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Document 62024CC0413

Schlussanträge des Generalanwalts A. Biondi vom 26. Juni 2025.


ECLI identifier: ECLI:EU:C:2025:490

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ANDREA BIONDI

vom 26. Juni 2025(1)

Rechtssache C413/24

Vlaams Gewest

gegen

P&O North Sea Ferries Limited,

P&O Ferries Limited,

Beteiligte:

P&O North Sea Ferries Limited

(Vorabentscheidungsersuchen der Ondernemingsrechtbank Gent, afdeling Oostende [Unternehmensgericht von Gent, Belgien])

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Freier Dienstleistungsverkehr – Seeverkehr – Art. 56 AEUV – Verordnung Nr. 4055/86 – Persönlicher Anwendungsbereich – Verkehrsüberwachungssystem – Pauschale Vergütung für die verpflichtende Inanspruchnahme des Systems – Kriterium der Länge der Schiffe – Befreiung für Fahrten zwischen zwei Häfen desselben Mitgliedstaats – Beschränkung – Rechtfertigung – Zwingender Grund des Allgemeininteresses – Sicherheit der Schifffahrt in den Hafengewässern – Grundsätze der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit – Anwendung des Unionsrechts nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs – Art. 5 und 191 des Abkommens über Handel und Zusammenarbeit zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union – Unmittelbare Wirkung – Fehlen “






I.      Einleitung

1.        Der Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union hat sich auf alle Bereiche der Wirtschaftstätigkeit ausgewirkt, und die Seeschifffahrtsunternehmen, die Verbindungen zwischen Kontinentaleuropa und dem Vereinigten Königreich betreiben, machen insofern keine Ausnahme. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen der Ondernemingsrechtbank Gent, afdeling Oostende (Unternehmensgericht von Gent, Abteilung Ostende, Belgien) bietet dem Gerichtshof die Möglichkeit, zum einen seine Rechtsprechung zum freien Dienstleistungsverkehr in der Seeschifffahrt zu ergänzen und zum anderen zu bestimmen, ob diese Dienstleistungsfreiheit nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs unter unveränderten Bedingungen geltend gemacht werden kann.

2.        Wenn sie flämische Seehäfen anlaufen, sind die Seeschifffahrtsunternehmen verpflichtet, die Vorschriften des Decreet betreffende de begeleiding van de scheepvaart op de maritieme toegangswegen en de organisatie van het Maritiem Reddings- en Coördinatiecentrum (Dekret vom 16. Juni 2006 über die Unterstützung der Schifffahrt auf den Seezufahrtswegen und die Organisation des Seenotrettungs- und Koordinationszentrums(2), im Folgenden: Dekret vom 16. Juni 2006) zu beachten. Art. 37 des Dekrets vom 16. Juni 2006 sieht vor, dass eine Vergütung(3), deren Höhe von der flämischen Regierung festgelegt wird(4), für die verpflichtende Inanspruchnahme der Schiffsverkehrsdienste durch die Schiffe zu zahlen ist, deren Bestimmungsort ein Hafen ist, der sich im Einsatzbereich dieser Dienste befindet(5). Sie ist von jedem Schiff mit einer Länge von mehr als 41 m zu zahlen, das vom Meer kommt und einen flämischen Hafen anläuft, der in die Schiffsverkehrsdienste einbezogen ist(6). Fährt ein Schiff mehr als einmal an ein und demselben Tages in die betreffende Zone, so wird die Vergütung nur einmal geschuldet(7). Für die Schifffahrt zwischen den flämischen Häfen wird keine Vergütung geschuldet(8). Im Übrigen sieht das Dekret vom 16. Juni 2006 ausdrücklich vor, dass in der Binnenschifffahrt für Schiffe mit einer Länge von weniger als 41 m(9) und bei bestimmten anderen Schiffskategorien(10) keine Vergütung zu zahlen ist. Ein Pauschalbetrag für die Vergütung wird nach Maßgabe der Länge des betreffenden Schiffes festgesetzt(11).

3.        Seit 1996 stellt Het Vlaamse Gewest (Flämische Region, Belgien) an die P&O North Sea Ferries Limited (filiale belge) (im Folgenden: P&O oder Beklagte des Ausgangsverfahrens)(12) Rechnungen zum einen für Lotsendienste und zum anderen über die verpflichtende Inanspruchnahme der Schiffsverkehrsdienste aus. Die Rechnungen für diese Dienste wurden zwar beglichen, jedoch widersprach P&O systematisch den Rechnungen betreffend die Schiffsverkehrsdienste nach und von Zeebrugge (Seebrügge, Belgien), so dass sich die Forderung der Flämischen Region auf insgesamt mehr als 13 Mio. Euro beläuft.

4.        Die Flämische Region erhob beim vorlegenden Gericht Klage auf Verurteilung von P&O zur Zahlung der seit dem 30. April 1996 unbezahlt gebliebenen Rechnungen, gegebenenfalls zuzüglich gesetzlicher Zinsen(13).

5.        P&O macht vor dem vorlegenden Gericht geltend, dass die für die Schiffsverkehrsdienste gezahlte Vergütung und die Verpflichtung, die von diesen erbrachten Dienste der Unterstützung des Seeverkehrs in Anspruch zu nehmen, ein Hindernis für den freien Verkehr der Verkehrsdienstleistungen von und nach Zeebrugge darstellten und gegen Art. 56 AEUV sowie gegen Art. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 4055/86 des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf die Seeschifffahrt zwischen Mitgliedstaaten sowie zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern(14) verstießen. Insbesondere stelle die Befreiung der Schifffahrt zwischen flämischen Häfen eine verbotene Diskriminierung dar. Im Übrigen stünden die von den Erbringern von Seeverkehrsleistungen getragenen Belastungen in Wirklichkeit in keinem Zusammenhang mit der tatsächlichen Inanspruchnahme der Dienstleistungen der Schiffsverkehrsdienste. Unter diesem Blickwinkel stelle die nationale Regelung auch eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Seeverkehr dar(15).

6.        Die Flämische Region macht geltend, dass das Unionsrecht gerechtfertigte Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs zulasse, wie der Gerichtshof bereits anerkannt habe(16), und dass die Befreiung des Verkehrs zwischen flämischen Häfen verhindern solle, dass die Gebühr mehrmals gezahlt werde(17). Die Schiffsverkehrsdienste umfassten im Wesentlichen die Sicherheit und die flüssige Abwicklung der Schifffahrt, die Verwaltung und den Betrieb der Radarsysteme der Schelde, die für die Verwaltung und die Überwachung der Schifffahrt in diesem Gebiet erforderlich seien, die Bereitstellung von Informationen und Ausrüstungen für die Fernlotsendienste, die Durchführung der gemeinsamen nautischen Verwaltung mit den Niederlanden für einen sicheren und reibungslosen Seeverkehr in der Region, die Unterstützung und Koordinierung der Rettungs- und Schleppdienste auf See sowie die Verwaltung und Überwachung der zwischen der Flämischen Region und den flämischen Hafenmeisterdiensten geschlossenen Übereinkommen.

7.        Das vorlegende Gericht äußert Zweifel am diskriminierenden oder beschränkenden Charakter der Befreiung. Auch wenn sich die Voraussetzungen für den Zugang zu den flämischen Häfen grundlegend unterschieden, werde doch eine Pauschalgebühr angewandt, die sich nur nach der Länge des Schiffes richte. Die Anwendung einer solchen Gebühr wirft die Frage auf, ob die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit, die möglicherweise in der allein nach Maßgabe der Länge des Schiffes berechneten Vergütung der Schiffsverkehrsdienste besteht, objektiv gerechtfertigt werden kann.

8.        Schließlich macht P&O vor dem vorlegenden Gericht geltend, dass sie sich nach Art. 191(18) des Abkommens über Handel und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft einerseits und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland andererseits (im Folgenden: AHZ)(19) hinsichtlich der nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union ausgestellten Rechnungen weiterhin darauf berufen könne, dass die flämische Regelung gegen den durch das Unionsrecht garantierten freien Dienstleistungsverkehr verstoße, was die Klägerin des Ausgangsverfahrens bestreitet.

