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Document 62022CC0684

    Schlussanträge des Generalanwalts M. Szpunar vom 14. Dezember 2023.
    S. Ö. u. a. gegen Stadt Duisburg u. a.
    Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Düsseldorf.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsbürgerschaft – Art. 20 AEUV – Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats und eines Drittstaats – Erwerb der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats – Verlust der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaats und der Unionsbürgerschaft kraft Gesetzes – Möglichkeit, die Beibehaltung der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaats vor Erwerb der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats zu beantragen – Einzelfallprüfung der Folgen des Verlusts der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaats im Hinblick auf das Unionsrecht – Umfang.
    Verbundene Rechtssachen C-684/22 bis C-686/22.

    Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:999

     SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    MACIEJ SZPUNAR

    vom 14. Dezember 2023 ( 1 )

    Verbundene Rechtssachen C‑684/22 bis C‑686/22

    S. Ö.

    gegen

    Stadt Duisburg (C‑684/22)

    und

    N. Ö.,

    M. Ö.

    gegen

    Stadt Wuppertal (C‑685/22)

    und

    M. S.,

    S. S.

    gegen

    Stadt Krefeld (C‑686/22)

    (Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Düsseldorf [Deutschland])

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsbürgerschaft – Art. 20 AEUV – Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats und eines Drittstaats – Erwerb der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats – Verlust der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaats und der Unionsbürgerschaft kraft Gesetzes – Einzelfallprüfung der Folgen – Vorheriger Antrag auf Beibehaltung der Staatsangehörigkeit“

    I. Einleitung

    1.

    Inwieweit ist mit Art. 20 AEUV die Regelung eines Mitgliedstaats über die Staatsangehörigkeit vereinbar, nach der die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats ihre Staatsangehörigkeit verlieren, wenn sie freiwillig eine ausländische Staatsangehörigkeit erwerben, es sei denn, sie haben vor diesem Erwerb eine Genehmigung zur Beibehaltung ihrer Staatsangehörigkeit beantragt und erhalten?

    2.

    Dies ist im Wesentlichen das rechtliche Problem, das sich in den vorliegenden Rechtssachen stellt und das Gegenstand der beiden Vorlagefragen des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (Deutschland) im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten über den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ist.

    3.

    Der Gerichtshof ist im vorliegenden Fall aufgerufen, sich erneut zu der Frage zu äußern, ob eine nationale Regelung über die Entziehung der Staatsangehörigkeit mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Die vorliegenden Rechtssachen sind nämlich Teil des Rechtsprechungskontexts im Anschluss an die Urteile Rottmann ( 2 ), Tjebbes u. a. ( 3 ), Wiener Landesregierung (Widerruf einer Einbürgerungszusicherung) ( 4 ) und Udlændinge- og Integrationsministeriet (Verlust der dänischen Staatsangehörigkeit) ( 5 ).

    II. Rechtlicher Rahmen

    A.   Unionsrecht

    4.

    Art. 20 Abs. 1 AEUV führt die Unionsbürgerschaft ein und bestimmt, dass Unionsbürger ist, „wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt“.

    B.   Deutsches Recht

    5.

    Das Staatsangehörigkeitsgesetz ( 6 ) (im Folgenden: StAG), das seit dem 1. Januar 2000 in Kraft ist und auf die Ausgangsverfahren anwendbar ist, sieht in seinem § 25 vor:

    „(1)   Ein Deutscher verliert seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, wenn dieser Erwerb auf seinen Antrag oder auf den Antrag des gesetzlichen Vertreters erfolgt, der Vertretene jedoch nur, wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach § 19 die Entlassung beantragt werden könnte. Der Verlust nach Satz 1 tritt nicht ein, wenn ein Deutscher die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union, der Schweiz oder eines Staates erwirbt, mit dem die Bundesrepublik Deutschland einen völkerrechtlichen Vertrag nach § 12 Abs. 3 abgeschlossen hat.

    (2)   Die Staatsangehörigkeit verliert nicht, wer vor dem Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit auf seinen Antrag die schriftliche Genehmigung der zuständigen Behörde zur Beibehaltung seiner Staatsangehörigkeit erhalten hat. … Bei der Entscheidung über einen Antrag nach Satz 1 sind die öffentlichen und privaten Belange abzuwägen. Bei einem Antragsteller, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob er fortbestehende Bindungen an Deutschland glaubhaft machen kann.“

    III. Sachverhalte der Ausgangsverfahren

    6.

    Die relevanten Sachverhalte der Ausgangsverfahren, wie sie sich aus den Vorlagebeschlüssen ergeben, können wie folgt zusammengefasst werden.

    7.

    Der Kläger des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑684/22, S. Ö., wurde im Jahr 1966 in der Türkei geboren und reiste im Jahr 1990 in das deutsche Hoheitsgebiet ein. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Am 10. Mai 1999 erwarb er die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung. Am 13. September 1999 wurde er aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen.

    8.

    Am 25. Mai 2018 gab S. Ö. im Rahmen der Beantragung eines Reiseausweises für seinen Sohn an, am 12. November 1999 erneut die türkische Staatsangehörigkeit erworben zu haben. Hierzu legte er eine Bescheinigung des türkischen Innenministeriums vom 27. Februar 2019 und einen Auszug aus dem Personenstandsregister vom 6. November 2018 vor, wonach er am 13. September 1999 den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit beantragt und diese mit Beschluss des Ministerrats vom 12. November 1999 wiedererworben hatte.

    9.

    Nachdem die deutschen Behörden ernsthafte Zweifel daran geäußert hatten, dass der Sohn von S. Ö. die deutsche Staatsangehörigkeit besitze, beantragte S. Ö. am 25. April 2019 bei der Einbürgerungsbehörde der Stadt S. die Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises, um den Fortbestand seiner deutschen Staatsangehörigkeit dokumentieren zu können. In der Folgezeit verzog er in den Zuständigkeitsbereich der Stadt Duisburg (Deutschland).

    10.

    Die Kläger des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑685/22, die Eheleute M. Ö. und N. Ö., die in den Jahren 1959 bzw. 1970 geboren wurden, reisten im Jahr 1974 in das deutsche Hoheitsgebiet ein. Sie erwarben die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung am 27. August 1999. Am 2. September 1999 wurden sie aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen.

    11.

    Am 1. September 2005 gaben sie im Rahmen einer Vorsprache bei den Ämtern der Stadt Wuppertal (Deutschland) an, am 24. November 2000 erneut die türkische Staatsangehörigkeit erworben zu haben. Hierzu legten sie eine Bescheinigung des türkischen Generalkonsulats in E. vom 31. August 2005 vor, wonach sie am 2. September 1999 den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit beantragt und diese mit Beschluss des Ministerrats vom 24. November 2000 wiedererlangt hatten. Mit Schreiben vom 1. Dezember 2016 legten die Kläger der Stadt Wuppertal einen Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister vor, wonach der Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit bereits aufgrund eines Beschlusses des Ministerrats vom 1. November 1999 erfolgt war.

    12.

    Im August 2020 teilte die Stadt Wuppertal M. Ö. und N. Ö. mit, dass auf dem Auszug aus dem Personenstandsregister mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Manipulation der Datumsangabe erfolgt sei und dem Auszug daher kein über den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit hinausgehender Beweiswert zukommen könne.

    13.

    Die Kläger des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑686/22, die Eheleute M. S. und S. S., die in den Jahren 1965 bzw. 1971 geboren wurden, reisten in den Jahren 1981 bzw. 1989 in das deutsche Hoheitsgebiet ein. Sie erwarben die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung am 10. Juni 1999. Im Anschluss daran wurden sie aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen.

    14.

    Als M. S. und S. S. die Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit beantragten, um eine der Voraussetzungen für die deutsche Einbürgerung zu erfüllen, beantragten sie (bei den türkischen Behörden) zugleich den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit, sobald ihnen die deutsche Staatsangehörigkeit zuerkannt worden sein würde. Sie waren im Hinblick auf das damals geltende deutsche Recht dahin beraten worden, dass sie die türkische Staatsangehörigkeit wiedererlangen könnten, ohne die deutsche Staatsangehörigkeit zu verlieren. Hierzu legten sie einen Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister vor, wonach sie am 9. August 1999 aufgrund eines Beschlusses des Ministerrats die türkische Staatsangehörigkeit wiedererlangt hatten.

    15.

    Am 19. Dezember 2017 beantragten M. S. und S. S. bei der Stadt Krefeld (Deutschland) die Feststellung, dass sie die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Obwohl die Stadt Krefeld ihnen am 24. August 2018 einen Staatsangehörigkeitsausweis ausstellte, verwies sie auf das Fehlen einer Nummer des Beschlusses des Ministerrats auf dem türkischen Personenstandsregister, um das Verfahren wieder aufzugreifen.

    16.

    Mit Ordnungsverfügungen ( 7 ) stellten die Beklagten des Ausgangsverfahrens gemäß § 30 Abs. 1 StAG fest, dass S. Ö., M. Ö., N. Ö., M. S. und S. S. (im Folgenden gemeinsam: Kläger des Ausgangsverfahrens) nicht mehr die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen ( 8 ). Der Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit sei nämlich nach dem 1. Januar 2000 erfolgt und habe gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 2 und § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG automatisch zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit geführt. Dies wäre nicht der Fall gewesen, wenn diese Wiedereinbürgerung vor dem 31. Dezember 1999 stattgefunden hätte, da der bis zu diesem Zeitpunkt geltende § 25 Abs. 1 Satz 1 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1913 (im Folgenden: RuStAG) ( 9 ) vorgesehen habe, dass der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nur bei im Ausland wohnenden Deutschen eintrete. Die Kläger des Ausgangsverfahrens hätten einen Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit vor dem 1. Januar 2000 jedoch nicht nachgewiesen.

