EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 61973CC0159

Schlussanträge des Generalanwalts Trabucchi vom 17. Januar 1974.
Hannoversche Zucker AG Rethen-Weetzen gegen Hauptzollamt Hannover.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht Hamburg - Deutschland.
Produktionsabgaben für Zuckerüberschüsse.
Rechtssache 159-73.

Sammlung der Rechtsprechung 1974 -00121

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1974:4

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS ALBERTO TRABUCCHI

VOM 17. JANAUR 1974 ( 1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1.

Die vom Finanzgericht Hamburg gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag vorgelegten Auslegungsfragen betreffen einen Fall, den die Gemeinschaftsvorschriften, die zu dem für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt galten, nicht ausdrücklich regelten, und für den sich auch der Zielsetzung des anwendbaren Systems nicht ohne weiteres eine eindeutige Regel entnehmen läßt.

Diese Ziele können ausschlaggebend dafür sein, die eine oder andere abstrakt vorstellbare Lösung auszuschließen, reichen aber für sich allein nicht aus, um einer von ihnen als der einzig gültigen den Vorzug zu geben.

Eine eindeutige Wahl läßt sich nur treffen, wenn im Rahmen dieser Zielbestimmungen auch praktische Erwägungen entscheidend zum Zuge kommen. Damit fließt in die Auslegung der anzuwendenden Vorschriften notwendigerweise ein Element ein, das kennzeichnend für die gesetzgebende Tätigkeit ist, dem der gesetzesanwendende Richter entscheidendes Gewicht beizulegen daher in der Regel vermeidet. Wir werden jedoch sehen, daß wir es hier mit einem der Fälle zu tun haben, in denen es nicht möglich ist, sich Zweckerfordernissen zu verschließen, ohne daß einer realitätsbezogenen Erörterung der Boden entzogen wird.

Die Kommission war sich wohl der schwerwiegenden Folgen der vorhandenen Lücke bewußt, denn immerhin hielt sie es für erforderlich, durch den Erlaß der Verordnung Nr. 700 vom 12. März 1973 (ABl. L 67, S. 12) — also nach den Ereignissen, die diesem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegen — eine Regelung zu treffen, die gerade für den Fall gilt, der den Ausgangspunkt für die nunmehr erforderliche Auslegung der Verordnung Nr. 1009/67/EWG des Rates, der Grundnorm über die gemeinsa me Marktorganisation für Zucker, und der dazu ergangenen Durchführungsverordnung (EWG) Nr. 142/69 der Kommission bildet.

2.

Um Produktionsüberschüsse auf dem Zuckersektor zu vermeiden, bestimmt Artikel 23 der Verordnung Nr. 1009/67 für eine Übergangszeit bis zum 1. Juli 1975, daß die Mitgliedstaaten entweder für jede auf ihrem Hoheitsgebiet zuckererzeugende Fabrik oder für jedes auf ihrem Hoheitsgebiet zuckererzeugende Unternehmen entsprechend den von ihm aufgestellten Kriterien eine Grundquote festsetzen.

Ferner haben die Mitgliedstaaten nach Artikel 24 für die Fabriken oder für die Unternehmen, für die sie eine Grundquote festgesetzt haben, je eine Höchstquote festzusetzen, die durch Multiplikation der Grundquote mit einem Koeffizienten bestimmt wird. Für die über die Grundquote hinaus bis zur Höchstquote von jeder Firma erzeugte und für jedes Zukkerwirtschaftsjahr ermittelte Zuckermenge gilt die gemeinsame Absatzgarantie, doch erheben die Mitgliedstaaten für sie gemäß Artikel 27 der Verordnung eine Produktionsabgabe. Auf diese Weise müssen die Erzeuger, die die ihnen zugewiesene Grundquote überschreiten, die Absatzgarantie der Gemeinschaft mittragen. Die über die Höchstquote des Unternehmens hinaus erzeugte Zuckermenge darf indessen nicht auf dem Binnenmarkt abgesetzt werden.

