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Document 61982CC0162

Schlussanträge des Generalanwalts Sir Gordon Slynn vom 9. Februar 1983.
Strafverfahren gegen Paul Cousin und andere.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal de police de Strasbourg - Frankreich.
Freier Warenverkehr - Ursprungsland von Baumwollgarn.
Rechtssache 162/82.

Sammlung der Rechtsprechung 1983 -01101

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1983:31

SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

SIR GORDON SLYNN

VOM 9. FEBRUAR 1983 ( 1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Das Tribunal de Police Straßburg, Frankreich, hat dem Gerichtshof gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„Ergibt sich aus der Auslegung des EWG-Vertrags, insbesondere des Artikels 30, daß die in den Artikeln 1 und 2 der Verordnung Nr. 749/78 der Kommission vom 10. April 1978 aufgestellte Voraussetzung für die zollrechtliche Qualifizierung bestimmter Textilerzeugnisse als Waren mit Ursprung in einem Mitgliedstaat der EWG eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung darstellt?“

Die Verordnung Nr. 749/78 erging aufgrund von Artikel 14 der Verordnung (EWG) Nr. 802/68 des Rates vom 27. Juni 1968 (ABl. L 148, S. 1) zur Durchführung von Artikel 5 dieser Verordnung im Hinblick auf Textilwaren der Kapitel 51 und 53 bis 62 des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT). Sie wurde von der Kommission erlassen, da der Ausschuß für Ursprungsfragen, dem ein Entwurf vorgelegt worden war, diesen nicht mit Mehrheit gebilligt hatte und da der Rat zu dem Vorschlag der Kommission innerhalb der vorgeschriebenen Frist keinen Beschluß gefaßt hatte.

Artikel 5 der Verordnung Nr. 802/68 lautet wie folgt:

„Eine Ware, an deren Herstellung zwei oder mehrere Länder beteiligt sind, hat ihren Ursprung in dem Land, in dem die letzte wesentliche und wirtschaftlich gerechtfertigte Be- oder Verarbeitung stattgefunden hat, die in einem dazu eingerichteten Unternehmen vorgenommen worden ist und zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses geführt hat oder eine bedeutende Herstellungsstufe darstellt.“

Nach den Begründungserwägungen der Verordnung Nr. 749/78 können bei den unter die genannten Kapitel des GZT fallenden Textilwaren „diese Voraussetzungen als erfüllt gelten, wenn die hergestellten Waren einer vollständigen Be-oder Verarbeitung unterzogen wurden, die eine Herstellungsstufe darstellt. Dies trifft in der Regel zu,“ so heißt es weiter, „wenn die Be- oder Verarbeitung zur Folge hat, daß die hergestellte Ware in eine andere Tarifnummer einzureihen ist als jede einzelne der verwendeten Waren. Bei einigen Waren indessen entspricht das allgemeine Kriterium des Wechsels der Tarifnummer nicht einer vollständigen Be- oder Verarbeitung. Für diese Waren sind zusätzlich zum Wechsel der Tarifnummer weitere Voraussetzungen festzulegen. Gewisse Vorgänge können jedoch eine vollständige Be-oder Verarbeitung darstellen, obwohl sie keinen Wechsel der Tarifnummer zur Folge haben. Für diese Vorgänge sind gewisse Ausnahmen von der Regel des Wechsels der Tarifnummmer vorzusehen“.

Artikel 1 lautet:

„Textilwaren der Kapitel 51 und 53 bis 62 des Gemeinsamen Zolltarifs gelten als Ursprungswaren eines Landes oder der Gemeinschaft, wenn sie dort einer vollständigen Be- oder Verarbeitung im Sinne von Artikel 2 unterzogen wurden.“

Artikel 2 bestimmt, soweit entscheidungserheblich:

