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Dokument 62021CC0718

Schlussanträge des Generalanwalts A. Rantos vom 2. März 2023.


Zbierka rozhodnutí – Všeobecná zbierka – časť „Informácie o neuverejnených rozhodnutiach“

Identifikátor ECLI: ECLI:EU:C:2023:150

 SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ATHANASIOS RANTOS

vom 2. März 2023 ( 1 )

Rechtssache C‑718/21

L. G.

gegen

Krajowa Rada Sądownictwa

(Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Najwyższy [Oberstes Gericht, Polen])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 267 AEUV – Begriff ‚Gericht‘ – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV – Wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen – Grundsätze der Unabsetzbarkeit und Unabhängigkeit der Richter – Möglichkeit der weiteren Ausübung des Richteramts nach Erreichen des Ruhestandsalters – Wirkungen der von der Zustimmung eines anderen Organs abhängig gemachten Erklärung, das Richteramt nach Erreichen dieses Alters weiter ausüben zu wollen – Wirkungen der Überschreitung der Frist für die Abgabe einer solchen Erklärung“

I. Einleitung

1.

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen der Izba Kontroli Nadzwyczajnej i Spraw Publicznych (Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten, im Folgenden: Kammer für außerordentliche Überprüfung) des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) ergeht im Rahmen einer Klage von L. G. (im Folgenden: Kläger), eines Richters am Sąd Okręgowy w K. (Regionalgericht K., Polen), gegen den Beschluss der Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat, Polen, im Folgenden: KRS), das Verfahren zur Erteilung der Zustimmung zur weiteren Ausübung des Richteramts nach Erreichen des Ruhestandsalters in Bezug auf ihn nicht fortzusetzen, weil die Frist für die entsprechende Willenserklärung überschritten worden sei.

2.

Mit diesem Vorabentscheidungsersuchen wird vorab die heikle Frage aufgeworfen, ob die Kammer für außerordentliche Überprüfung ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV ist. In der Sache betrifft das Vorabentscheidungsersuchen im Wesentlichen die Auslegung des Grundsatzes der Unabsetzbarkeit und Unabhängigkeit der Richter – als Ausfluss des in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV niedergelegten Grundsatzes des „wirksamen Rechtsschutzes“ – im Hinblick auf eine nationale Regelung, die zum einen die Wirkung der Erklärung eines Richters, sein Amt nach Erreichen des Ruhestandsalters weiter ausüben zu wollen, von der Zustimmung der KRS abhängig macht und zum anderen für diese Erklärung eine absolute Ausschlussfrist vorsieht.

3.

Die vorliegende Rechtssache fügt sich in den Rahmen der jüngsten Reformen des polnischen Justizsystems ( 2 ) und der reichhaltigen damit zusammenhängenden Rechtsprechung des Gerichtshofs ein, die insbesondere infolge der von der Europäischen Kommission erhobenen Vertragsverletzungsklagen ( 3 ) oder von Vorabentscheidungsersuchen polnischer Gerichte ( 4 ) ergangen ist.

II. Rechtlicher Rahmen: Polnisches Recht

A.   Gesetz über das oberste Gericht

4.

Die Ustawa o Sądzie Najwyższym (Gesetz über das oberste Gericht) vom 8. Dezember 2017 ( 5 ), mit der u. a. die Kammer für außerordentliche Überprüfung eingerichtet worden ist, bestimmt in ihrem Art. 26 Abs. 1:

„Die Kammer für außerordentliche Überprüfung … ist zuständig für die Prüfung von außerordentlichen Beschwerden, Wahlbeschwerden, Beschwerden gegen die Gültigkeit eines landesweiten Referendums und eines Verfassungsreferendums, die Feststellung der Gültigkeit von Wahlen und Referenden sowie andere öffentlich-rechtliche Angelegenheiten, insbesondere auf dem Gebiet des Wettbewerbsschutzes, der Regulierung der Energiewirtschaft, der Telekommunikation und des Eisenbahnverkehrs, in Streitigkeiten, in denen Widerspruch gegen einen Bescheid des Przewodniczący Krajowej Rady Radiofonii i Telewizji [(Vorsitzender des Landesrats für Funk und Fernsehen)] eingelegt wurde, sowie für Beschwerden wegen überlanger Verfahrensdauer vor den ordentlichen Gerichten, den Militärgerichten und dem Obersten Gericht.“

B.   Gesetz über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit

5.

Art. 69 §§ 1 und 1b der Ustawa – Prawo o ustroju sądów powszechnych (Gesetz über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit) vom 27. Juli 2001 in der geänderten Fassung ( 6 ) sieht vor:

„§ 1.   Ein Richter wird mit Vollendung des 65. Lebensjahrs in den Ruhestand versetzt, es sei denn, er gibt gegenüber der [KRS] spätestens sechs und frühestens zwölf Monate vor Erreichen dieses Alters eine Erklärung ab, sein Amt weiter ausüben zu wollen, und legt eine Bescheinigung über seine gesundheitliche Befähigung zur Ausübung des Richteramts vor, die nach den für Bewerber um eine Richterstelle geltenden Grundsätzen erteilt wird.

§ 1b.   Die [KRS] kann einem Richter ihre Zustimmung dazu erteilen, sein Amt weiter auszuüben, wenn der Verbleib im Amt dem Interesse der Rechtspflege oder einem wichtigen gesellschaftlichen Interesse entspricht; zu berücksichtigen sind hierbei ein rationeller Einsatz der Bediensteten der ordentlichen Gerichte und der sich aus der Arbeitsbelastung der einzelnen Gerichte ergebende Bedarf. Der Beschluss der [KRS] ist endgültig. Ist das Verfahren bezüglich des Verbleibs im Amt nach Erreichen des in § 1 genannten Alters noch nicht abgeschlossen, bleibt der Richter bis zum Abschluss dieses Verfahrens im Amt.

…“

C.   Gesetz über die KRS

6.

Art. 42 der Ustawa o Krajowej Radzie Sądownictwa (Gesetz über die KRS) vom 12. Mai 2011 in der geänderten Fassung ( 7 ) lautet:

„1.   Beschlüsse des Rates in Einzelfällen werden begründet.

2.   Beschlüsse werden innerhalb eines Monats nach ihrem Erlass begründet.

3.   In Einzelfällen ergangene Beschlüsse werden den Verfahrensbeteiligten zusammen mit einer Begründung und einer Belehrung hinsichtlich der Einzelheiten ihrer Anfechtung vor dem Obersten Gericht zugestellt.“

7.

In Art. 44 Abs. 1 des Gesetzes über die KRS heißt es:

„Ein Verfahrensbeteiligter kann einen Rechtsbehelf vor dem Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)] einlegen und sich dabei auf die Rechtswidrigkeit des Beschlusses [der KRS] berufen, es sei denn, spezielle Vorschriften sehen etwas anderes vor. …“

III. Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

8.

Mit Schreiben vom 30. Dezember 2020 erklärte der Kläger gegenüber der KRS, sein Richteramt nach Erreichen der auf 65 Jahre festgesetzten Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand am 12. Juni 2021 gemäß Art. 69 des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit weiter ausüben zu wollen ( 8 ). Mit Schreiben vom 31. Dezember 2020 stellte der Kläger bei der KRS darüber hinaus einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil er diese Erklärung nicht, wie in Art. 69 vorgesehen, innerhalb von sechs Monaten vor Erreichen des Ruhestandsalters abgegeben hatte ( 9 ).

9.

Mit Beschluss vom 18. Februar 2022 erklärte die KRS die Erklärung mit der Begründung für unzulässig, dass sie nicht spätestens sechs Monate vor Erreichen der in Art. 69 vorgesehenen Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand vorgelegt worden sei, und erließ einen Beschluss über die Einstellung des Verfahrens zur Erteilung der Zustimmung zur weiteren Ausübung des Richteramts ( 10 ).

10.

Vom Kläger mit einem Rechtsbehelf gegen diesen Beschluss befasst ( 11 ), fragt sich der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), der als Kammer für außerordentliche Überprüfung, bei der es sich um das vorlegende Gericht handelt, tagt, ob Art. 69 des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit gegen den in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV niedergelegten Grundsatz der Unabsetzbarkeit und Unabhängigkeit der Richter verstößt, soweit diese Vorschrift zum einen die Ausübung des Richteramts nach Erreichen des Ruhestandsalters von der Zustimmung eines anderen Organs abhängig macht, was den Inhalt der Entscheidungen des fraglichen Richters beeinflussen könnte, und zum anderen im Fall einer Überschreitung der Frist für die Stellung des Antrags auf Ausübung des Richteramts nach Erreichen des Ruhestandsalters den Ausschluss dieses Antrags unabhängig davon vorsieht, welche Wirkungen die Versetzung in den Ruhestand unter den konkreten Umständen insbesondere auf die Interessen der Rechtspflege oder das mögliche Bestehen eines wichtigen gesellschaftlichen Interesses hat.

11.

Unter diesen Umständen hat die Kammer für außerordentliche Überprüfung des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Steht Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV einer nationalen Rechtsvorschrift wie Art. 69 § 1b Satz 1 des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit entgegen, mit der die Wirksamkeit der Erklärung eines Richters, das Richteramt nach Erreichen des Ruhestandsalters weiter ausüben zu wollen, von der Zustimmung eines anderen Organs abhängig gemacht wird?

2.

Steht Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV einer Auslegung einer nationalen Vorschrift entgegen, nach der die verspätete Erklärung eines Richters, das Richteramt nach Erreichen des Ruhestandsalters weiter ausüben zu wollen, unabhängig von den Umständen der Fristversäumnis und deren Bedeutung für das Verfahren zur Erteilung der Zustimmung zur weiteren Ausübung des Richteramts unwirksam ist?

12.

Die KRS, die polnische, die dänische und die niederländische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Die KRS, die polnische, die belgische und die niederländische Regierung sowie die Kommission haben in der mündlichen Verhandlung, die am 8. November 2022 stattgefunden hat, mündlich Stellung genommen. Der Kläger, die KRS, die belgische und die niederländische Regierung sowie die Kommission haben darüber hinaus schriftlich zum Beschluss des vorlegenden Gerichts vom 3. November 2022 Stellung genommen, mit dem dieses dem Gerichtshof zusätzliche Anmerkungen zu seinem Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt hatte, die sich insbesondere auf seine Eigenschaft als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV beziehen.

IV. Würdigung

A.   Zuständigkeit des Gerichtshofs

1. Zu den Zweifeln hinsichtlich der Eigenschaft des vorlegenden Gerichts als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV

13.

Die Kommission sowie die belgische und die niederländische Regierung hegen Zweifel an der Einstufung des vorlegenden Gerichts als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV.

14.

Die Mitglieder der durch das Gesetz über das Oberste Gericht geschaffenen Kammer für außerordentliche Überprüfung sind nämlich auf Vorschlag der KRS durch den Beschluss Nr. 331/2018 vom 28. August 2018 (im Folgenden: Beschluss Nr. 331/2018) unter folgenden Umständen zu Richtern des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) ernannt worden:

Dieser Beschluss ist von der KRS in einer Besetzung erlassen worden, deren Unabhängigkeit in mehreren Urteilen des Gerichtshofs ( 12 ) in Frage gestellt worden ist;

der besagte Beschluss ist Gegenstand eines Rechtsbehelfs vor dem Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) gewesen, und dieser hat am 27. September 2018 einen Sicherungsbeschluss erlassen, mit dem die Vollstreckung des Beschlusses ausgesetzt worden ist;

der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) hat im Wesentlichen festgestellt, dass zwei Spruchkörper der Kammer für außerordentliche Überprüfung mit drei Richtern, die auf der Grundlage desselben Beschlusses ernannt worden waren, keine „auf Gesetz beruhenden Gerichte“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) darstellten ( 13 );

nach der Ernennung der Richter auf der Grundlage des Beschlusses Nr. 331/2018 ist dieser vom Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) am 21. September 2021 letztlich aufgehoben worden ( 14 ).

15.

Daher halte ich es für angebracht, wenn vor der Beantwortung der Vorlagefragen geprüft wird, ob die Kammer für außerordentliche Überprüfung, die in einem Spruchkörper mit drei Richtern tagt, ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV darstellt und folglich der Gerichtshof für die Beantwortung ihrer Vorlagefragen zuständig ist.

