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Document 62020CC0349

    Schlussanträge des Generalanwalts G. Hogan vom 6. Oktober 2021.
    NB und AB gegen Secretary of State for the Home Department.
    Vorabentscheidungsersuchen des First-tier Tribunal (Immigration and Asylum Chamber).
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsame Politik im Bereich Asyl und Einwanderung – Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz – Richtlinie 2004/83/EG – Art. 12 – Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling – Beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) registrierter Staatenloser palästinensischer Herkunft – Voraussetzungen, um ipso facto den Schutz der Richtlinie 2004/83/EG zu genießen – Wegfall des Schutzes oder Beistands des UNRWA.
    Rechtssache C-349/20.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2021:826

     SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    GERARD HOGAN

    vom 6. Oktober 2021 ( 1 )

    Rechtssache C‑349/20

    NB,

    AB

    gegen

    Secretary of State for the Home Department,

    weiterer Beteiligter:

    United Nations High Commissioner for Refugees (UK) (Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge [UNHCR] [UNHCR-Vertreter im Vereinigten Königreich]),

    (Vorabentscheidungsersuchen des First-tier Tribunal [Immigration and Asylum Chamber] [Erstinstanzliches Gericht, Kammer für Einwanderungs- und Asylfragen, Vereinigtes Königreich])

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Mindestnormen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz – Richtlinie 2004/83/EG – Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 – Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft – Staatenloser palästinensischer Herkunft, der beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) registriert ist – Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 – Voraussetzungen, um ipso facto in den Genuss der Vorteile der Richtlinie 2004/83 zu kommen – Wegfall des Schutzes oder des Beistands des UNRWA – Individuelle Beurteilung aller relevanten Faktoren – Bewertung umfasst eine Beurteilung ex nunc – Art. 4 – Kein Erfordernis einer absichtlichen Schadenszufügung oder Vorenthaltung von Unterstützung durch das UNRWA oder den Staat, in dem es tätig ist – Schutz oder Beistand durch Akteure der Zivilgesellschaft, die unter der Schirmherrschaft des UNRWA oder des Staates, in dem es tätig ist, handeln“

    I. Einleitung

    1.

    Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 und Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ( 2 ).

    2.

    Diese Vorlage ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen NB und AB, einer Mutter und ihrem minderjährigen Sohn, einerseits und der Secretary of State for the Home Department (Vereinigtes Königreich) (Innenministerin, im Folgenden: Secretary of State) andererseits. NB und AB sind Staatenlose palästinensischer Herkunft, die früher im Libanon lebten und beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) als Flüchtlinge registriert sind. Als ob das Leben nicht schon genug Herausforderungen für diese Familie bereithielte, ist zu erwähnen, dass AB selbst schwerstbehindert ist und sehr komplexe medizinische und soziale Bedürfnisse hat.

    3.

    Das Verfahren betrifft die Anfechtung des Bescheids, mit dem die Secretary of State die Anträge von NB und AB auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder auf humanitären Schutz abgelehnt hat. Als Staatenlose palästinensischer Herkunft, die beim UNRWA registriert sind, haben NB und AB Anspruch auf den Schutz und den Beistand dieses Hilfswerks. Folglich sind sie gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2004/83 grundsätzlich von der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne dieser Richtlinie ausgeschlossen, es sei denn, dieser Schutz oder dieser Bestand wird gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 nicht länger gewährt.

    4.

    In der Rechtssache vor dem vorlegenden Gericht geht es daher u. a. um die Frage, ob der Schutz oder Beistand des UNRWA für AB im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 nicht länger gewährt wird. Sollte festgestellt werden, dass dieser Schutz oder Beistand nicht länger gewährt wird, hätte AB ipso facto Anspruch auf die Leistungen der Richtlinie 2004/83 aufgrund seines Status als staatenloser palästinensischer Flüchtling, ohne dass er z. B. eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie nachweisen müsste ( 3 ).

    5.

    Vor Prüfung der Vorlagefragen werden zunächst die einschlägigen Rechtsvorschriften wiedergegeben.

    II. Rechtlicher Rahmen

    A.   Internationales Recht

    1. Übereinkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge

    6.

    Das am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichnete Übereinkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 [1954]) trat am 22. April 1954 in Kraft; ergänzt und geändert wurde es durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, das am 31. Januar 1967 in New York geschlossen wurde und am 4. Oktober 1967 in Kraft trat (im Folgenden: Genfer Konvention).

    7.

    Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention, der für bestimmte Personengruppen einen besonderen Rechtsstatus einführt, hat folgenden Wortlaut:

    „Dieses Abkommen findet keine Anwendung auf Personen, die
    zurzeit den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer
    Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen
    Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge [UNHCR] genießen.

    Ist dieser Schutz oder diese Unterstützung aus irgendeinem Grunde weggefallen, ohne dass das Schicksal dieser Person endgültig gemäß den hierauf bezüglichen Entschließungen der Generalversammlung der Vereinten Nationen geregelt worden ist, so fallen diese Personen ipso facto unter die Bestimmungen dieses Abkommens.“

    2. Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA)

    8.

    Das UNRWA wurde durch die Resolution Nr. 302 (IV) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 8. Dezember 1949 über die Hilfe für Palästinaflüchtlinge gegründet. Es hat zur Aufgabe, dem Wohl und der humanitären Entwicklung der Palästina-Flüchtlinge zu dienen. Das Einsatzgebiet des UNRWA umfasst den Libanon, Syrien, Jordanien, das Westjordanland (einschließlich Ostjerusalem) und den Gazastreifen. Das Mandat des UNRWA wurde durch die Resolution A/RES/74/83 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2019 bis zum 30. Juni 2023 verlängert.

    9.

    Derzeit ist das UNRWA die einzige Organisation oder Institution der Vereinten Nationen (außer dem UNHCR), die in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2004/83 und in Art. 1 Abschnitt D Abs. 1 der Genfer Konvention genannt wird.

    B.   Unionsrecht – Richtlinie 2004/83

    10.

    Im dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83 heißt es, dass die Genfer Konvention einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen darstellt.

    11.

    Gemäß dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 EUV achtet diese Richtlinie die Grundrechte und Grundfreiheiten und befolgt insbesondere die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) anerkannten Grundsätze. Auf der Grundlage der Art. 1 und 18 der Charta zielt die Richtlinie insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung der Menschenwürde und des Asylrechts für Asylsuchende sicherzustellen.

    12.

    Die Erwägungsgründe 16 und 17 der Richtlinie 2004/83 lauten:

    „(16)

    Es sollten Mindestnormen für die Bestimmung und die Merkmale der Flüchtlingseigenschaft festgelegt werden, um die zuständigen innerstaatlichen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Genfer Konvention zu leiten.

    (17)

    Es müssen gemeinsame Kriterien für die Anerkennung von Asylbewerbern als Flüchtlinge im Sinne von Artikel 1 der Genfer Konvention eingeführt werden.“

    13.

    Im 38. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83 heißt es: „Entsprechend Artikel 3 des Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands, das dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt ist, hat das Vereinigte Königreich mit Schreiben vom 28. Januar 2002 mitgeteilt, dass es sich an der Annahme und Anwendung dieser Richtlinie beteiligen möchte.“

    14.

    Art. 11 („Erlöschen“) im Kapitel III („Anerkennung als Flüchtling“) der Richtlinie 2004/83 hat folgenden Wortlaut:

    „(1)   Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist nicht mehr Flüchtling, wenn er

    (f)

    als eine Person, die keine Staatsangehörigkeit besitzt, nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren er als Flüchtling anerkannt wurde, in der Lage ist, in das Land zurückzukehren, in dem er seinen gewöhnlichen Wohnsitz hatte.

    …“

    15.

    Art. 12 („Ausschluss“) der Richtlinie 2004/83, der sich ebenfalls in Kapitel III befindet, sieht in seinem Abs. 1 Buchst. a – eine Bestimmung, die aus zwei Sätzen besteht, die die beiden Absätze des Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention widerspiegeln – Folgendes vor:

    „(1)   Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er

    a)

    den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Artikel 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, genießt er ipso facto den Schutz dieser Richtlinie.“

    16.

    In Art. 13 („Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft“) in Kapitel IV („Flüchtlingseigenschaft“) der Richtlinie 2004/83 heißt es:

    „Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II und III erfüllt, die Flüchtlingseigenschaft zu.“

    17.

    Die Richtlinie 2004/83 wurde mit Wirkung vom 21. Dezember 2013 durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ( 4 ) aufgehoben. Gemäß dem 50. Erwägungsgrund der letztgenannten Richtlinie hat sich das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland jedoch nicht an der Annahme dieser Richtlinie beteiligt und ist weder durch sie gebunden noch zu ihrer Anwendung verpflichtet.

    18.

    Die Richtlinie 2004/83 gilt jedoch, obwohl sie aufgehoben und durch die Richtlinie 2011/95 ersetzt wurde, weiterhin für das Vereinigte Königreich.

    C.   Nationales Recht

    19.

    Die wichtigsten Bestimmungen des Rechts des Vereinigten Königreichs zur Umsetzung der Richtlinie 2004/83 sind in den Refugee or Person in Need of International Protection (Qualification) Regulations 2006 (Verordnung von 2006 betreffend die Anerkennung von Flüchtlingen oder von Personen, die internationalen Schutz benötigen) (im Folgenden: Verordnung von 2006) ( 5 ) und den Immigration Rules (Einwanderungsbestimmungen) (im Folgenden: Bestimmungen von 2006) ( 6 ) enthalten.

    20.

    Gemäß Regulation 2 der Verordnung von 2006 bedeutet „Flüchtling“ eine Person, die unter Art. 1A der Genfer Konvention fällt und auf die Regulation 7 nicht anwendbar ist. In Regulation 7 Abs. 1 heißt es: „Eine Person ist kein Flüchtling, wenn sie unter Art. 1 Abschnitte D, E oder F der Genfer Konvention fällt.“

    21.

