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Document 62021CJ0370

    Urteil des Gerichtshofs (Achte Kammer) vom 1. Dezember 2022.
    DOMUS-Software-AG gegen Marc Braschoß Immobilien GmbH.
    Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts München I.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2011/7/EU – Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr – Entschädigung für die dem Gläubiger bei einem Zahlungsverzug des Schuldners entstandenen Beitreibungskosten – Art. 6 – Pauschaler Mindestbetrag von 40 Euro – Mehrere verspätete Zahlungen, die als Entgelt für periodisch wiederkehrende Lieferungen von Waren oder Erbringungen von Dienstleistungen auf der Grundlage ein und desselben Vertrags zu leisten sind.
    Rechtssache C-370/21.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2022:947

     URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

    1. Dezember 2022 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2011/7/EU – Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr – Entschädigung für die dem Gläubiger bei einem Zahlungsverzug des Schuldners entstandenen Beitreibungskosten – Art. 6 – Pauschaler Mindestbetrag von 40 Euro – Mehrere verspätete Zahlungen, die als Entgelt für periodisch wiederkehrende Lieferungen von Waren oder Erbringungen von Dienstleistungen auf der Grundlage ein und desselben Vertrags zu leisten sind“

    In der Rechtssache C‑370/21

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht München I (Deutschland) mit Entscheidung vom 19. April 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Juni 2021, in dem Verfahren

    DOMUS-Software‑AG

    gegen

    Marc Braschoß Immobilien GmbH

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

    unter Mitwirkung des Richters N. Piçarra (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten sowie der Richter N. Jääskinen und M. Gavalec,

    Generalanwalt: A. Rantos,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der DOMUS-Software‑AG, vertreten durch Rechtsanwalt T. Schwartz,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara und C. Hermes als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 3 der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. 2011, L 48, S. 1).

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der DOMUS-Software‑AG (im Folgenden: Domus) und der Marc Braschoß Immobilien GmbH (im Folgenden: MBI) wegen eines Antrags auf pauschale Entschädigung für Beitreibungskosten, die wegen wiederholten Zahlungsverzugs im Rahmen ein und desselben Vertrags entstanden sind.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    3

    In den Erwägungsgründen 3, 17, 19 und 22 der Richtlinie 2011/7 heißt es:

    „(3)

    Viele Zahlungen im Geschäftsverkehr zwischen Wirtschaftsteilnehmern einerseits und zwischen Wirtschaftsteilnehmern und öffentlichen Stellen andererseits werden später als zum vertraglich vereinbarten oder in den allgemeinen Geschäftsbedingungen festgelegten Zeitpunkt getätigt. Trotz Lieferung der Waren oder Erbringung der Leistungen werden viele Rechnungen erst lange nach Ablauf der Zahlungsfrist beglichen. Ein derartiger Zahlungsverzug wirkt sich negativ auf die Liquidität aus und erschwert die Finanzbuchhaltung von Unternehmen. Es beeinträchtigt außerdem die Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit von Unternehmen, wenn der Gläubiger aufgrund eines Zahlungsverzugs Fremdfinanzierung in Anspruch nehmen muss. …

    (17)

    Die Zahlung eines Schuldners sollte als verspätet in dem Sinne betrachtet werden, dass ein Anspruch auf Verzugszinsen entsteht, wenn der Gläubiger zum Zeitpunkt der Fälligkeit nicht über den geschuldeten Betrag verfügt, vorausgesetzt, er hat seine gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen erfüllt.

