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Document 62015CJ0012

Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 16. Juni 2016.
Universal Music International Holding BV gegen Michael Tétreault Schilling u. a.
Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Besondere Zuständigkeiten – Art. 5 Nr. 3 – Unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist – Schädigendes Ereignis – Fahrlässigkeit des Rechtsanwalts bei der Erstellung eines Vertrags – Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist.
Rechtssache C-12/15.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2016:449

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

16. Juni 2016 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Verordnung (EG) Nr. 44/2001 — Besondere Zuständigkeiten — Art. 5 Nr. 3 — Unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist — Schädigendes Ereignis — Fahrlässigkeit des Rechtsanwalts bei der Erstellung eines Vertrags — Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“

In der Rechtssache C‑12/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof, Niederlande) mit Entscheidung vom 9. Januar 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Januar 2015, in dem Verfahren

Universal Music International Holding BV

gegen

Michael Tétreault Schilling,

Irwin Schwartz,

Josef Brož

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin), des Richters A. Rosas, der Richterin A. Prechal und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. November 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Universal Music International Holding BV, vertreten durch C. Kroes und S. Janssen, advocaten,

von Herrn Michael Tétreault Schilling, vertreten durch A. Knigge, P. A. Fruytier und L. Parret, advocaten,

von Herrn Josef Brož, vertreten durch F. Vermeulen und B. Schim, advocaten,

der griechischen Regierung, vertreten durch A. Dimitrakopoulou, S. Lekkou und S. Papaïoannou als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin und G. Wils als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. März 2016

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Universal Music International Holding BV (im Folgenden: Universal Music) mit Sitz in den Niederlanden auf der einen und Herrn Michael Schilling, Herrn Irwin Schwartz und Herrn Josef Brož, Rechtsanwälte mit Wohnsitz in Rumänien, Kanada bzw. in der Tschechischen Republik, auf der anderen Seite wegen einer Fahrlässigkeit, die Rechtsanwalt Brož bei der Erstellung eines Aktienoptionsvertrags in der Tschechischen Republik unterlaufen ist.

Rechtlicher Rahmen

Brüsseler Übereinkommen

3

Art. 5 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung der nachfolgenden Übereinkommen über den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) bestimmt:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden:

3.

wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist;

…“

Verordnung Nr. 44/2001

4

In den Erwägungsgründen 11, 12, 15 und 19 der Verordnung Nr. 44/2001 heißt es:

„(11)

Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.

(12)

Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten muss durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind.

(15)

Im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege müssen Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in zwei Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. …

(19)

Um die Kontinuität zwischen dem Brüsseler Übereinkommen und dieser Verordnung zu wahren, sollten Übergangsvorschriften vorgesehen werden. Dies gilt auch für die Auslegung der Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens durch den Gerichtshof der Europäischen [Union]. Ebenso sollte das Protokoll [vom 3. Juni 1971 über die Auslegung des Brüsseler Übereinkommens durch den Gerichtshof] auf Verfahren, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bereits anhängig sind, anwendbar bleiben.“

5

Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung, der den Gerichten des Staates, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat, eine allgemeine Zuständigkeit zuweist, lautet:

„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

6

Art. 5 dieser Verordnung bestimmt:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

3.

wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht;

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

7

Universal Music ist eine Schallplattengesellschaft, die zur Universal Music Group gehört. Die Universal Music International Ltd ist eine Schwestergesellschaft von Universal Music und gehört ebenfalls zur Universal Music Group.

8

Im Jahr 1998 vereinbarte die Universal Music International Ltd mit tschechischen Partnern, insbesondere der Schallplattengesellschaft B&M spol. s r. o. und ihren Anteilseignern, dass eine oder mehrere näher zu bestimmende Gesellschaften innerhalb der Universal Music Group 70 % der Anteile an B&M kaufen sollten. Die Parteien kamen auch dahin überein, dass der Erwerber im Jahr 2003 die restlichen Anteile kaufen sollte, wobei der Preis zum Zeitpunkt dieses Ankaufs festgelegt werden sollte. Einstweilen wurde ein Vorschuss auf den Verkaufspreis entrichtet. Die Vereinbarung und die wichtigsten Punkte dieser beabsichtigten Transaktion wurden in einer Absichtserklärung festgehalten, die als Ziel einen Verkaufspreis festlegte, der dem Fünffachen des durchschnittlichen Jahresgewinns von B&M entsprach.