    17.

    Die Kläger der Ausgangsverfahren erhoben daraufhin gegen diese Ordnungsverfügungen Klage beim Verwaltungsgericht Düsseldorf, dem vorlegenden Gericht.

    IV. Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

    18.

    In seinen drei Vorabentscheidungsersuchen weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass der seit dem 1. Januar 2000 geltende § 25 StAG auf die Kläger der Ausgangsverfahren anwendbar sei, da sie die türkische Staatsangehörigkeit nach dem Inkrafttreten der neuen Fassung des Gesetzes wiedererlangt hätten. Das vorlegende Gericht stellt fest, dass den Personenstandsregisterauszügen, die von den Klägern vorgelegt worden seien, um zu belegen, dass dies nicht der Fall sei, kein Beweiswert zukomme. Darüber hinaus stellt es fest, dass die Kläger der Ausgangsverfahren nicht die in § 25 Abs. 2 S. 1 StAG genannte Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit beantragt hätten, bevor sie erneut die türkische Staatsangehörigkeit erworben hätten.

    19.

    Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, dass nach der nationalen Rechtsprechung § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG unionsrechtskonform sei, da die betroffene Person nach § 25 Abs. 2 Satz 1 eine Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit beantragen könne; im Rahmen dieses Verfahrens sei eine Einzelfallprüfung der Folgen, die der Verlust der Staatsangehörigkeit für die Situation der betroffenen Person mit sich bringe, ausdrücklich vorgesehen.

    20.

    Das vorlegende Gericht hegt jedoch Zweifel an dieser Unionsrechtskonformität. Es stellt nämlich fest, dass für den Fall, dass das Verfahren zur vorherigen Genehmigung der Beibehaltung der Staatsangehörigkeit nach § 25 Abs. 2 StAG (im Folgenden: Vorabgenehmigungsverfahren) nicht eingeleitet werde, sich aus dieser Bestimmung ergebe, dass der Verlust der Staatsangehörigkeit und damit der Verlust der Unionsbürgerschaft für Personen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besäßen, automatisch und ohne jede Einzelfallprüfung eintrete. Das vorlegende Gericht ergänzt, dass das deutsche Recht keine Möglichkeit einer inzidenten Prüfung der Folgen vorsehe, die der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit mit sich bringe, nachdem dieser Verlust eingetreten sei. In einem solchen Fall bleibe den Betroffenen nur die Möglichkeit, die deutsche Staatsangehörigkeit ohne Rückwirkung zu erwerben, indem sie einen neuen Antrag auf Einbürgerung stellten.

    21.

    Darüber hinaus bestehe nach dem Wortlaut von § 25 Abs. 2 StAG mit einem Antrag auf Genehmigung der Beibehaltung der Staatsangehörigkeit eine Möglichkeit, den Anforderungen des Unionsrechts in seiner Auslegung durch den Gerichtshof Rechnung zu tragen, da auf der Grundlage dieser Anforderungen die öffentlichen und privaten Belange bei der Entscheidung über einen solchen Antrag gegeneinander abzuwägen seien, die Folgen, die der Verlust des Status des Unionsbürgers mit sich bringe, würden aber in der Praxis von den Verwaltungsbehörden und in der nationalen Rechtsprechung nicht geprüft. Die Genehmigung zur Beibehaltung der Staatsangehörigkeit werde nämlich nur erteilt, wenn ein besonderes Interesse am Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit unter Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit vorliege.

    22.

    Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Beschlüssen vom 3. November 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 8. November 2022, beschlossen, das Verfahren in den drei Ausgangsverfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    Steht Art. 20 AEUV einer Norm entgegen, die vorsieht, dass im Fall des freiwilligen Erwerbs einer (nicht privilegierten) Staatsangehörigkeit eines Drittstaats die Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaats und damit die Unionsbürgerschaft kraft Gesetzes verloren gehen, wenn eine Einzelfallprüfung der Folgen des Verlusts nur erfolgt, sofern der betroffene Ausländer zuvor einen Antrag auf Erteilung einer Beibehaltungsgenehmigung gestellt hat und dieser Antrag vor Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit positiv beschieden wird?

    2.

    Falls die Frage 1 zu verneinen ist: Ist Art. 20 AEUV dahin auszulegen, dass im Verfahren zur Erteilung der Beibehaltungsgenehmigung keine Voraussetzungen statuiert werden dürfen, die im Ergebnis dazu führen, dass eine Beurteilung der individuellen Situation der betroffenen Person sowie der ihrer Familie im Hinblick auf die Folgen des Verlusts des Unionsbürgerstatus nicht stattfindet oder überlagert wird?

    23.

    Mit Beschluss vom 7. Dezember 2022 sind die Rechtssachen C‑684/22 bis C‑686/22 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

    24.

    In der Rechtssache C‑686/22 haben die Kläger des Ausgangsverfahrens, die Stadt Krefeld, die deutsche und die estnische Regierung sowie die Europäische Kommission und in den Rechtssachen C‑684/22 und C‑685/22 dieselben Regierungen sowie die Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht. Der Gerichtshof hat beschlossen, in den vorliegenden Rechtssachen keine mündliche Verhandlung abzuhalten.

    V. Analyse

    25.

    Mit den beiden Fragen, die Gegenstand der vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen sind und die zusammen zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 20 AEUV dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die vorsieht, dass seine Staatsangehörigen bei freiwilligem Erwerb einer Staatsangehörigkeit eines Drittstaats kraft Gesetzes die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats verlieren, was für Personen, die nicht auch Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats sind, zum Verlust ihres Unionsbürgerstatus und der damit verbundenen Rechte führt, es sei denn, die Betroffenen erhalten vor dem Erwerb der Staatsangehörigkeit des Drittstaats die Genehmigung, die Staatsangehörigkeit des erstgenannten Mitgliedstaats beizubehalten, wobei die zuständigen nationalen Behörden im Rahmen der Prüfung des Antrags auf Erteilung einer solchen Genehmigung eine Einzelfallprüfung der Situation der Betroffenen vornehmen, bei der die öffentlichen und privaten Interessen an der Beibehaltung der Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats abgewogen werden.

    26.

    Um eine nützliche Antwort auf diese Frage vorschlagen zu können, sollten zunächst einige Gesichtspunkte aufgezeigt werden, die bei der Lektüre der Vorlagebeschlüsse unstreitig zu sein scheinen.

    27.

    Erstens führt das vorlegende Gericht zur Situation der Kläger der Ausgangsverfahren aus, dass diese in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren in das deutsche Hoheitsgebiet eingereist seien und sich seitdem dort aufhielten. Im Jahr 1999 hätten sie die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung unter Verzicht auf die türkische Staatsangehörigkeit erworben, aus der sie sodann entlassen worden seien. Wie das vorlegende Gericht ausführt, beantragten die Kläger der Ausgangsverfahren, die im Hinblick auf die damals geltende deutsche Regelung, nach der sie die türkische Staatsangehörigkeit ohne Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit wiedererlangen konnten, ordnungsgemäß beraten worden waren, freiwillig den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit zu dem Zeitpunkt, zu dem sie aus dieser Staatsangehörigkeit entlassen wurden. Mehrere Jahre später stellten die zuständigen Behörden fest, dass die Kläger der Ausgangsverfahren die türkische Staatsangehörigkeit wiedererworben hatten, nachdem sie einen entsprechenden Antrag gestellt hatten, und dass sie folglich nach den seit dem 1. Januar 2000 geltenden deutschen Rechtsvorschriften die deutsche Staatsangehörigkeit und damit ihren Status als Unionsbürger kraft Gesetzes verloren hatten ( 10 ). Da die Kläger der Ausgangsverfahren gemäß dieser gesetzlichen Regelung die Genehmigung der zuständigen Behörden, die deutsche Staatsangehörigkeit beizubehalten, nicht beantragt – und erhalten – hatten, bevor sie die türkische Staatsangehörigkeit wiedererwarben, konnten sie außerdem nicht in den Genuss der im Zusammenhang mit diesem Antrag vorgesehenen Einzelfallprüfung gelangen, bei der die öffentlichen und privaten Interessen an der Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit abgewogen werden.

    28.

    Zweitens weist das vorlegende Gericht in Bezug auf die in Rede stehende Regelung zunächst darauf hin, dass § 25 Abs. 1 StAG, der seit dem 1. Januar 2000 in Kraft sei, vorsehe, dass ein deutscher Staatsangehöriger seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit verliere, wenn dieser Erwerb auf seinen Antrag erfolge. Gemäß § 25 Abs. 2 StAG könne dieser Staatsangehörige jedoch seine Staatsangehörigkeit behalten, wenn er vor dem Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit eine von ihm beantragte schriftliche Genehmigung der hierfür zuständigen Behörde eingeholt habe. In dieser Bestimmung sei auch festgelegt, dass bei der Entscheidung über einen solchen Genehmigungsantrag die öffentlichen und privaten Belange abzuwägen seien.

    29.

