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Document 61997CC0193

Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer vom 5. März 1998.
Manuel de Castro Freitas (C-193/97) und Raymond Escallier (C-194/97) gegen Ministre des Classes moyennes et du Tourisme.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal administratif - Grossherzogtum Luxemburg.
Niederlassungsfreiheit - Richtlinie 64/427/EWG - Selbständige Tätigkeiten der be- und verarbeitenden Gewerbe - Bedingungen für den Zugang zum Beruf.
Verbundene Rechtssachen C-193/97 und C-194/97.

Sammlung der Rechtsprechung 1998 I-06747

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1998:91

61997C0193

Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer vom 5. März 1998. - Manuel de Castro Freitas (C-193/97) und Raymond Escallier (C-194/97) gegen Ministre des Classes moyennes et du Tourisme. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal administratif - Grossherzogtum Luxemburg. - Niederlassungsfreiheit - Richtlinie 64/427/EWG - Selbständige Tätigkeiten der be- und verarbeitenden Gewerbe - Bedingungen für den Zugang zum Beruf. - Verbundene Rechtssachen C-193/97 und C-194/97.

Sammlung der Rechtsprechung 1998 Seite I-06747


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Das Tribunal administratif Luxemburg ersucht den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Auslegung einiger Bestimmungen der Richtlinie 64/427/EWG(1), damit es über die Rechtsstreitigkeiten entscheiden kann, die der portugiesische Staatsangehörige Manuel de Castro Freitas sowie der französische Staatsangehörige Raymond Escallier bei ihm anhängig gemacht haben. Diese beiden Klagen sind gegen den luxemburgischen Minister für Mittelstand und Tourismus (Minister) gerichtet und zielen auf die Änderung von Verwaltungsentscheidungen ab, mit denen ihnen die Erlaubnis verweigert wurde, sich als Selbständige in Luxemburg niederzulassen, um dort die gleichen Berufe auszuüben, die sie zuvor in Portugal und Frankreich ausgeuebt hatten.

I - Sachverhalt der beiden Rechtsstreitigkeiten

2 Aus den Akten geht hervor, daß Herr de Castro Freitas am 21. Oktober 1993 bei den luxemburgischen Behörden eine Niederlassungserlaubnis für die Ausübung der Tätigkeit "Bauhandwerk: Errichtung und Instandsetzung von Gebäuden einschließlich Fassadenarbeiten" beantragte. Am 10. Januar 1994 wurde ihm mitgeteilt, daß seinem Antrag auf der Grundlage der von ihm vorgelegten Bescheinigungen nicht stattgegeben werden könne, und er wurde aufgefordert, eine EG-Bestätigung gemäß Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 64/427 vorzulegen, die die Confederaçao da Industria Portugüsa (im folgenden: Verband) über die von ihm in Portugal ausgeuebten Tätigkeiten ausstellen sollte. Daraufhin legte er eine Bescheinigung vor, die die Handels- und Industrievereinigung von Fafe, Cabeceiras de Basto und Celorico de Basto ausgestellt hatte. Mit Entscheidung vom 3. März 1994 verweigerten die luxemburgischen Behörden die Niederlassungserlaubnis, weil er keine EG-Bestätigung vorgelegt hatte.

3 Nachdem die luxemburgischen Behörden eine EG-Bestätigung des Verbandes vom 24. April 1994 erhalten hatten, in der bescheinigt wurde, daß Herr de Castro Freitas vom 6. Januar 1981 bis 31. Dezember 1989 in Portugal eine Tätigkeit im Bauhandwerk ausgeuebt hatte, erteilten sie ihm am 15. Juni 1994 eine Niederlassungserlaubnis für die Tätigkeit eines Bauunternehmens. Mit Schreiben vom 27. Juni 1994 wurde der Empfänger darüber unterrichtet, daß ihm für den Beruf des Verputzers keine Niederlassungserlaubnis erteilt werden könne, da er nach Abzug der für den Beruf eines Bauunternehmers berücksichtigten Jahre noch eine zusätzliche Zeit früherer Tätigkeit nachweisen müsse, um die Voraussetzungen des Artikels 3 der Richtlinie 64/427 zu erfuellen.

4 Nachdem er sich eine neue EG-Bestätigung des Verbandes vom 27. September 1994 hatte ausstellen lassen, in der erwähnt wurde, daß er während desselben Zeitraums von neun Jahren ausserdem die Tätigkeit "Endbearbeitung der Aussenflächen, Fassaden und Dächer" im Sinne des Berufsbildes, das von den Behörden des Großherzogtums mitgeteilt worden war, ausgeuebt habe, stellte Herr de Castro Freitas einen neuen Antrag auf Niederlassungserlaubnis für die Tätigkeit eines Verputzers. Die Erteilung dieser Erlaubnis wurde am 10. November 1994 aus dem gleichen Grund abgelehnt, nämlich daß er nicht den Nachweis erbracht habe, daß er eine zusätzliche Zeit der Tätigkeit zurückgelegt habe, um die Voraussetzung einer Mindestausübungsdauer von sechs Jahren in diesem Beruf zu erfuellen.

5 Darufhin stellte Herr de Castro Freitas einen dritten Antrag auf Niederlassungserlaubnis, dem er dieses Mal eine Bescheinigung des Verbandes vom 25. Dezember 1994 beifügte, in der bestätigt wurde, daß er während desselben Zeitraums die diesmal als "Bauhandwerk" und "Fertigstellung der Aussenflächen, Fassaden und Dächer" bezeichnete Tätigkeit ausgeuebt habe. Mit Schreiben vom 20. Januar 1995 wurde ihm mitgeteilt, daß sein neuer Antrag wegen Fehlens neuer Tatsachen abgelehnt worden sei, da die in der Bescheinigung genannten Qualifikationen bereits bei den früheren Entscheidungen berücksichtigt worden seien. Der vom Antragsteller am 20. Februar 1995 eingelegte Widerspruch wurde vom Minister durch Entscheidung vom 17. März 1995 wegen Fehlens neuer Tatsachen zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung reichte der Betroffene am 19. April 1995 eine Klage auf Abänderung, hilfsweise, auf Aufhebung ein.

6 Kläger des Ausgangsverfahrens in dem weiteren Rechtsstreit vor dem Tribunal administratif ist Raymond Escallier. Mit Schreiben vom 16. Juli 1995 hatte er bei der luxemburgischen Verwaltung die Erlaubnis zur Ausübung der Berufe eines Zimmermanns, eines Dachdeckers und eines Klempners im Großherzogtum beantragt.

Gemäß der Stellungnahme des beratenden Ausschusses, der in Artikel 2 des Gesetzes vom 28. Dezember 1988 zur Regelung des Zugangs zu handwerklichen, kaufmännischen und industriellen Berufen sowie zu bestimmten freien Berufen vorgesehen ist, erteilte der Minister am 24. Januar 1996 die Erlaubnis für die Ausübung des Dachdeckerberufs, verweigerte diese Erlaubnis jedoch für die Berufe eines Zimmermanns und eines Klempners. Die luxemburgischen Behörden begründeten diese Ablehnung damit, daß Herr Escallier die in Artikel 3 Buchstaben a und c der Richtlinie 64/427 geforderte Zahl von Jahren der tatsächlichen Ausübung der beiden Berufe noch nicht erfuellt habe, da die Voraussetzungen des Artikels 3 ihrer Auffassung nach unabhängig voneinander für jeden der betreffenden Berufe erfuellt sein mussten.

7 Am 14. Februar 1996 reichte Herr Escallier eine Abänderungsklage ein mit der Begründung, die Entscheidung vom 24. Januar 1996 verstosse gegen das Gesetz. Zur Stützung seiner Klage trug er vor, die von ihm vorgelegten Bescheinigungen bewiesen, daß er befugt sei, die drei Berufe in Frankreich auszuüben, und daß die Voraussetzungen des Artikels 3 der Richtlinie 64/427 erfuellt seien. Er verwies hierzu auf die Bestätigung im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie, die ihm von der Industrie- und Handelskammer des Departements Moselle ausgestellt worden sei; daraus gehe hervor, daß er die drei betreffenden Tätigkeiten als Betriebsleiter während der Zeit vom 21. Januar 1983 bis 5. Februar 1990 ausgeuebt habe.