9

Anschließend verhandelten die Parteien über einen Vertrag über den Verkauf und die Lieferung von 70 % der Anteile an B&M und einen Aktienoptionsvertrag für die restlichen 30 % der Anteile (im Folgenden: Aktienoptionsvertrag).

10

Der Aktienoptionsvertrag über den Kauf der restlichen Anteile wurde im Auftrag der Rechtsabteilung der Universal Music Group von der tschechischen Anwaltskanzlei Burns Schwartz International erstellt. Zwischen dieser Anwaltskanzlei, der Rechtsabteilung der Universal Music Group und den Anteilseignern von B&M wurden mehrere Vertragsentwürfe ausgetauscht.

11

Während dieser Verhandlungen wurde Universal Music im Aktienoptionsvertrag als Käuferin ausgewiesen. Dieser Vertrag wurde am 5. November 1998 von Universal Music, B&M und den Anteilseignern von B&M unterzeichnet.

12

Dem vorlegenden Gericht zufolge ergibt sich aus diesem Vertrag, dass eine von der Rechtsabteilung der Universal Music Group vorgeschlagene Änderung von Rechtsanwalt Brož, einem Mitarbeiter der Anwaltskanzlei Burns Schwartz International, nicht vollständig übernommen wurde, was dazu geführt habe, dass der Verkaufspreis, der anschließend mit der Zahl der Anteilseigner multipliziert werden sollte, gegenüber dem ursprünglich vorgesehenen Verkaufspreis verfünffacht worden sei.

13

Im August 2003 setzte Universal Music, um ihrer vertraglichen Verpflichtung zum Kauf der restlichen Anteile nachzukommen, deren Kaufpreis nach der von ihr vorgesehenen Formel fest und kam auf einen Betrag von 10180281 tschechischen Kronen (CZK) (etwa 313770 Euro). Die Anteilseigner von B&M beriefen sich auf die im Vertrag vorgesehene Berechnungsweise und erhoben Anspruch auf einen Betrag von 1003605620 CZK (etwa 30932520 Euro).

14

Der Streit wurde einer Schiedskommission in der Tschechischen Republik vorgelegt, vor der die Parteien am 31. Januar 2005 zu einem Vergleich gelangten. Gemäß diesem Vergleich zahlte Universal Music einen Betrag von 2654280,03 Euro (im Folgenden: Vergleichsbetrag) für die restlichen 30 % der Anteile durch Überweisung zulasten eines von ihr in den Niederlanden geführten Bankkontos. Die Überweisung wurde zugunsten eines Kontos durchgeführt, das die Anteilseigner von B&M in der Tschechischen Republik besaßen.

15

Universal Music erhob, gestützt auf Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001, bei der Rechtbank Utrecht (Gericht Utrecht, Niederlande) eine Klage, mit der sie die gesamtschuldnerische Verurteilung der Rechtsanwälte Schilling und Schwartz, als Seniorpartner der Anwaltskanzlei Burns Schwartz International, und von Rechtsanwalt Brož zur Zahlung von 2767861,25 Euro, zuzüglich Zinsen und Nebenansprüchen, begehrt, dem Schaden, den sie infolge der Fahrlässigkeit von Rechtsanwalt Brož bei der Erstellung des Texts des Aktienoptionsvertrags erlitten zu haben behauptet. Der Schaden sei in der aus dieser Fahrlässigkeit resultierenden Differenz zwischen dem ursprünglich vorgesehenen Verkaufspreis auf der einen und dem Vergleichsbetrag und den Kosten, die Universal Music im Zusammenhang mit dem Schiedsverfahren entstanden seien, auf der anderen Seite verwirklicht.

16

Zur Stützung ihrer Klage machte Universal Music geltend, dass sie den Schaden in Baarn (Niederlande), dem Ort ihres Sitzes, erlitten habe.

