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Document 62022CJ0113

    Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 14. September 2023.
    DX gegen Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS) und Tesorería General de la Seguridad Social (TGSS).
    Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Superior de Justicia de Galicia.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Richtlinie 79/7/EWG – Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit – Art. 6 – Nationale Regelung, wonach nur Frauen einen Anspruch auf eine Rentenzulage haben – Vorabentscheidungsurteil des Gerichtshofs, wonach diese Regelung eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt – Verwaltungspraxis, wonach diese Regelung ungeachtet des Urteils weiterhin angewandt wird – Andere Diskriminierung – Finanzielle Wiedergutmachung – Erstattung der Auslagen für Prozesskosten und Anwaltshonorare.
    Rechtssache C-113/22.

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:665

     URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

    14. September 2023 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Richtlinie 79/7/EWG – Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit – Art. 6 – Nationale Regelung, wonach nur Frauen einen Anspruch auf eine Rentenzulage haben – Vorabentscheidungsurteil des Gerichtshofs, wonach diese Regelung eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt – Verwaltungspraxis, wonach diese Regelung ungeachtet des Urteils weiterhin angewandt wird – Andere Diskriminierung – Finanzielle Wiedergutmachung – Erstattung der Auslagen für Prozesskosten und Anwaltshonorare“

    In der Rechtssache C‑113/22

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Superior de Justicia de Galicia (Obergericht Galicien, Spanien) mit Entscheidung vom 2. Februar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Februar 2022, in dem Verfahren

    DX

    gegen

    Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS),

    Tesorería General de la Seguridad Social (TGSS)

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

    unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Richterin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer,

    Generalanwältin: L. Medina,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    von DX, vertreten durch J. de Cominges Cáceres, Abogado,

    des Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS), vertreten durch M. P. García Perea und M. P. Madrid Yagüe als Letradas,

    der spanischen Regierung, vertreten durch L. Aguilera Ruiz als Bevollmächtigten,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch I. Galindo Martín und A. Szmytkowska als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24).

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen DX, Vater von zwei Kindern, einerseits sowie dem Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS) (Nationales Institut der Sozialen Sicherheit, Spanien) und der Tesorería General de la Seguridad Social (TGSS) (Allgemeine Sozialversicherungskasse, Spanien) andererseits wegen der Weigerung des INSS, dem Kläger eine Rentenzulage zu gewähren, die gemäß den nationalen Rechtsvorschriften nur Frauen erhielten, die mindestens zwei leibliche oder adoptierte Kinder hatten.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    3

    Art. 1 der Richtlinie 79/7 lautet:

    „Diese Richtlinie hat zum Ziel, dass auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit und der sonstigen Bestandteile der sozialen Sicherung im Sinne von Artikel 3 der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit – im Folgenden ‚Grundsatz der Gleichbehandlung‘ genannt – schrittweise verwirklicht wird.“

    4

    Art. 2 dieser Richtlinie sieht vor:

    „Diese Richtlinie findet Anwendung auf die Erwerbsbevölkerung – einschließlich der Selbständigen, deren Erwerbstätigkeit durch Krankheit, Unfall oder unverschuldete Arbeitslosigkeit unterbrochen ist, und der Arbeitsuchenden – sowie auf die im Ruhestand befindlichen oder arbeitsunfähigen Arbeitnehmer und Selbständigen.“

    5

    Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

    „Diese Richtlinie findet Anwendung

    a)

    auf die gesetzlichen Systeme, die Schutz gegen folgende Risiken bieten:

    Krankheit,

    Invalidität,

    Alter,

    Arbeitsunfall und Berufskrankheit,

    Arbeitslosigkeit;

    …“

    6

    Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie lautet:

    „Der Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, und zwar im Besonderen betreffend:

    den Anwendungsbereich der Systeme und die Bedingungen für den Zugang zu den Systemen,

    die Beitragspflicht und die Berechnung der Beiträge,

    die Berechnung der Leistungen, einschließlich der Zuschläge für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen, sowie die Bedingungen betreffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Leistungen.“

    7

    In Art. 5 der Richtlinie 79/7 heißt es:

    „Die Mitgliedstaaten treffen die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Rechts- und Verwaltungsvorschriften beseitigt werden.“

    8

    Art. 6 dieser Richtlinie bestimmt:

    „Die Mitgliedstaaten erlassen die innerstaatlichen Vorschriften, die notwendig sind, damit jeder, der sich wegen Nichtanwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung für beschwert hält, nach etwaiger Befassung anderer zuständiger Stellen seine Rechte gerichtlich geltend machen kann.“

    Spanisches Recht

    9

    Art. 53 der Ley General de la Seguridad Social (Allgemeines Gesetz über die soziale Sicherheit) in ihrer konsolidierten Fassung, gebilligt durch das Real Decreto Legislativo 8/2015 (Königliches Gesetzesdekret 8/2015) vom 30. Oktober 2015 (BOE Nr. 261 vom 31. Oktober 2015, S. 103291) (im Folgenden: LGSS), lautet:

    „(1)   Der Anspruch auf Zuerkennung der Leistungen verjährt in fünf Jahren, gerechnet ab dem Folgetag des Tages, an dem der betreffende Versicherungsfall eingetreten ist, vorbehaltlich der in diesem Gesetz vorgesehenen Ausnahmen; eine Zuerkennung wirkt für den Zeitraum von drei Monaten vor der Antragstellung zurück.

