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Document 62022CC0083

Schlussanträge der Generalanwältin L. Medina vom 23. März 2023.
RTG gegen Tuk Tuk Travel SL.
Vorabentscheidungsersuchen des Juzgado de Primera Instancia de Cartagena.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie (EU) 2015/2302 – Art. 5 – Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen – Rücktritt von einem Pauschalreisevertrag – Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände – Covid-19-Pandemie – Rücktrittsrecht – Anspruch auf volle Erstattung – Dem Reiseveranstalter obliegende Informationspflicht – Art. 12 – Anwendung der im nationalen Recht verankerten Grundsätze der Verhandlungsmaxime und der Bindung an die Parteianträge – Wirksamer Verbraucherschutz – Prüfung von Amts wegen durch das nationale Gericht – Voraussetzungen.
Rechtssache C-83/22.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:245

 SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

LAILA MEDINA

vom 23. März 2023 ( 1 )

Rechtssache C‑83/22

RTG

gegen

Tuk Tuk Travel SL

(Vorabentscheidungsersuchen des Juzgado de Primera Instancia no 5 de Cartagena [Gericht erster Instanz Nr. 5, Cartagena, Spanien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 267 AEUV – Richtlinie (EU) 2015/2302 – Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen – Art. 5 Abs. 1 – Verpflichtung betreffend vorvertragliche Informationen – Anhang I Teile A und B – Standardinformationsblatt – Art. 12 Abs. 2 – Rücktritt von einem Pauschalreisevertrag – Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände, die die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigen – Covid‑19 – Recht auf volle Erstattung aller für die Pauschalreise getätigten Zahlungen – Antrag des Reisenden auf teilweise Erstattung – Nationales Gericht – Von Amts wegen erfolgende Prüfung durch das Gericht – Grundsätze des nationalen Verfahrensrechts“

1.

Zu den Bereichen, die am stärksten und unmittelbarsten von der Covid ‑19 Pandemie betroffen waren, gehörte der Reise- und Tourismussektor ( 2 ). Die Unsicherheit, die die Pandemie auslöste, und ihre rasche globale Ausbreitung veranlassten viele Reisende dazu, von ihren Pauschalreiseverträgen zurückzutreten, noch bevor die Regierungen Notmaßnahmen ergriffen und die Grenzen geschlossen wurden. In diesem Kontext der Unsicherheit entstanden Zweifel hinsichtlich des genauen Umfangs der Rechte und Pflichten der Parteien eines Pauschalreisevertrags, was es den Reisenden insbesondere erschwerte, ihr Recht gemäß Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302, ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Vertrag zurückzutreten, auszuüben ( 3 ).

2.

Vor diesem Hintergrund wirft das vorliegende Vorabentscheidungsverfahren eine rein verfahrensrechtliche Frage auf. Sie betrifft die Befugnis der Gerichte, von Amts wegen die Rechte anzuerkennen, die den Verbrauchern aus der Richtlinie 2015/2302 erwachsen, und insbesondere das Recht des Reisenden, im Falle unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände unter den in Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Pauschalreisevertrag zurückzutreten. Darüber hinaus wirft es die Frage auf, ob ein Gericht befugt sein sollte, über den gestellten Antrag hinauszugehen und einem Verbraucher von Amts wegen mehr zuzusprechen als er gefordert hat, um die wirksame Ausübung der Rechte zu gewährleisten, die diesem als Reisenden nach der Richtlinie zustehen.

3.

Zur Frage, ob nationale Gerichte befugt sind, von Amts wegen über die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel zu entscheiden, gibt es eine gefestigte und umfangreiche Rechtsprechung. Diese Rechtsprechung, der Erwägungen des Schutzes der schwächeren Vertragspartei zugrunde liegen, umfasst einige der wegweisenden Entscheidungen des EU-Verbraucherschutzrechts ( 4 ), wie die Urteile Océano Grupo ( 5 ), Cofidis ( 6 ) oder Aziz ( 7 ). Das Urteil in der Rechtssache Océano Grupo ist als „ein wirkmächtiges Instrument zur Beseitigung von Ungerechtigkeiten und zur Wiederherstellung der sozialen Gerechtigkeit im Vertragsrecht“ ( 8 ) angesehen worden, das Urteil in der Rechtssache Cofidis hat sogar die Kunst inspiriert ( 9 ). Mehr als zwei Jahrzehnte nach der Entwicklung und Konsolidierung dieser Rechtsprechung fokussieren sich die jüngsten Urteile auf die Klärung bestimmter Aspekte der Ex‑officio‑Doktrin, indem sie ein bisweilen sensibles Gleichgewicht zwischen einem wirksamen Verbraucherschutz und grundlegenden Prinzipien des Verfahrensrechts herstellen ( 10 ). Unter diesem Gesichtspunkt scheint die Ex‑officio‑Doktrin ein Stadium der „Reife“ ihrer Entwicklung zu erreichen oder, wie es einer der Autoren treffend formuliert hat, das „Zeitalter der Vernunft“ ( 11 ). Die vorliegende Rechtssache lässt sich in dieses Stadium einordnen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2015/2302

4.

Kapitel II der Richtlinie 2015/2302 trägt die Überschrift „Informationspflichten und Inhalt des Pauschalreisevertrags“. In diesem Kapitel sieht Artikel 5 („Vorvertragliche Informationen“) Folgendes vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass dem Reisenden, bevor er durch einen Pauschalreisevertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, von dem Reiseveranstalter und, wenn die Pauschalreise über einen Reisevermittler verkauft wird, auch von dem Reisevermittler die jeweiligen Standardinformationen durch das zutreffende Formblatt gemäß Anhang I Teil A oder B bereitgestellt werden und er, sofern diese Informationen für die betreffende Pauschalreise relevant sind, über Folgendes informiert wird:

a)

die wesentlichen Eigenschaften der Reiseleistungen:

g)

Angaben darüber, dass der Reisende den Vertrag jederzeit vor Beginn der Pauschalreise gemäß Artikel 12 Absatz 1 gegen Zahlung einer angemessenen Rücktrittsgebühr, oder gegebenenfalls der pauschalen Rücktrittsgebühren, die der Reiseveranstalter verlangt, beenden kann;

(3)   Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Informationen sind klar, verständlich und deutlich mitzuteilen. Werden diese Informationen schriftlich mitgeteilt, so müssen sie lesbar sein.“

5.

Art. 12 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2015/2302 sieht vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Reisende vor Beginn der Pauschalreise jederzeit vom Pauschalreisevertrag zurücktreten kann. Tritt der Reisende gemäß diesem Absatz vom Pauschalreisevertrag zurück, so kann der Reiseveranstalter die Zahlung einer angemessenen und vertretbaren Rücktrittsgebühr verlangen. …

2.   Ungeachtet des Absatzes 1 hat der Reisende das Recht, vor Beginn der Pauschalreise ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Pauschalreisevertrag zurückzutreten, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Im Fall des Rücktritts vom Pauschalreisevertrag gemäß diesem Absatz hat der Reisende Anspruch auf volle Erstattung aller für die Pauschalreise getätigten Zahlungen, jedoch auf keine zusätzliche Entschädigung.“

6.

Art. 23 („Unabdingbarkeit der Richtlinie“) der Richtlinie 2015/2302 bestimmt in seinen Absätzen 2 und 3:

„(2)   Reisende dürfen nicht auf die Rechte verzichten, die ihnen aus den nationalen Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie zustehen.

(3)   Vertragliche Vereinbarungen oder Erklärungen des Reisenden, die einen Verzicht auf die sich aus dieser Richtlinie ergebenden Rechte oder deren Einschränkung unmittelbar oder mittelbar bewirken oder die darauf gerichtet sind, die Anwendung dieser Richtlinie zu umgehen, sind für den Reisenden nicht bindend.“

7.

Art. 24 („Durchsetzung“) dieser Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, mit denen die Einhaltung dieser Richtlinie sichergestellt wird.“

8.

Teil A („Standardinformationsblatt für Pauschalreiseverträge für Fälle, in denen ein Hyperlink verwendet werden kann“) des Anhangs I der Richtlinie 2015/2302 stellt in einem Textfeld den Inhalt dieses Formulars dar und weist darauf hin, dass der Reisende durch Anklicken des Hyperlinks die folgenden Informationen erhält:

„Wichtigste Rechte nach der Richtlinie (EU) 2015/2302

Die Reisenden können bei Eintritt außergewöhnlicher Umstände vor Beginn der Pauschalreise ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Vertrag zurücktreten, beispielsweise wenn am Bestimmungsort schwerwiegende Sicherheitsprobleme bestehen, die die Pauschalreise voraussichtlich beeinträchtigen.

…“

9.

Teil B („Standardinformationsblatt für Pauschalreiseverträge in anderen Fällen als dem von Teil A erfassten“) des Anhangs I der Richtlinie 2015/2302 gibt in einem Textfeld den Inhalt des Formblatts wieder; sodann werden dieselben wichtigsten Rechte nach dieser Richtlinie angeführt wie diejenigen, die in Teil A ihres Anhangs I aufgeführt sind.