    Sodann erklärt das vorlegende Gericht, dass sowohl der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch die Kläger im Wege der Einbürgerung als auch die Stellung ihres Antrags auf Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit vor dem 1. Januar 2000, dem Tag des Inkrafttretens von § 25 StAG, erfolgt seien ( 11 ). Es stellt klar, dass diese Bestimmung auf sie anwendbar sei, da sie die türkische Staatsangehörigkeit nach diesem Datum wiedererworben hätten, und erklärt, dass den Dokumenten, die sie vorgelegt hätten, um nachzuweisen, dass dies nicht der Fall sei, kein Beweiswert zukomme ( 12 ).

    30.

    Schließlich weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die Kläger des Ausgangsverfahrens vor dem Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit keinen Antrag gestellt – und damit keine Genehmigung erhalten hätten –, um die Staatsangehörigkeit zu behalten, wie es in § 25 Abs. 2 StAG vorgesehen sei. Folglich sei der Verlust ihrer deutschen Staatsangehörigkeit und mithin ihres Status als Unionsbürger automatisch eingetreten, ohne dass sie in den Genuss einer Einzelfallprüfung ihrer Situation hätten kommen können.

    31.

    Dieses rechtliche Problem steht im Mittelpunkt der vorliegenden Rechtssachen und wird von mir in den vorliegenden Schlussanträgen behandelt. In den folgenden Ausführungen werde ich die Grundzüge der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Verlust des Unionsbürgerstatus und die Grundsätze in Erinnerung rufen, die sich daraus ergeben (Abschnitte A) und die vorliegend anzuwenden sind (Abschnitt B).

    A.   Zu den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelten Grundsätzen

    1. Vom Urteil Rottmann über das Urteil Tjebbes u. a. bis zum Urteil Wiener Landesregierung

    32.

    In meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Udlændinge- og Integrationsministeriet habe ich betont, dass der rote Faden, der sich durch die von mir untersuchte, aus den Urteilen Rottmann, Tjebbes u. a. und Wiener Landesregierung hervorgegangene Rechtsprechung zieht, im Wesentlichen aus zwei Rechtsprechungsgrundsätzen besteht ( 13 ).

    33.

    Der erste Grundsatz besagt, dass die Festlegung der „Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit“ zwar der Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten unterliegt, von dieser Zuständigkeit jedoch unter Beachtung des Unionsrechts Gebrauch gemacht werden muss ( 14 ). In Bezug auf diesen Grundsatz, der im Urteil Micheletti u. a. ( 15 ) begründet und anschließend im Urteil Rottmann ( 16 ) präzisiert und bestätigt worden ist, muss zwischen dem Bestehen dieser ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und ihrer Ausübung unter Beachtung der Rechtsordnung der Union unterschieden werden.

    34.

    Im Übrigen ist diese Zuständigkeit vom Gerichtshof nie in Frage gestellt worden und „Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit (und damit der Unionsbürgerschaft) werden nicht als solche vom [Unions]recht geregelt, doch müssen die Voraussetzungen dafür mit den Regeln [des Unionsrechts] vereinbar sein und die Rechte der Unionsbürger beachten“ ( 17 ). Dass die Mitgliedstaaten für ein Rechtsgebiet zuständig sind, schließt also nicht aus, dass die betreffenden nationalen Vorschriften in Situationen, die unter das Unionsrecht fallen, dieses Recht beachten müssen ( 18 ). Art. 20 AEUV darf nämlich nicht seiner praktischen Wirksamkeit beraubt werden und folglich dürfen die Rechte, die er den Unionsbürgern verleiht, nicht durch den Erlass einer nationalen Regelung verletzt werden, die das Unionsrecht und insbesondere die Grundsätze, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs in diesem Bereich ergeben, nicht beachtet ( 19 ).

    35.

    Der zweite Grundsatz, der vom Gerichtshof im Urteil Rottmann ( 20 ) aufgestellt und in seiner späteren Rechtsprechung bestätigt worden ist, besagt, dass, wenn es sich um Unionsbürger handelt, die Ausübung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, soweit sie die durch die Rechtsordnung der Union verliehenen und geschützten Rechte berührt, der gerichtlichen Kontrolle am Maßstab des Unionsrechts und insbesondere am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unterliegt ( 21 ). Mit anderen Worten kann eine nationale Regelung, die den Verlust des Unionsbürgerstatus vorsieht, somit nur aus legitimen Gründen und unter Beachtung dieses Grundsatzes mit dem Unionsrecht vereinbar sein. Aus der Rechtsprechung geht außerdem hervor, dass im Zusammenhang mit der Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mehrere Elemente zu beachten sind: Zunächst die Verpflichtung, eine Einzelfallprüfung der Folgen vorzunehmen, die der Verlust des Unionsbürgerstatus für die betroffene Person und gegebenenfalls für ihre Familienangehörigen in Bezug auf den Verlust der Rechte, die jeder Unionsbürger genießt, mit sich bringt ( 22 ); sodann das Erfordernis, dass diese Folgen mit den in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verbürgten Grundrechten in Einklang stehen ( 23 ), und schließlich im Fall des Verlusts der Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes, der zum Verlust des Unionsbürgerstatus führt, die Verpflichtung, inzident die Verhältnismäßigkeit der mit diesem Verlust verbundenen Folgen zu prüfen und gegebenenfalls der betroffenen Person zu ermöglichen, ihre Staatsangehörigkeit zu behalten oder rückwirkend wiederzuerlangen ( 24 ).

    36.

    Insbesondere in Bezug auf dieses letzte Element scheint mir das Urteil Udlændinge- og Integrationsministeriet besonders relevant zu sein, da es das erste Mal ist, dass sich der Gerichtshof zu der Frist geäußert hat, innerhalb derer ein Antrag auf Beibehaltung oder Wiedererwerb der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats gestellt werden kann.

    2. Das Urteil Udlændinge- og Integrationsministeriet

    37.

    In dem Fall, der dem Urteil Udlændinge- og Integrationsministeriet ( 25 ) zugrunde lag, wollte ein dänisches Gericht wissen, ob die nationalen Vorschriften über die Staatsangehörigkeit mit Art. 20 AEUV in Verbindung mit Art. 7 der Charta in Einklang stehen.

    38.

    In seinem Urteil hat der Gerichtshof seine frühere Rechtsprechung bestätigt. So hat er betont, dass in Fällen, in denen der Verlust der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats kraft Gesetzes bei einem bestimmten Alter eintritt und den Verlust des Unionsbürgerstatus und der damit verbundenen Rechte nach sich zieht, die zuständigen nationalen Behörden und Gerichte in der Lage sein müssen, die Folgen, die dieser Verlust der Staatsangehörigkeit im Hinblick auf das Unionsrecht mit sich bringt, zu prüfen und der betroffenen Person gegebenenfalls die Beibehaltung oder die rückwirkende Wiedererlangung der Staatsangehörigkeit zu ermöglichen ( 26 ).

    39.

    Insbesondere in Bezug auf die Frist für die Einreichung eines Antrags auf eine solche Prüfung zum Zweck der Beibehaltung oder Wiedererlangung der Staatsangehörigkeit hat der Gerichtshof klargestellt, dass es in Ermangelung einer im Unionsrecht hierfür festgelegten genauen Frist Sache jedes Mitgliedstaats ist, die Verfahrensmodalitäten zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, wobei aber u. a. der Effektivitätsgrundsatz gewahrt werden muss, und zwar insoweit, als diese Modalitäten die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen. Die Mitgliedstaaten können insoweit gestützt auf den Grundsatz der Rechtssicherheit verlangen, dass ein solcher Antrag bei den zuständigen Behörden innerhalb einer angemessenen Frist gestellt wird ( 27 ).

    40.

    Der Gerichtshof hat jedoch auch klargestellt, dass in Anbetracht der schwerwiegenden Folgen, die sich aus dem Verlust der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats, mit dem der Verlust des Unionsbürgerstatus verbunden ist, für die wirksame Ausübung der dem Unionsbürger nach Art. 20 AEUV zustehenden Rechte ergeben, nicht davon ausgegangen werden kann, dass nationale Vorschriften oder Praktiken, die bewirken können, dass die dem Verlust der Staatsangehörigkeit ausgesetzte Person daran gehindert wird, zu beantragen, dass die Verhältnismäßigkeit der Folgen dieses Verlusts aus unionsrechtlicher Sicht geprüft wird, mit dem Grundsatz der Effektivität in Einklang stehen. Daher hat der Gerichtshof festgestellt, dass, wenn diese Person nicht ordnungsgemäß über das Recht, eine solche Prüfung zu beantragen, und die für die Stellung des Antrags geltende Frist unterrichtet wurde, ihr Antrag nicht mit der Begründung für unzulässig befunden werden darf, dass diese Frist abgelaufen sei ( 28 ).

    41.

    Der in der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung vorgesehene Verlust der Staatsangehörigkeit, der den Verlust des Status des Unionsbürgers nach sich zieht, ist somit im Licht dieser Rechtsprechungsgrundsätze zu prüfen.

    B.   Zur Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze auf die vorliegenden Fälle

    42.

    Zunächst erinnere ich daran, dass der Gerichtshof wiederholt festgestellt hat, dass Art. 20 AEUV jeder Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, den Status eines Unionsbürgers verleiht, der dazu bestimmt ist, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein ( 29 ). Dies bedeutet zum einen, dass die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats die Voraussetzung für den Unionsbürgerstatus ist, an den alle im AEUV vorgesehenen Rechte und Pflichten geknüpft sind ( 30 ), und zum anderen, dass in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren der Verlust dieses Status die Verbindung zum Unionsrecht herstellt.