    Paragraph 339AA („Ausschluss aus der Flüchtlingskonvention“) der Einwanderungsbestimmungen bestimmt:

    „Dieser Paragraph findet Anwendung, wenn der Secretary of State davon überzeugt ist, dass die Person gemäß Regulation 7 der [Verordnung von 2006] von der Anerkennung als Flüchtling hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist.

    …“

    III. Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    22.

    NB, ihr Ehemann und vier ihrer Kinder (einschließlich ihres Sohnes AB) kamen am 11. Oktober 2015 im Vereinigten Königreich an. Ihr fünftes Kind, H, wurde später im Vereinigten Königreich geboren. Alle außer H sind UNRWA-registrierte palästinensische Flüchtlinge. Sie lebten im Flüchtlingslager Al Bass in Sour im Südlibanon, bis sie 2015 den Libanon verließen.

    23.

    Wie ich bereits erwähnt habe, ist AB ein Kind mit Behinderungen mit schweren und komplexen Bedürfnissen. Er leidet an Hydrocephalus, einer zerebralen Lähmung, die seinen Rumpf, seine Beine und seinen linken Arm beeinträchtigt, so dass er nicht gehen kann, Skoliose, schweren Lernschwierigkeiten, Optikusatrophie und Nystagmus in beiden Augen (er ist als sehbehindert registriert), intermittierenden Krampfanfällen (die mit Notfallmedikamenten behandelt werden) und Doppelinkontinenz.

    24.

    NB und AB beantragten 2019 im Vereinigten Königreich Asyl. Dieser Antrag wurde von der Secretary of State mit Bescheid vom 3. September 2019 abgelehnt. Gegen diesen Bescheid erhoben NB und AB beim vorlegenden Gericht Klage. Wie das vorlegende Gericht ausführt, hängt der Ausgang ihrer Klage in erster Linie ab von der Situation von AB und davon, ob „nachgewiesen werden kann, dass der Grund, dass der Schutz oder der Beistand durch das UNRWA nicht länger gewährt wird, nicht von seinem Willen abhängig ist“. Wenn dies der Fall sei, kämen NB und AB in den Genuss der normierten Rechtsfolge („ipso facto“) von Art. 1 Abschnitt D Abs. 2 der Genfer Konvention und Art. 12 Abs. l Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83.

    25.

    Es ist darauf hinzuweisen, dass es im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens Sache des nationalen Gerichts ist, den Sachverhalt festzustellen. Das vorlegende Gericht hat jedoch darauf hingewiesen, dass es zu vielen der entscheidenden Tatsachen in der vorliegenden Rechtssache, die die Behandlung von NB und AB im Libanon betreffen, keine endgültigen Feststellungen getroffen hat. Das Gericht hielt es stattdessen für zweckmäßiger, die weitere Verhandlung der Rechtssache zunächst auszusetzen, um ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof zu richten.

    26.

    Nach dem Vorabentscheidungsersuchen berufen sich NB und AB darauf, dass sie in den Anwendungsbereich dieser in Art. 12 Abs. l Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 normierten Rechtsfolge fielen, weil ihre Abreise aus dem Lager Al Bass im Libanon durch objektive Gründe gerechtfertigt gewesen sei, die außerhalb ihrer Kontrolle und ihres Willens gelegen hätten, weil „das UNRWA nicht in der Lage ist, die Bedingungen seines Mandats in Bezug auf schwerstbehinderte Kinder zu erfüllen“, und weil AB aufgrund seiner Behinderung einer„schweren Diskriminierung“ ausgesetzt gewesen (und immer noch ausgesetzt) sei ( 7 ). Die Secretary of State macht geltend, dass NB und AB mit diesem Vorbringen nicht durchdrängen, da AB während seines Aufenthalts im Libanon ausreichende Unterstützung im Zusammenhang mit seiner Behinderung erhalten habe und dies auch bei seiner Rückkehr in diesen Staat der Fall wäre ( 8 ).

    27.

    Darüber hinaus machen NB und AB geltend, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826), die Frage offen gelassen habe, ob eine schwere Diskriminierung ein Grund für das erzwungene Verlassen des UNRWA-Gebiets sein könne. In diesem Zusammenhang tragen sie vor, dass die libanesischen Behörden im Südlibanon staatenlose Palästinenser in verschiedenen Lebensbereichen diskriminierten, u. a. in den Bereichen Bildung, Beschäftigung, Soziale Leistungen und Behandlung von Behinderten.

    28.

    Der Standpunkt der Secretary of State ist im Großen und Ganzen ähnlich, auch wenn sie das Vorliegen einer schweren Diskriminierung bestreitet.

    29.

    Obwohl das vorlegende Gericht keine Feststellungen zu der allgemeinen Situation der bei UNRWA registrierten staatenlosen Palästinenser im Südlibanon und auch nicht zu den besonderen Umständen von NB und AB getroffen hat, hat es dennoch festgestellt, dass „nach dem Rücktritt von Premierminister Hariri im Oktober 2019 weiterhin Massenproteste in Tyrus, Saida und Beirut stattfinden und die Lage instabil ist. Die libanesische Regierung hat 2019 erhebliche Mittelkürzungen im Haushalt für soziale Angelegenheiten vorgenommen, was sich negativ auf die Leistungen für Menschen mit Behinderungen auswirkt. Im Juli 2019 führte die libanesische Regierung Beschäftigungsbeschränkungen ein, die sich negativ auf alle nicht-libanesischen Staatsangehörigen auswirken, einschließlich der bei UNRWA registrierten palästinensischen Flüchtlinge“. Darüber hinaus hat das vorlegende Gericht festgestellt, dass NB und AB beim gegenwärtigen Stand der Dinge nicht nachgewiesen hätten, dass die Familie aus triftigen Gründen nicht in der Lage gewesen sei, Zugang zu ausreichender Bildung und Unterstützung durch NRO – wie das Early Intervention Centre – zu erhalten.

    30.

    Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist nicht klar, ob die Prüfung nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 rein historisch (also ex tunc) zu erfolgen hat und daher die Umstände zu beurteilen sind, die die betreffende Person gezwungen haben, das Einsatzgebiet des UNRWA zu dem Zeitpunkt zu verlassen, zu dem sie es getan hat, oder ob die Prüfung zusätzlich oder alternativ eine Beurteilung ex nunc beinhaltet.

    31.

    Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass der Wortlaut von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 und von Art. 1 Abschnitt D Abs. 2 der Genfer Konvention in der Vergangenheitsform formuliert ist, was auf eine rein historische Prüfung schließen lasse. Darüber hinaus enthalte das Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826), einige Ausführungen, in denen eine in die Vergangenheit gerichtete Bewertung vorgenommen werde ( 9 ). Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts kann jedoch Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 in der Auslegung des Gerichtshofs im Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826), auch dahin verstanden werden, dass die Prüfung ex nunc erfolge. Darüber hinaus „kann im Hinblick auf Ziel und Zweck die Auffassung vertreten werden, dass bei Nichtanwendung einer Prüfung ex nunc eine Schutzlücke entstünde, da dies bedeuten würde, dass Personen, die das Einsatzgebiet freiwillig verlassen haben, denen aber gegenwärtig der Schutz oder der Beistand verweigert wird, ausgeschlossen würden“.

    32.

    Das vorlegende Gericht hält es auch für erforderlich, den Gerichtshof um Hinweise zur Erheblichkeit des staatlichen territorialen Rahmens zu ersuchen, in dem das UNRWA seine Tätigkeit ausübt. Wenn die Qualität des Schutzes oder der Hilfe des UNRWA in Frage stehe, könne es erforderlich sein, nicht nur die Tätigkeit des UNRWA für sich genommen zu prüfen, sondern auch, wie es im größeren Rahmen des betreffenden Staates (im vorliegenden Fall Libanon) tätig werden könne.

    33.

    Außerdem ist dem vorlegenden Gericht unklar, ob bei der Beurteilung der Frage, ob Schutz und Beistand seitens des UNRWA nicht länger gewährt wurden und ob dieser Schutz und Beistand wirksam oder nicht wirksam ist, die von Akteuren der Zivilgesellschaft wahrgenommenen Schutzfunktionen berücksichtigt werden können. Sollten also die Schutzfunktionen dieser Akteure der Zivilgesellschaft für die Frage, ob das UNRWA als Schutzorgan wirksam ist, von Bedeutung sein, so sei es möglich, dass das vorlegende Gericht zu dem Schluss kommen müsse, dass NB und AB der Nachweis, dass Schutz und Beistand aus objektiven Gründen nicht mehr gewährt worden seien oder werden würden, nicht gelingen könne. Wäre die Rolle dieser Akteure hingegen für die Wirksamkeit des Schutzes und des Beistands des UNRWA unerheblich, könnte das vorlegende Gericht durchaus zu dem Schluss kommen, dass dieser Schutz und Beistand im Fall von NB und AB unwirksam sei (insbesondere angesichts der Tatsache, dass sich das Vorbringen der Secretary of State auf das Vorhandensein von Hilfe in Form von NRO im Lager Al Bass konzentriert habe).

    34.

    Unter diesen Umständen hat das First-tier Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (Erstinstanzliches Gericht, Kammer für Einwanderungs- und Asylfragen, Vereinigtes Königreich) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Wenn zu prüfen ist, ob das UNRWA, was den Beistand für Behinderte betrifft, nicht länger Schutz oder Beistand im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 für einen beim UNRWA registrierten staatenlosen Palästinenser gewährt,

    1.

    handelt es sich dann bei dieser Prüfung lediglich um eine historische Bewertung der Umstände, die einen Antragsteller zum Zeitpunkt seiner Abreise angeblich gezwungen haben, das UNRWA-Einsatzgebiet zu verlassen, oder ist auch eine in die Zukunft gerichtete Beurteilung ex nunc anzustellen, ob der Antragsteller diesen Schutz oder diesen Beistand gegenwärtig in Anspruch nehmen kann?

