This document is an excerpt from the EUR-Lex website
Document 62024CC0477
Opinion of Advocate General Norkus delivered on 25 September 2025.###
Schlussanträge des Generalanwalts R. Norkus vom 25. September 2025.
Schlussanträge des Generalanwalts R. Norkus vom 25. September 2025.
ECLI identifier: ECLI:EU:C:2025:734
Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
RIMVYDAS NORKUS
vom 25. September 2025(1)
Rechtssache C‑477/24 [Deldwyn](i)
Minister for Justice
gegen
I. T.
(Vorabentscheidungsersuchen des Court of Appeal [Berufungsgericht, Irland])
„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsbürgerschaft – Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten – Richtlinie 2004/38/EG – Abgeleitetes Aufenthaltsrecht – Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen eines Unionsbürgers – Ehe zwischen einem Unionsbürger und einem Drittstaatsangehörigen – Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts des Drittstaatsangehörigen bei Scheidung – Unionsbürger, der zum Zeitpunkt der Scheidung keiner Tätigkeit mehr nachgeht – Art. 7 Abs. 3 Buchst. b – Berechnung eines ‚mehr als einjährige[n]‘ Zeitraums – Erfordernis eines einzigen zusammenhängenden Zeitraums oder Möglichkeit, Beschäftigungszeiten über mehrere Jahre hinweg zu addieren – Begriff der ‚ordnungsgemäß bestätigte[n] unfreiwillige[n] Arbeitslosigkeit‘ – Recht auf Zugang zur Akte, in der die Zeiträume der Beschäftigung oder des Sozialleistungsbezugs eines Unionsbürgers aufgeführt sind “
I. Einführung
1. Das Vorabentscheidungsersuchen(2) erging im Rahmen eines Berufungsverfahrens zwischen dem Minister for Justice (Justizminister, Irland, im Folgenden: Minister) und I. T. (im Folgenden: Antragsteller), einem Angehörigen eines Nicht-EWR-Staates und früheren Ehemann einer Unionsbürgerin(3), bezüglich der Entscheidung des Ministers, dem Antragsteller die Beibehaltung seiner Aufenthaltskarte zu versagen, die ihm einen zeitlich unbeschränkten Aufenthalt in Irland ermöglicht hätte. Dem Antragsteller wurde u. a. mitgeteilt, dass sein Aufenthaltsrecht davon abhänge, dass seine ehemalige Ehefrau in Irland weiterhin ihre Rechte aus dem EU-Vertrag wahrnehme, und dass er keinen Nachweis über ihre Tätigkeit(4) in Irland zum Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens erbracht habe.
2. Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Ausdruck „einjähriger“ in Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG(5) verlangt, dass es sich beim betreffenden Jahr um einen einzigen zusammenhängenden Zeitraum handelt, oder ob kürzere Beschäftigungszeiten, die sich auf einen Zeitraum von mehreren Jahren verteilen, addiert werden können, um einen einjährigen Zeitraum zu erhalten. Ferner möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Tatsache, dass die ehemalige Ehefrau des Antragstellers in Irland Arbeitslosenunterstützung bezog, bedeutet, dass sie sich in einer Situation „ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit“ im Sinne der genannten Vorschrift befand. Schließlich möchte das vorlegende Gericht wissen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Minister verpflichtet ist, dem Antragsteller die Akte zur Verfügung zu stellen, auf die sich die Ablehnung seines Antrags auf Daueraufenthalt stützte und in der u. a. die Zeiträume der Beschäftigung bzw. des Sozialleistungsbezugs seiner ehemaligen Ehefrau enthalten sind.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht
3. Art. 7 („Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate“) der Richtlinie 2004/38 bestimmt:
„(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er
a) Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder
b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder
…
(2) Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe a), b) oder c) erfüllt.
(3) Für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe a) bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft dem Unionsbürger, der seine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger nicht mehr ausübt, in folgenden Fällen erhalten:
…
b) er stellt sich bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung;
c) er stellt sich bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrags oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung; in diesem Fall bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten aufrechterhalten;
…“
4. In Art. 13 („Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts der Familienangehörigen bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder bei Beendigung der eingetragenen Partnerschaft“) dieser Richtlinie heißt es:
„…
(2) Unbeschadet von Unterabsatz 2 führt die Scheidung … im Sinne von Artikel 2 Nummer 2 Buchstabe b) für Familienangehörige eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, nicht zum Verlust des Aufenthaltsrechts, wenn
a) die Ehe … im Sinne von Artikel 2 Nummer 2 Buchstabe b) bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungs- oder Aufhebungsverfahrens … mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Aufnahmemitgliedstaat, oder
…
Bevor die Betroffenen das Recht auf Daueraufenthalt erwerben, bleibt ihr Aufenthaltsrecht an die Voraussetzung geknüpft, dass sie nachweisen können, dass sie Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und dass sie über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder dass sie bereits im Aufnahmemitgliedstaat als Familienangehörige einer Person gelten, die diese Voraussetzungen erfüllt. Als ausreichende Existenzmittel gelten die in Artikel 8 Absatz 4 vorgesehenen Beträge.
Die betreffenden Familienangehörigen behalten ihr Aufenthaltsrecht ausschließlich auf persönlicher Grundlage.“
5. Art. 14 („Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts“) dieser Richtlinie sieht vor:
„…
(2) Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen steht das Aufenthaltsrecht nach den Artikeln 7, 12 und 13 zu, solange sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllen.
…“
B. Irisches Recht
6. Die Richtlinie 2004/38 wurde durch die S.I. No. 548/2015 – European Communities (Free Movement of Persons) Regulations 2015(6) (Verordnung von 2015 über die Freizügigkeit in den Europäischen Gemeinschaften, im Folgenden: Regulations 2015) in irisches Recht umgesetzt. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts bestehen zwischen Regulation 6(3)(c) der Regulations 2015 und Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 keine wesentlichen Unterschiede.
III. Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
7. Der Antragsteller ist Angehöriger eines Nicht-EWR-Staates. Er reiste im Oktober 2002 mit einem Studentenvisum nach Irland ein. Im Juli 2009 heiratete der Antragsteller in Irland eine Unionsbürgerin und beantragte als Ehegatte einer Unionsbürgerin dort eine Aufenthaltserlaubnis gemäß der Richtlinie 2004/38 und den Regulations 2015. Dieser Antrag wurde im Februar 2010 abgelehnt. Der Antragsteller reichte am 17. Juli 2011 erneut einen Antrag ein, der am 9. Februar 2012 abgelehnt wurde. In beiden Fällen bestand der Grund für die Ablehnung darin, dass Anfragen bei dem Arbeitgeber(7) der Unionsbürgerin ergeben hatten, dass sie zum Zeitpunkt der Prüfung des jeweiligen Antrags(8) nicht mehr bei dem im Antrag genannten Arbeitgeber beschäftigt war. Im März 2013 stellte der Antragsteller einen dritten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für Irland, auf den hin eine für fünf Jahre bis September 2018 geltende Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde. Im Juni 2014, also nach Erteilung dieser Erlaubnis, wurde ein Verfahren zur Scheidung der Ehe des Antragstellers und seiner Ehefrau eingeleitet. Das Scheidungsurteil erging im Juli 2014 im Heimatstaat der Unionsbürgerin. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Ehe fünf Jahre lang bestanden.
8. Die Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers für Irland wurde nach seiner Scheidung nicht widerrufen, und er war dort weiterhin erwerbstätig. Seine ehemalige Ehefrau hielt sich weiterhin in Irland auf (wenn auch mit etwaigen Unterbrechungen aufgrund von Reisen in ihren Heimatstaat).
9. Im August 2018 beantragte der Antragsteller unter Berufung auf Regulation 10(2) der Regulations 2015(9) die Aufrechterhaltung seiner Aufenthaltserlaubnis aus eigenem Recht. Regulation 10(2) sieht vor, dass bei Scheidungen das Aufenthaltsrecht unter bestimmten Umständen aufrecht bleiben kann, wenn die Ehe mindestens drei Jahre bestanden hat und davon mindestens ein Jahr in Irland verbracht wurde. Dieser Antrag wurde im Oktober 2019 abgelehnt, weil der Antragsteller keinen Nachweis darüber vorgelegt hatte, dass seine ehemalige Ehefrau bei Einleitung des Scheidungsverfahrens in Irland beschäftigt war bzw. dass sie zu diesem Zeitpunkt über ausreichende Existenzmittel verfügte(10).
10. Am 17. Oktober 2019 beantragte der Antragsteller eine Überprüfung der ablehnenden Entscheidung und forderte Kopien der vom Department of Employment Affairs and Social Protection (Ministerium für Arbeit und sozialen Schutz, im Folgenden: DEASP) zur Verfügung gestellten Informationen an. Der Antragsteller gab an, dass er und seine ehemalige Ehefrau nicht mehr in Kontakt stünden, seine Anwälte sie aber schriftlich darum gebeten hätten, Angaben zu ihren Tätigkeiten in Irland in den vom Minister genannten Zeiträumen zu machen, und ihre Annahme wiederholt hätten, dass sie in diesem Zeitraum zumindest zeitweise Sozialleistungen bezogen habe. Er wies darauf hin, dass er ohne die Unterstützung und Mitwirkung seiner ehemaligen Ehefrau nicht in der Lage sei, seine Annahme zu belegen, dass sie während dieses Zeitraums Sozialleistungen bezogen habe.
11. Am 22. November 2021 erließ der Minister eine endgültige Entscheidung, mit der die ablehnende Entscheidung bestätigt wurde(11). Die Entscheidung beruhte darauf, dass die Akte keine Angaben zu den Umständen enthalte, unter denen die Unionsbürgerin aus ihrem früheren Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei (freiwillig oder unfreiwillig). Ferner enthalte die Akte keinen Hinweis darauf, dass sie länger als ein Jahr bzw. befristet für die Dauer von weniger als einem Jahr beschäftigt gewesen sei, bevor sie sich dem DEASP zur Verfügung gestellt habe. Der Minister stützte sich darauf, dass die Unionsbürgerin im Jahr 2013 37 Wochen und im Jahr 2014 zwei Wochen lang beschäftigt gewesen sei. Ausweislich der ablehnenden Entscheidung habe die Unionsbürgerin „im Jahr 2014 (dem Jahr, in dem das Scheidungsverfahren eingeleitet und abgeschlossen wurde) ihre Rechte aus dem EU-Vertrag nicht im Zusammenhang mit einer unfreiwilligen Arbeitslosigkeit wahrgenommen, da ihrer Arbeitslosigkeit keine Erwerbstätigkeit von zwölf Monaten Dauer voranging“. In der endgültigen Entscheidung hieß es weiter, dass die Unionsbürgerin im Jahr 2014 zwar Sozialleistungen bezogen habe, der Minister jedoch nicht an Feststellungen des DEASP gebunden sei und die fortgesetzte Zahlung von Sozialleistungen an die Unionsbürgerin für die Frage der Rechte aus dem EU-Vertrag, mit der der Minister befasst sei, nicht ausschlaggebend sei.