    Wirken sich Änderungsanträge auf den wirtschaftlichen Gehalt bereits zuerkannter Leistungen aus, beläuft sich die Rückwirkung der sich aus dem neuen Betrag ergebenden finanziellen Folgen auf nicht mehr als drei Monate ab dem Tag der Antragstellung. Diese Regelung zur Höchstdauer der Rückwirkung findet keine Anwendung, wenn Schreibfehler, sachliche Fehler oder Rechenfehler berichtigt werden …“

    10

    Art. 60 („Mutterschaftszulage bei beitragsbezogenen Renten des Systems der sozialen Sicherheit“) Abs. 1 LGSS sah in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung vor:

    „Frauen, die leibliche oder adoptierte Kinder hatten und von einer Untergliederung des Systems der sozialen Sicherheit eine beitragsbezogene Alters- oder Witwenrente oder Rente wegen dauernder Invalidität erhalten, wird aufgrund ihres demografischen Beitrags zur sozialen Sicherheit eine Rentenzulage gewährt.

    Diese Zulage, die in jeder Hinsicht die Rechtsnatur einer öffentlichen beitragsbezogenen Rente hat, besteht aus einem Betrag in Höhe eines bestimmten, auf den Ausgangsbetrag der entsprechenden Renten angewandten Prozentsatzes, der sich je nach der Zahl der Kinder wie folgt bemisst:

    a)

    bei 2 Kindern: 5 Prozent,

    …“

    11

    Art. 10 der Ley Orgánica 3/2007 para la igualdad efectiva de mujeres y hombres (Organgesetz 3/2007 zur tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern) vom 22. März 2007 (BOE Nr. 71 vom 23. März 2007, S. 12611) bestimmt:

    „Rechtshandlungen …, die eine Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts darstellen oder hierzu führen können, sind nichtig und unwirksam und begründen [für den Handelnden] eine Haftung im Rahmen eines Systems tatsächlicher, effektiver und in einem zu dem entstandenen Schaden angemessenen Verhältnis stehender Wiedergutmachungs‑ und Entschädigungsleistungen sowie gegebenenfalls im Rahmen eines wirksamen und abschreckenden, diskriminierenden Verhaltensweisen vorbeugenden Sanktionssystems.“

    12

    Art. 183 der Ley 36/2011 reguladora de la jurisdicción social (Gesetz 36/2011 über die Sozialgerichtsbarkeit) vom 10. Oktober 2011 (BOE Nr. 245 vom 11. Oktober 2011, S. 106584) (im Folgenden: Gesetz 36/2011) sieht in seinen Abs. 1 und 2 vor:

    „(1)   Wird im Urteil eine Rechtsverletzung festgestellt, entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung des immateriellen Schadens infolge der Grundrechtsverletzung sowie der daraus folgenden zusätzlichen Schäden über die Höhe des Schadensersatzes, der der klagenden Partei wegen Diskriminierung oder einer anderen Verletzung ihrer Grundrechte und Grundfreiheiten gegebenenfalls zusteht.

    (2)   Das Gericht entscheidet über die Höhe des Schadensersatzes, der zurückhaltend zu veranschlagen ist, wenn der Nachweis seiner genauen Höhe zu schwierig oder zu kostspielig ist, um das Opfer angemessen zu entschädigen und es im Rahmen des Möglichen in seine Lage vor der Rechtsverletzung zurückzuversetzen und um zum Ziel der Schadensvermeidung beizutragen.“

    13

    Im Criterio de Gestión 1/2020 (Rundschreiben 1/2020) der Subdirección General de Ordenación y Asistencia Jurídica del Instituto Nacional de la Seguridad Social (Untergeneraldirektion für Organisation und Rechtsbeistand des INSS) vom 31. Januar 2020 (im Folgenden: Rundschreiben 1/2020) hieß es:

    „Bis zur erforderlichen Gesetzesänderung zur Anpassung von Art. 60 LGSS an das Urteil [vom 12. Dezember 2019, Instituto Nacional de la Seguridad Social (Rentenzulage für Mütter) (C‑450/18, EU:C:2019:1075)] …, gelten für diese Verwaltungsstelle folgende Handlungsanweisungen:

    1.

    Die in Art. 60 TRLGSS geregelte Zulage zu Renten wegen dauernder Invalidität, Alter oder Witwenschaft wird bis zur entsprechenden Änderung dieser Vorschrift weiterhin, wie bisher, ausschließlich Frauen zuerkannt, die die dort festgelegten Voraussetzungen erfüllen.

    2.

    Die Regelung in Nr. 1 gilt selbstverständlich unbeschadet der Verpflichtung, rechtskräftige Urteile durchzuführen, mit denen die genannte Rentenzulage Männern zuerkannt wird …“

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    14

    DX, Vater von zwei Kindern, wurde vom INSS mit Wirkung vom 10. November 2018 auf einer Berechnungsgrundlage in Höhe von 1972,87 Euro eine Leistung wegen dauernder Vollinvalidität zugesprochen. Im Rahmen des entsprechenden Verwaltungsverfahrens hatte er die Zuerkennung des Anspruchs auf die in Art. 60 Abs. 1 LGSS für Altersrenten, Renten wegen dauernder Invalidität oder Witwenrenten vorgesehene Rentenzulage für „Mutterschaft“ (im Folgenden: streitige Rentenzulage) weder ausdrücklich verlangt noch wurde ihm dieser von Amts wegen zuerkannt.