    2.

    Wenn die Frage 1 dahin zu beantworten ist, dass diese Prüfung eine in die Zukunft gerichtete Beurteilung umfasst, ist es dann legitim, in entsprechender Anwendung die das Erlöschen betreffende Bestimmung des Art. 11 heranzuziehen, so dass in Fällen, in denen der Antragsteller für die Vergangenheit einen hinreichenden Grund für das Verlassen des UNRWA-Einsatzgebiets nachweisen kann, der Mitgliedstaat die Beweislast dafür trägt, dass dieser Grund nicht mehr gegeben ist?

    3.

    Liegen berechtigte objektive Gründe für die Abreise einer solchen Person im Zusammenhang mit der Gewährung von Schutz oder Beistand durch das UNRWA nur vor, wenn sich nachweisen lässt, dass seitens des UNRWA oder des Staates, in dem das UNRWA tätig ist, absichtlich Schaden zugefügt oder die Unterstützung entzogen wurde (durch Tun oder durch Unterlassen)?

    4.

    Ist dabei der Beistand zu berücksichtigen, der solchen Personen durch Akteure der Zivilgesellschaft, wie etwa durch Nichtregierungsorganisationen, gewährt wird?

    IV. Verfahren vor dem Gerichtshof

    35.

    Das Vereinigte Königreich hat die Europäische Union um Mitternacht (MEZ) am 31. Januar 2020 verlassen. Nach Art. 86 Abs. 2 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (im Folgenden: Austrittsabkommen) ist der Gerichtshof weiterhin für Vorabentscheidungsersuchen der Gerichte des Vereinigten Königreichs zuständig, die vor Ende des in Art. 126 des Abkommens festgelegten Übergangszeitraums am 31. Dezember 2020 vorgelegt werden.

    36.

    Darüber hinaus ist gemäß Art. 89 des Austrittsabkommens ein Urteil des Gerichtshofs, das zu einem späteren Zeitpunkt ergeht, in seiner Gesamtheit für das Vereinigte Königreich und im Vereinigten Königreich rechtsverbindlich.

    37.

    Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen ist am 29. Juli 2020 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen. Der Gerichtshof bleibt somit für die Entscheidung über das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen zuständig, und das First-tier Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (Erstinstanzliches Gericht, Kammer für Einwanderungs- und Asylfragen) ist an das Urteil des Gerichtshofs im vorliegenden Verfahren gebunden.

    38.

    Schriftliche Erklärungen zu den vom First-tier Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (Erstinstanzliches Gericht, Kammer für Einwanderungs- und Asylfragen) vorgelegten Fragen haben NB und AB, der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, Vertreter im Vereinigten Königreich (im Folgenden: UNHCR-Vertreter [VK]), der dem Verfahren vor dem vorlegenden Gericht als Streithelfer beigetreten ist, die deutsche Regierung und die Europäische Kommission eingereicht.

    39.

    Am 25. Mai 2021 hat der Gerichtshof den Parteien und anderen Beteiligten eine Frage gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union gestellt, in der sie aufgefordert wurden, sich zur etwaigen Auswirkung des Urteils vom 13. Januar 2021, Bundesrepublik Deutschland (Flüchtlingsstatus eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft) (C‑507/19, EU:C:2021:3), insbesondere auf die erste Vorlagefrage zu äußern. Auf diese Frage haben NB und AB, die Secretary of State, der UNHCR-Vertreter (VK) und die Kommission geantwortet. Am 25. Mai 2021 richtete der Gerichtshof außerdem eine Frage an den UNHCR-Vertreter (VK), die die rechtlichen Verpflichtungen des UNRWA in Bezug auf die Unterstützung behinderter Kinder und die insbesondere im Libanon tatsächlich ergriffenen Maßnahmen betraf ( 10 ). Der UNHCR-Vertreter (VK) sowie NB und AB antworteten auf diese Frage.

    V. Würdigung

    A.   Vorbemerkungen

    40.

    Es ist darauf hinzuweisen, dass sich das Vorabentscheidungsersuchen zwar auch auf Ansprüche von NB und AB nach Art. 1A Abs. 2 der Genfer Konvention ( 11 ) und den Art. 3 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ( 12 ) bezieht, das vorlegende Gericht aber eindeutig feststellt, dass es ihm nur um eine Auslegung von Art. 11 und Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 geht. Insoweit hat das vorlegende Gericht, wie die Kommission zu Recht hervorhebt, keine Frage nach der Auslegung der Art. 4 und 7 der Charta oder des Grundsatzes der Nichtzurückweisung vorgelegt. Wie die Kommission im Übrigen feststellt, hat das vorlegende Gericht den Gerichtshof nicht um Hinweise darüber ersucht, wie schwerwiegend die Schwierigkeiten, mit denen ein behindertes Kind wie AB konfrontiert ist, zu sein haben, damit das vorlegende Gericht feststellen könnte, dass ein solches Kind aufgrund der Beendigung des Schutzes oder des Beistands durch das UNRWA ipso facto Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 hat.

    41.

    Der Antwort auf eine Frage des Gerichtshofs zu den rechtlichen Verpflichtungen des UNRWA in Bezug auf die Unterstützung behinderter Kinder hat der UNHCR-Vertreter (VK) ein Schreiben des UNRWA ( 13 ) beigefügt, in dem dieses u. a. seine rechtlichen Verpflichtungen bei der Unterstützung behinderter palästinensischer Flüchtlingskinder und die tatsächlich für behinderte Kinder im Libanon ergriffenen Maßnahmen darlegt. In diesem Schreiben weist das UNRWA darauf hin, dass es „verpflichtet ist, gewissenhaft zu prüfen, wie es im Rahmen seines Planungsprozesses Fortschritte bei der Berücksichtigung der Bedürfnisse, der Rechte und des Schutzes von Menschen mit Behinderungen, einschließlich Kindern, erzielen kann. Es ist jedoch nicht verpflichtet, irgendein Element seines Mandats in einem bestimmten Umfang oder Standard zu erfüllen. Wie oben dargelegt, hängt das Ausmaß, in dem das UNRWA in der Lage ist, diese Leistungen zu erbringen, weitgehend von der Höhe der ihm zur Verfügung stehenden Mittel ab“ ( 14 ).

    42.

    Auch wenn dem Gerichtshof keine Frage nach dem spezifischen Betreuungsstandard für behinderte Kinder wie AB vorgelegt wurde und auch wenn das vorlegende Gericht nicht speziell auf die Art. 4 und 7 der Charta eingegangen ist, bedeutet dies nicht, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 nicht im Licht dieser Bestimmungen und, was noch wichtiger ist, des Art. 1 der Charta, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist, ausgelegt werden muss.

    43.

    Wie sich aus den Erwägungsgründen 16 und 17 der Richtlinie 2004/83 ergibt, ist die Genfer Konvention das Fundament der völkerrechtlichen Regelung des Flüchtlingsschutzes, und wurden die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und deren Inhalt erlassen, um den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Anwendung dieser Konvention auf der Grundlage gemeinsamer Konzepte und Kriterien eine Leitlinie zu geben. Die Richtlinie 2004/83 ist daher im Licht ihrer allgemeinen Systematik und ihres Zwecks sowie im Einklang mit der Genfer Konvention und den anderen in Art. 78 Abs. 1 AEUV genannten einschlägigen Verträgen auszulegen, auch wenn diese Konvention als solche nicht Teil des Unionsrechts ist. Wie sich aus ihrem zehnten Erwägungsgrund ergibt, ist die Richtlinie 2004/83 auch im Einklang mit den in der Charta anerkannten Rechten auszulegen ( 15 ).

    44.

    Im Übrigen entspricht Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 im Wesentlichen Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95, so dass die Rechtsprechung zu der letztgenannten Bestimmung für die Auslegung der erstgenannten Bestimmung von Bedeutung ist ( 16 ).

    B.   Erste Frage

    45.

    Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht geklärt wissen, welche(r) Zeitpunkt(e) für die Beurteilung der Frage maßgebend ist (sind), ob Antragsteller wie NB und AB aufgrund der Beendigung des Schutzes oder des Beistands durch das UNRWA „ipso facto“ Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 haben. Es fragt daher, ob nur vergangene oder historische Umstände berücksichtigt werden dürfen, d. h. die Umstände, die zu dem Zeitpunkt herrschten, als Antragsteller wie NB und AB das Einsatzgebiet des UNRWA im Jahr 2015 tatsächlich verließen, oder ob zusätzlich oder alternativ die derzeit im Libanon herrschenden Umstände berücksichtigt werden müssen ( 17 ). Insoweit fragt das vorlegende Gericht, ob (auch) eine Bewertung ex nunc vorgenommen werden muss ( 18 ).

    46.

    Das vorlegende Gericht hat nicht angegeben, ob sich seine Frage auf den Prüfungsmaßstab bezieht, der vor den zuständigen nationalen Behörden ( 19 ) gilt, und/oder auf den Prüfungsmaßstab vor einem Gericht wie dem vorlegenden Gericht selbst. Da weder Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 noch Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention in dieser Frage eine Unterscheidung treffen, bin ich der Ansicht, dass der im Folgenden dargelegte Maßstab in beiden Fällen Anwendung zu finden hat ( 20 ).

    47.