17

Mit Urteil vom 27. Mai 2009 erklärte sich die Rechtbank Utrecht (Gericht Utrecht) für unzuständig, über den bei ihr anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden, weil der Ort des von Universal Music behaupteten Schadens – die Rechtbank qualifizierte ihn als „unmittelbaren reinen Vermögensschaden“, der in Baarn eingetreten sei – nicht als der Ort des „schädigenden Ereignisses“ im Sinne von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 angesehen werden könne, weil nicht genügend Anknüpfungspunkte für die Annahme der Zuständigkeit der niederländischen Gerichte bestünden.

18

Der mit einer Berufung von Universal Music befasste Gerechtshof Arnhem-Leeuwarden (Berufungsgericht Arnhem-Leeuwarden, Niederlande) bestätigte mit Urteil vom 15. Januar 2013 das erstinstanzliche Urteil. Seiner Auffassung nach fehlt es im vorliegenden Fall an der besonders engen Beziehung zwischen der Klage und dem angerufenen Gericht, die ein Maßstab für die Anwendung von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 sei. Daher reiche die bloße Tatsache, dass der Vergleichsbetrag zulasten einer Gesellschaft mit Sitz in den Niederlanden gegangen sei, nicht aus, um die internationale Zuständigkeit der niederländischen Gerichte zu begründen.

19

Universal Music legte gegen das Urteil des Gerechtshof Arnhem-Leeuwarden (Berufungsgericht Arnhem-Leeuwarden) beim vorlegenden Gericht Kassationsbeschwerde ein. Herr Schilling und Herr Brož legten unabhängig voneinander Anschlusskassationsbeschwerde ein.

20

Unter diesen Umständen hat der Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen, dass als „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, der Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden kann, an dem der Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem Vermögensschaden besteht, der die unmittelbare Folge eines unerlaubten Verhaltens ist, das sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat?

2.

Sofern die erste Frage bejaht wird:

a)

Anhand welchen Maßstabs oder welcher Gesichtspunkte haben die nationalen Gerichte bei der Prüfung ihrer Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 zu bestimmen, ob im vorliegenden Fall ein Vermögensschaden vorliegt, der die unmittelbare Folge eines unerlaubten Verhaltens ist („ursprünglicher Vermögensschaden“ oder „unmittelbarer Vermögensschaden“), oder ein Vermögensschaden, der die Folge eines an einem anderen Ort eingetretenen Erstschadens ist, bzw. ein Schaden, der sich aus einem andernorts eingetretenen Schaden ergeben hat („Folgeschaden“ oder „abgeleiteter Vermögensschaden“)?

b)

Anhand welchen Maßstabs oder welcher Gesichtspunkte haben die nationalen Gerichte bei der Prüfung ihrer Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 zu bestimmen, wo der Vermögensschaden – sei es ein unmittelbarer oder ein abgeleiteter Vermögensschaden – im vorliegenden Fall eingetreten ist oder als eingetreten gilt?

3.

Sofern die erste Frage bejaht wird: Ist die Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen, dass die nationalen Gerichte, die zu beurteilen haben, ob ihnen nach dieser Verordnung im vorliegenden Fall eine Zuständigkeit zukommt, verpflichtet sind, bei ihrer Würdigung von dem in diesem Zusammenhang erheblichen Vorbringen des Klägers bzw. Antragstellers auszugehen, oder dahin, dass diese Gerichte auch zu würdigen haben, was der Beklagte angeführt hat, um dieses Vorbringen in Abrede zu stellen?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

21

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass in Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens als „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, der Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden kann, an dem der Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der die unmittelbare Folge eines unerlaubten Verhaltens ist, das sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat.

22

Zur Beantwortung dieser Frage, ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 44/2001 das Brüsseler Übereinkommen ersetzt und deshalb die Auslegung der Bestimmungen dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof auch für die Verordnung gilt, soweit die Bestimmungen dieser Gemeinschaftsrechtsakte als gleichwertig angesehen werden können (Urteile vom 16. Juli 2009, Zuid-Chemie, C‑189/08, EU:C:2009:475, Rn. 18, und vom 10. September 2015, Holterman Ferho Exploitatie u. a., C‑47/14, EU:C:2015:574, Rn. 38).