    15

    DX beantragte am 10. November 2020 beim INSS die Zuerkennung dieser Zulage in Höhe von 5 % der ihm gewährten Leistung für dauernde Invalidität; dabei stützte er sich auf das Urteil vom 12. Dezember 2019, Instituto Nacional de la Seguridad Social (Rentenzulage für Mütter) (C‑450/18, EU:C:2019:1075), nach dem die Richtlinie 79/7 einer nationalen Regelung wie der von Art. 60 LGSS entgegensteht, die die Gewährung dieser Zulage ausschließlich für Frauen vorsieht.

    16

    Mit Entscheidung vom 17. November 2020 (im Folgenden: Ablehnungsentscheidung) lehnte das INSS diesen Antrag ab.

    17

    Gegen diese Entscheidung erhob DX Klage beim Juzgado de lo Social no 2 de Vigo (Arbeits- und Sozialgericht Nr. 2 Vigo, Spanien), das mit Urteil vom 15. Februar 2021 unter Bezugnahme auf das Urteil vom 12. Dezember 2019, Instituto Nacional de la Seguridad Social (Rentenzulage für Mütter) (C‑450/18, EU:C:2019:1075) feststellte, dass DX Anspruch auf die streitige Rentenzulage habe, den gleichzeitig gestellten Antrag auf Entschädigung jedoch zurückwies. Mit Beschluss vom 1. März 2021 stellte dieses Gericht zu den finanziellen Folgen dieser Zulage fest, dass DX ab dem 10. August 2020 Anspruch darauf habe; es bezog somit die Zahlung der streitigen Rentenzulage für die drei seiner Antragstellung vom 10. November 2020 vorangehenden Monate mit ein.

    18

    DX und das INSS legten gegen dieses Urteil beim vorlegenden Gericht, dem Tribunal Superior de Justicia de Galicia (Obergericht Galicien, Spanien), Berufung ein.

    19

    Während das INSS der Auffassung ist, dass DX gemäß dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit keinen Anspruch auf die geforderte Zulage nach Art. 60 LGSS habe, beantragt DX, ihm den Anspruch auf diese Zulage ab dem Tag zuzuerkennen, ab dem er Anspruch auf seine Rente gehabt habe, also ab dem 10. November 2018; wäre er nämlich eine Frau, so wäre er ab diesem Tag über den Anspruch auf die Zulage informiert worden. Aus diesem Grund verlangt er ferner wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung eine Entschädigung als Ersatz für den entstandenen Schaden und zum Zweck der Abschreckung.

    20

    Das vorlegende Gericht weist zunächst darauf hin, dass es zu der Auffassung neige, es komme für das Ausgangsverfahren grundlegend auf die Frage an, ob die im Rundschreiben 1/2020 dargelegte und veröffentlichte Praxis des INSS, Männern die streitige Rentenzulage stets zu verweigern und sie zu deren gerichtlicher Geltendmachung zu zwingen, im Hinblick auf die Richtlinie 79/7 als eine andere als die sich aus Art. 60 LGSS ergebende Diskriminierung anzusehen sei, die im Urteil vom 12. Dezember 2019, Instituto Nacional de la Seguridad Social (Rentenzulage für Mütter) (C‑450/18, EU:C:2019:1075), herausgestellt worden sei.

    21

    Das in Rn. 17 des vorliegenden Urteils genannte Urteil vom 15. Februar 2021 gehe von der Prämisse aus, dass die Ablehnungsentscheidung zwar diskriminierend, aber mit dem nationalen Recht, auf das allein die in Rede stehende Diskriminierung zurückgehe, vereinbar sei, so dass der diskriminierende Charakter der Ablehnung, um die es im Ausgangsverfahren gehe, nicht zu einer Entschädigung durch das INSS führen könne.

    22

    Weiter fragt das vorlegende Gericht für den Fall, dass es sich bei der Ablehnungsentscheidung um eine andere als die sich aus Art. 60 LGSS ergebende Diskriminierung handeln sollte, ab welchem Zeitpunkt dem Betroffenen die streitige Rentenzulage zu gewähren wäre und vor allem, ob diese Gewährung rückwirkend und ab dem Zeitpunkt des Eintretens des Ereignisses zu erfolgen hätte, das den Anspruch auf die Invaliditätsrente, an die diese Zulage anknüpft, begründet.

    23

    Schließlich möchte das vorlegende Gericht erstens wissen, ob es für die Wiedergutmachung des in der Ablehnungsentscheidung bestehenden Verstoßes gegen das Unionsrecht grundsätzlich ausreicht, dass dem Betroffenen die streitige Rentenzulage rückwirkend zuerkannt wird, ohne dass eine zusätzliche Entschädigung nötig wäre, oder ob eine solche Entschädigung vielmehr zu gewähren ist, zum einen, um den erlittenen materiellen und den immateriellen Schaden zu ersetzen, zum anderen als Abschreckung gegen solche Verstöße.