    (19)

    Eine gerechte Entschädigung der Gläubiger für die aufgrund eines Zahlungsverzugs des Schuldners entstandenen Beitreibungskosten ist erforderlich, um von der Überschreitung der Zahlungsfristen abzuschrecken. In den Beitreibungskosten sollten zudem die aufgrund des Zahlungsverzugs entstandenen Verwaltungskosten und die internen Kosten enthalten sein; für diese Kosten sollte durch diese Richtlinie ein pauschaler Mindestbetrag vorgesehen werden, der mit Verzugszinsen kumuliert werden kann. Die Entschädigung in Form eines Pauschalbetrags sollte dazu dienen, die mit der Beitreibung verbundenen Verwaltungskosten und internen Kosten zu beschränken. …

    (22)

    Diese Richtlinie sollte Raten- oder Abschlagszahlungen nicht ausschließen. Jedoch sollten sämtliche Raten oder Zahlungen nach den vereinbarten Bedingungen gezahlt werden und den in dieser Richtlinie festgelegten Bestimmungen für Zahlungsverzug unterliegen.“

    4

    Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich“) Abs. 1 und 2 der Richtlinie lautet:

    „(1)   Diese Richtlinie dient der Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr, um sicherzustellen, dass der Binnenmarkt reibungslos funktioniert, und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und insbesondere von [kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)] zu fördern.

    (2)   Diese Richtlinie ist auf alle Zahlungen, die als Entgelt im Geschäftsverkehr zu leisten sind, anzuwenden.“

    5

    In Art. 2 der Richtlinie heißt es:

    „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

    1.

    ‚Geschäftsverkehr‘ Geschäftsvorgänge zwischen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen, die zu einer Lieferung von Waren oder Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt führen;

    4.

    ‚Zahlungsverzug‘ eine Zahlung, die nicht innerhalb der vertraglich oder gesetzlich vorgesehenen Zahlungsfrist erfolgt ist, sofern zugleich die Voraussetzungen des Artikels 3 Absatz 1 oder des Artikels 4 Absatz 1 erfüllt sind;

    …“

    6

    Art. 3 („Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen“) Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

    „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen der Gläubiger Anspruch auf Verzugszinsen hat, ohne dass es einer Mahnung bedarf, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

    a)

    Der Gläubiger hat seine vertraglichen und gesetzlichen Verpflichtungen erfüllt, und

    b)

    der Gläubiger hat den fälligen Betrag nicht rechtzeitig erhalten, es sei denn, dass der Schuldner für den Zahlungsverzug nicht verantwortlich ist.“

    7

    Art. 5 („Ratenzahlungen“) der Richtlinie lautet:

    „Diese Richtlinie berührt nicht die Möglichkeit der Vertragsparteien, vorbehaltlich der maßgeblichen Bestimmungen des anwendbaren nationalen Rechts Ratenzahlungen zu vereinbaren. Wird in solchen Fällen eine Rate nicht zu dem vereinbarten Termin gezahlt, so werden die in dieser Richtlinie vorgesehenen Zinsen und Entschädigungen allein auf der Grundlage der rückständigen Beträge berechnet.“

    8

    Art. 6 („Entschädigung für Beitreibungskosten“) der Richtlinie sieht vor:

    „(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in Fällen, in denen gemäß Artikel 3 oder Artikel 4 im Geschäftsverkehr Verzugszinsen zu zahlen sind, der Gläubiger gegenüber dem Schuldner einen Anspruch auf Zahlung eines Pauschalbetrags von mindestens 40 [Euro] hat.

    (2)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der in Absatz 1 genannte Pauschalbetrag ohne Mahnung und als Entschädigung für die Beitreibungskosten des Gläubigers zu zahlen ist.

    (3)   Der Gläubiger hat gegenüber dem Schuldner zusätzlich zu dem in Absatz 1 genannten Pauschalbetrag einen Anspruch auf angemessenen Ersatz aller durch den Zahlungsverzug des Schuldners bedingten Beitreibungskosten, die diesen Pauschalbetrag überschreiten. Zu diesen Kosten können auch Ausgaben zählen, die durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts oder eines Inkassounternehmens entstehen.“

    9

    In Art. 7 („Nachteilige Vertragsklauseln und Praktiken“) Abs. 1 der Richtlinie heißt es:

    „Die Mitgliedstaaten bestimmen, dass eine Vertragsklausel oder eine Praxis im Hinblick auf den Zahlungstermin oder die Zahlungsfrist, auf den für Verzugszinsen geltenden Zinssatz oder auf die Entschädigung für Beitreibungskosten entweder nicht durchsetzbar ist oder einen Schadensersatzanspruch begründet, wenn sie für den Gläubiger grob nachteilig ist.