„Als vollständig gelten Be- oder Verarbeitungen,

a)

die zur Folge haben, daß die hergestellten Waren unter eine andere als die für jede verwendete Ware zutreffende Tarifnummer einzureihen sind; ausgenommen sind jedoch die in der Liste A aufgeführten Be- oder Verarbeitungen, auf die die Sondervorschriften für diese Liste, Anwendung finden;

b)

die in der Liste B aufgeführt sind.“

Die Kommission hat erklärt, sie habe sich beim Erlaß der Verordnung Nr. 749/78 von der Verordnung Nr. 2966/77 der Kommission vom 23. Dezember 1977 über die Begriffsbestimmung des Warenursprungs bei der Anwendung der von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für bestimmte Waren aus Entwicklungsländern gewährten Zollpräferenzen (ABl. L 350 vom 30. 12. 1977, S. 1) leiten lassen. Artikel 3 dieser Verordnung ähnelt sehr dem Artikel 2 der Verordnung Nr. 749/78; der erstere stellt jedoch auf eine „ausreichende Be- oder Verarbeitung“ ab, während der letztere von einer „vollständigen Be- oder Verarbeitung“ spricht.

Zum vorliegenden Rechtsstreit ist es aufgrund der Einfuhr von mehreren Sendungen Baumwollgarn nach Frankreich gekommen. Das Garn war zunächst von einer in der Bundesrepublik ansässigen Firma, der Wuppertaler Garnbleicherei und Färberei Eduard Goebel (im folgenden: Firma WGF), einem Endverarbeiter von Rohtextilwaren, aus einem Drittland nach Deutschland eingeführt worden. Diese Firma bezog das Baumwollgarn hauptsächlich aus Ägypten und den USA und nahm daran vor seinem Weiterverkauf folgende Arbeiten vor:

1.

Gasieren. Dabei werden kleine Härchen und kleine Fasern mit Elektrobrennern vom Faden abgesengt. Das Garn wird so schnell über den Brenner hinweggeführt, daß das herausragende Material abgesengt wird, ohne daß das Garn versengt oder verbrannt wird. Durch diesen Vorgang wird das Garn leichter, glatter und fühlt sich weicher an. Sein Handelswert und seine Verwendungsmöglichkeiten werden erhöht.

2.

Merzerisieren. Dabei wird das Garn unter Spannen mit Natronlauge imprägniert. Dies erhöht seine Zerreißfestigkeit um etwa 30 bis 40 % und verleiht ihm nach dem Trocknen einen seidigen Glanz.

3.

Färben. Durch den Einsatz eines Computers wird sichergestellt, daß die Färbung des Garns gleichmäßig erfolgt; die verwendeten Farben sind bis mindestens 80° C waschfest. Das von der Firma WGF bearbeitete Garn weist eine erhöhte Schweiß- und Reibefestigkeit auf.

4.

Aufspulen.

Nach dem Vorbringen der Firma WGF steigern diese Arbeitsgänge den Handelswert des Garns um 159 %. Selbst wenn bestimmte Arbeiten wie das Gasieren und das Merzerisieren im Herstellungsland vorgenommen worden seien (in diesem Falle würden sie nach der Einfuhr nach Deutschland nicht erneut vorgenommen), betrüge die Wertsteigerung allein aufgrund des Färbens 99 %. Das rohe Garn sei von „keinem besonderen Nutzen“, auch wenn es gewebt und der fertige Gegenstand danach gefärbt werden könne. Das von der WGF verkaufte Garn sei für die Herstellung von Strickwaren bestimmt und könne in der Praxis von ihren Abnehmern nur nach einer Endbearbeitung verwendet werden.

Zwischen 1978 und 1980 verkaufte die Firma WGF mehrere Sendungen bearbeitetes Baumwollgarn an zwei in Frankreich ansässige Firmen: die Etablissements Tricotage mécanique de Marmoutier und die Firma SA Allenbach (im folgenden: die Importeure). Die Waren wurden durch drei ebenfalls in Frankreich ansässige Zollspediteure importiert: die Firma SA Transports Seegmuller, die Firma Heppner und die Firma Woehl & Cie. (im folgenden: die Spediteure). Einige dieser Sendungen wurden den französischen Zollstellen vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 749/78 gestellt. Entsprechend den schriftlichen Weisungen der Firma WGF gaben die Spediteure auf den Zollvordrucken Deutschland als Ursprungsland an, und die Waren wurden als Erzeugnisse der Tarifstelle 55.05 B II verzollt. Später stellten die französischen Zollbehörden Ermittlungen an, die ergaben, daß das Garn ursprünglich aus Ländern außerhalb der Gemeinschaft stammte. Deshalb wurden gegen die Leiter und leitenden Direktoren aller betroffenen Firmen, die Firmen selbst und den Vertreter der Firma WGF in Frankreich, Herrn Deltour, Verfahren wegen falscher Ursprungsangabe, die gegen mehrere Vorschriften des französischen Code de Douanes (Zollgesetz) verstößt, eingeleitet.

