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Document 62020CC0066

Schlussanträge des Generalanwalts M. Campos Sánchez-Bordona vom 11. März 2021.
Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Münster gegen XK.
Vorabentscheidungsersuchen der Procura della Repubblica di Trento.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 267 AEUV – Begriff ‚nationales Gericht‘ – Kriterien – Procura della Repubblica di Trento (Staatsanwaltschaft Trient, Italien) – Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens.
Rechtssache C-66/20.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2021:200

 SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 11. März 2021 ( 1 )

Rechtssache C‑66/20

XK,

Beteiligter:

Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Münster

(Vorabentscheidungsersuchen der Procura Distrettuale della Repubblica presso il Tribunale ordinario di Trento [Bezirksstaatsanwaltschaft beim Ordentlichen Gericht Trient, Italien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Befugnis nach Art. 267 AEUV – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Richtlinie 2014/41/EU – Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen – Anordnungsbehörde – Verwaltungsbehörde, die in Steuerstrafverfahren die Aufgaben der Staatsanwaltschaft übernimmt – Erfordernis der Validierung durch eine Justizbehörde“

1.

Kann eine deutsche Verwaltungsbehörde ( 2 ), die nach den nationalen Vorschriften ermächtigt ist, in Bezug auf bestimmte Straftaten die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft wahrzunehmen, eine Europäische Ermittlungsanordnung (im Folgenden: EEA) erlassen, ohne diese, wie in Art. 2 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41/EU ( 3 ) festgeschrieben, validieren zu lassen?

2.

So lässt sich im Wesentlichen die Frage zusammenfassen, die eine italienische Staatsanwaltschaft ( 4 ) dem Gerichtshof vorlegt, nachdem sie eine von der deutschen Verwaltungsbehörde ausgestellte EEA erhalten hat, über deren Anerkennung und Vollstreckung sie entscheiden muss. Vor der Klärung dieser Frage ist zunächst zu prüfen, ob die Staatsanwaltschaft Trient befugt ist, von dem in Art. 267 AEUV verankerten Mechanismus der justiziellen Zusammenarbeit Gebrauch zu machen.

3.

Der Gerichtshof hat somit erneut über die Stellung der Staatsanwaltschaft als Justizbehörde ( 5 ) zu entscheiden, diesmal aus einem noch nie eingenommenen Blickwinkel. Er wird prüfen müssen: a) ob dieses Organ im Zusammenhang mit einer EEA befugt ist, eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen ( 6 ), und b) ob ein Verwaltungsorgan, dem die nationalen Vorschriften die Befugnisse der Staatsanwaltschaft zur Verfolgung bestimmter Straftaten zuweisen, im Zusammenhang mit einer EEA mit der Staatsanwaltschaft gleichgesetzt werden kann.

I. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht. Richtlinie 2014/41

4.

In den Erwägungsgründen 12 und 15 heißt es:

„(12)

Die Anordnungsbehörde sollte beim Erlass einer EEA in besonderem Maße darauf achten, dass die in Artikel 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden ‚die Charta‘) verankerten Rechte uneingeschränkt gewahrt werden. Die Unschuldsvermutung und die Verteidigungsrechte in Strafsachen sind Eckpfeiler der Grundrechte, die in der Charta im Bereich der Strafgerichtsbarkeit anerkannt werden. Jede Einschränkung derartiger Rechte durch eine nach dieser Richtlinie angeordnete Ermittlungsmaßnahme sollte in jeder Hinsicht den Anforderungen des Artikels 52 der Charta hinsichtlich ihrer Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit und ihrer Zielsetzungen, insbesondere dem Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, entsprechen.

(15)

Bei der Durchführung dieser Richtlinie sollte der Richtlinie 2010/64/EU[ ( 7 )] …, der Richtlinie 2012/13/EU[ ( 8 )] … sowie der Richtlinie 2013/48/EU[ ( 9 )] …, welche die Verfahrensrechte in Strafverfahren betreffen, Rechnung getragen werden.“

5.

Art. 1 („Die [EEA] und die Verpflichtung zu ihrer Vollstreckung“) bestimmt:

„(1)   Eine [EEA] ist eine gerichtliche Entscheidung, die von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats (‚Anordnungsstaat‘) zur Durchführung einer oder mehrerer spezifischer Ermittlungsmaßnahme(n) in einem anderen Mitgliedstaat (‚Vollstreckungsstaat‘) zur Erlangung von Beweisen gemäß dieser Richtlinie erlassen oder validiert wird.

Die Europäische Ermittlungsanordnung kann auch in Bezug auf die Erlangung von Beweismitteln, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats befinden, erlassen werden.

(2)   Die Mitgliedstaaten vollstrecken jede EEA nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß dieser Richtlinie.

…“

6.

Art. 2 Buchst. c definiert die „Anordnungsbehörde“ wie folgt:

„i)

einen Richter, ein Gericht, einen Ermittlungsrichter oder einen Staatsanwalt, der/das in dem betreffenden Fall zuständig ist, oder

ii)

jede andere vom Anordnungsstaat bezeichnete zuständige Behörde, die in dem betreffenden Fall in ihrer Eigenschaft als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren nach nationalem Recht für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist. Zudem wird die EEA vor ihrer Übermittlung an die Vollstreckungsbehörde von einem Richter, einem Gericht, einem Ermittlungsrichter oder einem Staatsanwalt im Anordnungsstaat validiert, nachdem dieser bzw. dieses überprüft hat, ob die Voraussetzungen für den Erlass einer EEA nach dieser Richtlinie, insbesondere die Voraussetzungen des Artikels 6 Absatz 1, eingehalten sind. Ist die EEA von einer Justizbehörde validiert worden, so kann auch diese Behörde als Anordnungsbehörde für die Zwecke der Übermittlung einer EEA betrachtet werden“.

7.

Art. 6 („Bedingungen für den Erlass und die Übermittlung einer EEA“) lautet:

„(1)   Die Anordnungsbehörde darf nur dann eine EEA erlassen, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

a)

Der Erlass der EEA ist für die Zwecke der Verfahren nach Artikel 4 unter Berücksichtigung der Rechte der verdächtigen oder beschuldigten Person notwendig und verhältnismäßig[,] und

b)

die in der EEA angegebene(n) Ermittlungsmaßnahme(n) hätte(n) in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen angeordnet werden können.

(2)   Die in Absatz 1 genannten Bedingungen werden von der Anordnungsbehörde in jedem einzelnen Fall geprüft.

(3)   Hat eine Vollstreckungsbehörde Grund zu der Annahme, dass die in Absatz 1 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, so kann sie die Anordnungsbehörde zu der Frage konsultieren, wie wichtig die Durchführung der EEA ist. Nach dieser Konsultation kann die Anordnungsbehörde entscheiden, die EEA zurückzuziehen.“

8.

