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Document 62020CJ0645

Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 7. April 2022.
V A und Z A gegen TP.
Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation (Frankreich).
Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EU) Nr. 650/2012 – Art. 10 – Subsidiäre Zuständigkeit in Erbsachen – Gewöhnlicher Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes in einem nicht durch die Verordnung (EU) Nr. 650/2012 gebundenen Staat – Erblasser, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats hat und in diesem Mitgliedstaat Vermögen besitzt – Pflicht des angerufenen Gerichts dieses Mitgliedstaats, von Amts wegen die Kriterien für seine subsidiäre Zuständigkeit zu prüfen – Bestellung eines Nachlassverwalters.
Rechtssache C-645/20.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2022:267

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

7. April 2022 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EU) Nr. 650/2012 – Art. 10 – Subsidiäre Zuständigkeit in Erbsachen – Gewöhnlicher Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes in einem nicht durch die Verordnung (EU) Nr. 650/2012 gebundenen Staat – Erblasser, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats hat und in diesem Mitgliedstaat Vermögen besitzt – Pflicht des angerufenen Gerichts dieses Mitgliedstaats, von Amts wegen die Kriterien für seine subsidiäre Zuständigkeit zu prüfen – Bestellung eines Nachlassverwalters“

In der Rechtssache C‑645/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Kassationshof, Frankreich) mit Entscheidung vom 18. November 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Dezember 2020, in dem Verfahren

V A,

Z A

gegen

TP

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter I. Jarukaitis, M. Ilešič (Berichterstatter), D. Gratsias und Z. Csehi,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von TP, vertreten durch F. Rocheteau, Avocat,

der französischen Regierung, vertreten durch A. Daniel und A.‑L. Desjonquères als Bevollmächtigte,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

der spanischen Regierung, zunächst vertreten durch I. Herranz Elizalde und S. Jiménez García als Bevollmächtigte, dann durch I. Herranz Elizalde als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch C. Valero und M. Wilderspin als Bevollmächtigte, dann durch C. Valero als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. Dezember 2021

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. 2012, L 201, S. 107, berichtigt in ABl. 2012, L 344, S. 3, ABl. 2013, L 41, S 16, ABl. 2013, L 60, S. 140, und ABl. 2014, L 363, S. 186).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen V A und Z A (im Folgenden: Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens), Kindern von XA, und TP, dessen Ehefrau, über einen Antrag auf Bestellung eines Verwalters für den gesamten Nachlass von XA.

Rechtlicher Rahmen

3

In den Erwägungsgründen 7, 27, 30, 43 und 82 der Verordnung Nr. 650/2012 heißt es:

„(7)

Die Hindernisse für den freien Verkehr von Personen, denen die Durchsetzung ihrer Rechte im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug derzeit noch Schwierigkeiten bereitet, sollten ausgeräumt werden, um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu erleichtern. In einem europäischen Rechtsraum muss es den Bürgern möglich sein, ihren Nachlass im Voraus zu regeln. Die Rechte der Erben und Vermächtnisnehmer sowie der anderen Personen, die dem Erblasser nahestehen, und der Nachlassgläubiger müssen effektiv gewahrt werden.

(27)

Die Vorschriften dieser Verordnung sind so angelegt, dass sichergestellt wird, dass die mit der Erbsache befasste Behörde in den meisten Situationen ihr eigenes Recht anwendet. Diese Verordnung sieht daher eine Reihe von Mechanismen vor, die dann greifen, wenn der Erblasser für die Regelung seines Nachlasses das Recht eines Mitgliedstaats gewählt hat, dessen Staatsangehöriger er war.

(30)

Um zu gewährleisten, dass die Gerichte aller Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeit in Bezug auf den Nachlass von Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt ihres Todes nicht in einem Mitgliedstaat hatten, auf derselben Grundlage ausüben können, sollte diese Verordnung die Gründe, aus denen diese subsidiäre Zuständigkeit ausgeübt werden kann, abschließend und in einer zwingenden Rangfolge aufführen.