    43.

    Im vorliegenden Fall stellt das vorlegende Gericht fest, dass der Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit durch die Kläger der Ausgangsverfahren nach dem Inkrafttreten von § 25 StAG erfolgt sei, was den automatischen Verlust ihrer deutschen Staatsangehörigkeit und somit ihres Status als Unionsbürger zur Folge gehabt habe ( 31 ).

    44.

    Es ist daher offensichtlich, dass der Verlust der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats bei Unionsbürgern, die wie die Kläger der Ausgangsverfahren nur die Staatsangehörigkeit eines einzigen Mitgliedstaats besitzen und die aufgrund dieses Verlusts mit dem Verlust des durch Art. 20 AEUV verliehenen Status und der damit verbundenen Rechte konfrontiert werden, seinem Wesen und seinen Folgen nach unter das Unionsrecht fällt ( 32 ). Infolgedessen haben die Mitgliedstaaten nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit auf dem Gebiet der Staatsangehörigkeit das Unionsrecht und insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ( 33 ).

    1. Zur Legitimität des von § 25 StAG verfolgten Zwecks des Allgemeininteresses

    45.

    Ich erinnere daran, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass es legitim ist, dass ein Mitgliedstaat das zwischen ihm und seinen Staatsbürgern bestehende Verhältnis besonderer Verbundenheit und Loyalität sowie die Gegenseitigkeit der Rechte und Pflichten, die dem Staatsangehörigkeitsband zugrunde liegen, schützen will ( 34 ). Er hat befunden, dass ein Mitgliedstaat bei der Ausübung seiner Zuständigkeit für die Festlegung der Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit auch davon ausgehen darf, dass die Staatsangehörigkeit Ausdruck einer echten Bindung zwischen ihm und seinen Staatsangehörigen ist, und folglich das Fehlen oder den Wegfall einer solchen echten Bindung mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit verbinden ( 35 ).

    46.

    Im vorliegenden Fall verlieren deutsche Staatsangehörige gemäß § 25 Abs. 1 StAG kraft Gesetzes ihre Staatsangehörigkeit, wenn sie freiwillig die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats erwerben, es sei denn, sie erhalten vor dem Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit die Genehmigung, ihre Staatsangehörigkeit zu behalten.

    47.

    Ich konstatiere, dass das vorlegende Gericht über die Erwähnung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. a des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit ( 36 ) in seiner Darstellung des rechtlichen Rahmens hinaus nicht erläutert, welcher Zweck oder welche Zwecke des Allgemeininteresses mit § 25 Abs. 1 StAG verfolgt werden. Da die genannte Bestimmung jedoch nur dann mit dem Unionsrecht vereinbar sein kann, wenn sie ein legitimes Ziel des Allgemeininteresses verfolgt, ist sie im Licht der Erklärungen der deutschen Regierung zu prüfen.

    48.

    Wie die Stadt Krefeld und die deutsche Regierung angegeben haben und wie aus der Begründung des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 hervorgeht, zielt § 25 StAG unter anderem darauf ab, Mehrstaatigkeit zu vermeiden ( 37 ). Die deutsche Regierung weist außerdem darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Deutschland) die Entscheidung des Gesetzgebers, einer unbegrenzten Mehrstaatigkeit entgegenzuwirken, nicht zu beanstanden sei ( 38 ).

    49.

    Insoweit besteht kaum ein Zweifel daran, dass eine Regelung wie die in dieser Bestimmung vorgesehene unter die Ausübung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Festlegung der Bedingungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit fällt und dass es im Rahmen der Ausübung dieser Zuständigkeit für einen Mitgliedstaat wie die Bundesrepublik Deutschland legitim ist, davon auszugehen, dass in bestimmten Fällen die Wirkungen des Besitzes mehrerer Staatsangehörigkeiten zu vermeiden sind ( 39 ).

    50.

    Die grundsätzliche Legitimität dieses Ziels wird durch Art. 7 Abs. 1 Buchst. a des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit untermauert, wonach ein Vertragsstaat in seinem innerstaatlichen Recht nicht den Verlust seiner Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes oder auf eigene Initiative vorsehen darf, außer unter anderem im Fall des freiwilligen Erwerbs einer anderen Staatsangehörigkeit ( 40 ). Gemäß dem erläuternden Bericht zu diesem Übereinkommen hängt die Frage, ob Personen, die freiwillig eine andere Staatsangehörigkeit erwerben, ihre frühere Staatsangehörigkeit behalten dürfen, von der besonderen Situation des jeweiligen Staates ab ( 41 ).

    51.

    In diesem Zusammenhang stelle ich fest, dass das Unionsrecht einem Mitgliedstaat weder verwehrt, vorzusehen, dass die Beurteilung des Bestehens oder Fehlens einer tatsächlichen Bindung zu ihm auf der Berücksichtigung eines Kriteriums wie desjenigen in § 25 Abs. 1 StAG beruht, das auf den freiwilligen Erwerb einer Drittstaatsangehörigkeit durch die betreffende Person abstellt, noch verwehrt, dass dieser Mitgliedstaat in einem gesetzgeberischen Kontext, der grundsätzlich das Ziel verfolgt, Mehrstaatigkeit zu vermeiden, von dieser Person verlangt, dass sie ein besonderes Verfahren wie das in § 25 Abs. 2 StAG vorgesehene durchläuft, wenn sie die deutsche Staatsangehörigkeit behalten möchte.

    52.

    Unter diesen Umständen bin ich wie die deutsche und die estnische Regierung sowie die Kommission der Auffassung, dass es das Unionsrecht unter den Umständen der Ausgangsverfahren grundsätzlich nicht verbietet, dass ein Mitgliedstaat aus Gründen des Allgemeininteresses in den in § 25 StAG genannten Fällen den Verlust der Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes vorsieht, wenn seine Staatsangehörigen freiwillig die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats erwerben, auch wenn dieser Verlust für die betreffende Person den Verlust ihres Status als Unionsbürger zur Folge hat.

    53.

    Dies vorausgeschickt, muss eine nationale Regelung wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende, die den Verlust des Unionsbürgerstatus vorsieht, nicht nur auf legitime Gründe des Allgemeininteresses gerichtet sein, sondern auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten, damit sie mit dem Unionsrecht vereinbar sein kann.

    2. Zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Folgen, die der Verlust der Staatsangehörigkeit mit sich bringt, aus unionsrechtlicher Sicht

    54.

    Wenngleich das Unionsrecht, wie ich soeben dargelegt habe, der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung nicht grundsätzlich entgegensteht, weise ich darauf hin, dass sich gleichwohl aus einer ständigen Rechtsprechung ergibt, dass es angesichts der Bedeutung, die das Primärrecht der Union dem Status des Unionsbürgers beimisst, der den grundlegenden Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten darstellt, Sache der zuständigen nationalen Behörden und der nationalen Gerichte ist, zu prüfen, ob der Verlust der Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedstaats, wenn er zum Verlust des Unionsbürgerstatus und der damit verbundenen Rechte führt, hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen und gegebenenfalls seiner Familienangehörigen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt ( 42 ).

    55.

    Ferner geht aus dieser Rechtsprechung hervor, dass der Verlust der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats kraft Gesetzes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstieße, wenn die relevanten innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu keinem Zeitpunkt eine Einzelfallprüfung der Folgen dieses Verlusts für die Situation der Betroffenen aus unionsrechtlicher Sicht erlaubten ( 43 ).

    56.

    Im vorliegenden Fall erinnere ich daran, dass nach § 25 Abs. 2 StAG deutsche Staatsangehörige, die freiwillig die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats erwerben wollen, einen Antrag stellen können, um ihre deutsche Staatsangehörigkeit im Wege des Vorabgenehmigungsverfahrens zu behalten, das vorsieht, dass bei der Entscheidung über den Genehmigungsantrag die öffentlichen und privaten Belange von der zuständigen Behörde abzuwägen sind.

    57.

    Zunächst stellt sich die Frage, ob die vom Unionsrecht geforderte Verhältnismäßigkeitsprüfung von den zuständigen Behörden nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, d. h. im vorliegenden Fall vor dem Verlust der Staatsangehörigkeit und somit des Unionsbürgerstatus kraft Gesetzes im Rahmen des Vorabgenehmigungsverfahrens durchgeführt werden kann.

    58.

    Diese Frage wirft keine Schwierigkeiten auf. Im Licht der in Nr. 55 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung ist es nämlich für einen Mitgliedstaat wie die Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich möglich, vorzusehen, dass die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im besonderen Rahmen eines Vorabgenehmigungsverfahrens, wie es in § 25 Abs. 2 StAG vorgesehen ist, durchgeführt wird. Wie sich aus dieser Rechtsprechung ergibt, muss diese Bestimmung jedoch, um mit dem Unionsrecht vereinbar zu sein, das Recht auf eine Einzelfallprüfung der Verhältnismäßigkeit der Folgen gewährleisten, die der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit für die betroffenen Personen und gegebenenfalls für ihre Familienangehörigen nach dem Unionsrecht mit sich bringt.

    59.