II - Die Vorabentscheidungsfragen

8 Um eine Entscheidung der beiden Rechtsstreitigkeiten zu ermöglichen, hat das Tribunal administratif Luxemburg folgende Vorabentscheidungsfragen an den Gerichtshof gerichtet:

1. Erfasst Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 64/427, der sich auf die Aufnahme "einer der in Artikel 1 Absatz (2) genannten Tätigkeiten" oder "die Ausübung dieser Tätigkeit" und schließlich auf "die tatsächliche Ausübung der betreffenden Tätigkeit" bezieht, auch den Fall eines Gemeinschaftsangehörigen, der im Herkunftsmitgliedstaat gleichzeitig mehrere in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Tätigkeiten ausgeuebt hat und die Niederlassung seines Unternehmens in einem anderen Mitgliedstaat unter Fortführung der gleichzeitigen Ausübung dieser Tätigkeiten oder Berufe(2) beantragt, insbesondere im Hinblick auf den in Artikel 52 des ... Vertrages ... zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft verankerten Grundsatz der Niederlassungsfreiheit?

2. Wenn ja, ändert sich der in Artikel 3 Buchstabe a geforderte Ausübungszeitraum für alle oder einige der betreffenden Tätigkeiten, wenn diese gleichzeitig ausgeuebt werden?

3. Welche Auswirkung hat es, wenn zwischen den betreffenden Tätigkeiten ein Zusammenhang oder sogar kein Zusammenhang besteht?

III - Nationales Recht

9 Das Gesetz vom 28. Dezember 1988, das die Aufnahme von Berufen des Handwerks, Handels und der Industrie sowie bestimmter freier Berufe regelt, macht die Ausübung von Tätigkeiten in Handwerk, Industrie oder Handel für natürliche wie für juristische Personen von der vorherigen Erteilung einer schriftlichen Erlaubnis abhängig. Für Verstösse gegen dieses Gesetz sind in seinem Titel V Freiheitsstrafen und Geldbussen vorgesehen.

Kapitel II Titel II mit den für den Sektor Handwerk und Bauindustrieunternehmen geltenden Vorschriften bestimmt in Artikel 13, daß durch Durchführungsverordnungen zu diesem Gesetz auf Empfehlung der betroffenen Berufsverbände ein Verzeichnis der Haupt- und Nebenberufe sowie eines über deren Tätigkeitsbereich erstellt wird. Für die Ausübung eines Hauptberufs müssen die Betreffenden im Besitz eines Meisterbriefs oder eines Hochschulabschlusses als Ingenieur im entsprechenden Zweig sein. Gleichwohl kann nach Artikel 13 Absatz 2 die ausreichende berufliche Qualifikation für die umfassende oder teilweise Ausübung eines in diesem Verzeichnis aufgeführten Berufes einem Antragsteller, der keinen dieser Befähigungsnachweise besitzt, zuerkannt werden, wenn er als gleichwertig anerkannte Nachweise vorlegt. Die Gleichwertigkeitskriterien, die die Zuerkennung dieser beruflichen Qualifikation gestatten, wurden in der Verordnung vom 15. September 1989 festgelegt.

10 Das Verzeichnis der Berufe ist in der Verordnung vom 19. Februar 1990 enthalten, die diese gemäß einer aus fünf Ziffern bestehenden Numerierung einteilt. Die erste Ziffer bestimmt die Berufsgruppe; die durch die zweite und die dritte Ziffer gebildete Zifferngruppe ist der Numerierung der einzelnen Berufe einer bestimmten Gruppe und einer Einteilung nach technischer Zusammengehörigkeit der einzelnen Berufe der Gruppe vorbehalten; in der durch die vierte und die fünfte Ziffer gebildeten Zifferngruppe werden die mit den Zahlen 00 bis 09 bezeichneten Hauptberufe und die Nebenberufe unterschieden, denen die Zahlen ab 11 zugeordnet sind. Die mit den Zahlen 00 bezeichneten Hauptberufe verleihen das Recht zur Ausübung der mit den Zahlen von 01 bis 09 bezeichneten Berufe, die im Anschluß an den Hauptberuf aufgeführt sind.

11 Der Tätigkeitsbereich der handwerklichen Haupt- und Nebenberufe ist in der Verordnung vom 26. März 1994 bestimmt. In den vorliegenden Rechtssachen sind folgende Berufe zu berücksichtigen:

Gruppe 4: Berufe des Bau- und Siedlungswesens

401-00 Bauunternehmer 414-00 Dachdecker 415-00 Klempner 416-00 Zimmermann 419-00 Verputzer

12 Die Gleichwertigkeitskriterien, die die Zuerkennung einer ausreichenden beruflichen Qualifikation für die Ausübung eines Berufes gestatten, wurden in der Verordnung vom 15. September 1989 festgelegt. Folgende Bestimmungen sind im vorliegenden Fall von Bedeutung:

"Artikel 4. Der Inhaber einer von der Regierung erteilten Erlaubnis zur Ausübung eines der Berufe aus dem in Artikel 13 Absatz 1 Gesetzes ... vom 28. Dezember 1988 vorgesehenen Verzeichnis ist zur Ausübung eines anderen Berufes oder eines Teils eines anderen Berufes, mit dem dieser in technischem und wirtschaftlichem Zusammenhang steht, befugt, sofern er den Nachweis einer sechsjährigen beruflichen Praxis in dem Beruf oder Teil des Berufes erbringt, für den die Zulassung beantragt wird."

"Artikel 6. Die Bescheinigungen, die von den zuständigen Stellen der Mitgliedsländer des Gemeinsamen Marktes aufgrund von Gemeinschaftsrichtlinien im Handwerksbereich erteilt werden, sind als gleichwertige Nachweise anzusehen, wenn der Inhaber der Bescheinigung die darin genannten Voraussetzungen der beruflichen Befähigung erfuellt."

"Artikel 7. Unter beruflicher Praxis im Sinne [dieser Verordnung] ist eine Beschäftigung zu verstehen, die den Erwerb praktischer Erfahrung gestattet, die dem Inhalt des in Aussicht genommenen Handwerksberufes entspricht."

IV - Gemeinschaftsrecht

13 Bei den Gemeinschaftsbestimmungen, um deren Auslegung das vorlegende Gericht ersucht, um über die bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten entscheiden zu können, handelt es sich um Bestimmungen des EG-Vertrags und der Richtlinie 64/427.

Nach Artikel 52 des Vertrages sind die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats während der Übergangszeit schrittweise aufzuheben. Absatz 2 hat folgenden Wortlaut:

"Vorbehaltlich des Kapitels über den Kapitalverkehr umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen."

14 Zur Durchführung von Artikel 54 des Vertrages hat der Rat ein allgemeines Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit(3) (im folgenden: allgemeines Programm) beschlossen, das einen Zeitplan für die tatsächliche Beseitigung dieser Beschränkungen innerhalb von Fristen aufstellt, deren Länge je nach den betreffenden, in fünf Anlagen erfassten Tätigkeiten variiert. Die Tätigkeiten des Baugewerbes sind in Anlage I erfasst, was bedeutet, daß die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit insoweit vor Ablauf des zweiten Jahres der zweiten Stufe der Übergangszeit beseitigt sein mussten(4).

15 Der Rat erließ die Richtlinie 64/427 allerdings erst im Juli 1964. In den Begründungserwägungen der Richtlinie erkennt der Rat an, daß angesichts der unterschiedlichen Definition des Handwerks durch die Mitgliedstaaten und dementsprechend der unterschiedlichen Grenzen, die sie ihm gegenüber der Industrie gezogen haben, und unter Berücksichtigung des Umstands, daß für die handwerklichen Tätigkeiten teils Gewerbefreiheit, teils strenge, von einem Befähigungsnachweis abhängige Zulassungsvorschriften galten, eine Koordinierung der geltenden nationalen Vorschriften auf dem Gebiet der Aufnahme und Ausübung dieser Tätigkeiten nicht möglich war. Aus diesem Grund verschob der Rat diese Koordinierung auf später und beschränkte sich in dieser Richtlinie auf die Einführung von Übergangsmaßnahmen, um vor allem zu vermeiden, daß die Staatsangehörigen derjenigen Mitgliedstaaten aussergewöhnlich behindert werden, in denen die Aufnahme dieser Berufe von keinen Bedingungen abhängig gemacht wird.