II.    Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

9.        Daher hat die Ondernemingsrechtbank Gent, afdeling Oostende (Unternehmensgericht Gent, Abteilung Ostende), beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof mit Entscheidung, die am 13. Juni 2024 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Stellt eine Regelung für Schiffsverkehrsdienste mit der damit verbundenen Pauschalgebühr je nach der Länge des Schiffes, die für Seeverkehr gilt, der einen flämischen Hafen anläuft und aus einem Hafen in einem anderen Mitgliedstaat kommt, nicht aber für den Verkehr zwischen flämischen Häfen, da dieser von der Gebühr befreit ist, eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit im Sinne der Verordnung Nr. 4055/86 in Verbindung mit Art. 56 AEUV dar?

2.      Hat die Anwendung einer einheitlichen Gebühr für Schiffsverkehrsdienste, die sich ausschließlich nach der Länge eines Schiffes richtet, für die Einfahrt in Häfen, die sich wesentlich unterscheiden, zur Folge, dass die Gebühr für Schiffsverkehrsdienste mit der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV und der Verordnung Nr. 4055/86 aus dem Grund unvereinbar ist, dass andere wichtige Faktoren, die für die Einfahrtsroute in einen Hafen charakteristisch sind, wie etwa die Strecke, die ein Schiff im Gebiet für Schiffsverkehrsdienste zurücklegt, die Entfernung zwischen dem offenen Meer und dem Hafen sowie die Komplexität und die Eigenheiten des Hafens, nicht berücksichtigt werden?

3.      Ist Art. 191 des AHZ-Abkommens dahin auszulegen, dass im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland niedergelassene Dienstleistungserbringer sich auch nach dem Austritt auf das Unionsrecht berufen können, so dass die erste und die zweite Frage sowohl vor als auch nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland gleich zu beantworten sind?

10.      Die Flämische Region, P&O und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

III. Würdigung

A.      Zur ersten und zur zweiten Vorlagefrage

11.      Vorab weise ich darauf hin, dass die Bestimmungen des Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr gemäß Art. 84 Abs. 2 EWG in Verbindung mit Art. 61 EG(20) durch die Verordnung Nr. 4055/86, mit der die Maßnahmen zur Anwendung dieser Grundfreiheit auf die Seeschifffahrt erlassen wurden, in vollem Umfang auf die Seeschifffahrt für anwendbar erklärt worden sind. Aus Art. 1 Abs. 3 und aus Art. 8 dieser Verordnung geht nämlich hervor, dass aufgrund dieser Verordnung sämtliche Vorschriften des Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr auf das durch sie geregelte Sachgebiet anwendbar sind(21). Aufgrund dieser ausdrücklichen Verweisung in der Verordnung Nr. 4055/86 auf die Bestimmungen des Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr muss sich eine nationale Maßnahme, die die Seeverkehrsdienstleistungen regelt, daher an die klassische Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Beseitigung jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und zur Aufhebung aller ungerechtfertigten Beschränkungen halten(22).

12.      Nach dieser Rechtsprechung verbietet der freie Dienstleistungsverkehr, zu dem die Verordnung Nr. 4055/86 einen Anwendungsfall darstellt, nicht nur jede Diskriminierung eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit sowie alle Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten –, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen(23).

13.      Somit steht der freie Dienstleistungsverkehr der Anwendung einer nationalen Regelung entgegen, die bewirkt, dass eine Dienstleistung zwischen Mitgliedstaaten im Vergleich zu einer Dienstleistung allein innerhalb eines Mitgliedstaats erschwert wird, es sei denn, dass diese Regelung durch zwingende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist, und unter der Voraussetzung, dass die mit ihr getroffenen Maßnahmen notwendig und verhältnismäßig sind(24).

14.      Mit seinen ersten beiden Vorlagefragen ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof, sich zu zwei verschiedenen Aspekten der nationalen Regelung zu äußern. Ich werde daher zunächst die darin vorgesehene Befreiung des Verkehrs zwischen flämischen Häfen prüfen, bevor ich die Frage der Anwendung einer einheitlichen Gebühr untersuche, die ausschließlich nach der Länge der Schiffe berechnet wird.

1.      Zur Befreiung des Verkehrs zwischen zwei flämischen Häfen

15.      Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass im Rahmen einer Erhebung von Gebühren für Verkehrsüberwachungsdienste in den Häfen eine Regelung, die eine Vorzugsbehandlung für Schiffe vorsieht, die zur Seekabotage zugelassen waren – die Schiffen, die unter inländischer Flagge fahren, vorbehalten war –, eine mittelbare Diskriminierung der Wirtschaftsteilnehmer aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit bewirkte, da unter inländischer Flagge fahrende Schiffe in der Regel von inländischen Wirtschaftsteilnehmern betrieben werden. Die begünstigte Gruppe bestand im Wesentlichen aus inländischen Wirtschaftsteilnehmern(25).

16.      Indem die nationale Regelung ausdrücklich vorsieht, dass die Schiffe, die zwischen zwei flämischen Häfen fahren, von der Zahlung der Vergütung befreit sind, die für die Inanspruchnahme der Schiffsverkehrsdienste geschuldet wird, ist das Kriterium, anhand dessen nach der nationalen Regelung entschieden wird, ob die betreffenden Schiffe von der Vergütung zu befreien sind, das Kriterium des internen Charakters der Fahrt.

17.      Wie das vorlegende Gericht zusammengefasst hat, ist ein Seeschiff, das zwischen Zeebrugge und Antwerpen in der einen oder anderen Richtung fährt, von der Vergütung befreit, so dass die Schiffsverkehrsdienste für dieses Schiff unentgeltlich erbracht werden, während die gleichen Schiffsverkehrsdienste für ein Schiff, das von einem Hafen eines anderen Mitgliedstaats kommt, in Rechnung gestellt werden.

18.      Es ist offensichtlich, dass für die Beförderungsleistungen, die zwischen einem flämischen Hafen und dem Hafen eines anderen Mitgliedstaats erbracht werden, eine ungünstigere Gebührenregelung gilt als für die Beförderungsleistungen, die zwischen zwei flämischen Häfen erbracht werden(26), die Wirtschaftsteilnehmer wie P&O benachteiligt, die zwar zu oder von einem flämischen Hafen aus fahren, aber offenbar nicht zwischen flämischen Häfen fahren. Auch wenn die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung diesen Verkehr weder Schiffen, die unter inländischer Flagge fahren (wie es im Urteil Corsica Ferries(27) der Fall war), noch Schiffen vorbehält, die von inländischen Wirtschaftsteilnehmern betrieben werden, kann berechtigterweise davon ausgegangen werden, dass es die belgischen Wirtschaftsteilnehmer sind, die auf diesen internen Seeverkehrsrouten am aktivsten sind.

19.      Die Flämische Region machte vor dem vorlegenden Gericht geltend, dass die Befreiung für Schiffe, die zwischen flämischen Häfen fahren, keine negativen Auswirkungen auf die Schiffe habe, die von einem anderen Mitgliedstaat aus einen flämischen Hafen anliefen, da sie nicht auf demselben Markt tätig seien. Wie P&O geltend macht, befindet sich jedoch zumindest ein Teil der Schiffe, die zwischen flämischen Häfen fahren, auf demselben Markt wie die Schiffe, die vom Meer kommen oder auf das Meer fahren und innergemeinschaftliche Fahrten durchführen.

20.      Die Flämische Region trägt außerdem vor, dass jedes Schiff, das vom Meer komme und zu einem flämischen Hafen fahre, für die erhaltenen Verkehrsdienste zahle. Gleichwohl müssen diese Verkehrsdienste auch auf einer Fahrt zwischen zwei flämischen Häfen geleistet werden und kommen somit den befreiten Schiffen zugute(28). Es erscheint daher schwierig, die Auffassung der Flämischen Region zu vertreten, wonach dass die Befreiung auf objektiven, vom Ursprungs- oder Bestimmungsort der Schiffe unabhängigen Kriterien beruhe(29).