(43)

Die Zuständigkeitsregeln dieser Verordnung können in einigen Fällen zu einer Situation führen, in der das für Entscheidungen in Erbsachen zuständige Gericht nicht sein eigenes Recht anwendet. Tritt diese Situation in einem Mitgliedstaat ein, nach dessen Recht die Bestellung eines Nachlassverwalters verpflichtend ist, sollte diese Verordnung es den Gerichten dieses Mitgliedstaats, wenn sie angerufen werden, ermöglichen, nach einzelstaatlichem Recht einen oder mehrere solcher Nachlassverwalter zu bestellen. … Zur Gewährleistung einer reibungslosen Abstimmung zwischen dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anwendbaren Recht und dem Recht des Mitgliedstaats, das für das bestellende Gericht gilt, sollte das Gericht die Person(en) bestellen, die berechtigt wäre(n), den Nachlass nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anwendbaren Recht zu verwalten, wie beispielsweise den Testamentsvollstrecker des Erblassers oder die Erben selbst oder, wenn das auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anwendbare Recht es so vorsieht, einen Fremdverwalter. …

(82)

Gemäß den Artikeln 1 und 2 des dem [EU‑]Vertrag … und dem [AEU‑]Vertrag … beigefügten Protokolls Nr. 21 über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts beteiligen sich diese Mitgliedstaaten nicht an der Annahme dieser Verordnung und sind weder durch diese gebunden noch zu ihrer Anwendung verpflichtet. Dies berührt jedoch nicht die Möglichkeit für das Vereinigte Königreich und Irland, gemäß Artikel 4 des genannten Protokolls nach der Annahme dieser Verordnung mitzuteilen, dass sie die Verordnung anzunehmen wünschen.“

4

Das der „Zuständigkeit“ gewidmete Kapitel II dieser Verordnung umfasst u. a. die Art. 4 bis 6, 10 und 15.

5

Art. 4 („Allgemeine Zuständigkeit“) der Verordnung sieht vor:

„Für Entscheidungen in Erbsachen sind für den gesamten Nachlass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.“

6

Art. 5 („Gerichtsstandsvereinbarung“) Abs. 1 der Verordnung bestimmt:

„Ist das vom Erblasser nach Artikel 22 zur Anwendung auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen gewählte Recht das Recht eines Mitgliedstaats, so können die betroffenen Parteien vereinbaren, dass für Entscheidungen in Erbsachen ausschließlich ein Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig sein sollen.“

7

Art. 6 („Unzuständigerklärung bei Rechtswahl“) Buchst. a der Verordnung Nr. 650/2012 sieht vor:

„Ist das Recht, das der Erblasser nach Artikel 22 zur Anwendung auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen gewählt hat, das Recht eines Mitgliedstaats, so verfährt das nach Artikel 4 oder Artikel 10 angerufene Gericht wie folgt:

a)

Es kann sich auf Antrag einer der Verfahrensparteien für unzuständig erklären, wenn seines Erachtens die Gerichte des Mitgliedstaats des gewählten Rechts in der Erbsache besser entscheiden können, wobei es die konkreten Umstände der Erbsache berücksichtigt, wie etwa den gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien und den Ort, an dem die Vermögenswerte belegen sind, oder

b)

es erklärt sich für unzuständig, wenn die Verfahrensparteien nach Artikel 5 die Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte des Mitgliedstaats des gewählten Rechts vereinbart haben.“

8

Art. 10 („Subsidiäre Zuständigkeit“) der Verordnung bestimmt:

„(1)   Hatte der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt seines Todes nicht in einem Mitgliedstaat, so sind die Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem sich Nachlassvermögen befindet, für Entscheidungen in Erbsachen für den gesamten Nachlass zuständig, wenn

a)

der Erblasser die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats im Zeitpunkt seines Todes besaß, oder, wenn dies nicht der Fall ist,

b)

der Erblasser seinen vorhergehenden gewöhnlichen Aufenthalt in dem betreffenden Mitgliedstaat hatte, sofern die Änderung dieses gewöhnlichen Aufenthalts zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts nicht länger als fünf Jahre zurückliegt.