    Bei der Entscheidung darüber, ob eine Vertragsklausel oder eine Praxis im Sinne von Unterabsatz 1 grob nachteilig für den Gläubiger ist, werden alle Umstände des Falles geprüft, einschließlich folgender Aspekte:

    c)

    ob der Schuldner einen objektiven Grund für die Abweichung … von dem Pauschalbetrag gemäß Artikel 6 Absatz 1 hat.“

    Deutsches Recht

    10

    In § 286 Abs. 1 und 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (im Folgenden: BGB) heißt es:

    „(1)   Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren gleich.

    (3)   Der Schuldner einer Entgeltforderung kommt spätestens in Verzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet …“

    11

    § 288 Abs. 5 BGB lautet:

    „Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.“

    Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

    12

    Am 21. August 2019 schlossen Domus und MBI, zwei Gesellschaften deutschen Rechts, einen Vertrag über die Pflege einer von MBI erworbenen Software. Das monatliche Entgelt für diese Pflege, das zu Beginn des jeweiligen Berechnungszeitraums fällig wurde, betrug 135 Euro zuzüglich Umsatzsteuer.

    13

    Domus stellte nach diesem Vertrag Rechnungen aus, und zwar am 11. September 2019 für den Monat September 2019 (133,04 Euro), am 1. Oktober 2019 für die Monate Oktober bis Dezember 2019 (399,13 Euro) und am 1. Januar 2020 für die Monate Januar bis März 2020 (399,13 Euro). Die Rechnung erhielt MBI jeweils am Folgetag der Erstellung.

    14

    Da diese Rechnungen bei Fälligkeit nicht rechtzeitig beglichen wurden, erhob Domus beim Amtsgericht München (Deutschland) Klage auf Verurteilung von MBI zur Zahlung der ausstehenden Hauptsacheforderung zuzüglich Verzugszinsen sowie einer pauschalen Entschädigung gemäß § 288 Abs. 5 BGB in Höhe von 40 Euro für jede der drei unbezahlten Rechnungen, d. h. insgesamt 120 Euro, wegen der entstandenen Beitreibungskosten.

    15

    Das Gericht gab dem Antrag von Domus in Bezug auf die ausstehende Hauptsacheforderung statt. Es verurteilte MBI jedoch nur zur Zahlung eines einzigen Pauschalbetrags von 40 Euro nebst Zinsen. Da ein einziger Vertrag vorliege, auf dessen Grundlage periodisch Zahlungen erfolgten, habe Domus nach einer teleologischen Auslegung von § 288 Abs. 5 BGB, der Art. 6 der Richtlinie 2011/7 in deutsches Recht umsetze, nur Anspruch auf einen einzigen Pauschalbetrag.

    16

    Domus legte gegen dieses Urteil beim Landgericht München I (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, Berufung ein, mit der sie beantragte, MBI zur Zahlung von 80 Euro zu verurteilen, was den beiden anderen beantragten Pauschalbeträgen entspricht.

    17

    Das vorlegende Gericht führt aus, es neige dazu, die Richtlinie 2011/7 dahin auszulegen, dass bei einer Mehrzahl von Forderungen aus ein und demselben Vertrag, die wegen des Zahlungsverzugs bei periodisch zu leistenden Entgelten entstanden seien, der Anspruch auf Zahlung eines Pauschalbetrags von mindestens 40 Euro für jede einzelne Forderung bestehe.