21.      Die Flämische Region führt weiter aus, dass die Befreiung in Wirklichkeit darauf abziele, eine bestimmte Art von Schifffahrt vom Anwendungsbereich der Vergütung auszunehmen(30). Zwar kann, wie der Gerichtshof im Urteil Sea-Land Service und Nedlloyd Lijnen(31) entschieden hat, eine Befreiung, die sich auf eine andere Art der Schifffahrt als diejenige bezieht, für die eine Gebühr zu entrichten ist, als mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar angesehen werden, wenn es sich um unterschiedliche Dienstleistungen handelt. Ich erinnere jedoch daran, dass Art. 37bis des Dekrets vom 16. Juni 2006 in der vorliegenden Rechtssache nicht nach der Art der betreffenden Schifffahrt unterscheidet. Unter diesen Umständen halte ich es nicht für möglich, einen weiter gehenden Analogieschluss zu der Situation, um die es in diesem Urteil ging(32), zu ziehen.

22.      Wenn, wie die Flämische Region ebenfalls geltend macht, Art. 37bis des Dekrets vom 16. Juni 2006 in Wirklichkeit darauf abzielt, Schiffe zu befreien, die durch eine Anordnung des Unionsrechts nicht in den Anwendungsbereich des Überwachungs- und Informationssystems für den Schiffsverkehr(33) fallen, ist erneut festzustellen, dass dieses Argument eher auf eine nachträgliche Rekonstruktion des Grundes der Befreiung als auf das Kriterium für die Befreiung, wie es sich aus dem Wortlaut dieses Artikels selbst ergibt, zurückzuführen scheint.

23.      Vor allem hat das Vorabentscheidungsersuchen im Hinblick auf die Funktion des Verkehrsdienstes, auf die in Nr. 6 der vorliegenden Schlussanträge hingewiesen worden ist, keine objektiven Unterschiede zwischen dem Verkehr zwischen Mitgliedstaaten und dem Binnenverkehr aufgezeigt, die die Befreiung des letzteren erklären könnten(34).

24.      Ich schlage daher vor, festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung, soweit sie den Schiffen, die einen flämischen Hafen anlaufen, die Zahlung einer Vergütung auferlegt, aber die Schiffe, die zwischen zwei flämischen Häfen verkehren, von dieser Zahlung befreit, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort ähnliche Dienstleistungen erbringt, behindern oder weniger attraktiv machen kann und eine Beschränkung ihres freien Verkehrs darstellt(35).

25.      Eine solche Beschränkung kann nur zulässig sein, wenn sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, gemäß den nach Art. 62 AEUV auch auf dem Gebiet des freien Dienstleistungsverkehrs anwendbaren Art. 51 und 52 AEUV, oder aus vom Gerichtshof anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist(36).

26.      Keiner dieser Gründe ist hier gegeben, da die einzige von der Flämischen Region angeführte spezifische Rechtfertigung(37) darin besteht, dass mit der Befreiung des Verkehrs zwischen flämischen Häfen verhindert werden solle, dass Schiffe, die bereits über das Meer in einen flämischen Hafen eingefahren seien, die Vergütung der Schiffsverkehrsdienste mehrmals zahlten.

27.      Mangels einer überzeugenden Rechtfertigung ist das Vorliegen einer verbotenen Beschränkung festzustellen.

2.      Zur Anwendung einer einheitlichen Gebühr, die nur die Länge der Schiffe berücksichtigt

28.      Das Dekret vom 16. Juni 2006 unterwirft nur Schiffe mit einer Länge von 41 m und mehr der Zahlung einer pauschalen Vergütung für die Schiffsverkehrsdienste, wenn sie, aus Häfen anderer Mitgliedstaaten kommend, flämische Häfen anlaufen oder wenn sie diese Häfen verlassen, um zum Hafen eines anderen Mitgliedstaats zu gelangen.

29.      Diese beiden Aspekte der flämischen Regelung werden nun im Hinblick auf Art. 1 der Verordnung Nr. 4055/86 geprüft(38).

30.      Ich erinnere daran, dass der Gerichtshof im Urteil Sea-Land Service und Nedlloyd Lijnen ein Verkehrsüberwachungssystem geprüft hat, das die Zahlung einer Gebühr für Hochseeschiffe mit einer Länge von mehr als 41  m vorschrieb, die an einem solchen System obligatorisch beteiligt waren, während andere Schiffe wie z. B. Binnenschiffe von dieser Gebühr befreit waren(39). Er hat entschieden, dass die Zahlung einer solchen Gebühr die Erbringung dieser Dienstleistungen behindern oder weniger attraktiv machen kann und daher eine Beschränkung ihres freien Verkehrs darstellte. Angesichts der Tatsache, dass die damals vom Gerichtshof geprüfte nationale Regelung der der vorliegenden Rechtssache sehr ähnlich war, sollte der Gerichtshof auch hier auf das Vorliegen einer Behinderung schließen.

31.      Auch die geltend gemachten Rechtfertigungsgründe sollten vom Gerichtshof ohne Weiteres anerkannt werden. Das Verkehrsüberwachungssystem ermöglicht es nämlich, den Schiffen die für die Sicherheit der Schifffahrt erforderliche Beratung und Informationen zur Verfügung zu stellen, indem es u. a. auf Hindernisse und andere Verkehrsmittel, die manchmal nicht sichtbar sind, sowie auf alle anderen relevanten Informationen hinweist. Wie sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt, besteht das Ziel darin, dem Kommando der Schiffe alle erforderlichen Ratschläge sowie vollständige Informationen zur Bestimmung der geeignetsten, sichersten und reibungslosesten Strecke bis zum Hafen und vom Hafen zu geben(40). Wie die Flämische Region vorbringt, trägt das System unbestreitbar zur Wahrung des Allgemeininteresses, verstanden in seiner Sicherheitsdimension, bei, und der Gerichtshof hat bereits anerkannt, dass die Gewährleistung der Sicherheit in den Hafengewässern einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellt(41).

32.      Allerdings ist die fragliche nationale Regelung nur dann gerechtfertigt, wenn sie geeignet ist, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist(42).

33.      An der Erforderlichkeit bestehen schwerlich Zweifel. In Analogie zum Urteil Sea-Land Service und Nedlloyd Lijnen(43) ist davon auszugehen, dass das Verkehrsüberwachungssystem eine nautische Dienstleistung darstellt, die für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit in den Küsten- und den Hafengewässern wesentlich ist, und die Vergütung, die für Hochseeschiffe mit einer Länge von mehr als 41  m als Nutzer dieser Dienstleistung zu entrichten ist, dem Allgemeininteresse der öffentlichen Sicherheit in diesen Gewässern dient.

34.      Dagegen ist das Verhältnis zwischen dem Kriterium für die Anordnung der Zahlung der Vergütung (nämlich die Länge des Schiffes) und dem verfolgten Ziel nicht offensichtlich und lässt Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung aufkommen.

35.      Erstens kann ich mir vorstellen, dass der von den längsten Schiffen verursachte Verkehr eine Reihe von Problemen verursacht und eine erhöhte Wachsamkeit in Bezug auf die Festlegung ihrer Routen und die Erfüllung aller Voraussetzungen für eine sichere Schifffahrt erfordert. Die Sicherheitsrisiken in der Schifffahrt scheinen in einem Verhältnis zur Größe der zu diesem Zweck eingesetzten Schiffe zu stehen. Ein einziges Schiff mit einer Länge von mehr als 41  m stellt jedoch nicht zwangsläufig ein größeres Verkehrsrisiko dar als das Risiko, das von zwei Schiffen mit einer Länge von 20 m ausginge. Die Fälle, in denen der Verkehr durch Fahrten mit weniger großen Schiffen in Wirklichkeit die Sicherheit ebenso gefährden würde wie das Vorhandensein eines Schiffes mit einer Länge von mehr als 41 m in den Hafengewässern, sind nicht ausgeschlossen. Es stellt sich sodann die Frage, inwieweit es für die Sicherheit in den Hafengewässern nicht erforderlich wäre, dass gerade der von diesen kleineren Schiffen ausgehende Verkehr den Schiffen, die der Vergütung unterliegen, gemeldet wird.