Art. 9 („Anerkennung und Vollstreckung“) bestimmt:

„(1)   Die Vollstreckungsbehörde erkennt eine nach dieser Richtlinie übermittelte EEA ohne jede weitere Formalität an und gewährleistet deren Vollstreckung in derselben Weise und unter denselben Modalitäten, als wäre die betreffende Ermittlungsmaßnahme von einer Behörde des Vollstreckungsstaats angeordnet worden, es sei denn, die Vollstreckungsbehörde beschließt, einen der Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung oder einen der Gründe für den Aufschub der Vollstreckung nach dieser Richtlinie geltend zu machen.

(2)   Die Vollstreckungsbehörde hält die von der Anordnungsbehörde ausdrücklich angegebenen Formvorschriften und Verfahren ein, soweit in dieser Richtlinie nichts anderes bestimmt ist und sofern die angegebenen Formvorschriften und Verfahren nicht im Widerspruch zu den wesentlichen Rechtsgrundsätzen des Vollstreckungsstaats stehen.

(3)   Erhält eine Vollstreckungsbehörde eine EEA, die nicht von einer Anordnungsbehörde im Sinne des Artikels 2 Buchstabe c erlassen worden ist, so gibt sie die EEA an den Anordnungsstaat zurück.

…“

9.

In Art. 11 sind die „Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung“ aufgeführt.

B.   Nationales Recht

1. Deutsches Recht. Abgabenordnung

10.

§ 386 bestimmt:

„(1)   Bei dem Verdacht einer Steuerstraftat ermittelt die Finanzbehörde den Sachverhalt. Finanzbehörde im Sinne dieses Abschnitts sind das Hauptzollamt, das Finanzamt, das Bundeszentralamt für Steuern und die Familienkasse.

(2)   Die Finanzbehörde führt das Ermittlungsverfahren in den Grenzen des § 399 Abs. 1 und der §§ 400, 401 selbständig durch, wenn die Tat

1.

ausschließlich eine Steuerstraftat darstellt oder

2.

zugleich andere Strafgesetze verletzt und deren Verletzung Kirchensteuern oder andere öffentlich-rechtliche Abgaben betrifft, die an Besteuerungsgrundlagen, Steuermessbeträge oder Steuerbeträge anknüpfen.

(3)   Absatz 2 gilt nicht, sobald gegen einen Beschuldigten wegen der Tat ein Haftbefehl oder ein Unterbringungsbefehl erlassen ist.

(4)   Die Finanzbehörde kann die Strafsache jederzeit an die Staatsanwaltschaft abgeben. Die Staatsanwaltschaft kann die Strafsache jederzeit an sich ziehen. In beiden Fällen kann die Staatsanwaltschaft im Einvernehmen mit der Finanzbehörde die Strafsache wieder an die Finanzbehörde abgeben.“

11.

§ 399 Abs. 1 legt fest:

„Führt die Finanzbehörde das Ermittlungsverfahren auf Grund des § 386 Abs. 2 selbständig durch, so nimmt sie die Rechte und Pflichten wahr, die der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zustehen.“

12.

Im Notifizierungsschreiben der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union vom 14. März 2017 heißt es zu Europäischen Ermittlungsanordnungen deutscher Verwaltungsbehörden:

„Für Ersuchen, die deutsche Verwaltungsbehörden an einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union richten, ist in Übereinstimmung mit Artikel 2 Buchstabe c der [Richtlinie 2014/41] vorgesehen, dass eine Bestätigung grundsätzlich durch die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht erfolgen muss, in dessen Bezirk die Verwaltungsbehörde ihren Sitz hat. Die Länder können die Zuständigkeit für die Bestätigung abweichend hiervon einem Gericht zuweisen oder die örtliche Zuständigkeit der bestätigenden Staatsanwaltschaft abweichend regeln … Ersuchen von deutschen Finanzbehörden, die ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren nach § 386 Absatz 2 der Abgabenordnung (AO) eigenständig führen, bedürfen keiner Bestätigung durch eine Justizbehörde oder durch ein Gericht. Die Finanzbehörden nehmen in diesem Fall gemäß § 399 Absatz 1 der AO … die Rechte und Pflichten einer Staatsanwaltschaft wahr und handeln somit selbst als justizielle Behörde im Sinne von Artikel 2 Buchstabe c der [Richtlinie 2014/41].“

2. Italienisches Recht. Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 108/17 ( 10 )

13.

Nach Art. 4 Abs. 1 trifft der „Staatsanwalt beim Gericht der Hauptstadt des Bezirks, in dem die beantragten Maßnahmen vorzunehmen sind, … binnen 30 Tagen nach Eingang der Ermittlungsanordnung bzw. innerhalb einer abweichenden, von der Anordnungsbehörde angegebenen Frist, in jedem Fall aber binnen 60 Tagen mit begründetem Beschluss eine Entscheidung über die Anerkennung der Ermittlungsanordnung“.

14.

In Art. 5 Abs. 1 heißt es: „Wenn die Anordnungsbehörde um eine Vornahme der Maßnahme durch einen Richter ersucht oder wenn die beantragte Maßnahme nach italienischem Recht von einem Richter vorzunehmen ist, erkennt der Staatsanwalt die Ermittlungsanordnung an und ersucht den Ermittlungsrichter um Durchführung.“

15.

Art. 10 Abs. 3 bestimmt: „Eine Ermittlungsanordnung, die von einer anderen Behörde als einer Justizbehörde erlassen oder nicht von einer Justizbehörde validiert wurde, wird der Anordnungsbehörde zurückgegeben.“

II. Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefrage

16.

Am 14. November 2019 ging bei der Staatsanwaltschaft Trient eine an diesem Tag erlassene EEA des Finanzamts Münster ein, mit der die Durchsuchung von Geschäftsräumen in einem Ermittlungsverfahren wegen Hinterziehung von Einkommensteuern im Sinne der §§ 369 und 370 der deutschen Abgabenordnung verfügt wurde.

17.

Die EEA war vom leitenden Regierungsdirektor des Finanzamts unterzeichnet, jedoch nicht von einer Justizbehörde validiert.

18.

Am 20. Dezember 2019 übersandte die Staatsanwaltschaft Trient dem Finanzamt Münster die Empfangsbestätigung für die EEA und ein Schreiben, in dem sie um Übermittlung einer Kopie der von einer Justizbehörde validierten EEA ersuchte. Da es sich bei der ausstellenden Behörde um eine Verwaltungsbehörde handelt, war eine Validierung ihrer Ansicht nach erforderlich.

19.

Am 8. Januar 2020 teilte das Finanzamt Münster der Staatsanwaltschaft Trient mit, die EEA müsse nicht von einer Justizbehörde validiert werden, da das Finanzamt nach § 399 Abs. 1 der Abgabenordnung in Verfahren wegen Steuerstraftaten die Funktionen der Staatsanwaltschaft bekleide und daher im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2014/41 selbst als Justizbehörde angesehen werden müsse.

20.