    Es ist auch anzumerken, dass die Frage offenbar im Licht der sich angeblich verschlechternden Umstände gestellt wird, mit denen die vom UNRWA registrierten staatenlosen Palästinenser im Südlibanon im Allgemeinen und die behinderten Antragsteller im Besonderen konfrontiert sind. Die dem Gerichtshof vorliegenden Unterlagen enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass sich diese Umstände seit der Ausreise von NB und AB aus dem Libanon verbessert haben könnten. Sollten sich die Umstände im Libanon in der Zwischenzeit verschlechtert haben, so handelt es sich um Umstände, die unabhängig von der Kontrolle oder dem Willen von NB und AB sind ( 21 ). Ich beabsichtige daher, die vorliegende Frage vor diesem Hintergrund zu beantworten.

    48.

    Nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2004/83 ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er „den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt“.

    49.

    Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention, auf den Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2004/83 verweist, schließt vom Anwendungsbereich dieser Konvention diejenigen Personen aus, die „zurzeit“ den Schutz oder Beistand eines anderen Organs oder einer anderen Stelle der Vereinten Nationen als des UNHCR genießen ( 22 ). In Art. 1 Abschnitt D heißt es weiter, dass diese Personen, wenn dieser Schutz oder Beistand „aus irgendeinem Grund weggefallen (ist)“ ( 23 ), ipso facto Anspruch auf die Leistungen dieses Übereinkommens haben ( 24 ). Dies entspricht im Wesentlichen dem zweiten Satz von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83.

    50.

    Die Formulierung „zurzeit [Schutz und Beistand] genießen“ wird im Englischen mit „at present receiving“ in der Zeitform des Present Continuous wiedergegeben, die sich nach dem üblichen englischen Sprachgebrauch auf Handlungen bezieht, die entweder gerade jetzt (wie in „he is at present receiving a visitor from abroad“) oder um den jetzigen Zeitpunkt herum in der Vergangenheit, Gegenwart oder unmittelbaren Zukunft (wie in „she is at present receiving many letters of congratulations“) stattfinden. Die Zeitform des Present Continuous erfasst also eindeutig sowohl Ereignisse in der unmittelbaren Vergangenheit als auch in der Gegenwart.

    51.

    Unabhängig von jeder subtilen sprachlichen oder grammatikalischen Exegese ist in diesem speziellen Kontext jedoch auch klar, dass die Verwendung des Present Continuous dazu dient, sowohl unmittelbar vergangene als auch gegenwärtige Ereignisse zu erfassen, was die doppelte Legitimität sowohl der Beurteilung ex tunc als auch der Beurteilung ex nunc unterstreicht ( 25 ).

    52.

    Entscheidend ist jedenfalls, ob der betreffende Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund tatsächlich nicht länger gewährt wird ( 26 ). Zwar wird in Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention – wie auch in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 – nicht ausdrücklich angegeben, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Beendigung durch die zuständigen nationalen Behörden oder Gerichte maßgebend ist, doch sprechen die Verwendung der Formulierung „zurzeit … genießen“ ( 27 ) in Abs. 1 dieser Bestimmung und die Formulierung „weggefallen“ in Abs. 2 ( 28 ) für eine dynamische Beurteilung, bei der die Situation im Einsatzgebiet des UNRWA zum Zeitpunkt der Abreise des Antragstellers zu berücksichtigen ist ( 29 ) und zusätzlich eine Beurteilung ex nunc erforderlich ist. Dieser Ansatz wird durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs gestützt.

    53.

    Insoweit ergibt sich aus dem Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 61, 63, 64 und 65), eindeutig, dass nach Auffassung des Gerichtshofs für die Feststellung, ob der Beistand oder der Schutz im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 tatsächlich nicht länger gewährt wird, die nationalen Behörden und Gerichte zu prüfen haben, ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen des betreffenden Einsatzgebiets des UNRWA gezwungen haben und somit daran hindern, den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen ( 30 ).

    54.

    Der Gerichtshof hat also festgestellt, dass die Situation in dem betreffenden Gebiet zu dem Zeitpunkt, zu dem die betreffende Person das Land verließ, relevant ist ( 31 ). Es bleibt jedoch die Frage, ob alle Tatsachen, die für eine aktuelle Beurteilung des vorliegenden Falles erforderlich sind – insbesondere alle neuen Beweise oder Faktoren, die sich ergeben haben, seit Antragsteller wie NB und AB ein Einsatzgebiet des UNRWA verlassen haben –, auch von den zuständigen nationalen Behörden oder letztlich von einem Gericht, das über einen Rechtsbehelf gegen deren Entscheidung befindet, berücksichtigt werden können bzw. müssen.

    55.

    Aus dem jüngst ergangenen Urteil vom 13. Januar 2021, Bundesrepublik Deutschland (Flüchtlingseigenschaft einer staatenlosen Person palästinensischer Herkunft) (C‑507/19, EU:C:2021:3, Rn. 51 bis 67), ergibt sich, dass die Frage der Beendigung des Schutzes oder des Beistands durch das UNRWA nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 auf einer individuellen Beurteilung aller relevanten Anhaltspunkte oder Faktoren der fraglichen Situation zum Zeitpunkt der Abreise der Antragsteller aus dem Einsatzgebiet des UNRWA und zu dem Zeitpunkt, zu dem das Gericht über den Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung über die Versagung der Flüchtlingseigenschaft entscheidet, beruhen muss. So verweist der Gerichtshof in Rn. 59 des Urteils ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Ausreise aus dem Einsatzgebiet des UNRWA, und in Rn. 56 des Urteils führt er aus, dass die zuständigen Verwaltungs- oder Justizbehörden zu prüfen haben, ob ein Staatenloser palästinensischer Herkunft imstande ist, Schutz oder Beistand vom UNRWA in Anspruch zu nehmen ( 32 ).

    56.

    Zwar ging es in der Rechtssache, die dem Urteil vom 13. Januar 2021, Bundesrepublik Deutschland (Flüchtlingseigenschaft eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft) (C‑507/19, EU:C:2021:3), zugrunde lag, um die geografische Ausdehnung des Einsatzgebiets des UNRWA und nicht um den Zeitpunkt, zu dem die Beendigung des Schutzes oder des Beistands durch das UNRWA zu beurteilen war, doch sehe ich keinen stichhaltigen Grund, in der vorliegenden Rechtssache von dem in diesem Urteil gewählten Ansatz abzuweichen. Eine andere Auffassung könnte nämlich zu behördlichen oder gerichtlichen Entscheidungen führen, die nicht der Realität entsprechen, mit der die Antragsteller bzw. Kläger konfrontiert sind. Wie der UNHCR-Vertreter (VK) feststellt, wäre ein solcher Ansatz gekünstelt.

    57.

    Es ist daher Sache der zuständigen nationalen Behörden und Gerichte, in jedem Einzelfall alle relevanten Umstände zu prüfen, um nicht nur festzustellen, ob das Verlassen des UNRWA-Einsatzgebiets durch einen Antragsteller auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 durch Gründe gerechtfertigt werden kann, die sich seiner Kontrolle entziehen und von seinem Willen unabhängig sind (und ihn somit daran hindern, Schutz oder Beistand des UNRWA zu erhalten), sondern auch, ob er derzeit daran gehindert ist, einen solchen Schutz oder Beistand zu erhalten, weil sich die Lage in dem betreffenden Einsatzgebiet aus Gründen verschlechtert, die sich seiner Kontrolle entziehen und unabhängig von seinem Willen sind.

    58.

    In Anbetracht dessen bin ich der Ansicht, dass eine individuelle Beurteilung aller relevanten Faktoren der in Rede stehenden Sachlage vorgenommen werden muss, um festzustellen, ob der Schutz oder Beistand des UNRWA im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 weggefallen ist. Dies erfordert eine Prüfung der Umstände, die den Antragsteller angeblich gezwungen haben, das UNRWA-Einsatzgebiet zu verlassen, als er dies tat, sowie eine Bewertung ex nunc, ob der Antragsteller zum gegenwärtigen Zeitpunkt einen solchen Schutz oder Beistand erhalten kann.

    C.   Zweite Frage

    59.

    Mit seiner zweiten Frage – die nur für den Fall relevant ist, dass der Gerichtshof der Ansicht ist, dass die Frage, ob der Schutz oder Beistand des UNRWA im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 weggefallen ist, sowohl eine Beurteilung der Umstände erfordert, die den Antragsteller angeblich gezwungen haben, das Einsatzgebiet des UNRWA zu verlassen, als er dies tat, wie auch eine vorausschauende Prüfung ex nunc, ob der Antragsteller einen solchen Schutz oder Beistand zum gegenwärtigen Zeitpunkt erhalten kann – möchte das vorlegende Gericht wissen, ob dem Mitgliedstaat die Beweislast dafür obliegt, dass der Grund, aus dem der Antragsteller das UNRWA-Gebiet verlassen hat, nicht mehr gegeben ist.

    60.

    Insoweit möchte das vorlegende Gericht geklärt wissen, ob eine entsprechende Anwendung der Ausschlussklausel in Art. 11 der Richtlinie 2004/83 zulässig ist, so dass, wenn der Antragsteller rückschauend einen triftigen Grund für sein Verlassen des UNRWA-Gebiets nachweisen kann, der Mitgliedstaat die Beweislast dafür trägt, dass dieser Grund nicht mehr besteht ( 33 ).

    61.

    In seinem Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 76 und 77), hat der Gerichtshof festgestellt, dass eine Person, die ipso facto Anspruch auf die Leistungen der Richtlinie 2004/83 hat, einen Antrag auf Anerkennung als Flüchtling stellen muss, der von den zuständigen Behörden des zuständigen Mitgliedstaats zu prüfen ist. Im Rahmen dieser Prüfung müssen diese nicht nur untersuchen, ob der Antragsteller tatsächlich den Beistand des UNRWA in Anspruch genommen hat und dieser Beistand nicht länger gewährt wird, sondern auch, ob bei diesem Antragsteller nicht einer der Ausschlussgründe in Art. 12 Abs. 1 Buchst. b oder Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie vorliegt. Zudem ist dem Gerichtshof zufolge Art. 11 Buchst. f in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 dahin auszulegen, dass die Flüchtlingseigenschaft des Betroffenen erlischt, wenn er – nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren er als Flüchtling anerkannt worden ist – in der Lage ist, in das Einsatzgebiet des UNRWA zurückzukehren, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

    62.