16 Diese Übergangsmaßnahmen müssen hauptsächlich bestimmen, daß die Aufnahmemitgliedstaaten, in denen eine Regelung für die Aufnahme der genannten Berufstätigkeiten besteht, die tatsächliche Ausübung des Berufes im Herkunftsland während einer angemessenen und nicht zu weit zurückliegenden Zeit als ausreichende Bedingung für diese Aufnahme anerkennen, falls eine vorherige Ausbildung nicht erforderlich ist; dadurch soll gewährleistet werden, daß der Begünstigte ebenso grosse berufliche Kenntnisse hat, wie sie von den eigenen Staatsangehörigen verlangt werden(5).

17 Folgende Artikel der Richtlinie 64/427 können für die Entscheidung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten von Bedeutung sein:

Artikel 3

"Wird in einem Mitgliedstaat die Aufnahme einer der in Artikel 1 Absatz (2) genannten Tätigkeiten [selbständige Tätigkeiten der be- und verarbeitenden Gewerbe der CITI-Hauptgruppen 23 - 40 (Industrie und Handwerk)] oder die Ausübung dieser Tätigkeit von dem Besitz allgemeiner, kaufmännischer oder fachlicher Kenntnisse und Fertigkeiten abhängig gemacht, so erkennt der betreffende Mitgliedstaat als ausreichenden Nachweis für diese Kenntnisse und Fertigkeiten die tatsächliche Ausübung der betreffenden Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat in folgenden Fällen an:

a) bei ununterbrochener sechsjähriger Tätigkeit als Selbständiger oder als Betriebsleiter;

b) bei ununterbrochener dreijähriger Tätigkeit als Selbständiger oder als Betriebsleiter, wenn der Begünstigte für den betreffenden Beruf eine mindestens dreijährige vorherige Ausbildung nachweisen kann, die durch ein staatlich anerkanntes Zeugnis bestätigt oder von einer zuständigen Berufsinstitution als vollwertig anerkannt ist;

c) bei ununterbrochener dreijähriger Tätigkeit als Selbständiger, wenn der Begünstigte in dem betreffenden Beruf eine mindestens fünfjährige Tätigkeit als Unselbständiger nachweisen kann;

d) bei ununterbrochener fünfjähriger Tätigkeit in leitender Stellung, einschließlich einer mindestens dreijährigen Tätigkeit mit technischen Aufgaben und mit der Verantwortung für mindestens eine Abteilung des Unternehmens, wenn der Begünstigte für den betreffenden Beruf eine mindestens dreijährige vorherige Ausbildung nachweisen kann, die durch ein staatlich anerkanntes Zeugnis bestätigt oder von einer zuständigen Berufsinstitution als vollwertig anerkannt ist.

In den Fällen der Buchstaben a) und c) darf diese Tätigkeit vom Zeitpunkt der Antragstellung gemäß Artikel 4 Absatz (3) an gerechnet nicht vor mehr als 10 Jahren beendet worden sein."

Artikel 4

"Für die Anwendung von Artikel 3 gilt folgendes:

(1) Die Mitgliedstaaten, in denen die Aufnahme einer der in Artikel 1 Absatz (2) genannten Tätigkeiten oder die Ausübung dieser Tätigkeit von dem Besitz allgemeiner kaufmännischer oder fachlicher Kenntnisse und Fertigkeiten abhängig gemacht wird, unterrichten mit Hilfe der Kommission die übrigen Mitgliedstaaten über die wesentlichen Berufsmerkmale (Tätigkeitsbeschreibung dieser Berufe).

(2) Die vom Herkunftsland zu diesem Zweck bezeichnete zuständige Stelle bestätigt, welche Berufstätigkeiten der Begünstigte tatsächlich ausgeuebt hat und wie lange er sie ausgeuebt hat. Diese Bestätigung ist auf das Berufsbild abgestellt, das von dem Mitgliedstaat, in dem der Begünstigte den Beruf ständig oder vorübergehend ausüben will, mitgeteilt worden ist.

(3) Das Aufnahmeland erteilt auf Antrag die Erlaubnis zur Ausübung der betreffenden Tätigkeit, wenn die nachgewiesene Tätigkeit mit den wesentlichen Punkten des nach Absatz (1) mitgeteilten Berufsbildes übereinstimmt und etwaige sonstige, in den Vorschriften des Aufnahmelandes vorgesehene Bedingungen erfuellt sind."

18 Am 18. Juni 1992 erließ der Rat die Richtlinie 92/51/EWG(6) mit dem Ziel, durch die Einführung einer zweiten allgemeinen Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise die Ausübung aller beruflichen Tätigkeiten zu erleichtern, für die in einem Mitgliedstaat ein bestimmtes Ausbildungsniveau verlangt wird. Diese Richtlinie ergänzt die Regelung, die 1988 zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, eingeführt worden war(7). Nach Artikel 2 Absatz 2 dieser Richtlinie sind von deren Anwendungsbereich allerdings sowohl Berufe, die Gegenstand einer Einzelrichtlinie sind, mit der in den Mitgliedstaaten eine gegenseitige Anerkennung der Diplome eingeführt wird, als auch Tätigkeiten ausgeschlossen, die Gegenstand einer in Anhang A aufgeführten Richtlinie sind. Unter den in diesen Anhang aufgenommenen Richtlinien ist an zweiter Stelle die Richtlinie 64/427 genannt, um deren Auslegung das Tribunal administratif Luxemburg im vorliegenden Fall ersucht.

19 Der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Verfahren zur Anerkennung der Diplome für die unter die Liberalisierungs- und Übergangsrichtlinien fallenden Berufstätigkeiten in Ergänzung zu der allgemeinen Regelung zur Anerkennung der Diplome(8), den die Kommission am 9. Februar 1996 vorgelegt hat und bei dem das Verfahren der Beschlußfassung immer noch im Gang ist, sieht praktisch keinerlei Änderung des Wortlauts der noch immer geltenden Richtlinie 64/427 vor, deren Auslegung das vorlegende Gericht für die Entscheidung der beiden Ausgangsrechtsstreitigkeiten benötigt.

V - Die im Vorabentscheidungsverfahren abgegebenen Erklärungen

20 Innerhalb der nach Artikel 20 der EG-Satzung des Gerichtshofes dafür vorgesehenen Frist haben die Parteien des Ausgangsverfahrens, Herr de Castro Freitas und Herr Escallier sowie die Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht. Ausserdem ist der Vertreter der Portugiesischen Republik in der Sitzung aufgetreten, um deren Stellungnahme mündlich vorzutragen.

21 Nach Ansicht von Herrn de Castro Freitas gilt nach Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 64/427 für denjenigen, der eine Niederlassungserlaubnis beantragt, nur die Voraussetzung, daß er die betreffende Tätigkeit tatsächlich ausgeuebt hat. Diese Vorschrift verlange von ihm nicht, daß er diese Tätigkeit während der in Artikel 3 Buchstaben a bis d der Richtlinie genannten Zeiten tatsächlich und ausschließlich ausgeuebt habe. Er schließe daher den Fall nicht aus, daß ein Gemeinschaftsbürger in seinem Herkunftsmitgliedstaat mehrere in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallende Tätigkeiten gleichzeitig ausgeuebt habe. Ausserdem gewährleiste Artikel 52 des Vertrages die Niederlassungsfreiheit für alle Bürger der Europäischen Union durch die schrittweise Aufhebung sämtlicher Beschränkungen dieser Freiheit, insbesondere durch die schrittweise Aufhebung der ausschließlich auf der Staatsangehörigkeit beruhenden Diskriminierungen in bezug auf die Aufnahme und Ausübung eines Berufes. Demnach müsse dem Angehörigen eines Mitgliedstaats, der durch eine von der zuständigen Behörde ausgestellte Bescheinigung nachweise, daß er die betreffenden Berufstätigkeiten in seinem Herkunftsstaat tatsächlich ausgeuebt habe, ohne weiteres erlaubt werden, sich in irgendeinem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, da anderenfalls die Regelung eingeschränkt würde, die die Richtlinie 64/427 im Hinblick auf die problemlose Anerkennung der von der zuständigen Behörde des Herkunftsstaats bescheinigten Berufserfahrung durch den Aufnahmemitgliedstaat eingeführt habe.