Vor diesem Hintergrund hat die Staatsanwaltschaft Trient dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 2 Abs. 1 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41, soweit er vorsieht, dass als Anordnungsbehörde auch „jede andere vom Anordnungsstaat bezeichnete zuständige Behörde, die in dem betreffenden Fall in ihrer Eigenschaft als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren nach nationalem Recht für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist“, angesehen werden kann, und soweit darin bestimmt wird, dass in diesem Fall „die Europäische Ermittlungsanordnung vor ihrer Übermittlung an die Vollstreckungsbehörde von einem Richter, einem Gericht, einem Ermittlungsrichter oder einem Staatsanwalt im Anordnungsstaat validiert [wird], nachdem dieser bzw. dieses überprüft hat, ob die Voraussetzungen für den Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung nach dieser Richtlinie, insbesondere die Voraussetzungen des Artikels 6 Absatz 1, eingehalten sind“, dahin auszulegen, dass er einem Mitgliedstaat gestattet, eine Verwaltungsbehörde von der Pflicht, eine Europäische Ermittlungsanordnung validieren zu lassen, entbindet, indem er sie als „justizielle Behörde im Sinne von Artikel 2 der [Richtlinie]“ einstuft?

21.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Trient ist es im passiven Verfahren der Anerkennung einer EEA im Sinne von Art. 9 der Richtlinie sowie der Art. 4 und 10 des gesetzesvertretenden Dekrets 108/17 ihre Aufgabe, „in völliger Unabhängigkeit ein Verfahren zu entscheiden“. Sie sei daher zur Vorlage eines Ersuchens im Sinne von Art. 267 AEUV berechtigt.

22.

In der Sache weist die Staatsanwaltschaft Trient darauf hin, dass die EEA zwingend von einer Justizbehörde zu erlassen oder zu validieren sei. Dies gehe, gestützt auf die Analogie zwischen den EEA und den EHB ( 11 ), aus dem Urteil vom 10. November 2016, Özçelik ( 12 ), hervor.

23.

Es ist folglich zu prüfen, ob eine Verwaltungsbehörde wie das Finanzamt, die nach den nationalen Vorschriften befugt ist, in bestimmten Fällen die Aufgaben der Staatsanwaltschaft wahrzunehmen, ohne Validierung durch eine Justizbehörde eine EEA erlassen darf.

24.

Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Trient muss die Lösung durch Ausweitung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum EHB gefunden werden, d. h. ausgehend davon, dass: (a) der Begriff der „Justizbehörde“ einheitlich ist und nicht von den einzelnen Mitgliedstaaten abhängen darf und (b) der Begriff nur solche Organe umfasst, die keinen externen Anordnungen oder Weisungen, insbesondere seitens der Exekutive, unterliegen.

III. Verfahren vor dem Gerichtshof

25.

Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 24. Januar 2020 beim Gerichtshof eingegangen.

26.

Schriftliche Erklärungen wurden von der deutschen, der italienischen und der portugiesischen Regierung sowie von der Kommission eingereicht.

27.

Der Gerichtshof hielt eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich, forderte die Parteien jedoch auf, zwei Fragen zur gerichtlichen Kontrolle der EEA ( 13 ) und zu den anwendbaren italienischen Vorschriften ( 14 ) zu beantworten.

IV. Würdigung

A.   Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

28.

Nach Art. 267 AEUV können – bzw. müssen – nur „Gerichte“ dem Gerichtshof „im Wege der Vorabentscheidung“ eine Frage „über die Auslegung der Verträge“ oder „über die Gültigkeit und die Auslegung“ des Sekundärrechts der Union vorlegen.

29.

Was insoweit unter „Gerichten“ zu verstehen ist, ist ausschließlich auf der Grundlage des Unionsrechts zu klären: Die Erfordernisse der Einheit und Einheitlichkeit bei der Anwendung des Unionsrechts führen dazu, dass es sich hierbei um einen autonomen Begriff handelt, der von den verschiedenen nationalen Vorschriften unabhängig ist ( 15 ).

30.

Bei der Abgrenzung des Begriffs berücksichtigt der Gerichtshof traditionell eine Reihe von Faktoren, die sich bereits im Urteil Vaassen-Göbbels ( 16 ) abzuzeichnen begannen. Der Status eines „Gerichts“ ist den Organen vorbehalten, die mit einer gesetzlichen Grundlage und mit ständigem Charakter geschaffen wurden und im Rahmen eines streitigen Verfahrens, in Ausübung der obligatorischen Gerichtsbarkeit und in voller Unabhängigkeit Rechtsvorschriften anwenden ( 17 ).

31.

Grundsätzlich erfüllen nur die zur Justiz des jeweiligen Mitgliedstaats gehörenden Richter und Gerichte alle soeben aufgeführten Voraussetzungen gleichzeitig. Allerdings war der Gerichtshof bei der Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen relativ flexibel und hat nicht zur Justiz gehörende Organe, wie einen Streitsachenausschuss einer Berufskammer ( 18 ) oder einen kommunalen Ausschuss ( 19 ), als Gerichte anerkannt.

32.

Der Antiformalismus des Gerichtshofs in diesem Bereich wurde mit dem Argument kritisiert, die Kriterien aus dem Urteil Vaassen-Göbbels seien letztlich „entwertet“ ( 20 ) worden. In seiner jüngsten Rechtsprechung hat der Gerichtshof jedoch seine frühere, nach dieser Auffassung zu freizügige Position korrigiert ( 21 ).

33.

Tatsächlich beruht die Rechtsprechung des Gerichtshofs auf dem tieferen Sinn, der dem Mechanismus der justiziellen Zusammenarbeit aus Art. 267 AEUV zugrunde liegt, nämlich „sicherzustellen, dass die besonderen Merkmale und die Autonomie der Rechtsordnung der Union erhalten bleiben“ ( 22 ).

34.

Diesem Ziel dient ein Gerichtssystem, dessen „Schlüsselelement … in dem in Art. 267 AEUV vorgesehenen Vorabentscheidungsverfahren [besteht], das durch die Einführung eines Dialogs von Gericht zu Gericht gerade zwischen dem Gerichtshof und den Gerichten der Mitgliedstaaten die einheitliche Auslegung des Unionsrechts gewährleisten soll … und damit die Sicherstellung seiner Kohärenz, seiner vollen Geltung und seiner Autonomie sowie letztlich des eigenen Charakters des durch die Verträge geschaffenen Rechts ermöglicht“ ( 23 ).

35.

Der Umstand, dass das Verfahren nach Art. 267 AEUV wie ein „Dialog von Gericht zu Gericht“ ausgestaltet ist, ist darauf zurückzuführen, dass es in der Regel die Gerichte sind, die bezüglich der Vorschriften, aus denen sich die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zusammensetzen, das letzte Wort sprechen. Wenn die Vorschriften des Unionsrechts Auswirkungen auf diese Rechtsordnungen – und die daraus folgenden Rechtsstreitigkeiten – haben, soll die Vorlage beim Gerichtshof verhindern, dass es zu aus Sicht des Unionsrechts unangemessenen Entscheidungen kommt ( 24 ).

36.