    24

    Zweitens stellt sich nach Auffassung des vorlegenden Gerichts die Frage, ob es in jedem Fall angezeigt ist, dass zur Sicherstellung der Wirksamkeit des Unionsrechts die im Rahmen des Verfahrens beim Juzgado de lo Social no 2 de Vigo (Arbeits- und Sozialgericht Nr. 2 Vigo) und beim vorlegenden Gericht angefallenen Prozesskosten und Anwaltshonorare Teil der wegen Verletzung des Unionsrechts zugesprochenen Entschädigung werden, wobei das INSS gemäß dem nationalen Recht nicht zur Zahlung dieser Kosten und Honorare verurteilt werden kann, da arbeitsrechtliche Verfahren für alle Rechtssuchenden unentgeltlich sind.

    25

    Unter diesen Umständen hat das Tribunal Superior de Justicia de Galicia (Obergericht Galicien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    Stellt die im Rundschreiben 1/2020 genannte Praxis der Verwaltungsstelle, Männern die streitige Rentenzulage stets zu verweigern und sie damit – wie den Kläger des vorliegenden Rechtsstreits – zu deren gerichtlicher Geltendmachung zu zwingen, nach der Richtlinie 79/7 einen administrativen Verstoß gegen diese Richtlinie dar, der von dem im Urteil des Gerichtshofs vom 12. Dezember 2019, Instituto Nacional de la Seguridad Social (Rentenzulage für Mütter) (C‑450/18, EU:C:2019:1075), festgestellten legislativen Verstoß zu unterscheiden ist, so dass dieser administrative Verstoß, für sich betrachtet – angesichts der Tatsache, dass nach Art. 4 der Richtlinie der Grundsatz der Gleichbehandlung als Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts definiert ist und dass nach Art. 5 der Richtlinie die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Rechts- und Verwaltungsvorschriften beseitigt werden – eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt?

    2.

    Muss angesichts der Antwort auf die vorstehende Frage und unter Berücksichtigung der Richtlinie 79/7 (insbesondere ihres Art. 6 sowie der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität im Hinblick auf die Rechtsfolgen des Verstoßes gegen das Unionsrecht) der Zeitpunkt, an dem die Wirkungen der gerichtlichen Zuerkennung der Zulage einsetzen, der Zeitpunkt des Antrags (mit einer Rückwirkung von drei Monaten) sein, oder muss dies vielmehr der Zeitpunkt sein, in dem das Urteil vom 12. Dezember 2019, Instituto Nacional de la Seguridad Social (Rentenzulage für Mütter) (C‑450/18, EU:C:2019:1075) des Gerichtshofs erlassen oder veröffentlicht wurde, oder aber der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls für die Leistungen wegen dauernder Invalidität, auf die sich die streitige Rentenzulage bezieht?

    3.

    Ist angesichts der Antworten auf die vorstehenden Fragen und unter Berücksichtigung der anwendbaren Richtlinie (insbesondere ihres Art. 6 und der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität im Hinblick auf die Rechtsfolgen des Verstoßes gegen das Unionsrecht) eine Entschädigung zuzusprechen, die die entstandenen Schäden ersetzt und abschreckende Wirkung hat, weil diese Schäden mit der Festlegung des Zeitpunkts, an dem die Wirkungen der gerichtlichen Zuerkennung der Zulage eintreten, nicht abgedeckt werden, und müssen jedenfalls die Prozesskosten und Anwaltshonorare, die im Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht und vor der vorlegenden Kammer für Arbeits- und Sozialsachen angefallen sind, als Teil der Entschädigung zugesprochen werden?

    Verfahren vor dem Gerichtshof

    26

    Mit Entscheidung vom 19. Juli 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 4. August 2022, hat das vorlegende Gericht seine zweite Vorlagefrage zurückgenommen und erklärt, dass das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien), nachdem das Vorabentscheidungsersuchen bereits anhängig gewesen sei, mit Urteil vom 30. Mai 2022 die den Zeitpunkt der Gewährung von Mutterschaftszulagen an männliche Arbeitnehmer betreffende Frage dahin entschieden habe, dass dabei auf den Zeitpunkt abzustellen sei, ab dem Anspruch auf die Rente bestanden habe, auf die sich diese Zulagen bezögen.

    27

    Es führt jedoch aus, dass die erste und die dritte Vorlagefrage für den Ausgangsrechtsstreit entscheidungserheblich blieben, und weist darauf hin, dass es die erste Frage nur insoweit aufrechterhalte, als nach Auffassung des Gerichtshofs deren Beantwortung erforderlich sei, um die dritte Frage zu beantworten.

    Zu den Vorlagefragen

    Zur Zulässigkeit und zur etwaigen Erledigung der Hauptsache

    28

    Das INSS macht geltend, dass die erste Frage unzulässig sei, da sie bereits durch den Erlass neuer Anweisungen zur Anpassung der Praxis dieser Behörde an die in Rn. 26 des vorliegenden Urteils angeführte nationale Rechtsprechung beantwortet worden sei. Auch die spanische Regierung hält diese Frage für unzulässig, weil es darin nicht um die Auslegung des Unionsrechts gehe, sondern lediglich um die Kontrolle des Handelns eines nationalen Verwaltungsorgans im Hinblick auf das Unionsrecht.