36.      Ich erinnere daran, dass der Gerichtshof im Urteil Sea-Land Service und Nedlloyd Lijnen bereits entschieden hat, dass eine nationale Regelung, die die Zahlung einer Gebühr für Hochseeschiffe mit einer Länge von mehr als 41  m vorschreibt, „insoweit [verhältnismäßig ist], als eine tatsächliche Korrelation zwischen den Kosten, die durch die Dienstleistung entstehen, die diesen Schiffen [zugutekommt], und der Höhe dieser Gebühr besteht“, dass dies aber „dann nicht der Fall [wäre], wenn dieser Betrag Kostenfaktoren einschließen würde, die anderen Schiffskategorien als der Kategorie der Hochseeschiffe mit einer Länge von mehr als 41 m zuzurechnen sind“(44).

37.      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens trägt jedoch nichts Konkretes dafür vor, dass dies der Fall wäre, und erklärt auch nicht, warum die Kosten, die durch die Verkehrsdienste für kleinere Schiffe zwangsläufig entstehen, diesen nicht in Rechnung gestellt werden.

38.      Zweitens macht P&O, gestützt zum Teil auf die Schlussanträge des Generalanwalts Alber in den verbundenen Rechtssachen Sea-Land Service und Nedlloyd Lijnen(45), geltend, dass die Erhebung von Gebühren, um verhältnismäßig zu sein, auch die objektiven Schwierigkeiten der Schifffahrt in den einzelnen Häfen berücksichtigen müsste.

39.      Ich bin in der Tat der Ansicht, dass die Erhebung von Gebühren für die Schiffsverkehrsdienste zwar die Länge des Schiffes berücksichtigen kann, aber auch Faktoren berücksichtigen muss, die in unmittelbarerem Zusammenhang mit dem verfolgten Sicherheitsziel stehen und die einen konkreten Zusammenhang zwischen der tatsächlich erbrachten Leistung und der objektiven Notwendigkeit(46), auf die Verkehrsdienste zurückzugreifen, für denjenigen begründen können, der sie in Anspruch nimmt(47). Unter diesen Umständen entspräche eine differenzierte Erhebung von Gebühren, je nach dem betreffenden Hafen und den objektiven Schwierigkeiten der Schifffahrt und des Anlegens in diesem Hafen, eher diesem Ziel. Das vorlegende Gericht hat selbst das Vorliegen erheblicher regionaler Unterschiede bestätigt und darauf hingewiesen, dass der Zugang zum Hafen von Antwerpen und der Zugang zum Hafen von Zeebrugge grundlegend unterschiedlicher Art und Komplexität seien, da letzterer vom offenen Meer aus leicht zugänglich sei, während der Zugang zum Hafen von Antwerpen die heikle Durchfahrt des Mündungsraums der Westschelde erfordere(48). Diese Unterschiede spiegeln sich jedoch nicht in der Gebührenregelung wider.

40.      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs, die in der Zahlung einer pauschalen Vergütung besteht, die wegen der verpflichtenden Inanspruchnahme der Schiffsverkehrsdienste nur für Schiffe mit einer Länge von mehr als 41 m verlangt wird, nur dann in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht, wenn zwischen dem erhaltenen Betrag und der objektiven Notwendigkeit der geleisteten Unterstützung ein tatsächlicher Zusammenhang besteht. Diese Notwendigkeit ist zu beurteilen, indem zum einen das Vorliegen spezifischer Risiken, die diese Schiffe für die Sicherheit der Schifffahrt darstellen, festgestellt wird und indem zum anderen die konkreten Schwierigkeiten der Schifffahrt im Bestimmungs- und Ankunftshafen nach Maßgabe seiner Besonderheiten berücksichtigt werden. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, sich zu vergewissern, dass die in der nationalen Regelung festgelegte Struktur der Vergütung diese Voraussetzungen erfüllt.

B.      Zur dritten Vorlagefrage

41.      Nach Ansicht von P&O ergibt sich aus Art. 191 AHZ(iii), dass der Seeverkehr aus dem Vereinigten Königreich in die Union nicht weniger günstig behandelt werden dürfe als der Seeverkehr zwischen Mitgliedstaaten. P&O leitet daraus ab, dass diese Bestimmung den freien Dienstleistungsverkehr anerkannt habe, der nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union weiterhin gelte und wonach die Verordnung Nr. 4055/86 durch das vorlegende Gericht für den Teil der Rechnungen angewandt werden sollte, der den Zeitraum nach diesem Austritt betreffe.

42.      Die Flämische Region tritt diesem Standpunkt entgegen und macht geltend, dass sich die im Vereinigten Königreich niedergelassenen Dienstleistungserbringer nach dem Austritt nicht mehr in gleicher Weise auf das Unionsrecht berufen könnten.

43.      Vorab weise ich darauf hin, dass das Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (im Folgenden: Austrittsabkommen)(49) am 1. Februar 2020 in Kraft trat und einen Übergangszeitraum bis zum 31. Dezember 2020 vorsah, in dem das Vereinigte Königreich als Mitgliedstaat anzusehen war(50), so dass die Beziehungen zwischen der Union und diesem zukünftigen ehemaligen Mitgliedstaat unter das Unionsrecht fielen(51), sofern nichts anderes bestimmt war. Der Übergangszeitraum war daher von der weiteren Anwendung eines wesentlichen Teils des Besitzstands der Union geprägt, mit dem Ziel, die Unsicherheiten zu verringern und so weit wie möglich die Störungen zu begrenzen, die dadurch entstehen, dass die Verträge ab dem Tag des Austritts nicht mehr auf den austretenden Staat anwendbar sind(52).

44.      Seit dem Ende des Übergangszeitraums werden die Rechtsbeziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Union durch das AHZ geregelt.

45.      In Art. 191 Abs. 1 Buchst. a AHZ ist der Grundsatz der Gleichbehandlung u. a. in Bezug auf den Zugang zu den Häfen, die Nutzung der Hafeninfrastruktur, die Nutzung von Hilfsdienstleistungen für den Seeverkehr, die Zuweisung von Liegeplätzen sowie von Lade- und Löscheinrichtungen oder die damit verbundenen Gebühren(53) und Abgaben verankert. Die Vertragsparteien haben sich ferner verpflichtet, alle einseitigen Maßnahmen oder alle administrativen Hemmnisse, die eine verschleierte Beschränkung darstellen oder Diskriminierungen bei der Dienstleistungsfreiheit im internationalen Seeverkehr bewirken könnten, zu beseitigen(54).

46.      Entgegen dem Vorbringen von P&O stellt dieser Artikel keine wortwörtliche Umsetzung der in Art. 56 AEUV verankerten Dienstleistungsfreiheit auf die Beziehungen zwischen der Union und dem Vereinigten Königreich dergestalt, wie sie neu zu überdenken waren, dar.

47.      Indessen ist Art. 191 AHZ in dem ihm eigenen normativen Kontext zu betrachten.

48.      So besteht das Ziel des Abkommens zwar darin, die Grundlage für „umfassende Beziehungen“ zwischen den Vertragsparteien in einem Raum „der guten Nachbarschaft [zu schaffen], der sich durch enge, friedliche Beziehungen auf der Grundlage der Zusammenarbeit auszeichnet und die Autonomie und Souveränität der Vertragsparteien wahrt“(55), doch sind die Beziehungen zwischen der Union und dem Vereinigten Königreich seit dem Ende des Übergangszeitraums unbestreitbar durch das Völkerrecht geregelt, soweit nichts anderes bestimmt ist. Jedwede Auslegung des AHZ muss im Einklang mit den Vorgaben des Völkerrechts und insbesondere des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 1969(56) über das Recht der Verträge erfolgen. Art. 4 Abs. 2 AHZ stellt klar, dass „[das AHZ k]eine Verpflichtung begründe[t], die darin enthaltenen Bestimmungen im Einklang mit dem internen Recht einer der Vertragsparteien auszulegen“. Art. 5 Abs. 1 AHZ sieht seinerseits vor, dass, von Ausnahmen(57) abgesehen, „die Bestimmungen dieses Abkommens … weder dahin gehend auszulegen [sind], dass sie andere Rechte oder Pflichten für Personen begründen als die zwischen den Vertragsparteien nach dem Völkerrecht geschaffenen Rechte oder Pflichten, noch dahin gehend, dass sie in den internen Rechtsordnungen der Vertragsparteien unmittelbar geltend gemacht werden können“.