Spanisches Recht

Allgemeines Gesetz zum Schutz der Verbraucher und Nutzer

10.

Die Art. 5 und 12 der Richtlinie 2015/2302 wurden durch Art. 153 bzw. Art. 160 des Real Decreto Legislativo 1/2007, por el que se aprueba el texto refundido de la Ley General para la Defensa de los Consumidores y Usuarios y otras leyes complementarias (Königliches Decreto Legislativo 1/2007 zur Billigung der Neufassung des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der Verbraucher und Nutzer und anderer ergänzender Gesetze; im Folgenden: Allgemeines Gesetz zum Schutz der Verbraucher und Nutzer) vom 16. November 2007 (BOE Nr. 287 vom 30. November 2007, S. 49181) in spanisches Recht umgesetzt.

Zivilprozessrecht

11.

Art. 216 der Ley 1/2000 de Enjuiciamiento Civil (Gesetz 1/2000, Zivilprozessordnung) vom 7. Januar 2000 (BOE Nr. 7 vom 8. Januar 2000, S. 575; im Folgenden: LEC) bestimmt:

„Die Zivilgerichte entscheiden aufgrund des Sachvortrags, der Beweismittel und der Anträge der Parteien, sofern das Gesetz nicht in besonderen Fällen etwas anderes bestimmt.“

12.

Art. 218 Abs. 1 LEC lautet:

„Die Urteile müssen klar und präzise sein und müssen sich mit der Klage und den sonstigen Anträgen der Parteien decken, die im Rahmen des Rechtsstreits in geeigneter Weise auszulegen sind. Sie enthalten die vorgeschriebenen Erklärungen, verurteilen oder entlasten den Beklagten und entscheiden alle streitigen Punkte, die Gegenstand der Verhandlung waren.

Das Gericht entscheidet gemäß den auf den Fall anwendbaren Vorschriften, auch wenn diese von den Parteien nicht korrekt zitiert oder geltend gemacht worden sind, ohne dadurch vom Streitgegenstand abzuweichen, dass es andere tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt als die Parteien geltend machen wollten.“

13.

Art. 412 Abs. 1 der LEC lautet wie folgt:

„Sobald der Verfahrensgegenstand in der Klageschrift, der Klageerwiderung und gegebenenfalls in der Widerklage festgelegt worden ist, können ihn die Parteien später nicht mehr ändern.“

Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

14.

Am 10. Oktober 2019 schloss der Kläger mit der Beklagten, der Tuk Tuk Travel SL, einen Vertrag über eine Pauschalreise für zwei Personen nach Vietnam und Kambodscha mit Abreise von Madrid (Spanien) am 8. März 2020 und Rückkehr am 24. März 2020.

15.

Der Kläger zahlte 2402 Euro zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung, wobei sich der Gesamtbetrag der Reise auf 5208 Euro belief. In den allgemeinen Vertragsbedingungen wurde auf die Möglichkeit hingewiesen, „die Reise vor ihrem Beginn gegen eine Rücktrittsgebühr zu stornieren“. Vertragliche oder vorvertragliche Informationen über die Möglichkeit einer Stornierung für den Fall, dass am Zielort der Reise oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigen, waren nicht enthalten.

16.

Am 12. Februar 2020 setzte der Kläger die Beklagte von seiner Entscheidung in Kenntnis, die Reise angesichts der Ausbreitung von Covid‑19 in Asien nicht anzutreten, und verlangte die Erstattung der ihm infolge dieser Entscheidung zustehenden Beträge.

17.

Die Beklagte antwortete ihm am 14. Februar 2020 und teilte ihm mit, dass sie ihm nach Abzug der Stornierungskosten 81 Euro erstatten werde. Der Kläger trat der Berechnung der Stornierungskosten entgegen. Schließlich teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie ihm 302 Euro erstatten werde.

18.

Der Kläger beschloss, vor dem vorlegenden Gericht zu klagen; dabei war er, wie dies nach dem nationalen Verfahrensrecht möglich ist, nicht anwaltlich vertreten. Er trug vor, dass seine Entscheidung, die Reise zu stornieren, auf einen Fall höherer Gewalt zurückzuführen sei, nämlich auf die besorgniserregende Entwicklung der Gesundheitslage infolge von Covid‑19. Er forderte zusätzlich die Erstattung von 1500 Euro, wobei die Agentur 601 Euro als Verwaltungskosten einbehalten könne.

19.

Die Beklagte machte geltend, dass die Entscheidung des Klägers, die Reise zu stornieren, zum Zeitpunkt der Beendigung des Vertrags nicht gerechtfertigt gewesen sei. Im Februar 2020 hätten Reisen in die Zielländer wie gewohnt stattgefunden. Daher habe sich der Kläger nicht auf höhere Gewalt berufen können, um den Vertrag zu kündigen. Die Beklagte wies außerdem darauf hin, dass der Kläger die allgemeinen Vertragsbedingungen zu den Verwaltungskosten im Falle einer vorzeitigen Kündigung der Pauschalreise (15 % des Gesamtbetrags der Reise) akzeptiert habe, und dass die Stornierungskosten dieselben seien, die von jedem seiner Dienstleister angewandt würden. Darüber hinaus habe der Kläger dadurch, dass er keine Versicherung abgeschlossen habe, das Risiko einer Stornierung übernommen.

20.

Da die Parteien keine mündliche Verhandlung beantragt hatten, trat das Gericht am 22. Juni 2021 in die Beratung über die Rechtssache ein. Am 15. September 2021 erließ das vorlegende Gericht jedoch einen Beschluss (im Folgenden: Beschluss vom 15. September 2021) in dem es die Parteien aufforderte, innerhalb einer Frist von zehn Tagen zu folgenden Fragen Stellung zu nehmen: erstens zu der Frage, ob die von einem Verbraucher angeführte Gesundheitslage als außergewöhnliches und unvermeidbares Risiko im Sinne von Art. 160 Abs. 2 des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der Verbraucher und Nutzer angesehen werden könne; zweitens zu den Rechtsfolgen des Versäumnisses des Reiseveranstalters, den Verbraucher über sein Recht zu belehren, ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Vertrag zurückzutreten, und insbesondere zu der Frage, ob das Fehlen (nach Auffassung des vorlegenden Gerichts) einer Verpflichtung zur Erteilung einer solchen Information gemäß der Richtlinie 2015/2302 gegen Art. 169 Abs. 1 und 2 Buchst. a AEUV verstoße; drittens zu der Frage, ob das Gericht einen Verbraucher von Amts wegen über den Umfang seiner Rechte belehren dürfe, wenn sich aus der Klage ergibt, dass er sie nicht kennt; und viertens zu der Frage, ob der Verbraucherschutz es gebiete, dass das Gericht im Widerspruch zu dem Grundsatz der Bestimmung des Streitgegenstands durch die Parteien (Dispositionsmaxime) und dem Neultra‑petita-Grundsatz die Beklagte verurteile, dem Verbraucher im Falle einer fehlenden Belehrung über seine Rechte eine vollständige Erstattung zu gewähren. Schließlich forderte das vorlegende Gericht die Parteien auf, sich dazu zu äußern, ob ein Vorabentscheidungsersuchen erforderlich sei.

21.

Der Kläger gab keine Stellungnahme ab. Die Beklagte bekräftigte ihren Standpunkt, dass keine unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände vorlägen, die einen Rücktritt vom Vertrag rechtfertigten. Im Übrigen sei ein Vorabentscheidungsersuchen entbehrlich, da sich der Kläger zu den vom vorlegenden Gericht im Beschluss vom 15. September 2021 aufgeworfenen Fragen nicht geäußert habe.

22.

Das vorlegende Gericht hat zum einen Zweifel an der Gültigkeit von Art. 5 der Richtlinie 2015/2302. Insbesondere macht es geltend, dass weder diese Richtlinie noch die Vorschriften des spanischen Gesetzes zu deren Umsetzung vorschrieben, dass die obligatorischen Informationen, die die Veranstalter den Reisenden zur Verfügung zu stellen haben, die Information über das Recht umfassten, im Falle unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Vertrag zurückzutreten. Mangels einer solchen Verpflichtung sei dem Kläger sein Recht auf vollständige Erstattung der geleisteten Zahlungen nicht bekannt gewesen. Auf der Grundlage dieser Erwägungen wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob die Mindestinformationen, die dem Kläger gemäß der Richtlinie 2015/2302 erteilt wurden, im Licht von Art. 169 AEUV in Verbindung mit Art. 114 AEUV unzureichend seien.

23.

Zweitens fragt sich das vorlegende Gericht, ob es ihm nach dem Unionsrecht möglich sei, in einem Urteil die Erstattung aller von einem Verbraucher geleisteten Zahlungen, die über den Betrag der von ihm geltend gemachten Forderung hinausgehen, von Amts wegen zuzusprechen. Das vorlegende Gericht führt aus, dass eine solche Zuerkennung von Amts wegen gegen ein Grundprinzip des spanischen Verfahrensrechts verstoße, wonach der Tenor eines Urteils den in der Klageschrift gestellten Anträgen entsprechen muss (Art. 218 Abs. 1 LEC).