    29

    Darüber hinaus hält das INSS auch die dritte Frage für unzulässig, da es in mehreren vom Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) zu den Mutterschaftszulagen erlassenen Urteilen nicht zur Tragung der Kosten verurteilt worden sei, weil die Rechtssachen, in denen diese Urteile ergangen seien, nach Auffassung des Tribunal Supremo rechtliche Zweifel geweckt hätten. Die spanische Regierung ist der Meinung, diese Frage sei dadurch gegenstandslos geworden, dass die rückwirkende Gewährung der streitigen Rentenzulage, die gemäß der in Rn. 26 des vorliegenden Urteils angeführten nationalen Rechtsprechung zuerkannt worden sei, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand impliziere, durch die jede zusätzliche Entschädigung überflüssig werde.

    30

    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des nationalen Gerichts ist, das mit dem Ausgangsverfahren befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 31. Januar 2023, Puig Gordi u. a., C‑158/21, EU:C:2023:57, Rn. 50).

    31

    Folglich gilt für Fragen, die das Unionsrecht betreffen, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia Forumul Judecătorilor din România u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 116).

    32

    Was die erste Frage angeht, so bezieht sich diese zum einen auf die Beurteilung der im Rundschreiben 1/2020 niedergelegten Verwaltungspraxis im Hinblick auf die Richtlinie 79/7. Dieser Praxis folgend hat das INSS nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts die Ablehnungsentscheidung erlassen, die Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits ist. Das Vorbringen des INSS, wonach diese Praxis inzwischen geändert worden sei, vermag somit nicht zur Feststellung der Unzulässigkeit dieser Frage zu führen.

    33

    Zum anderen ist den Ausführungen des vorlegenden Gerichts und dem Wortlaut der ersten Frage zu entnehmen, dass das Gericht eine Auslegung der Richtlinie 79/7 und insbesondere ihrer Art. 5 und 6 erhalten möchte, um die Rechtmäßigkeit der Ablehnungsentscheidung im Hinblick auf die sich aus dieser Richtlinie ergebenden Anforderungen beurteilen zu können. Somit bittet das vorlegende Gericht den Gerichtshof entgegen der Ansicht der spanischen Regierung nicht darum, eine solche Beurteilung selbst vorzunehmen.

    34

    Was die dritte Frage angeht, so möchte das vorlegende Gericht wissen, ob sich für dieses unter den Umständen des Ausgangsverfahrens aus der Richtlinie 79/7 eine Verpflichtung ergibt, das INSS zur Zahlung einer abschreckenden Entschädigung an den Kläger des Ausgangsverfahrens zu verurteilen, die gegebenenfalls die diesem im Rahmen seiner Klage entstandenen Prozesskosten und Anwaltshonorare umfasst. Insoweit ist ohne Belang, dass das nationale Recht im vorliegenden Fall keine Möglichkeit einer Verurteilung zur Tragung der Prozesskosten und Anwaltshonorare vorsieht, zumal das vorlegende Gericht darauf hingewiesen hat, dass es sich gerade aufgrund dieser fehlenden Möglichkeit veranlasst sah, die dritte Vorlagefrage zu stellen.

    35

    Zum anderen kann im Hinblick auf den Gegenstand der dritten Frage, wie er soeben dargelegt wurde, nicht der Ansicht der spanischen Regierung gefolgt werden, dass diese Frage sich erledigt habe. Denn das vorlegende Gericht möchte ja gerade wissen, ob unter den Umständen des Ausgangsverfahrens die Tatsache, dass der Zeitpunkt der Gewährung der streitigen Rentenzulage rückwirkend festgelegt wird, wie von der spanischen Regierung geltend gemacht, zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung ausreicht, so dass dieser Aspekt unter die inhaltliche Prüfung der dritten Frage fällt.

    36

    Folglich sind zum einen die erste und die dritte Frage zulässig und zum anderen gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich die dritte Vorlagefrage erledigt hätte.

    Zur Beantwortung der Vorlagefragen

    37

    Mit seiner ersten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 79/7 und insbesondere ihr Art. 6 dahin auszulegen ist, dass ein nationales Gericht, das mit einer Klage eines männlichen Versicherten gegen die Ablehnung seines Antrags auf Gewährung einer Rentenzulage befasst ist, die die zuständige Behörde auf eine diese Zulage weiblichen Versicherten vorbehaltende nationale Rechtsvorschrift stützt, obwohl diese Vorschrift eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne der Richtlinie 79/7 in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof in einem vor der Ablehnung dieses Antrags ergangenen Vorabentscheidungsurteil darstellt, dieser Behörde nicht nur aufgeben muss, dem Betroffenen die beantragte Rentenzulage zu gewähren, sondern sie auch zur Zahlung von Schadensersatz mit abschreckender Wirkung sowie zum Ersatz der vom Betroffenen im Rahmen dieses Verfahrens zu zahlenden Prozesskosten und Anwaltshonorare verurteilen muss, wenn die Entscheidung der Behörde gemäß einer Verwaltungspraxis ergangen ist, die darin besteht, die fragliche Vorschrift ungeachtet dieses Urteils weiterhin anzuwenden, wodurch der Betroffene zur gerichtlichen Geltendmachung seines Anspruchs auf die Zulage gezwungen wird.