12. Dem vorlegenden Gericht zufolge findet sich in der Niederschrift der Entscheidung des Ministers kein Hinweis darauf, dass die Frage berücksichtigt worden sei, ob die Unionsbürgerin während ihres Aufenthalts in Irland vor September 2013, als sie erstmals Arbeitslosenunterstützung bezogen habe, über einen mehr als einjährigen Zeitraum beschäftigt gewesen sei. Diese früheren Beschäftigungszeiten seien bei der Ermittlung, ob die Unionsbürgerin zum Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens in Irland ihre Rechte aus dem EU-Vertrag wahrgenommen habe, außer Acht gelassen worden.
13. Der Antragsteller focht die Entscheidung des Ministers im Wege der gerichtlichen Überprüfung durch Klage beim High Court (Hohes Gericht, Irland) an. Mit Urteil vom 1. Februar 2023 hob der High Court (Hohes Gericht) diese Entscheidung auf. Er stellte fest, dass der Minister sich auf die Beschäftigungssituation der Unionsbürgerin in dem Zeitraum konzentriert habe, der ihrem Antrag auf Arbeitslosenunterstützung unmittelbar vorangegangen sei, sowie den Zeitraum von zwölf Monaten vor Einleitung des Scheidungsverfahrens, ihren Beschäftigungs- oder Aufenthaltsstatus in den Jahren von 2009 bis 2012 jedoch außer Acht gelassen habe, obwohl der Antragsteller sich darauf gestützt habe. Der High Court (Hohes Gericht) entschied, dass weder Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 noch Regulation 6(3)(c)(ii) der Regulations 2015 die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft davon abhängig machten, dass ein EU-Arbeitnehmer nachweise, dass er unmittelbar vor seiner Meldung als unfreiwillig arbeitslos zwölf Monate lang ununterbrochen beschäftigt gewesen sei, um ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 aufrechtzuerhalten. Der High Court vertrat ferner die Auffassung, dass das Versäumnis, dem Antragsteller die Unterlagen zu den Beitragszahlungen seiner ehemaligen Ehefrau für die Jahre von 2009 bis 2012 in geschwärzter oder anderer angemessener Form offenzulegen, sofern sie in den vom DEASP erhaltenen und dem Minister zur Verfügung stehenden Informationen enthalten gewesen seien, oder sie im Rahmen des Entscheidungsprozesses transparent zu behandeln, gegen das Gebot der Fairness des Verfahrens verstoße, da dem Minister bekannt gewesen sei, dass der Kläger ausgeführt habe, seine ehemalige Ehefrau sei in diesen Jahren berufstätig gewesen, und er verschiedene Nachweise dafür vorgelegt hatte, aufgrund ihrer mangelnden Mitwirkung aber keinen Zugang zu weiteren Informationen hatte.
14. Der Minister legte beim Court of Appeal (Berufungsgericht, Irland) Berufung gegen die Entscheidung des High Court (Hohes Gericht) ein. Da die Entscheidung über die Berufung die Auslegung von Unionsrecht erfordert, hat der Court of Appeal (Berufungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1.a) Bedeutet oder verlangt der Ausdruck „einjähriger“ in Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38, dass das betreffende Jahr ein einziger zusammenhängender Zeitraum ist?
1.b) Falls Frage a) verneint wird, fällt ein Unionsbürger, wenn die Beschäftigungszeiten, die das betreffende Jahr ausmachen, gegebenenfalls über einen Zeitraum von vier oder fünf Jahren anfielen bzw. addiert wurden, nicht unter Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38?
2. Bedeutet die Tatsache, dass der Unionsbürger vom irischen DEASP Arbeitslosenunterstützung bezog, dass er sich in Irland in einer Situation „ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit“ im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 befindet?
3. Verlangt der allgemeine unionsrechtliche Grundsatz, der in Art. 41 der Charta zum Ausdruck kommt, oder verlangt die Richtlinie 2004/38 bei Auslegung im Sinne dieses allgemeinen Grundsatzes, dass der Minister dem Antragsteller seine Akte (gegebenenfalls mit entsprechenden Schwärzungen) zur Verfügung stellt, und zwar
a) vor einer Entscheidung über die Aufrechterhaltung von Aufenthaltsrechten/einer Aufenthaltskarte gemäß Art. 14 der Richtlinie 2004/38 in Verbindung mit Art. 13 und/oder Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie und/oder
b) wenn der Antragsteller eine solche Entscheidung im Wege der gerichtlichen Überprüfung anficht?
IV. Verfahren vor dem Gerichtshof
15. Der Antragsteller, die deutsche Regierung, Irland und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich mich dem Wunsch des Gerichtshofs entsprechend auf die Analyse der ersten und der zweiten vom Court of Appeal (Berufungsgericht) vorgelegten Frage beschränken.
V. Würdigung
A. Vorbemerkungen
16. Die Richtlinie 2004/38(12) soll die Ausübung des den Unionsbürgern unmittelbar aus Art. 21 Abs. 1 AEUV erwachsenden Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, erleichtern und dieses Recht stärken(13). In diesem Zusammenhang verleiht diese Richtlinie allen Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige eines Unionsbürgers im Sinne ihres Art. 2 Abs. 2(14) sind und den Unionsbürger in einen anderen Mitgliedstaat als den, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt(15), begleiten oder ihm dorthin nachziehen, das Recht, in den Aufnahmemitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten(16).
17. Art. 7 der Richtlinie 2004/38 regelt die Voraussetzungen, unter denen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen ein Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate im Aufnahmemitgliedstaat haben(17), und daher noch nicht über ein Recht auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 dieser Richtlinie verfügen(18).
18. Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 hat jeder Unionsbürger ein solches Recht auf Aufenthalt, wenn er Arbeitnehmer oder Selbständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist(19). Gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 haben Unionsbürger ein Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat, ohne eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben, sofern sie für sich und ihre Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat und über ausreichende Existenzmittel verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen(20). Art. 7 Abs. 1 Buchst. c sieht unter bestimmten Bedingungen auch ein Aufenthaltsrecht für Studenten und Schüler vor.
19. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 gewährt den Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, ein Aufenthaltsrecht in diesem Mitgliedstaat, sofern der Unionsbürger die u. a. in Art. 7 Abs. 1 Buchst. a, b oder c dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen erfüllt(21). Nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 besteht das Recht der Familienangehörigen eines Unionsbürgers, sich u. a. auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 2 dieser Richtlinie im Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten, nur solange der Unionsbürger(22) die in dieser Bestimmung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt(23). In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass die Rechte, die den Familienangehörigen aus der Richtlinie 2004/38, u. a. ihrem Art. 7 erwachsen, keine eigenständigen Rechte sind, sondern Rechte, die sich daraus ableiten, dass ein Unionsbürger sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat(24).
20. Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 bestimmt, dass für die Zwecke ihres Art. 7 Abs. 1 Buchst. a die Erwerbstätigeneigenschaft dem Unionsbürger, der seine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger im Aufnahmemitgliedstaat nicht mehr ausübt, in bestimmten Fällen dennoch erhalten bleibt(25). Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie nimmt bei den Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft eine Abstufung vor, die erstens vom Grund der Untätigkeit des Unionsbürgers und zweitens von der ursprünglichen Dauer seiner Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat abhängt. Insofern unterscheiden sich die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger, je nachdem, ob die ursprüngliche Tätigkeit länger oder kürzer als ein Jahr dauerte(26). Somit bleibt einem Unionsbürger, der im Aufnahmemitgliedstaat eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger ausgeübt hat, die Erwerbstätigeneigenschaft zeitlich unbegrenzt erhalten, wenn er wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist(27), im Aufnahmemitgliedstaat eine mehr als einjährige Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger ausgeübt hat und dann unfreiwillig arbeitslos wird(28) oder eine Berufsausbildung begonnen hat(29).
21. Dagegen bleibt einem Unionsbürger, der weniger als ein Jahr lang im Aufnahmemitgliedstaat eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger ausgeübt hat, bevor unfreiwillige Arbeitslosigkeit eintritt, gemäß Art. 7 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2004/38 die Erwerbstätigeneigenschaft nur für einen Zeitraum erhalten, dessen Dauer dieser Mitgliedstaat festlegen kann, wobei er mindestens sechs Monate betragen muss. Im Urteil Tarola hat der Gerichtshof entschieden, dass einem Unionsbürger, der zwei Wochen lang im Aufnahmemitgliedstaat erwerbstätig war, bevor er unfreiwillig arbeitslos wurde, die Erwerbstätigeneigenschaft erhalten blieb. Der Gerichtshof hat betont, dass die Gründe, aus denen ein Unionsbürger im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Buchst. b(30) und Art. 7 Abs. 3 Buchst. c(31) der Richtlinie 2004/38 arbeitslos wird, von seinem Willen unabhängig sein müssen.
22. Angesichts der Tatsache, dass Familienangehörige eines Unionsbürgers, die Staatsangehörige eines Drittstaats sind, über kein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach Art. 7 der Richtlinie 2004/38, sondern nur über Rechte verfügen, die aus der Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit durch den Unionsbürger abgeleitet werden, schafft die Richtlinie 2004/38 rechtliche Garantien, um die Familienangehörigen eines Unionsbürgers in bestimmten Fällen zu schützen(32). Insofern gewährleistet Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/38, dass der Ehegatte eines Unionsbürgers, der Staatsangehöriger eines Drittstaats ist, im Fall der Scheidung ein persönliches Recht auf Aufrechterhaltung seines Aufenthaltsrechts im Aufnahmemitgliedstaat hat, kein abgeleitetes(33). Dieses persönliche Recht steht unter dem Vorbehalt, dass die Ehe bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Aufnahmemitgliedstaat. Der im Vorabentscheidungsersuchen dargestellte Sachverhalt legt nahe, dass der Antragsteller diese Voraussetzungen erfüllt. Ferner muss der Betroffene, bevor er ein Recht auf Daueraufenthalt erwirbt, die Voraussetzungen nach Art. 13 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/38 erfüllen, nämlich dass er nachweisen kann, dass er Arbeitnehmer ist oder für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und dass sie über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder dass sie bereits im Aufnahmemitgliedstaat als Familienangehörige einer Person gelten, die diese Voraussetzungen erfüllt. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass diese Bedingungen den Bedingungen gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. a, b und d der Richtlinie 2004/38 entsprechen, die die Unionsbürger selbst erfüllen müssen, um in den Genuss des Rechts auf vorübergehenden Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten zu kommen(34).
