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Document 62023CJ0070

Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 4. Juli 2024.
Westfälische Drahtindustrie GmbH u. a. gegen Europäische Kommission.
Rechtsmittel – Wettbewerb – Kartelle – Europäischer Markt für Spannstahl – Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) festgestellt wird – Urteil, mit dem der Beschluss teilweise für nichtig erklärt und eine Geldbuße in Höhe der ursprünglich verhängten Geldbuße festgesetzt wird – Anrechnung der vorläufigen Zahlungen – Beschluss der Europäischen Kommission über den geschuldeten Restbetrag der Geldbuße – Zeitpunkt der Fälligkeit einer Geldbuße, deren Höhe vom Unionsgericht in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung festgesetzt wurde.
Rechtssache C-70/23 P.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:580

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

4. Juli 2024 ( *1 )

„Rechtsmittel – Wettbewerb – Kartelle – Europäischer Markt für Spannstahl – Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) festgestellt wird – Urteil, mit dem der Beschluss teilweise für nichtig erklärt und eine Geldbuße in Höhe der ursprünglich verhängten Geldbuße festgesetzt wird – Anrechnung der vorläufigen Zahlungen – Beschluss der Europäischen Kommission über den geschuldeten Restbetrag der Geldbuße – Zeitpunkt der Fälligkeit einer Geldbuße, deren Höhe vom Unionsgericht in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung festgesetzt wurde“

In der Rechtssache C‑70/23 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 8. Februar 2023,

Westfälische Drahtindustrie GmbH mit Sitz in Hamm (Deutschland),

Westfälische Drahtindustrie Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. KG mit Sitz in Hamm,

Pampus Industriebeteiligungen GmbH & Co. KG mit Sitz in Iserlohn (Deutschland),

vertreten durch die Rechtsanwälte O. Duys und N. Tkatchenko,

Rechtsmittelführerinnen,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch A. Keidel, L. Mantl und P. Rossi als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter Z. Csehi (Berichterstatter), M. Ilešič, I. Jarukaitis und D. Gratsias,

Generalanwalt: A. Rantos,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 1. Februar 2024

folgendes

Urteil

1

Mit ihrem Rechtsmittel begehren die Westfälische Drahtindustrie GmbH (im Folgenden: WDI), die Westfälische Drahtindustrie Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. KG und die Pampus Industriebeteiligungen GmbH & Co. KG die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 23. November 2022, Westfälische Drahtindustrie u. a./Kommission (T‑275/20, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2022:723), mit dem das Gericht ihre Klage abgewiesen hat, die erstens auf die Nichtigerklärung des Schreibens der Europäischen Kommission vom 2. März 2020 (im Folgenden: streitige Handlung), mit dem die Kommission sie zur Zahlung von 12236931,69 Euro als Restbetrag der am 30. September 2010 gegen sie verhängten Geldbuße aufforderte, gerichtet war, zweitens auf die Feststellung des vollständigen Erlöschens dieser Geldbuße am 17. Oktober 2019 durch die Zahlung von 18149636,24 Euro und drittens auf die Verurteilung der Kommission, an WDI wegen ungerechtfertigter Bereicherung den Betrag von 1633085,17 Euro nebst Zinsen seit dem 17. Oktober 2019 zu zahlen, sowie, hilfsweise, auf die Verurteilung der Kommission, an WDI den Betrag von 12236931,69 Euro, den die Kommission gegen sie geltend gemacht hat, und einen Überzahlungsbetrag von 1633085,17 Euro nebst Zinsen seit dem 17. Oktober 2019 bis zur vollständigen Erstattung des geschuldeten Betrags zu zahlen.

Rechtlicher Rahmen

2

Die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) sieht in Art. 23 Abs. 2 vor:

„Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen verhängen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig

a)

gegen Artikel [101] oder Artikel [102 AEUV] verstoßen …

…“

3

Art. 31 dieser Verordnung lautet:

„Bei Klagen gegen Entscheidungen, mit denen die Kommission eine Geldbuße oder ein Zwangsgeld festgesetzt hat, hat der Gerichtshof die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Entscheidung. Er kann die festgesetzte Geldbuße oder das festgesetzte Zwangsgeld aufheben, herabsetzen oder erhöhen.“

4

Ziff. 35 („Leistungsfähigkeit der Unternehmen“) der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2) (im Folgenden: Leitlinien von 2006) bestimmt:

„Unter außergewöhnlichen Umständen kann die Kommission auf Antrag die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens in einem gegebenen sozialen und ökonomischen Umfeld berücksichtigen. Die Kommission wird jedoch keine Ermäßigung wegen der bloßen Tatsache einer nachteiligen oder defizitären Finanzlage gewähren. Eine Ermäßigung ist nur möglich, wenn eindeutig nachgewiesen wird, dass die Verhängung einer Geldbuße gemäß diesen Leitlinien die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des Unternehmens unwiderruflich gefährden und ihre Aktiva jeglichen Wertes berauben würde.“

Vorgeschichte des Rechtsstreits

5

Die Vorgeschichte des Rechtsstreits geht aus den Rn. 2 bis 26 des angefochtenen Urteils hervor und kann wie folgt zusammengefasst werden.

