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Document 61983CC0276

Schlussanträge des Generalanwalts Lenz vom 11. Juni 1985.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Republik Griechenland.
Streichung.
Rechtssache 276/83.

Sammlung der Rechtsprechung 1985 -02751

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1985:250

Rechtssache 276/83

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

gegen

Republik Griechenland

SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

CARL OTTO LENZ

vom 11. Juni 1985

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

A. 

In einer Entscheidung des griechischen Währungsausschusses vom 19. Februar 1977 (608 TK) wurde verfügt, daß der Verkauf auf Kredit von neuen, für den privaten Gebrauch bestimmten Personenkraftwagen an Verbraucher nur erlaubt sei, wenn die Herstellung oder Montage in Griechenland erfolgte und wenn der nationale Mehrwert mindestens 30 % der gesamten Herstellungskosten ausmacht. Für importierte Fahrzeuge ist diese Art des Erwerbs also ausgeschlossen.

Die Kommission hält das für unvereinbar mit dem — gemäß Artikel 35 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Griechenland und die Anpassungen der Verträge (ABl. 1979, L 291, S. 17 ff) — ab 1. Januar 1981 in Griechenland uneingeschränkt anwendbaren Artikel 30 EWG-Vertrag, nach dem bekanntlich mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung verboten sind.

Als sie die griechischen Behörden darauf hinwies, wurde — offenbar geschah dies im Juni 1981 — ihr Standpunkt als richtig anerkannt und eine Beseitigung der aufgezeigten unterschiedlichen Behandlung zugesagt.

Da dies nicht geschehen ¡st (wie auch — entgegen der Ankündigung des Vertreters der griechischen Regierung in der mündlichen Verhandlung vom 21. November 1984 — bis heute eine Änderung der griechischen Rechtslage nicht herbeigeführt worden ist), leitete die Kommission durch Schreiben vom 24. März 1982 ein Verfahren gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag ein. Dabei wurde — im Hinblick auf Artikel 30 EWG-Vertrag — geltend gemacht, die gerügte Entscheidung begünstige den Absatz von in Griechenland hergestellten Autos, sie gestalte den Import von Personenkraftwagen schwieriger und teurer als den Absatz nationaler Erzeugnisse und sie mache den Zugang zum griechischen Markt für ausländische Fahrzeuge von einer Bedingung abhängig, die nicht für nationale Erzeugnisse gelte. Hingewiesen wurde auch darauf, daß die Festlegung von nur für eingeführte Erzeugnisse geltenden Zahlungsbedingungen nicht im Einklang sei mit der Kommissionsrichtlinie vom 22. Dezember 1969 über die Beseitigung von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen (ABl. 1970, L 13, S. 29).

Zum Erlaß einer entsprechenden förmlichen Stellungnahme, in der auch verlangt wurde, die notwendigen Maßnahmen innerhalb eines Monats ab Zustellung zu treffen, kam es dann — weil sich die griechische Regierung zu dem genannten Schreiben nicht geäußert hat — am 3. Juni 1983.

Darauf reagierte die griechische Regierung mit einem Schreiben vom 13. Oktober 1983. In ihm wurde einmal darauf hingewiesen, es handle sich bei der gerügten Entscheidung — weil es um Maßnahmen zur Sicherung der Barzahlung gehe — um einen im Interesse des Ausgleichs der defizitären griechischen Zahlungsbilanz erlassenen Akt. In ihm hieß es weiter, die Entscheidung verfolge auch das Ziel, die Entwicklung der jungen griechischen Industrie in dem genannten Bereich zu fördern. Dabei sei nicht nur zu berücksichtigen, daß die nationale Industrie auf dem griechischen Markt kein großes Angebot stelle, die Importe durch die getroffene Maßnahme also nicht erheblich beeinflußt würden. Wichtig sei namentlich, daß die Besonderheiten der griechischen Wirtschaft ausdrücklich anerkannt worden seien in dem der Beitrittsakte beigefügten Protokoll Nr. 7 „über die wirtschaftliche und industrielle Entwicklung Griechenlands“ (ABl. 1979, L 291, S. 177), in der Antwort der, Kommission auf ein Memorandum der griechischen Regierung vom 22. März 1982 wie auch in den Schlußfolgerungen des Europäischen Rates, der in Stuttgart getagt hat. Schließlich wurde noch geltend gemacht, die kritisierte Regelung sei als eine Art Beihilfe im Sinne von Artikel 92 EWG-Vertrag anzusehen, von der aber gesagt werden müsse, sie verstoße — wenn man sie im Lichte des Artikels 2 EWG-Vertrag betrachte — nicht gegen das gemeinsame Interesse.