Nach Ansicht von Herrn de Castro Freitas kann die in Artikel 3 Buchstabe a der Richtlinie 64/427 geforderte Zeit der Ausübung nicht mit der Begründung verlängert werden, daß verschiedene Tätigkeiten gleichzeitig ausgeuebt worden seien, vorausgesetzt, diese Tätigkeiten wiesen nach Gegenstand und Materie einen genügenden Zusammenhang auf, damit eine gleichzeitige Ausübung nicht auf Kosten eines ausreichenden Erwerbs theoretischer und praktischer Kenntnisse erfolge, der für das richtige Erlernen des fraglichen Berufes notwendig sei. Man müsse sich fragen, ob die Verfasser der Richtlinie den Begriff "Tätigkeit" in Artikel 3 nicht mit Absicht verwendet hätten, um so in ein und dieselbe Tätigkeit mehrere "Berufe" oder "Metiers" einzubeziehen, die man im Rahmen einer einzigen übergeordneten "Tätigkeit" gleichzeitig ausüben könne, wie im vorliegenden Fall die Berufe eines Verputzers und eines Bauunternehmers für Aussenarbeiten, die Teil der übergeordneten Tätigkeit der Berufe des Baugewerbes seien. Dem Zusammenhang zwischen mehreren Berufen oder Metiers, für die die Niederlassungserlaubnis beantragt worden sei, komme daher entscheidende Bedeutung für die Antwort auf die Frage zu, ob die in Artikel 3 Buchstabe a der Richtlinie 64/427 geforderte Zeit der Ausübung sechs Jahre oder ein Mehrfaches von sechs Jahren betragen müsse, wenn mehrere Berufe oder Metiers gleichzeitig ausgeuebt worden seien.

22 Der Kläger des anderen Ausgangsverfahrens, Herr Escallier, trägt vor, bei der Richtlinie 64/427 handele es sich um eine Übergangsmaßnahme, deren Terminologie die Regelung deutlich werden lasse, daß ein Gemeinschaftsbürger, der in seinem Herkunftsstaat in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallende Tätigkeiten gleichzeitig ausgeuebt habe und der in einem anderen Mitgliedstaat eine Niederlassungserlaubnis beantrage, die gleichzeitige Ausübung der gleichen Tätigkeiten in diesem anderen Mitgliedstaat fortführen könne. Der luxemburgische Staat könne sich nicht auf die Richtlinie 64/427 berufen, um die Versagung der Niederlassungserlaubnis unter diesen Umständen zu rechtfertigen, da das Niederlassungsrecht seit dem 1. Januar 1970 für sämtliche Zweige selbständiger Tätigkeiten gelte. Die in Artikel 3 Buchstabe a der Richtlinie 64/427 genannte Zeit der Ausübung könne nicht aus dem Grund geändert werden, weil mehrere in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Tätigkeiten gleichzeitig ausgeuebt worden seien. Schließlich sehe die Richtlinie 64/427 für Tätigkeiten, zwischen denen ein Zusammenhang bestehe, keine Sonderbehandlung vor. Aus diesem Grund sei ein solcher Zusammenhang zwischen den betreffenden Tätigkeiten oder sein Fehlen ohne Einfluß auf die Auslegung der Richtlinienbestimmungen.

23 Die Kommission weist darauf hin, daß die sechste Begründungserwägung der Richtlinie 64/427 zwei für die Auslegung ihres Artikels 3 wesentliche Begriffe enthalte, nämlich die "tatsächliche Ausübung des Berufs im Herkunftsland während einer angemessenen Zeit" und die "nicht zu weit zurückliegende Zeit". Was die Tätigkeiten als Selbständiger oder als Betriebsleiter wie im vorliegenden Fall angehe, so sei die als angemessen beurteilte Zeit der vorherigen Ausübung auf sechs aufeinanderfolgende Jahre festgelegt worden. In bezug auf die zeitliche Nähe dieser Ausübung sehe die Richtlinie vor, daß diese Tätigkeit vom Zeitpunkt der Antragstellung an gerechnet nicht vor mehr als zehn Jahren beendet worden sein dürfe. Aus der mangelnden Übereinstimmung im Numerus zwischen dem ersten Teil des Artikels 3 Absatz 1 (Verwendung des Plurals) und dem Ende dieses Absatzes (Verwendung des Singulars), auf die das vorlegende Gericht abstelle, könne nicht der Schluß gezogen werden, daß ohne weiteres eine Auslegung in dem einen oder anderen Sinne vorzunehmen sei, da dieser Absatz einen Zusammenhang mit Artikel 1 Absatz 2 herstelle, der den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie festlege. Es sei daher verfehlt, die Anwendbarkeit von Artikel 3 ausschließen zu wollen, wenn ein Wanderarbeitnehmer die Erlaubnis zur gleichzeitigen Ausübung mehrerer Tätigkeiten beantrage.

Die Kommission trägt dazu vor, daß dafür, daß die erworbene Erfahrung als ausreichend beurteilt werden könne, um die Aufnahme der betreffenden Tätigkeiten im Aufnahmemitgliedstaat zu rechtfertigen, notwendig sei, daß der Bewerber zur Vorlage von Bescheinigungen für den Nachweis der tatsächlichen Ausübung jeder Tätigkeit während des erforderlichen Zeitraums in der Lage sei. Als Beispiel nennt sie den Fall einer Person, die drei völlig verschiedene Berufe während eines Zeitraums von sechs Jahren ausgeuebt habe; diese Person werde so betrachtet, als habe sie bei jeder dieser Tätigkeiten eine Erfahrung von jeweils zwei Jahren erworben, was ihr im Aufnahmemitgliedstaat zu keinem der drei Berufe Zugang verschaffe. Nach Auffassung der Kommission kann nur die Ausübung einer Vollzeittätigkeit als "tatsächliche Ausübung" dieser Tätigkeit für die Zwecke des Artikels 3 der Richtlinie 64/427 angesehen werden. Deshalb könne eine sechsjährige gleichzeitige Ausübung verschiedener Tätigkeiten nicht als mit einer Vollzeitausübung dieser Tätigkeiten gleichwertig angesehen werden. Gleichwohl könne eine fundierte Erfahrung erworben werden, wenn diese Tätigkeiten einen Zusammenhang aufwiesen oder wenn sie von derselben Person überwacht würden. Es obliege daher dem vorlegenden Gericht, dieses Kriterium anhand der verfügbaren Informationen wie beispielsweise der Berufsbilder nach Artikel 4 der Richtlinie 64/427 anzuwenden. Die Kommission gelangt hinsichtlich der ersten Frage zu dem Ergebnis, daß sowohl die früheren Tätigkeiten, die Herr de Castro Freitas in Portugal ausgeuebt habe, als auch die, die Herr Escallier in Frankreich ausgeuebt habe, als zusammenhängende Tätigkeiten anzusehen seien.