2. Zu den Grundsätzen für den Begriff „Unabhängigkeit“ des vorlegenden Gerichts im Sinne von Art. 267 AEUV

16.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs stellt dieser bei der Beurteilung der rein unionsrechtlichen Frage, ob es sich bei der jeweils vorlegenden Einrichtung um ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV handelt, auf eine Reihe von Merkmalen ab, wie z. B. u. a. die gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ihren ständigen Charakter, die obligatorische Gerichtsbarkeit, das streitige Verfahren, die Anwendung von Rechtsnormen durch die betreffende Einrichtung sowie ihre Unabhängigkeit ( 15 ). Im vorliegenden Fall wird nur das letztgenannte Merkmal, d. h. die Unabhängigkeit der Kammer für außerordentliche Überprüfung, in Frage gestellt, da es als auf den ersten Blick offenkundig – und jedenfalls unbestritten – betrachtet wird, dass diese Einrichtung die anderen vorstehend angeführten Merkmale erfüllt.

17.

Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs umfasst das Erfordernis richterlicher Unabhängigkeit, dessen Beachtung die Mitgliedstaaten nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ( 16 ) in Bezug auf die nationalen Gerichte sichern müssen, die über Fragen zu entscheiden haben, die mit der Auslegung und der Anwendung des Unionsrechts verknüpft sind, zwei Aspekte, wobei der erste das Außenverhältnis betrifft und sich auf die Autonomie der Einrichtung bezieht ( 17 ), während der zweite, das Innenverhältnis betreffende Aspekt auf ihre Unparteilichkeit ( 18 ) abstellt. Diese Garantien der Autonomie und der Unparteilichkeit, bei denen es sich um die beiden Seiten des Begriffs „Unabhängigkeit“ handelt, setzen voraus, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Einrichtung, die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für Enthaltung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der genannten Stelle für Einflussnahmen von außen und an ihrer Neutralität in Bezug auf die einander gegenüberstehenden Interessen auszuräumen ( 19 ).

18.

Was insbesondere das dem Begriff „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV inhärente Erfordernis der Unabhängigkeit angeht, hat der Gerichtshof in seinem Urteil Getin Noble Bank im Wesentlichen eine Vermutung aufgestellt, wonach ein nationales Gericht wie beispielsweise der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) den Anforderungen genügt, die ein Organ erfüllen muss, um unabhängig von seiner konkreten Zusammensetzung als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV eingestuft zu werden ( 20 ), wobei er klargestellt hat, dass er im Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV nicht befugt ist, nachzuprüfen, ob die Vorlageentscheidung den nationalen Vorschriften über die Gerichtsorganisation und das gerichtliche Verfahren entspricht ( 21 ). Gleichzeitig hat der Gerichtshof ausgeführt, dass diese Vermutung widerlegt werden kann, wenn eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung eines nationalen oder internationalen Gerichts zu der Annahme führen würde, dass der Richter, aus dem das vorlegende Gericht besteht, nicht die Eigenschaft eines unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gerichts im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta hat ( 22 ), oder wenn andere Gesichtspunkte, die mit der persönlichen Situation der Richter, die formal ein Ersuchen gemäß Art. 267 AEUV stellen, nichts zu tun haben, Auswirkungen auf die Funktionsweise des vorlegenden Gerichts, dem diese Richter angehören, haben und somit zur Beeinträchtigung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit dieses Gerichts beitragen könnten ( 23 ).

19.

Abgesehen davon sollte hervorgehoben werden, dass die Auslegung des Grundsatzes der Unabhängigkeit im Kontext von Art. 267 AEUV meiner Meinung nach eine andere Prüfung erfordert, als sie im Kontext von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV bzw. Art. 47 der Charta verlangt wird, und zwar in Anbetracht der unterschiedlichen Zielsetzungen und Aufgaben dieser Vorschriften. Den vorstehenden Ansatz, der in erster Linie von bestimmten Generalanwälten entwickelt worden ist ( 24 ), hat der Gerichtshof, der in seinen Urteilen betreffend das dem Begriff „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV inhärente Erfordernis der Unabhängigkeit weiterhin darauf abstellt, dass das fragliche Gericht die Merkmale eines unabhängigen, unparteiischen und [zuvor] durch Gesetz errichteten Gerichts „im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 … der Charta“ aufweisen muss ( 25 ), nach meiner Kenntnis nicht vollständig bestätigt.

20.

Im Wesentlichen wird bei diesem Ansatz wie folgt zwischen den Anwendungsvoraussetzungen der drei fraglichen Bestimmungen unterschieden:

Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV soll sicherstellen, dass das von jedem Mitgliedstaat eingerichtete Rechtsbehelfssystem einen wirksamen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ( 26 ). Er erfordert somit eine „systemische“ Prüfung der Merkmale eines Gerichtssystems;

Art. 47 der Charta verankert das Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz jedes Einzelnen, der sich in einem bestimmten Fall auf ein Recht beruft, das er aus dem Unionsrecht herleitet ( 27 ). Er erfordert somit eine „praktische“ Prüfung (auf Einzelfallbasis), um beurteilen zu können, ob es im jeweiligen Fall einen wirksamen Rechtsbehelf gibt ( 28 );

Art. 267 AEUV bezieht sich auf einen Gerichtsbegriff mit „funktionalem“ Charakter, da er dazu dient, die nationalen Stellen zu bestimmen, die im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens Gesprächspartner des Gerichtshofs werden können ( 29 ). Nach diesem Konzept der „funktionalen Unabhängigkeit“, das hauptsächlich auf das Fehlen eines hierarchischen Abhängigkeitsverhältnisses gegenüber der Verwaltung verweist, muss die Funktion (und somit die Einrichtung) unabhängig sein, gleichviel, ob die Richter (als Personen) möglicherweise mit der Exekutive, insbesondere aus Dankbarkeit (wenn sie „bevorzugt“ ernannt worden sind) oder aus Treue (wenn sie hoffen, während ihrer beruflichen Laufbahn Vorteile wie beispielsweise Beförderungen, Vertragsverlängerungen, usw. zu erhalten), verbunden sind ( 30 ). Das Konzept erfordert somit eine „förmliche“ Prüfung, die auf der Ebene der Einrichtung vorgenommen wird, die die Frage vorgelegt hat, und nicht auf der Ebene der Personen, die ihr angehören ( 31 ).

21.

Außerdem sollte klargestellt werden, dass die Beurteilung des – sehr spezifischen – Begriffs „Unabhängigkeit“ im Rahmen von Art. 267 AEUV den letzten einer ganzen Reihe von Gesichtspunkten darstellt, die streng genommen nicht kumulativ, sondern Teil einer Gesamtprüfung sind und insgesamt zu der Schlussfolgerung führen, dass es sich um ein „Gericht“ im Sinne dieser Vorschrift handelt ( 32 ). Die Prüfung der Unabhängigkeit des Gerichts erfolgt daher anhand der anderen Gesichtspunkte, so dass ihre Beurteilung meiner Meinung nach umso strenger ausfällt, wenn fraglich ist, ob bestimmte andere Gesichtspunkte vorliegen, und umgekehrt ( 33 ). Darüber hinaus tendiert der Gerichtshof meines Erachtens dazu, eine solche „Unabhängigkeitsprüfung“ sehr häufig in Bezug auf Einrichtungen vorzunehmen, die außerhalb des klassischen nationalen Justizsystems tätig werden oder nach innerstaatlichem Recht nicht als „Gericht“ gelten ( 34 ), während er sich nicht immer geneigt gezeigt hat, die Unabhängigkeit einer Einrichtung in Frage zu stellen, die förmlich in das Gerichtssystem des fraglichen Mitgliedstaats eingegliedert ist ( 35 ), wie im Übrigen die im Urteil Getin Noble Bank aufgestellte Vermutung bestätigt ( 36 ).

22.

Diese „minimalistische“ Auslegung des Begriffs „Unabhängigkeit“ im Rahmen von Art. 267 AEUV weist angesichts der Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens für die Sicherstellung einer einheitlichen und kohärenten Auslegung des Unionsrechts meiner Meinung nach den Vorteil auf, dass sie zum einen in keinem übermäßigen Widerspruch zum Grundsatz der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof im Rahmen dieses Verfahrens steht ( 37 ) und zum anderen die Beibehaltung der zentralen Rolle der Vorabentscheidungsersuchen für den Schutz der Rechte des Einzelnen ermöglicht. Denn nur aufgrund der Zuständigkeit des Gerichtshofs für eine Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV kann sich der Einzelne in bestimmten Fällen auf den durch das Unionsrecht garantierten wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz berufen ( 38 ). In Anbetracht der zahlreichen vom polnischen Gesetzgeber ergriffenen Initiativen, die u. a. darauf abzielen, Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof zur Frage der Unabhängigkeit der Gerichte in Polen zu verhindern ( 39 ), gilt dies erst recht unter den Umständen des vorliegenden Falls.

23.

Folglich präjudiziert die Auslegung des Begriffs der Unabhängigkeit eines „Gerichts“ im Sinne von Art. 267 AEUV unter Berücksichtigung der spezifischen Funktion dieses Begriffs nicht dessen Auslegung im Rahmen von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV oder Art. 47 der Charta. Mit anderen Worten lässt sich nicht ausschließen, dass eine Einrichtung grundsätzlich ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV darstellen kann, unabhängig davon, ob systemische oder punktuelle Gesichtspunkte des Einzelfalls zu der Schlussfolgerung führen könnten, dass es sich bei diesem Gericht nicht um ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV oder Art. 47 der Charta handelt ( 40 ).

24.

Zwar bin ich mir durchaus bewusst, dass das grundlegende System der Rechtspflege grundsätzlich keine „Abstufungen“ kennt, während der vorerwähnte Ansatz, der auf der im Urteil Getin Noble Bank aufgestellten Vermutung beruht und deren Anwendung präzisiert, es einem innerstaatlichen Gericht durch eine flexiblere Auslegung des Begriffs „Unabhängigkeit“ im Rahmen von Art. 267 AEUV – auch bei Zweifeln an seiner Unabhängigkeit – ermöglichen soll, seine wesentlichen Funktionen wahrzunehmen, indem ihm zum einen die Möglichkeit gegeben wird, mit Hilfe des Gerichtshofs seine eigene Unabhängigkeit zu untersuchen und zum anderen den Unionsbürgern das Grundrecht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz zugesichert wird, wenn die durch das Unionsrecht garantierten Rechte verletzt werden.

25.

Aber wäre es im Gegenteil nicht eher angezeigt, einen anderen Ansatz zu wählen, der den – bisher tolerierten – Übergriffen der Legislative und der Exekutive auf die Judikative in Polen im vorliegenden Fall Grenzen setzen und auf diese Weise die unter dem alten System ernannten polnischen Richter in ihrem Vorgehen unterstützen würde, das darauf abzielt, im Namen des Grundsatzes der Unabhängigkeit der Justiz die nach den jüngsten Reformen unter Verstoß gegen diesen Grundsatz ernannten „neuen Richter“ vom Bereich der Unionsrechtsprechung fernzuhalten? Die Antwort ist nicht leicht. Jedenfalls bleibt dieser strengere Ansatz nicht ohne Folgen: Wie aus der mündlichen Verhandlung hervorgeht, ist derzeit ungefähr einer von vier an den ordentlichen und Verwaltungsgerichten in Polen eingesetzten Richtern nach dem neuen System ernannt worden. Mit besagtem Ansatz würde den meisten polnischen Gerichten der Zugang zum Vorabentscheidungsmechanismus weitgehend verschlossen und bliebe lediglich Gerichten eröffnet, die ausschließlich aus Richtern bestehen, die unter dem alten System ernannt worden sind. Dies würde bedeuten, dass die polnische Justiz dem Gerichtssystem der Union de facto entzogen ist – ein Ergebnis, das meiner Meinung nach sogar Gefahr liefe, sich auf das in Art. 7 EUV vorgesehene Verfahren auszuwirken ( 41 ).

26.

Alles in allem bin ich, auch wenn „Kleider“ dem berühmten Sprichwort zufolge grundsätzlich „keine Leute machen“, der Ansicht, dass „Roben“ im förmlichen und begrenzten Kontext der Beurteilung des Begriffs „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV mit einem gewissen Grad der Annährung „Richter machen“ ( 42 ).

3. Zu der Frage, wie sich die Vorschriften über die Ernennung von Richtern auf die Eigenschaft eines „unabhängigen Gerichts“ auswirken

27.