    Jedenfalls ergibt sich aus Rn. 71 dieses Urteils die Auffassung des Gerichtshofs, dass der freiwillige Verzicht auf die Unterstützung durch das UNRWA nicht die Anwendung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 (und damit von Art. 1 Abschnitt D Abs. 1 der Genfer Konvention) mit der Folge, dass eine solche Person ipso facto die Flüchtlingseigenschaft beanspruchen kann, auslöst. Der Grund dafür ist, dass nach Art. 1 Abschnitt D dieser Konvention Personen, die in der Lage gewesen sind, die Unterstützung des UNRWA in Anspruch zu nehmen, von den Vorteilen des Genfer Abkommens ausgeschlossen sein sollten. Im Umkehrschluss bedeutet dies – was dieses Urteil zumindest implizit beinhaltet –, dass Personen, die „aus irgendeinem Grund“ nicht mehr in der Lage sind, die Hilfe des UNRWA in Anspruch zu nehmen (d. h. unter anderen Umständen als einem freiwilligen Verzicht), für die Zwecke dieser Bestimmungen ipso facto als Flüchtlinge zu behandeln sind.

    63.

    Aus dem Urteil vom 13. Januar 2021, Bundesrepublik Deutschland (Flüchtlingseigenschaft eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft) (C‑507/19, EU:C:2021:3, Rn. 42), ergibt sich, dass Art. 14 der Richtlinie 2004/83 (und damit auch deren Art. 11) über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft konkret voraussetzt, dass dieser Status bereits zuerkannt worden ist. Da den Klägern NB und AB die Flüchtlingseigenschaft nach dem nationalen Recht zur Umsetzung der Richtlinie 2004/83 noch nicht zuerkannt wurde und die Möglichkeit der Anerkennung dieser Eigenschaft derzeit geprüft wird, sind weder Art. 11 noch Art. 14 der Richtlinie 2004/83 einschlägig.

    64.

    Was die Art der Prüfung des Antrags von NB und AB auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft angeht, so bestimmt Art. 13 („Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft“) der Richtlinie 2004/83: „Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II und III erfüllt, die Flüchtlingseigenschaft zu.“ Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83, der in Kapitel III dieser Richtlinie enthalten ist, muss daher eine Prüfung der Ereignisse und Umstände gemäß Art. 4 dieser Richtlinie (der im Kapitel II enthalten ist) vorgenommen werden.

    65.

    Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 können die Mitgliedstaaten es als Pflicht des Antragstellers betrachten, so schnell wie möglich alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte darzulegen. Es ist Pflicht des Mitgliedstaats, unter Mitwirkung des Antragstellers die für den Antrag maßgeblichen Anhaltspunkte zu prüfen ( 34 ).

    66.

    Nach ständiger Rechtsprechung ist es nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 zwar grundsätzlich Sache des Antragstellers, alle zur Begründung des Antrags erforderlichen Angaben zu machen, doch ist der Mitgliedstaat verpflichtet, in dem Abschnitt der Ermittlung der relevanten Elemente des Antrags mit dem Antragsteller zusammenzuarbeiten ( 35 ). Das Erfordernis der Mitwirkung des Mitgliedstaats bedeutet also in der Praxis, dass der betreffende Mitgliedstaat, wenn die von einem Antragsteller auf internationalen Schutz vorgelegten Unterlagen aus irgendeinem Grund nicht vollständig, aktuell oder maßgeblich sind, in diesem Abschnitt des Verfahrens aktiv mit dem Antragsteller zusammenarbeiten muss, damit alle zur Begründung des Antrags erforderlichen Unterlagen zusammengestellt werden können. Ein Mitgliedstaat hat im Übrigen möglicherweise eher Zugang zu bestimmten Arten von Unterlagen als der Antragsteller ( 36 ).

    67.

    Antragsteller wie NB und AB können nämlich nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 nur verpflichtet werden, Beweise vorzulegen, die ihnen in zumutbarer Weise zugänglich sind. Es kann daher Informationen, Daten, Unterlagen usw. geben, die sich insbesondere auf die Umstände seit dem Verlassen eines Gebiets mit UNRWA-Schutz beziehen und die sie nicht in angemessener Weise einsehen oder vorlegen können. In solchen Fällen ist der betreffende Mitgliedstaat verpflichtet, aktiv mit den Antragstellern zusammenzuarbeiten, um aktuelle Informationen, Daten, Unterlagen usw. über die dortige Situation zu beschaffen und auszuwerten.

    68.

    Ich bin daher der Ansicht, dass die Prüfung, ob ein Antragsteller Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 hat, nach Art. 4 dieser Richtlinie und der dazu ergangenen Rechtsprechung zu erfolgen hat. Während es im Allgemeinen Sache des Antragstellers ist, alle zur Begründung des Antrags erforderlichen Elemente vorzulegen, ist es die Pflicht des Mitgliedstaats, mit dem Antragsteller in dem Abschnitt zusammenzuarbeiten, in dem die relevanten Elemente des Antrags bestimmt werden. Sind die von einem Antragsteller auf internationalen Schutz vorgelegten Unterlagen aus irgendeinem Grund unvollständig, nicht aktuell oder nicht relevant, muss der betreffende Mitgliedstaat in diesem Abschnitt des Verfahrens aktiv mit dem Antragsteller zusammenarbeiten, damit alle zur Begründung des Antrags erforderlichen Unterlagen zusammengestellt werden können.

    D.   Dritte Frage

    69.

    Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen geklärt wissen, ob es für die Feststellung, ob Antragsteller, die um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 nachsuchen, gezwungen sind, ein Gebiet mit UNRWA-Schutz zu verlassen, der Nachweis erforderlich ist, dass das UNRWA oder der Staat, in dem es tätig ist, im vorliegenden Fall der Libanon, ihnen absichtlich einen Schaden zugefügt oder die Unterstützung entzogen hat (durch Tun oder Unterlassen).

    70.

    Das vorlegende Gericht verweist insoweit auf die Urteile vom 18. Dezember 2014, M'Bodj (C‑542/13, EU:C:2014:2452), und vom 24. April 2018, MP (Subsidiärer Schutz einer Person, die zuvor Opfer von Folter war) (C‑353/16, EU:C:2018:276), die beide die Kriterien für die Gewährung von subsidiärem Schutz und den Begriff des ernsthaften Schadens nach Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83 in Bezug auf schwerkranke Personen betreffen. In diesen Rechtssachen hat der Gerichtshof festgestellt, dass sich eine Person gemäß Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83 nur dann zum Nachweis eines ernsthaften Schadens auf das Fehlen einer angemessenen medizinischen Behandlung oder medizinischer Einrichtungen in ihrem Herkunftsland berufen kann, wenn ihr die medizinische Versorgung absichtlich verweigert wird. Allgemeine Mängel oder Unzulänglichkeiten reichen nicht aus.

    71.

    Zunächst bin ich der Ansicht, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 – der die sehr spezifischen Umstände betrifft, unter denen Personen, die unter Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention fallen, die Flüchtlingseigenschaft nach dieser Richtlinie zuerkannt werden kann – nicht mit den Umständen zusammenhängt, unter denen subsidiärer Schutz nach Art. 15 Buchst. b dieser Richtlinie gewährt werden kann.

    72.

    Im Übrigen ist die dritte Frage meines Erachtens zu verneinen, da eine Auslegung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83, die eine absichtliche Schädigung oder einen absichtlichen Entzug der Unterstützung durch das UNRWA oder den Staat, in dem es tätig ist, voraussetzen würde, im Widerspruch zum klaren und zwingenden Wortlaut dieser Bestimmung und auch zu Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention stünde und daher contra legem wäre. Beide Bestimmungen sehen zweifelsfrei vor, dass die betreffenden Personen ipso facto Anspruch auf die Leistungen der Richtlinie und des Abkommens haben, wenn der Schutz oder die Hilfe des UNRWA aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt wird.

    73.

    Darüber hinaus hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 65), bestätigt, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 dahin auszulegen ist, dass die Beendigung des Schutzes oder des Beistands durch das UNRWA „aus irgendeinem Grund“ den Fall einschließt, dass eine Person, die einen solchen Schutz oder einen solchen Beistand tatsächlich in Anspruch genommen hat, ihn aus einem Grund nicht mehr erhält, der sich ihrer Kontrolle entzieht und von ihrem Willen unabhängig ist. Wie die Kommission zu Recht anmerkt, ist es nicht erforderlich, dass das UNRWA oder der Staat, in dem das UNRWA tätig ist ( 37 ), mit Absicht oder auf diskriminierende Weise handelt. Erforderlich ist lediglich, dass die Personen aus Gründen, die sich ihrer Kontrolle entziehen und unabhängig von ihrem Willen sind, keinen Beistand oder keinen Schutz mehr vom UNRWA erhalten ( 38 ).

    74.

    Wenn nachgewiesen würde, dass das UNRWA oder der Staat, in dem es tätig ist, Personen mit Absicht (durch Tun oder durch Unterlassen) Schaden zugefügt oder Hilfe oder Schutz entzogen hat, wären solche Beweise natürlich besonders stichhaltig. Für die Zwecke des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 ist es jedoch nicht erforderlich, eine solche Absicht nachzuweisen. Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 13. Januar 2021, Bundesrepublik Deutschland (Flüchtlingseigenschaft eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft) (C‑507/19, EU:C:2021:3, Rn. 67), festgestellt hat, müssen alle relevanten Faktoren berücksichtigt werden.

    75.