    Das vorlegende Gericht ist sich nicht sicher, ob dies vorliegend der Fall ist. Ich gebe zu, dass auch ich Schwierigkeiten habe, zu verstehen, wie dieses Verfahren mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zusammenhängt, und insbesondere, wie die Durchführung dieses Verfahrens das Recht auf die vom Unionsrecht geforderte Einzelfallprüfung gewährleistet. In den folgenden Ausführungen werde ich daher zum einen die in § 25 Abs. 2 StAG vorgesehenen Verfahrensmodalitäten und zum anderen den sachlichen Umfang der in dieser Bestimmung vorgesehenen Verhältnismäßigkeitsprüfung analysieren.

    a) Zu den in § 25 Abs. 2 StAG vorgesehenen Verfahrensmodalitäten

    60.

    Ich erinnere daran, dass § 25 Abs. 2 StAG die Möglichkeit vorsieht, die deutsche Staatsangehörigkeit beizubehalten, wenn die betreffende Person vor dem Erwerb der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats eine schriftliche Genehmigung der zuständigen Behörde zur Beibehaltung der Staatsangehörigkeit erhalten hat.

    61.

    Es stellt sich daher die Frage, ob im Rahmen des Vorabgenehmigungsverfahrens die zeitlichen Bedingungen, die für die Einreichung des Genehmigungsantrags und den Erhalt der Genehmigung vorgeschrieben sind, mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Hierfür dürfen diese Bedingungen die betreffenden Personen nicht daran hindern, die Rechte, die sich aus ihrem Status als Unionsbürger ergeben, wirksam auszuüben.

    62.

    Was als Erstes die zeitliche Bedingung im Zusammenhang mit der Einreichung des Genehmigungsantrags betrifft, hat der Gerichtshof entschieden, dass die Mitgliedstaaten gestützt auf den Grundsatz der Rechtssicherheit verlangen können, dass ein Antrag auf Beibehaltung oder Wiedererlangung der Staatsangehörigkeit bei den zuständigen Behörden innerhalb einer angemessenen Frist gestellt wird ( 44 ).

    63.

    Daraus folgt meiner Meinung nach, dass das Erfordernis, dass ein Antrag auf Vorabgenehmigung für die Beibehaltung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats vor dem Erwerb der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats gestellt werden muss, wie in § 25 Abs. 2 StAG vorgesehen, die Voraussetzung einer angemessenen Frist im Sinne der genannten Rechtsprechung zu erfüllen scheint, da dies die betreffenden Staatsangehörigen grundsätzlich nicht daran hindert, von ihrem Recht Gebrauch zu machen, dass die zuständigen Behörden die Einzelfallprüfung der Verhältnismäßigkeit der Folgen, die der Verlust der Staatsangehörigkeit mit sich bringt, im Hinblick auf das Unionsrecht durchführen.

    64.

    Dies vorausgeschickt, muss ich feststellen, dass die Lektüre der Vorlagebeschlüsse, der Erklärungen der Kläger des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑686/22 sowie der Erklärungen der Kommission eine Unsicherheit darüber erkennen lässt, ob die Kläger des Ausgangsverfahrens ordnungsgemäß über die Auswirkungen des Wiedererwerbs der türkischen Staatsangehörigkeit auf ihre Situation und die ihrer Familien im spezifischen gesetzlichen Kontext der Reform des RuStAG informiert worden sind.

    65.

    Denn die Kläger dieses Ausgangsverfahrens geben an, dass sie zum Zeitpunkt der Einreichung ihres Antrags auf Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit nach den geltenden Rechtsvorschriften berechtigt gewesen seien, diese Staatsangehörigkeit wiederzuerwerben. Folglich habe es keinen Grund gegeben, den Antrag auf Vorabgenehmigung zu stellen. Sie weisen auch darauf hin, dass die Änderung der Rechtslage nicht klar erläutert oder ihnen nicht zur Kenntnis gebracht worden sei. Erst nachdem sie ihren Antrag auf Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gestellt hätten, sei das RuStAG geändert und die Möglichkeit für deutsche Staatsangehörige, die sich im Inland aufhalten, die doppelte Staatsangehörigkeit zu erhalten, zurückgenommen und eingeschränkt worden. Diese Ausführungen machen einige Anmerkungen erforderlich.

    66.

    Erstens erscheint es mir im Licht der Rechtsprechung ( 45 ) angesichts der vom vorlegenden Gericht angegebenen Zeitpunkte für den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit, unter der Geltung des § 25 StAG, zumindest plausibel, dass die Kläger des Ausgangsverfahrens keinen effektiven Zugang zu einer Einzelfallprüfung ihrer Situation im Hinblick auf das Unionsrecht hatten.

    67.

    Denn wie die Kommission zu Recht ausgeführt hat, ist zum einen zu berücksichtigen, dass die bis zum 31. Dezember 1999 geltende Rechtslage die Stellung eines Antrags auf Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit im Fall des Wiedererwerbs der türkischen Staatsangehörigkeit für im Inland lebende deutsche Staatsangehörige weder vorsah noch gegebenenfalls gestattete. Zum anderen gab es, wie das vorlegende Gericht feststellt, in dem Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten der geänderten Fassung am 1. Januar 2000 und dem Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit keine Möglichkeit, ein solches Verfahren einzuleiten und tatsächlich durchzuführen, was insbesondere die Personen betraf, die Anfang des Jahres 2000 die türkische Staatsangehörigkeit wiedererlangt haben, wie es bei den Klägern der Fall ist ( 46 ). So kann es sein, dass einigen der Betroffenen vor dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit die Möglichkeit eines effektiven Zugangs zu der nach dem Unionsrecht erforderlichen Prüfung der individuellen Situation vorenthalten worden ist, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist ( 47 ).

    68.

    Zweitens ist es im Licht dieser Rechtsprechung meiner Meinung nach möglich, angesichts der schwerwiegenden Folgen, die der Verlust der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats mit sich bringt, von den nationalen Behörden und Gerichten zu verlangen, dass die betroffenen Personen ordnungsgemäß darüber informiert werden, dass zum einen der mögliche Erwerb oder Wiedererwerb der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nach sich zieht und dass zum anderen ein Vorabgenehmigungsverfahren existiert, das es ermöglicht, einen Antrag auf Beibehaltung der Staatsangehörigkeit zu stellen, wobei auch auf die Frist hinzuweisen ist, innerhalb derer sie einen solchen Antrag stellen müssen.

    69.

    Im vorliegenden Fall ist es insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass die Kläger der Ausgangsverfahren ihre türkische Staatsangehörigkeit aufgeben mussten, um während einer Zeit der Gesetzesreform die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob sie als ordnungsgemäß unterrichtet angesehen werden können ( 48 ).

    70.

    Was als Zweites die Bedingung des Erhalts der Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit in § 25 Abs. 2 StAG betrifft, muss ich feststellen, dass diese Bestimmung den Zeitpunkt des Erhalts der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats als den Zeitpunkt ansieht, zu dem die Frist nicht nur für die Einreichung des Antrags auf Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit, sondern auch für den Erhalt dieser Genehmigung abläuft. Wenn also ein solcher Genehmigungsantrag zu dem Zeitpunkt, zu dem die Drittstaatsbehörden ihre Entscheidung verkünden, noch nicht von den zuständigen deutschen Behörden bearbeitet worden ist, kann er nicht mehr geprüft werden, was den Verlust des Unionsbürgerstatus bedeutet, ohne dass die betroffenen Personen die Möglichkeit haben, in effektiver Weise Zugang zu der vom Unionsrecht geforderten Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erhalten. In der Praxis hängt dieser Verlust nämlich von mehreren Faktoren ab, wie z. B. der Geschwindigkeit der Abwägung der öffentlichen und privaten Belange durch die zuständigen deutschen Behörden und der Geschwindigkeit der Bearbeitung des Antrags auf Erwerb der Staatsangehörigkeit durch die Behörden des Drittstaats. Jedoch muss ich darauf hinweisen, dass die fragliche Bestimmung nicht verlangt, dass die betroffene Person gleichzeitig mit dem Antrag auf Erwerb der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats einen Antrag auf Genehmigung der Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit stellt. Folglich sollte sich dieses Problem grundsätzlich nicht stellen, da diese Person die Entscheidung der deutschen Behörden über die Genehmigung der Beibehaltung der Staatsangehörigkeit abwarten müsste, bevor sie einen Antrag auf Erwerb der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats stellt.

    71.

    Da die Kläger der Ausgangsverfahren davon ausgegangen sind, dass sie sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsangehörigkeit behalten können, wie dies nach dem bis zum 31. Dezember 1999 gültigen § 25 StAG für deutsche Staatsangehörige, die in Deutschland wohnten, möglich war, teile ich außerdem die Auffassung der Kommission, dass es „zweckmäßig“ gewesen wäre, hierfür eine Übergangsregelung zu schaffen. Eine solche Regelung hätte es Personen, die ihren Antrag auf Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit unter der Geltung des vor dem 1. Januar 2000 anwendbaren Rechts gestellt haben, diese Staatsangehörigkeit aber erst nach diesem Zeitpunkt erhalten haben, ermöglicht, das in § 25 StAG vorgesehene Verfahren der Vorabgenehmigung in effektiver Weise einzuleiten. Angesichts der schwerwiegenden Folgen, die der Verlust des Unionsbürgerstatus für die Betroffenen mit sich bringt, ist das Fehlen einer solchen Übergangsregelung meines Erachtens nicht mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar.

    72.