(2)   Ist kein Gericht in einem Mitgliedstaat nach Absatz 1 zuständig, so sind dennoch die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem sich Nachlassvermögen befindet, für Entscheidungen über dieses Nachlassvermögen zuständig.“

9

Art. 15 („Prüfung der Zuständigkeit“) der Verordnung sieht vor:

„Das Gericht eines Mitgliedstaats, das in einer Erbsache angerufen wird, für die es nach dieser Verordnung nicht zuständig ist, erklärt sich von Amts wegen für unzuständig.“

10

Art. 21 („Allgemeine Kollisionsnorm“) in Kapitel III („Anwendbares Recht“) der Verordnung bestimmt:

„(1)   Sofern in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist, unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

(2)   Ergibt sich ausnahmsweise aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem Staat hatte, dessen Recht nach Absatz 1 anzuwenden wäre, so ist auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.“

11

In Art. 22 („Rechtswahl“) der Verordnung Nr. 650/2012 heißt es in Abs. 1:

„Eine Person kann für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen, dem sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört.

…“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

12

XA, ein französischer Staatsangehöriger, verstarb am 3. September 2015 in Frankreich. Er wohnte seit 1981 im Vereinigten Königreich, wo er 1996 TP heiratete. Er kehrte erkrankt nach Frankreich zurück, um ab August 2012 bei einem seiner Kinder in einer Wohnung zu leben, die er zwei Monate zuvor über eine société civile immobilière (Immobiliengesellschaft bürgerlichen Rechts) erworben hatte, deren Gesellschafter er war.

13

XA hinterließ eine Ehefrau, TP, die Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs ist, sowie drei Kinder aus erster Ehe, YA und die Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens. Da YA zwischenzeitlich verstorben war, gaben die Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens an, auch in ihrer Eigenschaft als Rechtsnachfolger ihres Bruders zu handeln. XA besaß Nachlassvermögen in Frankreich.

14

Die Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens betrieben unter Berufung auf Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012 und den Umstand, dass der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich hatte, vor den französischen Gerichten ein Verfahren gegen TP und begehrten die Bestellung eines Verwalters für den gesamten Nachlass des Erblassers.

15

Mit Beschluss vom 12. Dezember 2017 erklärte sich der Präsident des Tribunal de grande instance de Nanterre (Regionalgericht Nanterre, Frankreich) im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes für zuständig, um über den Antrag der Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens gemäß Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012 zu befinden. Daraufhin wurde ein Nachlassverwalter bestellt.

16

Mit Urteil vom 21. Februar 2019 hob die Cour d’appel de Versailles (Berufungsgericht Versailles, Frankreich) diesen Beschluss auf und erklärte in Anwendung der Verordnung Nr. 650/2012 die französischen Gerichte für unzuständig, um gemäß Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012 über den gesamten Nachlass des Erblassers zu befinden. Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, dass sich der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes immer noch im Vereinigten Königreich befunden habe.

17

Die Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens legten bei der Cour de cassation (Kassationshof, Frankreich), dem vorlegenden Gericht, eine Kassationsbeschwerde gegen dieses Urteil ein, mit der sie u. a. geltend machten, die Cour d’appel de Versailles (Berufungsgericht Versailles) habe dadurch einen Rechtsfehler begangen, dass sie Art. 10 der Verordnung Nr. 650/2012 nicht berücksichtigt habe, in dem für Entscheidungen über den gesamten Nachlass eine subsidiäre Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dem sich Nachlassvermögen befinde, vorgesehen sei, und zwar ungeachtet dessen, dass der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich gehabt, aber die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats und dort Vermögen besessen habe.