Die Kommission prüft sodann die Gesichtspunkte, die die nationalen Behörden zu berücksichtigen hätten, wenn sie aufgefordert würden, die frühere Berufserfahrung einer Person anzuerkennen, die sich niederlassen wolle, in ihrem Herkunftsmitgliedstaat mehr als eine berufliche Tätigkeit ausgeuebt habe und die Ausübung dieser Tätigkeiten im Aufnahmemitgliedstaat fortführen möchte. Der erste Gesichtspunkt sei die Eigenschaft, in der der Betroffene beabsichtige, diese Tätigkeiten auzusüben. Habe er nämlich als Betriebsleiter gearbeitet, was hauptsächlich eine überwachende Arbeit sei, die sich häufig auf mehr als einen Beruf erstrecke, werde es ihm leichter fallen, die Voraussetzungen zu erfuellen, als dem, der als Selbständiger gearbeitet habe. Der zweite Gesichtspunkt betreffe die Art der Tätigkeiten und vor allem den möglichen Zusammenhang, der zwischen ihnen bestehe. Fehle ein solcher Zusammenhang, werde die Erfahrung, die durch die sechsjährige gleichzeitige Ausübung dieser Tätigkeiten erworben worden sei, kaum als ausreichend beurteilt werden können. Schließlich werde es darum gehen, den genauen Zeitraum zu bestimmen, der für jede Tätigkeit zu berücksichtigen sei. Die Kommission unterscheidet insoweit zwei Fälle: Entweder weise der Betroffene aufgrund der Bescheinigung gemäß Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 64/427 nach, daß er während sechs aufeinanderfolgender, nicht zu weit zurückliegender Jahre mehrere zusammenhängende Tätigkeiten ausgeuebt habe, wobei die bei den drei Tätigkeiten erworbene Erfahrung als untrennbares Ganzes zu behandeln sei, das zur Aufnahme jeder dieser Tätigkeiten im Aufnahmeland berechtige, oder aber die von ihm gleichzeitig ausgeuebten Tätigkeiten erfuellten nicht die Voraussetzung, daß sie miteinander in Zusammenhang stuenden, wobei die beste Vorgehensweise für die zuständige Behörde darin bestehen werde, die Tätigkeit, die das grösste Gewicht habe, zu berücksichtigen, falls es eine solche gebe, und, wenn nicht, die Zeit der früheren Ausübung anteilmässig auf die verschiedenen Tätigkeiten aufzuteilen.

24 Die Portugiesische Republik hat in der Sitzung vorgetragen, daß die Richtlinie 64/427 zur Erleichterung der Ausübung des Niederlassungsrechts ein vollständiges Regelsystem eingeführt habe, damit ein Mitgliedstaat, in dem die Aufnahme bestimmter Berufstätigkeiten von dem Besitz bestimmter Kenntnisse und Fertigkeiten abhängig gemacht werde, die tatsächliche Ausübung dieser Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat als ausreichenden Nachweis für diese Kenntnisse und Fertigkeiten anerkenne. Deshalb könne der Mitgliedstaat, der mit einem Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis befasst sei, sich weder auf sein innerstaatliches Recht stützen noch sich auf die Richtlinienbestimmungen berufen, um die Anerkennung der Gültigkeit und der Auswirkungen der Bescheinigung zu verweigern, die die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats erteilt habe, um die tatsächliche Ausübung der betreffenden Tätigkeit und die Dauer dieser Ausübung auf der Grundlage des von dem Mitgliedstaat, in dem der Antragsteller sich niederlassen wolle, mitgeteilten Berufsbildes zu bescheinigen, wenn die Tätigkeit, deren Ausübung bescheinigt worden sei, mit den wesentlichen Merkmalen des ihr gewidmeten Berufsbildes übereinstimme.

VI - Prüfung der Vorabentscheidungsfragen

25 Die drei Fragen des vorlegenden Gerichts, die nach meiner Ansicht gemeinsam zu beantworten sind, betreffen das Problem, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen sich ein Gemeinschaftsbürger, der eine Bescheinigung vorlegt, aus der hervorgeht, daß er in einem anderen Mitgliedstaat zwei oder drei in den Anwendungsbereich der Richtlinie 64/427 fallende Berufstätigkeiten gleichzeitig ausgeuebt hat, auf die Vergünstigung des Niederlassungsrechts berufen kann, um die Ausübung der gleichen Tätigkeiten als Selbständiger in einem anderen Mitgliedstaat fortzuführen, in dem die Aufnahme und Ausübung dieser Tätigkeiten vom Besitz bestimmter Kenntnisse und Fertigkeiten abhängig gemacht wird.

26 Der Gerichtshof hat entschieden, daß "Artikel 52 EWG-Vertrag eine der grundlegenden Vorschriften der Gemeinschaft darstellt und seit dem Ablauf der Übergangszeit in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar ist. Nach dieser Vorschrift umfasst die Niederlassungsfreiheit der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen." Der Gerichtshof folgert daraus: "Artikel 52 will also die Vergünstigung der Inländerbehandlung jedem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats garantieren, der sich, sei es auch nur mit einer Nebenstelle, in einem anderen Mitgliedstaat niederlässt, um dort eine selbständige Erwerbstätigkeit auszuüben, und untersagt jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, die sich aus den Rechtsvorschriften als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ergibt."(9)

27 Es unterliegt keinem Zweifel, daß die luxemburgischen Rechtsvorschriften, die die Aufnahme und Ausübung von Berufen des Bauhandwerks regeln, keinerlei unterschiedliche Behandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit enthalten. Sie sehen nämlich für jedermann dieselben Voraussetzungen vor und bestimmen ausdrücklich, daß die von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten aufgrund der Gemeinschaftsrichtlinien im Handwerksbereich erteilten Bescheinigungen als einer ausreichenden beruflichen Qualifikation gleichwertige Dokumente angesehen werden.

Gleichwohl bin ich der Meinung, daß die Praxis der luxemburgischen Behörden möglicherweise gegen Artikel 52 des Vertrages und gegen die Bestimmungen der Richtlinie 64/427 verstösst, da sie sich dahin auswirken kann, daß ein Gemeinschaftsbürger, der als Selbständiger im Handwerksbereich in einem anderen Mitgliedstaat gearbeitet hat und sich in Luxemburg niederlassen möchte, davon abgehalten wird, sein Vorhaben auszuführen.

28 Der Gerichtshof hat hierzu festgestellt, daß "[d]ie Gesamtheit der Vertragsbestimmungen über die Freizuegigkeit ... somit den Gemeinschaftsbürgern die Ausübung jeder Art von Erwerbstätigkeit im gesamten Gebiet der Gemeinschaft erleichtern [soll] und ... einer nationalen Regelung entgegen[steht], die sie dann benachteiligen könnte, wenn sie ihre Tätigkeit über das Hoheitsgebiet eines einzigen Mitgliedstaats hinaus ausdehnen wollen"(10).

29 Der Gerichtshof hat ferner ausgeführt, daß Artikel 52, soweit er als Zeitpunkt für die Herstellung der Niederlassungsfreiheit das Ende der Übergangszeit bestimme, eine Verpflichtung auferlege, deren Ergebnis klar umrissen sei und deren Erfuellung durch die Verwirklichung programmatisch festgelegter, abgestufter Maßnahmen zwar erleichtert, nicht aber bedingt werden sollte(11).

30 Das 1962 beschlossene allgemeine Programm zur Durchführung von Artikel 54 Absatz 1 des Vertrages führt in seiner Anlage I die Tätigkeiten auf, für deren Ausübung die Mitgliedstaaten sämtliche Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit vor Ablauf des zweiten Jahres der zweiten Stufe der Übergangszeit beseitigen mussten. In diesem Verzeichnis sind die Tätigkeiten nach Hauptgruppen und Gruppen geordnet.

31 Die Anlagen des allgemeinen Programms wurden auf der Grundlage der Classification internationale type, par industries, de toutes les branches de l'activité économique(12) (Internationale Klassifizierung sämtlicher Zweige wirtschaftlicher Tätigkeit nach Herstellungsart; im folgenden: CITI) erarbeitet. Die einzelnen Tätigkeiten sind unter Zugrundelegung dieser Klassifizierung und ihrer Erläuterungen in die Gruppen und Untergruppen einzuordnen. Die Tätigkeiten, die nicht in dieser Klassifizierung enthalten sind, sind in die Gruppe einzuordnen, die die nächstverwandten Tätigkeiten umfasst, wobei die wirtschaftliche Situation in der Gemeinschaft und insbesondere der technische Fortschritt zu berücksichtigen sind.

32 Wie ihr Titel erkennen lässt, regelt die Richtlinie 64/427, um deren Auslegung das vorlegende Gericht ersucht, die Einzelheiten der Übergangsmaßnahmen auf dem Gebiet der selbständigen Tätigkeiten der be- und verarbeitenden Gewerbe der CITI-Hauptgruppen 23 - 40.