Aus diesem Grund wenden sich die nationalen Gerichte an den Gerichtshof, um Antwort auf die Frage nach der korrekten Auslegung der Unionsvorschriften zu erhalten, die sich auf einen Rechtsstreit auswirken.

37.

Die unterschiedlichen Auslegungen der Rechtsvorschriften durch nicht gerichtliche Rechtsanwender der nationalen Rechtsordnung (einschließlich der Verwaltungsorgane) werden – über die Rechtsbehelfe – bei den nationalen Richtern auf eine Einheit reduziert. Letztlich sind nur die von den Gerichten bestätigten Auslegungen gültig, und somit ist es logisch, dass diese nach Art. 267 AEUV die natürlichen (und ausschließlichen) Ansprechpartner des Gerichtshofs sind.

38.

Aber das ist noch nicht alles. Wie ich dargestellt habe, ist es Ziel, „die einheitliche Auslegung des Unionsrechts [zu] gewährleisten“ ( 25 ). Art. 267 AEUV dient sicher dazu, den nationalen Gerichten die Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts zu erleichtern, die sie bei der Entscheidung über die bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten anzuwenden haben. Er dient aber auch dazu, sicherzustellen, dass sämtliche Bestimmungen des Unionsrechts einer durch den Gerichtshof bestätigten Auslegung zugänglich sind.

39.

Mit Art. 267 AEUV soll verhindert werden, dass sich Auslegungen des Unionsrechts, die vom Gerichtshof nicht bestätigt wurden, in den nationalen Rechtsordnungen festsetzen. Würde dies passieren, bestünde nicht nur die Gefahr einer falschen Auslegung, sondern käme es auch zu einer fast unvermeidlichen Vielzahl von Lesarten der unionsrechtlichen Vorschriften in den verschiedenen Mitgliedstaaten, einschließlich des daraus folgenden Schadens für die Einheit des Unionsrechts. Deshalb ermächtigt Art. 267 AEUV die letztinstanzlichen nationalen Gerichte nicht nur, Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, sondern verpflichtet sie sogar dazu, dies zu tun.

40.

Der Umstand, dass der Gerichtshof im Laufe seiner Rechtsprechung eine funktionale Sichtweise eingenommen und Vorabentscheidungsersuchen von streng genommen nicht gerichtlichen Organen zugelassen hat, ist meiner Ansicht nach genau auf dieses Ziel zurückzuführen. Wenn gegen die Handlungen dieser Organe nach den nationalen Rechtsvorschriften keine gerichtlichen Rechtsbehelfe eingelegt werden können, besteht die Gefahr, dass sich letztgültige Auslegungen des Unionsrechts ohne Eingreifen des Gerichtshofs verfestigen.

41.

Tatsächlich haben, wie ich bereits dargestellt habe, in der Regel die Gerichte in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten das letzte Wort ( 26 ). Aus diesem Grund werden sie in Art. 267 AEUV, wie ich hier noch einmal betonen möchte, als die natürlichen Ansprechpartner des Gerichtshofs bezeichnet.

42.

In Ausnahmefällen, in denen aufgrund der Besonderheiten der nationalen Rechtsvorschriften ein Eingreifen durch die Gerichte im eigentlichen Sinne nicht möglich ist, kann diese Regel jedoch zur Abwehr einer Gefahr einer uneinheitlichen Auslegung des Unionsrechts abgeschwächt werden.

43.

So stellte Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer fest: „Die Gerichtsorganisation in einem Europa, das sich aus 27 Mitgliedstaaten zusammensetzt, entspricht sehr unterschiedlichen Parametern und Konzeptionen. Ein Muster, das die Rechtsprechungstätigkeit so vieler Länder gemeinsam beschreiben könnte, ist schwer vorstellbar.“ Dies hat dazu geführt, dass die Kriterien des Urteils Vaassen-Göbbels „so allgemein und weit ausgelegt worden sind“ ( 27 ).

44.

Der Gerichtshof hat also auf der Grundlage eines idealen Musters gehandelt, das durch die typischen Unterscheidungsmerkmale der Gerichte definiert ist (im Wesentlichen die im Urteil Vaassen-Göbbels genannten Kriterien) ( 28 ). Im Laufe der Jahre wurden dem Gerichtshof jedoch Fälle vorgelegt, die ihn zur Relativierung der Bedeutung der in diesem Urteil aufgestellten Kriterien gebracht haben, sofern dies notwendig war, um in den Begriff des „Gerichts“ auch Organe einzubeziehen, die zwar außerhalb der Justiz tätig sind, aber die Gerichtsbarkeit ausüben ( 29 ).

45.

Was jedoch nie in Frage gestellt wurde, ist das Erfordernis, dass derjenige, der eine Frage zur Vorabentscheidung vorlegt, faktisch die Gerichtsbarkeit ausüben, d. h. in einem konkreten Rechtsstreit unwiderruflich Recht sprechen, muss.

46.

Wie ich bereits dargestellt habe, hat der Gerichtshof nicht gezögert, einen Streitsachenausschuss einer Berufskammer als „Gericht“ einzustufen, obwohl seine Entscheidungen vor Gericht angefochten werden können. Diese Anfechtbarkeit vor Gericht hätte für die Schlussfolgerung ausreichen müssen, dass es Sache dieser Gerichte gewesen wäre, ein Vorabentscheidungsersuchen zu stellen. Der Umstand, dass in der Praxis keine Rechtsbehelfe gegen die Entscheidungen des Ausschusses eingelegt wurden, reichte dem Gerichtshof jedoch für die Feststellung, dass diese Entscheidungen faktisch justizieller Art waren ( 30 ).

47.

Worauf es im Rahmen des Art. 267 AEUV ankommt, ist daher, dass diejenigen, die nach den nationalen Vorschriften das letzte Wort haben, Zugang zum Gerichtshof erhalten, wenn es um die Auslegung von Unionsvorschriften geht. Dies gilt sowohl für Gerichte im engeren Sinne als auch für Organe, die ohne diese Eigenschaft ausnahmsweise eine faktisch endgültige Entscheidung in einem Rechtsstreit treffen. Beiden muss die Möglichkeit gegeben werden, ein Vorabentscheidungsersuchen beim Gerichtshof zu stellen, damit dieser über die zulässige Auslegung des Unionsrechts entscheidet.

48.

Es ist daher verständlich, dass der Begriff „Erlass seines Urteils“ im Sinne von Art. 267 AEUV weit ausgelegt wurde, um zu verhindern, „dass zahlreiche Verfahrensfragen als unzulässig angesehen werden und nicht Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof sein können und dass er nicht über die Auslegung aller vom vorlegenden Gericht anzuwendenden Vorschriften des Unionsrechts entscheiden kann“ ( 31 ).

49.

Das Bestreben des Gerichtshofs, bei der Auslegung des gesamten Unionsrechts das letzte Wort zu sprechen, hat daher zur Festlegung von zwei Ausnahmen geführt, auf die Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer hingewiesen hat: i) keine Möglichkeit der gerichtlichen Anfechtung und ii) die Übertragung gerichtlicher Aufgaben auf paragerichtliche Einrichtungen durch eine verfassungsrechtliche Norm ( 32 ).