Nachdem der Rechtsprechungskontext betreffend die Auslegung des Begriffs „unabhängiges Gericht“ im Rahmen von Art. 267 AEUV angeführt und präzisiert worden ist, sei darauf hingewiesen, dass die Zweifel an der Unabhängigkeit des vorlegenden Gerichts im vorliegenden Fall auf die Vorschriften über die Ernennung der Richter zurückzuführen sind, aus denen es besteht. Somit sind die im vorstehenden Abschnitt aufgestellten Grundsätze im spezifischen Kontext der Vorschriften über die Ernennung von Richtern, insbesondere der Vorschriften über die Einbindung von Dritteinrichtungen – hier der KRS – in die Justiz im Zusammenhang mit dieser Ernennung, anzuwenden.

28.

Wie der Gerichtshof insoweit klargestellt hat, genügt der Umstand, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit für die Gerichtsorganisation eine justizfremde Dritteinrichtung wie beispielsweise ein Verwaltungsorgan in Entscheidungen u. a. über die Ernennung von Richtern oder deren Verbleib im Amt in die Justiz einbinden, für sich allein nicht, um eine Beeinträchtigung des Grundsatzes der Unabhängigkeit der so ernannten Richter festzustellen ( 43 ). Denn nach Auffassung des Gerichtshofs ist der bloße Umstand, dass die Legislative oder die Exekutive im Verfahren der Ernennung eines Richters tätig werden, nicht geeignet, eine Abhängigkeit dieses Richters ihnen gegenüber zu schaffen oder Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen zu lassen, wenn der Betroffene nach seiner Ernennung keinerlei Druck ausgesetzt ist und bei der Ausübung seines Amtes keinen Weisungen unterliegt ( 44 ).

29.

Daraus folgt meiner Meinung nach, dass etwaige Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Ernennung der Mitglieder eines Spruchkörpers einer Einrichtung nur dann die Eigenschaft eines „unabhängigen Gerichts“ im Sinne von Art. 267 AEUV nehmen können, wenn sie die Fähigkeit einer solchen Einrichtung zur unabhängigen Entscheidung selbst beeinträchtigen ( 45 ). Wenn die Mitglieder eines Spruchkörpers bei ihrer Ernennung die erforderliche Befähigung für das Amt besitzen und ihre Entscheidungen (nach den geltenden Vorschriften) in völliger Unabhängigkeit treffen sollen, dürfte dies folglich genügen, damit die Eigenschaft eines „unabhängigen Gerichts“ im Sinne von Art. 267 AEUV erfüllt ist.

4. Zu der Frage, ob das vorlegende Gericht unter den Umständen des vorliegenden Falls die Eigenschaft eines „unabhängigen Gerichts“ im Sinne von Art. 267 AEUV besitzt

30.

Die Kammer für außerordentliche Überprüfung ist ein besonderer Spruchkörper beim Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht). Auch wenn der Gerichtshof entschieden hat, dass dieser grundsätzlich die Anforderungen von Art. 267 AEUV erfüllt ( 46 ), ist seine Besetzung als Kammer für außerordentliche Überprüfung im Rahmen der jüngsten Reformen des polnischen Justizsystems geschaffen worden, und die dieser Kammer angehörenden Richter sind unter den in Nr. 14 der vorliegenden Schlussanträge in Erinnerung gerufenen sehr umstrittenen Umständen zu Richtern des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) ernannt worden.

31.

Im Wesentlichen hängen die Zweifel an der Voraussetzung der Unabhängigkeit des vorlegenden Gerichts mit der indirekten Beteiligung der Exekutive an der Ernennung der diesem Gericht angehörenden Richter durch die KRS zusammen, die nach den jüngsten Reformen des polnischen Justizsystems zu einer „gefesselten Einrichtung“ unter der Kontrolle der Exekutive geworden sein soll.

32.

Weit davon entfernt, eine solche legislative Entwicklung, die sich in den Kontext einer bedauernswerten Rückbildung des polnischen Justizsystems einfügt, rechtfertigen zu wollen, erinnere ich daran, dass die Einbindung einer justizfremden Dritteinrichtung in die Ernennung von Richtern nach der in Nr. 28 der vorliegenden Schlussanträge angeführten ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs für sich allein nicht genügt, um eine Beeinträchtigung des Grundsatzes der Unabhängigkeit der Richter festzustellen. Außerdem lässt sich den Verfahrensakten weder entnehmen, dass die nach der Reform zum vorlegenden Gericht ernannten Richter nicht geeignet sind, ihr Amt wahrzunehmen, noch, dass der geltende Rechtsrahmen oder ihr Status sie daran hindern, ihr Amt in unabhängiger Weise auszuüben ( 47 ).

33.

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) nach den vom Gerichtshof im Urteil Getin Noble Bank eingeführten Beurteilungskriterien eine „Unabhängigkeitsvermutung“ genießt, die entweder durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung, mit der festgestellt wird, dass der Richter, aus dem das vorlegende Gericht besteht, nicht die Eigenschaft eines unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gerichts besitzt, oder durch andere Gesichtspunkte widerlegt werden könnte, die die Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit dieses Gerichts beeinträchtigen ( 48 ).

34.

Ohne dass es erforderlich wäre, meinen Vorschlag, diesen Grundsatz zu relativieren, zurückzunehmen ( 49 ), liegt hier meines Erachtens keiner der genannten Fälle vor.

35.

Zwar hat der EGMR mit seinem Urteil vom 8. November 2021, Dolińska-Ficek und Ozimek/Polen ( 50 ), das im Laufe des Verfahrens mehrfach angeführt worden ist, entschieden, dass ein Spruchkörper, der aus Richtern derselben Kammer für außerordentliche Überprüfung besteht ( 51 ), das Erfordernis eines auf Gesetz beruhenden Gerichts im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht erfülle. Allerdings bezweifle ich im Hinblick auf das Urteil Getin Noble Bank ( 52 ), dass es sich dabei um eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung handeln kann, die belegt, dass das vorlegende Gericht im Wesentlichen nicht die Eigenschaft eines unabhängigen Gerichts im Sinne von Art. 267 AEUV hat. Meines Erachtens betrifft diese Entscheidung vielmehr die Prüfung der Wahrung des Rechts auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz, die unter die Anwendung von Art. 6 Abs. 1 EMRK fällt und daher bei der Anwendung von Art. 47 der Charta, aber nicht notwendigerweise bei der von Art. 267 AEUV eine Rolle spielen könnte ( 53 ).

36.

Folglich kann das vorlegende Gericht auf der Grundlage der vorliegenden Informationen meiner Ansicht nach als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV eingestuft werden, da es unabhängig von den Kontroversen über die Ernennung seiner Mitglieder grundsätzlich berufen ist, in völliger Autonomie gegenüber der Exekutive, die (indirekt) an dieser Ernennung beteiligt ist ( 54 ), und völlig unparteiisch in Bezug auf die Interessen der Parteien über die Ausgangsrechtssache zu entscheiden.

37.

Nach alledem kann der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) in einer Besetzung mit drei Richtern, die die Kammer für außerordentliche Überprüfung bilden, für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens meiner Meinung nach als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV angesehen werden, so dass der Gerichtshof für die Beantwortung der Vorlagefragen dieses Gerichts zuständig ist.

B.   Erste Vorlagefrage

38.

Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV einer nationalen Regelung wie Art. 69 des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit entgegensteht, wonach die Möglichkeit für einen amtierenden Richter, sein Amt nach Erreichen des Ruhestandsalters weiter auszuüben, von der Zustimmung eines anderen Organs, im vorliegenden Fall der KRS, abhängig gemacht wird.

39.

Einleitend weise ich darauf hin, dass sich der Gerichtshof mehrfach zur Anwendbarkeit und Bedeutung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV auf bzw. für nationale (insbesondere polnische) Regelungen über das Justizsystem, einschließlich Vorschriften über die weitere Ausübung des Richteramts nach Erreichen des Ruhestandsalters, geäußert hat ( 55 ).

40.

In den folgenden Nummern werde ich, soweit im vorliegenden Fall relevant, die Tragweite von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV (1) und die Präzedenzfälle aus der Rechtsprechung betreffend den Verbleib von Richtern im Amt nach Erreichen des Ruhestandsalters (2) untersuchen, bevor ich eine Antwort auf die erste Vorlagefrage vorschlage (3).

1. Zur Tragweite von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV

a) Zum Grundsatz des „wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes“ in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen

41.

Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV bestimmt, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechtsbehelfe schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist, d. h. ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorsehen, mit dem in diesen Bereichen eine wirksame gerichtliche Kontrolle gewährleistet ist ( 56 ). Außerdem muss diese Bestimmung, da sie auf das Erfordernis eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes verweist, anhand von Art. 47 der Charta ausgelegt werden, unabhängig von der Frage, ob letztere Bestimmung als solche im vorliegenden Fall anwendbar ist ( 57 ).

42.

Da Art. 19 EUV den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof die Aufgabe überträgt, die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten sowie den gerichtlichen Schutz, der den Einzelnen aus diesem Recht erwächst, zu gewährleisten ( 58 ), findet diese Bestimmung mithin in den „vom Unionsrecht erfassten Bereichen“ Anwendung, ohne dass es insoweit darauf ankäme, in welchem Kontext die Mitgliedstaaten Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta durchführen ( 59 ).

43.

Im vorliegenden Fall können die polnischen ordentlichen Gerichte unbestreitbar zur Entscheidung über Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts berufen sein, so dass sie Bestandteil des polnischen Rechtsbehelfssystems in den „vom Unionsrecht erfassten Bereichen“ im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sind und den Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gerecht werden müssen ( 60 ).

b) Zum Grundsatz der Unabhängigkeit der nationalen Gerichte als Folge des Grundsatzes des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes

44.

Um einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV zu gewährleisten, ist die Wahrung der Unabhängigkeit der Einrichtung nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs von grundlegender Bedeutung, wie Art. 47 Abs. 2 der Charta bestätigt, wonach zu den Anforderungen im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf u. a. der Zugang zu einem „unabhängigen“ Gericht gehört ( 61 ).

45.

Wie in den Nrn. 17 und 18 der vorliegenden Schlussanträge in Erinnerung gerufen worden ist, hat der Gerichtshof für Recht erkannt, dass das Erfordernis der Unabhängigkeit der nationalen Gerichte einen ersten, das Außenverhältnis betreffenden Aspekt, der sich auf die Autonomie der Einrichtung bezieht, und einen zweiten, das Innenverhältnis betreffenden Aspekt umfasst, der auf ihre Unparteilichkeit abstellt, und dass diese Garantien der Autonomie und der Unparteilichkeit voraussetzen, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Einrichtung, die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für Enthaltung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit und Neutralität der genannten Stelle auszuräumen ( 62 ).

c) Zum Erfordernis der Unabsetzbarkeit der Richter als Teil des Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit

46.

Insbesondere in Bezug auf die „äußere“ Unabhängigkeit (die Autonomie) der Gerichte hat der Gerichtshof klargestellt, dass die Freiheit der Richter von jeglichen Interventionen oder jeglichem Druck von außen bestimmte Garantien erfordert, die geeignet sind, die mit der Aufgabe des Richtens Betrauten in ihrer Person zu schützen, wie z. B. die Unabsetzbarkeit ( 63 ).

47.

Der Grundsatz der Unabsetzbarkeit erfordert insbesondere, dass die Richter im Amt bleiben dürfen, bis sie das obligatorische Ruhestandsalter erreicht haben oder ihre Amtszeit, sofern diese befristet ist, abgelaufen ist. Dieser Grundsatz beansprucht zwar nicht völlig absolute Geltung, doch dürfen Ausnahmen von ihm nur unter der Voraussetzung gemacht werden, dass dies durch legitime und zwingende Gründe gerechtfertigt ist und dabei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet wird. So ist allgemein anerkannt, dass Richter abberufen werden können, wenn sie wegen Dienstunfähigkeit oder einer schweren Verfehlung nicht mehr zur Ausübung ihres Amtes geeignet sind, wobei angemessene Verfahren einzuhalten sind ( 64 ).

48.

Gleiches gilt meiner Meinung nach für Vorschriften über die Möglichkeit, Richter nach Erreichen des Ruhestandsalters im Amt zu halten, für die somit die Anforderungen gelten, die durch den Grundsatz der Unabsetzbarkeit der Richter vorgegeben werden.

2. Zu den Präzedenzfällen aus der Rechtsprechung betreffend den Verbleib von Richtern im Amt nach Erreichen des Ruhestandsalters

49.