24.

Unter diesen Umständen hat der Juzgado de Primera Instancia no 5 de Cartagena (Gericht erster Instanz Nr. 5, Cartagena, Spanien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Sind Art. 169 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a und Art. 114 Abs. 3 AEUV dahin auszulegen, dass sie Art. 5 der Richtlinie 2015/2302 entgegenstehen, weil nach diesem Artikel die obligatorischen vorvertraglichen Informationen für den Reisenden nicht das ihm durch Art. 12 der Richtlinie zuerkannte Recht umfassen, vor Reisebeginn unter voller Erstattung des gezahlten Betrags vom Vertrag zurückzutreten, wenn unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Reise erheblich beeinträchtigen?

2.

Stehen die Art. 114 und 169 AEUV sowie Art. 15 der Richtlinie 2015/2302 der Anwendung der in den Art. 216 und 218 Abs. 1 LEC (Ley de Enjuiciamiento Civil [Zivilprozessordnung]) genannten Grundsätze der Verhandlungsmaxime und der Dispositionsmaxime entgegen, wenn diese Verfahrensgrundsätze den vollständigen Schutz des klagenden Verbrauchers verhindern können?

25.

Die tschechische, die spanische und die finnische Regierung, der Rat der Europäischen Union, das Europäische Parlament und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen abgegeben. Die spanische und die finnische Regierung, das Parlament und die Kommission waren in der mündlichen Verhandlung am 12. Januar 2022 vertreten.

Würdigung

Vorbemerkungen

26.

Die tschechische Regierung macht zunächst geltend, dem Vorabentscheidungsersuchen liege die stillschweigende Annahme zugrunde, dass der Kläger unter den Umständen des konkreten Falles gemäß Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 berechtigt gewesen sei, wegen unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände am Zielort der Reise vom Vertrag zurückzutreten. Nach Ansicht der tschechischen Regierung ist diese Annahme jedoch unzutreffend. Ihrer Auffassung nach ist das Vorliegen unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände zum Zeitpunkt des Rücktritts von der Pauschalreise zu beurteilen. Die bloße Gefahr hingegen, dass solche Umstände in der Zukunft eintreten, könne jedoch kein Recht des Reisenden zum Rücktritt von der Pauschalreise begründen.

27.

Die Fragen des vorlegenden Gerichts beziehen sich jedoch nicht darauf, ob der Kläger unter den Umständen dieses konkreten Falles berechtigt war, gemäß Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 vom Vertrag zurückzutreten, ohne eine Rücktrittsgebühr zu zahlen. Daher wird diese Frage im Rahmen der vorliegenden Rechtssache nicht geprüft. Der Gerichtshof hat unter Berücksichtigung der in der Vorlageentscheidung dargelegten tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu entscheiden ( 12 ).

Zur ersten Frage

28.

Mit seiner ersten Frage spricht das vorlegende Gericht im Wesentlichen das Problem der Gültigkeit von Art. 5 der Richtlinie 2015/2302 im Hinblick auf Art. 169 Abs. 1 und 2 Buchst. a AEUV in Verbindung mit Art. 114 Abs. 3 AEUV an. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die Zweifel des vorlegenden Gerichts an der Gültigkeit dieser Bestimmung auf der Prämisse beruhen, dass diese Bestimmung die Information über das in Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehene Recht nicht zu den Informationen zählt, die dem Reisenden vor Vertragsschluss zwingend zu erteilen sind.

29.

Hierzu ist festzustellen, dass, worauf die tschechische und die finnische Regierung sowie der Rat, das Parlament und die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen hingewiesen haben, diese Annahme, die den Zweifeln des vorlegenden Gerichts an der Gültigkeit von Art. 5 der Richtlinie 2015/2302 zugrunde liegt, unzutreffend ist.

30.

Art. 5 der Richtlinie 2015/2302, der die Verpflichtung zur Erteilung vorvertraglicher Informationen regelt, ist nämlich im Licht des Inhalts des in Anhang I Teil A und Teil B genannten Standardinformationsblatts zu lesen. Insbesondere müssen dem Reisenden von dem Reiseveranstalter nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2015/2302 die jeweiligen Standardinformationen durch das zutreffende Formblatt gemäß Anhang I Teil A oder Teil B und, sofern diese Informationen für die betreffende Pauschalreise relevant sind, die in dieser Bestimmung dargestellten Informationen bereitgestellt werden.

31.

Das Standardinformationsblatt in Anhang I Teil A und Teil B der Richtlinie 2015/2302 enthält die wichtigsten Rechte, über die die Reisenden zu informieren sind. Zu diesen Rechten gehört gemäß dem siebten Gedankenstrich in Teil A und Teil B dieses Anhangs das Recht der Reisenden, „bei Eintritt außergewöhnlicher Umstände vor Beginn der Pauschalreise ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Vertrag zurücktreten, beispielsweise wenn am Bestimmungsort schwerwiegende Sicherheitsprobleme bestehen, die die Pauschalreise voraussichtlich beeinträchtigen“. Obwohl die Vorschrift der Richtlinie 2015/2302, aus der sich dieses Recht genau ergibt, nämlich Art. 12 Abs. 2, im Text des Standardinformationsblatts nicht ausdrücklich genannt wird, ist klar, dass das Formular den Inhalt dieses Rechts wiedergeben muss.

32.

Im Übrigen hat die Kommission darauf hingewiesen, dass Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 und deren Anhang I ordnungsgemäß in das spanische Recht und insbesondere in das Allgemeine Gesetz zum Schutz der Verbraucher und Nutzer umgesetzt worden sind.

33.

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass Art. 5 der Richtlinie 2015/2302 zu den obligatorischen vorvertraglichen Informationen, die den Reisenden zur Verfügung zu stellen sind, auch das diesen durch Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie eingeräumte Recht zählt, im Falle unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände vor Beginn der Pauschalreise unter vollständiger Erstattung der geleisteten Zahlungen vom Pauschalreisevertrag zurückzutreten, wenn unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigen. Folglich ist die gegenteilige Annahme, die den Zweifeln des vorlegenden Gerichts an der Gültigkeit von Art. 5 der Richtlinie 2015/2302 zugrunde liegt, tatsächlich unrichtig.

34.

Somit hat die Prüfung der ersten Frage keine Gesichtspunkte ergeben, die gegen die Gültigkeit von Art. 5 der Richtlinie 2015/2302 sprechen könnten.

Zur zweiten Frage

35.

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem vorlegenden Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Im Hinblick darauf muss der Gerichtshof die Vorlagefragen gegebenenfalls umformulieren. Der Gerichtshof kann veranlasst sein, für seine sachdienliche Antwort unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat ( 13 ).

36.

Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ist, wie die spanische und die finnische Regierung sowie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen im Wesentlichen ausgeführt haben, festzustellen, dass sich aus dem Kontext der zweiten Frage ergibt, dass das vorlegende Gericht um Auslegung von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 ersucht und dass die in dieser Frage enthaltene Bezugnahme auf Art. 15 dieser Richtlinie auf einem Schreibfehler beruht.

37.

Im Licht dieser Erwägungen ist die zweite Vorlagefrage dahin umzuformulieren, dass das vorlegende Gericht mit dieser Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 in Verbindung mit den Art. 114 und 169 AEUV dahin auszulegen ist, dass er der Anwendung von Grundsätzen des nationalen Verfahrensrechts entgegensteht, wonach ein mit einem Rechtsstreit befasstes nationales Gericht dem Verbraucher nicht von Amts wegen den vollen ihm zustehenden Erstattungsbetrag zusprechen darf, wenn er einen geringeren Betrag begehrt.

38.

Um diese Frage zu beantworten, sind einige Feststellungen zu ihrer Tragweite zu treffen. Wie bereits erwähnt ( 14 ), hat das vorlegende Gericht mit Beschluss vom 15. September 2021 die Parteien aufgefordert, sich zu bestimmten Fragen zu äußern, u. a. auch zu der Frage, ob das vorlegende Gericht zum einen befugt ist, den Verbraucher von Amts wegen über den Umfang seiner Rechte zu belehren, und ob es zum anderen dem Verbraucher einen über den Antrag hinausgehenden Betrag zusprechen kann. Der Verbraucher hat sich zu diesen Fragen nicht geäußert. In der mündlichen Verhandlung hat die spanische Regierung vorgetragen, sie verstehe den Beschluss dahin, dass das vorlegende Gericht den Verbraucher über seine Rechte belehrt habe. Der Verbraucher habe jedoch nichts unternommen. Meines Erachtens lässt sich aus dem Beschluss vom 15. September 2021, wie er vom vorlegenden Gericht dargestellt wird, und aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten nicht schließen, dass das nationale Gericht den Verbraucher tatsächlich über seine Rechte informiert hat.

39.