Von der Stichhaltigkeit dieser Einlassung nicht überzeugt, rief die Kommission dann am 19. Dezember 1983 den Gerichtshof an, mit dem Antrag festzustellen, daß die Republik Griechenland gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 30 EWG-Vertrag und 35 der Akte über den Beitritt Griechenlands zu den Europäischen Gemeinschaften verstoßen hat, indem sie den Verkauf für den privaten (nichtöffentlichen) Gebrauch bestimmter importierter Personenkraftwagen auf Kredit untersagt hat.

B. 

Zu diesem Antrag, den die griechische Regierung nicht für begründet hält, nehme ich wie folgt Stellung:

1.

Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die kritisierte Maßnahme grundsätzlich als Einfuhrhindernis im Sinne des Artikels 30 EWG-Vertrag zu werten ist.

Wegen der geschilderten Differenzierung wird nämlich der Import von Personenkraftwagen schwieriger und teurer als der Absatz nationaler Erzeugnisse. Auch läßt sich sagen, daß letztere im Absatz begünstigt werden; denn Käufer, die nicht bar zahlen können, entscheiden sich für griechische Autos, und es unterbleiben damit Importe, zu denen es bei Fehlen der Regelung kommen würde. Dies wird ohne weiteres erfaßt von der in der Rechtsprechung zu Artikel 30 entwickelten Formel, wonach „jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern,“ als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung anzusehen ist (Rechtssache 8/74 ( 1 ), Sig. 1974, 852, Rdnr. 5). Außerdem läßt sich dazu auf die bereits erwähnte Kommissionsrichtlinie verweisen, die als Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen in Artikel 2 Absatz 2 solche definiert, nach denen der Absatz eingeführter Waren einer Bedingung unterworfen wird, die allein für importierte Waren gefordert wird und die in Artikel 2 Absatz 3 h und k von nur für eingeführte Waren geforderten Zahlungsbedingungen spricht sowie davon, daß inländischen Waren ein Vorzug eingeräumt wird.

Klar ist im übrigen nach der Rechtsprechung auch (vergleiche Urteil der verbundenen Rechtssachen 177 und 178/82 ( 2 )), daß in diesem Zusammenhang das Ausmaß der Behinderung nicht wichtig ist, daß es also nicht auf die „Spürbarkeit“ eines Einfuhrhemmnisses ankommt. Deshalb ist sicher die — unter Anführung von Zahlen über Importe und Erzeugung in Griechenland gemachte — Einlassung der griechischen Regierung unbeachtlich, die beanstandete Maßnahme führe — weil die griechische Industrie keinen großen Anteil am griechischen Markt habe — nicht zu unverhältnismäßig großen Störungen im Gemeinsamen Markt. Außerdem kann man sich mit der Kommission zu Recht fragen, ob ein Anteil der griechischen Industrie, die nur wenige Typen erzeugt, am griechischen Markt in Höhe von 10 % tatsächlich gegenüber dem Marktanteil anderer Gemeinschaftsländer als unbeachtlich anzusehen ist, umfassen doch die restlichen 90 % Fahrzeuge jeglicher Herkunft, aus der Gemeinschaft ebenso wie aus dritten Ländern.