    38

    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass zum einen der Gerichtshof in den Rn. 39, 41, 66 und 67 seines Urteils vom 12. Dezember 2019, Instituto Nacional de la Seguridad Social (Rentenzulage für Mütter) (C‑450/18, EU:C:2019:1075), im Wesentlichen bereits entschieden hat, dass die Richtlinie 79/7 dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, die für Frauen, die zwei oder mehr leibliche oder adoptierte Kinder hatten und von einer Untergliederung des Systems der nationalen sozialen Sicherheit eine beitragsbezogene Rente wegen dauernder Invalidität erhalten, einen Anspruch auf eine Rentenzulage vorsieht, während Männer, die sich in der gleichen Situation befinden, keinen solchen Anspruch haben, da eine solche Regelung eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne von Art. 4 Abs. 1 dritter Gedankenstrich dieser Richtlinie darstellt.

    39

    Wie aus den Ausführungen des vorlegenden Gerichts hervorgeht, wurde die Ablehnungsentscheidung gemäß derselben nationalen Vorschrift – nämlich Art. 60 Abs. 1 LGSS – erlassen, die auch der Rechtssache zugrunde lag, in der jenes Urteil ergangen ist. Das vorlegende Gericht hat daher keine Zweifel daran, dass eine solche nationale Vorschrift den Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 verletzt.

    40

    Zum anderen beruhen die erste und die dritte Frage auf der Prämisse, dass das vorlegende Gericht angesichts des diskriminierenden Charakters der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung und der in Rn. 26 des vorliegenden Urteils angeführten nationalen Rechtsprechung den Ausgangsrechtsstreit jedenfalls dahin entscheiden muss, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens zumindest einen Anspruch auf die streitige Rentenzulage hat, und zwar rückwirkend ab dem Zeitpunkt, ab dem er Anspruch auf seine Rente wegen dauernder Invalidität hatte.

    41

    Dieser Ansatz ist mit einer gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs vereinbar, wonach die Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, wenn eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt worden ist und solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen worden sind, nur dadurch gewährleistet werden kann, dass den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile gewährt werden wie die, die den Angehörigen der privilegierten Gruppe zugutekommen. In einem derartigen Fall ist das nationale Gericht gehalten, eine diskriminierende nationale Bestimmung außer Anwendung zu lassen, ohne dass es ihre vorherige Aufhebung durch den Gesetzgeber beantragen oder abwarten müsste, und auf die Mitglieder der benachteiligten Gruppe eben die Regelung anzuwenden, die für die Mitglieder der anderen Gruppe gilt (Urteile vom 21. Juni 2007, Jonkman u. a., C‑231/06 bis C‑233/06, EU:C:2007:373, Rn. 39, und vom 9. März 2017, Milkova, C‑406/15, EU:C:2017:198, Rn. 66 und 67 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    42

    Diese Verpflichtung obliegt im Übrigen nicht nur den nationalen Gerichten, sondern auch allen staatlichen Stellen einschließlich der nationalen Verwaltungsbehörden, die eine solche Regelung anzuwenden haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. März 2022, Grossmania, C‑177/20, EU:C:2022:175, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    43

    Dies vorausgeschickt, ist erstens darauf hinzuweisen, dass eine Einzelfallentscheidung, die gemäß einer eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 darstellenden Regelung erlassen wurde – wie die nach Art. 60 Abs. 1 LGSS erlassene Ablehnungsentscheidung – genauso diskriminierend wie eine solche Regelung ist, da diese Entscheidung gegenüber der betroffenen Person die diskriminierenden Aspekte der Regelung nachbildet.

    44

    Das mit einer Klage gegen eine solche Entscheidung befasste nationale Gericht müsste also grundsätzlich die in Rn. 41 des vorliegenden Urteils genannte Maßnahme ergreifen, um die Gleichbehandlung wiederherzustellen.

    45

    Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht aber darauf hingewiesen, dass die Ablehnungsentscheidung nicht nur in Anwendung einer mit der Richtlinie 79/7 unvereinbaren nationalen Regelung erfolgt ist, sondern auch gemäß einer Verwaltungspraxis, die in dem nach dem Urteil vom 12. Dezember 2019, Instituto Nacional de la Seguridad Social (Rentenzulage für Mütter) (C‑450/18, EU:C:2019:1075) veröffentlichten Rundschreiben 1/2020 niedergelegt ist. Nach dieser Regel gewährt die sachlich zuständige Behörde, also das INSS, die streitige Rentenzulage bis zur Anpassung von Art. 60 LGSS an dieses Urteil weiterhin ausschließlich Frauen, die die in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen erfüllen, unbeschadet der Verpflichtung, rechtskräftigen Gerichtsentscheidungen nachzukommen, die Männern einen Anspruch auf diese Rentenzulage zuerkennen.

    46

    Unter diesen Umständen ist darauf hinzuweisen, dass eine im Einklang mit einer solchen – überdies noch in einem veröffentlichten Rundschreiben niedergelegten – Verwaltungspraxis erlassene Entscheidung, mit der Männern die Gewährung der streitigen Rentenzulage verweigert wird, für die männlichen Versicherten unabhängig von der unmittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, wie sie sich aus den in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung vorgesehenen materiellen Voraussetzungen ergibt, im Hinblick auf die für die Gewährung der streitigen Rentenzulage maßgeblichen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen zu einer Diskriminierung führen kann.