In Anbetracht dieser Erwägungen gliedert sich meine Analyse wie folgt. Zunächst werde ich einführend die wichtigsten Aspekte der Verpflichtung der nationalen Gerichte zur Anwendung der Verbraucherschutzvorschriften der Union von Amts wegen darstellen. Zweitens werde ich der Frage nachgehen, ob ein nationales Gericht verpflichtet ist, Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 von Amts wegen anzuwenden. Schließlich werde ich die Frage erörtern, ob ein nationales Gericht befugt sein sollte, einen höheren Betrag zuzusprechen als den, den der Verbraucher in seinem Antrag gefordert hat.

(a) Verpflichtung der nationalen Gerichte, die Verbraucherschutzvorschriften des Unionsrechts von Amts wegen anzuwenden

40.

Der Gerichtshof hat sich bereits mehrfach dazu geäußert, wie die nationalen Gerichte den Schutz der den Verbrauchern aus dem EU-Verbraucherschutzrecht erwachsenden Rechte zu gewährleisten haben, und wie sich dieses Recht auf die Befugnisse der Gerichte auswirkt, die Bestimmungen des EU-Verbraucherschutzrechts von Amts wegen anzuwenden.

41.

Die wichtigste Linie dieser Rechtsprechung betrifft die Richtlinie 93/13 ( 15 ). Das nationale Gericht hat von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 fällt, zu prüfen und damit dem Ungleichgewicht zwischen dem Verbraucher und dem Gewerbetreibenden abzuhelfen, sobald es über die hierfür erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt ( 16 ).

42.

Der Grundsatz der Kontrolle missbräuchlicher Vertragsklauseln von Amts wegen beruht auf einer Kombination verschiedener Gesichtspunkte, die sich im Wesentlichen aus dem durch die Richtlinie 93/13 geschaffenen Schutzsystem, aus dem zwingenden Charakter der betreffenden Vorschriften, aus Natur und Bedeutung des öffentlichen Interesses, auf dem der Verbraucherschutz beruht, und aus Erwägungen der Effektivität ergeben.

43.

Insbesondere hat der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung die Natur und Bedeutung des öffentlichen Interesses hervorgehoben, auf dem der Schutz beruht, der Verbrauchern gewährt wird, weil sie sich gegenüber den Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befinden und einen geringeren Informationsstand besitzen ( 17 ). Er hat ferner betont, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 eine zwingende Bestimmung ist, die darauf abzielt, die nach dem Vertrag bestehende formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so ihre Gleichheit wiederherzustellen ( 18 ). Diese Bestimmung ist als den im nationalen Recht zwingenden innerstaatlichen Vorschriften gleichwertig anzusehen ( 19 ).

44.

Darüber hinaus verpflichtet die Richtlinie 93/13, wie sich aus ihrem Art. 7 Abs. 1 in Verbindung mit ihrem 24. Erwägungsgrund ergibt, die Mitgliedstaaten, angemessene und wirksame Mittel vorzusehen, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen ein Ende gesetzt wird ( 20 ).

45.

Die Erwägungen, die eine positive Intervention des nationalen Gerichts rechtfertigen, um dem Ungleichgewicht zwischen dem Verbraucher und dem Gewerbetreibenden abzuhelfen, beschränken sich nicht allein auf die Richtlinie 93/13. Der Gerichtshof hat die nationalen Gerichte auf der Grundlage des Effektivitätsgrundsatzes und ungeachtet entgegenstehender nationaler Bestimmungen dazu verpflichtet, bestimmte Vorschriften in EU-Richtlinien zum Verbraucherschutz von Amts wegen anzuwenden. Dieses Erfordernis wird durch die Erwägung gerechtfertigt, dass das durch diese Richtlinien geschaffene Schutzsystem davon ausgeht, dass sich der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt und dass eine nicht zu unterschätzende Gefahr besteht, dass sich der Verbraucher vor allem aus Unkenntnis nicht auf eine seinem Schutz dienende Rechtsnorm beruft ( 21 ).

46.

Insbesondere hatte der Gerichtshof Gelegenheit, über die von Amts wegen erfolgende Anwendung einiger Bestimmungen der Richtlinie 1999/44/EG ( 22 ) (Urteile Duarte Hueros ( 23 ) und Faber ( 24 )) sowie der Richtlinie 87/102/EWG ( 25 ) (Urteil Rampion und Godard ( 26 )) durch die Gerichte zu entscheiden. Darüber hinaus hat der Gerichtshof wiederholt an die Verpflichtung der nationalen Gerichte erinnert, von Amts wegen Verstöße gegen bestimmte Vorschriften des EU-Verbraucherschutzrechts zu prüfen, insbesondere in Bezug auf die Richtlinie 85/577/EWG ( 27 ) (Urteil Martín Martín ( 28 )) und die Richtlinie 2008/48/EG ( 29 ) (Urteile Radlinger und Radlingerová ( 30 ) und OPR-Finance ( 31 )).

47.

Die Umsetzung dieser Verpflichtung zur positiven Intervention durch die Gerichte setzt voraus, dass die hierfür erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen zur Verfügung stehen ( 32 ).

48.

Das nationale Gericht muss nämlich, wenn es von Amts wegen einen Verstoß gegen bestimmte unionsrechtliche Verpflichtungen im Bereich des Verbraucherschutzes festgestellt hat, vorbehaltlich der Wahrung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens alle nach nationalem Recht daraus resultierenden Konsequenzen ziehen, ohne einen entsprechenden Antrag des Verbrauchers abzuwarten, sofern die im nationalen Recht vorgesehenen Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind ( 33 ).

49.

Die von Amts wegen erfolgende Anwendung des EU-Verbraucherschutzrechts durch die nationalen Gerichte kann Auswirkungen auf das nationale Verfahrensrecht haben. Nach dem Grundsatz der auf nationaler Ebene bestehenden Verfahrensautonomie sind in Ermangelung einer unionsrechtlichen Regelung die Modalitäten der Verfahren zum Schutz der unionsrechtlichen Rechte Einzelner Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten, wobei der Äquivalenzgrundsatz und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind ( 34 ). In Bezug auf den Effektivitätsgrundsatz hat der Gerichtshof entschieden, dass die Wahrung dieses Grundsatzes aber nicht so weit geht, eine völlige Untätigkeit des betroffenen Verbrauchers auszugleichen ( 35 ).

50.

Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Effektivität der Rechte sicherzustellen, die dem Einzelnen aus dem Unionsrecht zum Verbraucherschutz erwachsen, impliziert im Übrigen das Erfordernis eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, wie es in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist; dieser Schutz gilt u. a. für die Festlegung der Verfahrensmodalitäten für Klagen, die sich auf solche Rechte stützen ( 36 ).

51.

Aus all diesen Erwägungen ergibt sich, dass, wie in der rechtswissenschaftlichen Literatur treffend bemerkt wurde, sich das Erfordernis einer positiven Intervention der nationalen Gerichte in Verbraucherschutzstreitigkeiten zu einer „echten Europäischen Regelung der Anwendung von Amts wegen“ ( 37 ) entwickelt hat, die einen „umfassenden Verfahrensrechtsschutz“ in das EU-Verbraucherrecht einführt ( 38 ).

(b) Befugnisse der Gerichte zum Tätigwerden von Amts wegen im Rahmen der Richtlinie 2015/2302

52.

Der umfassende Charakter der Ex‑officio-Doktrin veranlasst mich zu der Annahme, dass die Gründe, die der Verpflichtung der nationalen Gerichte, das EU-Verbraucherschutzrecht von Amts wegen anzuwenden, zugrunde liegen, gleichermaßen im Hinblick auf die Richtlinie 2015/2302 gelten. Eine andere Auslegung würde, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, zu Unstimmigkeiten im Verbraucherschutz führen.

53.

Alle Beteiligten, die an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben, haben anerkannt, dass die nationalen Gerichte verpflichtet sind, Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 von Amts wegen anzuwenden und das Recht des Verbrauchers, vom Vertrag ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr zurückzutreten, anzuerkennen, wenn sie über die hierfür erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügen. Dabei ist es grundsätzlich Sache des nationalen Gerichts, zur Ermittlung der Rechtsvorschriften, die in einem bei ihm anhängigen Rechtsstreit anwendbar sind, die Tatsachen und Handlungen rechtlich einzuordnen, die die Parteien zur Stützung ihrer Anträge geltend gemacht haben ( 39 ). Im Ausgangsverfahren müsste daher das nationale Gericht prüfen, ob die Umstände, auf die sich der Kläger zur Begründung seines Antrags beruft, als „unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände“ angesehen werden können, die das in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 vorgesehene Recht entstehen lassen.

54.

Darüber hinaus wird in Anhang I Teil A und Teil B dieser Richtlinie das Recht des Reisenden, jederzeit vor Beginn der Pauschalreise ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Vertrag zurückzutreten, als eines der „wichtigste[n] Rechte“ angesehen. In Anbetracht seiner Bedeutung zählt dieses Recht zu den vorvertraglichen Informationen, die der Veranstalter dem Reisenden gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 bereitzustellen hat ( 40 ). Aus dem 26. Erwägungsgrund der Richtlinie 2015/2302 geht hervor, dass es sich bei diesen vorvertraglichen Informationen um „Basisinformationen“ handelt, die „verbindlich“ sein sollten. Daher ist das Recht, im Falle unvermeidbarer und außergewöhnlicher Umstände ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Vertrag zurückzutreten, im Rahmen der Systematik der Richtlinie 2015/2302 von Bedeutung. Es trägt auch zur Verwirklichung des Ziels dieser Richtlinie bei; dieses besteht, wie sich aus Art. 1 dieser Richtlinie in Verbindung mit ihren Erwägungsgründen 3 ( 41 ) und 5 ergibt, darin, ein hohes und möglichst einheitliches Verbraucherschutzniveau bei Verträgen über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen zwischen Reisenden und Unternehmern zu erreichen.