23

Die in der vorliegenden Rechtssache einschlägigen Vorschriften der Verordnung Nr. 44/2001 haben nahezu denselben Wortlaut wie die des Brüsseler Übereinkommens. Angesichts dieser Ähnlichkeit ist entsprechend dem 19. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 die Kontinuität bei der Auslegung dieser beiden Rechtsakte zu wahren (Urteil vom 16. Juli 2009, Zuid-Chemie, C‑189/08, EU:C:2009:475, Rn. 19).

24

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bezieht sich die Wendung „unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung“ im Sinne von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 auf jede Klage, mit der eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung anknüpft (Urteil vom 28. Januar 2015, Kolassa, C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 44). Insoweit hat sich der Gerichtshof, da sich aus der Vorlageentscheidung keine Anhaltspunkte für das Bestehen eines Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens ergeben, was zu prüfen jedoch Sache des vorlegenden Gerichts ist, in seiner Prüfung auf Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 zu beschränken, auf den sich die Fragen des vorlegenden Gerichts beziehen.

25

Wie der Generalanwalt in Nr. 27 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, sieht Kapitel II Abschnitt 2 der Verordnung Nr. 44/2001 nur als Ausnahme von dem in ihrem Art. 2 Abs. 1 aufgestellten tragenden Grundsatz, der die Zuständigkeit den Gerichten des Mitgliedstaats zuweist, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, eine Reihe besonderer Zuständigkeiten vor, darunter die nach Art. 5 Nr. 3 dieser Verordnung. Da die Zuständigkeit der Gerichte des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, eine besondere Zuständigkeitsregel darstellt, ist sie autonom und eng auszulegen und erlaubt keine Auslegung, die über die ausdrücklich in der Verordnung Nr. 44/2001 vorgesehenen Fälle hinausgeht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Juni 2014, Coty Germany, C‑360/12, EU:C:2014:1318, Rn. 43 bis 45, und vom 10. September 2015, Holterman Ferho Exploitatie u. a., C‑47/14, EU:C:2015:574, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26

Nach ständiger Rechtsprechung beruht die besondere Zuständigkeitsregel in Art. 5 Nr. 3 dieser Verordnung darauf, dass zwischen der Streitigkeit und den Gerichten des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, eine besonders enge Beziehung besteht, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses die Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt (Urteile vom 5. Juni 2014, Coty Germany, C‑360/12, EU:C:2014:1318, Rn. 47, und vom 10. September 2015, Holterman Ferho Exploitatie u. a., C‑47/14, EU:C:2015:574, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27

Bei unerlaubten Handlungen oder ihnen gleichgestellten Handlungen ist das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, insbesondere wegen der Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme in der Regel am besten in der Lage, den Rechtsstreit zu entscheiden (Urteile vom 21. Mai 2015, CDC Hydrogen Peroxide, C‑352/13, EU:C:2015:335, Rn. 40, und vom 10. September 2015, Holterman Ferho Exploitatie u. a., C‑47/14, EU:C:2015:574, Rn. 74).

28

Mit der Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 ist, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, sowohl der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs als auch der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens gemeint, so dass der Beklagte nach Wahl des Klägers vor dem Gericht eines dieser beiden Orte verklagt werden kann (vgl. zum Bereich der Umweltverschmutzung Urteil vom 30. November 1976, Bier, 21/76, EU:C:1976:166, Rn. 24 und 25, zum Bereich von Verletzungshandlungen Urteil vom 5. Juni 2014, Coty Germany, C‑360/12, EU:C:2014:1318, Rn. 46, und zu einem den Vertrag als Geschäftsführer einer Gesellschaft betreffenden Fall Urteil vom 10. September 2015, Holterman Ferho Exploitatie u. a., C‑47/14, EU:C:2015:574, Rn. 72).

29

Zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens ist zwar unstreitig, dass die Tschechische Republik der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens ist, jedoch besteht zwischen ihnen Uneinigkeit darüber, wie der Ort zu bestimmen ist, an dem der Schaden eingetreten ist.