23. Der Antragsteller muss daher nachweisen, ob er zum Zeitpunkt der Einleitung des gerichtlichen Scheidungsverfahrens ein Aufenthaltsrecht in Irland genoss. Da sich der Antragsteller auf das Aufenthaltsrecht seiner ehemaligen Ehefrau, einer Unionsbürgerin, beruft, hängt sein Recht davon ab, ob sie zu jenem Zeitpunkt ein solches Recht besaß(35). Der Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens dreht sich im Kern um ebendiese Voraussetzungen(36).
24. Wie sich insbesondere aus dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38 ergibt, sollen die in ihrem Art. 7 vorgesehenen Bedingungen u. a. verhindern, dass ein Unionsbürger und seine Familienangehörigen die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats unangemessen in Anspruch nehmen(37). Diese Gefahr besteht potenziell, da Unionsbürger nach Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats einfordern können, sofern ihr Aufenthalt im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats die Voraussetzungen dieser Richtlinie erfüllt. Auf diese Bestimmung können sich auch Familienangehörige berufen, die keine Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats sind und ein Recht auf Aufenthalt haben. Vorbehaltlich der in Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Abweichung haben Unionsbürger somit nach Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 Anspruch auf den gleichen Zugang zu Sozialhilfeleistungen wie die Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats, solange ihr Aufenthalt im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats die Voraussetzungen dieser Richtlinie erfüllt(38).
B. Zur ersten Vorlagefrage
25. Mit seiner ersten Frage, die aus zwei Teilen besteht(39), möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob sich der Ausdruck „mehr als einjähriger“(40) in Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 auf einen einzigen zusammenhängenden Zeitraum der Erwerbstätigkeit bezieht oder ob er sich auf die Zusammenrechnung unterschiedlicher bzw. separater Beschäftigungszeiten über einen Zeitraum von vier oder fünf Jahren beziehen kann.
26. Nach Ansicht des Antragstellers gibt es keinen Grund für die Annahme, dass der Ausdruck „mehr als einjähriger“ in Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/83 einen einzigen zusammenhängenden Zeitraum bezeichne. Er könne sich durchaus auf „zusammengerechnete Zeiträume von jeweils weniger als einem Jahr“ beziehen. Sowohl Irland als auch die deutsche Regierung sind der Auffassung, dass sich dieser Ausdruck auf einen einzigen ununterbrochenen Zeitraum von einem Jahr beziehe. Der Ansatz der Kommission ist differenzierter. Sie vertritt die Ansicht, dass der Ausdruck grundsätzlich auf einen Zeitraum der Erwerbstätigkeit abstelle, der durch ein gewisses Maß der Verbundenheit mit dem Wirtschaftsleben des betreffenden Aufnahmemitgliedstaats gekennzeichnet sei, was ein Mindestmaß an Kontinuität der Erwerbstätigkeit in diesem Staat impliziere. Dazu gehöre auch, dass der EU-Arbeitnehmer im Wege von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen einen erheblichen Beitrag zu den Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats leiste. Das Erfordernis der Kontinuität könne nicht dazu führen, dass zwei oder mehr Zeiträume tatsächlicher und effektiver Erwerbstätigkeit in einem Aufnahmemitgliedstaat, die zusammen die Dauer von einem Jahr überstiegen, mit der Begründung ausgeschlossen würden, dass sie sich aus aufeinanderfolgenden Arbeitsverträgen mit unterschiedlichen Arbeitgebern ergäben, und zwar auch dann nicht, wenn es zwischen diesen Zeiträumen möglicherweise Unterbrechungen gebe.
27. Es muss betont werden, dass die Richtlinie 2004/38 nicht definiert, was der Ausdruck „mehr als einjähriger“ in ihrem Art. 7 Abs. 3 Buchst. b(41) konkret bedeutet(42). Im Übrigen lässt sich allein durch eine wörtliche Auslegung dieses Ausdrucks in den verschiedenen Sprachfassungen(43) nicht eindeutig feststellen, ob er sich auf einen einzigen zusammenhängenden bzw. ununterbrochenen mehr als einjährigen Zeitraum oder auf einen mehr als einjährigen Gesamtzeitraum bezieht, der sich ergibt, wenn man zwei oder mehr separate Zeiträume addiert, die jeweils kürzer sind als ein Jahr. Dieser Mangel an Klarheit steht im Gegensatz zu anderen Unionsvorschriften in den Bereichen Freizügigkeit und Aufenthalt, in denen sich der Unionsgesetzgeber ausdrücklich auf einen bestimmten ununterbrochenen oder zusammenhängenden Zeitraum bezieht(44). Bemerkenswerter ist aber wohl, dass in den Art. 16 und 17 der Richtlinie 2004/38 im Zusammenhang mit dem Recht auf Daueraufenthalt selbst von ununterbrochenen Aufenthalten im Aufnahmemitgliedstaat die Rede ist. So heißt es beispielsweise in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38, dass „[j]eder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, … das Recht [hat], sich dort auf Dauer aufzuhalten“(45). Zur Abschwächung des strikten und unmissverständlichen Wortlauts dieser Bestimmung sieht Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 außerdem vor, dass die Kontinuität des Aufenthalts in bestimmten Fällen, etwa durch „vorübergehende Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr“, nicht berührt wird(46).
28. Entgegen dem Vorbringen Irlands bin ich nicht der Ansicht, dass der Wortlaut von Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 unmissverständlich ist(47). Bei der Auslegung dieser Bestimmung sind daher nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die allgemeine Systematik der Regelung, zu der sie gehört, sowie die mit dieser verfolgten Ziele zu berücksichtigen(48).
29. Zum Kontext und zur allgemeinen Systematik ist zunächst festzustellen, dass der Umstand, dass Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 ausdrücklich auf einen ununterbrochenen Zeitraum verweist, während Art. 7 Abs. 3 Buchst. b dieser Richtlinie dies nicht tut, wohl darauf hindeutet, dass die letztgenannte Bestimmung keine solche Kontinuität verlangt. Die betreffenden Bestimmungen gehören jedoch zu unterschiedlichen Kapiteln der Richtlinie 2004/38, in denen klar zwischen dem Aufenthaltsrecht (Kapitel III) und dem Recht auf Daueraufenthalt (Kapitel IV) und den Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser verschiedenen Rechte unterschieden wird(49). Ich halte daher das Fehlen eines ausdrücklichen Kontinuitätserfordernisses in Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 nicht für entscheidend.
30. Folglich ist es angezeigt, die Bestimmungen des Kapitels III der Richtlinie 2004/38 über das Aufenthaltsrecht, insbesondere ihren Art. 7, sowie die mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziele zu berücksichtigen.
31. Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38, der die Fälle betrifft, in denen ein Unionsbürger, der seine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger vorübergehend aufgegeben hat, die Erwerbstätigeneigenschaft und das damit verbundene Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie behält(50), beruht auf der Annahme, dass der Unionsbürger innerhalb eines angemessenen Zeitraums zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats fähig ist und hierfür zur Verfügung steht(51). Diese Vorschrift schafft einen angemessenen Ausgleich zwischen der Wahrung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer(52) und der Gewährleistung, dass die Systeme der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch genommen werden(53). Die Abwägung und der Ausgleich zwischen diesen konkurrierenden schutzwürdigen Interessen in Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 und die sorgfältige Abstufung, die der Unionsgesetzgeber darin vorgenommen hat, spiegeln (in gewissem Maße) den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit(54) nach Art. 5 Abs. 4 EUV wider(55).
32. Wie bereits ausgeführt, hängt der gemäß Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 gewährte Schutz, insbesondere die Dauer dieses Schutzes, u. a. von den Gründen für das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben im Aufnahmemitgliedstaat und der Dauer dieser Erwerbstätigkeit ab(56). So kann zwar eine klare Parallele zwischen Art. 7 Abs. 3 Buchst. b und Art. 7 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2004/38 gezogen werden, die beide auf eine „ordnungsgemäß bestätigt[e] unfreiwillig[e] Arbeitslosigkeit“ Bezug nehmen, während der sich der Betroffene „dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung“ stellt, doch unterscheiden sich diese Bestimmungen im Hinblick auf die Länge des Zeitraums, während dessen ein Arbeitnehmer oder Selbständiger die Erwerbstätigeneigenschaft beibehält, erheblich, und zwar je nachdem, ob die ursprüngliche Dauer seiner Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat mehr oder weniger als ein Jahr beträgt(57). Da sowohl Art. 7 Abs. 3 Buchst. b als auch Art. 7 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2004/38 voraussetzen, dass die Erwerbstätigkeit eines Unionsbürgers unfreiwillig unterbrochen wurde(58) und dass er innerhalb einer angemessenen Frist wieder in das Erwerbsleben im Aufnahmemitgliedstaat eintreten wird, ist klar, dass – wie die deutsche Regierung(59), Irland(60) und die Kommission(61) hervorheben – die Subsumtion kurzer, vereinzelter oder sporadischer, über einen längeren Zeitraum addierte Zeiten der Erwerbstätigkeit unter den Ausdruck „mehr als einjähriger“ (62) in der Praxis den Unterschied zwischen diesen Bestimmungen(63) und der sorgfältigen Abstufung, die der Unionsgesetzgeber in den verschiedenen in Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 genannten Fällen vorgenommen hat(64), aufweichen und damit den durch diese Vorschrift geschaffenen angemessenen Ausgleich beeinträchtigen könnte(65). Insofern bin ich der Ansicht, dass der verstärkte Schutz nach Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 – der unbefristet sein kann(66) – einen entsprechenden Beitrag zu und eine Verbindung mit der Wirtschaft des Aufnahmemitgliedstaats voraussetzt(67), was, im Vergleich zu dem geringeren Schutz nach Art. 7 Abs. 3 Buchst. c(68) dieser Richtlinie, bei dem eine Erwerbstätigkeit von z. B. zwei Wochen(69) ausreicht, um diesen Schutz in Anspruch nehmen zu können, sowohl dauerhaft als auch nachhaltig ist. Da die zeitliche Hürde von Art. 7 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2004/38 im Licht des Urteils Tarola niedrig ist(70), stellt sich die Frage der Kontinuität in jener Fallkonstellation nicht.
33. Die Unterscheidung zwischen Art. 7 Abs. 3 Buchst. b und Art. 7 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2004/38 zu verwischen könnte insofern dazu führen, dass die Systeme der sozialen Sicherheit der Aufnahmemitgliedstaaten unangemessen in Anspruch genommen werden. Zudem wäre das volle Ausmaß einer solchen Inanspruchnahme unvorhersehbar, da Zeiten einer unselbständigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat, die sich über viele Jahre verteilen und von Zeiten der Nichterwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat unterbrochen werden, berücksichtigt werden könnten und gegebenenfalls dazu führen würden, dass die Erwerbstätigeneigenschaft samt der sich daraus ergebenden Rechte auf unbestimmte Zeit erhalten bliebe. Ich schließe daraus, dass sich der Ausdruck „mehr als einjähriger“ nicht nur auf die Mindestdauer der in Rede stehenden Erwerbstätigkeit bezieht(71), sondern grundsätzlich auch auf die Kontinuität dieser Tätigkeit.