    Daher scheinen mir angesichts der schwerwiegenden Folgen, die der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit und damit des Unionsbürgerstatus der Kläger der Ausgangsverfahren mit sich bringt, im vorliegenden Fall sowohl die Anwendung von Verfahrensmodalitäten wie den in § 25 Abs. 2 StAG vorgesehenen zeitlichen Voraussetzungen als auch das Fehlen einer solchen Übergangsregelung mit dem Effektivitätsgrundsatz unvereinbar zu sein, da diese Modalitäten oder ihr Fehlen das Recht der Kläger auf eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit beschränken.

    b) Zum sachlichen Umfang der in § 25 Abs. 2 StAG vorgesehenen Einzelfallprüfung

    73.

    Entgegen dem Vorbringen der Stadt Krefeld und der deutschen Regierung weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass trotz des Wortlauts von § 25 Abs. 2 StAG bei der Ablehnung eines Antrags auf Vorabgenehmigung der Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit durch die zuständigen Behörden die Einzelfallprüfung der Verhältnismäßigkeit der Folgen, die der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit aus unionsrechtlicher Sicht mit sich bringe, in der Praxis weder von diesen Behörden noch von den nationalen Gerichten vorgenommen werde.

    74.

    Erstens weise ich darauf hin, dass, sollte dies nach den Prüfungen des vorlegenden Gerichts der Fall sein, das bloße formelle oder theoretische Bestehen dieser Prüfung im Rahmen des Vorabgenehmigungsverfahrens, ohne dass diese Prüfung in der Praxis durchgeführt wird, nicht ausreicht, um die Vereinbarkeit dieses Verfahrens mit Art. 20 AEUV zu gewährleisten. In diesem Fall ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ( 49 ), dass dieses Gericht in der Lage sein muss, von den nationalen Behörden die Durchführung dieser Prüfung zu verlangen oder selbst die Folgen zu prüfen, die der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit für die betroffenen Personen mit sich bringt, und ihnen gegebenenfalls die Beibehaltung dieser Staatsangehörigkeit oder rückwirkend deren Wiedererlangung zu ermöglichen ( 50 ).

    75.

    Jedoch macht die deutsche Regierung in diesem Zusammenhang geltend, dass § 25 Abs. 2 StAG eine umfassende Prüfung der Rechtslage des Betroffenen ermögliche und dass die Berücksichtigung nicht nur der öffentlichen, sondern auch der privaten Belange in Bezug auf die Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit zwangsläufig die Berücksichtigung des Interesses an der Beibehaltung des Status des Unionsbürgers impliziere. Wenn das vorlegende Gericht, wie die deutsche Regierung es darstellt, zu dem Ergebnis gelangt, dass die zuständigen nationalen Behörden die nach dem Unionsrecht erforderliche Einzelfallprüfung der Folgen vornehmen, die der Verlust des Status des Unionsbürgers mit sich bringt, müsste es noch prüfen, seit wann diese Prüfung vorgenommen wird. Sollte es feststellen, dass eine solche Prüfung erst seit dem Tag der Verkündung des Urteils Tjebbes u. a. durchgeführt wird, möchte ich daran erinnern, dass jede Person, die vor diesem Tag gemäß § 25 Abs. 1 StAG kraft Gesetzes die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hat, die Möglichkeit haben muss, diese Prüfung zu erhalten und gegebenenfalls rückwirkend die Staatsangehörigkeit dieses Staates anlässlich eines Antrags auf Ausstellung eines Reisedokuments oder jedes anderen Dokuments, das die Staatsangehörigkeit nachweist, und ganz allgemein im Rahmen eines Verfahrens zur Feststellung der Staatsangehörigkeit wiederzuerlangen ( 51 ).

    76.

    Zweitens geht aus den Vorlagebeschlüssen hervor, dass die Kläger der Ausgangsverfahren ein gefestigtes Familien- und Berufsleben in Deutschland aufgebaut haben. Als deutsche Staatsangehörige konnten sie ihr Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt in anderen Mitgliedstaaten ausüben.

    77.

    In diesem Zusammenhang erinnere ich zunächst daran, dass im Rahmen des Anwendungsbereichs des Unionsrechts jedem Unionsbürger das gleiche Maß an Schutz seiner Grundfreiheiten und insbesondere seines Rechts auf Familienleben garantiert wird.

    78.

    Insbesondere in Bezug auf dieses Recht geht aus gefestigter Rechtsprechung hervor, dass zum einen die Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Beurteilung der individuellen Situation der betroffenen Person sowie derjenigen ihrer Familie umfassen muss, um festzustellen, ob der Verlust der Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedstaats aufgrund der Tatsache, dass dieser Verlust mit dem Verlust des Status des Unionsbürgers einhergeht, Folgen hat, die die normale Entwicklung ihres Familien- und Berufslebens in einer Weise beeinträchtigen würden, die im Verhältnis zu dem vom nationalen Gesetzgeber verfolgten Ziel mit Blick auf das Unionsrecht unverhältnismäßig ist ( 52 ). Zum anderen ist es im Rahmen dieser Prüfung insbesondere Sache der zuständigen nationalen Behörden und gegebenenfalls der nationalen Gerichte, sich Gewissheit darüber zu verschaffen, dass ein solcher Verlust der Staatsangehörigkeit mit den Grundrechten der Charta, deren Wahrung der Gerichtshof sichert, im Einklang steht, und insbesondere mit dem Recht auf Achtung des Familienlebens, das in Art. 7 der Charta niedergelegt ist. Im Übrigen ist dieser Artikel gegebenenfalls in Zusammenschau mit der Verpflichtung auszulegen, das in Art. 24 Abs. 2 der Charta anerkannte Kindeswohl zu berücksichtigen ( 53 ).

    79.

    Drittens stellt sich in diesem Stadium eine für den Ausgang der Ausgangsverfahren wichtige Frage: Welches ist das relevante Datum, das von den zuständigen Behörden bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu Grunde zu legen ist? Es könnte der Standpunkt eingenommen werden, wie es der Gerichtshof im Urteil Udlændinge- og Integrationsministeriet getan hat, dass dieses Datum dem Tag entspricht, an dem die betroffene Person die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats erlangt oder wiedererlangt hat, da es im vorliegenden Fall gemäß § 25 Abs. 2 StAG Bestandteil der legitimen Kriterien ist, die dieser Mitgliedstaat festgelegt hat und von denen die Beibehaltung oder der Verlust der Staatsangehörigkeit abhängt.

    80.

    Es steht jedoch fest, dass im Gegensatz zu der Situation in dem Fall, der dem Urteil Udlændinge- og Integrationsministeriet zu Grunde lag ( 54 ), vorliegend die Antwort auf diese Frage nicht an dieser Stelle enden sollte und einen wichtigen Aspekt berücksichtigen muss, nämlich, dass die Kläger der Ausgangsverfahren in keinem Fall in der Lage waren, das Vorabgenehmigungsverfahren zur Beibehaltung ihrer deutschen Staatsangehörigkeit einzuleiten, da § 25 Abs. 2 StAG an dem Tag, an dem sie ihre Anträge auf Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit stellten, noch nicht in Kraft getreten war. Somit war es den Klägern der Ausgangsverfahren – sowohl verfahrensrechtlich als auch der Sache nach – unmöglich, einen Antrag auf vorherige Genehmigung zu stellen. Denn da eine Frist für den Antrag auf Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit noch nicht vorgesehen war, konnte sie nicht ablaufen, was für die Betroffenen im Ergebnis dazu führte, dass sie keinen effektiven Zugang zu einer Einzelfallprüfung ihrer Situation aus unionsrechtlicher Sicht hatten ( 55 ).

    81.

    Viertens und letztens scheint mir die Prüfung eines letzten Gesichtspunkts erforderlich zu sein. Ich erinnere daran, dass das vorlegende Gericht ausführt, dass das deutsche Recht keine Möglichkeit einer inzidenten Prüfung der Folgen vorsehe, die der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit mit sich bringe, nachdem dieser Verlust eingetreten sei. In einem solchen Fall bestünde die einzige Möglichkeit für die Betroffenen, die deutsche Staatsangehörigkeit – ohne Rückwirkung – wiederzuerlangen, darin, einen neuen Antrag auf Einbürgerung zu stellen ( 56 ).

    82.

    Diese Möglichkeit, die Staatsangehörigkeit wiederzuerlangen, ist jedoch nicht mit der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs vereinbar, da sie bedeutet, dass der Betroffene für einen bestimmten Zeitraum der Möglichkeit beraubt wird, alle durch den Status des Unionsbürgers verliehenen Rechte zu genießen, ohne dass die Wiederherstellung dieser Rechte während dieses Zeitraums möglich ist. Nach dieser Rechtsprechung kann der Umstand, dass eine nationale Rechtsordnung nicht die Möglichkeit vorsieht, unter mit dem Unionsrecht im Einklang stehenden Voraussetzungen bei den nationalen Behörden und eventuell den nationalen Gerichten eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Folgen des Verlusts der Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedstaats aus unionsrechtlicher Sicht zu erwirken, die gegebenenfalls zur einer rückwirkenden Wiedererlangung dieser Staatsangehörigkeit führen kann, nicht durch die Möglichkeit der Einbürgerung ausgeglichen werden, und zwar unabhängig von den – möglicherweise erleichterten – Voraussetzungen, unter denen diese Einbürgerung erlangt werden kann. Andernfalls würde nämlich zugelassen, dass einer Person, und sei es auch nur für einen begrenzten Zeitraum, die Möglichkeit genommen würde, alle ihr durch den Unionsbürgerstatus verliehenen Rechte in Anspruch zu nehmen, ohne dass eine Wiederherstellung dieser Rechte für den betreffenden Zeitraum möglich wäre ( 57 ).