Einleitend weise ich darauf hin, dass polnische Rechtsvorschriften über den Verbleib von Richtern im Amt nach Erreichen des Ruhestandsalters Gegenstand zweier jüngerer Urteile des Gerichtshofs gewesen sind:

des Urteils Unabhängigkeit des Obersten Gerichts betreffend eine Bestimmung ( 65 ), die dem Präsidenten der Republik die Befugnis verlieh, den Verbleib der Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) im Amt nach Erreichen des Ruhestandsalters zu genehmigen ( 66 );

des Urteils Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte betreffend eine frühere Fassung von Art. 69 § 1 des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit ( 67 ), wonach der Justizminister über die Genehmigung des Verbleibs der Richter der ordentlichen Gerichte im Amt nach Erreichen des Ruhestandsalters ( 68 ) entscheiden konnte, die im vorliegenden Fall besonders relevant erscheint.

50.

In diesen Urteilen hat der Gerichtshof klargestellt, dass es allein Sache der Mitgliedstaaten ist, zu entscheiden, ob sie eine Verlängerung der Amtszeit eines Richters über das Regelruhestandsalter hinaus zulassen, und dass der Umstand, dass Organen wie dem Präsidenten der Republik (im Fall der Verlängerung der Amtszeit der Richter des Sąd Najwyższy [Oberstes Gericht]) und dem Justizminister (im Fall der Verlängerung der Amtszeit der Richter der ordentlichen Gerichte) die Befugnis eingeräumt wird, zu entscheiden, ob eine solche mögliche Verlängerung genehmigt wird oder nicht, für sich allein genommen nicht für die Feststellung genügt, dass der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt ist ( 69 ). Der Gerichtshof hat jedoch entschieden, dass die Mitgliedstaaten, wenn sie sich für solche Verfahren entscheiden, dafür Sorge tragen müssen, dass die Voraussetzungen für eine Verlängerung und deren Modalitäten nicht so beschaffen sind, dass sie den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigen ( 70 ).

51.

Insbesondere in Bezug auf diese Voraussetzungen für eine Verlängerung und deren Modalitäten hat der Gerichtshof entschieden, dass die dem Präsidenten der Republik bzw. dem Justizminister eingeräumte Befugnis, zu entscheiden, ob sie Richtern gestatteten, ihr Richteramt weiter auszuüben, geeignet war, u. a. bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit der betroffenen Richter für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen zu lassen ( 71 ).

52.

Der Gerichtshof hat diese Schlussfolgerung im Wesentlichen auf den Umstand gestützt, dass die Entscheidungen, die mögliche Verlängerung der Amtszeit der Richter gegebenenfalls zu genehmigen, auf zu unbestimmten und nicht nachprüfbaren Kriterien beruhten, dass sie im Übrigen weder begründet waren noch Gegenstand einer Klage sein konnten ( 72 ) und dass – was die Entscheidungsbefugnis des Justizministers angeht – dieser an keine Frist für den Erlass seiner Entscheidung über den Verlängerungsantrag gebunden war ( 73 ). Der Gerichtshof hat darüber hinaus entschieden, dass die dem Justizminister eingeräumte Befugnis, zu entscheiden, ob er Richtern der ordentlichen Gerichte gestattet, ihr Richteramt weiter auszuüben, insbesondere gegen den Grundsatz der Unabsetzbarkeit verstößt, da diese Befugnis im übergeordneten Kontext einer Reform übertragen wurde, die zu einer Herabsetzung des Regelruhestandsalters für die fraglichen Richter geführt hat ( 74 ).

53.

Im vorliegenden Fall ist eine Beurteilung geboten, die mit der Beurteilung des Urteils Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte nahezu identisch ist, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Republik Polen ihre Rechtsvorschriften über den Verbleib der Richter der ordentlichen Gerichte im Amt nach Erreichen des Ruhestandsalters infolge dieses Urteils geändert hat, indem sie u. a. das zuvor geltende Ruhestandsalter für Richter wiederhergestellt und der KRS – und nicht mehr dem Justizminister – die Befugnis übertragen hat, den Verbleib eines Richters im Amt unter bestimmten Voraussetzungen über dieses Alter hinaus zu genehmigen.

3. Zur Beurteilung der Umstände des vorliegenden Falls

54.

Im vorliegenden Fall erinnere ich daran, dass Art. 69 § 1b des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit, soweit hier relevant, vorsieht, dass die KRS einem Richter auf Wunsch ihre Zustimmung dazu erteilen kann, sein Amt nach Erreichen des Ruhestandsalters weiter auszuüben, wenn der Verbleib im Amt dem Interesse der Rechtspflege oder einem wichtigen gesellschaftlichen Interesse entspricht, wobei ein rationeller Einsatz der Bediensteten der ordentlichen Gerichte und der sich aus der Arbeitsbelastung der einzelnen Gerichte ergebende Bedarf zu berücksichtigen sind ( 75 ).

55.

In den folgenden Nummern werde ich unter Berücksichtigung der in Nr. 50 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung Hinweise zur Auslegung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV unter den Umständen des vorliegenden Falls geben, wobei zum einen dem Wesen der KRS (a) und zum anderen den materiellen Voraussetzungen und den Verfahrensmodalitäten für den Erlass ihrer Entscheidungen über den Verbleib von Richtern im Amt (b) Rechnung getragen werden soll.

a) Zum Wesen der KRS

56.

Bezüglich des Wesens der KRS weise ich einleitend darauf hin, dass dieses Organ, wie in der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofs mehrfach festgestellt worden ist, nach den jüngsten Reformen des polnischen Justizsystems nicht unabhängig von der Legislative und Exekutive ist ( 76 ).

57.

Diese Schlussfolgerung ist auch durch die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK bestätigt worden. In seinem Urteil vom 8. November 2021, Dolińska-Ficek und Ozimek/Polen ( 77 ), hat der EGMR nämlich festgestellt, dass die Kammer für außerordentliche Überprüfung kein „auf Gesetz beruhendes Gericht“ sei und die Republik Polen somit gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßen habe, weil die Mitglieder dieser Kammer auf Vorschlag der KRS ernannt würden, die nicht unabhängig von der Legislative und Exekutive sei ( 78 ).

58.

Die genannte Schlussfolgerung ist im Übrigen verschiedentlich von den höchsten polnischen Gerichten geteilt worden. Denn zum einen hat der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) mit Urteilen vom 6. und 13. Mai 2021 festgestellt, dass die KRS keine ausreichende Gewähr für Unabhängigkeit biete und ihre Abhängigkeit von der Legislative und Exekutive so stark sei, dass sie bei der Beurteilung der Frage, ob die von ihr ausgewählten Richter die objektiven Erfordernisse der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Art. 47 der Charta erfüllten, nicht unberücksichtigt bleiben könne. Zum anderen hat der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) in seinem Beschluss vom 23. Januar 2020 ebenfalls darauf hingewiesen, dass die KRS kein unabhängiges Organ sei, da sie unmittelbar den politischen Stellen unterstehe ( 79 ).

59.

Allerdings habe ich den Eindruck, dass der Umstand, dass einem Organ wie der KRS die Befugnis eingeräumt wird, zu entscheiden, ob eine mögliche Verlängerung der Amtszeit eines Richters über das Regelruhestandsalter hinaus genehmigt wird oder nicht, so bedauernswert er auch sein mag, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs für sich allein nicht genügt, um eine Beeinträchtigung des Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit festzustellen ( 80 ). Der Gerichtshof, der die grundsätzliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Organisation der Justiz anerkennt, akzeptiert nämlich, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen der Ausübung dieser Zuständigkeit ein außerhalb der Justiz stehendes (entweder unabhängiges oder der Legislative bzw. Exekutive angehörendes) Organ in Entscheidungen einbinden, die sich u. a. auf die Ernennung von Richtern oder deren Verbleib im Amt beziehen ( 81 ).

60.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs muss jedoch sichergestellt sein, dass die materiellen Voraussetzungen und die Verfahrensmodalitäten, die für den Erlass solcher Entscheidungen gelten, so beschaffen sind, dass sie bei den Rechtsunterworfenen keine berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der betroffenen Richter für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen lassen ( 82 ), was ich im Folgenden untersuchen werde.

b) Zu den materiellen Voraussetzungen und den Verfahrensmodalitäten, die für den Erlass von Entscheidungen über den Verbleib von Richtern im Amt gelten

61.

Was die materiellen Voraussetzungen und die Verfahrensmodalitäten angeht, die für den Erlass von Entscheidungen über den Verbleib von Richtern im Amt nach Erreichen des Ruhestandsalters gelten, so erinnere ich daran, dass der Justizminister nach der Fassung von Art. 69 § 1b des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die Gegenstand des Urteils Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte ( 83 ) war, einem Richter seine Zustimmung dazu erteilen konnte, sein Amt weiter auszuüben, wobei „ein rationeller Einsatz der Bediensteten der ordentlichen Gerichte und der sich aus der Arbeitsbelastung der einzelnen Gerichte ergebende Bedarf“ zu berücksichtigen war. Der Gerichtshof hat diese Kriterien zum einen für zu unbestimmt und nicht nachprüfbar gehalten, wobei er auch das Fehlen einer Begründungspflicht und eines gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen eine solche Entscheidung beanstandet hat, und zum anderen bemängelt, dass dem Justizminister keine Frist für die Entscheidungsfindung gesetzt worden war ( 84 ).

62.

Als Erstes stelle ich zu den materiellen Voraussetzungen fest, dass die Fassung von Art. 69 § 1b des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die Gegenstand der Ausgangsrechtssache ist, vorsieht, dass die KRS einem Richter ihre Zustimmung dazu erteilen kann, sein Amt weiter auszuüben, „wenn der Verbleib im Amt dem Interesse der Rechtspflege oder einem wichtigen gesellschaftlichen Interesse entspricht; zu berücksichtigen sind hierbei ein rationeller Einsatz der Bediensteten der ordentlichen Gerichte und der sich aus der Arbeitsbelastung der einzelnen Gerichte ergebende Bedarf“. Im Vergleich zu ihrer früheren Fassung fügt die fragliche Vorschrift somit die Voraussetzung hinzu, wonach der Verbleib im Richteramt „dem Interesse der Rechtspflege oder einem wichtigen gesellschaftlichen Interesse [entsprechen]“ muss.

63.

Ich bezweifle jedoch, dass dieser neue Zusatz die Kriterien, auf die sich der Beschluss der KRS stützt, in einer Weise präzisiert, dass dadurch der Ermessensspielraum, der vom Gerichtshof beanstandet worden ist, eingeschränkt werden kann ( 85 ).

64.

Als Zweites scheint mir die neue Regelung in Bezug auf die Verfahrensmodalitäten – ebenso wenig wie die vom Gerichtshof beanstandet frühere Regelung – zunächst keine Frist vorzusehen, innerhalb deren die KRS ihren Beschluss zu fassen hat, da die polnische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen und in der mündlichen Verhandlung lediglich ausführt, dass ein Richter, wenn das Verfahren bezüglich seines Verbleibs im Amt im Sinne von Art. 69 § 1b des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit nach Erreichen des Ruhestandsalters noch nicht abgeschlossen sei, bis zum Abschluss dieses Verfahrens im Amt bleibe.

65.

Sodann habe ich den Eindruck, dass solche Beschlüsse, soweit Art. 42 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über die KRS auf sie anwendbar ist, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat, innerhalb eines Monats nach ihrer Annahme begründet werden, was es grundsätzlich ermöglichen dürfte, auf die Kritikpunkte einzugehen, die der Gerichtshof unter der Geltung der früheren Regelung in diesem Zusammenhang geäußert hat.

66.

Schließlich kann der Beschluss der KRS, wie die Ausgangsrechtssache zeigt, anders als unter der früheren Regelung Gegenstand eines Rechtsbehelfs vor der Kammer für außerordentliche Überprüfung sein ( 86 ), deren Unabhängigkeit gleichwohl vielfach ausgesprochen kritisch betrachtet wird ( 87 ).

67.

Im Ergebnis zweifle ich unbeschadet der Nachprüfungen, die das vorlegende Gericht auf der Grundlage der vorstehenden Hinweise durchzuführen hat, daran, dass das Verfahren der Zustimmung der KRS zum Verbleib von Richtern im Amt nach Erreichen des Ruhestandsalters ausreichende Gewähr für Unabhängigkeit gegenüber Legislative und Exekutive bietet, wenn sämtliche relevanten tatsächlichen und rechtlichen Umstände, die sich sowohl auf die Voraussetzungen, unter denen die Mitglieder dieses Organs ernannt worden sind, als auch auf die Art und Weise beziehen, in der es seine Rolle konkret ausfüllt, berücksichtigt werden.

68.