34. Obschon das Erfordernis eines ununterbrochenen, mehr als einjährigen Zeitraums für die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft nach Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 grundsätzlich einen hinreichenden und gerechten Ausgleich zwischen den festgestellten, in Rede stehenden konkurrierenden Rechten, Ansprüchen und Grundsätzen und dem anzustrebenden angemessenen Gleichgewicht herstellt, halte ich es für geboten, auch zu prüfen, ob bestimmte begrenzte Zeiten der Nichterwerbstätigkeit einen Einfluss auf diese Kontinuität haben(72). Eine solche Prüfung ist erforderlich, um zu gewährleisten, dass der in Art. 5 Abs. 4 EUV verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vollumfänglich gewahrt wird.
35. Zunächst ist, wie die Kommission ausführt, hervorzuheben, dass Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 zwar sowohl die unselbständige als auch die selbständige Erwerbstätigkeit erfasst, die selbständige Tätigkeit aber naturgemäß mehrere Aufträge umfasst, zwischen denen es zu Unterbrechungen kommen kann. Eine Auslegung von Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38, die ausnahmslos einen einzigen ununterbrochenen Zeitraum der Erwerbstätigkeit verlangt, würde es Unionsbürgern erschweren, sich auf diese Bestimmung zu berufen, und stünde im Widerspruch zu ihrem beabsichtigten sachlichen Anwendungsbereich(73).
36. Was Zeiten der freiwilligen Nichterwerbstätigkeit betrifft, so wäre es übermäßig formalistisch und rigoros, wenn im Fall eines Unionsbürgers, der zehn Monate lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat gearbeitet hat und freiwillig seine Erwerbstätigkeit aufgibt, um sich beispielsweise um eine familiäre Notlage zu kümmern, bei seiner Rückkehr in die Erwerbstätigkeit die Rechnung automatisch von vorne begönne. In einem solchen Fall könnte jemand, der zunächst zehn Monate erwerbstätig war und nach einer zweimonatigen Unterbrechung weitere zehn Monate erwerbstätig war, bevor er unfreiwillig arbeitslos wurde, den Schutz von Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 nicht in Anspruch nehmen. Käme das Erfordernis eines zusammenhängenden und ununterbrochenen mehr als einjährigen Zeitraums automatisch und uneingeschränkt zur Anwendung, würde beispielsweise der Umstand, dass ein Unionsbürger zwar eine Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat aufgenommen hat, möglicherweise aber weiterhin (anderswo) familiäre und andere Verpflichtungen hat, die seine Anwesenheit erfordern, nicht berücksichtigt(74). Unter Umständen ist es nicht möglich, solchen Verpflichtungen während des Jahresurlaubs, den der Arbeitnehmer im ersten Jahr seiner Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat(75) in Anspruch nehmen könnte, oder aus der Ferne nachzukommen(76).
37. Im Übrigen hat der Gerichtshof bereits 1988 anerkannt, dass „kontinuierliche berufliche Laufbahnen … seltener [sind] als früher“(77). Überdies ist allgemein bekannt(78), dass Arbeitnehmer sich mitunter dafür entscheiden, beim Wechsel der Arbeitsstelle während kurzer Übergangszeiten nicht erwerbstätig zu sein(79). Solange sie die übrigen Voraussetzungen von Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 erfüllen, würde es eine unnötige Härte darstellen, solche Arbeitnehmer automatisch von der Inanspruchnahme dieser Vorschrift auszuschließen, sofern sie insgesamt über einen mehr als einjährigen Zeitraum – wenn auch mit kurzen Unterbrechungen von begrenzter Gesamtdauer – erwerbstätig waren.
38. Daraus folgt, dass sich der Ausdruck „mehr als einjähriger“ in Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 zwar grundsätzlich auf einen einzigen ununterbrochenen Zeitraum von mehr als einem Jahr bezieht, dass aber angesichts der Tatsache, dass der Begriff „Arbeitnehmer“ und damit auch die Voraussetzungen, unter denen diese Eigenschaft beibehalten werden kann, nicht eng auszulegen sind(80), kurze Zeiträume der Nichterwerbstätigkeit von angemessener Dauer(81), also im Fall einer freiwilligen Unterbrechung insgesamt nicht länger als zwei Monate und bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nicht länger als sechs Monate, die Kontinuität dieses Zeitraums nicht unterbrechen sollten(82).
39. Es muss betont werden, dass der Zeitraum von zwei Monaten der freiwilligen Nichterwerbstätigkeit im Hinblick auf bzw. im Verhältnis zu dem mehr als einjährigen Zeitraum nach Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 eher kurz ist. Dies folgt analog dem Grundgedanken von Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 bzw. der dieser Bestimmung zugrunde liegenden Logik. Diese Bestimmung sieht u. a. vor, dass Abwesenheiten von insgesamt sechs Monaten bis hin zu zwölf aufeinanderfolgenden Monaten unter bestimmten Umständen die Kontinuität des Aufenthalts von fünf Jahren im Aufnahmemitgliedstaat nicht unterbrechen. Die nach Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 zulässige Dauer der Unterbrechung hängt im Wesentlichen davon ab, ob die Unterbrechung dem Willen des Unionsbürgers entsprach oder auf zwingenden Umständen beruhte.
40. Was die Frist von sechs Monaten bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit betrifft, so halte ich sie sowohl im Hinblick auf die in Art. 7 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2004/38 vorgesehene Mindestdauer der Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft(83) für angemessen, als auch um die Unterscheidung zwischen dieser Bestimmung und Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie nicht zu beeinträchtigen oder zu verwischen. Sie spiegelt auch den differenzierten Ansatz des Unionsgesetzgebers in Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 hinsichtlich der Dauer der zulässigen Unterbrechung (freiwillig oder unfreiwillig) wider(84).
41. Der in Rede stehende Zeitraum bzw. die in Rede stehenden Zeiträume freiwilliger oder unfreiwilliger Unterbrechungen dürfen jedoch bei der Prüfung, ob die Voraussetzung einer mehr als einjährigen Beschäftigung(85) gemäß Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 erfüllt wurde, nicht berücksichtigt werden.
42. Im Hinblick auf die erste Frage des vorlegenden Gerichts bin ich daher der Auffassung, dass der Ausdruck „mehr als einjähriger“ in Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass er sich grundsätzlich auf einen einzigen zusammenhängenden Zeitraum bezieht. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird die Kontinuität dieses Zeitraums durch kurze Zeiten der Nichterwerbstätigkeit in angemessener Dauer von insgesamt höchstens zwei Monaten bei freiwilligen Unterbrechungen und höchstens sechs Monaten bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nicht beeinträchtigt. Diese Unterbrechung bzw. Unterbrechungen dürfen jedoch bei der Berechnung des gemäß Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 erforderlichen mehr als einjährigen Beschäftigungszeitraums nicht berücksichtigt werden.
C. Zur zweiten Vorlagefrage
43. Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Anspruch eines Unionsbürgers auf Arbeitslosenunterstützung bedeutet, dass er sich im Aufnahmemitgliedstaat in einer Situation „ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit“ gemäß Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie befindet.
44. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen und den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass das vorlegende Gericht um eine Auslegung des Ausdrucks „ordnungsgemäß bestätigter“ und nicht des Ausdrucks „unfreiwilliger Arbeitslosigkeit“ in Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 ersucht(86). Im Kern möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Tatsache, dass die ehemalige Ehefrau des Antragstellers vom DEASP(87) Arbeitslosenunterstützung bezog, vom Minister(88) als Beweis dafür anzuerkennen ist, dass sie sich in einer Situation ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 befand, oder bei der entsprechenden Prüfung zumindest zu berücksichtigen ist.
45. Nach Auffassung des Antragstellers muss das DEASP eine Entscheidung darüber treffen, ob die Arbeitslosigkeit unfreiwillig ist oder nicht, und ist diese Entscheidung für den Minister nach Unionsrecht verbindlich. Die Gewährung von Arbeitslosenunterstützung an einen Unionsbürger durch das DEASP bedeute, dass diese Person nach Ansicht des DEASP die Kriterien in Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 erfülle. Hilfsweise sei dieser Feststellung zumindest sehr großes Gewicht beizumessen. Sofern der Minister den Standpunkt des DEASP nicht für maßgeblich halte, solle er dies begründen.
46. Die deutsche Regierung macht geltend, dass sich jemand wie der Antragsteller, der ein von den Rechten seiner ehemaligen Ehefrau abgeleitetes Aufenthaltsrecht begründen wolle, darauf berufen könne, dass sie Arbeitslosenunterstützung vom DEASP erhalten habe, um zu belegen, dass sie sich in einer Situation „ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit“ im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 befunden habe. Insbesondere unterstreicht die deutsche Regierung die besonderen Umstände der vorliegenden Rechtssache, nämlich die mangelnde Mitwirkung der Unionsbürgerin und die Weigerung der irischen Behörden, dem Antragsteller die entsprechenden Bescheinigungen zur Verfügung zu stellen, wodurch es ihm unmöglich gemacht werde, die in der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Rechte geltend zu machen. Wenn sich nicht mehr ermitteln lasse, ob die Arbeitslosigkeit unfreiwillig gewesen sei, sei dies allein auf die Verfahren bei den irischen Behörden, etwa die Nichterhebung der entsprechenden Tatsachen oder die Löschung von entsprechenden Angaben aus Datenbanken, zurückzuführen und dürfe nicht zulasten des Antragstellers gehen.
47. Irland ist der Auffassung, dass mit der Anmeldung als Arbeitsuchende beim DEASP nur eine der Anforderungen von Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 erfüllt sei und eine solche Anmeldung allein keine Grundlage für die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft der Unionsbürgerin darstelle und auch nicht darstellen könne. Es bestehe eindeutig die zusätzliche Anforderung, dass die Arbeitslosigkeit „unfreiwillig“ sei. Dies werde von den irischen Behörden bei der Entscheidung über die Gewährung von Arbeitslosenunterstützung jedoch nicht berücksichtigt. Zudem trage stets der Antragsteller die Beweislast dafür, dass seine ehemalige Ehefrau, eine Unionsbürgerin, unfreiwillig arbeitslos gewesen sei. Nach Ansicht Irlands impliziert die Tatsache, dass die Unionsbürgerin vom DEASP Arbeitslosenunterstützung bezogen habe, für sich allein rechtlich nicht, dass sich die Unionsbürgerin in Irland in einer Situation „ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit“ im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie befinde.