6

Mit dem Beschluss K(2010) 4387 endg. vom 30. Juni 2010 in einem Verfahren nach Artikel 101 [AEUV] und Artikel 53 des EWR-Abkommens (Sache COMP/38.344 – Spannstahl) in der durch den Beschluss K(2010) 6676 endg. vom 30. September 2010 geänderten Fassung (im Folgenden: streitiger Beschluss) belangte die Kommission mehrere Unternehmen, darunter die Rechtsmittelführerinnen, bei denen es sich um Lieferanten von Spannstahl handelt, wegen ihrer Beteiligung an einem Kartell auf dem Spannstahlmarkt. Sie verhängte gegen WDI eine Geldbuße in Höhe von 46550000 Euro, für die die Westfälische Drahtindustrie Verwaltungsgesellschaft und die Pampus Industriebeteiligungen in Höhe von 38855000 Euro bzw. 15485000 Euro gesamtschuldnerisch hafteten.

7

Nach dem streitigen Beschluss war die Geldbuße innerhalb von drei Monaten ab seiner Zustellung zu zahlen. Nach Ablauf dieser Frist fielen automatisch Zinsen in Höhe des von der Europäischen Zentralbank (EZB) für ihre Hauptrefinanzierungsgeschäfte zugrunde gelegten Zinssatzes zuzüglich 3,5 Prozentpunkten an. Der streitige Beschluss sah ferner vor, dass ein Unternehmen, gegen das eine Geldbuße verhängt wurde, im Fall der Erhebung einer Klage die Geldbuße bis zum Fälligkeitsdatum entweder durch Bereitstellung einer Bankgarantie oder durch vorläufige Zahlung der Geldbuße decken muss.

8

Nachdem die Rechtsmittelführerinnen Klage nicht nur auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses, sondern auch auf Herabsetzung der festgesetzten Geldbuße erhoben hatten, stellten sie einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, der im Wesentlichen auf die Aussetzung der Vollziehung dieses Beschlusses bis zur Verkündung des Urteils, mit dem über ihre Klage entschieden wird, gerichtet war.

9

Mit Beschluss vom 13. April 2011, Westfälische Drahtindustrie u. a./Kommission (T‑393/10 R, EU:T:2011:178), gab der Präsident des Gerichts dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz teilweise statt. Er setzte die Obliegenheit der Rechtsmittelführerinnen, zugunsten der Kommission eine Bankbürgschaft zu stellen, um die sofortige Beitreibung der Geldbuße zu vermeiden, unter der Bedingung aus, dass sie zum einen an die Kommission vorläufig 2000000 Euro entrichten und zum anderen bis zur Verkündung des Urteils über die Nichtigkeitsklage monatliche Raten in Höhe von 300000 Euro zahlen.

10

Mit Urteil vom 15. Juli 2015, Westfälische Drahtindustrie u. a./Kommission (T‑393/10, im Folgenden: Urteil vom 15. Juli 2015, EU:T:2015:515), erklärte das Gericht den streitigen Beschluss für nichtig, soweit darin gegen die Rechtsmittelführerinnen eine Geldbuße verhängt wurde, und verurteilte sie sodann zur Zahlung einer Geldbuße, deren Höhe der im streitigen Beschluss verhängten Geldbuße entspricht. Zu diesem Ergebnis gelangte das Gericht, indem es zunächst feststellte, dass der Kommission bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Rechtsmittelführerinnen Fehler unterlaufen seien. Sodann entschied es in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung, dass sich aus verschiedenen Indizien, u. a. aus der von den Rechtsmittelführerinnen selbst nach dem Erlass des Beschlusses vorgenommenen Umstrukturierung, ergebe, dass sie keinen Anspruch auf eine Ermäßigung der Geldbuße wegen fehlender Leistungsfähigkeit hätten.

11

Die Rechtsmittelführerinnen legten gegen das Urteil vom 15. Juli 2015 ein Rechtsmittel ein. Sie rügten insbesondere, dass das Gericht bei der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung auf ihre Leistungsfähigkeit im Jahr 2015 und nicht im Jahr 2010 abgestellt habe. Mit Beschluss vom 7. Juli 2016, Westfälische Drahtindustrie und Pampus Industriebeteiligungen/Kommission (C‑523/15 P, EU:C:2016:541), wurde ihr Rechtsmittel zurückgewiesen.

12

Nach der Verkündung des Urteils vom 15. Juli 2015 ergaben sich zwischen der Kommission und den Rechtsanwälten der Rechtsmittelführerinnen Meinungsverschiedenheiten über den Zeitpunkt, ab dem die Geldbuße zu verzinsen sei. Letztere vertraten die Auffassung, die Geldbuße sei erst mit Verkündung des Urteils fällig geworden, während die Kommission meinte, dass ab dem im streitigen Beschluss festgesetzten Zeitpunkt Zinsen geschuldet würden.