Ich schlage somit vor, auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Wirksamkeit der Erklärung eines Richters, sein Amt nach Erreichen des Ruhestandsalters weiter ausüben zu wollen, von der Zustimmung eines Organs abhängig macht, dessen fehlende Unabhängigkeit gegenüber der Legislative bzw. Exekutive nachgewiesen worden ist und das seine Entscheidungen auf der Grundlage unbestimmter und schwer nachprüfbarer Kriterien trifft.

C.   Zweite Vorlagefrage

69.

Mit seiner zweiten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV einer nationalen Regelung wie Art. 69 des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit – dahin ausgelegt, dass sie den Ausschluss einer verspäteten Erklärung, das Richteramt nach Erreichen des Ruhestandsalters weiter ausüben zu wollen, unabhängig von den Umständen und den Wirkungen der Fristversäumnis vorsieht – entgegensteht.

70.

Ich erinnere daran, dass die fragliche nationale Regelung, soweit sie sich auf die Amtszeit der Richter der ordentlichen Gerichte auswirkt, in den Anwendungsbereich des Grundsatzes der Unabsetzbarkeit der Richter fällt, der dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichte im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV inhärent ist ( 88 ).

71.

Außerdem muss die Vereinbarkeit der genannten Bestimmung mit dem Grundsatz der Unabhängigkeit in Ermangelung detaillierter Vorschriften auf Unionsebene im Licht des Grundsatzes der Verfahrensautonomie und des Effektivitätsgrundsatzes geprüft werden ( 89 ).

72.

Im vorliegenden Fall stelle ich einleitend fest, dass eine ähnliche wie die fragliche Bestimmung von der Kommission im Rahmen der Rechtssachen, in denen die Urteile Unabhängigkeit des Obersten Gerichts ( 90 ) und Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte ( 91 ) ergangen sind, nicht beanstandet worden ist.

73.

Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt, stellen klare und vorhersehbare Fristen für die Erklärung des betreffenden Richters, sein Amt nach Erreichen des Ruhestandsalters weiter ausüben zu wollen, objektive Verfahrenserfordernisse dar, die zur Rechtssicherheit und zur Objektivität des gesamten Verfahrens der Zustimmung zur weiteren Ausübung des Richteramts beitragen können. Im vorliegenden Fall wird die fragliche Frist, die ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Richter das 64. Lebensjahr vollendet, und sechs Monate vor Vollendung des 65. Lebensjahrs abläuft, zum einen im Zusammenhang mit einem Ereignis festgelegt, das dem betreffenden Richter bestens bekannt ist, nämlich dem Tag seines 65. Geburtstags, und ist zum anderen lang genug, um diesem Richter die Möglichkeit zu geben, eine vernünftige Entscheidung hinsichtlich der Gelegenheit zu treffen, seinen Willen zur weiteren Ausübung des Richteramts zu bekunden.

74.

Folglich bin ich zum einen der Ansicht, dass die Ausschlusswirkung dieser Frist ein klares Verfahrenserfordernis ist, das im Interesse einer guten Organisation des Justizsystems zur Objektivität des Verfahrens und zur Rechtssicherheit beitragen kann.

75.

Zum anderen stelle ich in Bezug auf die fehlende Möglichkeit, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, die zur Unzulässigkeit nach Fristablauf abgegebener Erklärungen führt, fest, dass diese Frist die Richter grundsätzlich keinerlei Druck oder Einflussnahme von außen aussetzt und der KRS darüber hinaus die Möglichkeit zur Ermessensausübung nimmt.

76.

Der einzige Zweifel, der meiner Meinung nach gegebenenfalls gegenüber Art. 69 des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit geäußert werden könnte, betrifft die Verhältnismäßigkeit einer absoluten Ausschlussfrist, die u. a. den Grundsätzen der Notwendigkeit und der höheren Gewalt keine Rechnung trägt, sofern dies durch das vorlegende Gericht bestätigt wird.

77.

Zum einen bleibt diese Situation unter den Umständen des vorliegenden Falls meines Erachtens jedoch hypothetisch, da in der Vorlageentscheidung weder von einem Fall höherer Gewalt noch von irgendeinem außergewöhnlichen Umstand die Rede ist, der den betreffenden Richter daran hindern könnte, seine Erklärung rechtzeitig einzureichen ( 92 ), und zum anderen müsste das etwaige Auftreten einer Situation, die vom Willen des fraglichen Richters unabhängig ist und ihn daran hindern würde, die Ausschlussfrist einzuhalten, jedenfalls gegen die Erfordernisse der Organisation der Justiz abgewogen werden ( 93 ).

78.

Folglich beeinträchtigt die in Rede stehende nationale Bestimmung vorbehaltlich der vorstehend erwähnten Überprüfungen durch das vorlegende Gericht unter den gegebenen Umständen meines Erachtens nicht den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit.

79.

Im Ergebnis schlage ich vor, auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung, die dahin ausgelegt wird, dass die verspätete Erklärung eines Richters, das Richteramt nach Erreichen des Ruhestandsalters weiter ausüben zu wollen, unabhängig von den Umständen der Fristversäumnis und deren Bedeutung für das Verfahren zur Erteilung der Zustimmung zur weiteren Ausübung des Richteramts unwirksam ist, grundsätzlich nicht entgegensteht, sofern diese Regelung im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht.

V. Ergebnis

80.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) wie folgt zu antworten:

1.

Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Wirksamkeit der Erklärung eines Richters, sein Amt nach Erreichen des Ruhestandsalters weiter ausüben zu wollen, von der Zustimmung eines Organs abhängig macht, dessen fehlende Unabhängigkeit gegenüber der Legislative bzw. Exekutive nachgewiesen worden ist und das seine Entscheidungen auf der Grundlage unbestimmter und schwer nachprüfbarer Kriterien trifft.

2.

Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, die dahin ausgelegt wird, dass die verspätete Erklärung eines Richters, das Richteramt nach Erreichen des Ruhestandsalters weiter ausüben zu wollen, unabhängig von den Umständen der Fristversäumnis und deren Bedeutung für das Verfahren zur Erteilung der Zustimmung zur weiteren Ausübung des Richteramts unwirksam ist, grundsätzlich nicht entgegensteht, sofern diese Regelung im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) Insbesondere der jüngsten Reformen des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) in Bezug auf die Kammer für außerordentliche Überprüfung und der KRS.

( 3 ) Vgl. Urteile vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen (Unabhängigkeit des Obersten Gerichts) (C‑619/18, im Folgenden: Urteil Unabhängigkeit des Obersten Gerichts, EU:C:2019:531), vom 5. November 2019, Kommission/Polen (Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte) (C‑192/18, im Folgenden: Urteil Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte, EU:C:2019:924), und vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen (Disziplinarordnung für Richter) (C‑791/19, im Folgenden: Urteil Disziplinarordnung für Richter, EU:C:2021:596). Eine vierte Vertragsverletzungsklage ist derzeit anhängig (Kommission/Polen, C‑204/21) und war Gegenstand der Schlussanträge des Generalanwalts Collins vom 15. Dezember 2022 (EU:C:2022:991).

( 4 ) Vgl. Urteile vom 19. November 2019, A. K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, im Folgenden: Urteil A. K., EU:C:2019:982), vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny (C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234), vom 2. März 2021, A. B. u. a. (Ernennung von Richtern zum Obersten Gericht – Rechtsbehelf) (C‑824/18, im Folgenden: Urteil A. B., EU:C:2021:153), vom 6. Oktober 2021, W. Ż. (Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts – Ernennung) (C‑487/19, im Folgenden: Urteil W. Ż., EU:C:2021:798), vom 16. November 2021, Prokuratura Rejonowa w Mińsku Mazowieckim u. a. (C‑748/19 bis C‑754/19, EU:C:2021:931), vom 22. März 2022, Prokurator Generalny u. a. (Disziplinarkammer des Obersten Gerichts – Ernennung) (C‑508/19, EU:C:2022:201), sowie vom 29. März 2022, Getin Noble Bank (C‑132/20, im Folgenden: Urteil Getin Noble Bank, EU:C:2022:235). Diese Reformen sind ebenfalls Gegenstand zahlreicher laufender Rechtssachen, darunter die verbundenen Rechtssachen YP u. a. (Aufhebung der Immunität und Suspendierung eines Richters) (C‑615/20 und C‑671/20) sowie G. u. a. (Ernennung von ordentlichen Richtern in Polen)(C‑181/21 und C‑269/21), die Gegenstand der Schlussanträge des Generalanwalts Collins (EU:C:2022:986 bzw. EU:C:2022:990) waren.

( 5 ) Dz. U. 2018, Position 5.

( 6 ) Konsolidierte Fassung, Dz. U. 2020, Position 2072.

( 7 ) Konsolidierte Fassung, Dz. U. 2021, Position 269.

( 8 ) Der fraglichen, vom Präsidenten des Sąd Okręgowy w K. (Regionalgericht K.) übermittelten Erklärung waren eine ärztliche, eine psychologische und eine Befähigungsbescheinigung sowie ein Attest über die psychische Eignung, die nach den einschlägigen Rechtsvorschriften erforderlich sind, beigefügt.

( 9 ) Er macht insoweit geltend, die Nichteinhaltung dieser Frist sei auf die Anhäufung seiner laufenden Rechtsprechungstätigkeiten zurückzuführen.

( 10 ) Dieser Beschluss erging nach einer Empfehlung eines vom Vorsitzenden der KRS ad hoc bestimmten Gremiums von Mitgliedern zur Einstellung des Verfahrens ohne eine Stellungnahme des über diese Bestimmung informierten Justizministers.

( 11 ) Der Kläger stellte darüber hinaus einen Antrag auf Aussetzung der Wirkungen des streitigen Beschlusses, dem mit Beschluss des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) vom 29. April 2021 stattgegeben wurde.

( 12 ) Vgl. u. a. Urteile A. K. (Rn. 136 bis 145), A. B. (Rn. 130 und 131) und Disziplinarordnung für Richter (Rn. 100 bis 108). Es handelte sich um die Besetzung, die sich aus dem Gesetz über die KRS in der Fassung der Ustawa o zmianie ustawy o Krajowej Radzie Sądownictwa oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Landesjustizrat und bestimmter anderer Gesetze) vom 8. Dezember 2017 (Dz. U. 2018, Position 3) ergab.

( 13 ) EGMR, 8. November 2021, Dolińska-Ficek und Ozimek/Polen (CE:ECHR:2021:1108JUD004986819). Die Prüfung des Beschlusses Nr. 331/2018 durch den EGMR war auch Gegenstand des Urteils W. Ż. (Rn. 134 bis 154).

( 14 ) Diese Umstände sind sehr umstritten, da das vorlegende Gericht in seinen zusätzlichen Anmerkungen – ebenso wie die KRS und die polnische Regierung – mehrere Kritikpunkte, insbesondere hinsichtlich der Auslegung des Sicherungsbeschlusses und des Urteils des Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) durch die Rechtsprechung der Union und des EGMR, formuliert.

( 15 ) Vgl. u. a. Urteil Getin Noble Bank (Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 16 ) Der Gerichtshof hat mehrfach klargestellt, dass diese Vorschrift ein allgemeiner Grundsatz ist, mit dem der Wert der in Art. 2 EUV proklamierten Rechtsstaatlichkeit konkretisiert wird, und legt sie regelmäßig anhand von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) aus, in der dieser allgemeine Grundsatz, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt, ebenso wie in den Art. 6 und 13 EMRK nun auch verankert ist (vgl. u. a. Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 32 und 35 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

( 17 ) Dieser Aspekt erfordert im Wesentlichen, dass die betreffende Einrichtung ihre Funktionen ausübt, ohne mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet zu sein und ohne von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen zu erhalten, so dass sie auf diese Weise vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteils ihrer Mitglieder gefährden und deren Entscheidungen beeinflussen könnten (vgl. Urteil Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte, Rn. 109 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die für den Status der Richter und die Ausübung ihres Amts geltenden Vorschriften müssen es insbesondere ermöglichen, nicht nur jede Form der unmittelbaren Einflussnahme in Form von Weisungen, sondern auch die Formen der mittelbaren Einflussnahme, die zur Steuerung der Entscheidungen der betreffenden Richter geeignet sein könnten, auszuschließen, und damit auszuschließen, dass diese Richter den Eindruck vermitteln, nicht unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden könnte, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss (vgl. Urteil W. Ż., Rn. 110 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 18 ) Dieser Aspekt bezieht sich im Wesentlichen darauf, dass den Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen am Streitgegenstand mit dem gleichen Abstand begegnet wird, und verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht (vgl. Urteil Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte, Rn. 110 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 19 ) Vgl. Urteile Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte (Rn. 111 und die dort angeführte Rechtsprechung) sowie W. Ż. (Rn. 109 und die dort angeführte Rechtsprechung). Nach Auffassung des Gerichtshofs, der insoweit auf die Rechtsprechung des EGMR abstellt, müssen diese beiden Erfordernisse der Autonomie und der Unparteilichkeit das Vertrauen gewährleisten, das jedes Gericht in einer demokratischen Gesellschaft bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss, wobei sich der Gerichtshof (vor allem in Bezug auf die Unparteilichkeit) auf die „Theorie des Eindrucks von Unabhängigkeit“ stützt (vgl. in diesem Sinne Urteil A. K., Rn. 127 bis 129, sowie – im Schrifttum – Krajewski, M., Ziółkowski, M., EU judicial independence decentralized: A. K., Common market law review, 2020, Bd. 57, Nr. 4, S. 1123, und Pappalardo, F., Renoud, E., „La théorie des apparences, les juges et l’État de droit en Pologne“, Revue des affaires européennes, 2021, Nr. 3, S. 667).