48. Laut der Kommission können die Gründe, aus denen ein mobiler Unionsbürger seine Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat aufgegeben hat, für die Ermittlung, ob die Arbeitslosigkeit freiwillig oder unfreiwillig ist, von Relevanz sein. Das Erfordernis der „unfreiwilligen“ Arbeitslosigkeit gemäß Art. 7 Abs. 3 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/38 beschränke die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft auf Fälle, in denen die Beendigung jeglicher Erwerbstätigkeit (wenn auch nicht notwendigerweise die Kündigung eines konkreten Jobs) auf Umständen beruhe, die vom Willen des mobilen Unionsbürgers unabhängig seien. Eine anderslautende Auslegung könne es mobilen Arbeitnehmern ermöglichen, von der aufrechterhaltenen Erwerbstätigeneigenschaft auch dann noch zu profitieren, wenn sie aus freien Stücken jegliche Tätigkeit in einem Aufnahmemitgliedstaat aufgegeben hätten. Zugleich hänge der Anspruch auf die hier in Rede stehende Arbeitslosenunterstützung davon ab, dass der mobile Unionsbürger nachweisen könne, dass er dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe und ernsthaft Arbeit suche, jedoch außerstande sei, eine angemessene Beschäftigung zu finden. Es sei daher durchaus denkbar, dass die zuständigen Behörden bei der Prüfung, ob ein Unionsbürger weiterhin Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung habe, über weitere Informationen zu Art, Umfang und Ergebnis der Arbeitssuche des Unionsbürgers verfügen, die für die Feststellung, ob seine Arbeitslosigkeit freiwillig gewesen sei oder nicht, relevant wären. Dies sei jedoch eine Frage, deren Prüfung am besten durch das vorlegende Gericht vorgenommen werde.
49. Aus dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 ergibt sich eindeutig, dass einem Unionsbürger die Erwerbstätigeneigenschaft nur dann erhalten bleibt, wenn er drei verschiedene kumulative Voraussetzungen erfüllt: er muss sich i) bei „ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit“ ii) nach mehr als einjähriger Beschäftigung iii) dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stellen. Die in [der englischen Sprachfassung] dieser Vorschrift verwendeten Wörter „after [(nach)]“ und „and“ zeigen den kumulativen Charakter dieser Voraussetzungen klar auf. Es reicht daher nicht, sich nach mehr als einjähriger Beschäftigung dem Arbeitsamt zur Verfügung zu stellen, um als Unionsbürger die Erwerbstätigeneigenschaft gemäß Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 beizubehalten. Der Unionsbürger muss außerdem die davon zu unterscheidende Voraussetzung „unfreiwilliger ordnungsgemäß bestätigter Arbeitslosigkeit“ erfüllen.
50. Der Ausdruck „ordnungsgemäß bestätigter“ wird in der Richtlinie 2004/38 nicht definiert, und die Art und Weise, wie freiwillige Arbeitslosigkeit nachzuweisen bzw. zu erfassen ist, ist dort nicht geregelt. Daraus folgt, dass es mangels einschlägiger Unionsregeln nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats ist, Regeln für die ordnungsgemäße Bestätigung unfreiwilliger Arbeitslosigkeit im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 festzulegen, allerdings unter der Voraussetzung, dass sie nicht ungünstiger sind als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte regeln, die dem innerstaatlichen Recht unterliegen (Äquivalenzgrundsatz), und dass sie die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz)(89).
51. Im Ausgangsverfahren stellt sich allein die Frage nach der Beachtung des Effektivitätsgrundsatzes.
52. Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht scheint Regulation 6(3)(c) der Regulations 2015 in ähnlicher Weise wie Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 lediglich von „ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit“ zu sprechen, ohne zu konkretisieren, wie eine solche Bestätigung zu erfolgen hat. Überdies deutet nichts in den dem Gerichtshof vorliegenden Akten darauf hin, dass andere nationale Rechtsvorschriften, Rechtsinstrumente oder Rechtsprechung diese Frage regeln.
53. Vor allem aber hat das vorlegende Gericht keine Angaben dazu gemacht, auf welcher Rechtsgrundlage und nach welchen Voraussetzungen in Irland Arbeitslosenunterstützung bezogen werden kann. Insbesondere hat das vorlegende Gericht nicht erläutert, ob die Gewährung von Arbeitslosenunterstützung durch das DEASP davon abhängt, dass diese Behörde feststellt, dass die betreffende Person aus nicht von ihrem Willen abhängigen Gründen arbeitslos ist, oder ob und wenn ja, wie und in welchem Umfang, derartige Umstände bei der Prüfung des Anspruchs auf diese Leistung relevant sein mögen. Ich habe daher ernsthafte Bedenken, ob die zweite Frage überhaupt zulässig ist, da das vorlegende Gericht den wesentlichen Inhalt der einschlägigen nationalen Vorschriften, die auf diese Frage anwendbar sind, entgegen Art. 94 Buchst. b der Verfahrensordnung des Gerichtshofs nicht erläutert hat.
54. Falls der Gerichtshof die zweite Frage für zulässig halten sollte, möchte ich darauf hinweisen, dass der Minister nach Angaben der Kommission vor dem High Court (Hohes Gericht) geltend gemacht hat, dass das DEASP bei der Beurteilung des Anspruchs auf Arbeitslosenunterstützung nicht prüfe, warum jemand seine vorherige Beschäftigung aufgegeben habe(90). Auch Irland verweist in seinen Erklärungen vor dem Gerichtshof darauf, dass die irischen Behörden bei der Gewährung von Arbeitslosenunterstützung nicht prüften, ob die Arbeitslosigkeit „unfreiwillig“ sei.
55. Nach den öffentlich zugänglichen Informationen, die von einer dem Department of Social Protection (Ministerium für sozialen Schutz, Irland, vormals das DEASP) unterstellten Behörde zur Verfügung gestellt werden, kann es, vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht, jedoch offenbar dazu kommen, dass eine Person für einen bestimmten Zeitraum (bis zu neun Wochen) ihren Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung verliert, wenn sie ihre „Erwerbstätigkeit aus freien Stücken und ohne triftigen Grund aufgegeben“ hat(91). Daraus folgt(92), dass das Ministerium für sozialen Schutz bei der Gewährung von Arbeitslosenunterstützung derzeit nach den Gründen fragt(93) (oder zumindest befugt ist, danach zu fragen), aus denen eine Person arbeitslos ist, und die Zahlung der Arbeitslosenunterstützung vorübergehend einstellen kann, wenn die Person freiwillig arbeitslos ist. Insofern scheinen sich die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosenunterstützung in Irland und der Ausdruck „unfreiwillige Arbeitslosigkeit“ in Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 teilweise zu decken(94).
56. Sollte das vorlegende Gericht feststellen, dass das DEASP zum maßgeblichen Zeitpunkt über derartige Befugnisse verfügte und der Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung im Wesentlichen voraussetzt, dass sich die betreffende Person in einer Situation „unfreiwilliger Arbeitslosigkeit“ befindet(95), muss der Minister meines Erachtens die Tatsache, dass ein Unionsbürger von dieser Behörde Arbeitslosenunterstützung bezogen hat, bei der Beurteilung der Frage, ob ein Unionsbürger die Erwerbstätigeneigenschaft gemäß Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 aufrechterhalten kann, berücksichtigen. Unter derartigen Umständen stellt der Bezug von Arbeitslosenunterstützung einen Anscheinsbeweis dafür dar, dass der Unionsbürger sich im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 in einer Situation „ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit“ befand(96).
57. Der Minister kann diesen Beweis widerlegen, indem er nachweist, dass der Unionsbürger aufgrund freiwilliger Arbeitslosigkeit seinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung (vorübergehend) eingebüßt hatte, oder indem er andere einschlägige Beweise vorlegt. Hervorzuheben ist, dass sich der Minister weitgehend auf die vom DEASP erhaltenen Informationen über die ehemalige Ehefrau des Antragstellers gestützt hat, um u. a. ihre Beschäftigungszeiten, ihre mangelnde Erwerbstätigeneigenschaft und die Tatsache nachzuweisen, dass sie „von September 2013 bis September 2017“ Arbeitslosenunterstützung bezog. Folglich ist der Minister in der Lage, vom DEASP Informationen einzuholen, um den fraglichen Anscheinsbeweis zu entkräften.
58. Zur Beantwortung der zweiten Frage des vorlegenden Gerichts bin ich daher der Auffassung, dass der Anspruch eines Unionsbürgers auf Arbeitslosenunterstützung einen Anscheinsbeweis für das Vorliegen „ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit“ beim Unionsbürger darstellt, wenn dieser Anspruch davon abhängt, dass die betreffende Person aus nicht von ihrem Willen abhängigen Gründen arbeitslos ist, und die zuständige nationale Behörde, die diese Leistung gewährt, die Gründe für die Arbeitslosigkeit dieser Person prüft oder zu prüfen befugt ist.
VI. Ergebnis
59. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die erste und die zweite Vorlagefrage des Court of Appeal (Berufungsgericht, Irland) wie folgt zu antworten:
Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG ist dahin auszulegen, dass
– sich der darin verwendete Ausdruck „mehr als einjähriger“ grundsätzlich auf einen einzigen ununterbrochenen Zeitraum bezieht. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird die Kontinuität dieses Zeitraums durch kurze Zeiten der Nichterwerbstätigkeit in angemessener Dauer von insgesamt höchstens zwei Monaten bei freiwilligen Unterbrechungen und höchstens sechs Monaten bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nicht unterbrochen. Diese Zeiträume der Unterbrechung bzw. Unterbrechungen dürfen bei der Berechnung des gemäß Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 erforderlichen, mehr als einjährigen Beschäftigungszeitraums nicht berücksichtigt werden;
– der Anspruch eines Unionsbürgers auf Arbeitslosenunterstützung einen Anscheinsbeweis für das Vorliegen „ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit“ eines Unionsbürgers darstellt, wenn dieser Anspruch davon abhängt, dass die betreffende Person aus nicht von ihrem Willen abhängigen Gründen arbeitslos ist, und die zuständige nationale Behörde, die diese Leistung gewährt, die Gründe für die Arbeitslosigkeit dieser Person prüft oder zu prüfen befugt ist.
1 Originalsprache: Englisch.
i Die vorliegende Rechtssache ist mit einem fiktiven Namen bezeichnet, der nicht dem echten Namen eines Verfahrensbeteiligten entspricht.
2 Das Vorabentscheidungsersuchen des Court of Appeal (Berufungsgericht, Irland) ist am 9. Juli 2024 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.
3 Der Antragsteller und seine frühere Ehefrau wurden im Juli 2014 geschieden.
4 Als Arbeitnehmerin oder Selbständige.
5 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, berichtigt in ABl. 2004, L 229, S. 35).