30

Aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt sich nämlich, dass der am 5. November 1998 zwischen B&M und ihren Anteilseignern auf der einen und Universal Music auf der anderen Seite geschlossene Vertrag in der Tschechischen Republik ausgehandelt und unterzeichnet wurde. Die Rechte und Pflichten der Parteien, einschließlich der Verpflichtung für Universal Music, einen höheren als den ursprünglich vorgesehenen Betrag für die verbleibenden 30 % der Anteile zu zahlen, wurden in diesem Mitgliedstaat festgelegt. Diese vertragliche Verpflichtung, die die Vertragsparteien nicht hatten begründen wollen, ist in der Tschechischen Republik entstanden.

31

Der Schaden, der Universal Music aus der Differenz zwischen dem vorgesehenen und dem in diesem Vertrag angeführten Verkaufspreis erwachsen ist, ist im Zuge des Vergleichs, auf den sich die Parteien vor der Schiedskommission in der Tschechischen Republik verständigt haben, am 31. Januar 2005, dem Zeitpunkt, zu dem der tatsächliche Kaufpreis festgelegt wurde, mit Gewissheit eingetreten. Deshalb ist das Vermögen von Universal Music unwiderruflich mit der Zahlungsverpflichtung belastet.

32

Mithin hat sich der Verlust von Vermögensbestandteilen in der Tschechischen Republik ereignet, da der Schaden dort eingetreten ist. Allein der Umstand, dass Universal Music in Erfüllung des von ihr vor der Schiedskommission in der Tschechischen Republik geschlossenen Vergleichs den Vergleichsbetrag durch Überweisung von einem von ihr in den Niederlanden geführten Konto beglichen hat, vermag diese Schlussfolgerung nicht zu entkräften.

33

Die Lösung, die sich somit aus den in den Rn. 30 bis 32 des vorliegenden Urteils getroffenen Feststellungen ergibt, genügt den von der Verordnung Nr. 44/2001 aufgestellten Erfordernissen der Voraussehbarkeit und Gewissheit, weil die Zuweisung der Zuständigkeit an die tschechischen Gerichte aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses gerechtfertigt ist.

34

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, nicht so weit ausgelegt werden darf, dass sie jeden Ort erfasst, an dem die nachteiligen Folgen eines Umstands spürbar sind, der bereits einen tatsächlich an einem anderen Ort eingetretenen Schaden verursacht hat (Urteil vom 19. September 1995, Marinari, C‑364/93, EU:C:1995:289, Rn. 14).

35

Im Gefolge dieser Rechtsprechung hat der Gerichtshof ebenso klargestellt, dass sich diese Wendung nicht schon deshalb auf den Ort des Klägerwohnsitzes – als Ort des „Mittelpunkts seines Vermögens“ – bezieht, weil dem Kläger durch den Verlust von Vermögensbestandteilen in einem anderen Mitgliedstaat ein finanzieller Schaden entstanden ist (Urteil vom 10. Juni 2004, Kronhofer, C‑168/02, EU:C:2004:364, Rn. 21).

36

In der Rechtssache, in der das Urteil vom 28. Januar 2015, Kolassa (C‑375/13, EU:C:2015:37), ergangen ist, hat der Gerichtshof in Rn. 55 seiner Ausführungen zwar eine Zuständigkeit zugunsten der Gerichte am Wohnsitz des Klägers in Anknüpfung an die Verwirklichung des Schadenserfolgs angenommen, wenn sich dieser Schaden unmittelbar auf einem Bankkonto dieses Klägers bei einer Bank im Zuständigkeitsbereich dieser Gerichte verwirklicht.

37

Wie der Generalanwalt jedoch im Wesentlichen in den Nrn. 44 und 45 seiner Schlussanträge in der vorliegenden Rechtssache ausgeführt hat, fügt sich dieser Befund in den besonderen Zusammenhang der Rechtssache ein, in der dieses Urteil ergangen ist, der von Umständen geprägt war, die zur Zuweisung der Zuständigkeit an diese Gerichte beigetragen haben.

38

Daher lässt sich ein reiner Vermögensschaden, der sich unmittelbar auf dem Bankkonto des Klägers verwirklicht, für sich genommen nicht als „relevanter Anknüpfungspunkt“ nach Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 qualifizieren. Insoweit ist auch festzustellen, dass nicht ausgeschlossen ist, dass eine Gesellschaft wie Universal Music zwischen mehreren Bankkonten wählen konnte, von denen aus sie den Vergleichsbetrag hätte entrichten können, so dass der Ort, an dem dieses Konto geführt wird, nicht unbedingt ein zuverlässiges Anknüpfungskriterium ist.