Die Überschüsse dürfen nur innerhalb der durch Artikel 32 der besagten Verordnung eng gesteckten Grenzen auf die Erzeugung des folgenden Zuckerwirtschaftsjahres übertragen werden.

Die zur Anwendung der Quotenregelung und insbesondere der Bestimmung des Artikels 27 der Verordnung Nr. 1009/67 notwendigen Durchführungsbestimmungen wurden von der Kommission in der erwähnten Verordnung Nr. 142/69 getroffen. In Artikel 3 Absatz 1 dieser Verordnung heißt es: „Unter Zuckererzeugung einer Fabrik oder eines Unternehmens im Sinne der Artikel 25, 27 und 32 der Verordnung Nr. 1009/67/EWG ist die Zuckermenge zu verstehen, die von dieser Fabrik oder, je nach Fall, von der Fabrik oder den Fabriken dieses Unternehmens wirklich hergestellt worden ist.“

Die in den folgenden Absätzen dieses Artikels enthaltenen Normen dienen der Klarstellung, wie den einzelnen Unternehmen oder Fabriken die erzeugten Zuckermengen zuzuteilen sind, damit die mit dem Quotensystem verfolgten Ziele auch tatsächlich erreicht werden.

3.

Die erste Frage des Finanzgerichts Hamburg lautet:

„Sind bei der Anwendung des Artikels 27 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1009/67 des Rates der EWG vom 18. Dezember 1967 (ABl. Nr. 308/1967, S. 1) und des Artikels 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 142/69 der Kommission der EWG vom 25. Januar 1969 (ABl. L 20, S. 1) auch Mehrmengen zu berücksichtigen, die sich bei einer körperlichen Bestandsaufnahme nach dem Inkrafttreten der Produktionsabgaberegelung ergeben haben, die jedoch bereits vor dem 1. Juli 1968 entstanden sind?“

Artikel 2 der erwähnten Verordnung Nr. 142/69 betraut die Mitgliedstaaten mit der Aufgabe, alljährlich an einem bestimmten Tage für jede auf ihrem Hoheitsgebiet gelegene Fabrik oder Unternehmung die endgültige zum Zeitpunkt des 30. Juni verwirklichte Zuckererzeugung des vorhergehenden Zuckerwirtschaftsjahres festzustellen. Auf dieser Grundlage werden die Uberschußmengen ermittelt, auf welche die in Artikel 27 der Verordnung Nr. 1009/67 vorgesehene Abgabe erhoben wird.

Artikel 46 Abs. 2 zufolge wird ein Großteil der Bestimmungen dieser Verordnung einschließlich Artikel 27 ab 1. Juli 1968 angewandt.

Der deutsche Richter stellt also die Frage, ob die mit der Durchführung der genannten Gemeinschaftsnormen beauftragten nationalen Behörden bei der Anwendung des Artikels 27 und der dort vorgesehenen Abgabe Mehrmengen berücksichtigen dürfen, die zu einem früheren Zeitpunkt als dem 1. Juli 1968 entstanden sind.

Für den Fall, daß die erste Frage bejaht wird, stellt der Richter die folgende zweite Frage:

„Waren vor dem 1. Juli 1968 entstandene Mehrmengen gegebenenfalls im Zukkerwirtschaftsjahr 1968/69 oder in dem Jahr, in dem die Bestandsaufnahme stattgefunden hat, produktionsabgabepflichtig?“

4.