50.

Ausgehend von diesen Prämissen können die Einwände der Staatsanwaltschaft Trient gegen die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens behandelt werden. Dieses Organ erfüllt die Kriterien der gesetzlichen Grundlage, des ständigen Charakters, der obligatorischen Gerichtsbarkeit und der Anwendung von Rechtsnormen.

51.

Selbst wenn es sich bei dem Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung der EEA nicht um ein streitiges Verfahren handeln sollte, was anzuzweifeln ist, wurde dieses Kriterium bereits vom Gerichtshof verworfen, da es „kein absolutes Kriterium“ ( 33 ) darstellt.

52.

Alles scheint somit darauf hinzudeuten, dass die erste der von mir genannten Ausnahmen zutrifft, da nach Angaben der Staatsanwaltschaft Trient und der italienischen Regierung ( 34 ) die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, die EEA anzuerkennen, zwar einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen, die Entscheidung, die für die Vollstreckung der EEA erforderliche Anerkennung zu verweigern, jedoch nicht vor den Gerichten angefochten werden kann.

53.

Unter diesen Umständen ist die Staatsanwaltschaft Trient meiner Meinung nach befugt, die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen.

54.

Falls die Staatsanwaltschaft die Gültigkeit der EEA anerkennen sollte, könnte jedoch eingewendet werden, dass die Entscheidung vor einem Gericht angefochten werden könnte und diesem Gericht das letzte Wort zustünde, so dass ihm die Befugnis zur Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens vorbehalten bliebe.

55.

Beim gegenwärtigen Stand des Verfahrens, in dem die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt wurde, hat die Staatsanwaltschaft Trient noch nicht über die Anerkennung der in Rede stehenden EEA entscheiden können, und zwar gerade, weil sie sich fragt, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung der streitigen EEA nach der Richtlinie 2014/41 erfüllt sind.

56.

Die Staatsanwaltschaft Trient könnte also nur dann die Beteiligung eines Gerichts veranlassen, wenn sie sich, ungeachtet der Tatsache, dass die EEA ihrer Ansicht nach von einer unzuständigen Stelle (dem Finanzamt Münster) erlassen wurde, für die Anerkennung der EEA entscheidet. Sie wäre gezwungen – in der Hoffnung, dass es zu einer Anfechtung vor Gericht kommt, was nicht sichergestellt wäre –, eine Entscheidung zu treffen, obwohl sie weiß, dass diese eventuell nicht richtig ist.

57.

Die Staatsanwaltschaft Trient könnte nur dann nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden, wenn sichergestellt wäre, dass ihre Entscheidung, die Anerkennung der EEA zu verweigern, ebenfalls einer gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Für die Zwecke des Art. 267 AEUV wäre es unerheblich, dass diese Überprüfung durch ein Gericht des Herkunftsstaats der EEA (Deutschland) durchgeführt wird, dem immer die Möglichkeit offensteht, sich an den Gerichtshof zu wenden ( 35 ).

58.

Die hier streitige EEA wurde jedoch nicht von einem Gericht, sondern von einer Verwaltungsbehörde erlassen, die nach Art. 267 AEUV keinen Zugang zum Gerichtshof hat.

59.

Speziell im Kontext des Vorlagebeschlusses vertritt die Staatsanwaltschaft Trient die Auffassung, dass die EEA des Finanzamts Münster die streitige Validierung benötige. Sie ersucht folglich den Gerichtshof um eine Bestätigung ihrer Auslegung der Richtlinie 2014/41.

60.

Sollte die Vorlage für unzulässig erklärt werden, könnte die Staatsanwaltschaft Trient in Übereinstimmung mit ihrer eigenen Auslegung der Richtlinie 2014/41 handeln und die vom Finanzamt Münster beantragte Anerkennung verweigern. Da das Finanzamt Münster, wie gesagt, ebenso wenig ein Vorabentscheidungsersuchen stellen könnte und es nicht sichergestellt ist, dass die EEA im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens erlassen wurde ( 36 ), würde dies dazu führen, dass kein Gericht den Gerichtshof um die Auslegung dieser Richtlinie ersuchen könnte.

61.

Würde diese Lösung verallgemeinert und geschlussfolgert werden, dass die Staatsanwaltschaft Trient unter den Umständen des vorliegenden Falles keine Frage zur Vorabentscheidung vorlegen kann, entstünde bei der Auslegung der Vorschrift des Unionsrechts ein blinder Fleck. Genau das muss im Interesse der Einheit des Unionsrechts vermieden werden, wie auch im Urteil Gradbeništvo Korana hervorgehoben wurde.

62.

Außerdem ist der Umstand, dass der Gerichtshof seinerzeit die Staatsanwaltschaft Turin nicht als vorlageberechtigtes Organ anerkannt hat (Urteil X), für sich genommen nicht maßgeblich für die hier zu treffende Entscheidung.

63.

Die Rechtsprechung im Urteil X bleibt natürlich voll gültig. Bei ihrer Heranziehung ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht allein die organische oder institutionelle Stellung der Staatsanwaltschaft von Bedeutung ist, sondern auch die Funktion, die sie als Vollstreckungsbehörde im Rahmen der Richtlinie 2014/41 ausübt.

64.

Anders als in dem Fall, der dem Urteil X zugrunde lag, in dem die Staatsanwaltschaft Turin als Partei in einem Strafverfahren vor einem Gericht auftrat, handelt die Staatsanwaltschaft Trient hier als nationales Organ, das eine Unionsvorschrift endgültig anwendet. Funktionell handelt sie wie ein Gericht, und gegen ihre Entscheidung, die Anerkennung der EEA zu verweigern, kann kein Rechtsbehelf eingelegt werden. Da sie in dieser Funktion handelt, gibt es meiner Auffassung nach keinen Grund, ihre Stellung als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV abzulehnen.

65.

Mir erscheint eine letzte Überlegung angebracht.

66.

Die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft Trient faktisch oder funktionell wie ein Gericht handelt, könnte Anzeichen einer gewissen Dysfunktion der innerstaatlichen Vorschriften sein, da grundsätzlich alle öffentlichen Handlungen einer gerichtlichen Überprüfung unterliegen müssen ( 37 ).

67.

Dies ist jedoch kein Problem, über das der Gerichtshof entscheiden muss, da es nicht Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens ist. Selbst wenn die nationalen Vorschriften theoretisch einen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen die Ablehnung der Anerkennung der EEA durch die Staatsanwaltschaft Trient vorsehen müssten (eine Frage, die, wie ich wiederholen möchte, nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist und außerdem nach Ansicht der Kommission und der italienischen Regierung zu verneinen wäre) ( 38 ), würde dies nicht das Problem lösen, dass im konkreten Sachverhalt, der zu dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen geführt hat, kein Zugang zum Gerichtshof besteht.

68.