    Ich bin daher der Ansicht, dass es für die Feststellung, ob Antragsteller, die die Flüchtlingseigenschaft nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 beantragen, gezwungen sind, einen UNRWA-Schutzbereich zu verlassen, nicht der Nachweis erforderlich ist, dass das UNRWA oder der Staat, in dem es tätig ist, ihnen absichtlich einen Schaden zugefügt oder die Unterstützung entzogen hat (durch Tun oder durch Unterlassen). Vielmehr ist zu prüfen, ob diese Antragsteller, wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 65), festgestellt hat, aus Gründen, die sich ihrer Kontrolle entziehen und unabhängig von ihrem Willen sind, keinen Beistand oder Schutz mehr vom UNRWA erhalten haben. Dieser Beistand oder Schutz muss zudem auch tatsächlich gewährt werden.

    E.   Vierte Frage

    76.

    Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht geklärt wissen, ob die Unterstützung, die Personen wie den Klägern von zivilgesellschaftlichen Akteuren wie den NRO gewährt wird, für die Zwecke des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 von Bedeutung ist. In diesem Zusammenhang muss auch die Rolle des Staates untersucht werden, in dem das UNRWA tätig ist.

    77.

    Aus dem Wortlaut dieser Bestimmungen geht eindeutig hervor, dass sowohl Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention als auch Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 derzeit nur einen einzigen Akteur für Schutz oder Beistand kennen, nämlich das UNRWA ( 39 ).

    78.

    Nach ständiger Rechtsprechung ist Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 anwendbar, wenn sich auf der Grundlage einer individuellen Beurteilung aller maßgeblichen Umstände herausstellt, dass sich der betreffende Staatenlose palästinensischer Herkunft in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es dem UNRWA, um dessen Beistand er ersucht hat, unmöglich ist, ihm Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der Aufgabe des UNRWA im Einklang stehen, so dass sich dieser Staatenlose aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, dazu gezwungen sieht, das Einsatzgebiet des UNRWA zu verlassen ( 40 ). Der Gerichtshof hat auch darauf hingewiesen, dass ein wirksamer Schutz oder Beistand durch das UNRWA in einem Gebiet, das unter das Mandat dieser Organisation fällt, der betreffenden Person ermöglichen muss, sich dort in Sicherheit und unter „menschenwürdigen Lebensbedingungen“ aufzuhalten ( 41 ).

    79.

    Zwar beziehen sich Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention, Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 und die Rechtsprechung des Gerichtshofs im Wesentlichen nur auf den Schutz oder den Beistand durch das UNRWA, doch kann meines Erachtens die Rolle des Staates, in dem das UNRWA tätig ist, in diesem Zusammenhang nicht außer Acht gelassen werden. Es liegt auf der Hand, dass das UNRWA nicht im luftleeren Raum arbeitet und dass der betreffende Staat eine entscheidende Rolle dabei spielt, das UNRWA in die Lage zu versetzen, sein Mandat wirksam zu erfüllen und dafür zu sorgen, dass die betreffenden Personen unter menschenwürdigen Bedingungen leben ( 42 ). Dies bedeutet, dass sowohl die positiven als auch die negativen Auswirkungen des Handelns dieses Staates sowie die allgemeine Sicherheit und die Lebensbedingungen der palästinensischen Flüchtlinge wie der Kläger, die sich im Libanon aufhalten, bei einer Gesamtbeurteilung aller maßgeblichen Umstände gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 berücksichtigt werden müssen.

    80.

    Wenn beispielsweise palästinensische Flüchtlinge einen tatsächlichen Rechtsanspruch auf dauerhaften Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung durch den betreffenden Staat haben, ist diese Situation meines Erachtens bei einer Gesamtbewertung aller maßgeblichen Umstände nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 zu berücksichtigen. Ich hielte es für künstlich, sich ausschließlich auf den Schutz oder den Beistand des UNRWA zu konzentrieren, da die Angemessenheit des Umfangs des praktischen Schutzes oder Beistands von dem Kontext abhängt, in dem diese Organisation tätig ist.

    81.

    Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Unterlagen (und vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht) geht jedoch hervor, dass palästinensische Flüchtlinge im Libanon beim Zugang zu staatlichen Dienstleistungen wie medizinischer Behandlung und Bildung rechtlichen oder anderen faktischen Beschränkungen unterliegen. Sollte das vorlegende Gericht dies tatsächlich feststellen, wäre es realitätsfremd anzunehmen, dass behauptete Mängel im Umfang dieses Schutzes oder dieses Beistands sich auf palästinensische Flüchtlinge nicht stärker auswirken würden als auf die übrige Bevölkerung.

    82.

    Darüber hinaus bin ich, wie ich bereits ausgeführt habe, der Ansicht, dass in Fällen, in denen die Mission des UNRWA mehr durch die sich verschlechternde politische und wirtschaftliche Lage in dem betreffenden Staat als durch unmittelbare staatliche Maßnahmen behindert oder unterhöhlt wird, diese Umstände auch für die Beurteilung der Frage, ob Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 anwendbar ist, von großer Bedeutung sind.

    83.

    Zudem darf die wichtige Rolle der zivilgesellschaftlichen Akteure wie der NRO ( 43 ) in diesem Zusammenhang nicht außer Acht gelassen werden. Insoweit müssen beispielsweise NRO, die unter der Schirmherrschaft des UNRWA tätig sind oder vom UNRWA rechtlich unter Vertrag genommen wurden, um in dessen Namen Schutz oder Beistand zu leisten, bei der Beurteilung der Wirksamkeit des vom UNRWA gewährten Schutzes oder Beistands berücksichtigt werden. Unter diesen Gegebenheiten handeln die NRO in jeder Hinsicht als Beauftragte des UNRWA.

    84.

    Darüber hinaus bin ich der Auffassung, dass auch die Unterstützung durch NRO, die unter der Schirmherrschaft des Staates handeln, in dem das UNRWA tätig ist, berücksichtigt werden muss, wenn dieser Staat für diese Unterstützung rechtswirksam NRO unter Vertrag genommen hat, vorausgesetzt – und dies ist eine entscheidende Voraussetzung –, dass die palästinensischen Flüchtlinge einen Rechtsanspruch auf den Schutz oder Beistand haben, der von den betreffenden NRO gewährt wird, und dass dieser Schutz oder Beistand wirksam und dauerhaft ist. Schutz oder Beistand, der lediglich ad hoc oder vorübergehend geleistet wird, ist nicht ausreichend.

    85.

    Jede andere Unterstützung, die Personen wie den Antragstellern von NRO geleistet wird, die entweder nicht unter der Schirmherrschaft des UNRWA/des Staates, in dem das UNRWA tätig ist, handeln oder die nicht rechtswirksam vom UNRWA/dem Staat, in dem das UNRWA tätig ist, unter Vertrag genommen wurden, um in ihrem Namen Schutz oder Beistand zu gewähren, ist für die Zwecke des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 nicht von Bedeutung, da die Zugänglichkeit, die Wirksamkeit und die Dauerhaftigkeit einer solchen Unterstützung weder gewährleistet noch fundiert beurteilt werden kann. Ein solcher Beistand – auch wenn er zweifellos wertvoll ist – ist seinem Wesen nach unbeständig und unsicher. Als solcher kann er nicht die Rechtsansprüche einer Person gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 bestimmen.

    86.

    Ich bin daher der Ansicht, dass der Schutz oder Beistand, der palästinensischen Flüchtlingen von Akteuren der Zivilgesellschaft wie NRO gewährt wird, für die Zwecke des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 maßgeblich ist, wenn sie unter der Schirmherrschaft des UNRWA tätig sind oder vom UNRWA rechtswirksam unter Vertrag genommen wurden, um in dessen Namen Schutz oder Beistand zu gewähren. Der Schutz oder Beistand, der palästinensischen Flüchtlingen von Akteuren der Zivilgesellschaft gewährt wird, ist, wenn diese Akteure unter der Schirmherrschaft des Staates handeln, in dem das UNRWA tätig ist, oder von diesem Staat rechtswirksam unter Vertrag genommen werden, um in seinem Namen Schutz oder Beistand zu gewähren, ebenfalls für die Zwecke des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 von Bedeutung, sofern die betreffenden Flüchtlinge einen Rechtsanspruch auf Zugang zu dem von diesen Akteuren oder NRO gewährten Schutz oder Beistand haben und dieser Schutz oder Beistand wirksam und dauerhaft ist. Schutz oder karitativer Beistand, der bloß ad hoc oder vorübergehend geleistet wird, reicht dagegen nicht aus. Jede andere von zivilgesellschaftlichen Akteuren geleistete Unterstützung ist für die Zwecke des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 nicht von Bedeutung, da die Zugänglichkeit, Wirksamkeit und Dauerhaftigkeit solcher Unterstützung weder gewährleistet noch fundiert beurteilt werden kann.

    VI. Schlussfolgerung

    87.

    Ich schlage daher vor, die vom First-tier Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (Erstinstanzliches Gericht, Kammer für Einwanderungs- und Asylfragen, Vereinigtes Königreich) vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

    1.

    Um festzustellen, ob der Schutz oder Beistand des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des gewährten Schutzes nicht länger gewährt wird, muss eine individuelle Beurteilung aller relevanten Faktoren der betreffenden Situation durchgeführt werden. Dies erfordert eine Bewertung der Umstände, die den Antragsteller angeblich gezwungen haben, das Einsatzgebiet des UNRWA zu verlassen, als er dies tat, sowie eine vorausschauende Bewertung ex nunc, ob der Antragsteller diesen Schutz oder Beistand zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Anspruch nehmen kann.

    2.