6 https://www.irishstatutebook.ie/eli/2015/si/548/made/en/print.
7 Wie in den entsprechenden Antragsformularen angegeben.
8 Die jeweils einige Zeit nach Einreichen des Antrags erfolgte.
9 Irland hat in seinen schriftlichen Erklärungen darauf hingewiesen, dass Regulation 10(2) der Regulations 2015 Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 umsetze.
10 Dem Antragsteller wurde in dem Ablehnungsschreiben mitgeteilt, dass „die dem Minister vorliegenden Informationen des [DEASP] darauf hindeuten, dass die Unionsbürgerin ihre Rechte im Zeitraum vom 13. September 2013 bis zum 23. September 2017 nicht durch eine Beschäftigung, eine selbständige Tätigkeit, die Aufnahme eines Studiums, unfreiwillige Arbeitslosigkeit oder den Besitz ausreichender Existenzmittel gemäß Regulation 6(3) der Regulations [2015] wahrgenommen hat“. Ausweislich der eingereichten Entscheidung entschied ein Beamter der EU Treaty Rights Division (Abteilung für Rechte aus dem EU-Vertrag), dass der Antrag abzulehnen sei, da „sich aus den vom DEASP übermittelten Informationen ergibt, dass die Unionsbürgerin zum Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens am … Juni 2014 ihre [Rechte aus dem EU-Vertrag] in Irland nicht durch eine Erwerbstätigkeit wahrnahm; sie hielt sich hier auf, bezog aber vom 13. September 2013 bis zum 23. September 2017 [Arbeitslosen‑]Unterstützung“.
11 Der mit der Überprüfung beauftragte Sachbearbeiter sagte im Ausgangsverfahren vor den irischen Gerichten zudem als Vertreter des Ministers aus.
12 Vgl. Erwägungsgründe 1 bis 4 der Richtlinie 2004/38.
13 Urteil vom 11. April 2019, Tarola (C‑483/17, im Folgenden: Urteil Tarola, EU:C:2019:309, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Gerichtshof hat hervorgehoben, dass sich bereits aus dem Wortlaut der Art. 20 und 21 AEUV ergibt, dass das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nicht uneingeschränkt besteht, sondern den im AEU‑Vertrag und in den Vorschriften zu seiner Durchführung vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen unterworfen ist. Der Unionsgesetzgeber hat diese Beschränkungen und Bedingungen in der Richtlinie 2004/38 geregelt (Urteil vom 2. September 2021, État belge [Aufenthaltsrecht im Fall von häuslicher Gewalt], C‑930/19, EU:C:2021:657, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).
14 Gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 ist ein „Ehegatt[e]“ ein „Familienangehöriger“.
15 Im Folgenden als Aufnahmemitgliedstaat bezeichnet.
16 Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 definiert „Berechtigte“ der durch die Richtlinie gewährten Rechte als „jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie … seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen“. Der Zweck und die Rechtfertigung der Familienangehörigen gewährten Rechte beruhen auf der Feststellung, dass die Nichtanerkennung dieser Rechte den Unionsbürger in seiner Freizügigkeit beeinträchtigen könnte, weil ihn dies davon abhalten könnte, von seinem Recht Gebrauch zu machen, in den Aufnahmemitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten (Urteil vom 16. Juli 2015, Singh u. a., C‑218/14, im Folgenden: Urteil Singh, EU:C:2015:476, Rn. 50).
17 Art. 6 der Richtlinie 2004/38 bezieht sich auf das Recht von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten.
18 Vgl. auch Art. 17 („Ausnahmeregelung für Personen, die im Aufnahmemitgliedstaat aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, und ihre Familienangehörigen“) der Richtlinie 2004/38. Art. 21 der Richtlinie bestimmt, dass „[f]ür die Zwecke dieser Richtlinie … die Kontinuität des Aufenthalts durch eines der im Aufenthaltsmitgliedstaat üblichen Beweismittel nachgewiesen [wird]“.
19 Vgl. Urteil Tarola (Rn. 24).
20 Urteil vom 15. Juli 2021, A (Öffentliche Gesundheitsversorgung) (C‑535/19, EU:C:2021:595, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung). Diese Bedingung beruht auf dem Gedanken, dass die Wahrnehmung des Aufenthaltsrechts der Unionsbürger von der Wahrung der berechtigten Interessen der Mitgliedstaaten abhängig gemacht werden kann, wie etwa dem Schutz ihrer öffentlichen Finanzen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. September 2013, Brey, C‑140/12, EU:C:2013:565, Rn. 55). Hervorzuheben ist, dass nach ständiger Rechtsprechung der Unionsbürger zwar über die erforderlichen Mittel verfügen muss, das Unionsrecht aber keinerlei Anforderungen an die Herkunft dieser Mittel stellt. Diese können also auch von einem Drittstaatsangehörigen stammen, der mit dem Unionsbürger verheiratet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Singh, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).
21 Wie die Kommission angemerkt hat, enthält Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 mehrere unterschiedliche Rechtsgrundlagen, auf die Unionsbürger ihr Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten stützen können. Da sich die Rechtsgrundlage für den Aufenthalt im Laufe der Zeit ändern kann, kann ein Unionsbürger mehrere Zeiträume, in denen er sich auf der Grundlage unterschiedlicher in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 vorgesehener Rechtsgrundlagen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, addieren.
22 Sowie seine Familienangehörigen.
23 Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2023, Chief Appeals Officer u. a. (C‑488/21, EU:C:2023:1013, Rn. 59).
24 Der abgeleitete Charakter solcher Angehörigenrechte spiegelt ihren vorrangigen Zweck gemäß der Richtlinie 2004/38 wider, nämlich die Freizügigkeit der Unionsbürger zu fördern (vgl. Urteil vom 2. September 2021, État belge [Aufenthaltsrecht im Fall von häuslicher Gewalt], C‑930/19, EU:C:2021:657, Rn. 74 und 82 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
25 Der Gerichtshof hat entschieden, dass die in Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 genannten Umstände nicht abschließend aufgezählt sind (vgl. Urteil Tarola, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil vom 19. Juni 2014, Saint Prix (C‑507/12, EU:C:2014:2007, Rn. 31 und 38). In den Rn. 28, 40 und 41 des letztgenannten Urteils hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 nicht ausdrücklich die Situation einer Frau erfasst, die sich wegen der körperlichen Belastungen im Spätstadium ihrer Schwangerschaft und nach der Geburt ihres Kindes in einer besonderen Lage befindet. Die Tatsache, dass diese Belastungen eine Frau zwingen, die Ausübung einer Arbeitnehmertätigkeit während des für ihre Erholung erforderlichen Zeitraums aufzugeben, ist grundsätzlich nicht geeignet, ihr die „Arbeitnehmereigenschaft“ im Sinne von Art. 45 AEUV abzusprechen. Der Umstand, dass eine solche Person dem Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats während einiger Monate tatsächlich nicht zur Verfügung gestanden hat, bedeutet nämlich nicht, dass sie während dieser Zeit nicht weiterhin in den betreffenden Arbeitsmarkt eingegliedert ist, sofern sie innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach der Geburt des Kindes ihre Beschäftigung wieder aufnimmt oder eine andere Beschäftigung findet. Vgl. auch Urteil vom 19. September 2019, Dakneviciute (C‑544/18, EU:C:2019:761, Rn. 41), das sich auf Art. 49 AEUV stützt.
26 Vgl. Urteil Tarola (Rn. 43).
27 Vgl. Art. 7 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38.
28 Vgl. Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38. Der Betroffene muss sich dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stellen.
29 Vgl. Art. 7 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2004/38.
30 Urteil vom 20. Dezember 2017, Gusa (C‑442/16, EU:C:2017:1004, Rn. 45).
31 Vgl. Urteil Tarola (Rn. 46, 48 und 49).
32 Vgl. z. B. die Art. 12 und 13 der Richtlinie 2004/38.
33 Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 stellt somit eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass die Familienangehörigen eines Unionsbürgers keine eigenständigen Aufenthaltsrechte, sondern vielmehr abgeleitete Rechte nach dieser Richtlinie genießen (Urteil vom 2. September 2021, État belge [Aufenthaltsrecht im Fall von häuslicher Gewalt], C‑930/19, EU:C:2021:657, Rn. 34).
34 Urteil vom 2. September 2021, État belge (Aufenthaltsrecht im Fall von häuslicher Gewalt) (C‑930/19, EU:C:2021:657, Rn. 61 und 62).
35 Der Gerichtshof hat klargestellt, dass sich der mit einem Drittstaatsangehörigen verheiratete Unionsbürger bis zum Zeitpunkt der Einleitung des gerichtlichen Scheidungsverfahrens nach Maßgabe von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten muss, damit der Drittstaatsangehörige aufgrund von Art. 13 Abs. 2 dieser Richtlinie eine Aufrechterhaltung seines Rechts auf Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat beanspruchen kann (Urteil Singh, Rn. 66). In Fällen häuslicher Gewalt hat der Gerichtshof diese Anforderungen relativiert und angepasst (Urteil vom 2. September 2021, État belge [Aufenthaltsrecht im Fall von häuslicher Gewalt], C‑930/19, EU:C:2021:657, Rn. 43). Meines Erachtens ist der Aufenthalt nach Maßgabe von Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 ebenfalls relevant.
36 Im Vorabentscheidungsersuchen wird mehrfach darauf verwiesen, dass die ehemalige Ehefrau des Antragstellers Arbeitslosenunterstützung, „Sozialhilfeleistungen“ und Kindergeld bezog. Wann genau diese Zahlungen bezogen wurden und inwieweit diese relevant sind, ist – mit Ausnahme der Arbeitslosenunterstützung – nicht ganz klar. In dem Ersuchen wird zudem auf die Zeiträume Bezug genommen, in denen die Unionsbürgerin in Irland nach Einleitung des gerichtlichen Scheidungsverfahrens erwerbstätig war. An dieser Stelle sei nur darauf hingewiesen, dass nach Maßgabe von Art. 13 Abs. 2 Buchst. a lediglich Zeiträume bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungsverfahrens relevant sind.
37 Vgl. Urteil vom 11. November 2014, Dano (C‑333/13, EU:C:2014:2358, Rn. 71), das sich auf Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 bezieht. Meines Erachtens ergibt sich aus dem Urteil Tarola (Rn. 51 und 52), dass sich die im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie geäußerten Bedenken auf ihren Art. 7 in seiner Gesamtheit beziehen.