18

Das vorlegende Gericht führt zunächst an, dass Art. 10 der Verordnung Nr. 650/2012 von den Rechtsmittelführern des Ausgangsverfahrens vor der Cour d’appel de Versailles (Berufungsgericht Versailles) nicht geltend gemacht worden sei. Daher stelle sich die Frage, ob das Berufungsgericht, nach dessen Feststellungen XA die französische Staatsangehörigkeit gehabt und zum Zeitpunkt seines Todes Nachlassvermögen in Frankreich besessen habe, verpflichtet gewesen sei, die Kriterien für seine subsidiäre Zuständigkeit gemäß Art. 10 von Amts wegen zu prüfen.

19

Das vorlegende Gericht weist nämlich darauf hin, dass Art. 15 der Verordnung Nr. 650/2012, indem er die Möglichkeit vorsehe, dass sich das Gericht eines Mitgliedstaats, das in einer Erbsache angerufen werde, für die es nach der Verordnung Nr. 650/2012 nicht zuständig sei, von Amts wegen für unzuständig erkläre, nicht klarstelle, ob dieses Gericht vorher sämtliche möglichen Zuständigkeitskriterien prüfen müsse, und zwar sowohl die zu seiner allgemeinen Zuständigkeit als auch die zu seiner subsidiären Zuständigkeit. In der Verordnung werde insbesondere nicht klargestellt, ob eine Prüfung der subsidiären Zuständigkeit fakultativ sei.

20

Das vorlegende Gericht hebt zum einen hervor, dass die Verordnung Nr. 650/2012 ein System zur Lösung von Kompetenzkonflikten einführe, das die mit einem Rechtsstreit befassten Gerichte der Mitgliedstaaten von Amts wegen anzuwenden hätten, wenn dieser Rechtsstreit in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung falle. Es wäre aber unlogisch, wenn diese Gerichte, nachdem sie von Amts wegen die Anwendung der Verordnung zur Entscheidung über einen gerichtlichen Zuständigkeitskonflikt geprüft hätten, sich zugunsten eines Gerichts eines Drittstaats allein auf der Grundlage von Art. 4 für unzuständig erklären könnten, ohne zuvor ihre subsidiäre Zuständigkeit nach Art. 10 prüfen zu müssen. Es wäre daher schlüssiger, wenn die angerufenen Gerichte alle möglichen Zuständigkeitskriterien von Amts wegen überprüfen müssten.

21

Zum anderen merkt das vorlegende Gericht an, dass die in Art. 10 der Verordnung Nr. 650/2012 vorgesehene Zuständigkeit, die dort als „subsidiär“ eingestuft werde, zu einer Abweichung vom Grundsatz der einheitlichen gerichtlichen und legislativen Zuständigkeit führe, der der Verordnung zugrunde liege. Denn wenn ein Gericht eines Mitgliedstaats seine Zuständigkeit auf der Grundlage von Art. 10 bejaht habe, hätte es dennoch das Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe, anzuwenden, es sei denn, es ergäbe sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Erblasser gemäß Art. 21 Abs. 2 der Verordnung im Zeitpunkt seines Todes eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat gehabt oder gemäß Art. 22 der Verordnung ausdrücklich das Recht eines anderen Staates gewählt hätte. Es lasse sich daher kaum annehmen, dass eine als „subsidiär“ eingestufte Zuständigkeit zwingend vom angerufenen Gericht eines Mitgliedstaats auch dann geprüft werden müsse, wenn sich die Parteien nicht darauf beriefen.

22

Außerdem sehe die Verordnung Nr. 650/2012 in ihrem Art. 15 zwar ausdrücklich die Verpflichtung des unzuständigen Gerichts vor, seine Zuständigkeit von Amts wegen zu verneinen, enthalte aber keine entsprechende Bestimmung, die es von Amts wegen dazu verpflichte, zu prüfen, ob es zuständig sei. Die Vorschriften über die Rechtsnachfolge von Todes wegen im Sinne der Verordnung seien abdingbar, da die Verordnung es den Parteien ermögliche, im Wege einer Gerichtsstandsvereinbarung eine ausschließliche Zuständigkeit des oder der Gerichte des Mitgliedstaats zu vereinbaren, dessen Recht der Erblasser zur Regelung seines Nachlasses gewählt habe (Art. 5 der Verordnung Nr. 650/2012), und da sie für diese Gerichte die Möglichkeit vorsehe, ihre Zuständigkeit auch dann weiter auszuüben, wenn Verfahrensparteien, die nicht Partei dieser Vereinbarung gewesen seien, sich rügelos einließen (Art. 9 der Verordnung).