13

In diesem Kontext ersuchten die Rechtsmittelführerinnen nach der Zurückweisung ihres Rechtsmittels das Gericht, das Urteil vom 15. Juli 2015 dahin auszulegen, dass die Zinsen auf die darin verhängte Geldbuße ab seiner Verkündung geschuldet seien. Hilfsweise beantragten sie, das Urteil um eine Entscheidung über den Beginn des Zinslaufs zu berichtigen oder zu ergänzen.

14

Mit Beschluss vom 17. Mai 2018, Westfälische Drahtindustrie u. a./Kommission (T‑393/10 INTP, EU:T:2018:293), erklärte das Gericht diese Anträge für unzulässig. Zu dem Antrag auf Auslegung stellte es fest, dass sich ein solcher Antrag, um zulässig zu sein, auf einen im auszulegenden Urteil entschiedenen Punkt beziehen müsse. Die Frage, ab wann im Fall einer aufgeschobenen Zahlung der gegen die Rechtsmittelführerinnen verhängten Geldbuße Verzugszinsen zu zahlen seien, sei im Urteil vom 15. Juli 2015 aber nicht behandelt worden. Die Rechtsmittelführerinnen wollten mit ihrem Antrag eine Stellungnahme zu den Folgen des Urteils vom 15. Juli 2015 erlangen, was nicht Gegenstand eines Auslegungsantrags gemäß Art. 168 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts sein könne. Die beiden anderen Anträge seien verspätet. Die hilfsweise gestellten Anträge auf Berichtigung oder Ergänzung des Urteils vom 15. Juli 2015 seien in Anbetracht der hierfür in Art. 164 Abs. 2 und in Art. 165 Abs. 2 der Verfahrensordnung vorgesehenen Fristen ebenfalls verspätet.

15

In Durchführung des Beschlusses vom 13. April 2011, Westfälische Drahtindustrie u. a./Kommission (T‑393/10 R, EU:T:2011:178), zahlte WDI der Kommission in der Zeit vom 29. Juni 2011 bis zum 16. Juni 2015 vorläufig einen Gesamtbetrag von 16400000 Euro.

16

Am 16. Oktober 2019 teilte WDI der Kommission mit, dass sie bereits 31700000 Euro gezahlt habe und nunmehr den gesamten noch ausstehenden Betrag der Geldbuße nebst Zinsen zahlen wolle, den sie mit 18149636,24 Euro bezifferte. Bei dieser Berechnung berücksichtigte WDI die seit dem 15. Oktober 2015, drei Monate nach der Verkündung des Urteils vom 15. Juli 2015, angefallenen Zinsen und wandte einen Zinssatz von 3,48 % an.

17

Am 17. Oktober 2019 überwies WDI den Betrag von 18149636,24 Euro auf das Bankkonto der Kommission. Damit waren auf die Geldbuße seit dem 29. Juni 2011 insgesamt 49849636,24 Euro gezahlt worden.

18

Mit der streitigen Handlung teilte die Kommission mit, dass sie den von WDI in ihrem Schreiben vom 16. Oktober 2019 vertretenen Standpunkt nicht teile. Nach den im Urteil vom 14. Juli 1995, CB/Kommission (T‑275/94, EU:T:1995:141), aufgestellten Kriterien seien Zinsen in Höhe von 4,5 % nicht ab dem Urteil vom 15. Juli 2015 zu zahlen, sondern ab dem im streitigen Beschluss festgesetzten Zeitpunkt, dem 4. Januar 2011. Die Kommission forderte WDI daher auf, ihr mit Wertstellungsdatum 31. März 2020 den geschuldeten Restbetrag von 12236931,69 Euro zu zahlen.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

19

Mit Klageschrift, die am 11. Mai 2020 bei der Kanzlei des Gerichts einging, beantragten die Rechtsmittelführerinnen, erstens die streitige Handlung für nichtig zu erklären, zweitens infolgedessen festzustellen, dass die Kommission die an sie von WDI in der Zeit vom 29. Juni 2011 bis zum 16. Juni 2015 geleisteten Zahlungen (16400000 Euro) zuzüglich hierauf in diesem Zeitraum angefallener Zinsen (1420610 Euro), insgesamt also einen Betrag von 17820610 Euro, auf die vom Gericht im Rahmen seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung mit dem Urteil vom 15. Juli 2015 verhängte Geldbuße mit Wirkung zu diesem Datum anzurechnen hat und diese Geldbuße damit durch die Zahlung von WDI vom 17. Oktober 2019 in Höhe von 18149636,24 Euro bereits vollständig erloschen ist, und drittens die Kommission zu verurteilen, an WDI einen Betrag von 1633085,17 Euro nebst Zinsen seit dem 17. Oktober 2019 bis zur vollständigen Erstattung des geschuldeten Betrags zu zahlen. Hilfsweise beantragten die Rechtsmittelführerinnen, die Europäische Union, vertreten durch die Kommission, zu verurteilen, an sie Schadensersatz in Höhe des mit der streitigen Handlung geforderten Betrags in Höhe von 12236931,69 Euro zu leisten, und an WDI den Betrag in Höhe von 1633085,17 Euro nebst Zinsen ab dem 17. Oktober 2019 bis zur vollständigen Erstattung des geschuldeten Betrags zu zahlen.