Im Ergebnis ist die Staatsanwaltschaft Trient, da sie als „Gericht“ zu den genannten Bedingungen über die Ablehnung der EEA entscheiden kann, ohne dass ein Rechtsmittel dagegen eingelegt werden kann, befugt, diese Frage dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen.

B.   Zur Beantwortung der Frage

69.

Nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 handelt es sich bei der EEA um eine „gerichtliche Entscheidung“ ( 39 ). Nach Art. 2 Buchst. c der Richtlinie kann eine solche Entscheidung von einem Richter oder einem Staatsanwalt getroffen und erlassen werden ( 40 ) sowie von jeder anderen Behörde, die „in ihrer Eigenschaft als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren … für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist“ ( 41 ).

70.

Im letztgenannten Fall wird die von diesen „Ermittlungsbehörden“ ausgestellte EEA „von einem Richter, einem Gericht, einem Ermittlungsrichter oder einem Staatsanwalt … überprüft“ ( 42 ), d. h. von einer Behörde, die eine EEA von sich aus erlassen kann.

71.

Aus dem Wortlaut von Art. 2 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41 kann meiner Meinung nach geschlossen werden, dass die Vorlagefrage zu verneinen ist. Ich stimme daher mit dem Standpunkt der italienischen und der portugiesischen Regierung sowie der Kommission überein.

72.

Die Gründe, die die deutsche Regierung anführt, um zu rechtfertigen, dass sie an das Finanzamt die Ermittlungsbefugnisse übertragen hat, die ihm nach den nationalen Vorschriften im Bereich der Besteuerung zustehen, sind meiner Auffassung nach mit dem Unionsrecht vereinbar.

73.

Insbesondere steht diese Übertragung von Befugnissen im Einklang mit Art. 2 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41, der auf „jede andere vom Anordnungsstaat bezeichnete zuständige Behörde“ verweist, die „in ihrer Eigenschaft als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren nach nationalem Recht für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist“ ( 43 ).

74.

Aber dies ist hier nicht die Frage.

75.

Vorliegend geht es vielmehr darum, dass den Mitgliedstaaten zwar die Befugnis zuerkannt wird, die Behörden zu benennen, die zur Ermittlung in Strafverfahren und zur Anordnung der Erhebung von Beweismitteln befugt sind, jedoch weist Art. 2 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41 den so benannten Behörden nur die Aufgabe zu, eine EEA auszustellen, die „vor ihrer Übermittlung an die Vollstreckungsbehörde … validiert“ wird. Und diese Validierung muss ausdrücklich durch ein Gericht, einen Richter oder einen Staatsanwalt erfolgen.

76.

Beim Finanzamt Münster handelt es sich eindeutig um eine Verwaltungsbehörde, die nach der Richtlinie 2014/41 nicht befugt ist, selbst eine EEA zu erlassen. Genauer gesagt ist das Finanzamt nicht befugt, die EEA ohne vorherige Validierung durch eine Justizbehörde an die Vollstreckungsbehörde zu „übermitteln“, wobei unter Vollstreckungsbehörde nach Art. 2 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41 ein Gericht, ein Richter oder ein Staatsanwalt zu verstehen ist.

77.

Die deutsche Regierung macht geltend, sie habe in Ausübung ihrer Verfahrensautonomie dem Finanzamt im Bereich der Besteuerung die Wahrnehmung der typischen Aufgaben und die charakteristischen Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft übertragen. Es handele sich um eine vom Gesetzgeber vorgesehene Ausnahme, die das Monopol der Staatsanwaltschaft für strafrechtliche Ermittlungen aufhebe.

78.

Ist das Finanzamt infolge dieser Übertragung als Staatsanwaltschaft im Sinne der Richtlinie 2014/41 anzusehen? Meines Erachtens nein.

79.

Der Umstand, dass die innerstaatlichen Vorschriften dem Finanzamt im Bereich der Verfolgung von Steuerstraftaten Ermittlungsbefugnisse einräumen, die denen der Staatsanwaltschaft gleichwertig sind, reicht nicht aus, um die beiden Organe im Rahmen der Richtlinie 2014/41 gleichzustellen.

80.

Wie die Kommission hervorhebt, handelt es sich beim Finanzamt um eine Verwaltungsbehörde, die für Steuerangelegenheiten zuständig ist und zur Exekutive gehört. Die deutschen Vorschriften räumen dem Finanzamt zwar begrenzte Befugnisse zur Ermittlung bei bestimmten Straftaten ein, jedoch gibt es eine klare Trennung zwischen der Steuerverwaltung und der Staatsanwaltschaft. Das Finanzamt verfügt nicht über die vollen Befugnisse der Staatsanwaltschaft und kann daher nicht mit dieser als Anordnungsbehörde für den Erlass einer EEA gleichgesetzt werden.

81.

Sinn und Zweck von Art. 2 der Richtlinie 2014/41 ist, dass Verwaltungsbehörden, unabhängig von den ihnen nach nationalen Vorschriften zustehenden Befugnissen, die Validierung durch die Justizbehörden (einschließlich der Staatsanwaltschaft) einholen, bevor sie eine EEA übermitteln.

82.

Dieser Sinn und Zweck ginge verloren, wenn die Mitgliedstaaten den zur Exekutive zählenden Behörden ohne Weiteres – durch Gleichsetzung der Verwaltungsbehörden mit den Justizbehörden – gestatten könnten, eine EEA zu übermitteln, die nicht von den Justizbehörden (einschließlich der Staatsanwaltschaft) validiert wurde.

83.

Zu diesem Argument kommt ein weiteres hinzu, nämlich die Rolle, die die Justizbehörden (einschließlich der Staatsanwaltschaft) beim Erlass einer EEA spielen.

84.

Nach dem zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/41 ist die Anordnungsbehörde verpflichtet, in besonderem Maß auf die Wahrung der Grundrechte zu achten, da „[d]ie Unschuldsvermutung und die Verteidigungsrechte in Strafsachen Eckpfeiler der Grundrechte [sind], die in der Charta im Bereich der Strafgerichtsbarkeit anerkannt werden“.

85.

Aus diesem Grund hat der Unionsgesetzgeber darauf bestanden, dass „[j]ede Einschränkung derartiger Rechte durch eine nach dieser Richtlinie angeordnete Ermittlungsmaßnahme … in jeder Hinsicht den Anforderungen des Artikels 52 der Charta hinsichtlich ihrer Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit und ihrer Zielsetzungen, insbesondere dem Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, entsprechen“ ( 44 ) sollte.

86.

Nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 darf die Anordnungsbehörde nur dann eine EEA erlassen, wenn dies „unter Berücksichtigung der Rechte der verdächtigen oder beschuldigten Person notwendig und verhältnismäßig“ ist. Darüber hinaus muss die Anordnungsbehörde nach Art. 6 Abs. 2 eine Reihe von Richtlinien zu Verfahrensrechten in Strafverfahren berücksichtigen ( 45 ).

87.