23

Unter diesen Umständen hat die Cour de cassation (Kassationshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind die Bestimmungen von Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 650/2012 dahin auszulegen, dass, wenn der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt seines Todes nicht in einem Mitgliedstaat hatte, das Gericht eines Mitgliedstaats, in dem der Erblasser nicht seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, das aber feststellt, dass der Erblasser die Staatsangehörigkeit dieses Staates hatte und dort Vermögen besaß, von Amts wegen seine in dieser Vorschrift vorgesehene subsidiäre Zuständigkeit zu prüfen hat?

Zur Vorlagefrage

24

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 650/2012 dahin auszulegen ist, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats von Amts wegen seine Zuständigkeit nach der in dieser Bestimmung vorgesehenen subsidiären Zuständigkeitsregel zu prüfen hat, wenn es, nachdem es auf der Grundlage der in Art. 4 der Verordnung aufgestellten allgemeinen Zuständigkeitsregel angerufen worden ist, feststellt, dass es nach letzterer Bestimmung nicht zuständig ist.

25

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass die Cour d’appel de Versailles (Berufungsgericht Versailles) von einem letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im Vereinigten Königreich und nicht in Frankreich ausgegangen ist. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass sich das Vereinigte Königreich, wie sich aus dem 82. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 650/2012 ergibt, gemäß den Art. 1 und 2 des dem EU-Vertrag und dem AEU-Vertrag beigefügten Protokolls Nr. 21 über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts nicht an der Annahme dieser Verordnung beteiligt hat. Ferner ist nicht ersichtlich, dass das Vereinigte Königreich zum Zeitpunkt des Todes von XA Gebrauch von der in Art. 4 dieses Protokolls vorgesehenen Möglichkeit gemacht hätte, seine Absicht mitzuteilen, die Verordnung anzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt war das Vereinigte Königreich, obgleich es ein Mitgliedstaat der Europäischen Union war, somit nicht an die Verordnung Nr. 650/2012 gebunden und folglich die Verordnung auch nicht auf es anwendbar. Für die Auslegung von Art. 10 der Verordnung ist aber davon auszugehen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehenen Zuständigkeiten auch dann Anwendung finden können, wenn der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem solchen, im Zeitpunkt seines Todes nicht an die Verordnung gebundenen Mitgliedstaat hatte. Soweit die weiteren in dieser Bestimmung vorgesehenen Kriterien ebenfalls erfüllt sind, ist folglich im Ergebnis festzuhalten, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen kann.

26

Insoweit steht fest, dass sich die Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens weder im ersten Rechtszug noch im Berufungsverfahren auf Art. 10 der Verordnung Nr. 650/2012 berufen haben. Mit der Vorlagefrage soll demnach nur geklärt werden, ob ein auf Grundlage von Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012 angerufenes Gericht eines Mitgliedstaats durch diese Verordnung verpflichtet wird, von Amts wegen seine Zuständigkeit anhand der in deren Art. 10 Abs. 1 Buchst. a vorgesehenen Kriterien zu prüfen, oder ob sich das Gericht für unzuständig erklären kann, wenn sich der Antragsteller für die Wahrnehmung der Zuständigkeit dieses Gerichts nicht auf diese Bestimmung berufen hat.

27

Nach ständiger Rechtsprechung müssen die Vorschriften über die Zuständigkeitsregeln, soweit sie für die Ermittlung ihrer Bedeutung und Tragweite nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verweisen, in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten, die unter Berücksichtigung nicht nur ihres Wortlauts, sondern auch des Kontexts der Vorschriften und des mit der betreffenden Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Juni 2018, Oberle, C‑20/17, EU:C:2018:485, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28

Was erstens den Wortlaut von Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 650/2012 betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung eine Zuständigkeitsregelung aufstellt, nach der, soweit der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt seines Todes nicht in einem Mitgliedstaat hatte, die Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem sich Nachlassvermögen befindet, dennoch für den gesamten Nachlass für die Entscheidungen in Erbsachen zuständig sind, wenn der Erblasser die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats im Zeitpunkt seines Todes besaß.