20

Im angefochtenen Urteil hat das Gericht im Rahmen der Prüfung der Begründetheit der oben in Rn. 19 erwähnten Anträge der Rechtsmittelführerinnen zunächst deren auf mehrere Verstöße gegen Art. 266 Abs. 1 AEUV gestützten Schadensersatzantrag geprüft. Insoweit ging das Gericht davon aus, dass alle gerügten Verstöße auf der Prämisse beruhten, dass die im streitigen Beschluss verhängte Geldbuße vom Gericht im Urteil vom 15. Juni 2015 nicht „aufrechterhalten“ oder „bestätigt“, sondern für nichtig erklärt und durch eine neue, von den Rechtsmittelführerinnen als „gerichtliche Geldbuße“ bezeichnete Geldbuße ersetzt worden sei.

21

Das Gericht hat den Schadensersatzantrag für zulässig erklärt und sodann in Rn. 98 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen, dass nach der auf sein Urteil vom 14. Juli 1995, CB/Kommission (T‑275/94, EU:T:1995:141), zurückgehenden Rechtsprechung die vom Unionsgericht in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung festgesetzte Geldbuße keine neue Geldbuße darstelle, die sich rechtlich von der von der Kommission verhängten Geldbuße unterscheide. Der bloße Umstand, dass das Gericht in seinem Urteil vom 15. Juli 2015 die Beibehaltung der im streitigen Beschluss festgesetzten Höhe der Geldbuße im Ergebnis für angemessen gehalten habe, stehe der Anwendung dieser Rechtsprechung im vorliegenden Fall nicht entgegen.

22

Diese Beurteilung sei auch nicht durch das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen in Frage gestellt worden, die insbesondere geltend gemacht hätten, dass das Gericht die ursprünglich verhängte Geldbuße für nichtig erklärt habe, bevor es deren Höhe auf der Grundlage von Gesichtspunkten neu festgesetzt habe, die nach dem streitigen Beschluss eingetreten seien, und dass der Präsident des Gerichts mit seinem Beschluss vom 13. April 2011, Westfälische Drahtindustrie u. a./Kommission (T‑393/10 R, EU:T:2011:178), die Aussetzung der Obliegenheit zur Stellung einer Bankbürgschaft angeordnet habe.

23

Das Gericht hat außerdem hervorgehoben, dass die Verpflichtung, von Anfang an Verzugszinsen zu zahlen, wenn das Unionsgericht die Geldbuße in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung teilweise oder ganz aufrechterhalte, keine Sanktion darstelle, die zu der ursprünglich von der Kommission festgesetzten Geldbuße hinzukäme.

24

In Anbetracht dieser Erwägungen ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass kein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen die Verpflichtungen der Kommission aus Art. 266 AEUV vorliege, und hat den Schadensersatzantrag der Rechtsmittelführerinnen zurückgewiesen. Da ihre übrigen Anträge im Wesentlichen ebenfalls auf der Prämisse eines Verstoßes der Kommission gegen diese Bestimmung beruhten, hat das Gericht die Klage in vollem Umfang abgewiesen, ohne die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit des Antrags auf Nichtigerklärung der streitigen Handlung zu prüfen.

Anträge der Parteien

25

Die Rechtsmittelführerinnen beantragen,

das angefochtene Urteil aufzuheben,

die streitige Handlung für nichtig zu erklären,

infolgedessen festzustellen, dass die Kommission die von WDI im Zeitraum vom 29. Juni 2011 bis zum 16. Juni 2015 geleisteten Zahlungen in Höhe von 16400000 Euro zuzüglich der hierauf angefallenen Ausgleichszinsen in Höhe von insgesamt 1420610 Euro, zusammen also einen Betrag von 17820610 Euro, auf die vom Gericht im Urteil vom 15. Juli 2015 eigenständig erlassene Geldbuße mit Wirkung zum 15. Juli 2015 anzurechnen hat und diese Geldbuße damit durch die Zahlung vom 17. Oktober 2019 in Höhe von 18149636,24 Euro bereits vollständig erloschen ist,

die Kommission zu verurteilen, an WDI einen Betrag von 1633085,17 Euro nebst Ausgleichszinsen seit dem 17. Oktober 2019 bis zur vollständigen Erstattung des jeweils geschuldeten Betrags zu zahlen,

hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Kommission zu verurteilen, an die drei Rechtsmittelführerinnen Schadensersatz in Höhe von 12236931,69 Euro in Form der Verrechnung mit dem durch die streitige Handlung von der Kommission gegen WDI geltend gemachten Betrag von 12236931,36 Euro zu leisten und an WDI den Überzahlungsbetrag in Höhe von 1633085,17 Euro nebst Ausgleichszinsen seit dem 17. Oktober 2019 bis zur vollständigen Erstattung des jeweils geschuldeten Betrags zu zahlen,

hilfsweise zu den Anträgen unter den Gedankenstrichen 1 bis 5 die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückzuverweisen

und in jedem Fall

der Kommission die durch das erstinstanzliche Verfahren und das Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten aufzuerlegen.