    Die Prüfung, ob ein Antragsteller Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 hat, ist gemäß Art. 4 dieser Richtlinie und der dazu ergangenen Rechtsprechung vorzunehmen. Während es grundsätzlich Sache des Antragstellers ist, alle zur Begründung des Antrags erforderlichen Elemente vorzulegen, gehört es zur Verpflichtung des Mitgliedstaats, mit dem Antragsteller im Abschnitt der Bestimmung der maßgeblichen Elemente des Antrags zusammenzuarbeiten. Sind die von einem Antragsteller auf internationalen Schutz vorgelegten Unterlagen aus irgendeinem Grund unvollständig, nicht aktuell oder nicht relevant, muss der betreffende Mitgliedstaat in diesem Abschnitt des Verfahrens aktiv mit dem Antragsteller zusammenarbeiten, damit alle zur Begründung des Antrags erforderlichen Unterlagen zusammengestellt werden können.

    3.

    Um festzustellen, ob Antragsteller, die die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 beantragen, gezwungen sind, ein Gebiet mit UNRWA-Schutz zu verlassen, ist nicht der Nachweis erforderlich, dass das UNRWA oder der Staat, in dem es tätig ist, ihnen absichtlich einen Schaden zugefügt oder Beistand entzogen hat (durch Tun oder durch Unterlassen). Vielmehr muss festgestellt werden, ob den Antragstellern vom UNRWA aus Gründen, die sich ihrer Kontrolle entziehen und unabhängig von ihrem Willen sind, nicht länger Beistand oder Schutz gewährt wird. Dieser Beistand oder Schutz muss zudem auch tatsächlich gewährt werden.

    4.

    Der Schutz oder Beistand, der palästinensischen Flüchtlingen von zivilgesellschaftlichen Akteuren wie Nichtregierungsorganisationen (NRO) gewährt wird, ist für die Zwecke des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 von Bedeutung, wenn sie unter der Schirmherrschaft des UNRWA handeln oder vom UNRWA rechtswirksam unter Vertrag genommen wurden, um in dessen Namen Schutz oder Beistand zu gewähren. Der Schutz oder Beistand, der palästinensischen Flüchtlingen von Akteuren der Zivilgesellschaft gewährt wird, ist, wenn diese unter der Schirmherrschaft des Staates handeln, in dem das UNRWA tätig ist, oder wenn sie von diesem Staat rechtswirksam unter Vertrag genommen wurden, um in seinem Namen Schutz oder Beistand zu gewähren, ebenfalls für die Zwecke des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 von Bedeutung, sofern die betreffenden Flüchtlinge einen Rechtsanspruch auf Zugang zu dem Schutz oder Beistand haben, der von diesen Akteuren (NRO) gewährt wird, und dieser Schutz oder Beistand wirksam und dauerhaft ist. Schutz oder karitativer Beistand, der bloß ad hoc oder vorübergehend geleistet wird, ist dagegen nicht ausreichend. Jede andere von zivilgesellschaftlichen Akteuren geleistete Unterstützung ist für die Zwecke des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 nicht von Bedeutung, da die Zugänglichkeit, Wirksamkeit und Dauerhaftigkeit solcher Unterstützung weder gewährleistet noch fundiert beurteilt werden kann.


    ( 1 ) Originalsprache: Englisch.

    ( 2 ) ABl. 2004, L 304, S. 12.

    ( 3 ) Urteil vom 13. Januar 2021, Bundesrepublik Deutschland (Flüchtlingsstatus eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft) (C‑507/19, EU:C:2021:3, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung). In Rn. 81 des Urteils vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826), hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 dahin auszulegen ist, dass dann, wenn die zuständigen Behörden des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats festgestellt haben, dass die Voraussetzung, dass der Schutz oder Beistand des UNRWA nicht länger gewährt wird, beim Antragsteller erfüllt ist, der Umstand, dass er ipso facto„den Schutz dieser Richtlinie [genießt]“, für den Antragsteller die Anerkennung als Flüchtling im Sinne von Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft von Rechts wegen durch diesen Mitgliedstaat nach sich zieht, sofern er nicht von Art. 12 Abs. 1 Buchst. b oder Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie erfasst wird. In Rn. 101 des Urteils vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584), hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 unmittelbare Wirkung hat. In Anbetracht ihrer besonderen Umstände kommen palästinensische Flüchtlinge somit in den Genuss einer Sonderbehandlung sui generis nach Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention (siehe dessen Wortlaut in Nr. 7 dieser Schlussanträge) und Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83. Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 80).

    ( 4 ) ABl. 2011, L 337, S. 9.

    ( 5 ) UK Statutory Instrument 2006/2525.

    ( 6 ) HC 395 (geänderte Fassung).

    ( 7 ) NB und AB machten vor dem vorlegenden Gericht insbesondere Folgendes geltend: „AB war im Libanon die meiste Zeit bewegungsunfähig und an das Haus gefesselt und den Beschimpfungen der Umgebung ausgesetzt, auf die er mit Schreien und Rufen reagierte. Er konnte weder gehen noch kriechen und sackte beim Sitzen zusammen. Der Mangel an fachkundiger Unterstützung im Libanon hätte für ihn lebenslang nachteilige Folgen. Seit er sich jedoch an der britischen Schule (einer Sekundarschule in Bolton für Schüler mit schweren und tiefgreifenden Lernbehinderungen im Alter von 11-19 Jahren) eingelebt hat, hat sich sein Zustand dramatisch verbessert. Zusätzlich zu seiner schulischen Ausbildung verfügt er über ein Unterstützungsnetzwerk, zu dem unter anderem ein Facharzt für Orthopädie, ein Facharzt für Wirbelsäulenchirurgie, ein Facharzt für pädiatrische Neurologie, ein Neurochirurg, ein pädiatrischer Psychotherapeut, ein Facharzt für Kinderheilkunde und ein Logopäde gehören. Er bleibt zweifach inkontinent. Wenn die Familie zurückkehren müsste, würde sich AB zurückentwickeln, und es wäre wahrscheinlich, dass seine Anfälle wieder einsetzen würden. Die ganze Familie hatte im Libanon unter den Entwicklungsschwierigkeiten von AB gelitten, seine Geschwister waren Missbrauch, Diskriminierung und Spott von Freunden und Nachbarn ausgesetzt. Die Atmosphäre in der Familie war traurig und deprimiert. Wenn sie zurückkehren müssten, würde sich die psychische Gesundheit der gesamten Familie verschlechtern. … [NB] litt im Libanon unter Depressionen, was sich wiederum auf ihren Mann und ihre Kinder auswirkte. Jetzt geht es ihr besser, und sie ist viel glücklicher, obwohl sie immer noch Medikamente gegen Depressionen benötigt. Dadurch hat sich auch die psychische Gesundheit ihres Mannes verbessert. Die anderen Kinder sind aufgrund der Familiengeschichte, die mit ABs Krankheit zusammenhängt, emotional sehr verletzlich, aber in ihrem neuen Umfeld fühlten sie sich AB gegenüber positiv eingestellt, anstatt sich für ihn zu schämen.“

    ( 8 ) Die Secretary of State behauptete vor dem vorlegenden Gericht, dass NB und ihr Ehemann von der Nichtregierungsorganisation (diese Organisationen im Folgenden: NRO) Early Intervention Centre, die im Lager A1 Bass tätig sei und Kindern mit Behinderungen Hilfe anbiete, Kenntnis gehabt hätten und dass sie keine Unterlagen vorgelegt hätten, die belegten, dass dieses Zentrum erklärt habe, nicht helfen zu können.

    ( 9 ) Vgl. insbesondere Rn. 65 und Rn. 61, 63 und 64.

    ( 10 ) Auch den Parteien und sonstigen Beteiligten war es gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union gestattet, zu dieser Frage Stellung zu nehmen, wenn sie dies wünschten.

    ( 11 ) Nach Art. 1 Abschnitt A Abs. 2 Unterabs. 1 der Genfer Konvention gilt als „Flüchtling“, jede Person, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose … außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will“.

    ( 12 ) Über das Verbot der Folter bzw. das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.

    ( 13 ) Das Schreiben wurde vom UNRWA auf Ersuchen des UNHCR-Vertreters (VK) im spezifischen Zusammenhang mit dem laufenden Vorabentscheidungsverfahren übermittelt. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, den Inhalt dieses Schreibens zu prüfen und zu beurteilen.

    ( 14 ) Hervorhebung nur hier.

    ( 15 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 42 und 43). Die Richtlinie 2004/83 zielt insbesondere darauf ab, auf der Grundlage der Art. 1 und 18 der Charta die uneingeschränkte Achtung der Menschenwürde und des Asylrechts für Asylsuchende sicherzustellen. Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 12).

    ( 16 ) Vgl. in diesem Sinne das Urteil vom 13. Januar 2021, Bundesrepublik Deutschland (Flüchtlingseigenschaft eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft) (C‑507/19, EU:C:2021:3, Rn. 37).

    ( 17 ) In ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Bolbol (C‑31/09, EU:C:2010:119) hat Generalanwältin Sharpston die Auffassung vertreten, dass der Ausdruck „Personen, die gegenwärtig … Schutz oder Beistand erhalten“ sowohl in geografischer als auch in zeitlicher Hinsicht mehrdeutig sei.

    ( 18 ) Es ist eindeutig, dass nach dem Vorabentscheidungsersuchen das vorlegende Gericht wissen möchte, ob eine Bewertung ex nunc zusätzlich oder alternativ zu einer Bewertung ex tunc vorzunehmen ist.

    ( 19 ) In diesem Fall die Secretary of State.

    ( 20 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 13. Januar 2021, Bundesrepublik Deutschland (Flüchtlingseigenschaft eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft) (C‑507/19, EU:C:2021:3, Rn. 66).