Dabei geht es um folgende Hauptgruppen: Hauptgruppe 23, Herstellung von Textilien; Hauptgruppe 24, Herstellung von Schuhen; Hauptgruppe 25, Be- und Verarbeitung von Holz und Kork; Hauptgruppe 26, Herstellung von Möbeln; Hauptgruppe 27, Herstellung von Papier; Hauptgruppe 28, Druckerei, Verlagsgewerbe und verwandte Gewerbe; Hauptgruppe 29, Herstellung von Leder; Hauptgruppe 30, Herstellung von Gummi und Gummiwaren; Hauptgruppe 31, Herstellung chemischer Erzeugnisse; Hauptgruppe 32, Herstellung von Mineralöl- und Kohleerzeugnissen; Hauptgruppe 33, Herstellung nichtmetallischer Mineralerzeugnisse; Hauptgruppe 34, Metallerzeugung, -be- und -verarbeitung; Hauptgruppe 35, Herstellung von Metallerzeugnissen ausser Maschinen, Fahrzeugen und Fahrzeugteilen; Hauptgruppe 36, Maschinenbau ausser Herstellung von Elektromaschinen; Hauptgruppe 37, Herstellung von Elektromaschinen, -apparaten und -zubehör; Hauptgruppe 38, Herstellung von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen; Hauptgruppe 39, verschiedene be- und verarbeitende Gewerbe und Hauptgruppe 40, die allein von der Gruppe 400 gebildet wird, die dem Baugewerbe gewidmet ist.

Der Information halber ist darauf hinzuweisen, daß die Gruppe 400 in der CITI von 1958 nicht weniger als 179 Tätigkeiten des Bausektors umfasst, die sich voneinander so sehr unterscheiden können wie das Schreinerhandwerk, der Hafenbau, die Dachinstandsetzung, der Hallenbau und die Strassenasphaltierung. Sie enthält weder eine Beschreibung noch eine Definition einer dieser Tätigkeiten.

33 Aus den Akten geht hervor, daß Herr de Castro Freitas in Portugal neun Jahre lang als selbständiger Bauunternehmer und Verputzer gearbeitet hat und daß er dies vor den luxemburgischen Behörden anhand der Bescheinigung gemäß Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 64/427 nachgewiesen hat, um von diesen Behörden die Erlaubnis zu erhalten, seine Berufstätigkeit in Luxemburg als Bauunternehmer mit der Fähigkeit, die Bearbeitung von Aussenflächen, Fassaden und Dächern durchzuführen, auszuüben. Diese Erlaubnis wurde ihm nur teilweise erteilt. Im übrigen wurde sie ihm mit der Begründung verweigert, daß in Luxemburg das in der Verordnung vom 19. Februar 1990 enthaltene Verzeichnis der Haupt- und Nebenberufe die Berufe, die Herr de Castro Freitas in Portugal gleichzeitig ausgeuebt habe, in zwei verschiedenen Rubriken aufführe, nämlich in derjenigen eines Bauunternehmers und derjenigen eines Verputzers. In diesem Verzeichnis sind diese Berufe als Hauptberufe qualifiziert und tragen die Referenznummern 401-00 und 419-00.

Nach der Definition des Tätigkeitsbereichs dieser beiden Berufe in der Verordnung vom 26. März 1994 umfasst die Erlaubnis zur Ausübung des erstgenannten Berufes u. a. die Herstellung von Fassaden aus Natur- oder Kunststein, die Herstellung von Verkleidungen und Fußbodenbelägen, das Aufbringen von Kalk- oder Zementputz sowie das Aufstellen von Gerüsten. Die Erlaubnis zur Ausübung des zweiten Berufes umfasst u. a. das Anbringen von Decken- und Wandverkleidungen mit Putz und Gipsplatten, das Einziehen von Zwischendecken, die Herstellung von Verkleidungen aus Platten, das Anbringen von Verkleidungen an Innen- und Aussenwänden, die Herstellung von Wärmeisolierungsfassaden, die Fassadenreinigung und das Aufstellen von Gerüsten.

34 Herr Escallier hat vor den luxemburgischen Behörden anhand der ihm von der zuständigen Behörde ausgestellten Bescheinigung nachgewiesen, daß er in Frankreich sieben Jahre lang als Betriebsleiter gleichzeitig die Berufe eines Zimmermanns, eines Dachdeckers und eines Klempners ausgeuebt hat, und er hat die Erlaubnis für die Ausübung derselben Berufe in Luxemburg beantragt. Diese Niederlassungserlaubnis wurde ihm nur für den Beruf eines Dachdeckers erteilt und im übrigen verweigert. In den vorgenannten Verordnungen zur Erstellung einer Klassifizierung der Berufe werden diese drei Berufe nämlich als Hauptberufe angesehen, tragen die Referenznummern 416-00, 414-00 und 415-00 und unterliegen als solche jeweils einer anderen Erlaubnis. Beim ersten Beruf geht es im wesentlichen darum, das Holzgerippe, aus dem die Dächer gefertigt werden, herzustellen und anzubringen; beim zweiten darum, die Ziegeln oder Schieferplatten auf den Dachlatten zu befestigen, und der dritte besteht darin, ergänzende Metallteile aller Art auf den Dächern anzubringen.

35 Die Richtlinie 64/427 verpflichtet die Mitgliedstaaten zum Erlaß von Maßnahmen, um vor allem zu vermeiden, daß die Staatsangehörigen derjenigen Mitgliedstaaten aussergewöhnlich behindert werden, in denen die Aufnahme der von der Richtlinie erfassten selbständigen Tätigkeiten der be- und verarbeitenden Gewerbe von keinen Voraussetzungen abhängig gemacht wird, was in Portugal und Frankreich bei den in Rede stehenden Berufen der Fall ist, wenn diese Staatsangehörigen beabsichtigen, sich in einem Mitgliedstaat niederzulassen und diese Tätigkeiten auszuüben, in dem deren Aufnahme wie in Luxemburg reglementiert ist.

36 Um eine solche Behinderung zu vermeiden, erlegt die Richtlinie dem Aufnahmemitgliedstaat, der die Aufnahme oder die Ausübung einer dieser Tätigkeiten von dem Besitz beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten abhängig macht, die Verpflichtung auf, als ausreichenden Nachweis für diese Kenntnisse und Fertigkeiten die tatsächliche Ausübung des Berufes während einer angemessenen Zeit anzuerkennen, deren Dauer auf sechs aufeinanderfolgende Jahre festgesetzt ist, wenn der Betreffende die Tätigkeit als Selbständiger oder als Betriebsleiter ausgeuebt hat, wobei die Zeit ausserdem nicht zu weit zurückliegen darf; deshalb fordert die Richtlinie, daß diese frühere Ausübung vom Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Niederlassungserlaubnis an gerechnet nicht mehr als zehn Jahre zurückliegt.

37 Niemand bestreitet, daß der Zugang zu den fraglichen Berufen in Luxemburg reglementiert ist. Ich bin mit der Definition des "reglementierten Berufes" einverstanden, die Generalanwalt Léger für die Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 89/48(13) vorgeschlagen hat. Der Gerichtshof hat diese Definition in seinem Urteil übernommen, wonach ein reglementierter Beruf nur dann vorliegt, wenn der Staat unmittelbar oder mittelbar Vorschriften erlassen hat, die den Zugang zu dem Beruf und dessen Ausübung regeln, und wenn die Nichteinhaltung dieser Vorschriften mit Sanktionen belegt ist(14).

38 In Anwendung der Rechtsvorschriften, die den Zugang zur Ausübung verschiedener Berufe in ihrem Land regeln, haben die luxemburgischen Behörden weder die Bescheinigung, die die zuständige portugiesische Behörde Herrn de Castro Freitas darüber ausgestellt hat, daß er neun Jahre lang ununterbrochen zwei Berufe ausgeuebt hatte, noch diejenige, die die zuständige französische Behörde Herrn Escallier darüber ausgestellt hat, daß er sieben Jahre lang ununterbrochen als Betriebsleiter drei Berufe ausgeuebt hatte, als ausreichenden Nachweis anerkannt, obwohl in beiden Fällen die nach Artikel 3 Buchstabe a der Richtlinie 64/427 erforderliche Zeit einer ununterbrochenen sechsjährigen tatsächlichen Berufsausübung überschritten war, und sie haben ihnen nicht erlaubt, die Ausübung derselben Berufe in Luxemburg fortzuführen. Gemäß Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 64/427 mussten diese Bescheinigungen jedoch anhand des Berufsbildes erstellt werden, das die luxemburgischen Behörden mitgeteilt hatten.