Die Kommission hat im Laufe des Verfahrens erklärt, eine nachträgliche Zuordnung von Mehrmengen zum Wirtschaftsjahr ihrer tatsächlichen Herstellung würde außerordentliche verwaltungsmäßige Schwierigkeiten mit sich bringen. Denn die Gesamtzuckererzeugung in der Gemeinschaft in einem bestimmten Wirtschaftsjahr sei, wie Artikel 27 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1009/67 in Verbindung mit Artikel 6 der Verordnung Nr. 142/69 entnommen werden könne, eines der Elemente, mit deren Hilfe der Antrag der Produktionsabgabe für dieses Wirtschaftsjahr berechnet werde. Werde die endgültige Feststellung der Zuckererzeugung für ein bestimmtes Unternehmen im abgelaufenen Zuckerwirtschaftsjahr, wie Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung Nr. 142/69 sie vorsehe, nachträglich auch nur geringfügig berichtigt, müsse zwangsläufig auch die Gesamterzeugung der Gemeinschaft und die Berechnung der von den zuckererzeugenden Unternehmen der Gemeinschaft zu zahlenden Produktionsabgabe ganz generell berichtigt werden. Zeitverlust, Verwaltungsarbeit und Kostenaufwand für eine derartige Neuberechnung stünden außer Verhältnis zu der Bedeutung der Berichtigung.

Die Kommission weist auch auf die Schwierigkeiten hin, die sich aus einer anderweitigen Festsetzung der Erzeugungsmengen eines bestimmten Wirtschaftsjahres im Hinblick auf die Anwendung des Artikels 32 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1009/67 ergeben könnten; dadurch werde die einheitliche Anwendung der Abgabenregelung gefährdet, weil für die Kriterien zur Feststellung des Herstellungszeitpunktes keine einheitlichen Grundsätze bestünden.

Vor dem 1. Juli 1968 unterlag der Zukkermarkt der Übergangsregelung der Verordnung Nr. 44/67 des Rates vom 21. Februar 1967 (ABl. Nr. 40 vom 3. März 1967, S. 597). Deren Artikel 7 setzte für jeden Mitgliedstaat die für das Wirtschaftsjahr 1967/68 zugelassene Produktionsmenge fest. Während dieses Wirtschaftsjahres durfte die überschüssige Menge nicht in der Gemeinschaft abgesetzt werden. Für den zu Beginn des Wirtschaftsjahres 1967/68 vorhandenen Zucker bestimmte Artikel 8 Absatz 2 die Höchstmenge, die auf dieses Zuckerwirtschaftsjahr übertragen werden durfte. Artikel 8 Absatz 1 wiederum bestimmte die Höchstmenge, die jeder Mitgliedstaat auf das Wirtschaftsjahr 1968/69 übertragen durfte. Da spätere Berechnungen ergaben, daß der in Deutschland am 1. Juli 1967 tatsächlich vorhandene Bestand die zugelassene Menge nicht erreichte, wurde die für das Wirtschaftsjahr 1967/68 zugelassene Produktionsmenge durch die Verordnung Nr. 1029/67/EWG der Kommission vom 21. Dezember 1967 (ABl. Nr. 313 vom 22. Dezember 1967) entsprechend erhöht. Dadurch ergab sich die „berichtigte“ Produktionsmenge, von der Artikel 33 der Verordnung Nr. 1009/67 ausgeht. Nach dieser Vorschrift wird die Produktion, die diese berichtigte Menge überschreitet, abzüglich der Zukkermengen, die ohne Erstattung nach Drittländern ausgeführt worden sind, von den Mitgliedstaaten als Übertragungsmenge auf die Fabriken oder Unternehmen verteilt. Gemäß Artikel 33 Absatz 2 gelten diese Mengen als unter die Grundquote des Zuckerwirtschaftsjahres 1968/69 fallende Produktion.

5.

Unter Berücksichtigung dieser Berichtigung setzte die Kommission durch Verordnung Nr. 1789/68 vom 8. November 1968 (ABl. L 273) die Summe der auf das Zuckerwirtschaftsjahr 1968/69 zu übertragenden Mengen fest. Durch diese Verordnung wurde einer der Faktoren bestimmt, auf den es später bei der Berechnung der Produktionsabgabe für das Wirtschaftsjahr 1968/69 ankam. Wäre bereits in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren in Deutschland eine höhere Zuckererzeugung festgestellt worden, dann hätte sich, wie die Kommission ausführt, für dieses Land eine höhere Uberschußmenge ergeben, mit der Folge, daß die im Wirtschaftsjahr 1966/67 erzeugten Mehrmengen sich auf die Höhe der Berichtigung der Produktionsmenge für 1967/68 und die im Wirtschaftsjahr 1967/68 erzeugten sich direkt auf die Überschußmenge im Sinne des Artikels 33 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1009/67 ausgewirkt hätten.