    18

    Unter diesen Umständen hat das Landgericht München I das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    Ist Art. 6 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/7 in Verbindung mit Art. 3 der Richtlinie 2011/7 dahin auszulegen, dass bei periodisch entstehenden Entgeltforderungen aus einem einheitlichen Vertragsverhältnis für jede einzelne Entgeltforderung ein Anspruch auf Zahlung eines Pauschalbetrags von mindestens 40 Euro besteht?

    Zur Vorlagefrage

    19

    Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 der Richtlinie 2011/7 dahin auszulegen ist, dass dann, wenn ein und derselbe Vertrag periodisch wiederkehrende Lieferungen von Waren oder Erbringungen von Dienstleistungen vorsieht, die jeweils innerhalb einer bestimmten Frist zu bezahlen sind, der pauschale Mindestbetrag von 40 Euro für jeden einzelnen Zahlungsverzug als Entschädigung des Gläubigers für Beitreibungskosten anfällt oder ob er unabhängig von der Anzahl der verspäteten Zahlungen nur einmal anfällt.

    20

    Insoweit ist als Erstes darauf hinzuweisen, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2011/7 die Mitgliedstaaten verpflichtet, sicherzustellen, dass in Fällen, in denen im Geschäftsverkehr Verzugszinsen zu zahlen sind, der Gläubiger gegenüber dem Schuldner einen Anspruch auf Zahlung eines Pauschalbetrags von mindestens 40 Euro als Entschädigung für Beitreibungskosten hat. Zudem müssen die Mitgliedstaaten nach Abs. 2 dieses Artikels sicherstellen, dass der pauschale Mindestbetrag auch ohne Mahnung des Schuldners automatisch und als Entschädigung für die Beitreibungskosten des Gläubigers zu zahlen ist. Schließlich gewährt Abs. 3 dieses Artikels dem Gläubiger gegenüber dem Schuldner zusätzlich zu dem pauschalen Mindestbetrag in Höhe von 40 Euro einen Anspruch auf angemessenen Ersatz aller durch den Zahlungsverzug des Schuldners bedingten Beitreibungskosten, die diesen Pauschalbetrag überschreiten.

    21

    Der Begriff „Zahlungsverzug“, der dem Anspruch des Gläubigers gegen den Schuldner nicht nur auf Verzugszinsen gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2011/7, sondern auch auf einen pauschalen Mindestbetrag von 40 Euro gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie zugrunde liegt, ist in Art. 2 Nr. 4 der Richtlinie als eine Zahlung definiert, die nicht innerhalb der vertraglich oder gesetzlich vorgesehenen Zahlungsfrist erfolgt ist. Da die Richtlinie nach ihrem Art. 1 Abs. 2 „alle Zahlungen, die als Entgelt im Geschäftsverkehr zu leisten sind“, erfasst, ist der Begriff „Zahlungsverzug“ auf jeden Geschäftsvorgang einzeln betrachtet anwendbar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Oktober 2022, BFF Finance Iberia, C‑585/20, EU:C:2022:806, Rn. 28).

    22

    Als Zweites legt Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2011/7 die Anspruchsvoraussetzungen für den pauschalen Mindestbetrag von 40 Euro fest, indem er, soweit es um den Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen geht, auf Art. 3 der Richtlinie verweist. Gemäß Art. 3 Abs. 1 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass in diesem Geschäftsverkehr ein Gläubiger, der seine Verpflichtungen erfüllt und den fälligen Betrag nicht rechtzeitig erhalten hat, einen Anspruch auf Verzugszinsen hat, ohne dass es einer Mahnung bedarf, es sei denn, dass der Schuldner für diesen Verzug nicht verantwortlich ist (vgl. entsprechend Urteil vom 20. Oktober 2022, BFF Finance Iberia, C‑585/20, EU:C:2022:806, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    23