    47

    Selbst wenn diese Praxis nicht ausschließt, dass die Gleichbehandlung letztlich dadurch wiederhergestellt wird, dass den Männern diese Zulage in den Fällen gewährt wird, in denen eine Gerichtsentscheidung eine solche Gewährung vorsieht, so führt sie doch dazu, dass ausschließlich Männer gezwungen sind, ihren Anspruch auf die streitige Rentenzulage gerichtlich geltend zu machen, was u. a. dazu führt, dass sie bis zur Gewährung der Zulage länger warten müssen und ihnen gegebenenfalls zusätzliche Kosten entstehen.

    48

    Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 6 der Richtlinie 79/7 die Mitgliedstaaten die innerstaatlichen Vorschriften erlassen müssen, die notwendig sind, damit jeder, der sich wegen einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts für beschwert hält, nach etwaiger Befassung anderer zuständiger Stellen, seine Rechte gerichtlich geltend machen kann.

    49

    Zu dieser Verpflichtung gehört es, dass die fraglichen Maßnahmen so wirksam sind, dass das mit der Richtlinie 79/7 verfolgte Ziel, nämlich die Schaffung tatsächlicher Chancengleichheit, erreicht wird; sie müssen demnach geeignet sein, diese Gleichheit wiederherzustellen, einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz gewährleisten und eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber der Stelle haben, die die Diskriminierung begangen hat (vgl. in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und insbesondere die Voraussetzung für eine Kündigung Urteile vom 2. August 1993, Marshall, C‑271/91, EU:C:1993:335, Rn. 22 und 24, sowie vom 17. Dezember 2015, Arjona Camacho, C‑407/14, EU:C:2015:831, Rn. 29 und 31).

    50

    Wird im Hinblick auf die Besonderheiten der betreffenden Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes als Maßnahme zur Erreichung des Ziels der Wiederherstellung tatsächlicher Chancengleichheit die finanzielle Wiedergutmachung gewählt, so muss diese angemessen in dem Sinne sein, dass sie es erlaubt, die durch die Diskriminierung tatsächlich entstandenen Schäden gemäß den anwendbaren staatlichen Regeln in vollem Umfang auszugleichen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2. August 1993, Marshall, C‑271/91, EU:C:1993:335, Rn. 25 und 26, sowie vom 17. Dezember 2015, Arjona Camacho, C‑407/14, EU:C:2015:831, Rn. 32 und 33).

    51

    Außerdem kann die Zahlung von Schadensersatz an die geschädigte Person, der den durch die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts entstandenen Schaden vollständig deckt, nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen gewährleisten, dass ein solcher Schaden auf eine abschreckende und angemessene Art und Weise tatsächlich und wirksam ausgeglichen oder ersetzt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2015, Arjona Camacho, C‑407/14, EU:C:2015:831, Rn. 37).

    52

    Erstens darf das nationale Gericht sich, wenn es mit einer Klage gegen eine Entscheidung wie die in Rn. 46 des vorliegenden Urteils genannte befasst ist, die zu einer Diskriminierung im Zusammenhang mit den materiellen Voraussetzungen der Gewährung der streitigen Rentenzulage sowie zu einer Diskriminierung im Zusammenhang mit den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für diese Gewährung führt, nicht darauf beschränken, zugunsten des betroffenen männlichen Versicherten die in Rn. 41 des vorliegenden Urteils beschriebenen Maßnahmen zu ergreifen, die darin bestehen, ihm das Recht auf die streitige Rentenzulage rückwirkend zuzusprechen.

    53

    Zwar ermöglicht eine solche rückwirkende Zuerkennung grundsätzlich die Wiederherstellung der Gleichbehandlung in Bezug auf die materiellen Voraussetzungen der Gewährung der streitigen Rentenzulage, doch vermag sie nicht, die dem Versicherten durch den diskriminierenden Charakter der fraglichen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen entstehenden Schäden zu ersetzen.

    54

    Folglich muss einem solchen Versicherten über die rückwirkende Zuerkennung der streitigen Rentenzulage hinaus auch die in Rn. 50 des vorliegenden Urteils genannte Maßnahme zugutekommen können, d. h. eine angemessene finanzielle Wiedergutmachung, die die durch die Diskriminierung tatsächlich entstandenen Schäden gemäß den geltenden nationalen Regeln in vollem Umfang auszugleichen vermag.

    55

    Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass das spanische Recht tatsächlich eine solche Möglichkeit vorsieht, da gemäß Art. 183 des Gesetzes 36/2011 die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit zuständigen Gerichte den Opfern einer Diskriminierung Schadensersatz zusprechen müssen, um sie in ihre Lage vor der Diskriminierung zurückzuversetzen und um zum Ziel der Schadensvermeidung beizutragen.

    56

    In diesem Kontext ist zweitens darauf hinzuweisen, dass es möglich sein muss, die dem betroffenen Versicherten im Hinblick auf die Geltendmachung seines Anspruchs auf die streitige Rentenzulage entstandenen Auslagen, einschließlich der Prozesskosten und der Anwaltshonorare, bei einer finanziellen Wiedergutmachung zu berücksichtigen, soweit diese Auslagen aufgrund der ihm gegenüber erfolgten Anwendung diskriminierender verfahrensrechtlicher Voraussetzungen für die Gewährung dieser Zulage verursacht wurden.

    57

    Diese auf Art. 6 der Richtlinie 79/7 gestützte Wiedergutmachung muss – wie in Rn. 50 des vorliegenden Urteils ausgeführt – geeignet sein, die durch die Diskriminierung tatsächlich entstandenen Schäden in vollem Umfang auszugleichen.