    ( 21 ) Dies ist jedoch letztlich eine Frage, die vom vorlegenden Gericht zu beurteilen ist. Vgl. dagegen das Urteil vom 13. Januar 2021, Bundesrepublik Deutschland (Flüchtlingseigenschaft eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft) (C‑507/19, EU:C:2021:3, Rn. 80), in dem der Gerichtshof die Auffassung vertreten hat, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen ist, dass der Schutz oder der Beistand des UNRWA nicht als beendet angesehen werden kann, wenn sich ein Staatenloser palästinensischer Herkunft dem Schutz des UNRWA entzogen und sich freiwillig einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt hat. Darüber hinaus hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 59), entschieden, dass die bloße Abwesenheit von einem Gebiet, das unter dem Schutz des UNRWA steht, oder die freiwillige Entscheidung, es zu verlassen, nicht als Wegfall des Beistands eingestuft werden kann.

    ( 22 ) Siehe Art. 1 Abschnitt D Abs. 1 der Genfer Konvention. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass dieser Grund für den Ausschluss vom Anwendungsbereich der Genfer Konvention und demzufolge von der Richtlinie 2004/83 eng auszulegen ist. Urteil vom 17. Juni 2010, Bolbol (C‑31/09, EU:C:2010:351, Rn. 51). Vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Bolbol (C‑31/09, EU:C:2010:119, Nrn. 74 und 75). In dieser Rechtssache wurde festgestellt, dass Frau Bolbol keine Unterstützung durch das UNRWA in Anspruch genommen hatte, bevor sie das Einsatzgebiet des Hilfswerks verließ, um in Ungarn Asyl zu beantragen. Der Gerichtshof sah daher keine Notwendigkeit, sich mit den Umständen zu befassen, unter denen eine solche Unterstützung als „aus irgendeinem Grund“ weggefallen zu gelten hätte, oder mit der Art der Leistungen, auf die sie nach der Richtlinie 2004/83 infolge des Wegfalls dieser Unterstützung ipso facto Anspruch gehabt haben könnte.

    ( 23 ) Ohne dass das Schicksal dieser Person endgültig gemäß den hierauf bezüglichen Entschließungen der Generalversammlung der Vereinten Nationen geregelt worden ist.

    ( 24 ) Siehe Art. 1 Abschnitt D Abs. 2 der Genfer Konvention.

    ( 25 ) Dies ist auch in der französischen Fassung der Genfer Konvention der Fall, in der das Präsens, das Futur und vor allem das Futur Perfekt (französisch: futur antérieur) verwendet werden. So lautet Art. 1 Abschnitt D Abs. 1 wie folgt: „Cette Convention ne sera pas applicable aux personnes qui bénéficient actuellement d’une protection ou d’une assistance …“. In Abs. 2 heißt es: „Lorsque cette protection ou cette assistance aura cessé pour une raison quelconque, …“ Die Verwendung der Worte „aura cessé“ in der Zeitform der vollendeten Zukunft (Futur II) bedeutet, dass der Schutz oder die Unterstützung nicht mehr gewährt werden wird.

    ( 26 ) Vgl. auch Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 65). Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 13. Januar 2021, Bundesrepublik Deutschland (Flüchtlingseigenschaft eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft) (C‑507/19, EU:C:2021:3, Rn. 56), festgestellt, dass zuständige Verwaltungsbehörden oder Gerichte insbesondere zu prüfen haben, ob die betreffende Person konkret imstande ist, diesen Schutz oder Beistand in Anspruch zu nehmen.

    ( 27 ) Womit kein bestimmter Zeitpunkt angegeben wird.

    ( 28 ) Ich bin der Auffassung, dass die Formulierung „zurzeit gewährt“ in Art. 1 Abschnitt D Abs. 1 der Genfer Konvention und die Formulierung „weggefallen“ in Abs. 2 eng miteinander verbunden sind, da sie tatsächlich einander gegenübergestellt sind.

    ( 29 ) In seinem Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 52), hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass der Grund für den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling in dieser Bestimmung nicht nur bei den Personen vorliegt, die zurzeit den Beistand des UNRWA genießen, sondern auch bei denjenigen, die diesen Beistand kurz vor Einreichung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat tatsächlich in Anspruch genommen haben, jedoch nur, sofern dieser Beistand nicht im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 dieser Richtlinie nicht länger gewährt wird.

    ( 30 ) In Rn. 65 dieses Urteils hat der Gerichtshof festgestellt, dass es somit Sache der zuständigen nationalen Behörden ist, auf der Grundlage einer individuellen Prüfung des Antrags zu untersuchen, ob diese Person gezwungen war, das Einsatzgebiet einer solchen Organisation oder dieser Institution zu verlassen, was dann der Fall ist, wenn sie sich in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befand und es der betreffenden Organisation oder Institution unmöglich war, ihr in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der dieser Organisation oder dieser Institution obliegenden Aufgabe im Einklang stehen.

    ( 31 ) Vgl. auch Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 86).

    ( 32 ) Vgl. auch Rn. 57 dieses Urteils.

    ( 33 ) Die Ausschlussklausel ist zwar in Art. 11 der Richtlinie 2004/83 enthalten, doch heißt es in Art. 14 Abs. 2 dieser Richtlinie: „Unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Artikel 4 Absatz 1 alle maßgeblichen Tatsachen offen zu legen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen, weist der Mitgliedstaat, der ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, in jedem Einzelfall nach, dass die betreffende Person … nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist.“

    ( 34 ) Die zuständigen Behörden müssen ihre Methoden zur Beurteilung von Aussagen und Unterlagen oder sonstigen Beweisen unter Berücksichtigung der Besonderheiten jeder Kategorie von Asylanträgen und unter Wahrung der durch die Charta garantierten Rechte anpassen. Gemäß Art. 4 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 hat diese Prüfung außerdem individuell zu erfolgen und die individuelle Lage sowie persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie Herkunft, Geschlecht und Alter zu berücksichtigen (Urteil vom 2. Dezember 2014, A u. a.,C‑148/13 bis C‑150/13, EU:C:2014:2406, Rn. 54 und 57). In seinem Urteil vom 24. April 2018, MP (Subsidiärer Schutz einer Person, die zuvor Opfer von Folter war) (C‑353/16, EU:C:2018:276, Rn. 33), hat der Gerichtshof festgestellt, dass nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83 der Umstand, dass ein Antragsteller in der Vergangenheit einen ernsthaften Schaden erlitten hat, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass er tatsächlich Gefahr läuft, erneut einen solchen Schaden zu erleiden. In diesem Artikel heißt es jedoch auch, dass dies nicht gilt, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass sich der zuvor erlittene ernsthafte Schaden nicht wiederholt oder fortdauert. Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2004/83, der meines Erachtens im Rahmen des Ausgangsverfahrens von besonderer Bedeutung ist, legt die Voraussetzungen fest, unter denen ein Mitgliedstaat in Anwendung des Grundsatzes, dass es Sache des Antragstellers ist, seinen Antrag zu begründen, davon ausgehen muss, dass bestimmte Aspekte der Angaben des Antragstellers keiner Bestätigung bedürfen. Zu diesen Voraussetzungen gehört insbesondere, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen und dass die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist. Vgl. entsprechend Urteile vom 25. Januar 2018, F (C‑473/16, EU:C:2018:36, Rn. 33), vom 19. November 2020, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Militärdienst und Asyl) (C‑238/19, EU:C:2020:945, Rn. 55), und vom 10. Juni 2021, Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid (Neue Elemente oder Erkenntnisse) (C‑921/19, EU:C:2021:478, Rn. 43), zu Art. 4 der Richtlinie 2011/95, der ähnlich formuliert ist wie Art. 4 der Richtlinie 2004/83.

    ( 35 ) Die Aussagen eines Antragstellers auf internationalen Schutz bilden lediglich den Ausgangspunkt für die von den zuständigen Behörden vorgenommene Beurteilung der Tatsachen und Umstände. Siehe entsprechend zu Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 Urteil vom 25. Januar 2018, F (C‑473/16, EU:C:2018:36, Rn. 28).

    ( 36 ) Urteile vom 22. November 2012, M. (C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 65 und 66), und vom 2. Dezember 2014, A u. a. (C‑148/13 bis C‑150/13, EU:C:2014:2406, Rn. 54 bis 57).

    ( 37 ) Siehe auch meine Antwort auf die vierte Frage des vorlegenden Gerichts in Bezug auf die Rolle dieses Staates als Akteur des Schutzes oder des Beistands.

    ( 38 ) Darüber hinaus hat der Gerichtshof ausdrücklich festgestellt, dass der Beistand oder Schutz „tatsächlich“ gewährt werden muss. Das bloße Vorhandensein einer mit der Gewährung dieses Beistands oder Schutzes betrauten Organisation oder Institution reicht nicht aus. Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 60).

    ( 39 ) Allerdings wird das UNRWA nicht namentlich erwähnt.

    ( 40 ) Urteil vom 13. Januar 2021, Bundesrepublik Deutschland (Flüchtlingseigenschaft eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft) (C‑507/19, EU:C:2021:3, Rn. 51).

    ( 41 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Januar 2021, Bundesrepublik Deutschland (Flüchtlingseigenschaft eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft) (C‑507/19, EU:C:2021:3, Rn. 54).

    ( 42 ) Der UNHCR-Vertreter (VK) hat in seiner Antwort auf eine Anfrage des Gerichtshofs als Anlage ein Schreiben des UNRWA beigefügt, in dem dieses erklärt, dass es „keine Flüchtlingslager verwaltet und nicht für den Schutz der physischen Sicherheit der palästinensischen Flüchtlinge oder für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung in den fünf Einsatzgebieten des UNRWA verantwortlich ist. Die Verantwortung für die Gewährleistung der physischen Sicherheit von Palästinaflüchtlingen, die in einem der fünf Einsatzgebiete des UNRWA wohnen, fällt unter die Souveränität und Verantwortung der jeweiligen Gastregierung.“

    ( 43 ) Der Kürze halber bezeichne ich Nichtregierungsorganisationen als NRO.

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