    Aus dem Vorstehenden ergibt sich zum einen, dass der Anspruch auf Verzugszinsen nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2011/7 und der Anspruch auf den pauschalen Mindestbetrag gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie, die aufgrund eines „Zahlungsverzugs“ im Sinne von Art. 2 Nr. 4 der Richtlinie entstehen, an einzeln betrachtete „Geschäftsvorgänge“ anknüpfen. Zum anderen werden diese Zinsen wie auch dieser Pauschalbetrag nach Ablauf der Zahlungsfrist gemäß Art. 3 Abs. 3 bis 5 der Richtlinie automatisch fällig, sofern die Voraussetzungen nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie erfüllt sind. Im 17. Erwägungsgrund der Richtlinie heißt es insoweit: „Die Zahlung eines Schuldners sollte als verspätet in dem Sinne betrachtet werden, dass ein Anspruch auf Verzugszinsen entsteht, wenn der Gläubiger zum Zeitpunkt der Fälligkeit nicht über den geschuldeten Betrag verfügt, vorausgesetzt, er hat seine gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen erfüllt“ (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Oktober 2022, BFF Finance Iberia, C‑585/20, EU:C:2022:806, Rn. 32).

    24

    Was die Anspruchsvoraussetzungen für die Verzugszinsen bzw. den pauschalen Mindestbetrag betrifft, wird weder in Art. 3 Abs. 1 noch in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2011/7 danach unterschieden, ob die Zahlungen, die bei Fälligkeit nicht rechtzeitig geleistet wurden, auf ein und demselben Vertrag beruhen. Daher kann der Wortlaut dieser Bestimmungen nicht die Auslegung stützen, dass im Fall eines einzigen Vertrags der pauschale Mindestbetrag von 40 Euro als Entschädigung für Beitreibungskosten dem Gläubiger unabhängig von der Anzahl der einzelnen verspäteten Zahlungen nur einmal geschuldet wird.

    25

    Diese Feststellung wird durch Art. 5 der Richtlinie 2011/7 bestätigt, der eine Fallkonstellation betrifft, die für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie vergleichbar ist mit der, um die es im Ausgangsverfahren geht. Aus diesem Artikel ergibt sich nämlich im Licht des 22. Erwägungsgrundes der Richtlinie, dass, wenn die Parteien Ratenzahlungen vereinbart haben, für jede Rate, die bei Fälligkeit nicht rechtzeitig gezahlt wurde, ein pauschaler Mindestbetrag von 40 Euro als Entschädigung für die Beitreibungskosten zu zahlen ist.

    26

    Somit ergibt sich aus einer wörtlichen und einer systematischen Auslegung von Art. 6 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/7, dass der pauschale Mindestbetrag von 40 Euro als Entschädigung für die Beitreibungskosten dem Gläubiger, der seine Pflichten erfüllt hat, für jede Zahlung geschuldet wird, die bei Fälligkeit nicht rechtzeitig geleistet wurde und als Entgelt eines Geschäftsvorgangs anfällt, der in einer Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufforderung ausgewiesen wurde. Dies gilt auch dann, wenn mehrere Zahlungen, die als Entgelt für periodisch wiederkehrende Lieferungen von Waren oder Erbringungen von Dienstleistungen auf der Grundlage ein und desselben Vertrags geschuldet werden, verspätet sind, es sei denn, der Schuldner ist für diesen Verzug nicht verantwortlich (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Oktober 2022, BFF Finance Iberia, C‑585/20, EU:C:2022:806, Rn. 34).

