verzögerung stelle keine ihr zuzurechnende Vertragsverletzung dar, und zwar aus folgenden Gründen.

7. Vor allem seien verschiedene Aspekte der Richtlinie unklar oder widersprüchlich und es sei für sie oder die betreffenden Landesregierungen daher nicht einfach, die Richtlinie korrekt umzusetzen. Eine Reihe von Begegnungen der Bundes- und der Länderbehörden mit den Dienststellen der Kommission hätte zu einer Aufklärung und einer Abstimmung im Hinblick auf die Umsetzung der Richtlinie führen sollen. Diese Treffen, die am 2. Juli und am 2. Dezember 1997 sowie am 24. November 1998 stattgefunden hätten, seien jedoch ohne konkretes Ergebnis geblieben oder hätten zu widersprüchlichen Ergebnissen geführt.

8. Zudem habe die Kommission selbst zu den Schwierigkeiten beigetragen, da die verschiedenen Dienststellen der Kommission, die an jenen Treffen teilgenommen hätten, einige Vorschriften der Richtlinie nicht übereinstimmend ausgelegt hätten. Die Kommission sei daher ihrer Pflicht zu loyaler Zusammenarbeit im Sinne des Artikels 10 EG nicht nachgekommen und verstoße jetzt mit der vorliegenden Klage ihr gegenüber gegen Treu und Glauben.

9. Schließlich stützt die Bundesregierung ihre Verteidigung auf das Urteil des Gerichtshofes vom 9. September 1999 in der Rechtssache C-374/97 (Feyrer, Slg. 1999, I-5153), mit dem der Gerichtshof verschiedene Bestimmungen der Richtlinie 85/73/EWG (in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG des Rates vom 22. Dezember 1993, ABl. L 340, S. 15), d. h. der durch die jetzt in Rede stehende Richtlinie geänderten und kodifizierten Richtlinie, ausgelegt hat. Die von der Kommission beanstandeten Verzögerungen bei der Umsetzung der Richtlinie seien auch deshalb gerechtfertigt, weil man erst jene Vorabentscheidung habe abwarten müssen. Aus all diesen Gründen hat die Bundesregierung daher beantragt, die Klage abzuweisen.

D - Rechtliche Würdigung

10. Der Klage der Kommission kann zumindest teilweise nicht stattgegeben werden. Sie ist auf die Feststellung gerichtet, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen verstoßen hat, dass sie die Richtlinie als Ganze nicht fristgemäß umgesetzt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist jedoch das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Lage bei Ablauf der Frist zu beurteilen, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme festgesetzt worden ist. Nun hatte die Bundesrepublik Deutschland zu diesem Zeitpunkt (also Anfang Oktober 1998) noch mehrere Monate Zeit für die Umsetzung des Anhangs A Kapitel III Abschnitt I der Richtlinie 85/73, da Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie, wie oben erwähnt, den Mitgliedstaaten für die Umsetzung dieses Teils der Richtlinie eine längere Frist einräumte (1. Juli 1999). Was die Beanstandungen der Kommission insofern betrifft, ist die Klage daher meines Erachtens als unzulässig abzuweisen. Sie ist jedoch zulässig, soweit sie sich auf die mangelnde Umsetzung des Artikels 4 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie bezieht und in diesem Rahmen werde ich sie im Folgenden prüfen.

11. Aber auch mit dieser Beschränkung kann man die Argumente, die die Bundesregierung gegen die Klage der Kommission vorgebracht hat, nicht gelten lassen.

12. Vor allem ist darauf hinzuweisen - und dies ist wohl schon entscheidend -, dass der Vorwurf der Vertragsverletzung begründet ist, wenn die Umsetzung einer Richtlinie nicht innerhalb der hierzu vorgesehenen Frist vollständig und korrekt erfolgt ist. Im vorliegenden Fall ist die Verzögerung der Umsetzung unstreitig. Auch hat sich die Bundesregierung nicht auf das Vorliegen eines Falls höherer Gewalt oder absoluter Unmöglichkeit der Umsetzung berufen, also auf keinen der seltenen Rechtfertigungsgründe, die der Gerichtshof grundsätzlich im Fall einer verspäteten Umsetzung einer Gemeinschaftshandlung durch einen Mitgliedstaat als zulässig ansieht. Sie stützt ihr Vorbringen, wie gesagt, allein auf die Auslegungsschwierigkeiten, die die Richtlinie angeblich mit sich bringt. Abgesehen davon, dass zweifelhaft ist, ob diese Schwierigkeiten so entscheidend sein konnten, wenn sie bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission festgesetzten Frist nur für einige Länder fortbestanden, hat jedoch nicht einmal die Bundesregierung behauptet, sie könnten als geeignet gelten, das Vorliegen eines Falles höherer Gewalt" oder absoluter Unmöglichkeit" auszulösen.