Nach französischem Recht ist, offensichtlich für statistische Zwecke, vor der Einfuhr u. a. von aus Drittländern stammendem Baumwollgarn eine Zollerklärung abzugeben. Dies hat zu der Vermutung geführt, daß die Spediteure angewiesen worden sind, Deutschland als Ursprungsland anzugeben, um bei der Verarbeitung von Waren, für die eine Einfuhrerklärung erforderlich ist, Wartezeiten bis zu einem Monat zu vermeiden. Die genaue Art der von den französischen Zollstellen durchgeführten Zollverfahren ist nicht völlig klar, und ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht wurde von einigen der Parteien in Frage gestellt, ist jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Das Tribunal de Police stellte sich unter Berufung auf die Rechtssache 41/76 Donckerwolcke/Procureur de la République, Slg. 1976, 1921) auf den Standpunkt, daß die Verpflichtung zur Angabe des Ursprungslandes von Waren in der Zollinhaltserklärung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Es leitete daraus her, daß die französischen Zollstellen auch berechtigt gewesen seien, die Angabe des „ersten Ursprungslandes“ in der Erklärung zu verlangen. Dabei beschäftigte das Tribunal de Police wohl das Problem, inwieweit den Importeuren und den Spediteuren das „erste Ursprungsland“ bekannt war, und es gelangte zu der Auffassung, daß diese Frage nur aufgrund einer genauen Auslegung der Verordnung Nr. 749/78, insbesondere ihres Artikel 2, entschieden werden könne. Andererseits verwies das Tribunal darauf, daß es nach der Entscheidung des Gerichtshofes in der Rechtssache Donckerwolcke möglicherweise gegen Artikel 30 verstoße, wenn ein Mitgliedstaat für in der Gemeinschaft im freien Verkehr befindliche Erzeugnisse, für die EWG-Warenverkehrsbescheinigungen ausgestellt worden sind, in der Zollerklärung die Angabe des Ursprungslandes verlangt, „wenn der Importeur verpflichtet würde, hinsichtlich des Ursprungs etwas anderes anzugeben, als er weiß oder vernünftigerweise wissen kann“.

In dem Vorabentscheidungsersuchen heißt es weiter: „Diese Verordnung (d. h. die Verordnung Nr. 749/78) behandelt das Problem der Bestimmung des Umfangs der Be- und Verarbeitung im Hinblick auf die Tarifnummer (der Waren) und nicht nur im Hinblick auf die an den Waren vorgenommenen Arbeiten, die eine wesentliche Bearbeitung im Sinne der Verordnung Nr. 802/68 und der Verordnung Nr. 1039/71 der Kommission vom 24. Mai 1971 (ABl. L 113vom 25. 5. 1971, S. 13) darstellen können. Man kann sich infolgedessen zu Recht fragen, ob die in Artikel 2 der Verordnung Nr. 749/78 enthaltenen Ausnahmen nicht eine durch Artikel 30 EWG-Vertrag verbotene mengenmäßige Beschränkung oder Maßnahme gleicher Wirkung darstellen.“

Unstreitig fallen die im vorliegenden Fall betroffenen Erzeugnisse, nämlich Baumwollgarne, nach der hier in Rede stehenden Bearbeitung nicht unter eine andere Tarifnummer. Die Liste B betrifft die „Be- oder Verarbeitungsvorgänge, die zu keinem Wechsel der Tarifnummer führen, den hergestellten Waren aber die Eigenschaft von Ursprungswaren verleihen“. Baumwollgarn ist in dieser Liste nicht aufgeführt.