Insbesondere wäre die Berichtigung der Deutschland zugeteilten Grundquote gemäß Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung Nr. 44/67 anders ausgefallen, denn wären größere tatsächliche Bestände festgestellt worden, dann wäre es zu einer geringeren Erhöhung der Produktionsmenge gekommen, die in Artikel 7 der Verordnung mit Rücksicht darauf festgesetzt worden war, daß der am 1. Juli 1967 tatsächlich vorhandene Bestand hinter der in Artikel 8 Absatz 1 festgesetzten Übertragungsmenge zurückblieb.

Die berichtigte und für Deutschland gemäß Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung Nr. 44/67 festgelegte Grundquote wurde im Rahmen der damals noch geltenden nationalen Zuckermarktordnung auf die einzelnen Erzeuger aufgeteilt. Die auf das Wirtschaftsjahr 1968/69 anzurechnende Übertragungsmenge ergab sich für jeden Erzeuger aus der Differenz zwischen der Erzeugung und der Grundmenge für 1967/68.

6.

Deshalb hatte, was das einzelne Unternehmen anbetrifft, die unvollständige Feststellung des Produktionsumfanges unmittelbaren Einfluß auf die Höhe der Überschreitung der Grundquote und damit unter Umständen auch auf die Höhe der nach Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1009/67 für die über die Grundquote hinaus erzeugte Mehrmenge zu entrichtende Produktionsabgabe.

Wenn man sich, statt allgemein die von erzeugten aber, nicht festgestellten Mengen zu erwartenden Auswirkungen auf die Grundquote des betreffenden Mitgliedstaats und den möglichen Einfluß auf die von den Unternehmen zu entrichtende Produktionsabgabe zu betrachten, retrospektiv der konkreten Lage des einzelnen Unternehmens zuwendet, bei dem nachträgliche Überschüsse festgestellt werden, dann kann sich die Situation ergeben, daß die betreffende Mehrmenge, wäre sie schon im Jahre ihrer Erzeugung festgestellt worden, weder unmittelbar noch mittelbar einer Produktionsabgabe unterlegen hätte, während die Berücksichtigung dieser Menge im Jahr ihrer Feststellung die aufgrund des Artikels 27 bereits bestehende Abgabenbelastung noch vergrößert. Abgesehen davon aber, daß auch der umgekehrte Fall eintreten kann, ist wegen der sonst unvermeidlichen verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten, denen hier, wie wir sahen, deshalb so großes Gewicht zukommt, weil sie die Zweckbestimmung des Systems und dessen allgemeinen Grundsätzen und Erfordernissen gerecht werdende Anwendung in Frage stellen, eine am Gesamtinteresse orientierte Lösung geboten, auch wenn diese die Erwartungen einzelner Unternehmen enttäuscht und ihren Sonderinteressen zuwiderläuft.

An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, daß das Problem des Vertrauensschutzes bei Unternehmen, bei denen aufgrund einer Bestandsaufnahme an Ort und Stelle Mehrmengen gegenüber früheren bilanzmäßigen Berechnungen festgestellt werden, keine Rolle spielt.

Daß die anhand der Anschreibungen in dem — nach deutschem Steuerrecht von jedem Erzeuger zu führenden — Zuckersteuerbuch errechneten Bestände mit den bei einer körperlichen Bestandsaufnahme ermittelten tatsächlichen Beständen unter Umständen nicht übereinstimmen, beruht nach Darstellung des Vertreters der deutschen Regierung auf dem in Deutschland praktizierten besonderen System, das auf der Führung des Zuckersteuerbuches und daneben auf einer Reihe von Vermutungen aufgebaut ist, ohne daß diese Differenz zwischen den geschätzten und den tatsächlich festgestellten Mengen Rückschlüsse auf etwaige Unregelmäßigkeiten oder mangelnde Sorgfalt des produzierenden Unternehmens zuläßt. Daraus erklärt es sich, daß die nach allgemeiner Übung und aus praktischen Gründen nur hin und wieder in Zeitabständen von einigen Jahren durchgeführte Bestandsaufnahme der Vorräte zuweilen Abweichungen gegenüber den Schätzungen ergibt.