Desgleichen kann der Hinweis der beklagten Regierung nicht verfangen, es werde so der griechischen Industrie kein großer Vorteil verschafft gegenüber der Autoindustrie in den anderen Mitgliedsländern, in denen die Kapitalzinsen viel niedriger seien und in denen — anders als in Griechenland — für den Import japanischer Autos Selbstbeschränkungsabkommen zur Auswirkung kämen. Dem hat die Kommission nämlich mit Recht entgegengehalten, den genannten Umständen könne ohne weiteres ohne Vertragsverletzung Rechnung getragen werden, nämlich — was die Importe japanischer Autos anbelangt — durch die Anwendung gleichartiger Maßnahmen wie in anderen Mitgliedsländern und — was die Kapitalzinsen anbelangt — gegebenenfalls mit Hilfe von durch die Gemeinschaft zu genehmigenden Beihilfen.

2.

Hauptsächlich hat sich die griechische Regierung gegenüber dem Vorwurf der Verletzung des Artikels 30 EWG-Vertrag zu rechtfertigen versucht, unter Hinweis auf ihre defizitäre Zahlungsbilanz, unter Berufung auf das der Beitrittsakte beigefügte Protokoll Nr. 7 „über die wirtschaftliche und industrielle Entwicklung Griechenlands“ sowie unter Bezugnahme auf ihr Memorandum vom 22. März 1982 mit dem Titel „Standpunkte der griechischen Regierung betreffend die Beziehungen Griechenlands zu den Europäischen Gemeinschaften“ und die dazu getroffene Stellungnahme der Kommission vom 29. März 1983 (während im Gerichtsverfahren — wie ich meine aus guten Gründen — nicht mehr von den Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Stuttgart die Rede war).

Verhältnismäßig leicht läßt sich aber zeigen, daß auch so dem Feststellungsantrag der Kommission nicht wirksam begegnet werden kann.

a)

Ganz offensichtlich gilt dies für den Hinweis auf die griechischen Zabltungsbilanzprobleme.

Hierzu ist zu sagen, daß es von vornherein unwahrscheinlich ist, daß sie bei Maßnahmen im Vordergrund gestanden haben könnten, die nur einen Wirtschaftssektor betreffen. Im Verfahren hat die griechische Regierung auch ziemlich deutlich zu erkennen gegeben, daß in Wahrheit das Hauptmotiv für den Erlaß der kritisierten Regelung der Schutz der verhältnismäßig jungen, noch im Aufbau begriffenen griechischen Autoindustrie sei. Überdies wäre in diesem Zusammenhang anzumerken, daß Zahlungsbilanzschwierigkeiten natürlich nicht ohne weiteres Abweichungen von den allgemeinen Vertragsregeln gestatten. Der Vertrag sieht dafür in Artikel 108 besondere Vorschriften vor (Empfehlungen der Kommission; gegenseitigen Beistand; Ermächtigung zum Erlaß von Schutzmaßnahmen); offenbar aber hat die beklagte Regierung das insofern vorgesehene Verfahren gar nicht eingeleitet.

b)

In dem von der griechischen Regierung vor allem angezogenen Protokoll Nr. 7, das festgelegt wurde, um „einige besondere Probleme betreffend Griechenland zu regeln“, ist zunächst die Rede von den grundlegenden Zielen der Gemeinschaft und von den von der griechischen Regierung bei der Verwirklichung einer Politik der Industrialisierung und der wirtschaftlichen Entwicklung verfolgten Zielen. Es wird anerkannt, daß die Erreichung der Ziele dieser Politik im gemeinsamen Interesse liegt. Weiter heißt es dann, die Vertragsparteien seien übereingekommen, „zu diesem Zweck den Organen der Gemeinschaft die Anwendung aller im EWG-Vertrag vorgesehenen Mittel und Verfahren zu empfehlen, insbesondere eine angemessene Verwendung der zur Verwirklichung der obengenannten Ziele der Gemeinschaft zur Verfügung stehenden Gemeinschaftsmittel“; schließlich wird insbesondere anerkannt, „daß im Fall der Anwendung der Artikel 92 und 93 EWG-Vertrag die Ziele der wirtschaftlichen Ausweitung und der Hebung des Lebensstandards der Bevölkerung zu berücksichtigen sind“.