( 20 ) Urteil Getin Noble Bank (Rn. 69). Auch in jenem Fall ging es um den Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), wenn auch mit einem Einzelrichter als Spruchkörper. In besagtem Fall war der Rechtsakt zur Ernennung dieses Richters vom 10. Oktober 2018 unter identischen Umständen angenommen worden, wie sie Gegenstand des Urteils W. Ż. waren. Dieser Rechtsakt beruhte auf dem Beschluss Nr. 331/2018, dessen Vollstreckung durch Beschluss des Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) ausgesetzt worden war (vgl. Nr. 14 der vorliegenden Schlussanträge und Urteil W. Ż., Rn. 32 bis 34).

( 21 ) Vgl. Urteil Getin Noble Bank (Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 22 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil Getin Noble Bank (Rn. 68 bis 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 23 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil Getin Noble Bank (Rn. 75). In jenem Fall hat sich der Gerichtshof auf die Feststellung beschränkt, dass, da er keine Kenntnis davon hatte, dass in Bezug auf den Richter, aus dem das vorlegende Gericht bestand, eine solche rechtskräftige gerichtliche Entscheidung ergangen wäre, die etwaigen Mängel des nationalen Verfahrens zu seiner Ernennung nicht zur Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens führen konnten (Rn. 73 dieses Urteils). In seinem Urteil vom 12. Mai 2022, W. J. (Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsberechtigten) (C‑644/20, EU:C:2022:371, Rn. 52), hat der Gerichtshof im Wesentlichen klargestellt, dass Beweise, die die fragliche Vermutung widerlegen könnten, konkret und genau sein müssen.

( 24 ) Nach Auffassung von Generalanwalt Bobek enthält das Unionsrecht zwar nur einen Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit. Da diese drei Bestimmungen jedoch hinsichtlich ihrer Zielsetzung und Aufgabe unterschiedlich seien, könne die Art der Prüfung, die durchzuführen sei, um die Einhaltung des Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit zu überprüfen, unterschiedlich ausfallen, insbesondere hinsichtlich der Intensität der Prüfung des Gerichtshofs im Hinblick auf die Einhaltung dieses Grundsatzes und der Schwelle für die Feststellung eines Verstoßes gegen diesen Grundsatz (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache Getin Noble Bank, C‑132/20, EU:C:2021:557, Nr. 36). Zuvor hatte Generalanwalt Wahl im Wesentlichen für eine weniger enge Auslegung der Eigenschaft einer unabhängigen Einrichtung im Rahmen des Begriffs „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV als bei dem von Art. 6 EMRK und Art. 47 der Charta plädiert (Schlussanträge des Generalanwalts Wahl in den verbundenen Rechtssachen Torresi, C‑58/13 und C‑59/13, EU:C:2014:265, Nrn. 48 bis 51).

( 25 ) Vgl. u. a. Urteil Getin Noble Bank (Rn. 72). In jenem Fall hat der Gerichtshof jedoch klargestellt, dass die Vermutung, wonach das nationale Gericht, von dem ein Vorabentscheidungsersuchen stammt, u. a. das Erfordernis der Unabhängigkeit erfüllt (vgl. Nr. 18 der vorliegenden Schlussanträge), „nur zum Zweck der Beurteilung der Zulässigkeit von Vorabentscheidungsersuchen im Rahmen von Art. 267 AEUV“ gilt und sich daraus „nicht ableiten [lässt], dass die Voraussetzungen für die Ernennung der Richter des vorlegenden Gerichts zwangsläufig die Annahme zulassen, dass die Garantien für den Zugang zu einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV oder Art. 47 der Charta erfüllt sind“ (Urteil Getin Noble Bank, Rn. 74; vgl. auch Urteil vom 13. Oktober 2022, Perfumesco.pl, C‑355/21, EU:C:2022:791, Rn. 33).

( 26 ) Vgl. Urteil vom 20. April 2021, Repubblika (C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 52).

( 27 ) Vgl. Urteil vom 20. April 2021, Repubblika (C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 52). Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang darüber hinaus klargestellt, dass dem in Art. 47 der Charta verankerten Recht, bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, die Pflicht der Mitgliedstaaten nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV entspricht, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist (vgl. Urteil vom 16. Mai 2017, Berlioz Investment Fund, C‑682/15, EU:C:2017:373, Rn. 44). Vgl. im Schrifttum u. a. Wildemeersch, J., L’avènement de l’article 47 de la Charte des droits fondamentaux et de l’article 19, paragraphe 1, second alinéa, TUE: un droit renouvelé à la protection juridictionnelle effective, Cahiers de droit européen, 2021, Nr. 3, S. 867.

( 28 ) Dies hindert den Gerichtshof jedoch nicht daran, Art. 47 der Charta wie einen Parameter zur Beurteilung der richterlichen Unabhängigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV zu verwenden (vgl. u. a. Urteile vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Unabhängigkeit des Obersten Gerichts, Rn. 54).

( 29 ) Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache Getin Noble Bank (C‑132/20, EU:C:2021:557, Nrn. 48, 50 bis 52 und 65). Dieser Generalanwalt hat klargestellt, dass die Beurteilung der Unabhängigkeit nach Art. 267 AEUV erfordert, dass der Begriff des Gerichts auf der strukturellen, institutionellen Ebene untersucht wird und dass er geprüft wird, indem man das vorlegende Gericht als solches betrachtet und dabei die Funktion berücksichtigt, die dieses Organ unter den besonderen Umständen eines Falles auszuüben hat (vgl. in diesem Sinne seine Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen Prokuratura Rejonowa w Mińsku Mazowieckim u. a., C‑748/19 bis C‑754/19, EU:C:2021:403, Nrn. 52, 56 und 166, sowie in der Rechtssache Ministerstwo Sprawiedliwości, C‑55/20, EU:C:2021:500, Nr. 56).

( 30 ) Mit anderen Worten darf die diesbezügliche Analyse des Gerichtshofs nicht verwendet werden, um zu überprüfen, ob die Personen, die dem Gericht angehören und in dem Spruchkörper tagen, der die Vorlage eingereicht hat, jeweils die fraglichen Kriterien erfüllen, sondern muss sich auf die vorlegende Einrichtung stützen (vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache Getin Noble Bank, C‑132/20, EU:C:2021:557, Nr. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 31 ) Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache Getin Noble Bank (C‑132/20, EU:C:2021:557, Nr. 47). Bei der Prüfung der Frage, ob die vorlegende Einrichtung strukturell sowohl von den Parteien des Rechtsstreits („innere“ Unabhängigkeit) als auch von jeglicher externen Einflussnahme anderer staatlicher Stellen („äußere“ Unabhängigkeit) unabhängig ist, hat der Gerichtshof mithin den (förmlichen) Rechtsrahmen zu berücksichtigen (Nr. 63).

( 32 ) Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 17. September 1997, Dorsch Consult (C‑54/96, EU:C:1997:413, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 33 ) Im Schrifttum ist festgestellt worden, dass das Vorliegen dieser Gesichtspunkte nicht immer als unerlässlich angesehen werde (vgl. Pertek, J., Notion de juridiction: le droit au renvoi préjudiciel des organes ordinaux des professions libérales, Revue des affaires européennes, 2022, Nr. 1, S. 127).

( 34 ) Vgl. u. a. Urteile vom 21. März 2000, Gabalfrisa u. a. (C‑110/98 bis C‑147/98, EU:C:2000:145, Rn. 40), betreffend Einrichtungen, die für die Entscheidung über Rechtsbehelfe in Steuersachen zuständig sind und deren Mitglieder durch Entscheidung des Ministers für Wirtschaft und Finanzen aus den Reihen von Beamten der Verwaltungen ernannt und entlassen wurden, vom 29. November 2001, De Coster (C‑17/00, EU:C:2001:651, Rn. 18), betreffend eine mit Gerichtsbarkeit im Bereich örtlicher Finanzrechtsstreitigkeiten in Belgien ausgestattete Einrichtung, deren Mitglieder vom Rat der Region Brüssel-Hauptstadt ernannt wurden, vom 21. Oktober 2010, Nidera Handelscompagnie (C‑385/09, EU:C:2010:627, Rn. 34 bis 40), betreffend eine Einrichtung, die mit der Prüfung der Beschwerden von Steuerpflichtigen betraut und in die Organisationsstruktur des Finanzministeriums eingegliedert war, dem sie jährlich Bericht erstatten und mit dem sie zusammenarbeiten musste, vom 22. November 2012, Westbahn Management (C‑136/11, EU:C:2012:740, Rn. 28), betreffend eine für Entscheidungen von Rechtsstreitigkeiten über die Eisenbahnmärkte in Österreich zuständige Einrichtung, deren Mitglieder mehrheitlich von der Regierung ernannt wurden, sowie vom 13. Dezember 2012, Forposta und ABC Direct Contact (C‑465/11, EU:C:2012:801, Rn. 18), betreffend ein für die erstinstanzliche Entscheidung über Rechtsstreitigkeiten zwischen Wirtschaftsteilnehmern und öffentlichen Auftraggebern im Rahmen des Vergaberechts zuständiges Organ. Vgl. im Schrifttum Krajewski, M., und Ziółkowski, M., EU judicial independence decentralized: A. K., Common market law review, 2020, Bd. 57, Nr. 4, S. 1118.

( 35 ) Vgl. in Bezug auf den Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) beispielsweise Urteile vom 20. Mai 2021, FORMAT Urządzenia i Montaże Przemysłowe (C‑879/19, EU:C:2021:409), vom 8. Juli 2021, Koleje Mazowieckie (C‑120/20, EU:C:2021:553), W. Ż. (betreffend die Zivilkammer), vom 21. Oktober 2021, Zakład Ubezpieczeń Społecznych I Oddział w Warszawie (C‑866/19, EU:C:2021:865), sowie vom 22. März 2022, Prokurator Generalny u. a. (Disziplinarkammer des Obersten Gerichts – Ernennung) (C‑508/19, EU:C:2022:201) (Kammer für Arbeits- und Sozialversicherungssachen), in denen der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht geantwortet hat, ohne dessen Eigenschaft als unabhängiges Organ zu hinterfragen.

( 36 ) Im Übrigen hat der Gerichtshof, auch wenn die für die Zwecke von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV erforderlichen Garantien der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit voraussetzen, dass es Regeln insbesondere für die Ernennung gibt, die es ermöglichen, jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit und der Neutralität dieser Stelle auszuräumen, seit langem die Ansicht vertreten, dass es ihm im Rahmen der Prüfung der Eigenschaft eines „Gerichts“ im Sinne von Art. 267 AEUV nicht zusteht, anzunehmen, diese Regeln würden in einer den in der innerstaatlichen Rechtsordnung verankerten Grundsätzen oder den Grundsätzen eines Rechtsstaats zuwiderlaufenden Weise angewandt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Februar 1999, Köllensperger und Atzwanger, C‑103/97, EU:C:1999:52, Rn. 24, sowie Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache Getin Noble Bank, C‑132/20, EU:C:2021:557, Nr. 62).

( 37 ) Darüber hinaus ermöglicht eine solche Auslegung dem vorlegenden Gericht, der jedem Gericht obliegenden Verpflichtung nachzukommen, zu überprüfen, ob es in Anbetracht seiner Zusammensetzung ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht ist, wenn insoweit ein ernsthafter Zweifel besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission, C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Beschluss der Vizepräsidentin des Gerichtshofs vom 14. Juli 2021, Kommission/Polen, C‑204/21 R, EU:C:2021:593, Rn. 164).