49.      Das AHZ ist somit durchaus eine völkerrechtliche Übereinkunft, die die Organe und die Mitgliedstaaten bindet(58) und die integraler Bestandteil des Unionsrechts(59) ist, indem sie sich in der Unionsrechtsordnung zwischen dem abgeleiteten Recht und dem Primärrecht positioniert(60). Welche Wirkungen die Vorschriften einer Übereinkunft zwischen der Union und Drittstaaten entfalten, lässt sich folglich nicht losgelöst vom völkerrechtlichen Ursprung dieser Vorschriften bestimmen(61). Den Organen der Union, die für das Aushandeln und den Abschluss eines internationalen Abkommens zuständig sind, bleibt es unbenommen, mit den betreffenden Drittländern zu vereinbaren, welche Wirkungen die Bestimmungen dieses Abkommens in der internen Rechtsordnung der Vertragsparteien haben sollen. Nur wenn diese Frage im Abkommen nicht geregelt ist, haben die zuständigen Gerichte und insbesondere der Gerichtshof über diese Frage ebenso wie über jede andere Auslegungsfrage zu entscheiden, die sich im Zusammenhang mit der Anwendung des Abkommens in der Union stellt(62).

50.      Im Fall des AHZ wurde diese Frage geregelt. Dieses Abkommen schließt ausdrücklich und eindeutig die Möglichkeit aus, dass seine Bestimmungen – von ausdrücklich im AHZ selbst vorgesehenen Ausnahmen abgesehen – dahin ausgelegt werden können, „dass sie andere Rechte oder Pflichten für Personen begründen als die zwischen den Vertragsparteien nach dem Völkerrecht geschaffenen Rechte oder Pflichten“, oder „dahin gehend, dass sie in den internen Rechtsordnungen der Vertragsparteien unmittelbar geltend gemacht werden können“(63).

51.      Mit dem Vorbringen, sie könne sich nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs, d. h. nach der Internationalisierung der Rechtsbeziehungen, die diesen Staat, der nunmehr ein Drittstaat(64) und nicht mehr ein Mitgliedstaat ist, und der Union auf der Grundlage von Art. 191 AHZ weiterhin auf einen möglichen Verstoß gegen den freien Dienstleistungsverkehr berufen, versucht P&O, dem AHZ Wirkungen zu verleihen, die es nicht hat(65).

52.      Um Generalanwalt Bot zu zitieren, als er gerade den expliziten Willen der Vertragsparteien festgestellt hatte, den Bestimmungen des Abkommens, die damals dem Gerichtshof zur Begutachtung vorgelegt worden waren, jede unmittelbare Wirkung abzusprechen, „[werden f]olglich … weder die Gerichte der Union noch die mitgliedstaatlichen Gerichte dieses Abkommen in den bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten unmittelbar anwenden können. Wir haben es also mit zwei Rechtssystemen zu tun, die nebeneinander bestehen und deren Überschneidungen bewusst begrenzt worden sind“(66).

53.      Ohne dass auf die Auslegung von Art. 191 AHZ näher eingegangen zu werden braucht, genügt der Hinweis darauf, dass der gemeinschaftliche Besitzstand seit dem Zeitpunkt der Anwendung des AHZ die Beziehungen der Union zum Vereinigten Königreich nicht mehr regelt. P&O kann sich aus den oben genannten Gründen weder unmittelbar auf das Unionsrecht(67) noch auf das AHZ berufen.

54.      Diese Feststellung führt zu einer allgemeineren Beurteilung, wonach sich Einzelne vor den nationalen Gerichten nicht auf die Bestimmungen des AHZ berufen können, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Die Behebung eines Widerspruchs zwischen dem Recht eines Mitgliedstaats und dem AHZ sollte über den Streitbeilegungsmechanismus des AHZ erfolgen.

55.      Ich frage mich jedoch, inwieweit die Frage der Wirkung der von der Union geschlossenen Übereinkünfte in der Unionsrechtsordnung tatsächlich gänzlich den Vertragsparteien und insbesondere den Unionsorganen überlassen werden kann. Auch wenn der Wille dieser Parteien, die Wirkungen des AHZ in ihren Beziehungen einzugrenzen, akzeptiert und respektiert werden muss, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass, wie sich aus den oben angeführten Gesichtspunkten ergibt(68), das AHZ mit seinem Inkrafttreten Teil der Rechtsordnung der Union geworden ist und dort eine klar definierte Stellung einnimmt. Wie der Gerichtshof unter spezieller Bezugnahme auf das AHZ entschieden hat, verleiht Art. 217 AEUV der Union die Zuständigkeit, die Erfüllung von Verpflichtungen gegenüber Drittstaaten in allen vom AEU‑Vertrag erfassten Bereichen sicherzustellen(69). Art. 191 AHZ konkretisiert gerade die Verpflichtung, im Bereich der internationalen Seeverkehrsdienstleistungen ein Umfeld des freien Wettbewerbs zu schaffen. Eine derartige Verpflichtung spiegelt sich auch in Art. 92 AEUV wider, wonach zur Durchführung der Verkehrspolitik der Union „für den internationalen Verkehr aus oder nach dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats oder für den Durchgangsverkehr durch das Hoheitsgebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gemeinsame Regeln“ aufgestellt werden(70) und „für die Zulassung von Verkehrsunternehmern zum Verkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind, die Bedingungen [festgelegt werden](71)“.

56.      Es scheint daher ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen zum einen den Vorschriften des Vertrags, der sofortigen Einbeziehung völkerrechtlicher Verpflichtungen und ihrer Stellung in der Rechtsordnung der Union und zum anderen dem immer häufigeren Rückgriff auf Bestimmungen zu entstehen, die die unmittelbare Wirkung der Übereinkünfte ausschließen, die die Union durch den Rat der Europäischen Union in völkerrechtlichen Verhandlungen binden.

57.      Die Vergemeinschaftung des AHZ in Ansehung seiner Integration in die Unionsrechtsordnung hat jedoch zur Folge, dass eine Klausel wie Art. 5 AHZ das AHZ nicht daran hindern kann, eine Wirkung in dieser Rechtsordnung zu entfalten. Es geht letztlich um die Wahrung der verfassungsmäßigen Struktur der Union, die sich im Übrigen klar dazu verpflichtet hat, das Völkerrecht zu beachten und zu freiem und gerechtem Handel einen Beitrag zu leisten(72).

58.      In Bezug auf Bestimmungen internationalen Ursprungs, die nicht die erforderlichen Eigenschaften besitzen, um unmittelbare Wirkung entfalten zu können, hat der Gerichtshof entschieden, dass, ohne dass die Gültigkeit des abgeleiteten Rechts auf ihrer Grundlage in Frage gestellt werden könnte, das abgeleitete Recht so weit wie möglich im Einklang mit diesen Bestimmungen auszulegen ist(73).

59.      Im Ausgangsverfahren gibt es jedoch kein abgeleitetes Recht mehr, das im Einklang mit dem AHZ auszulegen ist, da die Verordnung Nr. 4055/86 seit dem 31. Dezember 2020 auf die Vertragsparteien keine Anwendung mehr findet. Der Umstand, dass die Verordnung Nr. 4055/86 in den Beziehungen zwischen P&O und den belgischen Behörden nach diesem Zeitpunkt nicht mehr anwendbar ist, berührt meines Erachtens jedoch nicht die Möglichkeit des vorlegenden Gerichts, sein nationales Recht so weit wie möglich im Einklang mit Art. 191 AHZ auszulegen(74).