    VI. Ergebnis

    83.

    Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (Deutschland) wie folgt zu beantworten:

    Art. 20 AEUV ist im Licht von Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die vorsieht, dass seine Staatsangehörigen im Fall des freiwilligen Erwerbs der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats von Rechts wegen die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats verlieren, was für diejenigen, die nicht auch Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats sind, den Verlust ihres Status als Unionsbürger und der damit verbundenen Rechte zur Folge hat, es sei denn, sie erhalten vor dem Erwerb der Staatsangehörigkeit des Drittstaats die Genehmigung, diese Staatsangehörigkeit beizubehalten, sofern den betroffenen Personen innerhalb einer angemessenen Frist ein effektiver Zugang zu einem Verfahren zur Beibehaltung der Staatsangehörigkeit gewährt wird, das es den zuständigen Behörden ermöglicht, die Verhältnismäßigkeit der Folgen des Verlusts dieser Staatsangehörigkeit aus unionsrechtlicher Sicht zu prüfen und gegebenenfalls die Beibehaltung oder die Wiedererlangung dieser Staatsangehörigkeit rückwirkend zu gewähren. Eine solche Frist kann nur zu laufen beginnen, wenn diese Behörden die betroffenen Personen ordnungsgemäß darüber informiert haben, dass der etwaige Erwerb oder die etwaige Wiedererlangung der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats den Verlust der Staatsangehörigkeit zur Folge hat und dass die Möglichkeit besteht, das Vorabgenehmigungsverfahren einzuleiten, um die Beibehaltung dieser Staatsangehörigkeit zu beantragen, und dass sie das Recht haben, innerhalb dieser Frist die Beibehaltung oder die Wiedererlangung der Staatsangehörigkeit zu beantragen. Anderenfalls müssen diese Behörden in der Lage sein, eine solche Prüfung inzident im Rahmen eines Antrags der betroffenen Personen auf Ausstellung eines Reisedokuments oder eines anderen Dokuments, das ihre Staatsangehörigkeit belegt, oder gegebenenfalls im Rahmen eines Verfahrens zur Feststellung des Verlusts der Staatsangehörigkeit, durchzuführen.


    ( 1 ) Originalsprache: Französisch.

    ( 2 ) Urteil vom 2. März 2010 (C‑135/08, EU:C:2010:104, im Folgenden: Urteil Rottmann).

    ( 3 ) Urteil vom 12. März 2019 (C‑221/17, EU:C:2019:189, im Folgenden: Urteil Tjebbes u. a.).

    ( 4 ) Urteil vom 18. Januar 2022 (C‑118/20, EU:C:2022:34, im Folgenden: Urteil Wiener Landesregierung).

    ( 5 ) Urteil vom 5. September 2023 (C‑689/21, EU:C:2023:626, im Folgenden: Urteil Udlændinge- og Integrationsministeriet).

    ( 6 ) In seiner konsolidierten Fassung (Bundesgesetzblatt, Teil III, Nr. 102-1, geändert durch Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 [BGBl. I S. 161]).

    ( 7 ) Von den betreffenden Städten in den drei Ausgangsverfahren jeweils am 13. September 2019, am 24. Februar 2021 und am 12. Februar 2021 erlassen.

    ( 8 ) In § 30 Abs. 1 des StAG heißt es: „Das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit wird bei Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses auf Antrag von der Staatsangehörigkeitsbehörde festgestellt. Die Feststellung ist in allen Angelegenheiten verbindlich, für die das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit rechtserheblich ist. Bei Vorliegen eines öffentlichen Interesses kann die Feststellung auch von Amts wegen erfolgen.“

    ( 9 ) RGBl. S. 583.

    ( 10 ) Der Vollständigkeit halber möchte ich darauf hinweisen, dass die Autoren des Schrifttums erklären, dass diese Reform des RuStAG Elemente des ius soli einführe und den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit für in Deutschland ansässige Ausländer und insbesondere für ihre in diesem Mitgliedstaat geborenen Kinder erleichtert habe. Diese Autoren weisen darauf hin, dass seit dem Inkrafttreten dieser Rechtsvorschriften in den Jahren 2004, 2007, 2009, 2014 und 2019 Änderungen vorgenommen worden seien. Vgl. unter anderem Farahat, A., und Hailbronner, K., Report on Citizenship Law: Germany: RSCAS/GLOBALCIT‑CR 2020/5, European University Institute, Country Report 2020/05, März 2020, S. 33.

    ( 11 ) Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erfolgte daher unter der Geltung des bis zum 31. Dezember 1999 anwendbaren § 25 Abs. 1 Satz 1 RuStAG, der die „Inlandsklausel“ enthielt, nach der der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nur dann eintrat, wenn der betreffende deutsche Staatsangehörige „im Inland weder seinen Wohnsitz noch seinen dauernden Aufenthalt“ hatte. Diese Klausel wurde in § 25 StAG gestrichen. Die Kommission verweist in ihren Erklärungen auf die Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (Drucksache 14/533 des Deutschen Bundestages vom 16. März 1999, S. 15), wonach „[d]iese ‚Inlandsklausel‘ … häufig genutzt [wird], um den Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung zu unterlaufen: Die vor der Einbürgerung aufgegebene ausländische Staatsangehörigkeit wird nach der Einbürgerung sanktionslos wiedererworben. Die Aufhebung der ‚Inlandsklausel‘ beseitigt diese Missbrauchsmöglichkeit.“ Vgl. hierzu insbesondere McFadden, S. W., “German Citizenship Law and the Turkish diaspora“, German Law Journal, 2019, Nr. 20, S. 72, insbesondere S. 74 bis 78; Falcke, S., und Vink, M., „Closing a Backdoor to Dual Citizenship: The German Citizenship Law Reform of 2000 and the Abolishment of the ‚Domestic Clause‘“, Frontiers in Sociology, 2020, Bd. 5, S. 1, insbesondere S. 3 bis 5, und Bouche, N., „La réforme de 1999 du droit allemand de la nationalité“, Revue international de droit comparé, 2002, Bd. 54(4), S. 1035.

    ( 12 ) Siehe Nr. 18 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 13 ) C‑689/21, EU:C:2023:53. Der Kürze halber beschränke ich mich darauf, für eine Darstellung dieser Rechtsprechung auf die Nrn. 29 bis 43 jener Schlussanträge zu verweisen.

    ( 14 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile Rottmann (Rn. 45), Tjebbes u. a. (Rn. 32), Wiener Landesregierung (Rn. 37 und 51) sowie Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung). Es geht nämlich um die Anwendung eines Grundprinzips des Unionsrechts im Bereich der Unionsbürgerschaft. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die in Rn. 41 des Urteils Rottmann angeführte Rechtsprechung.

    ( 15 ) Urteil vom 7. Juli 1992 (C‑369/90, EU:C:1992:295, Rn. 10).

    ( 16 ) Rn. 41, 42 und 45.

    ( 17 ) Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in der Rechtssache Rottmann (C‑135/08, EU:C:2009:588, Nrn. 23, 24 und 26). Folglich geht es nach Auffassung dieses Generalanwalts weder darum, aus diesem Grundsatz die absolute Unmöglichkeit der Entziehung der Staatsangehörigkeit für den Fall abzuleiten, dass der Verlust der Staatsangehörigkeit zum Verlust des Unionsbürgerstatus führt, noch darum, die von einem Mitgliedstaat definierten Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust seiner Staatsangehörigkeit als der Kontrolle durch das Unionsrecht entzogen anzusehen.

    ( 18 ) Urteil Rottmann (Rn. 41).

    ( 19 ) Vgl. hierzu Urteile Rottmann (Rn. 39, 41 bis 43, 45, 48, 56, 55 und 59), Tjebbes u. a. (Rn. 30, 32, 40 bis 42 und 45) sowie Wiener Landesregierung (Rn. 44, 59, 61 und 73).

    ( 20 ) Rn. 48, 55 und 56.

    ( 21 ) Urteile Tjebbes u. a. (Rn. 40), Wiener Landesregierung (Rn. 58) sowie Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 38).

    ( 22 ) Urteile Rottmann (Rn. 55 und 56), Tjebbes u. a. (Rn. 41), Wiener Landesregierung (Rn. 59) sowie Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 39).

    ( 23 ) Urteile Tjebbes u. a. (Rn. 45), Wiener Landesregierung (Rn. 61) sowie Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 55).

    ( 24 ) Urteile Tjebbes u. a. (Rn. 42) und Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 40).

    ( 25 ) Zur Erinnerung: Der Fall, der diesem Urteil zugrunde lag, betraf die Situation einer Bürgerin, die in den Vereinigten Staaten von Amerika als Tochter einer dänischen Mutter und eines amerikanischen Vaters geboren wurde und seit ihrer Geburt die doppelte dänische und amerikanische Staatsangehörigkeit besaß. Nachdem sie 22 Jahre alt geworden war, stellte sie beim Udlændinge- og Integrationsministeriet (Ministerium für Einwanderung und Integration, Dänemark) einen Antrag auf Beibehaltung ihrer dänischen Staatsangehörigkeit. Mit Bescheid des zuständigen Ministeriums wurde ihr mitgeteilt, dass sie die dänische Staatsangehörigkeit im Alter von 22 Jahren verloren habe und dass die Beibehaltung ihrer Staatsangehörigkeit nicht gewährt werden könne, da sie den Antrag nach Erreichen dieses Alters gestellt habe.