13. Der Vollständigkeit halber werde ich jedoch das Vorbringen der Bundesregierung gleichermaßen auf seine Begründetheit prüfen. Zunächst ergibt sich aus den Akten nicht ganz klar, auf welche Auslegungsschwierigkeiten sich der Bund und/oder die Länder berufen. Die Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland erscheint in diesem Punkt tatsächlich zu allgemein, um ihr genau entnehmen zu können, inwiefern diese Schwierigkeiten die Umsetzung der Richtlinie hindern konnten. Dies gilt umso mehr, als andere Mitgliedstaaten offensichtlich solche Schwierigkeiten oder jedenfalls so große Schwierigkeiten, dass die Umsetzung der Richtlinie ausgeschlossen wäre, nicht angeführt haben. Wenn daher die besagten Schwierigkeiten mit Eigenheiten der deutschen Rechtsordnung verbunden waren, ist daran zu erinnern, dass ein Mitgliedstaat nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes die Nichtbeachtung der Verpflichtungen aus einer Richtlinie und der für ihre Umsetzung vorgeschriebenen Fristen nicht durch Berufung auf Bestimmungen, Praktiken oder Situationen der eigenen Rechtsordnung rechtfertigen kann. Zudem darf man nicht einmal gestützt auf Probleme bei der Auslegung der Richtlinie die Umsetzung über die festgesetzten Fristen hinaus aufschieben.

14. Außerdem macht die Bundesregierung geltend, sie habe sich um eine Lösung der erwähnten Auslegungsschwierigkeiten mit Hilfe der Kommission bemüht, und verweist nachdrücklich auf die Treffen mit den Dienststellen der Kommission zur Erörterung der Probleme bei Umsetzung der Richtlinie. Dieses nachdrückliche Vorbringen soll wohl - durchaus verständlicherweise - in erster Linie das einwandfreie Verhalten und den guten Glauben der Bundesregierung bezeugen. Angesichts des objektiven Charakters eines Vertragsverletzungsverfahrens, kann jedoch der gute Glaube der Regierung des betreffenden Mitgliedstaats, soweit er einschlägig und feststellbar ist, gewiss nicht die Tatsache der Nichterfuellung beseitigen, wenn eine solche vorgelegen hat. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Treffen, auf die sich die Bundesregierung bezieht, erst nach Ablauf der in Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie vorgesehenen Fristen stattgefunden haben. Es bedarf kaum der Erwähnung, dass sich die Bundesregierung gemäß der Pflicht zur Zusammenarbeit nach Artikel 10 EG hätte rechtzeitig mit den Dienststellen der Kommission in Verbindung setzen müssen, um eine Lösung für ihre Probleme zu finden und möglicherweise um eine Verlängerung der in der Richtlinie festgelegten Fristen nachzusuchen.

15. Eher könnte hingegen das Argument greifen, auf das sich die Bundesregierung stützt, wenn sie die Verletzung ihres guten Glaubens durch das angeblich wenig kooperative oder widersprüchliche Verhalten der Kommission bei den genannten Treffen beklagt. Verhielt sich diese wirklich so (und es gibt keinen Grund, der Bundesregierung nicht zu glauben, zumal die Kommission in ihren Schriftsätzen auf diesen Punkt nicht eingegangen ist), hätte die Unterschiedlichkeit oder sogar Widersprüchlichkeit der Angaben der Dienststellen der Kommission bei dieser Gelegenheit der Bundesregierung gewiss nicht eine schon wegen innerstaatlicher Schwierigkeiten mühsame Aufgabe erleichtert. Die Kritik der Bundesregierung gegenüber der Kommission wäre daher sicher nicht ungerechtfertigt, da es den Dienststellen der Kommission obliegt, zu einer einheitlichen Position zu gelangen, ehe sie an Treffen teilnehmen, in denen von ihnen ein Beitrag zur Lösung von Problemen verlangt wird, die das Gemeinschaftsrecht für einen Mitgliedstaat aufwirft. Das beanstandete Verhalten der Kommission fand jedoch wie gesagt nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie statt und wiegt zumindest nach der vorliegenden Darstellung jedenfalls nicht so schwer, dass es die fehlende Umsetzung rechtfertigen könnte.

16. Soweit sich die Bundesregierung schließlich auf die Entscheidung Feyrer (Nr. 9 dieser Schlussanträge) beruft, beschränke ich mich auf die Feststellung, dass der Vorlagebeschluss in dieser Rechtssache am 20. Oktober 1997 erlassen worden und am 3. November 1997 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist. Zu diesem Zeitpunkt hätten die Bestimmungen des Artikels 4 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie in der Bundesrepublik Deutschland bereits umgesetzt sein müssen.

17. Daher ergibt sich meines Erachtens, dass die fehlende Umsetzung des Artikels 4 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 96/43 von Seiten der Bundesrepublik Deutschland eine Verletzung ihrer Verpflichtungen aus dieser Richtlinie und Artikel 249 Absatz 3 EG darstellt.

18. Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen in der Hauptsache unterlegen ist, sind ihr gemäß dem entsprechenden Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Antrag

Nach alldem schlage ich dem Gerichtshof daher vor, wie folgt zu entscheiden:

1. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 249 Absatz 3 EG und Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 96/43/EG des Rates vom 26. Juni 1996 zur Änderung und Kodifizierung der Richtlinie 85/73/EWG zur Sicherstellung der Finanzierung der veterinär- und hygienerechtlichen Kontrollen von lebenden Tieren und bestimmten tierischen Erzeugnissen sowie zur Änderung der Richtlinien 90/675/EWG und 91/496/EWG verstoßen, dass sie nicht innerhalb der festgesetzten Frist die Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, deren es bedurfte, um Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 96/43 in innerstaatliches Recht umzusetzen.

2. Im Übrigen wird die Klage als unzulässig abgewiesen.

3. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.

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