7.

Wie wir gesehen haben, wirkte sich der Produktionsumfang in jedem Mitgliedstaat vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1009/67 gemäß Artikel 33 dieser Verordnung bei der Festsetzung der Produktionsmenge für das Zuckerwirtschaftsjahr 1968/69 und somit auch bei der Erhebung der nach Artikel 27 vorgesehenen Abgabe aus. Die seinerzeit erzeugten aber nicht festgestellten Mengen bewirkten nämlich, daß nach Artikel 33 eine geringere Uberschußmenge berücksichtigt wurde, als den tatsächlichen Verhältnissen entsprach. Da die während der Übergangszeit auf einzelstaatlicher Grundlage festgesetzten Quoten bereits die durch die Verordnung Nr. 1009/67 aufgestellte ausgefeiltere Regelung vorwegnahmen und ihrerseits durch Beschränkung der gemeinschaftsinternen Erzeugung Überschüsse zu vermeiden trachteten, liegt es eindeutig im Gesamtinteresse der Gemeinschaft, daß keine Produktionsmenge, auch wenn sie in dem Zeitraum vor Inkrafttreten der jetzigen Regelung entstanden ist, bei der Anwendung der Kriterien für die Berechnung und Übertragung der Überschüsse übergangen wird, denn andernfalls könnte die in Artikel 27 getroffene Abgabenregelung für die Überschußproduktion der einzelnen Unternehmen unterlaufen werden.

Die beklagte nationale Verwaltungsbehörde hat vor dem deutschen Richter bemerkt, die während eines Zuckerwirtschaftsjahres erzeugten Mengen bestimmten sich allein nach den Eintragungen in das Zuckersteuerbuch, ohne daß es steuerlich von Bedeutung sei, zu welchem Zeitpunkt etwaige vorher nicht festgestellte Mehrmengen tatsächlich erzeugt worden seien.

Es geht jedoch nicht an, die festgestellten Mehrmengen auf das eine oder andere Zuckerwirtschaftsjahr je nach den besonderen Merkmalen des jeweiligen nationalen Steuerfestsetzungssystems aufzuteilen; es bedarf vielmehr der Bestimmung eines für die ganze Gemeinschaft gültigen einheitlichen Kriteriums.

Das heute geltende Recht sieht ein solches Kriterium ausdrücklich vor. In der eingangs erwähnten Verordnung Nr. 700 vom 12. März 1973 (Art. 2 Abs. 3) bestimmte die Kommission: „Werden gegenüber der in Absatz 2 genannten Feststellung der endgültigen Erzeugung später Unterschiede festgestellt, so werden diese Unterschiede bei Feststellung der endgültigen Erzeugung des Zuckerwirtschaftsjahres, in dem dieser Unterschied festgestellt wird, berücksichtigt“. Dürfen wir mangels einer einschlägigen ausdrücklichen normativen Regelung für die Zeit vor Erlaß dieser Verordnung gleichfalls auf ein derartiges Kriterium abstellen?

8.

Ich bin nicht der Meinung, daß uns das insoweit von der Kommission vorgetragene Argument weiter bringt, im Hinblick auf die Wahrung des Grundsatzes der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts könne die nachträgliche Berichtigung der für ein bestimmtes Wirtschaftsjahr festgestellten endgültigen Erzeugung Schwierigkeiten bereiten, weil für die Ermittlung des Herstellungszeitpunktes keine einheitlichen Kriterien vorhanden gewesen seien.