Nach dem Aufbau dieses Protokolls und namentlich nach dem Wortlaut der beiden letzten Absätze über die zu treffenden Maßnahmen ist für mich klar, daß es hier nicht um die Zulassung einer allgemeinen Abweichung von den Regeln des Vertrages und den Regeln der Beitrittsakte geht (was im Hinblick auf den Artikel 35 der Beitrittsakte angesichts der in den Artikeln 36 ff vorgesehenen besonderen Abweichungen vom Verbot der mengenmäßigen Ein- und Ausfuhrbeschränkungen auch erstaunlich anmuten müßte). Deutlich wird vielmehr, daß den besonderen griechischen Anliegen im Rahmen der Anwendung der Vertragsregeln Rechnung getragen werden soll, insbesondere bei der Verwendung der der Gemeinschaft zur Verfügung stehenden Mittel und bei der Entwicklung von Gemeinschaftspolitiken (was — wie die Kommission anhand von Beispielen gezeigt hat — schon geschehen ist und noch weiter geschieht).

Es ist also sicher verfehlt, aus der Erwähnung der Gemeinschaftsziele im ersten Absatz des Protokolls (sie entsprechen denen des Artikels 2 EWG-Vertrag) im Widerspruch zum vorletzten Absatz des Protokolls auf die Zulässigkeit nicht im Vertrag vorgesehener Maßnahmen (wie mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen) zu schließen. Derartiges wird von einer teleologischen Auslegung — wie sie die beklagte Regierung empfiehlt — gewiß nicht mehr gedeckt. Daß aber im vorliegenden Fall der letzte Absatz des Protokolls nicht eingreift, ergibt sich einfach daraus, daß die jetzt zu würdigende Maßnahme — weil es am Einsatz staatlicher Finanzmittel fehlt — nicht in die Kategorie der Beihilfen gehört. Auch die griechische Regierung scheint das jetzt — wenn ich ihre schriftlichen Äußerungen richtig verstanden habe — so zu sehen.

c)

Zu dem ebenfalls angezogenen griechischen Memorandum (das im Bulletin der Europäischen Gemeinschaften 1982 Nr. 3 auf den S. 100 ff abgedruckt ist) ist zwar einzuräumen, daß in ihm u. a. auch von Abweichungen von bestimmten gemeinschaftlichen Regeln gesprochen wird (vergleiche Ziffer 9). Die eingehende Stellungnahme der Kommission zu diesem Memorandum macht aber deutlich, was von Seiten der Gemeinschaft im Hinblick auf die griechischen Probleme allein in Betracht kommt (etwa Maßnahmen, die zu einem Fünfjahresplan beitragen, Bereitstellung von Gemeinschaftsmitteln für die griechische Industrie oder Genehmigung nationaler Beihilfen). Nirgends ist hier dagegen eine Zusage zur Duldung vertragswidriger Maßnahmen zu erkennen (zu der die Kommission gar nicht befugt wäre), vielmehr werden unter Ziffer 14, wo davon gesprochen wird, die Gemeinschaft könne zur Entwicklung der griechischen Wirtschaft bei der Verwirklichung ihrer Politik beitragen, ausdrücklich Abweichungen von den Verträgen ausgeschlossen. Auch unter Berufung auf diese Texte läßt sich also eine Mißachtung des in Artikel 30 EWG-Vertrag enthaltenen Verbotes gewiß nicht rechtfertigen.

C. 

Danach bleibt nur festzuhalten, daß die von der Kommission getroffene Wertung der eingangs erwähnten griechischen Maßnahme zutrifft und daß somit antragsgemäß festzustellen ist, die Republik Griechenland habe gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 30 EWG-Vertrag und 35 der Akte über den Beitritt verstoßen, indem sie den Verkauf für den privaten (nichtöffentlichen) Gebrauch bestimmter importierter Personenkraftwagen auf Kredit untersagt hat. Bei dieser Sachlage müssen auch die Kosten des Verfahrens der Beklagten auferlegt werden.


( 1 ) Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74 — Staats-anwaltschaft/Bcnolt und Gustave Dassonville — Slg. 1974, 837.

( 2 ) Urteil vom 5. April 1984 in den verbundenen Rechtssachen 177 und 178/82 — Strafverfahren gegen Jan van de Haar und Kaveka de Mcern BV — Slg. 1984, 1797.

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