    27

    Als Drittes wird diese Auslegung von Art. 6 der Richtlinie 2011/7 durch ihren Zweck bestätigt. Aus Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie im Licht ihres dritten Erwägungsgrundes ergibt sich nämlich, dass sie nicht nur Zahlungsverzug verhindern soll, indem vermieden wird, dass er für den Schuldner durch niedrige oder nicht vorhandene Verzugszinsen in einer solchen Situation finanziell vorteilhaft ist, sondern auch den Gläubiger wirksam gegen Zahlungsverzug schützen soll, indem sichergestellt wird, dass er einen möglichst umfassenden Ersatz der ihm entstandenen Beitreibungskosten erhält. Insoweit stellt der 19. Erwägungsgrund der Richtlinie klar, dass zum einen in den Beitreibungskosten auch die aufgrund des Zahlungsverzugs entstandenen Verwaltungskosten und die internen Kosten enthalten sein sollten und dass zum anderen die Entschädigung in Form eines Pauschalbetrags dazu dienen sollte, die mit der Beitreibung verbundenen Verwaltungskosten und internen Kosten zu beschränken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Oktober 2022, BFF Finance Iberia, C‑585/20, EU:C:2022:806, Rn. 35 und 36).

    28

    Vor diesem Hintergrund führt die Tatsache, dass der Schuldner mit mehreren Zahlungen für periodisch wiederkehrende Lieferungen von Waren oder Erbringungen von Dienstleistungen auf der Grundlage ein und desselben Vertrags in Verzug ist, nicht dazu, dass der pauschale Mindestbetrag, der als Entschädigung für die Beitreibungskosten für jeden Zahlungsverzug anfällt, auf einen einzigen Pauschalbetrag verringert wird. Diese Verringerung liefe zunächst darauf hinaus, Art. 6 der Richtlinie 2011/7 die praktische Wirksamkeit zu nehmen. Deren Zweck besteht, wie in der vorstehenden Randnummer dargelegt, nicht nur darin, diesen Zahlungsverzug zu verhindern, sondern auch darin, mit diesen Beträgen eine Entschädigung „für die Beitreibungskosten des Gläubigers“ bereitzustellen, wobei diese Kosten tendenziell im Verhältnis zur Anzahl der Zahlungen und der Beträge, die der Schuldner bei Fälligkeit nicht rechtzeitig geleistet bzw. beglichen hat, steigen. Diese Verringerung würde zudem bedeuten, dem Schuldner eine Ausnahme von der Pflicht zur Zahlung des Pauschalbetrags gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie zu gewähren, ohne dass diese Ausnahme durch einen „objektiven Grund“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. c der Richtlinie gerechtfertigt wäre. Diese Verringerung liefe schließlich darauf hinaus, den Schuldner von einem Teil der finanziellen Belastung zu befreien, die sich aus seiner Verpflichtung ergibt, für jede bei Fälligkeit nicht rechtzeitig geleistete Zahlung den in diesem Art. 6 Abs. 1 vorgesehenen Pauschalbetrag von 40 Euro zu zahlen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Oktober 2022, BFF Finance Iberia, C‑585/20, EU:C:2022:806, Rn. 37).

    29

    Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 der Richtlinie 2011/7 dahin auszulegen ist, dass dann, wenn ein und derselbe Vertrag periodisch wiederkehrende Lieferungen von Waren oder Erbringungen von Dienstleistungen vorsieht, die jeweils innerhalb einer bestimmten Frist zu bezahlen sind, der pauschale Mindestbetrag von 40 Euro als Entschädigung für Beitreibungskosten dem Gläubiger für jeden einzelnen Zahlungsverzug geschuldet wird.

    Kosten

    30

    Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

     

    Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr

     

    ist dahin auszulegen, dass

     

    dann, wenn ein und derselbe Vertrag periodisch wiederkehrende Lieferungen von Waren oder Erbringungen von Dienstleistungen vorsieht, die jeweils innerhalb einer bestimmten Frist zu bezahlen sind, der pauschale Mindestbetrag von 40 Euro als Entschädigung für Beitreibungskosten dem Gläubiger für jeden einzelnen Zahlungsverzug geschuldet wird.

     

    Piçarra

    Jääskinen

    Gavalec

    Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 1. Dezember 2022.

    Der Kanzler

    A. Calot Escobar

    Für den Kammerpräsidenten

    N. Piçarra


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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