39 Nach den luxemburgischen Rechtsvorschriften gilt jeder der fünf Berufe als Hauptberuf, dessen Ausübung von einer eigenen Erlaubnis abhängig ist. Um diese Erlaubnis zu erhalten, muß der Antragsteller nachweisen, daß er Inhaber entweder eines Meisterbriefs oder eines Hochschulabschlusses als Ingenieur in diesem Zweig ist. Besitzt er weder das eine noch das andere, so kann ihm die ausreichende berufliche Qualifikation für die Ausübung dieses Berufes insgesamt oder eines Teils dieses Berufes auf der Grundlage als gleichwertig anerkannter Nachweise zuerkannt werden. Die von den zuständigen Behörden in Portugal oder Frankreich ausgestellten Bescheinigungen werden daher in Anwendung der Richtlinie 64/427 als gleichwertig anerkannt, obwohl sich in der Praxis gezeigt hat, daß sie allein dazu dienen, daß der Betreffende eine, nicht aber alle seine früheren Tätigkeiten ausüben kann, da die Erlaubnis zur Ausübung jedes der Berufe, die die luxemburgischen Rechtsvorschriften als Hauptberufe qualifizieren, Gemeinschaftsbürgern, die sich in der gleichen oder in einer vergleichbaren Lage befinden wie Herr de Castro Freitas und Herr Escallier nur unter der Voraussetzung erteilt wird, daß sie den Nachweis führen, daß sie jeden dieser Berufe während mindestens sechs aufeinanderfolgenden Jahren ausgeuebt haben.

40 Der Gerichtshof hat entschieden, daß die Wendung in Artikel 3 der Richtlinie 64/427 "tatsächliche Ausübung der betreffenden Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ... bei ununterbrochener [mehr]jähriger Tätigkeit" eine der Voraussetzungen darstelle, unter denen ein Mitgliedstaat, in dem eine Regelung für die betreffende Tätigkeit bestehe, die Ausübung dieser Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat anerkennen müsse; sie ermögliche es so, die Niederlassungsfreiheit hinsichtlich der Ausübung der in der Richtlinie erwähnten Tätigkeiten zu verwirklichen. Deshalb hat der Gerichtshof weiter ausgeführt, daß es im Hinblick auf eine einheitliche Anwendung der Richtlinie 64/427 angemessen sei, diese Formulierung auf Gemeinschaftsebene auszulegen. Er gelangte zu dem Ergebnis, daß sich diese Wendung nur auf die tatsächliche Ausübung der betreffenden Tätigkeit während einer bestimmten Zeit beziehe, die allenfalls wegen (kurzer) Krankheit oder (üblicher) Urlaubszeiten unterbrochen worden sein dürfe(15).

41 Im Hinblick auf das Erfordernis der Richtlinie, daß es sich bei der Ausübung der in der Bescheinigung genannten Tätigkeit um eine tatsächliche Ausübung von sechsjähriger ununterbrochener Dauer handelt, und unter Berücksichtigung der Auslegung dieser Begriffe durch den Gerichtshof kann man nur zu dem Schluß gelangen, daß, wenn sich die Auslegung der Richtlinie 64/427 durch die luxemburgischen Behörden durchsetzen sollte, ein Gemeinschaftsbürger, der sich in der Lage von Herrn de Castro Freitas oder von Herrn Escallier befindet, sich im Großherzogtum bestenfalls nur zur Ausübung von höchstens zwei in diesem Land als Hauptberufe angesehenen Berufen niederlassen kann. Man darf nämlich nicht vergessen, daß nach dem Wortlaut von Artikel 3 letzter Absatz der Richtlinie 64/427, die Ausübung der Tätigkeit, für deren Ausübung der an der Niederlassung Interessierte im Aufnahmemitgliedstaat eine Erlaubnis beantragt, vom Zeitpunkt der Antragstellung an gerechnet nicht vor mehr als zehn Jahren beendet worden sein darf.

Der Fall von Herrn Escallier veranschaulicht diese Situation sehr gut. Nachdem er sieben Jahre als Betriebsleiter eines Unternehmens zur Herstellung von Bedachungen in Frankreich verbracht hatte, beantragte er die Niederlassungserlaubnis in Luxemburg, um dort die Herstellung von Bedachungen fortzusetzen. Die einzige Erlaubnis, die er aufgrund der von ihm nachgewiesenen Erfahrung erhielt, war jedoch die, Ziegeln oder Schieferplatten zu legen. Er beantragte ausserdem die Erlaubnis zur Herstellung von Dachgebälk und zur Anbringung der metallischen Bestandteile, mit denen die Dächer im allgemeinen versehen sind, und wenn er sich damit abfindet, nur eine dieser beiden Tätigkeiten auszuüben, muß er warten, bis er eine Erfahrung von zwölf Jahren erworben hat. Bleibt er jedoch bei seiner Absicht, die erforderlichen Praxisjahre zurückzulegen, um die Erlaubnis zur Ausübung der drei Berufe in Luxemburg zu erhalten, so kann am Ende des sechzehnten Jahres des Erwerbs der erforderlichen Erfahrung die im Laufe der ersten sechs Jahre erworbene Erfahrung schon nicht mehr berücksichtigt werden, weil mehr als zehn Jahre verstrichen sind, seitdem er die Ausübung des ersten Berufes beendet hat. Da die Tätigkeit während sechs aufeinanderfolgender Jahre ausgeuebt worden sein muß und nach den luxemburgischen Rechtsvorschriften die Ausübung eines Hauptberufs die gleichzeitige Ausübung jedes anderen Hauptberufs auszuschließen scheint, frage ich mich im übrigen, welchem der in Frankreich gleichzeitig ausgeuebten Berufe die luxemburgischen Behörden das Fehlen der Erfahrung zuschreiben würden?

42 Ich bin der Meinung, daß dieses Vorgehen nicht nur deshalb inakzeptabel ist, weil es zu dem gerade darlegten absurden Ergebnis führt, sondern auch deshalb, weil Artikel 4 der Richtlinie 64/427 in deutlichster Weise bestimmt, daß die Mitgliedstaaten, in denen einer der in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallenden Berufe oder die Ausübung dieser Tätigkeit reglementiert ist, mit Hilfe der Kommission die übrigen Mitgliedstaaten über die wesentlichen Berufsmerkmale unterrichten müssen, indem sie ihnen eine Beschreibung der eigentlichen Tätigkeit dieser Berufe liefern, daß in jedem Mitgliedstaat die zu diesem Zweck bezeichnete zuständige Stelle bestätigt, welche Berufstätigkeiten der Begünstigte tatsächlich ausgeuebt hat und wie lange er sie ausgeuebt hat, wobei diese Bestätigung aufgrund des Berufsbildes ausgestellt wird, das von dem Mitgliedstaat, in dem der Begünstigte den fraglichen Beruf ausüben will, mitgeteilt worden ist, und schließlich, daß der Aufnahmemitgliedstaat auf Antrag die Erlaubnis zur Ausübung der betreffenden Tätigkeit erteilt, wenn die nachgewiesene Tätigkeit mit den wesentlichen Punkten des Berufsbildes übereinstimmt, das der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats im Hinblick auf die Ausstellung dieser Bescheinigung mitgeteilt worden ist, und sonstige, in den Vorschriften des Aufnahmelandes vorgesehene Bedingungen erfuellt sind. Zu diesen Voraussetzungen kann meiner Ansicht nach nicht gehören, daß die betreffende Tätigkeit eine höhere Anzahl von Jahren ausgeuebt worden ist, als in der Richtlinie vorgesehen.