IV.    Ergebnis

60.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen der Ondernemingsrechtbank Gent, afdeling Oostende (Unternehmensgericht von Gent, Abteilung Ostende, Belgien) wie folgt zu beantworten:

1.      Art. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 4055/86 des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf die Seeschifffahrt zwischen Mitgliedstaaten sowie zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern, ist in Verbindung mit Art. 56 AEUV

dahin auszulegen, dass

–        er einer Regelung entgegensteht, die Schiffe mit einer Länge von mehr als 41 m, die Häfen einer bezeichneten Region eines Mitgliedstaats anlaufen oder sie verlassen, zur Zahlung einer Vergütung für die verpflichtende Inanspruchnahme der Schiffsverkehrsdienste heranzieht, obwohl die Schiffe, die zwischen zwei Häfen dieser Region fahren, von einer solchen Zahlung befreit sind;

–        eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs, die in der Zahlung einer pauschalen Vergütung besteht, die wegen der verpflichtenden Inanspruchnahme der Schiffsverkehrsdienste nur für Schiffe mit einer Länge von mehr als 41 m verlangt wird, nur dann in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht, wenn zwischen dem erhaltenen Betrag und der objektiven Notwendigkeit der geleisteten Unterstützung ein tatsächlicher Zusammenhang besteht. Diese Notwendigkeit ist zu beurteilen, indem zum einen das Vorliegen spezifischer Risiken, die diese Schiffe für die Sicherheit der Schifffahrt darstellen, festgestellt wird und indem zum anderen die konkreten Schwierigkeiten der Schifffahrt im Bestimmungs- und Ankunftshafen nach Maßgabe seiner Besonderheiten berücksichtigt werden. Es ist gegebenenfalls Sache des vorlegenden Gerichts, sich zu vergewissern, dass die in der nationalen Regelung festgelegte Struktur der Vergütung diese Voraussetzungen erfüllt.

2.      Art. 127 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft sowie die Art. 5 und 191 des Abkommens über Handel und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft einerseits und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland andererseits

sind dahin auszulegen, dass

nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union sich die britischen Erbringer von Seeverkehrsdienstleistungen vor den nationalen Gerichten der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Sachverhalten oder Rechtsverhältnissen, die nach dem 31. Dezember 2020 entstanden sind, nicht mehr auf die Verordnung Nr. 4055/86 berufen können. Es ist Sache des nationalen Gerichts, sein innerstaatliches Recht so weit wie irgend möglich im Einklang mit den Bestimmungen von Art. 191 des genannten Abkommens auszulegen.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Belgisch Staatsblad, 26. Oktober 2006, S. 57703.


3      In den dem Gerichtshof vorliegenden Akten wird sie auch als eine Gebühr, ein Entgelt (nach der von der Cour constitutionnelle [Verfassungsgerichtshof, Belgien] in ihrem Urteil 44/2010 vom 29. April 2010 vorgenommenen Einstufung, auf die in Rn. 20 des Vorabentscheidungsersuchens Bezug genommen wird) oder als eine Bezahlung bezeichnet. Entsprechend seiner Einstufung in Art. 37bis Abs. 1 Nr. 1 des Dekrets vom 16. Juni 2006 werde ich mich in den vorliegenden Schlussanträgen an den Begriff „Vergütung“ halten.


4      Art. 37 Abs. 2 des Dekrets vom 16. Juni 2006.


5      Art. 37 Abs. 1 des Dekrets vom 16. Juni 2006.


6      Art. 37bis Abs. 2 und 3 des Dekrets vom 16. Juni 2006.


7      Art. 37bis Abs. 2 Unterabs. 2 des Dekrets vom 16. Juni 2006.


8      Art. 37bis Abs. 2 Unterabs. 3 des Dekrets vom 16. Juni 2006.


9      Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass die Mindestlänge im Jahr 2023 auf 41 m festgesetzt wurde. Von 2008 bis 2023 war sie auf 46 m festgesetzt.


10      Art. 37bis Abs. 3 des Dekrets vom 16. Juni 2006. Zu den befreiten Kategorien, die von der flämischen Regierung bezeichnet werden, vgl. Art. 37 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 dieses Dekrets.


11      Gemäß Art. 37bis Abs. 5 des Dekrets vom 16. Juni 2006.


12      P&O ist eine Gesellschaft englischen Rechts, die in Belgien im Bereich des Personen- und Güterseeverkehrs zwischen dem Vereinigten Königreich und Kontinentaleuropa tätig ist.


13      Außerdem ist die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens erhobene Klage darauf gerichtet, P&O zur Zahlung der im Laufe des Verfahrens fällig gewordenen Rechnungen zu verurteilen oder zumindest das Verfahren in diesem Punkt auszusetzen (vgl. Rn. 9 und 10 des Vorabentscheidungsersuchens).


14      ABl. 1986, L 378, S. 1, in berichtigter (ABl. 1988, L 117, S. 33) und durch die Verordnung (EWG) Nr. 3573/90 des Rates vom 4. Dezember 1990 (ABl. 1990, L 353, S. 16) geänderter Fassung. Art. 1 Abs. 1 sieht vor, dass „[d]er Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs in der Seeschifffahrt zwischen Mitgliedstaaten sowie zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern … für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Dienstleistungsnehmers [gilt]“. In Art. 1 Abs. 3 heißt es, dass „[d]ie Bestimmungen der Artikel 55 bis 58 und des Artikels 62 [des EWG-Vertrags] … auf das von dieser Verordnung geregelte Sachgebiet Anwendung [finden]“.


15      P&O macht u. a. geltend, dass die Schiffe, die zwischen zwei flämischen Häfen führen, je nach ihrer Fahrt auf einem deutlich längeren Abschnitt als dem, der von Schiffen, die vom Meer kämen, gefahren werde, in den Genuss von Schiffsverkehrsdiensten kommen könnten. Außerdem erfordere die Schifffahrt zum Hafen von Antwerpen (Belgien) u. a. wegen der Frequentierung dieses Hafens und der Enge seiner Wasserstraßen eine aktivere Unterstützung. Die Schiffe, die zwischen einem flämischen Hafen und dem Hafen von Antwerpen fahren, müssen jedoch keinen finanziellen Beitrag zur Inanspruchnahme dieser Dienste leisten. Die Kosten der Letzteren würden daher von den Wirtschaftsteilnehmern getragen, die zur Zahlung der Vergütung verpflichtet seien.


16      Die Flämische Region beruft sich insoweit auf das Urteil vom 13. Juni 2002, Sea-Land Service und Nedlloyd Lijnen (C‑430/99 und C‑431/99, EU:C:2002:364).


17      Wie z. B. einmal bei der Ankunft vom Meer in einem flämischen Hafen und dann erneut bei der Ankunft in einem anderen flämischen Hafen von diesem ersten Hafen aus.


18      Sein Wortlaut ist in Fn. 52 der vorliegenden Schlussanträge wiedergegeben.


19      ABl. 2021, L 149, S. 10.


20      Jetzt Art. 100 AEUV bzw. Art. 58 AEUV.


21      Vgl. Urteil vom 13. Juni 2002, Sea-Land Service und Nedlloyd Lijnen (C‑430/99 und C‑431/99, EU:C:2002:364, Rn. 30 und 31).


22      Vgl. Urteil vom 13. Juni 2002, Sea-Land Service und Nedlloyd Lijnen (C‑430/99 und C‑431/99, EU:C:2002:364, Rn. 32).


23      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juni 1998, Corsica Ferries France (C‑266/96, EU:C:1998:306, Rn. 56), und vom 13. Juni 2002, Sea-Land Service und Nedlloyd Lijnen (C‑430/99 und C‑431/99, EU:C:2002:364, Rn. 32).


24      Vgl. Urteile vom 13. Juni 2002, Sea-Land Service und Nedlloyd Lijnen (C‑430/99 und C‑431/99, EU:C:2002:364, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 14. November 2002, Geha Naftiliaki u. a. (C‑435/00, EU:C:2002:661, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).


25      Vgl. Urteil vom 17. Mai 1994, Corsica Ferries (C‑18/93, EU:C:1994:195, Rn. 32 bis 34).


26      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Oktober 1994, Kommission/Frankreich (C‑381/93, EU:C:1994:370, Rn. 22). P&O weist zu Recht darauf hin, dass jedes Hemmnis für den freien Dienstleistungsverkehr, sei es auch gering, verboten ist (vgl. Urteil vom 13. Dezember 1989, Corsica Ferries [France], C‑49/89, EU:C:1989:649, Rn. 8).


27      Urteil vom 17. Mai 1994 (C‑18/93, EU:C:1994:195).


28      Das Bestehen dieser Befreiung ist gerade der Grund, weshalb die Flämische Region entgegen ihrem Vorbringen keine Stütze für ihre Auffassung im Urteil vom 17. Februar 2005, Viacom Outdoor (C‑134/03, EU:C:2005:94), finden kann.