Obwohl die Vorabentscheidungsfrage auf den ersten Blick nur dahin geht, ob die in Artikel 1 und 2 der Verordnung Nr. 749/78 aufgestellten Voraussetzungen einen Verstoß gegen Artikel 30 EWG-Vertrag darstellen, macht diese Frage unter Berücksichtigung des methodischen Ansatzes und der vom Tribunal vorgetragenen Gesichtspunkte es meines Erachtens unbedingt erforderlich, im vorliegenden Fall darüber zu entscheiden,

a)

ob die Verordnung Nr. 749/78 dahin auszulegen ist, daß Be- und Verarbeitungsvorgänge der im vorliegenden Fall beschriebenen Art dazu führen, daß Deutschland als Ursprungsland des nach Frankreich eingeführten Garns anzusehen ist,

b)

verneinendenfalls, ob die Verordnung Nr. 749/78 eine gültige Durchführung des Artikels 5 der Verordnung Nr. 802/68 darstellt und mit diesem vereinbar ist,

c)

ob die Verordnung Nr. 749/78 somit eine durch Artikel 30 EWG-Vertrag verbotene Maßnahme ist.

Es ist vorgetragen worden, daß die Verordnung Nr. 749/78 bei richtiger Auslegung überhaupt nicht auf Baumwollgarn anwendbar ist. Sie sollte zwei frühere, ebenfalls zur Durchführung von Artikel 5 der Verordnung Nr. 802/68 erlassene Verordnungen der Kommission abändern und an ihre Stelle treten. Die erste ist die im Vorabentscheidungsersuchen erwähnte Verordnung Nr. 1039/71, in der die Be- oder Verarbeitungsvorgänge aufgeführt werden, die, was den Ursprung von bestimmten Textilgeweben angeht, nach Auffassung der Kommission die in Artikel 5 der Verordnung Nr. 802/68 enthaltenen Voraussetzungen erfüllen. Die zweite Verordnung, die Verordnung Nr. 1480/77 vom 24. Juni 1977 (ABl. L 164 vom 2. 7. 1977, S. 16) enthielt eine entsprechende Regelung für einen weiten Bereich von Waren wie Wirkwaren sowie bestimmte Bekleidung und Schuhe. Nach Artikel 4 der Verordnung Nr. 749/78 werden die Vorschriften dieser beiden Verordnungen für die Waren der Kapitel 51 und 53 bis 62 des Gemeinsamen Zolltarifs durch die Vorschriften der Verordnung Nr. 749/78 ersetzt. Weder die Verordnung Nr. 1039/71 noch die Verordnung Nr. 1480/77 war jedoch auf Baumwollgarn anwendbar. Man kann daher die Auffassung vertreten, daß der Umstand, daß das Baumwollgarn in der Liste B der Verordnung Nr. 749/78 nicht aufgeführt ist, sich daraus erklärt, daß die Verordnung zwei andere Verordnungen ersetzen sollte, die auf Baumwollgarn nicht anwendbar waren. Wenn dies richtig ist, könnte man sich auf den Standpunkt stellen, daß die Verordnung Nr. 749/78 die Rechtslage des Baumwollgarns offenläßt und diese somit nach Artikel 5 der Verordnung Nr. 802/68 zu beurteilen ist.

Ich kann mich dieser Auffassung jedoch nicht anschließen. Wie die Kommission vorgetragen hat, sollte die Verordnung Nr. 749/78 für alle Textilwaren der Kapitel 51 und 53 bis 62 des GZT einschießlich des in den Tarifnummern 55.05 und 55.06 genannten Baumwollgarns gelten. Für dieses Vorbringen sprechen die Präambel der Verordnung, die Textilwaren allgemein behandelt und die Verordnungen Nrn. 1039/71 und 1480/77 erst in der drittletzten Begründungserwägung erwähnt, und die Aufnahme des Baumwollgarns in die Liste A. Somit ist das Baumwollgarn meines Erachtens deshalb nicht in die Liste B aufgenommen worden, weil die Kommission der Meinung war, es gebe keine Be-oder Verarbeitung dieses Erzeugnisses, die, ohne seine Tarifierung zu beeinflussen, die Vorausetzungen des Artikels 5 der Verordnung Nr. 802/68 erfüllt. Deshalb kann Deutschland nach der Verordnung Nr. 749/78 nicht das Ursprungsland der im vorliegenden Fall in Rede stehenden Waren sein, da diese nicht in der Liste B aufgeführt sind.