43 Die Richtlinie 64/427 führt somit ein vollständiges System von Vorschriften ein, die darauf gerichtet sind, daß die Ausübung einer Berufstätigkeit in einem bestimmten Mitgliedstaat für die Zwecke der Niederlassungsfreiheit in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt wird. Dafür sieht die Richtlinie eine dreifache Sicherung vor: Erstens unterrichten sich die Mitgliedstaaten anhand von Berufsbildern gegenseitig über die wesentlichen Merkmale der reglementierten Berufe; zweitens teilt der Mitgliedstaat, in dem die Niederlassungserlaubnis beantragt worden ist, dem Herkunftsmitgliedstaat das Berufsbild mit, das dieser bei der Ausstellung der Bescheinigung zugrunde zu legen hat, was meiner Ansicht nach einschließt, daß die zuständige Behörde, die die Bescheinigung ausstellt, nicht nur die tatsächlich ausgeuebte Tätigkeit kritisch prüft, sondern auch die Dauer dieser Ausübung; schließlich muß der Aufnahmemitgliedstaat die Niederlassungserlaubnis erteilen, wenn die bescheinigte Tätigkeit mit den wesentlichen Merkmalen des Berufsbildes übereinstimmt.

44 Zu der Bescheinigung, die der Herkunftsmitgliedstaat aufgrund des ihm vom Aufnahmemitgliedstaat zuvor mitgeteilten Berufsbildes erteilt, hat der Gerichtshof 1989(16) entschieden, daß diese Bescheinigung das Dokument sei, durch das die tatsächliche Niederlassungsfreiheit in den Mitgliedstaaten verwirklicht werden könne, die bestimmte Anforderungen an die Qualifikation stellen. Er ist daher zu dem Schluß gelangt, daß der Aufnahmemitgliedstaat, der solche Anforderungen stelle, grundsätzlich an die Feststellungen gebunden sei, die in der vom Herkunftsmitgliedstaat ausgestellten Bestätigung enthalten seien, da dieser sonst ihre praktische Wirksamkeit genommen würde. Er hat ferner ausgeführt, daß der Aufnahmemitgliedstaat insbesondere die Richtigkeit der Angaben der zuständigen Stelle des Herkunftsmitgliedstaats über die Tätigkeiten, die der Betroffene dort ausgeuebt hat, oder über deren Dauer nicht in Frage stellen kann.

45 Trotzdem verweigern die luxemburgischen Behörden einem Gemeinschaftsbürger, der die von der zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats erteilte Bescheinigung darüber vorlegt, daß er während der nach der Richtlinie 64/427 erforderlichen angemessenen und nicht zu weit zurückliegenden Zeit mehrere Berufe gleichzeitig ausgeuebt hat, die Erlaubnis, die Ausübung derselben Berufe in ihrem Staatsgebiet fortzuführen. Zur Begründung dieser Ablehnung berufen sie sich auf den vergeblichen Vorwand, daß diese Berufe nach den nationalen Rechtsvorschriften als unabhängige Hauptberufe gälten, deren Ausübung nur gesondert erlaubt werden könne.

46 Ich halte diese Praxis für einen Verstoß gegen die Vertragsbestimmungen über die Freizuegigkeit, die eine Erleichterung der Berufsausübung im gesamten Gebiet der Gemeinschaft bezwecken. Sie ist insbesondere unvereinbar mit Artikel 52 des Vertrages und mit den Bestimmungen der Richtlinie 64/427, die die Verwirklichung der Niederlassungfreiheit auf dem Gebiet der in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallenden selbständigen Tätigkeiten der be- und verarbeitenden Gewerbe erleichtern sollen, da diese Praxis unwiderruflich dazu führt, daß Gemeinschaftsbürger, die in einem anderen Mitgliedstaat mehrere der Tätigkeiten ausgeuebt haben, die im Großherzogtum als Hauptberufe angesehen werden, davon abgehalten werden, sich in Luxemburg niederzulassen.

VII - Ergebnis

In Anbetracht all dieser Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die ihm vom Tribunal administratif Luxemburg vorgelegten Vorabentscheidungsfragen umzuformulieren und folgendermassen zu beantworten:

Artikel 52 des Vertrages und die Artikel 3 und 4 der Richtlinie 64/427/EWG des Rates vom 7. Juli 1964 über die Einzelheiten der Übergangsmaßnahmen auf dem Gebiet der selbständigen Tätigkeiten der be- und verarbeitenden Gewerbe der CITI-Hauptgruppen 23 - 40 (Industrie und Handwerk) verbieten es, einem Gemeinschaftsbürger, der den Behörden des Aufnahmemitgliedstaats die Bescheinigung vorlegt, mit der die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats bestätigt, daß er während der für seinen Fall vorgesehenen angemessenen Zeit verschiedene Berufe gleichzeitig ausgeuebt hat und daß diese Ausübung nicht vor mehr als zehn Jahren beendet worden ist, die Erlaubnis zur Ausübung eines Teils dieser Berufe mit der Begründung zu verweigern, daß sie in diesem Aufnahmemitgliedstaat als unabhängige Hauptberufe angesehen würden und daß die Behörden dieses Mitgliedstaats der Auffassung seien, daß die Voraussetzung der Ausübung während einer angemessenen Zeit für jeden dieser Berufe gesondert erfuellt sein müsse.

(1) - Richtlinie des Rates vom 7. Juli 1964 über die Einzelheiten der Übergangsmaßnahmen auf dem Gebiet der selbständigen Tätigkeiten der be- und verarbeitenden Gewerbe der CITI-Hauptgruppen 23 - 40 (Industrie und Handwerk) (ABl. 1964, Nr. 117, S. 1863).

(2) - Die drei vom Tribunal administratif vorgelegten Vorabentscheidungsfragen sind in beiden Rechtssachen wortgleich mit Ausnahme dieses Wortes, an dessen Stelle in dem die Klage von Herrn de Castro Freitas betreffenden Vorlagebeschluß das Wort "Tätigkeiten" steht, während der die Klage von Herrn Escallier betreffende Vorlagebeschluß das Wort "Berufe" enthält.

(3) - ABl. 1962, Nr. 2, S. 36.

(4) - Abschnitt IV Buchstabe B dieses allgemeinen Programms setzt eine längere Frist für die durch die Gruppe 400 "Baugewerbe" in Anlage I erfassten Tätigkeiten, wenn diese in Form einer Beteiligung an öffentlichen Bauaufträgen ausgeführt werden.

(5) - Zweite, vierte, fünfte und sechste Begründungserwägung.

(6) - Richtlinie über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur Richtlinie 89/48/EWG (ABl. L 209, S. 25).

(7) - Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (ABl. 1989, L 19, S. 16).

(8) - KOM(96) 22 endg. (ABl. 1996, C 115, S. 16).

(9) - Urteil vom 28. Januar 1986 in der Rechtssache 270/83 (Kommission/Frankreich, Slg. 1986, 273, Randnrn. 13 und 14).

(10) - Urteile vom 15. Februar 1996 in der Rechtssache C-53/95 (Kemmler, Slg. 1996, I-703, Randnr. 11) und vom 7. Juli 1988 in der Rechtssache 143/87 (Stanton, Slg. 1988, 3877, Randnr. 13) und in den Rechtssachen 154/87 und 155/87 (Wolf u. a., Slg. 1988, 3897, Randnr. 13).

(11) - Urteil vom 28. Juni 1977 in der Rechtssache 11/77 (Patrick, Slg. 1977, 1199, Randnr. 10).

(12) - Erstellt vom Statistischen Amt der Vereinten Nationen, Études Statistiques, Serie M, Nr. 4, Rev. 1, New York, 1958.

(13) - Bereits in Fußnote 7 zitiert.

(14) - Schlussanträge in der Rechtssache C-164/94 (Aranitis, Urteil vom 1. Februar 1996, Slg. 1996, I-135, insbesondere I-147).

(15) - Urteil vom 27. September 1989 in der Rechtssache 130/88 (Van de Bijl, Slg. 1989, 3039, Randnrn. 17 und 19).

(16) - Urteil Van de Bijl (zitiert in Fußnote 15, Randnrn. 21 bis 23).

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