29      Zu den von der Flämischen Region in Rn. 36 ihrer schriftlichen Erklärungen vorgelegten Zahlen beschränke ich mich auf den Hinweis, dass diese Zahlen allein das Jahr 2013 betreffen. In diesem Jahr habe der Verkehr zwischen flämischen Häfen 1 295 Bewegungen dargestellt. 628 dieser Bewegungen – also etwas mehr als 40 % des Verkehrs zwischen flämischen Häfen – seien unter belgischer Flagge erfolgt. 385 Schiffsbewegungen hätten ausschließlich Bewegungen zwischen zwei flämischen Häfen betroffen, von denen 373 (also fast 97 %) von Schiffen unter belgischer Flagge durchgeführt worden seien. Der Ort der Niederlassung der Seeschifffahrtsunternehmen, deren Schiffe unter belgischer Flagge fuhren, wird nicht angegeben.


30      Die Flämische Region gibt nämlich zu verstehen, dass der Verkehr zwischen zwei flämischen Häfen größtenteils von Schiffen betrieben werde, die ausschließlich für die Binnenschifffahrt bestimmt seien.


31      Urteil vom 13. Juni 2002 (C‑430/99 und C‑431/99, EU:C:2002:364, Rn. 33, 34 und 36).


32      Vgl. insbesondere zum Vergleich mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Situation Rn. 44 dieses Urteils.


33      Richtlinie 2002/59/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2002 über die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Überwachungs- und Informationssystems für den Schiffsverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 93/75/EWG des Rates (ABl. 2002, L 208, S. 10).


34      Vgl. entsprechend Urteil vom 13. Juni 2002, Sea-Land Service und Nedlloyd Lijnen (C‑430/99 und C‑431/99, EU:C:2002:364, Rn. 37).


35      Vgl. entsprechend Urteil vom 13. Juni 2002, Sea-Land Service und Nedlloyd Lijnen (C‑430/99 und C‑431/99, EU:C:2002:364, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).


36      Vgl. aus einer umfangreichen Rechtsprechung Urteil vom 6. Mai 2021, Analisi G. Caracciolo (C‑142/20, EU:C:2021:368, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).


37      Die Flämische Region trägt im Rahmen ihrer Antwort auf die erste Vorlagefrage eine Reihe von Argumenten vor, die sich auf die mögliche Rechtfertigung der Vergütung der Schiffsverkehrsdienste beziehen und im Wesentlichen auf die Notwendigkeit gestützt werden, ein hohes Maß an Sicherheit auf See zu gewährleisten. Wie sich jedoch insbesondere aus Rn. 49 der schriftlichen Erklärungen der Flämischen Region ergibt, betreffen diese Argumente in Wirklichkeit den Versuch, das Kriterium der Länge der Schiffe zu rechtfertigen, das Gegenstand der zweiten Vorlagefrage ist.


38      Meines Erachtens kann das vorlegende Gericht den bei ihm anhängigen Rechtsstreit bereits allein auf der Grundlage der von mir vorgeschlagenen Antwort auf die erste Frage entscheiden, da die Feststellung ausreicht, dass das Unionsrecht einem der drei Aspekte der flämischen Regelung, die dem Gerichtshof zur Prüfung vorgelegt werden (nämlich die Befreiung des Verkehrs zwischen flämischen Häfen, der persönliche Anwendungsbereich der Vergütung und der pauschale Charakter der Vergütung), entgegensteht.


39      Vgl. Urteil vom 13. Juni 2002, Sea-Land Service und Nedlloyd Lijnen (C‑430/99 und C‑431/99, EU:C:2002:364, Rn. 24).


40      Vgl. Rn. 17 des Vorabentscheidungsersuchens.


41      Vgl. Urteil vom 17. März 2011, Naftiliaki Etaireia Thasou et Amaltheia I Naftiki Etaireia (C‑128/10 und C‑129/10, EU:C:2011:163, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dieser zwingende Grund des Allgemeininteresses scheint mir, auch wenn er notwendigerweise dazu beiträgt, präziser zu sein als der unmittelbar aus dem Vertrag hervorgehende Grund des Schutzes der öffentlichen Sicherheit, den der Gerichtshof im Urteil vom 13. Juni 2002, Sea-Land Service und Nedlloyd Lijnen (C‑430/99 und C‑431/99, EU:C:2002:364) (vgl. Rn. 41 dieses Urteils), angeführt hat.


42      Vgl. Urteil vom 13. Juni 2002, Sea-Land Service und Nedlloyd Lijnen (C‑430/99 und C‑431/99, EU:C:2002:364, Rn. 39).


43      Urteil vom 13. Juni 2002 (C‑430/99 und C‑431/99, EU:C:2002:364).


44      Urteil vom 13. Juni 2002, Sea-Land Service und Nedlloyd Lijnen (C‑430/99 und C‑431/99, EU:C:2002:364, Rn. 43). Hervorhebung nur hier. Den Gedanken der Korrelation wird der Gerichtshof in seiner späteren Rechtsprechung aufgreifen (vgl. Urteil vom 14. November 2002, Geha Naftiliaki u. a., C‑435/00, EU:C:2002:661, Rn. 26).


45      Rechtssachen C‑430/99 und C‑431/99 (EU:C:2001:464). P&O stützt sich insbesondere auf die Nrn. 123 und 130 dieser Schlussanträge.


46      In Anbetracht des betroffenen Allgemeininteresses kann diese Notwendigkeit vermutet werden, so dass das Vorbringen von P&O, sie benötige die geleisteten Verkehrsdienste nicht, zurückzuweisen ist.


47      Diese objektive Notwendigkeit erlaubt es, den obligatorischen Charakter der Teilnahme an den Schiffsverkehrsdiensten nicht in Frage zu stellen.


48      Vgl. Rn. 46 und 50 des Vorabentscheidungsersuchens. Interessant ist auch, dass das vorlegende Gericht in Rn. 18 seines Ersuchens ausführt, die Vergütung werde von einem Seeschiff erhoben, das nach Zeebrugge einfahre, weil sich ein kurzer Wasserstreifen neben dem Hafen von Zeebrugge im Einsatzbereich der Schiffsverkehrsdienste (VTS) befinde.


iii      „Verpflichtungen
(1)      Unbeschadet nichtkonformer Maßnahmen oder anderer in den Artikeln 133 und 139 genannter Maßnahmen setzt jede Vertragspartei den Grundsatz des unbeschränkten Zugangs zu den internationalen Seeverkehrsmärkten und ‑gewerben auf kommerzieller und nichtdiskriminierender Grundlage um, indem


      a)       für Schiffe, die unter der Flagge der anderen Vertragspartei fahren oder von Dienstleistern der anderen Vertragspartei betrieben werden, eine Behandlung gewährt wird, die nicht weniger günstig ist als die ihren eigenen Schiffen gewährte Behandlung, unter anderem in Bezug auf


            i)      den Zugang zu den Häfen,


            ii)      die Nutzung der Hafeninfrastruktur,


            iii)      die Nutzung von Hilfsdienstleistungen für den Seeverkehr, …


      b)       die folgenden Hafendienste für Anbieter von internationalen Seeverkehrsdienstleistungen der anderen Vertragspartei zu Bedingungen bereitgestellt werden, die sowohl angemessen als auch nicht weniger günstig sind als die für ihre eigenen Lieferanten oder Schiffe oder für Schiffe oder Lieferanten eines Drittlandes geltenden Bedingungen (einschließlich Gebühren und Abgaben, Spezifikationen und Qualität der zu erbringenden Dienstleistung): Lotsendienstleistungen, Schub- und Schleppboothilfe, …, Dienstleistungen der Hafenmeisterei, … sowie landgestützte Betriebsdienstleistungen, die für den Schiffsbetrieb unerlässlich sind, einschließlich Kommunikation, …“.


49      ABl. 2020, L 29, S. 7.


50      Vgl. achter Absatz der Präambel sowie Art. 126 und 127 des Austrittsabkommens. Vgl. auch Urteil vom 4. Oktober 2024, Mirin (C‑4/23, EU:C:2024:845, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).