( 38 ) Wie Generalanwalt Wahl bemerkt hat, brächte eine zu enge Anwendung der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Kriterien für die Zulässigkeit von Vorlagen nach Art. 267 AEUV nämlich das Risiko mit sich, zu einem Ergebnis zu führen, das im Gegensatz zu dem Ergebnis steht, gemäß Art. 6 EMRK und Art. 47 der Charta den Schutz von Einzelpersonen zu stärken und ein hohes Niveau des Grundrechtsschutzes zu gewährleisten, da Einzelpersonen die Möglichkeit genommen würde, über ihre auf das Unionsrecht gegründeten Ansprüche von einem „gesetzlichen Richter“ (dem Gerichtshof) entscheiden zu lassen, und in der Konsequenz die Wirksamkeit des Unionsrechts in der gesamten Union geschwächt würde (vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Wahl in den verbundenen Rechtssachen Torresi, C‑58/13 und C‑59/13, EU:C:2014:265, Nr. 49). Wie im Schrifttum im Kontext von Art. 267 AEUV festgestellt worden ist, hat das zentrale Anliegen des Gerichtshofs darin bestanden, nicht die Grundkriterien für die Unabhängigkeit, sondern vielmehr das funktionale Kriterium anzuwenden, das darin besteht, den Zugang zum Vorabentscheidungsverfahren zu erweitern, um die einheitliche Anwendung der Unionsrechte und ihren wirksamen Schutz zu gewährleisten (vgl. Tridimas, Τ., Knocking on Heaven’s Door: Fragmentation, Efficiency and Defiance in the Preliminary Reference Procedure, Common market law review, 2003, Bd. 40, Nr. 1, S. 28, und Bonelli, M., Monica, C., Judicial serendipity: how portuguese judges came to the rescue of the Polish judiciary, European constitutional law review, 2018, Bd. 14, Nr. 3, S. 622).

( 39 ) Diese Feststellung hat der Gerichtshof u. a. in seinem Urteil A. B. (Rn. 100) getroffen.

( 40 ) Im Licht dieser Feststellung ist der vom Gerichtshof im Urteil Getin Noble Bank (Rn. 72) – in der Formulierung des ersten Falls, in dem die Vermutung eines „Gerichts“ widerlegt werden kann – verwendete Ausdruck meiner Ansicht nach zu relativieren. Wenn sich der Gerichtshof auf eine „rechtskräftige gerichtliche Entscheidung … [bezieht, die] zu der Annahme führen würde, dass der Richter, aus dem das vorlegende Gericht besteht, nicht die Eigenschaft eines unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gerichts im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 Abs. 2 der Charta“ (Hervorhebung nur hier) hat, wäre nämlich zu berücksichtigen, dass die Prüfung des Grundsatzes der Unabhängigkeit im Rahmen von Art. 267 AEUV nicht notwendigerweise mit der Prüfung zusammenfällt, die im Rahmen von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV oder Art. 47 der Charta vorgenommen wird.

( 41 ) Ich weise im Übrigen darauf hin, dass der Rat selbst im Rahmen des besonderen Verfahrens nach Art. 7 EUV, wenn er beschließt, bestimmte Rechte auszusetzen, die sich aus der Anwendung der Verträge auf den betroffenen Mitgliedstaat herleiten, die möglichen Auswirkungen einer solchen Aussetzung auf die Rechte und Pflichten natürlicher und juristischer Personen berücksichtigt.

( 42 ) Wobei der Ausdruck „Robe“ in diesem konkreten Fall als das Amt zu verstehen ist.

( 43 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 9. Juli 2020, Land Hessen (C‑272/19, EU:C:2020:535, Rn. 55 und 56), betreffend die Beteiligung des – überwiegend aus von der Legislative berufenen Mitgliedern bestehenden – Richterwahlausschusses am Verfahren zur Ernennung von Richtern, sowie Urteile Unabhängigkeit des Obersten Gerichts (Rn. 111) und Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte (Rn. 119) betreffend die jeweiligen Befugnisse des Präsidenten der Republik, über den Verbleib der Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) im Amt zu entscheiden, und des Justizministers, über den Verbleib der Richter der ordentlichen Gerichte im Amt zu entscheiden. Diesen Aspekt werde ich bei der Auslegung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV genauer untersuchen (vgl. u. a. Nrn. 56 bis 60 der vorliegenden Schlussanträge).

( 44 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juli 2020, Land Hessen (C‑272/19, EU:C:2020:535, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 45 ) In ähnlicher Weise wie ich in meinen Schlussanträgen in den verbundenen Rechtssachen Openbaar Ministerie (Im Ausstellungsmitgliedstaat durch Gesetz errichtetes Gericht) (C‑562/21 PPU und C‑563/21 PPU, EU:C:2021:1019, Nrn. 46 und 47) vorgeschlagen habe, halte ich es für angebracht, wenn zwischen materiell-rechtlichen Vorschriften über die Befähigung von Richtern zur Ausübung ihres Amtes und Vorschriften über rein formale Aspekte dieser Ernennung unterschieden wird (vgl. entsprechend Urteil vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission, C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232, Rn. 79).

( 46 ) Vgl. Nr. 18 der vorliegenden Schlussanträge.

( 47 ) Vgl. Nr. 29 der vorliegenden Schlussanträge.

( 48 ) Vgl. Nr. 18 der vorliegenden Schlussanträge.

( 49 ) Vgl. Fn. 40 der vorliegenden Schlussanträge.

( 50 ) CE:ECHR:2021:1108JUD004986819.

( 51 ) Die KRS hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass einer der drei Richter, aus denen das vorlegende Gericht bestehe, dem Spruchkörper angehöre, der Gegenstand dieses Urteils gewesen sei.

( 52 ) Vgl. Rn. 72 dieses Urteils.

( 53 ) Vgl. Nrn. 19 bis 23 der vorliegenden Schlussanträge.

( 54 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2020, Banco de Santander (C‑274/14, EU:C:2020:17, Rn. 66 bis 69). In der Ausgangsrechtssache soll sich die Beteiligung der Exekutive an der Tatsache zeigen, dass die Mitglieder der KRS, die den Beschluss Nr. 331/2018 erlassen haben, nach den jüngsten Reformen des polnischen Justizsystems mehrheitlich in enger Verbindung zur polnischen Exekutive und Legislative stehen.

( 55 ) Vgl. insbesondere Urteile Unabhängigkeit des Obersten Gerichts betreffend das Verbleiben der Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) im Amt und Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte betreffend das Verbleiben der Richter der ordentlichen Gerichte im Amt.

( 56 ) Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Gerichtshof geht im Wesentlichen von der Prämisse aus, dass zur Gewährleistung der Kohärenz und der Einheitlichkeit bei der Auslegung des Unionsrechts – auch über den grundlegenden Mechanismus des in Art. 267 AEUV vorgesehenen Vorabentscheidungsverfahrens und unter Berücksichtigung des den Einzelnen zustehenden Rechts, die Rechtmäßigkeit jeder nationalen Handlung, mit der eine Handlung der Union auf sie angewandt wird, gerichtlich anzufechten – Art. 19 EUV, mit dem der in Art. 2 EUV proklamierte Wert der Rechtsstaatlichkeit konkretisiert wird, den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof die Aufgabe überträgt, die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den gerichtlichen Schutz, die den Einzelnen aus diesem Recht erwachsen, zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Unabhängigkeit des Obersten Gerichts, Rn. 42 bis 47).

( 57 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Februar 2022, RS (Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts) (C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 34 bis 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 58 ) Vgl. Urteil vom 20. April 2021, Repubblika (C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung). Nach der fraglichen Bestimmung hat nämlich jeder Mitgliedstaat u. a. dafür zu sorgen, dass Einrichtungen, die als „Gerichte“ im Sinne des Unionsrechts Bestandteil seines Rechtsbehelfssystems in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind und daher möglicherweise in dieser Eigenschaft über die Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts entscheiden, den Anforderungen an einen wirksamen Rechtsschutz gerecht werden (vgl. Urteil W. Ż., Rn. 104 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 59 ) Vgl. u. a. Urteil W. Ż. (Rn. 103 und die dort angeführte Rechtsprechung). Folglich fällt, wie die polnische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen geltend macht, die Organisation der Justiz in den Mitgliedstaaten zwar in deren Zuständigkeit, doch haben die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Zuständigkeit die Verpflichtungen einzuhalten, die sich für sie aus dem Unionsrecht ergeben (vgl. u. a. Urteil Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte, Rn. 102 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn es sich um nationale Vorschriften zum Erlass von Entscheidungen über die Ernennung von Richtern handelt (vgl. Urteil W. Ż., Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 60 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte (Rn. 104) und W. Ż. (Rn. 106 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 61 ) Vgl. Urteile vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 41) und Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte (Rn. 105 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zusammenfassend gehört das Erfordernis der Unabhängigkeit der nationalen Gerichte, das dem Auftrag des Richters inhärent ist, zum Wesensgehalt des Rechts auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz und des Grundrechts auf ein faires Verfahren, denen als Garanten für den Schutz sämtlicher dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsender Rechte und für die Wahrung der in Art. 2 EUV genannten Werte, die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind, u. a. des Wertes der Rechtsstaatlichkeit, grundlegende Bedeutung zukommt (vgl. in diesem Sinne Urteile Unabhängigkeit des Obersten Gerichts, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie W. Ż., Rn. 108 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 62 ) Nach der sogenannten Theorie des „Eindrucks von Unabhängigkeit“ (vgl. Nr. 17 der vorliegenden Schlussanträge).

( 63 ) Vgl. Urteil Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte (Rn. 112 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 64 ) Vgl. Urteil Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte (Rn. 113 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 65 ) Es handelte sich um Art. 37 der Ustawa o Sądzie Najwyższym (Gesetz über das Oberste Gericht) vom 8. Dezember 2017 (Dz. U. 2018, Position 5).

( 66 ) Und zwar für die Dauer von drei Jahren, die einmal verlängert werden kann, ab Vollendung des 65. Lebensjahrs. Die nationale Regelung, um die es in jener Rechtssache ging, sah darüber hinaus eine Bestimmung vor, wonach das Ruhestandsalter (von 70 auf 65 Jahre) herabgesetzt wurde, die von der Kommission separat gerügt und vom Gerichtshof unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Unabsetzbarkeit der Richter aufgehoben worden ist (vgl. Urteil Unabhängigkeit des Obersten Gerichts, Rn. 96).

( 67 ) Es handelte sich dem fraglichen Urteil zufolge um die Fassung dieser Vorschrift, die nach den Änderungen durch die Ustawa o zmianie ustawy – Prawo o ustroju sądów powszechnych oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit und bestimmter anderer Gesetze) vom 12. Juli 2017 (Dz. U. 2017, Position 1452) in Kraft war.

( 68 ) Und zwar vom 60. bis zum 70. Lebensjahr, wenn es sich um eine Frau handelte, und vom 65. bis zum 70. Lebensjahr, wenn es sich um einen Mann handelte. Die nationale Regelung, um die es in jener Rechtssache ging, sah darüber hinaus eine Bestimmung vor, wonach das Ruhestandsalter (von 67 auf 60 Jahre bei Frauen und auf 65 Jahre bei Männern) herabgesetzt wurde, die von der Kommission jedoch nicht separat gerügt worden ist.

( 69 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile Unabhängigkeit des Obersten Gerichts (Rn. 111) und Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte (Rn. 119).

( 70 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile Unabhängigkeit des Obersten Gerichts (Rn. 110 und 111) sowie Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte (Rn. 118 und 119).

( 71 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile Unabhängigkeit des Obersten Gerichts (Rn. 118) und Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte (Rn. 124).

( 72 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile Unabhängigkeit des Obersten Gerichts (Rn. 114) und Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte (Rn. 122). Außerdem hat der Gerichtshof in der ersten Rechtssache entschieden, dass die Verfahrensbeteiligung der KRS, die dem Präsidenten der Republik eine Stellungnahme übermitteln soll, bevor dieser seine Entscheidung trifft, zwar grundsätzlich zur Objektivierung des Prozesses beitragen konnte, dies unter den vorliegenden Umständen aber nicht der Fall war, da sich die KRS im Allgemeinen darauf beschränkt, Stellungnahmen abzugeben, die überhaupt nicht begründet sind oder eine rein formelle Begründung enthalten (vgl. Urteil Unabhängigkeit des Obersten Gerichts, Rn. 115 bis 117).