26

Die Kommission beantragt,

das Rechtsmittel zurückzuweisen und

den Rechtsmittelführerinnen die Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

27

Die Rechtsmittelführerinnen stützen ihr Rechtsmittel auf drei Gründe.

Zum ersten und zum zweiten Rechtsmittelgrund

28

Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund werfen die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vor, durch die Nichtbefolgung des Urteils vom 15. Juli 2015 sowie eine in Bezug auf dieses Urteil fehlerhafte und widersprüchliche Begründung des angefochtenen Urteils einen Rechtsfehler begangen zu haben. Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund rügen sie einen Verstoß gegen Art. 266 AEUV wegen mangelnder Befolgung der Rechtsregel, die sich aus der Kombination der Kassationswirkung des Urteils vom 15. Juli 2015 und der ersetzenden Rechtsnatur der darin getroffenen Entscheidung ergebe.

29

Aus den Schriftsätzen der Rechtsmittelführerinnen geht hierzu hervor, dass sie mit diesen beiden Rechtsmittelgründen im Wesentlichen geltend machen, das Gericht habe in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung im Rahmen des Urteils vom 15. Juli 2015 eine Geldbuße festgesetzt, die neu sei und sich rechtlich von der Geldbuße unterscheide, die die Kommission im streitigen Beschluss gegen sie verhängt habe. Insbesondere stützen sie ihren ersten Rechtsmittelgrund zwar teilweise darauf, dass die Begründung widersprüchlich und fehlerhaft sei, doch zeigen die verschiedenen zu seiner Untermauerung vorgebrachten Argumente, dass sie damit in Wirklichkeit nicht die Unzulänglichkeit der Begründung des angefochtenen Urteils geltend machen wollen, sondern sich gegen die Rechtsfolgen wenden, die das Gericht daraus abgeleitet hat, dass es im Urteil vom 15. Juli 2015 seine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ausgeübt hatte. Folglich sind diese beiden Rechtsmittelgründe zusammen zu behandeln, wobei zunächst die Stichhaltigkeit dieser Prämisse zu prüfen ist.

Vorbringen der Parteien

30

Die Rechtsmittelführerinnen tragen vor, das Gericht habe im Urteil vom 15. Juli 2015 zum einen die von der Kommission verhängte Geldbuße ex tunc für nichtig erklärt, wodurch sie eine Forderung in Höhe des von ihnen in Durchführung des Beschlusses über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorläufig gezahlten Betrags nebst Zinsen erlangt hätten, und zum anderen mit Wirkung ab dem Tag der Verkündung des Urteils vom 15. Juli 2015 eine neue, eigenständige Geldbuße festgesetzt, die als „gerichtliche Geldbuße“ der von der Kommission im Jahr 2010 verhängten „für nichtig erklärten Geldbuße“ gegenüberstehe.

31

Dabei machen sie u. a. geltend, das Gericht habe im Tenor des Urteils vom 15. Juli 2015 Art. 2 Nr. 8 des streitigen Beschlusses vollständig beseitigt, mit der Folge, dass die von der Kommission verhängte Geldbuße aufgrund ihrer Nichtigerklärung durch dieses Urteil rückwirkend gänzlich entfallen sei.

32

Außerdem sei das Gericht in Anbetracht der Schwere der von ihm in diesem Urteil festgestellten Fehler und da es aufgrund der Fehlerhaftigkeit der im streitigen Beschluss vorgenommenen Beurteilung der Leistungsfähigkeit außerstande gewesen sei, rückwirkend eine ermäßigte Geldbuße festzusetzen, von seiner bisherigen Rechtsprechungspraxis abgewichen. Statt wie in anderen Urteilen unmittelbar rückwirkend eine niedrigere als die für nichtig erklärte Geldbuße festzusetzen, habe es im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung entschieden, die Nichtigerklärung dieses Beschlusses mit einem gegen sie gerichteten Verurteilungstenor zu kombinieren. Diese Kombination habe das Gericht in die Lage versetzt, zunächst den Beschluss vollständig zu beseitigen und ihn sodann durch seine eigene Würdigung zu ersetzen.

33

Bezeichnend sei auch, dass sich das Gericht im Urteil vom 15. Juli 2015 für befugt gehalten habe, die von ihnen während eines Zeitraums von fast fünf Jahren bereits geleisteten Zahlungen und die Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Verkündung dieses Urteils zu berücksichtigen.