51      Vgl. Art. 127 Abs. 1 des Austrittsabkommens.


52      Urteil vom 16. November 2021, Governor of Cloverhill Prison u. a. (C‑479/21 PPU, EU:C:2021:929, Rn. 51).


53      Unter den Bedingungen nach Art. 151 Abs. 1 AHZ.


54      Vgl. Art. 191 Abs. 2 Buchst. c AHZ.


55      Vgl. Art. 1 AHZ.


56      United Nations Treaty Series, Bd. 1155, S. 331. Vgl. Art. 4 Abs. 1 AHZ.


57      Die Bestimmungen, denen dieser Artikel unmittelbare Wirkung beimisst, sind im Protokoll über die Koordinierung der sozialen Sicherheit und im Teil Drei des AHZ („Zusammenarbeit im Bereich der Polizei und Justiz in strafrechtlichen Angelegenheiten“) enthalten: Art. 191 AHZ gehört nicht dazu. Dementsprechend schließt das AHZ es aus, dass eine Vertragspartei in ihrem innerstaatlichen Recht ein Klagerecht gegen die andere Vertragspartei wegen eines etwaigen Verstoßes dieser Vertragspartei gegen das AHZ vorsehen kann (vgl. Art. 5 Abs. 2 AHZ). Zum Ausschluss der unmittelbaren Wirkung außer in den im AHZ ausdrücklich vorgesehenen Fällen vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Alchaster (C 202/24, EU:C:2024:559, Nr. 56).


58      Vgl. Art. 216 Abs. 2 AEUV.


59      Vgl. insbesondere Urteile vom 30. April 1974, Haegemann (181/73, EU:C:1974:41, Rn. 5), und vom 21. Januar 2025, Conti 11. Container Schiffahrt II (C‑188/23, EU:C:2025:26, Rn. 14).


60      Vgl. Urteil vom 10. Januar 2006, IATA und ELFAA (C‑344/04, EU:C:2006:10, Rn. 35).


61      Urteil vom 13. Januar 2015, Rat und Kommission/Stichting Natuur en Milieu und Pesticide Action Network Europe (C‑404/12 P und C‑405/12 P, EU:C:2015:5, Rn. 45).


62      Vgl. Urteil vom 21. Dezember 2011, Air Transport Association of America u. a. (C‑366/10, EU:C:2011:864, Rn. 49). Sobald festgestellt worden ist, dass ein Rechtsakt des abgeleiteten Unionsrechts gemäß einem internationalen Abkommen ausgelegt werden kann, besteht außerdem kein Anlass mehr, zu prüfen, ob Art und Struktur dieses Abkommens dem entgegenstehen, dass der Gerichtshof die Gültigkeit des fraglichen Rechtsakts anhand dieses Abkommens prüfen kann, und zu untersuchen, ob die insofern angeführten Bestimmunen inhaltlich unbedingt und hinreichend genau erscheinen (Urteil vom 21. Januar 2025, Conti 11. Container Schiffahrt II, C‑188/23, EU:C:2025;26, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).


63      Art. 5 Abs. 1 AHZ.


64      Vgl. Urteil vom 4. Oktober 2024, Mirin (C‑4/23, EU:C:2024:845, Rn. 43).


65      Insoweit weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass, sofern das (in Rio de Janeiro am 5. Juni 1992 unterzeichnete) Übereinkommen über die biologische Vielfalt Bestimmungen enthalten sollte, die keine unmittelbare Wirkung haben, also keine Rechte schaffen sollten, auf die sich der Einzelne vor den Gerichten berufen kann, dies den Richter doch nicht daran hindert, die Einhaltung der Verpflichtungen zu prüfen, die der Gemeinschaft als Vertragspartei obliegen (Urteil vom 9. Oktober 2001, Niederlande/Parlament und Rat, C‑377/98, EU:C:2001:523, Rn. 54). Das AHZ hingegen schließt ausdrücklich jede unmittelbare Wirkung aus. Es könnte daher als streng auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit zum beiderseitigen Nutzen beruhend verstanden werden (vgl. entsprechend Urteil vom 9. Oktober 2001, Niederlande/Parlament und Rat, C‑377/98, EU:C:2001:523, Rn. 53). Außerdem ist im Rahmen des Ausgangsverfahrens keine Frage nach der Gültigkeit thematisiert worden.


66      Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Bot im Gutachtenverfahren 1/17 (CETA EU-Kanada, EU:C:2019:72, Nr. 63). Weiter führte der Generalanwalt aus, dass „in praktisch allen Freihandelsabkommen, die die Union jüngst geschlossen hat, eine unmittelbare Wirkung dieser Abkommen ausdrücklich ausgeschlossen [wurde]. Der Hauptgrund für den Ausschluss einer unmittelbaren Wirkung der Abkommen best[and] darin, dass im Einklang mit den Zielen der gemeinsamen Handelspolitik eine effektive Gegenseitigkeit zwischen den Vertragsparteien sichergestellt werden soll“ (Nr. 91).


67      Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4055/86 dehnt den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs in den innergemeinschaftlichen Verbindungen auf Verbindungen zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittland aus (vgl. Urteile vom 14. November 2002, Geha Naftiliaki u. a., C‑435/00, EU:C:2002:661, Rn. 21, und vom 11. Januar 2007, Kommission/Griechenland, C‑269/05, EU:C:2007:17, Rn. 22). Der Gerichtshof hat entschieden, dass Seeschifffahrtsdienstleistungen zwischen einem Hafen eines Mitgliedstaats und einem Hafen eines Drittstaats ohne objektive Rechtfertigung nicht strengeren Voraussetzungen unterworfen werden dürfen als entsprechende Dienstleistungen zwischen einem Hafen eines Mitgliedstaats und einem anderen Hafen dieses Staats oder einem Hafen eines anderen Mitgliedstaats (vgl. Urteil vom 14. November 2002, Geha Naftiliaki u. a., C‑435/00, EU:C:2002:661, Rn. 22). Außerdem sieht Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 4055/86 vor, dass die Verordnung auch für außerhalb der Gemeinschaft ansässige Staatsangehörige der Mitgliedstaaten und für Reedereien mit Sitz außerhalb der Gemeinschaft gilt, die von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats kontrolliert werden, sofern deren Schiffe in diesem Mitgliedstaat registriert sind. Dem Vorabentscheidungsersuchen zufolge ist die Beklagte die „Gesellschaft englischen Rechts P&O North Sea Ferries Limited (filiale belge)“. Aus den Akten geht hervor, dass sie ihren Sitz in Dover (Vereinigtes Königreich) hat. Nach den Angaben der Kommission besitzt die belgische Zweigniederlassung der Gesellschaft englischen Rechts keine eigene Rechtspersönlichkeit, verfügt aber in Belgien über eine Unternehmensnummer (vgl. Rn. 10 der schriftlichen Erklärungen der Kommission). Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, sich zu vergewissern, dass die Beklagte des Ausgangsverfahrens nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union tatsächlich nicht mehr in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 4055/86 fällt.


68      Siehe Nr. 49 der vorliegenden Schlussanträge.


69      Vgl. Urteil vom 16. November 2021, Governor of Cloverhill Prison u. a. (C‑479/21 PPU, EU:C:2021:929, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Begriff „engagements [Verpflichtungen]“ wurde in der englischen Fassung des Urteils mit dem Ausdruck „commitments“ und in der italienischen Fassung mit „impegni“ übersetzt.


70      Vgl. Art. 91 Abs. 1 Buchst. a AEUV.


71      Vgl. Art. 91 Abs. 1 Buchst. b AEUV.


72      Vgl. Art. 3 Abs. 5 EUV.


73      Vgl. Urteile vom 18. März 2014, Z. (C‑363/12, EU:C:2014:159, Rn. 91), und vom 27. Februar 2024, EUIPO/The KaiKai Company Jaeger Wichmann (C‑382/21 P, EU:C:2024:172, Rn. 68 bis 70).


74      Vgl. zu den Verpflichtungen der nationalen Gerichte, wenn eine Bestimmung einer Richtlinie keine unmittelbare Wirkung hat, Urteil vom 18. Januar 2022, Thelen Technopark Berlin (C‑261/20, EU:C:2022:33, Rn. 33).

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