Dieses Argument erscheint hier wenig überzeugend, denn die Hauptursache für diese mangelnde Einheitlichkeit ist, daß es an einheitlichen Kriterien für die Feststellung der laufenden Zuckererzeugung fehlt. Deswegen lassen sich nachträgliche Berichtigungen auch als Korrektiv der fehlenden Einheitlichkeit bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts ansehen, die auf die Verschiedenartigkeit der in den einzelnen Staaten angewandten Systeme der Mengenermittlung zurückzuführen ist.

Es entspricht sicherlich der Zielsetzung der Gemeinschaftsregelung, die einer Überschußproduktion innerhalb der Gemeinschaft entgegenwirken will, in die Unternehmensgrundquote die Zuckermenge einzubeziehen, über die das betreffende Unternehmen während des jeweiligen Zuckerwirtschaftsjahres tatsächlich verfügt, selbst wenn ein Teil der Menge bereits im Laufe eines vorausgegangenen Zuckerwirtschaftsjahres erzeugt worden ist, es sei denn, diese Menge ist bereits zu einem früheren Zeitpunkt berücksichtigt worden.

Es geht nicht an, Mengen, die zu gegebener Zeit bei der Ermittlung des über die von der Gemeinschaft festgesetzte Menge hinaus in dem einzelnen Mitgliedstaat erzeugten Überschusses nicht berücksichtigt wurden, als nicht vorhanden zu betrachten; da jedoch aus den vorgenannten Gründen mit Rücksicht darauf, daß sämtliche Berechnungen für die vorangegangenen Jahre erneut angestellt werden mußten, eine nachträgliche Berücksichtigung praktisch nicht möglich ist, entspricht es dem erklärten Ziel der Gemeinschaftsregelung, die Produktion einzuschränken, diese Mengen im Zeitpunkt ihrer Entdeckung im laufenden Wirtschaftsjahr zu berücksichtigen.

9.

Um jedoch auch für die Vergangenheit dem durch die Verordnung Nr. 700 aus dem Jahre 1973 aufgestellten Kriterium Geltung zuzuerkennen, obgleich es in den seinerzeit gültigen Vorschriften nicht ausdrücklich vorgesehen war, genügt es nicht, dessen Nützlichkeit, Praktikabilität und Vereinbarkeit mit den allgemeinen Zielen der gemeinsamen Zukkermarktordnung zu bejahen. Es bedarf noch der weiteren Prüfung, ob ihm nicht Sonderbestimmungen zu Gemeinschaftsverordnungen entgegenstehen.

Hier ist zu bemerken, daß nach Artikel 32 überschießende Mengen auf das folgende Wirtschaftsjahr übertragen werden können, doch ist diese Möglichkeit eng begrenzt, weil lediglich die Übertragung von Uberschußmengen des unmittelbar vorausgegangenen und nicht eines anderen Wirtschaftsjahres vorgesehen ist. Darum fragt sich der deutsche Richter, ob auch solche Mengen zu berücksichtigen sind, die nicht aus dem unmittelbar vorausgegangenen Wirtschaftsjahr, sondern aus früheren Jahren stammen. Läuft die Berücksichtigung der Überschußmenge aus den Wirtschaftsjahren 1966/67 und 1967/68 im Wirtschaftsjahr 1970/71 nicht im Grunde auf eine Erhöhung der Menge hinaus, die gemäß Artikel 32 übertragen werden darf? Der deutsche Richter erblickt ein weiteres Argument, das seinen Zweifel bestärkt, in der Übergangsvorschrift des Artikels 33. Um die Übertragung der Mehrmengen des Wirtschaftsjahres 1967/68 auf das Wirtschaftsjahr 1968/69 zu ermöglichen, stelle diese Vorschrift ausdrücklich eine Art Fiktion auf.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die bloß begrenzt zugelassene Möglichkeit der Übertragung für die Unternehmen eine Beschränkung darstellt, und sicher nicht die Berücksichtigung von Mengen aus früheren Wirtschaftsjahren verhindern soll, die im Jahr ihrer Erzeugung nicht entdeckt wurden. Dadurch, daß diese Mengen in einem folgenden Wirtschaftsjahr berücksichtigt werden, gelten sie als Erzeugung dieses Jahres. Das vorgenannte Kriterium und jene Bestimmungen der Grundverordnung lassen sich folglich miteinander durchaus vereinbaren.