38 Es ist hervorzuheben, dass nach Art. 45 Abs. 2 AEUV die Freizügigkeit der Arbeitnehmer die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen umfasst. Was die Gewährung sozialer Vergünstigungen betrifft, wird diese Bestimmung durch Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. 2011, L 141, S. 1) konkretisiert. Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass das Ziel, eine übermäßige finanzielle Belastung für den Aufnahmemitgliedstaat zu vermeiden, eine Ungleichbehandlung von Wanderarbeitnehmern und ihren Familienangehörigen im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2004/38 und inländischen Arbeitnehmern beim Zugang zu Sozialhilfeleistungen nicht rechtfertigen kann (Urteil vom 21. Dezember 2023, Chief Appeals Officer u. a., C‑488/21, EU:C:2023:1013, Rn. 49 und 71). Demgegenüber hat der Gerichtshof klargestellt, dass ein Mitgliedstaat nicht erwerbstätigen Unionsbürgern, die von ihrer Freizügigkeit Gebrauch machen und nicht über ausreichende Existenzmittel für die Beanspruchung eines Aufenthaltsrechts gemäß der Richtlinie verfügen, Sozialhilfeleistungen versagen darf (Urteil vom 15. Juli 2021, The Department for Communities in Northern Ireland, C‑709/20, EU:C:2021:602, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Gerichtshof hat somit u. a. im Kontext von Art. 7 der Richtlinie 2004/38 eine klare Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern und nicht erwerbstätigen Unionsbürgern vorgenommen.
39 Ich werde beide Teile gemeinsam prüfen.
40 Die Vorlagefrage bezieht sich zwar lediglich auf den Ausdruck „einjähriger“, ich bin jedoch der Auffassung, dass im Rahmen des vorliegenden Verfahrens und im Licht des Wortlauts von Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 der Ausdruck „mehr als einjähriger“ auszulegen ist.
41 Die Wendungen „weniger als ein Jahr“ und „im Laufe der ersten zwölf Monate“ in Art. 7 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2004/38 – die ebenfalls nicht definiert sind – lassen für sich genommen nicht erkennen, ob der Zeitraum nach Art. 7 Abs. 3 Buchst. b dieser Richtlinie ununterbrochen sein muss oder nicht.
42 Überdies ist mir nicht bekannt, dass sich der Gerichtshof mit dieser Frage in seiner Rechtsprechung bereits befasst hat. In seinem Urteil vom 12. März 2014, O. und B. (C‑456/12, EU:C:2014:135, Rn. 59), hat der Gerichtshof die Frage, ob bei der Rückkehr des Unionsbürgers in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, mehrere Kurzaufenthalte im Aufnahmemitgliedstaat kumulativ einem Drittstaatsangehörigen, der sein Familienangehöriger ist, ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht eröffnen können, dahin beantwortet, dass nur ein Aufenthalt, der die Voraussetzungen von Art. 7 Abs. 1 und 2 oder Art. 16 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2004/38 erfüllt, ein solches Aufenthaltsrecht begründen kann. Kurzaufenthalte wie Wochenenden oder Ferien in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt, fallen – auch zusammen betrachtet – unter Art. 6 der Richtlinie 2004/38 und erfüllen nicht die genannten Voraussetzungen. Im Ausgangsverfahren ist Art. 6 der Richtlinie 2004/38 angesichts der langen Aufenthaltsdauer der Unionsbürgerin in Irland indes unbeachtlich.
43 Es sei darauf hingewiesen, dass die in den verschiedenen Sprachfassungen der in Rede stehenden Vorschrift verwendeten Entsprechungen die gleiche Bedeutung haben wie der in der englischen Fassung verwendete Ausdruck („for more than one year“). Somit beziehen sich diese unterschiedlichen Sprachfassungen nicht auf einen einzigen zusammenhängenden oder ununterbrochenen Zeitraum. Im Übrigen sehen die verschiedenen Sprachfassungen nicht vor, dass der einjährige Zeitraum durch die Addition von zwei oder mehr kürzeren Zeiträumen erreicht werden kann. So wird z. B. in der französischen Fassung „pendant plus d’un an“ verwendet, in der spanischen Fassung „durante más de un año“, in der portugiesischen Fassung „durante mais de um ano“, in der italienischen Fassung „per oltre un anno“, in der griechischen Fassung „άνω του ενός έτους“, in der deutschen Fassung „nach mehr als einjähriger“, in der bulgarischen Fassung „повече от една година“, in der litauischen Fassung „daugiau kaip vienerius metus“, in der lettischen Fassung „ilgāk nekā vienu gadu“, in der estnischen Fassung „üle ühe aasta“, in der tschechischen Fassung „více než jeden rok“ und in der rumänischen Fassung „perioadă de peste un an“.
44 Vgl. z. B. Kapitel 2 Absatz 2 von Anhang XII der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 2003, L 236, S. 876), in dem Übergangsbestimmungen zur Freizügigkeit festgelegt wurden, und zwar insbesondere in Bezug auf die Zulassung polnischer Staatsangehöriger zum Arbeitsmarkt eines derzeitigen Mitgliedstaats für „einen ununterbrochenen Zeitraum von 12 Monaten oder länger“ (Hervorhebung nur hier). Im Urteil vom 13. September 2018, Prefeta (C‑618/16, EU:C:2018:719, Rn. 55), hat der Gerichtshof entschieden, dass die in Rede stehende Bestimmung es dem Vereinigten Königreich gestattet, während einer Übergangszeit einen polnischen Staatsangehörigen, der nicht das innerstaatliche Erfordernis erfüllt, im Vereinigten Königreich für einen ununterbrochenen Zeitraum von zwölf Monaten eine registrierte Erwerbstätigkeit ausgeübt zu haben, von der Inanspruchnahme von Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 auszuschließen. Allerdings hat der Gerichtshof weder die Wendung „mehr als einjähriger“ in Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 ausgelegt noch die Auffassung vertreten, dass diese Wendung der Wendung „einen ununterbrochenen Zeitraum von 12 Monaten oder länger“ entspricht. Vgl. auch Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44), der bestimmt, dass die „Mitgliedstaaten … Drittstaatsangehörigen, die sich unmittelbar vor der Stellung des entsprechenden Antrags fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufgehalten haben, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten [erteilen]“ (Hervorhebung nur hier).
45 Hervorhebung nur hier.
46 Diese Vorschrift erlaubt in bestimmten Fällen längere Abwesenheiten. Vgl. entsprechend Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2003/109, der vorsieht, dass „Zeiten, in denen der Drittstaatsangehörige sich nicht im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aufgehalten hat, … die Dauer des Zeitraums gemäß Absatz 1 nicht [unterbrechen] und … in die Berechnung dieses Aufenthalts ein[fließen], wenn sie sechs aufeinander folgende Monate nicht überschreiten und innerhalb des Zeitraums gemäß Absatz 1 insgesamt zehn Monate nicht überschreiten“.
47 Auch die deutsche Regierung ist der Auffassung, dass der Ausdruck „einjährig“ nach allgemeinem Sprachgebrauch „einen Zeitraum betrifft, der ein zusammenhängendes Jahr ausmacht“.
48 Vgl. Urteil Tarola (Rn. 37). Vgl. entsprechend Urteil vom 30. Januar 2020, Tim (C‑395/18, EU:C:2020:58, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).
49 Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 bestimmt ausdrücklich, dass das Recht auf Daueraufenthalt, das jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, erwirbt, „nicht an die Voraussetzungen des Kapitels III geknüpft [ist]“. Dieses Recht unterliegt daher insbesondere nicht den in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen, für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel sowie einen umfassenden Krankenversicherungsschutz zu verfügen (Urteil vom 10. März 2022, Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs [Umfassender Krankenversicherungsschutz], C‑247/20, EU:C:2022:177, Rn. 54).
50 Und folglich gleichen Zugang zu Sozialhilfeleistungen im Aufnahmemitgliedstaat wie Staatsangehörige, allerdings vorbehaltlich Art. 7 Abs. 3 Buchst. c und Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38.
51 Urteil vom 13. September 2018, Prefeta (C‑618/16, EU:C:2018:719, Rn. 37 und 39 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
52 Zwar regelt die Richtlinie 2004/38 das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, doch ist die zentrale und privilegierte Stellung von Arbeitnehmern – oder erwerbstätigen Personen – im Rahmen dieser Richtlinie, insbesondere ihres Art. 7, nicht zu unterschätzen (vgl. Urteil vom 11. November 2014, Dano, C‑333/13, EU:C:2014:2358, Rn. 73 bis 78).
53 Vgl. Urteil Tarola (Rn. 50). Vgl. auch zehnter Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38.
54 Dieser Grundsatz gilt für den Inhalt und die Form von Maßnahmen der Union und verlangt, dass eine solche Maßnahme geeignet ist, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, ohne über das hinauszugehen, was hierzu erforderlich ist (Urteil vom 24. Februar 2022, Viva Telecom Bulgaria, C‑257/20, EU:C:2022:125, Rn. 112).
55 Dieser Abwägungsprozess wird mitunter als Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne bezeichnet. „Die getroffenen Maßnahmen stehen nur dann mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang, wenn sie zur Erreichung der legitimen Ziele geeignet sind; sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zu deren Erreichung erforderlich ist (unter mehreren Regelungsalternativen ist die am wenigsten belastende zu wählen); und die dadurch bedingten Nachteile müssen in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen (interner Ausgleich oder Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne).“ (Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache Pöpperl, C‑187/15, EU:C:2016:194, Nr. 45).
56 Siehe Nr. 30 der vorliegenden Schlussanträge und vgl. Urteil Tarola (Rn. 43).
57 Vgl. Urteil Tarola (Rn. 43). Ein Unionsbürger, der im Aufnahmemitgliedstaat eine unselbständige oder selbständige Tätigkeit ausgeübt hat, behält gemäß Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 seine Erwerbstätigeneigenschaft auf unbestimmte Zeit, wenn er nach „mehr als einjähriger“ unselbständiger oder selbständiger Beschäftigung im Aufnahmemitgliedstaat unfreiwillig arbeitslos wird. Demgegenüber bleibt einem Unionsbürger, der im Aufnahmemitgliedstaat weniger als ein Jahr lang eine unselbständige oder selbständige Tätigkeit ausgeübt hat, gemäß Art. 7 Abs. 3 Buchst. c dieser Richtlinie seine Erwerbstätigeneigenschaft nur für einen vom Mitgliedstaat festzulegenden Zeitraum erhalten, der mindestens sechs Monate betragen muss.
58 Also aus vom Willen des Unionsbürgers unabhängigen Gründen (Urteil vom 20. Dezember 2017, Gusa, C‑442/16, EU:C:2017:1004, Rn. 31 und 45 sowie das Urteil Tarola, Rn. 46, 48 und 49).
59 Nach Auffassung der deutschen Regierung würde eine solche Auslegung bedeuten, dass Beschäftigungszeiten im Aufnahmemitgliedstaat, die Jahrzehnte zurücklägen, etwa als Saisonarbeitnehmer, für die Gewährung eines unbeschränkten Aufenthaltsrechts nach Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 berücksichtigt werden könnten, auch wenn der Betroffene in jüngster Vergangenheit nur einen Monat dort erwerbstätig gewesen sei.