    ( 26 ) Urteil Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 27 ) Urteil Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 41 und 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 28 ) Urteil Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 29 ) Vgl. insbesondere Urteile vom 20. September 2001, Grzelczyk (C‑184/99, EU:C:2001:458, Rn. 31), sowie Udlændinge- og Integrationsministeriet, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung.

    ( 30 ) Art. 20 Abs. 2 Unterabs 1 AEUV.

    ( 31 ) Siehe Nrn. 28 bis 31 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 32 ) Urteil Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 33 ) Urteil Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 34 ) Urteile Rottmann (Rn. 51), Tjebbes u. a. (Rn. 33), Wiener Landesregierung (Rn. 52) sowie Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 31).

    ( 35 ) Urteile Tjebbes u. a. (Rn. 35) und Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 32).

    ( 36 ) Europäisches Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit, das am 6. November 1997 im Rahmen des Europarats angenommen wurde und am 1. März 2000 in Kraft trat. Dieses Übereinkommen ist seit dem 1. September 2005 auf Deutschland anwendbar. Gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. a „[darf] [e]in Vertragsstaat … in seinem innerstaatlichen Recht nicht den Verlust seiner Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes oder auf seine Veranlassung vorsehen, außer in folgenden Fällen: … freiwilliger Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit“.

    ( 37 ) In Bezug auf dieses Ziel wird, obwohl Mehrstaatigkeit die Ausnahme sein soll, im Schrifttum betont, dass die doppelte Staatsbürgerschaft heute allgemeiner zugelassen werde. Diesen Autoren zufolge „hat es in der Praxis einen starken Anstieg von Einbürgerungen unter Anerkennung der doppelten Staatsangehörigkeit gegeben“. Vgl. hierzu Farahat, A., und Hailbronner, K., a. a. O., S. 9, 18 und 32. Außerdem geht aus den Vorlagebeschlüssen hervor, dass das Übereinkommen vom 6. Mai 1963 über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern, das in Deutschland am 18. Dezember 1969 in Kraft getreten ist, aufgrund seiner Aufkündigung seit dem 21. Dezember 2002 in Deutschland nicht mehr anwendbar ist. Hierzu erläutern diese Autoren, dass die Reform des RuStAG mit der Entscheidung einhergegangen sei, auf dieses Übereinkommen zu verzichten, das nur eine eingeschränkte Akzeptanz der doppelten Staatsangehörigkeit vorsehe.

    ( 38 ) Die deutsche Regierung führt die Entscheidung vom 8. Dezember 2006, 2 BvR 1339/06, DE:BVerfG:2006:rk20061208.2bvr133906, Rn. 14, an. Sie weist darauf hin, dass aus der nationalen Rechtsprechung auch hervorgehe, dass seit der Reform des RuStAG die Beseitigung der Mehrstaatigkeit nicht mehr vorrangig sei. Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10. April 2008, 5 C 28.07, DE:BVerwG:2008:100408U5C28.07.0, Rn. 21.

    ( 39 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile Tjebbes u. a. (Rn. 34) und Wiener Landesregierung (Rn. 54). Auch wenn der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung den Begriff „unerwünschte Wirkungen“ verwendet, muss ich zugeben, dass ich Zweifel daran habe, ob es richtig ist, die Folgen des Besitzes mehrerer Staatsangehörigkeiten durch einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats generell als „unerwünschte“ Wirkungen zu bezeichnen.

    ( 40 ) In dem erläuternden Bericht zu diesem Übereinkommen (Europarat, Sammlung der Europäischen Verträge, Nr. 166, S. 11) heißt es: „[Art. 7 Abs. 1 Buchst. a] ermöglicht es den Vertragsstaaten, den Verlust ihrer Staatsangehörigkeit im Falle des freiwilligen Erwerbs einer anderen Staatsangehörigkeit vorzusehen. Das Wort ‚freiwillig‘ weist darauf hin, dass die betreffende Person diese Staatsangehörigkeit aus freien Stücken und nicht automatisch (von Rechts wegen) erworben hat“.

    ( 41 ) Aus diesem Bericht geht hervor, dass man in einigen Staaten, insbesondere, wenn viele Personen ihre Staatsangehörigkeit erwerben möchten oder erworben haben, davon ausgehen kann, dass die Beibehaltung einer anderen Staatsangehörigkeit ein Hindernis für die vollständige Integration dieser Personen darstellen könnte. Andere Staaten hingegen können es für vorzugswürdig halten, den Erwerb ihrer Staatsangehörigkeit zu erleichtern, indem sie den Betroffenen erlauben, ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit beizubehalten und dadurch ihre Integration im Aufnahmeland zu fördern, insbesondere um diesen Personen zu ermöglichen, die Staatsangehörigkeit anderer Familienmitglieder beizubehalten oder um ihre Rückkehr in ihr Herkunftsland zu erleichtern, wenn sie dies wünschen (Erläuternder Bericht, S. 3).

    ( 42 ) Urteile Rottmann (Rn. 55 und 56), Tjebbes u. a. (Rn. 40), Wiener Landesregierung (Rn. 58) sowie Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 38). Siehe auch Nr. 41 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 43 ) Urteile Tjebbes u. a. (Rn. 41) sowie Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 39).

    ( 44 ) Urteil Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung). Siehe auch Nrn. 38 ff. der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 45 ) Urteil Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung). Siehe Nr. 38 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 46 ) Nach Ansicht einiger Autoren in der Rechtswissenschaft hat das Inkrafttreten von § 25 StAG dem Missbrauch dieser Gesetzeslücke bei der Anwendung der Inlandsklausel ein Ende gesetzt, „aber leider wurde diese Rechtsänderung von vielen türkischen Bürgern nicht und offensichtlich nicht einmal von den türkischen Behörden bemerkt. Es wird daher geschätzt, dass nach dem Inkrafttreten [des StAG] 40000 Türken durch die Wiedererlangung ihrer türkischen Staatsangehörigkeit fast unbemerkt ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben“ (Farahat, A., und Hailbronner, K., a. a. O., S. 26. Hervorhebung nur hier). Vgl. zu dieser Situation auch McFadden, S. W., a. a. O., S. 80. Meiner Ansicht nach lassen sich solche Maßnahmen nur schwer mit der Solidarität vereinbaren, die die Bindung zwischen einem Mitgliedstaat und seinen eigenen Staatsangehörigen begründen soll, unabhängig davon, ob, wie im vorliegenden Fall, die Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung in dem besonderen Kontext erworben wurde, in dem eine Gesetzeslücke hinsichtlich der Anwendung der Inlandsklausel bestand.

    ( 47 ) Insbesondere geht aus dem vom vorlegenden Gericht dargelegten rechtlichen Rahmen hervor, dass § 38 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) vorsieht, dass einem ehemaligen Deutschen eine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, wenn er bei Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Nach Ansicht einiger Autoren des Schrifttums wurde diese Bestimmung vom Gesetzgeber eingeführt, um diese Arten von Erlaubnissen „türkischen Staatsangehörigen zu gewähren, die unfreiwillig ihre deutsche Staatsangehörigkeit in der Annahme verloren haben, dass sie ihre türkische Staatsangehörigkeit wiedererlangen könnten“ (Farahat, A., und Hailbronner, K., a. a. O., S. 26. Hervorhebung nur hier).

    ( 48 ) Siehe hierzu Nr. 71 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 49 ) Siehe Nrn. 38 ff. der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 50 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile Tjebbes u. a. (Rn. 42) sowie Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 40).

    ( 51 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile Tjebbes u. a. (Rn. 42) sowie Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 40).

    ( 52 ) Dabei darf es sich nach Auffassung des Gerichtshofs nicht um nur hypothetische oder potenzielle Folgen handeln. Urteile Tjebbes u. a. (Rn. 44) und Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 54).

    ( 53 ) Urteil Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 54 ) Da die Klägerin ihren Antrag auf Beibehaltung der dänischen Staatsangehörigkeit nach Ablauf der in der nationalen Regelung vorgesehenen Frist gestellt hatte. Siehe Fn. 25 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 55 ) Dieser Gesichtspunkt schließt an die in den Nrn. 66 ff. der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Erwägungen an. In einem solchen Kontext konnten die Kläger der Ausgangsverfahren als deutsche Staatsangehörige zwischen ihrer Einbürgerung im Jahr 1999 und dem Erlass der Entscheidung, mit der der Verlust ihrer Staatsangehörigkeit festgestellt wurde, d. h. mindestens 18 Jahre lang, die Rechte ausüben, die sich aus dem Status eines Unionsbürgers ergeben. Diese erstens de jure und zweitens de facto bestehende Situation sowie die Spannung zwischen diesen beiden Zeitpunkten sollten bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit und insbesondere im Zusammenhang mit dem Schutz des Rechts auf ein Familien- und Berufsleben berücksichtigt werden.

    ( 56 ) Das vorlegende Gericht führt aus, dass § 13 StAG, der ehemaligen deutschen Staatsangehörigen unter bestimmten Voraussetzungen eine erleichterte Einbürgerung ermögliche, nur dann Anwendung finde, wenn die Antragsteller ihren Wohnsitz im Ausland hätten.

    ( 57 ) Urteil Udlændinge- og Integrationsministeriet (Rn. 57 und 58). Vgl. auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Udlændinge- og Integrationsministeriet (C‑689/21, EU:C:2023:53, Nrn. 93 und 94).

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