34

Daher sei die Begründung des angefochtenen Urteils widersprüchlich, da sie außer Acht lasse, dass es sich bei der im Urteil vom 15. Juli 2015 verhängten Geldbuße um eine neue und eigenständige Geldbuße handele. Insbesondere habe das Gericht in Rn. 99 des angefochtenen Urteils entschieden, dass aufgrund der ersetzenden Wirkung des Urteils vom 15. Juli 2015 davon auszugehen sei, dass der streitige Beschluss schon immer derjenige gewesen sei, der sich aus der Würdigung in diesem Urteil ergebe. Das Gericht hätte aber die Tragweite dieser ersetzenden Wirkung bestimmen müssen, zu der die Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung im Hinblick auf den Tenor und die Gründe des Urteils führe, dem eine solche Wirkung zukomme. Im vorliegenden Fall folge aus der Doppelwirkung der Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses und ihrer Verurteilung zur Zahlung einer Geldbuße, dass eine neue Geldbuße vorliege, die sich rechtlich von der ursprünglich gegen sie verhängten unterscheide. Überdies müsse mit der ersetzenden Wirkung schon vom Wortlaut her zwingend zumindest eine Änderung der ursprünglichen Geldbuße und damit im Wesentlichen der Erlass einer neuen, rechtlich gesonderten Geldbuße einhergehen.

35

Im Ergebnis zeigten der Tenor des Urteils vom 15. Juli 2015 und die vom Gericht in diesem Urteil vorgenommene umfassende Würdigung, dass der streitige Beschluss insgesamt abgeändert worden sei. Die ersetzende Wirkung habe sich sowohl auf die Begründung als auch auf die zu hoch bemessene Geldbuße bezogen. Sie habe eine Veränderung bewirkt, die eine klare Unterscheidung zwischen der für nichtig erklärten ursprünglichen Geldbuße und der sie ersetzenden gerichtlichen Geldbuße sowie den damit verbundenen Rechtsfolgen gebiete.

36

Die Kommission hält den ersten und den zweiten Rechtsmittelgrund für unbegründet.

Würdigung durch den Gerichtshof

37

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das System der gerichtlichen Kontrolle von Beschlüssen der Kommission in Verfahren nach den Art. 101 und 102 AEUV in einer Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe auf der Grundlage von Art. 263 AEUV besteht, die gemäß Art. 261 AEUV auf Antrag der klagenden Partei durch die Ausübung der Befugnis des Gerichts zu unbeschränkter Nachprüfung hinsichtlich der in diesem Bereich von der Kommission verhängten Zwangsmaßnahmen ergänzt werden kann (Urteil vom 25. Juli 2018, Orange Polska/Kommission, C‑123/16 P, EU:C:2018:590, Rn. 104 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Die in Art. 263 AEUV vorgesehene Rechtmäßigkeitskontrolle erstreckt sich auf sämtliche Bestandteile der Beschlüsse der Kommission in Verfahren nach den Art. 101 und 102 AEUV, deren eingehende rechtliche und tatsächliche Kontrolle das Gericht sicherstellt, und zwar auf der Grundlage der von der klagenden Partei geltend gemachten Klagegründe und unter Berücksichtigung aller von ihr vorgebrachten Umstände. Im Rahmen dieser Kontrolle dürfen die Unionsgerichte jedoch die vom Urheber der fraglichen Handlung gegebene Begründung keinesfalls durch ihre eigene ersetzen (Urteil vom 25. Juli 2018, Orange Polska/Kommission, C‑123/16 P, EU:C:2018:590, Rn. 105 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39

Dagegen sind die Unionsgerichte, wenn sie ihre in Art. 261 AEUV und Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehene Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ausüben, über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Zwangsmaßnahme hinaus befugt, die Beurteilung der Kommission, der Urheberin des Rechtsakts, in dem der Betrag der Zwangsmaßnahme ursprünglich festgelegt wurde, bei der Festsetzung dieses Betrags durch ihre eigene Beurteilung zu ersetzen. Sie können daher den angefochtenen Rechtsakt, auch ohne ihn für nichtig zu erklären, unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände abändern und die verhängte Geldbuße aufheben, herabsetzen oder erhöhen (Urteil vom 25. Juli 2018, Orange Polska/Kommission, C‑123/16 P, EU:C:2018:590, Rn. 106 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40

Dazu geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass sich die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung, über die das Gericht auf der Grundlage von Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 verfügt und die es ihm ermöglicht, die von der Kommission verhängte Geldbuße aufzuheben, herabzusetzen oder zu erhöhen, auf den Betrag der ursprünglich von der Kommission verhängten Geldbuße bezieht und beschränkt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juni 2022, Sony Optiarc und Sony Optiarc America/Kommission, C‑698/19 P, EU:C:2022:480, Rn. 92).

41

Außerdem verleiht Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003, anders als ihr Art. 23, der die Kommission ermächtigt, Geldbußen wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln zu verhängen, dem Gericht eine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung, die integraler Bestandteil seiner Befugnis ist, über Klagen gegen Beschlüsse zu entscheiden, mit denen die Kommission eine solche Geldbuße verhängt hat. Folglich soll Art. 31 nicht das Gericht ermächtigen, eine neue Geldbuße zu verhängen, die sich von der von der Kommission festgesetzten rechtlich unterscheidet, sondern er vervollständigt die gerichtliche Kontrolle, indem er es dem Gericht ermöglicht, den Betrag der ursprünglich verhängten Geldbuße zu ändern.