29

Damit ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 650/2012, dass die beiden Kriterien, die in dieser Vorschrift für die Zuweisung der Zuständigkeit an Gerichte eines Mitgliedstaats für den Fall vorgesehen sind, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes nicht in diesem Mitgliedstaat liegt, zum einen darin bestehen, dass Nachlassvermögen in diesem Mitgliedstaat vorhanden ist, und zum anderen darin, dass der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes die Staatsangehörigkeit eben dieses Mitgliedstaats besitzt. Dem Wortlaut lässt sich hingegen mitnichten entnehmen, dass die Zuweisung einer solchen Zuständigkeit von irgendeiner Handlung des Erblassers oder eines Beteiligten abhinge. Die Wendung „sind … zuständig“ deutet, wie der Generalanwalt im Wesentlichen in den Nrn. 67 und 68 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, vielmehr darauf hin, dass die in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung vorgesehene Zuständigkeit zwingend ist.

30

Zweitens ist zum Kontext, in den sich Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 650/2012 einfügt, darauf hinzuweisen, dass Art. 10 dieser Verordnung zu deren Kapitel II gehört, in dem eine Reihe von Zuständigkeitsregeln in Erbsachen aufgestellt wird. Insbesondere sieht Art. 10 eine subsidiäre Zuständigkeit gegenüber der allgemeinen Zuständigkeit vor, die durch die in Art. 4 der Verordnung aufgestellte Regel festgelegt wird, nach der für Entscheidungen in Erbsachen die Gerichte desjenigen Mitgliedstaats für den gesamten Nachlass zuständig sind, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

31

Drittens ist zu dem mit Art. 10 der Verordnung Nr. 650/2012 verfolgten Ziel festzustellen, dass dieser Artikel unter Beachtung des 30. Erwägungsgrundes der Verordnung zu verstehen ist, nach dem „zu gewährleisten [ist], dass die Gerichte aller Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeit in Bezug auf den Nachlass von Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt ihres Todes nicht in einem Mitgliedstaat hatten, auf derselben Grundlage ausüben können“. Hierzu „sollte diese Verordnung [dem genannten Erwägungsgrund zufolge] die Gründe, aus denen diese subsidiäre Zuständigkeit ausgeübt werden kann, abschließend und in einer zwingenden Rangfolge aufführen“.

32

Da die Verordnung Nr. 650/2012 insbesondere die Einheitlichkeit der Anwendung der Regeln über die internationale Zuständigkeit der Gerichte in Erbsachen sicherstellen soll, folgt daraus, dass sowohl Art. 4 der Verordnung als auch ihr Art. 10 Abs. 1 das alleinige Ziel verfolgen, einheitliche Kriterien der gerichtlichen Zuständigkeit für die Entscheidung über den gesamten Nachlass zu definieren. Sie geben den Beteiligten insoweit, vorbehaltlich der Anwendung von Art. 5 der Verordnung im Fall einer Wahl des auf den Nachlass anwendbaren Rechts durch den Erblasser, nicht die Möglichkeit, nach Maßgabe ihrer Interessen eine Wahl zugunsten der Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats zu treffen.

33

Hierzu ist er darauf hinzuweisen, dass zwischen dem in Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012 bestimmten Gerichtsstand und dem in deren Art. 10 bestimmten Gerichtsstand, wie der Generalanwalt in den Nrn. 47 und 65 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, keine Rangfolge besteht, da sich ein jeder auf unterschiedliche Fallgestaltungen bezieht. Ebenso bedeutet der Umstand, dass die in Art. 10 der Verordnung genannten Zuständigkeiten als „subsidiär“ eingestuft werden, nicht, dass diese Bestimmung weniger verbindlich wäre als diejenige in Art. 4 der Verordnung zur allgemeinen Zuständigkeit.