    58

    Demnach dürfen die dem Betroffenen durch die Anwendung diskriminierender verfahrensrechtlicher Vorschriften entstandenen Auslagen – gegebenenfalls einschließlich der Prozesskosten und der Anwaltshonorare im Zusammenhang mit den gerichtlichen Verfahren, die er zur Geltendmachung seiner Rechte anstrengen musste – nicht außer Acht gelassen werden.

    59

    Angesichts von Rn. 55 des vorliegenden Urteils scheint das nationale Gericht im vorliegenden Fall vorbehaltlich einer von ihm vorzunehmenden Überprüfung gemäß Art. 183 des Gesetzes 36/2011 befugt zu sein, dem Kläger des Ausgangsverfahrens eine vollumfängliche finanzielle Wiedergutmachung im Sinne von Art. 6 der Richtlinie 79/7 und daher eine Entschädigung zuzusprechen, die die Prozesskosten und die Anwaltshonorare umfasst, die ihm bei der gerichtlichen Geltendmachung seines Rechts auf die streitige Rentenzulage entstanden sind.

    60

    Insoweit ist ohne Belang, dass es dem vorlegenden Gericht, wie von ihm ausgeführt, gemäß den spanischen Verfahrensvorschriften im Bereich des Arbeitsrechts nicht möglich ist, die für die Diskriminierung im Ausgangsverfahren verantwortliche Stelle zur Tragung der Kosten zu verurteilen, da die Entschädigung, die auch die Prozesskosten und die Anwaltshonorare abdeckt, nicht unter diese Verfahrensvorschriften fällt, sondern Teil der an den Betroffenen in vollem Umfang zu leistenden Wiedergutmachung ist, die er gemäß der in Rn. 50 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zu erhalten hat.

    61

    Jedenfalls ist es zwar Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten, die Bedingungen festzulegen, unter denen die Tragweite dieser Wiedergutmachung einschließlich der Bedeutung zu bestimmen ist, die der Tatsache zukommt, dass die entsprechende Diskriminierung auf eine bewusste Handlung der zuständigen Stelle zurückzuführen ist, doch dürfen diese Bedingungen diese Wiedergutmachung nicht in ihrem Wesensgehalt beeinträchtigen (vgl. entsprechend Urteil vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a., C‑154/15, C‑307/15 und C‑308/15, EU:C:2016:980, Rn. 65 und 71).

    62

    Nach alledem ist auf die erste und die dritte Frage zu antworten, dass die Richtlinie 79/7 und insbesondere ihr Art. 6 dahin auszulegen ist, dass ein nationales Gericht, das mit einer Klage eines männlichen Versicherten gegen die Ablehnung seines Antrags auf Gewährung einer Rentenzulage befasst ist, die die zuständige Behörde auf eine diese Zulage weiblichen Versicherten vorbehaltende nationale Rechtsvorschrift stützt, obwohl diese Vorschrift eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne der Richtlinie 79/7 in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof in einem vor der Ablehnung dieses Antrags ergangenen Vorabentscheidungsurteil darstellt, dieser Behörde nicht nur aufgeben muss, dem Betroffenen die beantragte Rentenzulage zu gewähren, sondern sie auch zur Zahlung einer Entschädigung verurteilen muss, die es ermöglicht, den durch die Diskriminierung tatsächlich entstandenen Schaden gemäß den anwendbaren nationalen Bestimmungen in vollem Umfang – einschließlich der dem Betroffenen in diesem Verfahren entstandenen Prozesskosten und Anwaltshonorare – auszugleichen, wenn die Entscheidung der Behörde gemäß einer Verwaltungspraxis ergangen ist, die darin besteht, die fragliche Vorschrift ungeachtet dieses Urteils weiterhin anzuwenden, wodurch der Betroffene zur gerichtlichen Geltendmachung seines Anspruchs auf die Zulage gezwungen wird.

    Kosten

    63

    Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

     

    Die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit und insbesondere ihr Art. 6

     

    ist dahin auszulegen, dass

     

    ein nationales Gericht, das mit einer Klage eines männlichen Versicherten gegen die Ablehnung seines Antrags auf Gewährung einer Rentenzulage befasst ist, die die zuständige Behörde auf eine diese Zulage weiblichen Versicherten vorbehaltende nationale Rechtsvorschrift stützt, obwohl diese Vorschrift eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne der Richtlinie 79/7 in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof in einem vor der Ablehnung dieses Antrags ergangenen Vorabentscheidungsurteil darstellt, dieser Behörde nicht nur aufgeben muss, dem Betroffenen die beantragte Rentenzulage zu gewähren, sondern sie auch zur Zahlung einer Entschädigung verurteilen muss, die es ermöglicht, den durch die Diskriminierung tatsächlich entstandenen Schaden gemäß den anwendbaren nationalen Bestimmungen in vollem Umfang – einschließlich der dem Betroffenen in diesem Verfahren entstandenen Prozesskosten und Anwaltshonorare – auszugleichen, wenn die Entscheidung der Behörde gemäß einer Verwaltungspraxis ergangen ist, die darin besteht, die fragliche Vorschrift ungeachtet dieses Urteils weiterhin anzuwenden, wodurch der Betroffene zur gerichtlichen Geltendmachung seines Anspruchs auf die Zulage gezwungen wird.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Spanisch.

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