Bei der Festlegung der Kriterien zur Bestimmung des Ursprungs von Textilwaren der Kapitel 51 und 53 bis 62 des GZT hat die Kommission sich nicht auf den Wechsel der Tarifnummer beschränkt. Hätte sie dies getan, so stände die von ihr getroffene Regelung möglicherweise im Widerspruch zu dem Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache 49/76 (Gesellschaft für Überseehandel/Handelskammer Hamburg, Slg. 1977, 41, Randnummer 5 der Entscheidungsgründe). Statt dessen hat sie als Ausgangspunkt die „vollständige Be- oder Verarbeitung“ gewählt. Einige Be- oder Verarbeitungsvorgänge, die zu einem Wechsel der Tarifnummer führen, wurden ausgeschlossen, sofern nicht besondere Voraussetzungen erfüllt sind. Andere wurden auch dann akzeptiert, wenn sie nicht zu einem Wechsel der Tarifnummer führen.

Nach Artikel 5 hat eine Ware, an derer Herstellung zwei oder mehrere Länder beteiligt sind, ihren Ursprung in derr Land, in dem die „letzte wesentliche und wirtschaftlich gerechtfertigte Be- oder Verarbeitung“ stattgefunden hat, sofern diese Be- oder Verarbeitung 1. „in einem dazu eingerichteten Unternehmen vorgenommen worden ist“ und 2. „zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses“ geführt hat oder „eine bedeutende Herstellungsstufe“ darstellt. Es erscheint kaum zweifelhaft, daß a) die Endbearbeitungsvorgänge, denen das Baumwollgarn unterworfen wurde, tatsächlich getrennt oder zusammengenommen eine „Be-oder Verarbeitung“ darstellen, die b) wirtschaftlich, d. h. durch eine Erhöhung des Handelswertes der Erzeugnisse, gerechtfertigt ist; (man kann die Auffassung vertreten, daß die Vornahme dieser Be- oder Verarbeitung in dem in Rede stehenden Land statt an einem anderen Ort wirtschaftlich gerechtfertigt sein muß, im vorliegenden Fall möchte ich jedoch davon ausgehen, daß dies der Fall ist); daß c) diese Be- oder Verarbeitung die „letzte“ ist, da keine weitere Be-oder Verarbeitung vor dem Absatz oder der Verwendung (mit Ausnahme des Packens) stattfindet, und daß sie d) in einem dazu eingerichteten Unternehmen vorgenommen worden ist. Fraglich bleibt jedoch, ob die Be- oder Verarbeitung „wesentlich“ war und „zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses geführt hat“ oder „eine bedeutende Herstellungsstufe darstellt“.

Der Gerichtshof hat in der Rechtssache Überseehandel entschieden, daß die letzte Be- oder Verarbeitung im Sinne des Artikels 5 nur dann „wesentlich“ sei, „wenn das daraus hervorgegangene Erzeugnis besondere Eigenschaften besitzt und von einer spezifischen Beschaffenheit ist, die es vor dieser Be- oder Verarbeitung nicht hatte“ (Randnummer 6 des Urteils). Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt: „Wenn in Artikel 5 bestimmt wird, daß eine Be- oder Verarbeitung, um als ursprungsbegründend angesehen werden zu können, zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses geführt haben oder eine bedeutende Herstellungsstufe darstellen muß, so zeigt dies, daß Vorgänge, welche die Aufmachung eines Erzeugnisses im Hinblick auf seine Verwendung betreffen, nicht aber zu einer erheblichen qualitativen Änderung seiner Eigenschaften führen, nicht den Ursprung dieses Erzeugnisses bestimmen können.“ Durch seine Entscheidung, daß die wesentliche Natur eines Be- oder Verarbeitungsvorgangs sich nach seinem Ergebnis bestimmt, hat der Gerichtshof diese Voraussetzung wohl mit den weiteren Voraussetzungen, daß die Be- oder Verarbeitung zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses geführt haben oder eine bedeutende Herstellungsstufe darstellen muß, verbunden (vgl. auch die Rechtssachen 34/78, Yoshida/Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Friesland, Sig. 1979, 115, und 114/78, Yoshida/Indu-strie- und Handelskammer Kassel, Slg 1979, 151).