55.

Angesichts der nicht zu unterschätzenden Gefahr, dass der Verbraucher seine Rechte nicht kennt oder Schwierigkeiten hat, sie auszuüben, könnte dieses Ziel nicht wirksam erreicht werden, wenn sich der Verbraucher selbst auf die ihm zustehenden Rechte gegenüber dem Veranstalter berufen müsste ( 42 ). Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht nämlich hervor, dass in Verbraucherrechtsverfahren eine nicht zu unterschätzende Gefahr besteht, dass sich der Verbraucher vor allem aus Unkenntnis nicht auf eine seinem Schutz dienende Rechtsnorm beruft ( 43 ). Diese Gefahr wird in Situationen, in denen der Betreffende – wie im Ausgangsverfahren – nicht anwaltlich vertreten ist, noch verschärft.

56.

Darüber hinaus ergibt sich aus Art. 23 der Richtlinie 2015/2302 in Verbindung mit deren 46. Erwägungsgrund, dass die dort genannten Rechte der Reisenden unabdingbar sind. Insoweit ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung aus dem zwingenden Charakter der Bestimmungen der EU-Verbraucherschutzrichtlinien das Erfordernis abgeleitet hat, dass diese von den Gerichten von Amts wegen anzuwenden sind. Diese Feststellung wurde unter Bezugnahme auf Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 ( 44 ), aber auch im Hinblick auf andere Bestimmungen des EU-Verbraucherschutzrechts getroffen. Im Urteil Faber ( 45 ) hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass die Regelung zur Verteilung der Beweislast, die Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44 vornimmt, nach Art. 7 dieser Richtlinie sowohl für die Parteien, die davon nicht durch eine Vereinbarung abweichen dürfen, als auch für die Mitgliedstaaten, die auf ihre Einhaltung achten müssen, unabdingbar ist. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass eine solche Vorschrift von den Gerichten von Amts wegen auch dann anzuwenden ist, wenn sich der Verbraucher, dem sie zugutekommen kann, nicht ausdrücklich auf sie berufen hat.

57.

Daher ist in Analogie hierzu auch anzuerkennen, dass der verbindliche Charakter des in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 verankerten Rechts des Reisenden in Verbindung mit Art. 23 dieser Richtlinie verlangt, dass die nationalen Gerichte dieses Recht von Amts wegen anerkennen und den Verbraucher, dem das Recht zugutekommt, ordnungsgemäß belehren, auch wenn dieser sich nicht ausdrücklich darauf berufen hat.

58.

Im Ausgangsverfahren hatte der Veranstalter zudem seine Verpflichtung, den Verbraucher über sein Recht zum Rücktritt vom Vertrag zu informieren, verletzt. Die von Amts wegen erfolgende Anerkennung des dem Verbraucher zustehenden Rechts durch das nationale Gericht wäre daher ein angemessenes und wirksames Mittel, um die Einhaltung der Richtlinie 2015/2302 sicherzustellen, wie es Art. 24 dieser Richtlinie verlangt.

59.

Ich stimme der finnischen Regierung zu, die in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass ein nationales Gericht den Verbraucher über seine Rechte belehren sollte, wenn es Zweifel daran hat, dass dieser sie aus Unkenntnis nicht in vollem Umfang geltend macht. Der „geringste Anhaltspunkt“ ( 46 ) in diesem Sinne sollte genügen. Von einem solchen Anhaltspunkt sollte unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens auszugehen sein, wenn der Veranstalter seine vorvertragliche Informationspflicht verletzt hat oder wenn die zur Verfügung gestellten Informationen nicht, wie von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2015/2302 verlangt, „klar, verständlich und deutlich“ mitgeteilt wurden.

60.

Die finnische Regierung hat in der mündlichen Verhandlung des Weiteren zu Recht darauf hingewiesen, dass die Belehrung des Verbrauchers durch das nationale Gericht eine prozessleitende Maßnahme ist. Es handelt sich dabei um einen gesonderten Verfahrensschritt, der sich an beide Parteien richtet und in der von den nationalen Verfahrensvorschriften dafür vorgesehenen Form vorgenommen wird ( 47 ). Wie bereits ausgeführt ( 48 ), muss das nationale Gericht, wenn es einen Klagegrund von Amts wegen prüft, nach dem Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens vorgehen und beide Parteien auffordern, sich zur Beurteilung des Gerichts zu äußern.

61.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass ein wirksamer Verbraucherschutz nur erreicht werden kann, wenn das nationale Gericht, sofern es über die hierfür erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt, verpflichtet wäre, Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 von Amts wegen anzuwenden und den Verbraucher ordnungsgemäß über sein in dieser Bestimmung vorgesehenes Recht, ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Vertrag zurückzutreten, zu belehren, sofern der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens beachtet wird.

(c) Grenzen der Befugnisse der Gerichte, von Amts wegen zu handeln: der Ne‑ultra‑petita -Grundsatz

62.

Die nächste aufgeworfene Frage befasst sich damit, ob die Verpflichtung des nationalen Gerichts, Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 von Amts wegen anzuwenden und den Verbraucher ordnungsgemäß über die ihm aus dieser Bestimmung erwachsenden Rechte zu belehren, auch bedeutet, dass das nationale Gericht über den vom Verbraucher geltend gemachten Betrag hinaus von Amts wegen eine vollständige Erstattung gewähren muss. Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob es einem wirksamen Verbraucherschutz zuwiderliefe, unter solchen Umständen die Dispositionsmaxime, d. h. den Grundsatz, dass der Gegenstand des Rechtsstreits von den Parteien bestimmt wird, sowie den Ne‑ultra‑petita-Grundsatz anzuwenden.

63.

Insoweit ist klarzustellen, dass das Gericht das Recht von Amts wegen im Rahmen seiner Zuständigkeit und innerhalb der durch den Streitgegenstand des bei ihm anhängigen Rechtsstreits bestimmten Grenzen anwendet. Es ist daher wichtig, zwei verschiedene Aspekte richterlicher Befugnisse zu unterscheiden. Es ist das eine, die Befugnis eines Gerichts anzuerkennen, von Amts wegen die Bestimmungen zum Verbraucherschutz anzuwenden und den Verbraucher ordnungsgemäß über seine ihm hieraus erwachsenden Rechte zu belehren. Etwas anderes ist es jedoch, nach einer ordnungsgemäßen Belehrung des Verbrauchers eine Befugnis des Gerichts anzunehmen, die durch den Streitgegenstand gesetzten Grenzen zu überschreiten und von Amts wegen mehr zuzusprechen, als der Verbraucher gefordert hat.

64.

Alle Beteiligten haben die Bedeutung des Grundsatzes, dass der Streitgegenstand von den Parteien bestimmt wird (Dispositionsmaxime), betont ( 49 ). Es ist darauf hinzuweisen, dass die Doktrin von der von Amts wegen erfolgenden Anwendung des Verbraucherschutzrechts nur so weit geht, notwendige Korrekturen dieses Grundsatzes vorzunehmen, um dadurch das zwischen dem Verbraucher und dem Gewerbetreibenden bestehende Ungleichgewicht zu korrigieren. Es geht nicht darum, Grundprinzipien des Zivilprozesses außer Acht zu lassen oder ein „paternalistisches“ Gerichtswesen zu schaffen ( 50 ). Wie der Gerichtshof im Urteil Lintner ( 51 ) festgestellt hat, darf die Wirksamkeit des Schutzes, den das nationale Gericht dem Verbraucher durch ein Eingreifen von Amts wegen gewähren soll, „nicht so weit gehen, dass die Grenzen des Streitgegenstands, wie er von den Parteien durch ihre Ansprüche in Verbindung mit den von ihnen vorgebrachten Gründen bestimmt wurde, missachtet oder überschritten werden, so dass dieses nationale Gericht nicht verpflichtet ist, den Rechtsstreit über die bei ihm gestellten Anträge und vorgebrachten Gründe hinaus auszudehnen“. Alles andere würde den Grundsatz ne ultra petita außer Acht lassen, da dies dem Richter erlauben würde, die durch die Anträge und die Gründe der Parteien gesetzten Grenzen des Streitgegenstands außer Acht zu lassen oder zu überschreiten ( 52 ).

65.