60 Nach Ansicht Irlands deutet nichts darauf hin, dass nach Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 mehrere kurze Beschäftigungszeiten über einen Zeitraum von vier oder fünf Jahren zu addieren sind, da der Betroffene gemäß Art. 7 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie die Arbeitnehmereigenschaft verlieren könne, wenn er zwischen diesen kurzen Beschäftigungszeiten mindestens sechs Monate arbeitslos sei. „Die Vorstellung, dass eine Person nach ein paar Jahren, in denen sie für kurze Zeiträume (jeweils ein oder zwei Monate) erwerbstätig und über längere Zeiträume arbeitslos war, in der Rückschau vor dem Gesetz die grundlegende Erwerbstätigeneigenschaft mit allen damit verbundenen Rechten und Leistungen behält, entbehrt jeder Grundlage“. Irland führt ferner an, dass „völlig unklar ist, über welchen Zeitraum ein Betroffener kurzzeitige Erwerbstätigkeiten addieren kann, um den vom Unionsgesetzgeber vorgeschriebenen einjährigen Zeitraum zu erreichen. Wären es vier oder fünf Jahre, wie in der vorliegenden Rechtssache geltend gemacht, oder könnten es zehn oder 15 Jahre sein?“.
61 Laut der Kommission beruht das Recht auf unbefristete Beibehaltung der Eigenschaft als „Arbeitnehmer“ nach Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 auf der Annahme, dass ein mobiler Unionsbürger, der mehr als ein Jahr erwerbstätig war, seinen Beitrag als beständiges Mitglied der Erwerbsbevölkerung geleistet hat und über ausreichende Kenntnisse des Arbeitsmarkts verfügt, um innerhalb eines angemessenen Zeitraums seine Erwerbstätigkeit wiederaufzunehmen und erneut zur Wirtschaft sowie zum System der sozialen Sicherheit des Aufnahmestaats beizutragen.
62 Von insgesamt mehr als einem Jahr.
63 Dies gilt insbesondere, wenn eine Unterbrechung die in Art. 7 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2004/38 vorgesehene Mindestschutzdauer von sechs Monaten überschreitet.
64 Insbesondere Art. 7 Abs. 3 Buchst. b und Art. 7 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2004/38.
65 Den Ausführungen des Gerichtshofs in Rn. 48 des Urteils Tarola zufolge gilt Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2004/38 „in all den Situationen…, in denen ein Erwerbstätiger aus von seinem Willen unabhängigen Gründen gezwungen war, seine Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat vor Ablauf eines Jahres zu beenden …“. Nach meinem Dafürhalten impliziert dies, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 sich auf einen einzigen ununterbrochenen, mehr als einjährigen Zeitraum bezieht. Das Element der Kontinuität ergibt sich deutlicher aus der französischen Fassung des Urteils. in der von „avant l’échéance d’une année“ (vor Ablauf eines Jahres) die Rede ist.
66 Vorausgesetzt, dass die sonstigen in dieser Vorschrift genannten Bedingungen erfüllt werden.
67 Durch Zahlung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen (vgl. entsprechend Urteil vom 21. Dezember 2023, Chief Appeals Officer u. a., C‑488/21, EU:C:2023:1013, Rn. 71).
68 Die Wendungen „weniger als ein Jahr“ oder „im Laufe der ersten zwölf Monate“ in Art. 7 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2004/38 sprechen für die Auslegung, dass der einjährige Zeitraum gemäß dieser Vorschrift und damit implizit auch gemäß Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie aus einem einzigen maßgeblichen „Block“ bzw. einem ununterbrochenen Zeitraum besteht.
69 Vgl. Urteil Tarola (Rn. 54). Vgl. entsprechend Urteil vom 4. Juni 2009, Vatsouras und Koupatantze (C‑22/08 und C‑23/08, EU:C:2009:344, Rn. 30), in dem der Gerichtshof die Auffassung vertritt, dass sich trotz der kurzen Dauer einer Berufstätigkeit nicht ausschließen lässt, dass der Betroffene ein Arbeitnehmer gemäß Art. 45 AEUV ist.
70 In jenem Fall zwei Wochen.
71 Urteil vom 15. September 2015, Alimanovic (C‑67/14, EU:C:2015:597, Rn. 60).
72 Vgl. entsprechend Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38.
73 Vgl. entsprechend Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Tarola (C‑483/17, EU:C:2018:919, Nrn. 45 bis 49).
74 In der Tat können sich derartige Situationen gerade im ersten Jahr ergeben, in dem der Unionsbürger von seiner Freizügigkeit Gebrauch macht.
75 Zumal das Recht auf die Inanspruchnahme von Jahresurlaub im ersten Jahr der Tätigkeit in einigen Mitgliedstaaten aufgrund des Erfordernisses einer Mindestbetriebszugehörigkeit möglicherweise stark eingeschränkt ist.
76 Trotz Fortschritten bei modernen Kommunikations- und Transporttechnologien. Es kann durchaus vorkommen, dass sich bestimmte Verwaltungsangelegenheiten nur regeln lassen, wenn der Arbeitnehmer sich vor Ort befindet.
77 Urteil vom 21. Juni 1988, Lair (39/86, EU:C:1988:322, Rn. 38).
78 Vgl. z. B. Eurostat-Presseartikel vom 16. Februar 2023 mit dem Titel „3,5 Millionen Arbeitnehmer haben im dritten Quartal 2022 in der EU ihre Jobs gekündigt“, abrufbar unter https://ec.europa.eu/eurostat/web/products-eurostat-news/w/ddn-20230216-2. Im Artikel wird von einem Anstieg der Zahl der 25- bis 54-Jährigen berichtet, die im dritten Quartal 2022 – verglichen mit dem dritten Quartal 2021 – ihren Job u. a. aus persönlichen Gründen wie dem Wunsch nach mehr Freizeit, Reisen und einem Wohnortwechsel aufgegeben haben.
79 Dieses Phänomen wird gelegentlich als „Jobbymoon“ bezeichnet. Für einen Überblick über die sich wandelnden Karriereverläufe und die Phänomene des „Jobcrafting“ und des „pixelated market“, vgl. Bersin, J., „The labor market has totally changed: Are you really ready?“, 31. März 2024, aktualisiert: 6. April 2024, abrufbar unter https://joshbersin.com/2024/03/the-needs-of-employees-have-totally-changed-are-you-really-ready/. Vgl. auch https://www.shrm.org/mena/executive-network/insights/people-strategy/pixelated-workforce-arrived-ready.
80 Urteil vom 21. Februar 2013, N. (C‑46/12, EU:C:2013:97, Rn. 39). „Dieser Begriff ist nämlich, soweit er den Umfang einer im AEU-Vertrag vorgesehenen Grundfreiheit festlegt, weit auszulegen.“ (Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache G. M. A. [Arbeitsuchender], C‑710/19, EU:C:2020:739, Nr. 37).
81 Im Verhältnis zum mehr als einjährigen Zeitraum in Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38.
82 In solchen Fällen, in denen die Dauer der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat „weniger als ein Jahr“ oder „zwölf Monate“ beträgt, genießt ein Unionsbürger den Schutz von Art. 7 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2004/38 unter den dort festgelegten Voraussetzungen. Es sei darauf hingewiesen, dass, auch wenn ein Unionsbürger die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten beibehält und ein Recht auf Aufenthalt und Gleichbehandlung genießt, dieser Status nicht mit einer Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 gleichzusetzen ist und der Zeitraum unfreiwilliger Arbeitslosigkeit bei der Berechnung des erforderlichen, mehr als einjährigen Zeitraums einer Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger nicht berücksichtigt werden kann.
83 Die sechs Monate beträgt.
84 Diese Auslegung entspricht auch dem mit der Richtlinie 2004/38 in erster Linie verfolgten Ziel, das – wie in Nr. 16 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt – darin besteht, das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht aller Unionsbürger zu stärken, und dem speziell mit ihrem Art. 7 Abs. 3 verfolgten Ziel, das darin besteht, durch die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft das Aufenthaltsrecht der Personen zu sichern, die ihre Berufstätigkeit wegen eines Mangels an Arbeit aufgegeben haben, der auf von ihrem Willen unabhängigen Umständen beruht (vgl. Urteil Tarola, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).
85 Ich habe diesen Begriff hervorgehoben, um zu betonen, dass in Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 die Wendung „nach mehr als einjähriger Beschäftigung“ verwendet wird. Ich folgere daraus, dass die Vorschrift verlangt, dass die Person tatsächlich eine Beschäftigung ausübt und nicht bloß die Erwerbstätigeneigenschaft besitzt.
86 Wie oben erwähnt, hat der Gerichtshof den letztgenannten Ausdruck bereits ausgelegt (vgl. Urteil vom 20. Dezember 2017, Gusa, C‑442/16, EU:C:2017:1004, Rn. 31 und 45). Vgl. entsprechend Urteil Tarola (Rn. 46, 48 und 49).
87 Nach irischem Recht für die Zahlung der Arbeitslosenunterstützung zuständige Behörde.
88 Nach irischem Recht für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen zuständige Stelle.
89 Urteil vom 27. Juni 2018, Diallo (C‑246/17, EU:C:2018:499, Rn. 45 und 59 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
90 Die Kommission bezieht sich auf das Urteil von Richterin J. Phelan in der Rechtssache I. T./Minister of Justice ([2023] IEHC 40, Rn. 72).
91 Vgl. in diesem Sinne https://www.citizensinformation.ie/en/social-welfare/unemployed-people/jobseekers-allowance/. Das Citizens Information Board (Bürgerinformationsstelle, Irland) ist die Behörde, die Informations‑, Beratungs- und Vertretungsleistungen im Zusammenhang mit vielen öffentlichen und sozialen Diensten erbringt. Sie betreibt die Bürgerinformations-Website „citizensinformation.ie“ und untersteht dem Ministerium für sozialen Schutz (vormals das DEASP).
92 Vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht.
93 Das vorlegende Gericht hat zu prüfen, ob diese Vorschriften und Voraussetzungen auch zu dem für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt bestanden.
94 Inwieweit hier Deckungsgleichheit besteht, hängt von den Vorschriften und Voraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosenunterstützung und damit wohl vom Bedeutungsgehalt der Wendung „Erwerbstätigkeit aus freien Stücken und ohne triftigen Grund aufgeben“ ab.
95 Nach Maßgabe von Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38.
96 Wie bereits ausgeführt, soll die Richtlinie 2004/38 insofern die Ausübung des den Unionsbürgern unmittelbar aus Art. 21 Abs. 1 AEUV erwachsenden Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, erleichtern und dieses Recht stärken.