Die Anordnungsbehörde ist somit verpflichtet, im Interesse einer ordnungsgemäßen Abwägung zwischen dem Allgemeininteresse und den gegebenenfalls betroffenen Grundrechten eine Beurteilung der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen, für die eine institutionelle Stellung, die nicht derjenigen der Verwaltungsorgane entspricht, unabdingbar ist.

88.

Selbst wenn einer Verwaltungsbehörde wie dem Finanzamt typische Befugnisse der Staatsanwaltschaft übertragen werden, wird sie dadurch nicht zu einer „Justizbehörde“ im Sinne der Richtlinie 2014/41, die eine solche Beurteilung der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit durchführen könnte.

89.

Die besondere Sachkompetenz, die den deutschen Gesetzgeber veranlasst hat, die Finanzämter mit Befugnissen im Bereich der Verfolgung von Steuerstraftaten zu betrauen, zeigt, dass es sich bei ihnen um in diesem konkreten Bereich hoch spezialisierte Einrichtungen handelt. Diese Spezialisierung ist jedoch nicht ausreichend, um den Finanzämtern im Rahmen der Richtlinie 2014/41 die Perspektive oder, allgemeiner, die Kompetenz zuzuerkennen, die die Abwägung von Rechten und Interessen vor der Entscheidung über den Erlass einer EEA erfordert.

90.

Der Gerichtshof hat entschieden, dass sich der Begriff „Justizbehörde“ nicht allein „auf die Richter oder Gerichte eines Mitgliedstaats beschränkt, sondern so zu verstehen ist, dass er darüber hinaus die Behörden erfasst, die in diesem Mitgliedstaat an der Strafrechtspflege mitwirken“ ( 46 ), keinesfalls aber die – zur Exekutive gehörenden – Verwaltungsbehörden ( 47 ).

91.

Die Staatsanwaltschaft genießt zwar nicht unbedingt die für die Gerichte charakteristische Unabhängigkeit, ist aber auch keine Institution, die im Sinne der für Verwaltungsbehörden charakteristischen Unterwerfung und Unterordnung der Exekutive unterliegt. Zwar können Staatsanwälte in manchen Rechtsordnungen Einzelweisungen von der Exekutive erhalten, aber auch dann genießen sie einen autonomen Status, der sie von den Organen der Exekutive unterscheidet ( 48 ).

92.

Die institutionelle Stellung der Staatsanwaltschaft als Garant der Rechtmäßigkeit vor den Gerichten führt dazu, dass sie tatsächlich an der Rechtspflege mitwirkt, da sie nicht ausschließlich oder hauptsächlich den Interessen eines Teils der öffentlichen Verwaltung dient, sondern dem allgemeinen Interesse an der Einhaltung der Gesetze. Aus diesem Grund stellt Art. 2 der Richtlinie 2014/41 die Staatsanwaltschaft mit den Gerichten gleich ( 49 ).

93.

Obwohl das Finanzamt im Einzelfall Ermittlungsaufgaben wahrnimmt, die mit denen der Staatsanwaltschaft vergleichbar sind, ist es weiterhin als Verwaltungsorgan anzusehen und als solches strukturell und funktionell der Verwaltungshierarchie unterworfen und verfügt es insbesondere nicht über die unabdingbare Kompetenz, um die von der Richtlinie 2014/41 geforderte Beurteilung der Erforderlichkeit und der gegeneinander abzuwägenden Interessen vorzunehmen. Diese Beurteilung geht über das Partikularinteresse der Steuerverwaltung hinaus und schließt das allgemeine Interesse des Staates als Ganzes und die Garantie der Grundrechte der Bürger mit ein.

V. Ergebnis

94.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, der Procura Distrettuale della Repubblica presso il Tribunale Ordinario di Trento (Bezirksstaatsanwaltschaft beim Ordentlichen Gericht Trient, Italien) wie folgt zu antworten:

Art. 2 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen ist dahin auszulegen, dass er einem Mitgliedstaat nicht gestattet, die im Bereich der Besteuerung zuständigen nationalen Verwaltungsbehörden, selbst wenn sie zu Ermittlungen in bestimmten Strafverfahren befugt sind, von der Pflicht zu entbinden, vor der Übermittlung einer Europäischen Ermittlungsanordnung an die Vollstreckungsbehörde deren Validierung durch einen Richter, ein Gericht, einen Staatsanwalt oder einen Ermittlungsrichter im Anordnungsstaat einzuholen.


( 1 ) Originalsprache: Spanisch.

( 2 ) Im vorliegenden Fall handelt es sich um das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Münster (Deutschland, im Folgenden: Finanzamt Münster).

( 3 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (ABl. 2014, L 130, S. 1, berichtigt in ABl. 2017, L 328, S. 142).

( 4 ) Die Procura Distrettuale della Repubblica presso il Tribunale Ordinario di Trento (Bezirksstaatsanwaltschaft beim Ordentlichen Gericht Trient, Italien, im Folgenden: Staatsanwaltschaft Trient).

( 5 ) Über die Befugnis der Staatsanwaltschaft, als „Justizbehörde“ einen Europäischen Haftbefehl (im Folgenden: EHB) zu erlassen, hat der Gerichtshof in den Urteilen vom 27. Mai 2019, OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) (C‑508/18 und C‑82/19 PPU, EU:C:2019:456, im Folgenden: Urteil OG und PI [Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau]) und PF (Generalstaatsanwalt von Litauen) (C‑509/18, EU:C:2019:457), entschieden. Über die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft zum Erlass einer EEA hat er im Urteil vom 8. Dezember 2020, Staatsanwaltschaft Wien (Gefälschte Überweisungsaufträge) (C‑584/19, EU:C:2020:1002, im Folgenden: Staatsanwaltschaft Wien [Gefälschte Überweisungsaufträge]), entschieden.

( 6 ) Im Urteil vom 12. Dezember 1996, X (C‑74/95 und C‑129/95, EU:C:1996:491, im Folgenden: Urteil X), wurde dies abgelehnt.

( 7 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (ABl. 2010, L 280, S. 1).

( 8 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren (ABl. 2012, L 142, S. 1).

( 9 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs (ABl. 2013, L 294, S. 1).

( 10 ) Decreto legislativo n. 108/17. Norme di attuazione della direttiva 2014/41/UE del Parlamento europeo e del Consiglio, del 3 aprile 2014, relativa all’ordine europeo di indagine penale (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 108/17. Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2014/41/EU) vom 21. Juni 2017 (GURI Nr. 162 vom 13. Juli 2017).

( 11 ) Geregelt durch Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2002, L 190, S. 1) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl. 2009, L 81, S. 24) geänderten Fassung.

( 12 ) Rechtssache C‑453/16 PPU, EU:C:2016:860.

( 13 ) Der Gerichtshof fragte die Parteien, ob nach dem Unionsrecht die Entscheidung, eine EEA nicht anzuerkennen, wenn sie von einer „Vollstreckungsbehörde“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2014/41 getroffen werde, bei der es sich nicht um einen Richter oder ein Gericht handele, gerichtlich überprüft werden müsse.