Als Ergebnis dieser Entscheidungen möchte ich festhalten, daß ein Be- oder Verarbeitungsvorgang nur dann unter Artikel 5 fällt, wenn er entweder dem be- oder verarbeiteten Erzeugnis besondere Eigenschaften verleiht, die es vorher nicht besaß, oder zu einer erheblichen qualitativen Änderung der Eigenschaften führt, die das Erzeugnis vor seiner Be-oder Verarbeitung besaß.

Meines Erachtens erfüllen die im vorliegenden Fall in Rede stehenden Be- und Verarbeitungsvorgänge mit Ausnahme des Aufspulens die Voraussetzungen des Artikels 5. Das Gasieren verringert das Gewicht des Garns und macht es glatter, was zu entsprechenden Ergebnissen für das aus dem Garn hergestellte Gewebe führt. Die durch das Merzerisieren erzielte um etwa 30 bis 40 % erhöhte Zerreißfestigkeit stellt meiner Auffassung nach eine erhebliche qualitative Änderung dar. Das Färben ist von der Kommission bei Geweben als ein Vorgang anerkannt worden, der sowohl nach der Verordnung Nr. 1039/71 als auch nach der Verordnung Nr. 749/78 geeignet war, den Ursprung zu beeinflussen (sofern es mit einer Endbearbeitung wie Merzerisieren einherging), und es ist kein einleuchtender Grund dafür vorgetragen worden, warum dasselbe nicht für Baumwollgarn gelten soll. Demnach sind die nach Frankreich eingeführten Erzeugnisse nach Artikel 5 der Verordnung Nr. 802/68 als deutsche Ursprungswaren anzusehen.

Folglich hat die Kommission dadurch, daß sie keine Vorschriften über diese Art der Be- oder Verarbeitung von Baumwollgarn in die Verordnung Nr. 749/78 aufgenommen hat, Artikel 5 der Verordnung Nr. 802/68 nicht durchgeführt: Die Verordnung Nr. 749/78 ist insoweit ungültig und bildet keinen Hinderungsgrund, diese Waren als deutsche Ursprungswaren anzusehen. Somit ist es nicht erforderlich, in der Untersuchung fortzufahren und zu prüfen, ob die Verordnung Nr. 749/78 möglicherweise eine durch Artikel 30 verbotene Maßnahme darstellt.

Falls zu prüfen wäre, ob die Verordnung Nr. 749/78 eine durch Artikel 30 verbotene Maßnahme darstellt, würde ich die Auffassung vertreten, daß sich dies aus dem dem vorliegenden Fall zugrundeliegenden Sachverhalt nicht ergibt. Eine bloße Ursprungsbestimmung stellt meines Erachtens als solche keine Maßnahme dar, die die gleiche Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung hat, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern. Die Art und Weise, wie die Ursprungsbestimmung von einem Mitgliedstaat gehandhabt wird, und der Zweck, zu dem sie venvandt wird, können möglicherweise eine solche Maßnahme bilden, dies ist jedoch nicht Gegenstand der im vorliegenden Fall gestellten Frage.

Aus den dargelegten Gründen schlage ich vor, die vorgelegte Frage etwa wie folgt zu beanworten: Die Verordnung Nr. 749/78 ist insoweit ungültig, als sie nicht vorsieht, daß das Gasieren, das Merzerisieren und das Färben Be-oder Verarbeitungsvorgänge darstellen, die geeignet sind, dem Baumwollgarn, das diesen Arbeiten unterzogen worden ist, die Eigenschaft von Ursprungserzeugnissen zu verleihen.


( 1 ) Aus dem Englischen übersetzt.

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