34

Insoweit ist festzustellen, dass die adversative Formulierung in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 650/2012 nahelegt, dass sich diese Bestimmung auf eine Zuständigkeitsregel bezieht, die der allgemeinen in Art. 4 der Verordnung gleichwertig ist und sie ergänzt, so dass im Fall der Unanwendbarkeit des zuletzt genannten Artikels zu prüfen ist, ob die in Art. 10 der Verordnung vorgesehenen Zuständigkeitskriterien erfüllt sind.

35

Eine solche Auslegung wird zudem durch das mit der Verordnung Nr. 650/2012 ausweislich ihres siebten Erwägungsgrunds verfolgte Ziel gestützt, dass darin besteht, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts dadurch zu erleichtern, dass die Hindernisse für den freien Verkehr von Personen bei der Durchsetzung ihrer Rechte im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug ausgeräumt werden und dass insbesondere sichergestellt wird, dass die Rechte der Erben und Vermächtnisnehmer sowie der anderen dem Erblasser nahestehenden Personen und die der Nachlassgläubiger effektiv gewahrt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. März 2018, Mahnkopf, C‑558/16, EU:C:2018:138, Rn. 35).

36

Hierzu sieht die Verordnung Nr. 650/2012 Regeln für die internationale gerichtliche Zuständigkeit für den gesamten Nachlass vor, die auf objektiven Kriterien beruhen. Im Hinblick darauf trägt Art. 10 Abs. 1 der Verordnung dazu bei, den Zugang der Erben und Vermächtnisnehmer sowie der anderen Personen, die dem Erblasser nahestehen, und der Nachlassgläubiger zu den Gerichten sicherzustellen, wenn die betreffende Situation namentlich deswegen enge Verbindungen zu einem Mitgliedstaat aufweist, weil Nachlassvermögen im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats vorhanden ist.

37

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 650/2012 eine einheitliche Behandlung des Nachlasses fördern soll, um zu einer effizienten Beilegung von Rechtsstreitigkeiten über einen Nachlass beizutragen. So hat der Gerichtshof bereits mehrfach entschieden, dass eine Auslegung der Normen dieser Verordnung, die eine Nachlassspaltung nach sich zöge, mit den Zielen der Verordnung unvereinbar wäre (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Juni 2018, Oberle, C‑20/17, EU:C:2018:485, Rn. 56, und vom 16. Juli 2020, E. E. [Gerichtliche Zuständigkeit und auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendendes Recht], C‑80/19, EU:C:2020:569, Rn. 41).

38

Dieser Grundsatz der Einheitlichkeit des Nachlasses liegt insofern auch der Regelung in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 650/2012 zugrunde, als dort klargestellt wird, dass mit dieser Regelung die Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten für Entscheidungen über „den gesamten Nachlass“ bestimmt wird.

39

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass die gebotene Achtung der Autonomie des Richters bei Ausübung seines Amtes erfordert, dass das Gericht unter gleichzeitiger Verfolgung des Ziels einer geordneten Rechtspflege, das der Unionsregelung zugrunde liegt, seine internationale Zuständigkeit im Licht aller ihm vorliegenden Informationen prüfen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Januar 2015, Kolassa, C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 64, und vom 16. Juni 2016, Universal Music International Holding, C‑12/15, EU:C:2016:449, Rn. 45).

40

In Anbetracht des mit der Verordnung Nr. 650/2012 verfolgten Ziels, das in der Gewährleistung einer geordneten Rechtspflege besteht, spricht nichts dagegen, dass eben diese Grundsätze Vorrang genießen, wenn das angerufene Gericht seine Zuständigkeit im Rahmen der Anwendung der von dieser Verordnung vorgesehenen Regeln über die internationalen Zuständigkeiten in Erbsachen prüft.