42

Daher ist, wie es das Gericht in Rn. 99 des angefochtenen Urteils getan hat, hervorzuheben, dass das Unionsgericht, wenn es die Beurteilung der Kommission durch seine eigene ersetzt, im Beschluss der Kommission den ursprünglich darin festgesetzten Betrag durch denjenigen ersetzt, der sich aus seiner eigenen Beurteilung ergibt. Aufgrund der ersetzenden Wirkung des Urteils des Unionsgerichts ist daher davon auszugehen, dass der Beschluss der Kommission schon immer derjenige war, der sich aus der Beurteilung durch das Unionsgericht ergibt.

43

Im vorliegenden Fall hat das Gericht im Urteil vom 15. Juli 2015 zunächst festgestellt, dass die Kommission bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Rechtsmittelführerinnen im Sinne von Ziff. 35 der Leitlinien von 2006 Fehler begangen habe. Sodann hat es gemäß dem Antrag der Rechtsmittelführerinnen, die das Gericht nicht nur ersucht hatten, den streitigen Beschluss für nichtig zu erklären, sondern auch, die verhängte Geldbuße herabzusetzen, in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung auf der Grundlage der Angaben der Parteien zur Entwicklung der finanziellen Situation der Rechtsmittelführerinnen nach dem Erlass des streitigen Beschlusses festgestellt, dass sie aus Gründen wie den in Ziff. 35 der Leitlinien von 2006 genannten keinen Anspruch auf eine Ermäßigung ihrer Geldbuße wegen fehlender Leistungsfähigkeit hätten.

44

Da das Gericht somit im Urteil vom 15. Juli 2015 seine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ausgeübt hat, hat es sich in Rn. 98 des angefochtenen Urteils zu Recht auf sein Urteil vom 14. Juli 1995, CB/Kommission (T‑275/94, EU:T:1995:141, Rn. 58 und 60), gestützt, aus dem hervorgeht, dass die Unionsgerichte im Rahmen der Ausübung ihrer Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung nicht befugt sind, die von der Kommission verhängte Geldbuße durch eine neue, rechtlich von ihr verschiedene Geldbuße zu ersetzen, und daraus in Rn. 102 des angefochtenen Urteils den Schluss gezogen, dass im vorliegenden Fall die von ihm im Urteil vom 15. Juli 2015 abgeänderte Geldbuße nicht neu und seit dem 4. Januar 2011 fällig sei.

45

Hierzu ist festzustellen, dass weder die Art und Weise, in der das Gericht die Höhe der Geldbuße festgesetzt hat, noch die Natur der Gesichtspunkte, die es berücksichtigt hat, als es im Urteil vom 15. Juli 2015 die Beurteilung der Kommission durch seine eigene ersetzte, zu dem Schluss führen können, dass die in dieser Weise abgeänderte Geldbuße eine neue Geldbuße darstellt, die sich rechtlich von der Geldbuße unterscheidet, die von der Kommission im streitigen Beschluss verhängt wurde.

46

Zwar hat das Gericht in Nr. 2 des Tenors seines Urteils vom 15. Juli 2015 Art. 2 Nr. 8 des streitigen Beschlusses, mit dem eine Geldbuße gegen die Rechtsmittelführerinnen verhängt wurde, für nichtig erklärt und in den Nrn. 4 bis 6 dieses Tenors die verschiedenen Beträge festgesetzt, aus denen die geänderte Geldbuße bestand und die der im streitigen Beschluss verhängten Geldbuße entsprachen. Dies kann jedoch, wie der Generalanwalt in Nr. 55 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht als Ausdruck des Willens des Gerichts verstanden werden, eine neue Geldbuße zu verhängen, die sich rechtlich von der von der Kommission festgesetzten unterscheidet.

47

Wenn das Unionsgericht im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung die Beurteilung der Kommission bei der Bemessung der Geldbuße durch seine eigene Beurteilung ersetzt, indem es einen neuen Betrag festsetzt, ist damit nämlich zwangsläufig die Nichtigerklärung des von der Kommission festgesetzten Betrags der ursprünglichen Geldbuße verbunden, unabhängig davon, ob dies im Urteil ausdrücklich erwähnt wird.

48

Folglich wäre es zwar zu begrüßen, wenn das Gericht so weit wie möglich eine einheitliche redaktionelle Praxis verfolgen würde, doch kann keine besondere Rechtsfolge daraus abgeleitet werden, dass sich das Gericht nach der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung nicht dafür entschieden hat, im Tenor den zuvor festgesetzten Betrag der Geldbuße durch einen neuen, gegebenenfalls identischen Betrag zu ersetzen, sondern dafür, zunächst die von der Kommission verhängte Geldbuße für nichtig zu erklären und dann gegen die Rechtsmittelführerinnen eine Geldbuße in gleicher Höhe zu verhängen.

49

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Prämisse, auf der der erste und der zweite Rechtsmittelgrund beruhen, falsch ist, so dass diese Rechtsmittelgründe als unbegründet zurückzuweisen sind, ohne dass die verschiedenen von den Rechtsmittelführerinnen in ihrem Rahmen vorgebrachten Rügen näher geprüft zu werden brauchen.