39

Nur dann, wenn auch die anderen spezifischen Gegebenheiten des Falles zur Zuweisung der Zuständigkeit an die Gerichte des Ortes, an dem sich ein reiner Vermögensschaden verwirklicht hat, beitragen, könnte ein solcher Schaden dem Kläger in vertretbarer Weise die Erhebung einer Klage vor diesem Gericht ermöglichen.

40

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens als „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, in Ermangelung anderer Anknüpfungspunkte nicht der Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden kann, an dem ein Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der sich unmittelbar auf dem Bankkonto des Klägers verwirklicht und der die unmittelbare Folge eines unerlaubten Verhaltens ist, das sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat.

41

In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.

Zur dritten Frage

42

Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das mit einem Rechtsstreit befasste Gericht bei der Zuständigkeitsprüfung nach der Verordnung Nr. 44/2001 alle ihm vorliegenden Informationen, wozu gegebenenfalls auch die Einwände des Beklagten gehören, zu würdigen hat.

43

Wie der Generalanwalt in Nr. 52 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, hat das vorlegende Gericht diese Frage zwar nur für den Fall einer Bejahung der ersten Frage gestellt, es besteht jedoch ein Interesse an der Beantwortung, weil sich diese Frage auf die allgemeine Beurteilung der Zuständigkeit bezieht und nicht nur auf die Frage, ob ein Vermögensschaden zur Begründung der Zuständigkeit ausreichend ist.

44

Der Gerichtshof hat konkret in Bezug auf Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 klargestellt, dass das angerufene Gericht im Stadium der Prüfung der internationalen Zuständigkeit weder die Zulässigkeit noch die Begründetheit der Klage nach den Vorschriften des nationalen Rechts prüft, sondern nur die Anknüpfungspunkte mit dem Staat des Gerichtsstands ermittelt, die seine Zuständigkeit nach dieser Bestimmung rechtfertigen. Daher darf dieses Gericht, soweit es nur um die Prüfung seiner Zuständigkeit nach dieser Bestimmung geht, die einschlägigen Behauptungen des Klägers zu den Voraussetzungen der Haftung aus unerlaubter Handlung oder aus einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, als erwiesen ansehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Oktober 2012, Folien Fischer und Fofitec, C‑133/11, EU:C:2012:664, Rn. 50, und vom 28. Januar 2015, Kolassa, C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45

Auch wenn also das angerufene nationale Gericht im Fall des Bestreitens der Behauptungen des Klägers durch den Beklagten nicht verpflichtet ist, im Stadium der Ermittlung der Zuständigkeit ein Beweisverfahren durchzuführen, hat der Gerichtshof entschieden, dass sowohl das Ziel einer geordneten Rechtspflege, das der Verordnung Nr. 44/2001 zugrunde liegt, als auch die gebotene Achtung der Autonomie des Richters bei Ausübung seines Amtes erfordern, dass dieses Gericht seine internationale Zuständigkeit im Licht aller ihm vorliegender Informationen prüfen kann, wozu gegebenenfalls auch die Einwände des Beklagten gehören (Urteil vom 28. Januar 2015, Kolassa, C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 64).

46

Demnach ist auf die dritte Frage zu antworten, dass das mit einem Rechtsstreit befasste Gericht bei der Zuständigkeitsprüfung nach der Verordnung Nr. 44/2001 alle ihm vorliegenden Informationen zu würdigen hat, wozu gegebenenfalls auch die Einwände des Beklagten gehören.

Kosten

47

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, als „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, in Ermangelung anderer Anknüpfungspunkte nicht der Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden kann, an dem ein Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der sich unmittelbar auf dem Bankkonto des Klägers verwirklicht und der die unmittelbare Folge eines unerlaubten Verhaltens ist, das sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat.

 

2.

Das mit einem Rechtsstreit befasste Gericht hat bei der Zuständigkeitsprüfung nach der Verordnung Nr. 44/2001 alle ihm vorliegenden Informationen zu würdigen, wozu gegebenenfalls auch die Einwände des Beklagten gehören.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.

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