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof den Wünschen, die der Verbraucher im Verfahren geäußert hat, besondere Bedeutung beigemessen hat. Der Gerichtshof hat im Zusammenhang mit der Verpflichtung des nationalen Gerichts, gegebenenfalls von Amts wegen missbräuchliche Klauseln gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 außer Acht zu lassen, klargestellt, dass dieses Gericht die fragliche Klausel dann nicht unangewendet lassen muss, wenn der Verbraucher nach einem entsprechenden Hinweis dieses Gerichts die Missbräuchlichkeit und Unverbindlichkeit der Klausel nicht geltend machen möchte und dieser somit freiwillig und aufgeklärt zustimmt ( 53 ).

66.

Das durch das EU-Verbraucherschutzrecht geschaffene und zugunsten der Verbraucher eingeführte Schutzsystem kann somit nicht so weit gehen, dass es diesen aufgezwungen wird. Folglich wird dieses Schutzsystem, wenn der Verbraucher es vorzieht, sich nicht darauf zu berufen, nicht angewandt ( 54 ). Der Verbraucher kann einer von Amts wegen erfolgenden Anwendung des Rechts in dem ihn betreffenden Fall widersprechen ( 55 ).

67.

Dieselben Erwägungen sollten im Zusammenhang mit dem durch die Richtlinie 2015/2302 errichteten Schutzsystem zur Anwendung kommen. Wenn also der Verbraucher, nachdem er vom Gericht ordnungsgemäß über seine Rechte und die zu ihrer Geltendmachung zur Verfügung stehenden verfahrensrechtlichen Mittel belehrt worden ist, diesen Schutz nicht in Anspruch nehmen will, kann der Grundsatz der Effektivität nicht so weit ausgelegt werden, dass das nationale Gericht verpflichtet wäre, unter Verstoß gegen den Ne‑ultra‑petita-Grundsatz den Klagegegenstand zu erweitern.

68.

In der mündlichen Verhandlung hat die Kammer Fragen und Anmerkungen zu den legitimen Gründen gestellt bzw. geäußert, aus denen sich die Entscheidung des Verbrauchers, weniger zu fordern als ihm zusteht, erklären könnte. Je nach Ausgestaltung der Rechtsordnung können solche Gründe nämlich auch auf Erwägungen zurückzuführen sein, die mit dem anwendbaren Verfahren in Zusammenhang stehen ( 56 ). Es ist auch nicht auszuschließen, dass persönliche Erwägungen eine Rolle spielen ( 57 ). Bleibt der Verbraucher unter solchen Umständen untätig, nachdem ihn das nationale Gericht über seine Rechte und die Mittel zu ihrer Geltendmachung informiert hat, kann vernünftigerweise davon ausgegangen werden, dass er in Kenntnis der Sachlage die freie Entscheidung getroffen hat, den ursprünglichen Klageantrag aufrechtzuerhalten.

69.

Im Hinblick auf das Ausgangsverfahren kann jedoch, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, nicht davon ausgegangen werden, dass der Verbraucher, der sich zu den vom nationalen Gericht aufgeworfenen Fragen nicht geäußert hat, in Kenntnis der Sachlage die freie Entscheidung getroffen hat, den ursprünglichen Klageantrag aufrechtzuerhalten. Wie oben festgestellt worden ist ( 58 ), geht aus den Akten nicht eindeutig hervor, ob das vorlegende Gericht dem Verbraucher seine Rechte und die zu ihrer Geltendmachung zur Verfügung stehenden verfahrensrechtlichen Mittel erläutert hat.

70.

Es ist ferner wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, dass die nationalen Gerichte nicht generell verpflichtet sind, über den Rahmen des Rechtsstreits hinauszugehen und mehr oder etwas anderes zuzusprechen als das, was beantragt wurde. Dies gilt insbesondere für das Recht des Verbrauchers, die Rückerstattung von Beträgen zu erwirken, die er aufgrund einer missbräuchlichen Vertragsklausel zu Unrecht gezahlt hat. Hierfür müssen besondere und außergewöhnliche Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, dass dem Verbraucher die verfahrensrechtlichen Mittel vorenthalten werden, die es ihm ermöglichen, seine Rechte nach dem EU-Verbraucherschutzrecht geltend zu machen ( 59 ).

71.

In einem ähnlichen Sinn hat der Gerichtshof darüber hinaus entschieden, dass die nationalen Gerichte grundsätzlich nicht verpflichtet sind, von Amts wegen eine Verrechnung zwischen den aufgrund einer missbräuchlichen Klausel zu Unrecht geleisteten Zahlungen und dem aufgrund des Vertrags noch geschuldeten Restbetrag vorzunehmen, unbeschadet der Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität ( 60 ).

72.

Aus der Rechtsprechung ergibt sich daher, dass die Grundsätze der Effektivität und des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes die nationalen Gerichte nicht verpflichten, die durch die Anträge der Parteien gesetzten Grenzen des Streitgegenstands außer Acht zu lassen oder zu überschreiten. Diese Grundsätze verlangen jedoch, dass wirksame Mittel zur Verfügung stehen, die es dem Verbraucher ermöglichen, seine Rechte geltend zu machen und das einzufordern, was ihm zusteht.

73.

Somit stellt sich die Frage, ob im Ausgangsverfahren solche wirksamen verfahrensrechtlichen Mittel zur Verfügung standen. Die Vorlageentscheidung verweist lediglich auf die Bestimmung des nationalen Rechts, die den Grundsatz der Unveränderlichkeit des Rechtsstreits festlegt (Art. 412 Abs. 1 LEC). Das vorlegende Gericht hat sich jedoch nicht zur konkreten Anwendung dieses Grundsatzes in der spanischen Rechtsordnung geäußert ( 61 ). Es hat auch nicht erörtert, ob eine etwaige Erweiterung des Klageantrags eine Änderung der Zuständigkeit oder des anwendbaren Verfahrens zur Folge hätte. Mithin werden die verfahrensrechtlichen Mittel, mit denen der Verbraucher sein Recht auf Rückforderung des gesamten Betrags der geleisteten Zahlungen unter Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität ausüben kann, durch das nationale Verfahrensrecht bestimmt. Dies könnte z. B. dadurch geschehen, dass eine neue Klage eingereicht oder der Streitgegenstand vor dem vorlegenden Gericht auf Nachfrage des Gerichts erweitert wird ( 62 ). Insoweit ist daran zu erinnern, dass der Umstand, dass ein bestimmtes Verfahren gewisse prozessuale Anforderungen mit sich bringt, die der Verbraucher erfüllen muss, um seine Rechte geltend zu machen, nicht bedeutet, dass er keinen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz genießt ( 63 ). Wie ich jedoch bereits ausgeführt habe, müssen die zur Geltendmachung dieser Rechte zur Verfügung stehenden verfahrensrechtlichen Mittel einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewährleisten.

74.

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen komme ich zu dem Ergebnis, dass Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 in Verbindung mit den Art. 114 und 169 AEUV dahin auszulegen ist, dass er der Anwendung von Grundsätzen des nationalen Verfahrensrechts nicht entgegensteht, wonach das mit dem Rechtsstreit befasste nationale Gericht dem Verbraucher nicht von Amts wegen die volle Erstattung des ihm zustehenden Betrags zusprechen darf, wenn der Verbraucher einen geringeren Betrag geltend gemacht hat. Das nationale Gericht ist jedoch verpflichtet, Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 von Amts wegen anzuwenden, wenn es über alle hierfür erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt, und unter der weiteren Voraussetzung, dass der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens beachtet wird. Insbesondere ist das nationale Gericht verpflichtet, den Verbraucher über die Rechte, die ihm aus dieser Bestimmung erwachsen, und über die zur Geltendmachung dieser Rechte zur Verfügung stehenden verfahrensrechtlichen Mittel ordnungsgemäß zu belehren, sofern diese Mittel einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewährleisten.

Ergebnis

75.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Juzgado de Primera Instancia no 5 de Cartagena (Gericht erster Instanz Nr. 5, Cartagena, Spanien) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.

Die Prüfung der ersten Frage hat keine Gesichtspunkte ergeben, die die Gültigkeit von Art. 5 der Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG in Frage stellen könnten.

2.

Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 in Verbindung mit den Art. 114 und 169 AEUV ist dahin auszulegen, dass er der Anwendung von Grundsätzen des nationalen Verfahrensrechts nicht entgegensteht, wonach das mit dem Rechtsstreit befasste nationale Gericht dem Verbraucher nicht von Amts wegen die vollständige Erstattung der ihm zustehenden Beträge zusprechen darf, wenn der Verbraucher einen geringeren Betrag geltend gemacht hat. Das nationale Gericht ist jedoch verpflichtet, Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 von Amts wegen anzuwenden, wenn es über alle hierfür erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt und der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens beachtet wird. Insbesondere ist das nationale Gericht verpflichtet, den Verbraucher ordnungsgemäß über die ihm aus dieser Bestimmung erwachsenden Rechte und über die zu ihrer Geltendmachung zur Verfügung stehenden verfahrensrechtlichen Mittel zu belehren, sofern diese einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewährleisten.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Vgl. näher UNWTO, Secretary-General’s Policy Brief on Tourism and COVID‑19 (abrufbar unter https://www.unwto.org/tourism-and-covid-19-unprecedented-economic-impacts).