Zum dritten Rechtsmittelgrund

50

Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund werfen die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vor, ihr Recht auf ein faires Verfahren verletzt zu haben.

Vorbringen der Parteien

51

Die Rechtsmittelführerinnen tragen vor, das Gericht habe alle vor ihm geltend gemachten Klagegründe unter Berufung auf einen einzigen Grund zurückgewiesen, und zwar den, dass die Geldbuße, die sich aus dem Urteil vom 15. Juli 2015 ergebe, keine „neue“ Geldbuße sei.

52

Zwar bestehe ein Zusammenhang zwischen diesen Klagegründen, doch habe dieser Umstand nicht ausreichen können, um es dem Gericht zu ermöglichen, alle Klagegründe in dieser Form zurückzuweisen. Um einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, hätte das Gericht alle geltend gemachten Klagegründe einer eigenständigen und sorgfältigen Prüfung unterziehen müssen. Die Gründe des angefochtenen Urteils ließen aber nicht erkennen, dass das Gericht eine solche Prüfung vorgenommen habe.

53

Die Kommission hält den dritten Rechtsmittelgrund ebenfalls für unbegründet.

Würdigung durch den Gerichtshof

54

In den Rn. 129 und 130 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausgeführt, der zweite, der dritte und der vierte Klagegrund beruhten auf der im Rahmen des ersten ihm vorgetragenen Klagegrundes aufgestellten Prämisse, dass die von der Kommission verhängte Geldbuße für nichtig erklärt und durch eine „gerichtliche Geldbuße“ ersetzt worden sei. Da diese Prämisse, wie im Rahmen der Prüfung des ersten Klagegrundes dargelegt, nicht zutreffe, seien der zweite, der dritte und der vierte Klagegrund ohne Prüfung der zu ihrer Stützung angeführten Argumente als unbegründet zurückzuweisen.

55

Damit hat das Gericht weder das Recht auf ein faires Verfahren verletzt noch, falls die Rechtsmittelführerinnen eine solche Rüge erheben wollen, den Schluss, zu dem es gelangt ist, unzureichend begründet.

56

Ebenso wie im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels beruhten nämlich alle Argumente der Rechtsmittelführerinnen zu den Klagegründen 2 bis 5 auf der Prämisse, dass die von der Kommission verhängte Geldbuße für nichtig erklärt und durch eine „gerichtliche Geldbuße“ ersetzt worden sei. Da diese Prämisse jedoch nicht zutrifft, wie im Übrigen die Prüfung des ersten und des zweiten Rechtsmittelgrundes im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels bestätigt hat, war es nicht erforderlich, dass das Gericht die Zurückweisung des zweiten, des dritten und des vierten Klagegrundes näher begründet.

57

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Pflicht zur Begründung der Urteile, die dem Gericht nach Art. 36 und Art. 53 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union obliegt, das Gericht nicht verpflichtet, bei seinen Ausführungen alle von den Parteien des Rechtsstreits vorgetragenen Argumente nacheinander erschöpfend zu behandeln. Die Begründung kann daher implizit erfolgen, sofern sie es den Betroffenen ermöglicht, die Gründe zu erkennen, auf denen das Urteil, dessen Aufhebung begehrt wird, beruht, und dem Gerichtshof ausreichende Angaben liefert, damit er seine Kontrollaufgabe im Rahmen eines Rechtsmittels wahrnehmen kann (Urteil vom 7. März 2024, Nevinnomysskiy Azot und NAK Azot/Kommission, C‑725/22 P, EU:C:2024:217, Rn. 131 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58

Mit dem oben in Rn. 52 zusammengefassten Vorbringen weisen die Rechtsmittelführerinnen jedoch nicht nach und machen nicht einmal geltend, dass es ihnen nicht möglich war, die Gründe des angefochtenen Urteils zu erkennen. Ihr Vorbringen zeigt vielmehr, dass die Begründung des angefochtenen Urteils es ihnen ermöglicht hat, die Gründe zu erkennen, auf die sich das Gericht gestützt hat. Sie liefert dem Gerichtshof auch ausreichende Angaben, damit er seine Kontrollaufgabe im Rahmen der Prüfung des vorliegenden Rechtsmittels wahrnehmen kann.

59

Folglich ist der dritte Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

60

Da keiner der von den Rechtsmittelführerinnen geltend gemachten Rechtsmittelgründe durchgreift, ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

Kosten

61

Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist, über die Kosten.

62

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

63

Da die Rechtsmittelführerinnen mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

 

2.

Die Westfälische Drahtindustrie GmbH, die Westfälische Drahtindustrie Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. KG und die Pampus Industriebeteiligungen GmbH & Co. KG tragen die Kosten.

 

Regan

Csehi

Ilešič

Jarukaitis

Gratsias

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 4. Juli 2024.

Der Kanzler

A. Calot Escobar

Der Kammerpräsident

E. Regan


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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