( 73 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte (Rn. 123). Was insbesondere das Fehlen einer Frist für die Entscheidung des Justizministers über den Antrag angeht, so hat der Gerichtshof festgestellt, dass die fragliche Vorschrift in Verbindung mit der Vorschrift, wonach ein Richter, der das Regelruhestandsalter vor Ende des Verfahrens über eine Verlängerung seiner Amtszeit erreicht, bis zu dessen Abschluss im Amt bleibt, geeignet war, den Zeitraum der Unsicherheit, in dem sich der betreffende Richter befindet, fortdauern zu lassen, und ist zu dem Schluss gekommen, dass die Länge des Zeitraums, in dem Richter nach Stellung des Antrags auf Verlängerung ihrer Amtszeit gegebenenfalls auf die Entscheidung des Justizministers warten müssen, ebenfalls in dessen Ermessen stand.

( 74 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte (Rn. 125 bis 130). In der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, war es die Kombination der Herabsetzung des Regelruhestandsalters mit dem Ermessen, das dem Justizminister hinsichtlich der Entscheidung darüber eingeräumt war, ob er Richtern an den ordentlichen Gerichten die weitere Ausübung ihres Richteramts gestattete oder verweigerte, die nach Auffassung des Gerichtshofs gegen den Grundsatz der Unabsetzbarkeit verstieß.

( 75 ) Nach Art. 69 § 1b dieses Gesetzes hängt der Verbleib eines Richters im Amt darüber hinaus von der Vorlage einer Bescheinigung über seine gesundheitliche Befähigung zur Ausübung des Richteramts ab, die nach den für Bewerber um eine Richterstelle geltenden Grundsätzen erteilt wird – eine Voraussetzung, die im Hinblick auf Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV gleichwohl grundsätzlich keine Probleme aufwirft, sofern mit ihr lediglich sichergestellt werden soll, dass der körperliche und geistige Zustand des Richters ihm die weitere Ausübung seines Amtes erlaubt.

( 76 ) Vgl. Urteile A. K. (Rn. 141 bis 152), A. B. (Rn. 130 bis 135), Disziplinarordnung für Richter (Rn. 104 bis 110) sowie W. Ż. (Rn. 149 und 150). Der Gerichtshof hat u. a. darauf hingewiesen, dass nahezu alle Mitglieder der KRS in ihrer neuen Zusammensetzung von der Exekutive und Legislative benannt worden sind oder ihnen angehören, was die Gefahr eines größeren Einflusses der Legislative und Exekutive auf die KRS und einer Beeinträchtigung der Unabhängigkeit dieser Einrichtung mit sich bringt (vgl. Urteil Disziplinarordnung für Richter, Rn. 104).

( 77 ) CE:ECHR:2021:1108JUD004986819 (§§ 290, 320 und 353 bis 355). Vgl. in diesem Sinne auch EGMR, 22. Juli 2021, Reczkowicz/Polen (CE:ECHR:2021:0722JUD004344719, §§ 274 und 276).

( 78 ) In seinem Urteil vom 15. März 2022, Grzęda/Polen (CE:ECHR:2022:0315JUD004357218, § 348), hat der EGMR ferner entschieden, dass die Republik Polen auch dadurch gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßen habe, dass sie die Amtszeit eines der KRS angehörenden Richters vorzeitig beendet habe, ohne dass dieser die Maßnahme gerichtlich überprüfen lassen könne. In diesem Zusammenhang hat der EGMR festgestellt, dass mit den polnischen Reformen des Justizsystems, insbesondere der Umstrukturierung der KRS, die Unabhängigkeit der Justiz habe geschwächt werden sollen und diese daher Eingriffen der Exekutive und Legislative ausgesetzt gewesen sei, was zu einer erheblichen Schwächung geführt habe.

( 79 ) Rechtssache BSA I-4110-1/20. Mit diesem Beschluss, angenommen auf Initiative des ersten Präsidenten des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) im Anschluss an das Urteil A. K., haben die vereinigten Kammern des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) festgestellt, dass die KRS nach ihrer Umgestaltung während des Jahres 2017 nicht mehr unabhängig sei und ein Spruchkörper, dem eine Person angehöre, die auf Vorschlag der KRS zum Richter ernannt worden sei, dem Recht zuwiderlaufe. Der genannte Beschluss ist auch im Urteil des EGMR vom 22. Juli 2021, Reczkowicz/Polen (CE:ECHR:2021:0722JUD004344719, §§ 89 bis 106), weitgehend berücksichtigt worden.

( 80 ) Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass der Umstand, dass ein Organ wie ein Landesrichterwahlausschuss, der am Verfahren zur Ernennung von Richtern beteiligt ist, überwiegend aus von der Legislative berufenen Richtern besteht, für sich genommen nicht dazu führen kann, an der Unabhängigkeit der am Ende dieses Verfahrens ernannten Richter zu zweifeln (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juli 2020, Land Hessen, C‑272/19, EU:C:2020:535, Rn. 55 und 56). Diese Schlussfolgerung steht im Übrigen im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs, in der festgestellt worden ist, dass sogar zum einen die Befugnis des Präsidenten der Republik, über die Verlängerung der Amtszeit der Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) zu entscheiden, und zum anderen die Befugnis des Justizministers, über die Verlängerung der Amtszeit der Richter der ordentlichen Gerichte zu entscheiden, (unter der Geltung der früheren Regelung) für sich allein nicht ausreichten, um einen Verstoß gegen den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit zu erkennen (vgl. Urteile Unabhängigkeit des Obersten Gerichts, Rn. 108 und 110, sowie Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte, Rn. 119).

( 81 ) Die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR, wonach im Wesentlichen die Ernennung von Richtern durch Behörden, die der Exekutive angehören, keine begründeten Zweifel an der Unabhängigkeit dieser Richter aufwirft, sofern die Richter nach ihrer Ernennung vor Einflussnahme und Druck bei der Entscheidungsfindung geschützt sind (vgl. u. a. EGMR, 30. November 2010, Henryk Urban und Ryszard Urban/Polen, CE:ECHR:2010:1130JUD002361408, § 49).

( 82 ) Vgl. entsprechend Urteile Unabhängigkeit des Obersten Gerichts (Rn. 108 und 110) sowie Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte (Rn. 119).

( 83 ) Vgl. auch Fn. 66 der vorliegenden Schlussanträge.

( 84 ) Vgl. Urteil Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte (Rn. 122 und 123).

( 85 ) Selbstverständlich ist die Bedeutung der nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften unter Berücksichtigung ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2007, Kommission/Deutschland, C‑490/04, EU:C:2007:430, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung), wobei diese Beurteilung dem vorlegenden Gericht obliegt, das auch das etwaige Bestehen einer von der polnischen Regierung angeführten Rechtsprechungslinie der Kammer für außerordentliche Überprüfung, die die Anwendung der erwähnten Kriterien erläutern soll, zu berücksichtigen hat.

( 86 ) Wie von der polnischen Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt worden ist, geht dies unbeschadet der dem vorlegenden Gericht obliegenden Nachprüfungen aus Art. 44 Abs. 1 des Gesetzes über die KRS, wonach im Wesentlichen ein Verfahrensbeteiligter einen Rechtsbehelf gegen den Beschluss der KRS vor dem Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) einlegen kann, und Art. 26 des Gesetzes über das Oberste Gericht hervor, der die Zuständigkeit für die Entscheidung über derartige Rechtsbehelfe der Kammer für außerordentliche Überprüfung zuweist. Die an der letztgenannten Bestimmung durch die am 14. Februar 2020 in Kraft getretene Ustawa o zmianie ustawy – Prawo o ustroju sądów powszechnych, ustawy o Sądzie Najwyższym oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit, des Gesetzes über das Oberste Gericht und bestimmter anderer Gesetze) vom 20. Dezember 2019 (Dz. U. von 2020, Position 190) vorgenommenen Änderungen sind jedoch zu berücksichtigen. Diese Bestimmung ist in der geänderten Fassung Gegenstand einer Vertragsverletzungsklage der Kommission (Rechtssache C‑204/01), die derzeit anhängig ist (vgl. Beschluss der Vizepräsidentin des Gerichtshofs vom 14. Juli 2021, Kommission/Polen, C‑204/21 R, EU:C:2021:593, und Schlussanträge des Generalanwalts Collins in der Rechtssache Kommission/Polen, C‑204/21, EU:C:2022:991).

( 87 ) Ich verweise auf die Kritikpunkte betreffend den Mangel an Unabhängigkeit der Kammer für außerordentliche Überprüfung, die von bestimmten Streithelfern im Rahmen der Erörterungen über deren Einstufung als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV geäußert worden sind (vgl. u. a. Nrn. 30 bis 37 der vorliegenden Schlussanträge), erinnere gleichzeitig aber daran, dass die Beurteilung der Unabhängigkeit eines Gerichts im Kontext von Art. 267 AEUV eine andere Prüfung erfordert, als sie im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Charta verlangt wird (vgl. Nrn. 19 bis 23 der vorliegenden Schlussanträge).

( 88 ) Vgl. Nrn. 44 bis 48 der vorliegenden Schlussanträge.

( 89 ) Vgl. Urteil vom 21. Dezember 2021, Randstad Italia (C‑497/20, EU:C:2021:1037, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im Übrigen hat der Gerichtshof klargestellt, dass es allein Sache der Mitgliedstaaten ist, zu entscheiden, ob sie eine Verlängerung der Amtszeit eines Richters über das Regelruhestandsalter hinaus zulassen, obwohl sie dafür Sorge tragen müssen, dass die Voraussetzungen für eine Verlängerung und deren Modalitäten nicht so beschaffen sind, dass sie den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigen (vgl. Nr. 50 der vorliegenden Schlussanträge).

( 90 ) Vgl. Rn. 15 dieses Urteils.

( 91 ) Vgl. Rn. 9 dieses Urteils. Die seinerzeit geltenden Rechtsvorschriften sahen vor, dass die Erklärung eines Richters, sein Richteramt weiter ausüben zu wollen, spätestens sechs Monate vor Erreichen des Ruhestandsalters übersandt werden musste.

( 92 ) Wie in Nr. 8 der vorliegenden Schlussanträge festgestellt worden ist, macht der Kläger geltend, die Nichteinhaltung der Ausschlussfrist sei im Wesentlichen auf den Umfang seiner Arbeitsbelastung zurückzuführen.

( 93 ) Insbesondere hat der Gerichtshof zum einen entschieden, dass von der Anwendung der unionsrechtlichen Vorschriften über die Verfahrensfristen nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen abgesehen werden kann, da die strikte Anwendung dieser Vorschriften dem Erfordernis der Rechtssicherheit und der Notwendigkeit entspricht, jede Diskriminierung oder willkürliche Behandlung bei der Gewährung von Rechtsschutz zu vermeiden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. November 1985, Cockerill-Sambre/Kommission, 42/85, EU:C:1985:471, Rn. 10), und zum anderen, dass die Begriffe der höheren Gewalt bzw. des Zufalls ein objektives und ein subjektives Merkmal umfassen, von denen ersteres sich auf ungewöhnliche, außerhalb der Sphäre der Klagepartei liegende Umstände bezieht und letzteres mit deren Verpflichtung zusammenhängt, sich gegen die Folgen ungewöhnlicher Ereignisse zu wappnen, indem sie, ohne übermäßige Opfer zu bringen, geeignete Maßnahmen trifft. Insbesondere muss die Klagepartei den Ablauf des eingeleiteten Verfahrens sorgfältig überwachen und zum Zweck der Einhaltung der vorgesehenen Fristen Sorgfalt walten lassen (vgl. Urteil vom 15. Dezember 1994, Bayer/Kommission, C‑195/91 P, EU:C:1994:412, Rn. 32). Beispielsweise scheint mir auf der Hand zu liegen, dass es für Einrichtungen, die für die Verwaltung des Personals der ordentlichen Gerichte zuständig sind, ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr möglich sein dürfte, einen Richter im Amt zu belassen oder zu ersetzen, so dass sogar der Grundsatz der höheren Gewalt, um den es im vorliegenden Fall im Übrigen gar nicht geht, eine Verlängerung der Frist für die Einreichung des Antrags auf Verbleib im Amt bis zu einem Datum, das zu nahe an dem Tag liegt, an dem der Betroffene das Ruhestandsalter erreicht, nicht rechtfertigen kann.

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