( 3 ) Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates (ABl. 2015, L 326, S. 1).

( 4 ) Vgl. Terryn, E., Straetmans, G. und Colaert, V. (Hrsg.), Landmark Cases of EU Consumer Law, In Honour of Jules Stuyck, Intersentia, Cambridge – Antwerpen – Portland, 2013.

( 5 ) Urteil vom 27. Juni 2000, Océano Grupo Editorial und Salvat Editores (C‑240/98 bis C‑244/98, EU:C:2000:346; im Folgenden: Urteil in der Rechtssache Océano Grupo).

( 6 ) Urteil vom 21. November 2002, Cofidis (C‑473/00, EU:C:2002:705).

( 7 ) Urteil vom 14. März 2013, Aziz (C‑415/11, EU:C:2013:164). Eine detaillierte Analyse der Rechtssache im Zusammenhang mit Hypothekenvollstreckungsverfahren findet sich bei Fernández Seijo, J. M., La Tutela de los consumidores en los procedimientos judiciales, Especial referencia a las ejecuciones hipotecarias, Wolters Kluwer, Barcelona, 2013.

( 8 ) Nicola, F. und Tichadou, E., „Océano Grupo: A Transatlantic Victory for the Consumer and a Missed Opportunity for European Law“, in Nicola, F. und Davies, B. (Hrsg.), EU Law Stories, Contextual and Critical Histories of European Jurisprudence, Cambridge University Press, 2017, S. 390.

( 9 ) Der Roman von Emmanuel Carrère, D’autres vies que la mienne (Folio, 2010), schildert die persönliche Geschichte des französischen Richters Etienne Rigal, der das Vorabentscheidungsersuchen im Urteil vom 21. November 2002, Cofidis (C‑473/00, EU:C:2002:705), stellte. Das Buch inspirierte wiederum den Film Toutes nos envies (2010) (Regie: Philippe Lioret) mit Vincent Lindon in der Rolle des Richters.

( 10 ) Vgl. Werbrouck, J. und Dauw, E., „The national courts’ obligation to gather and establish the necessary information for the application of consumer law – the endgame?“, European Law Review, 46(3), 2021, S. 331 und 337.

( 11 ) Poillot, E., „Cour de justice, 3e ch., 11 mars 2020, Györgyné Lintner c/UniCredit Bank Hungary Zrt., aff.C‑511/17, ECLI:EU:C:2020:188’, in Picod, F. (Hrsg.), Jurisprudence de la CJUE 2020: décisions et commentaires, Bruylant, 2021, S. 966 („âge de raison“ im französischen Original).

( 12 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. März 2015, Statoil Fuel & Retail (C‑553/13, EU:C:2015:149, Rn. 33).

( 13 ) Urteil vom 9. September 2021, LatRailNet/Latvijas dzelzceļš (C‑144/20, EU:C:2021:717, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 14 ) Oben Nr. 20.

( 15 ) Richtlinie des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29). Eine systematische Darstellung dieser Rechtsprechung findet sich in der Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Auslegung und Anwendung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 2019, C 323 S. 4), Abschnitt 5.

( 16 ) Urteil vom 17. Mai 2022, Ibercaja Banco (C‑600/19, EU:C:2022:394, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 17 ) Urteil vom 4. Juni 2020, Kancelaria Medius (C‑495/19, EU:C:2020:431, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Saggio in den verbundenen Rechtssachen Océano Grupo Editorial und Salvat Editores (C‑240/98 bis C‑244/98, EU:C:1999:620, Nr. 26), der darauf hinweist, dass die Richtlinie 93/13 dem Schutz von Interessen dient, die Teil der „wirtschaftlichen öffentlichen Ordnung“ sind und daher „über den besonderen Interessen der Parteien stehen“. Wie in der Literatur festgestellt wird, beeinträchtigt das erhebliche Ungleichgewicht im Vertragsverhältnis, das sich aus der Verwendung missbräuchlicher Vertragsklauseln ergibt, nicht nur die Privatsphäre des Verbrauchers, sondern „untergräbt … die Rechts- und Wirtschaftsordnung als Ganzes“; vgl. Podimata, E., „Standard Contract Terms and Rules on Procedure“, in Essays in Honour of Konstantinos D. Kerameus, Ant. N. Sakkoulas; Bruylant, Athen, Brüssel, 2009, S. 1079 bis 1093.

( 18 ) Urteil vom 17. Mai 2022, Ibercaja Banco (C‑600/19, EU:C:2022:394, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 19 ) Urteil vom 17. Mai 2022, Unicaja Banco (C‑869/19, EU:C:2022:397, Rn. 24). Vgl. Fekete, B. und Mancaleoni, A. M., „Application of Primary and Secondary EU Law on the National Courts’ Own Motion“, in Hartkamp, A., Sieburgh, C. und Devroe, W. (Hrsg.), Cases, Materials and Text on European Law and Private Law, Hart Publishing, Oxford und Portland, Oregon, 2017, S. 440, die darauf verweisen, dass „die Frage des Rangs der Vorschriften über Verbraucherverträge – ob sie lediglich zwingend sind oder ob sie dem Schutz der öffentlichen Ordnung dienen – insbesondere im niederländischen Recht ein wichtiges Thema war, das traditionell nur bei Vorschriften der öffentlichen Ordnung eine Anwendung von Amts wegen zulässt, nicht aber bei zwingenden Vorschriften (unabhängig davon, ob sie „nur“ einen Schutzzweck haben oder nicht)“.

( 20 ) Urteil vom 17. Mai 2022, Ibercaja Banco (C‑600/19, EU:C:2022:394, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 21 ) Urteil vom 4. Juni 2015, Faber (C‑497/13, EU:C:2015:357, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 22 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. 1999, L 171, S. 12).

( 23 ) Urteil vom 3. Oktober 2013, Duarte Hueros (C‑32/12, EU:C:2013:637, Rn. 39).

( 24 ) Urteil vom 4. Juni 2015, Faber (C‑497/13, EU:C:2015:357, Rn. 56).

( 25 ) Richtlinie des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit (ABl. 1987, L 42, S. 48).

( 26 ) Urteil vom 4. Oktober 2007, Rampion und Godard (C‑429/05, EU:C:2007:575, Rn. 65).

( 27 ) Richtlinie des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl. 1985, L 372, S. 31).

( 28 ) Urteil vom 17. Dezember 2009, Martín Martín (C‑227/08, EU:C:2009:792, Rn. 29).

( 29 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66; berichtigt in ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40 und ABl. 2011, L 234, S. 46).

( 30 ) Urteil vom 21. April 2016, Radlinger und Radlingerová (C‑377/14, EU:C:2016:283, Rn. 67).

( 31 ) Urteil vom 5. März 2020, OPR-Finance (C‑679/18, EU:C:2020:167, Rn. 23).

( 32 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. März 2020, OPR-Finance (C‑679/18, EU:C:2020:167, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zu den Umständen, unter denen das nationale Gericht verpflichtet sein kann, von Amts wegen Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen, um die Akte zu ergänzen, vgl. Urteil vom 11. März 2020, Lintner (C‑511/17, EU:C:2020:188, Rn. 35 bis 38).

( 33 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. März 2020, OPR-Finance (C‑679/18, EU:C:2020:167, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 34 ) Vgl. hierzu ausführlich Urteil vom 17. Mai 2022, Unicaja Banco (C‑869/19, EU:C:2022:397, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 35 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Mai 2022, Unicaja Banco (C‑869/19, EU:C:2022:397, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 36 ) Vgl. Urteil vom 17. Mai 2022, Unicaja Banco (C‑869/19, EU:C:2022:397, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 37 ) Poillot, E., ‘L’encadrement procédural de l’action des consommateurs’ in Sauphanor-Brouillaud, N. u. a.., Les contrats de consommation. Règles communes, L.G.D.J, Paris, 2013, S. 971 (‘un véritable régime européen du relevé d’office’ im französischen Original).

( 38 ) Micklitz, H., „Theme VIII. Unfair Contract Terms – Public Interest Litigation Before European Courts“, in Terryn, E., Straetmans, G. und Colaert, V. (Hrsg.), a.a.O., Anm. 4, S. 641.

( 39 ) Urteil vom 4. Juni 2015, Faber (C‑497/13, EU:C:2015:357, Rn. 38).

( 40 ) Vgl. dazu ausführlich meine Antwort auf die erste Frage.

( 41 ) Dieser Erwägungsgrund verweist auf die Bestimmungen des AEUV, auf die sich die zweite Frage bezieht, nämlich Art. 169 Abs. 1 AEUV und Art. 169 Abs. 2 Buchst. a AEUV, aus denen sich ergibt, dass die Europäische Union durch Maßnahmen nach Artikel 114 AEUV zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus beitragen soll.

( 42 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Oktober 2007, Rampion und Godard (C‑429/05, EU:C:2007:575, Rn. 65).

( 43 ) Urteil vom 5. März 2020, OPR-Finance (C‑679/18, EU:C:2020:167, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 44 ) Siehe oben, Nr. 43.