41

Da die in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 650/2012 aufgestellten Regeln zur subsidiären Zuständigkeit zur Erreichung dieses Ziels der geordneten Rechtspflege beitragen, kann die Anwendung dieser Bestimmung somit nicht davon abhängen, dass sich in dem betreffenden Verfahren die eine oder die andere Partei nicht auf sie berufen hat.

42

Art. 10 der Verordnung Nr. 650/2012 ist nämlich, wie der Generalanwalt in Nr. 87 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, im Licht von Art. 15 der Verordnung dahin auszulegen, dass dieser Art. 10 das angerufene Gericht zwar nicht verpflichtet, aktiv nach einer tatsächlichen Grundlage zur Entscheidung über seine Zuständigkeit für einen bestimmten Rechtsstreit zu suchen, dieser Artikel das fragliche Gericht aber verpflichtet, in Ansehung des unstreitigen Sachverhalts die Grundlage für seinen Zuständigkeit festzustellen, die auch eine andere sein kann als diejenige, auf die sich der Antragsteller beruft.

43

Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass eine Unzuständigerklärung eines angerufenen Gerichts nach Art. 15 der Verordnung Nr. 650/2012 eine vorherige Prüfung aller in Kapitel II der Verordnung Nr. 650/2012 festgelegten Kriterien erfordert und dass das Gericht im Rahmen dieser Prüfung verpflichtet ist, seine etwaige Zuständigkeit im Licht aller ihm vorliegenden Informationen zu prüfen. Folglich darf eine solche Prüfung nicht allein anhand der von den Beteiligten ausdrücklich geltend gemachten Zuständigkeitsregel vorgenommen werden.

44

Diese Auslegung wird durch die Argumentation des vorlegenden Gerichts nicht in Frage gestellt, Art. 10 der Verordnung Nr. 650/2012 weiche vom Grundsatz des Gleichlaufs der gerichtlichen und legislativen Zuständigkeit in der Weise ab, dass das angerufene Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden habe, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe. Das im 27. Erwägungsgrund der Verordnung genannte Ziel, gerichtliche Zuständigkeit und anwendbares Recht in Übereinstimmung zu bringen, ist nämlich, wie der Generalanwalt in Nr. 70 seiner Schlussanträge festgestellt hat, kein Absolutum.

45

Wenngleich die Vorschriften der Verordnung Nr. 650/2012 ausweislich ihres 27. Erwägungsgrundes so angelegt sind, dass sichergestellt wird, dass die mit der Erbsache befasste Behörde in den meisten Situationen ihr eigenes Recht anwenden kann, schreibt die Verordnung den Gleichlauf von gerichtlicher Zuständigkeit und anwendbarem Recht weder vor, noch garantiert sie ihn. Dass dieser Gleichlauf nicht absolut ist, wird zum einen im 27. Erwägungsgrund der Verordnung durch die Wendung „in den meisten Situationen“ und zum anderen dadurch bestätigt, dass der Unionsgesetzgeber im 43. Erwägungsgrund der Verordnung selbst vorgesehen hat, dass die in ihr enthaltenen Zuständigkeitsregeln zu einer Situation führen können, in der das zur Entscheidung in der Erbsache zuständige Gericht nicht sein eigenes Recht anwendet.

46

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 650/2012 dahin auszulegen ist, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats von Amts wegen seine Zuständigkeit nach der in dieser Bestimmung vorgesehenen subsidiären Zuständigkeitsregel zu prüfen hat, wenn es, nachdem es auf der Grundlage der in Art. 4 der Verordnung aufgestellten allgemeinen Zuständigkeitsregel angerufen worden ist, feststellt, dass es nach letzterer Bestimmung nicht zuständig ist.

Kosten

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Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses ist dahin auszulegen, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats von Amts wegen seine Zuständigkeit nach der in dieser Bestimmung vorgesehenen subsidiären Zuständigkeitsregel zu prüfen hat, wenn es, nachdem es auf der Grundlage der in Art. 4 der Verordnung aufgestellten allgemeinen Zuständigkeitsregel angerufen worden ist, feststellt, dass es nach letzterer Bestimmung nicht zuständig ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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