Wenn Artikel 3 der Verordnung Nr. 142/69 im Hinblick auf die Anwendung des Artikels 27 der Verordnung Nr. 1009/67 auf die Zuckermenge abstellt, die von dem Unternehmen „wirklich hergestellt“ worden ist, so bedeutet dies nicht unbedingt, daß von der im Laufe des betreffenden Wirtschaftsjahres wirklich hergestellten Zuckermenge auszugehen ist. Vielmehr verlangt diese Vorschrift schlechthin, die von einem jeden Unternehmen wirklich hergestellten Mengen zu berücksichtigen; deshalb sind in früheren Wirtschaftsjahren erzeugte, aber noch nicht berücksichtigte Mengen gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt anzurechnen.

Zwar werden gemäß Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung Nr. 142/69 der Kommission in die Berechnung der in Absatz 1 (der den Begriff der Zuckererzeugung im Sinne des Artikels 27 erläutert) genannten Menge die aus Rohzucker oder Sirupen hergestellten Weißzuckermengen nicht einbezogen, die vor dem Zuckerwirtschaftsjahr hergestellt worden sind, während dessen dieser Weißzucker erzeugt worden ist; doch bemerkt die deutsche Regierung zu Recht, Sinn dieser Vorschrift sei es nur zu vermeiden, daß Zuckermengen, die bereits als Vorprodukt eines früheren Zuckerwirtschaftsjahres erfaßt worden seien, nochmals zur Berechnung der Produktionsabgabe herangezogen würden. Diese Vorschrift schließt somit, von ihrem Zweck her gesehen, nicht aus, daß früher nicht erfaßte Mengen herangezogen werden.

Außerdem würde es eine bedeutsame Störquelle für das Funktionieren des Systems bedeuten und diskriminierende Wirkungen mit sich bringen, wenn das Kriterium des Artikels 2 Absatz 3 der derzeit geltenden Verordnung Nr. 700/73 in dem einen Falle angewandt würde, nämlich auf die aus früheren Wirtschaftsjahren stammenden Mehrmengen, sofern diese nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung festgestellt wurden, mit der Folge, daß für sie je nach dem Produktionsstand des Unternehmens während des laufenden Zuckerwirtschaftsjahres eine zusätzliche Produktionsabgabe erhoben werden kann, in dem anderen Falle dagegen nicht angewandt würde, nämlich auf die vor dem 15. März 1973 festgestellten Mehrmengen, selbst wenn diese aus demselben Zeitraum herrühren.

Da demnach jenes Kriterium für die zeitliche Zuordnung nachträglich festgestellter Produktionsmengen, ohne Sondervorschriften der seinerzeit gültigen Verordnungen entgegenzustehen, den allgemeinen Zielen des Systems, dessen Zweckerfordernissen und dem Bedürfnis entspricht, sachlich nicht gerechtfertigte Unterschiede in der Behandlung der Unternehmen, die den gemeinsamen Marktregelungen unterliegen, zu vermeiden, läßt sich folgern, daß es geeignet ist, die in den untersuchten Normen festgestellte Lücke auszufüllen.

Ich schlage sonach vor, die Fragen des Finanzgerichts Hamburg wie folgt zu beantworten:

1.

Bei der Anwendung des Artikels 27 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1009/67 des Rates vom 18. Dezember 1967 und des Artikels 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 142/69 der Kommission vom 25. Januar 1969 sind Mehrmengen, die sich bei einer Bestandsaufnahme nach dem Inkrafttreten der Produktionsabgaberegelung für Zucker ergeben haben, auch dann zu berücksichtigen, wenn sie bereits vor dem 1. Juli 1968 entstanden sind.

2.

Diese Mehrmengen sind dem Zuckerwirtschaftsjahr zuzurechnen, in dem sie festgestellt wurden.


( 1 ) Aus dem Italienischen übersetzt.

Top