( 45 ) Urteil vom 4. Juni 2015, Faber (C‑497/13, EU:C:2015:357, Rn. 55).

( 46 ) In diesem Sinne Werbrouck, J. und Dauw, E., a.a.O., Anm. 10, S. 330.

( 47 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Februar 2013, Banif Plus Bank (C‑472/11, EU:C:2013:88, Rn. 31).

( 48 ) Nr. 48.

( 49 ) Vgl. zu einer detaillierten vergleichenden Analyse der Leitprinzipien des Zivilprozesses und der Auswirkungen des EU-Verbraucherschutzrechts Hess, B. und Law, S. (Hrsg.), Implementing EU Consumer Rights by National Procedural Law: Luxembourg Report on European Procedural Law, Volume II, Beck, Hart, Nomos, 2019.

( 50 ) Vgl. Beka, A., The Active Role of Courts in Consumer Litigation, Applying EU Law of the National Courts’ Own Motion, Intersentia, Cambridge, Antwerpen, Chicago, 2018, S. 354, der feststellt, dass ein aktives, im Interesse des Verbraucherschutzes handelndes Gericht kein „paternalistisches Gericht“ ist und dass „es innerhalb der Grenzen der zivilrechtlichen Justiz arbeitet, wenn auch angepasst an die Besonderheiten von Verbraucherrechtsstreitigkeiten“.

( 51 ) Urteil vom 11. März 2020, Lintner (C‑511/17, EU:C:2020:188, Rn. 30).

( 52 ) Urteil vom 11. März 2020, Lintner (C‑511/17, EU:C:2020:188, Rn. 31).

( 53 ) Urteil vom 3. Oktober 2019, Dziubak (C‑260/18, EU:C:2019:819, Rn. 53).

( 54 ) Urteil vom 3. Oktober 2019, Dziubak (C‑260/18, EU:C:2019:819, Rn. 54).

( 55 ) Vgl. Biardeaud, G. und Flores, P., Crédit à la consommation, Protection du consommateur, Delmas Express, Paris, 2012, S. 300.

( 56 ) Die spanische und die finnische Regierung haben darauf hingewiesen, dass ein möglicher Grund für die Einreichung einer Klage, mit der ein geringerer als der einem Kläger zustehende Betrag geltend gemacht wird, darin bestehen kann, dass unterhalb einer bestimmten Schwelle kein Anwaltszwang besteht. Eine weitere Überlegung könnte sein, dass das in einem Verfahren mit geringem Streitwert ergangene Urteil je nach den nationalen Rechtsvorschriften nicht angefochten werden kann. Die finnische Regierung hat vorgetragen, dass sich ein Kläger dafür entscheiden könne, einen geringeren Betrag einzuklagen, wenn er im Fall eines Teilerfolgs seine eigenen Kosten zu tragen habe und der Ausgang des Verfahrens ungewiss sei.

( 57 ) So könnte ein Verbraucher beispielsweise angesichts einer Pandemie die Ansicht vertreten, dass das Risiko der Vertragsbeendigung angemessen verteilt sein sollte.

( 58 ) Nr. 38.

( 59 ) Zwei Beispiele seien in diesem Zusammenhang genannt. Zum einen das Urteil vom 17. Mai 2022, Unicaja Banco (C‑869/19, EU:C:2022:397; im Folgenden: Urteil in der Rechtssache Unicaja Banco). Der Kontext dieses Urteils ist ein sehr spezifischer. Es ist im Licht des Urteils vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a. (C‑154/15, C‑307/15 und C‑308/15, EU:C:2016:980; im Folgenden: Urteil Gutiérrez Naranjo), auszulegen, in dem der Gerichtshof die Rechtsprechung des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) für unvereinbar mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 angesehen hat, die die mit der gerichtlichen Feststellung der Missbräuchlichkeit einer bestimmten Art von Klausel (im Folgenden: Mindestzinssatzklausel) verbundenen Restitutionswirkungen zeitlich auf diejenigen Beträge beschränkte, die aufgrund einer solchen Klausel nach der Verkündung der gerichtlichen Entscheidung, in der die Missbräuchlichkeit festgestellt wurde, rechtsgrundlos gezahlt wurden. In seinem Urteil in der Rechtssache Unicaja Banco hat der Gerichtshof im Wesentlichen entschieden, dass der Ne-ultra-petita-Grundsatz ein Gericht, das mit einer Berufung gegen ein Urteil befasst ist, mit dem die Erstattung der vom Verbraucher aufgrund einer für missbräuchlich erklärten Klausel rechtsgrundlos gezahlten Beträge einer zeitlichen Begrenzung unterworfen wird, nicht daran hindern solle, von Amts wegen einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 zu prüfen und eine vollständige Erstattung dieser Beträge anzuordnen, wenn das Versäumnis des betreffenden Verbrauchers, dieses Urteil anzufechten, nicht auf seine völlige Untätigkeit zurückzuführen sei. Unter den Umständen jenes Falles konnte die Tatsache, dass ein Verbraucher nicht innerhalb der angemessenen Frist Klage erhoben hat, darauf zurückzuführen sein, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem der Gerichtshof das Urteil in der Rechtssache Gutiérrez Naranjo verkündete, die Frist, innerhalb derer nach nationalem Recht eine Berufung oder eine Anschlussberufung eingelegt werden konnte, bereits verstrichen war. Das zweite Beispiel ist das Urteil vom 3. Oktober 2013, Duarte Hueros (C‑32/12, EU:C:2013:637). In dieser Rechtssache hatte der Verbraucher lediglich die Auflösung des Kaufvertrags aufgrund eines Mangels der Kaufsache beantragt. Das nationale Gericht ging davon aus, dass der Verbraucher, da es sich um einen geringfügigen Mangel handele, keinen Anspruch auf Vertragsauflösung habe, sondern stattdessen das Recht, eine angemessene Minderung des Kaufpreises zu verlangen. Das Recht auf Minderung konnte jedoch dem Kläger nicht mehr gewährt werden. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass im konkreten Fall die Anwendung des Grundsatzes der Kongruenz zwischen den Anträgen der Parteien und den gerichtlichen Entscheidungen geeignet sei, die Effektivität des Verbraucherschutzes zu beeinträchtigen, da das spanische Verfahrensrecht dem nationalen Gericht nicht erlaube, von Amts wegen den Anspruch des Verbrauchers auf angemessene Minderung des Kaufpreises des Verbrauchsguts zuzuerkennen, obwohl dieser weder berechtigt ist, seinen ursprünglichen Antrag zu präzisieren, noch eine neue Klage zu diesem Zweck zu erheben.

( 60 ) Urteil vom 30. Juni 2022, Profi Credit Bulgaria (Verrechnung von Amts wegen im Fall einer missbräuchlichen Klausel) (C‑170/21, EU:C:2022:518, Rn. 44).

( 61 ) Die Regeln, die auf die möglichen Änderungen des Streitgegenstands Anwendung finden, können je nach Rechtsordnung variieren. So dürfen z. B. nach französischem Zivilprozessrecht die Anträge der Parteien grundsätzlich nicht abgeändert werden, es sei denn, es handelt sich um Nebenforderungen, die mit den ursprünglichen Forderungen in einem hinreichenden Zusammenhang stehen (Art. 4 des Code de Procédure Civile [Zivilprozessordnung]). Vgl. Cadiet, L, Normand, J. und Amrani-Mekki, S., Théorie Générale du Procès, Thémis droit, Puf, 3. Aufl., 2020, S. 741, die erläutern, dass der Grundsatz der Unveränderbarkeit des Rechtsstreits in einen Grundsatz der von den Gerichten kontrollierten Veränderbarkeit umgewandelt wurde (principe directeur du procès, l’immutablité du litige s’est muée, au fil du temps, en principe de mutabilité contrôlée du litige’). In der deutschen Zivilprozessordnung sind Änderungen der Klage gemäß § 263 der Zivilprozessordnung (im Folgenden: ZPO) nach Eintritt der Rechtshängigkeit grundsätzlich nur zulässig, wenn der Beklagte einwilligt oder das Gericht eine solche Änderung für zweckdienlich erachtet. Allerdings nimmt § 264 ZPO bestimmte Fälle von den Vorschriften über die Klageänderung nach § 263 ZPO aus und ermöglicht dem Kläger im Interesse der Prozessökonomie, Änderungen vorzunehmen (Bacher, K. in Vorwerk, V. und Wolf, C., BeckOK ZPO, 47. Aufl., 2022, Verlag Beck München, § 264, Nr. 1). Ziel ist es, neue Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden und es den Parteien, aber auch der Justiz zu ersparen, sich immer wieder mit demselben Sachverhalt befassen zu müssen (vgl. Foerste, U. in Musielak, H.–J. und Voit, W., ZPO – Zivilprozessordnung, 19. Aufl., Verlag Franz Vahlen, 2022, § 264, Nr. 1).

( 62 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. März 2020, Lintner (C‑511/17, EU:C:2020:188, Rn. 39).

( 63 ) Urteil vom 31. Mai 2018, Sziber (C‑483/16, EU:C:2018:367, Rn. 50).

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