( 14 ) Der Gerichtshof forderte die italienische Regierung auf, das Verfahren für die Anerkennung und Vollstreckung einer EEA durch die Staatsanwaltschaft zu erläutern und anzugeben, wann ein Richter oder ein Gericht und wann nur die Staatsanwaltschaft beteiligt wird. Weiterhin forderte der Gerichtshof sie auf, zu erläutern, welche Rechtsbehelfe nach den nationalen Vorschriften bei einer Ablehnung der Anerkennung und Vollstreckung einer EEA vorgesehen sind.

( 15 ) Urteil vom 21. Januar 2020, Banco de Santander (C‑274/14, EU:C:2020:17, im Folgenden: Urteil Banco de Santander).

( 16 ) Urteil vom 30. Juni 1996 (C‑61/65, EU:C:1966:39; im Folgenden: Urteil Vaassen-Göbbels).

( 17 ) Urteil Banco de Santander (Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 18 ) Urteil vom 6. Oktober 1981, Broekmeulen (246/80, EU:C:1981:218, im Folgenden: Urteil Broekmeulen).

( 19 ) Urteil vom 29. November 2001, De Coster (C‑17/00, EU:C:2001:651).

( 20 ) So Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in den Schlussanträgen in der Rechtssache Umweltanwalt von Kärnten (C‑205/08, EU:C:2009:397, im Folgenden: Schlussanträge Umweltanwalt von Kärnten, Nr. 25). Nach seiner Ansicht hat die Rechtsprechung die Erfordernisse mit der Zeit aufgeweicht, „bis ein heterogenes Amalgam von Einrichtungen entstanden ist, das nicht immer dem Verständnis von Rechtsprechung entspricht, das Art. [267 AEUV] zugrunde liegt“. Er folgt damit der Argumentation aus seinen Schlussanträgen in der Rechtssache De Coster (C‑17/00, EU:C:2001:366, im Folgenden: Schlussanträge De Coster, Nr. 14).

( 21 ) Urteil Banco de Santander (Rn. 55).

( 22 ) Gutachten 2/13 (Beitritt der Union zur EMRK) vom 18. Dezember 2014 (EU:C:2014:2454; im Folgenden: Gutachten 2/13, Rn. 174).

( 23 ) Gutachten 2/13 (Rn. 176). Hervorhebung nur hier.

( 24 ) Es sind letztlich die Richter, die durch die unwiderrufliche Feststellung des Rechts (ius dicere) im konkreten Fall sicherstellen, dass das Gesetzgebungs- und Entscheidungsverfahren, das zur endgültigen Anwendung der allgemeinen und abstrakten Vorschriften der Rechtsordnung führt, in der durch die Rechtsordnung vorgeschriebenen Weise durchgeführt wird. Insoweit verweise ich auf meine Schlussanträge in den Rechtssachen OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) (C‑508/18 und C‑82/19 PPU, EU:C:2019:337, Nr. 66). In den Schlussanträgen in der Rechtssache PF (Generalstaatsanwalt von Litauen) (C‑509/18, EU:C:2019:338, Nr. 27) habe ich darauf hingewiesen, dass die Aufgabe des Richters darin besteht, „das letzte Wort zu sprechen, in dem die Anwendung der Rechtsordnung zum Ausdruck kommt, so dass die [damit gegebene] Antwort, die in Rechtskraft erwächst, rechtmäßig und insoweit gültig ist“. Die Aufgabe, die Richtigkeit des letzten Wortes der Rechtsordnung zu gewährleisten, ist für die Funktion des Richters von so wesentlicher Bedeutung, dass man „daher sagen [könnte], dass die Rechtsordnung für den Richter kein Mittel, sondern ein Zweck in sich ist. Genauer, der einzige Zweck, dem er verpflichtet ist“ (ebd., Nr. 28).

( 25 ) Gutachten 2/13 (Rn. 176).

( 26 ) Zu den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit gehört, dass die Gerichte das letzte Wort haben, da die Bindung der öffentlichen Gewalt an das Recht dadurch sichergestellt wird, dass alle ihre Handlungen ohne Ausnahme gerichtlich überprüft werden können. Hinzu kommt die Garantie, die dem Einzelnen als Träger des in Art. 47 der Charta verankerten Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zuerkannt wird. Eine neuere Vorschrift des Unionsrechts definiert die „Rechtsstaatlichkeit“ als „den in Artikel 2 EUV verankerten Wert der Union“, der u. a. den Grundsatz „des wirksamen Rechtsschutzes … durch … Gerichte, auch in Bezug auf Grundrechte“, umfasst (Art. 2 Buchst. a der Verordnung [EU, Euratom] 2020/2092 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2020 über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union [ABl. 2020, L 433I, S. 1]).

( 27 ) Schlussanträge in der Rechtssache Umweltanwalt von Kärnten (Nr. 35). Es ist somit Ziel des Gerichtshofs, „den gemeinsamen Verfassungstraditionen bei der Bildung eines europäischen Rechtsprechungsdiskurses Rechnung zu tragen“ (ebd., Nr. 36).

( 28 ) Dazu gehörte merkwürdigerweise nicht das Kriterium der richterlichen Unabhängigkeit. Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer hat in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache De Coster (Nr. 17) darauf hingewiesen, dass das Kriterium der Unabhängigkeit erstmals im Urteil vom 11. Juni 1987, X (14/86, EU:C:1987:275), aufgetaucht ist und erst mit dem Urteil vom 30. März 1993, Corbiau (C‑24/92, EU:C:1993:118), vorbehaltlos übernommen wurde.

( 29 ) Obwohl die nationalen Vorschriften sie ausdrücklich als Verwaltungsorgane einstufen. Dies war z. B. der Fall beim Tribunal Català de Contractes del Sector Públic, ein Verwaltungsorgan nach spanischem Recht, das im Urteil vom 6. Oktober 2015, Consorci Sanitari del Maresme (C‑203/14, EU:C:2015:664), als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV angesehen wurde.

( 30 ) Urteil Broekmeulen (Rn. 17): Da „es auf einem Gebiet, das die Anwendung des Gemeinschaftsrechts betrifft, in der Praxis keinen effektiven Rechtsbehelf zu den ordentlichen Gerichten gibt“, muss der Streitsachenausschuss, dessen Entscheidungen „faktisch als endgültig hingenommen werden, als ein Gericht eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. [267 AEUV] angesehen werden“ (Hervorhebung nur hier).

( 31 ) Urteil vom 28. Februar 2019, Gradbeništvo Korana (C‑579/17, EU:C:2019:162, im Folgenden: Urteil Gradbeništvo Korana, Rn. 35). Hervorhebung nur hier.

( 32 ) Schlussanträge in der Rechtssache Umweltanwalt von Kärnten (Nrn. 40 bis 49).

( 33 ) Urteil vom 17. September 1997, Dorsch Consult (C‑54/96, EU:C:1997:413, Rn. 31).

( 34 ) Dies ist ausdrücklich der schriftlichen Antwort der italienischen Regierung (Rn. 8) auf die ihm vom Gerichtshof vorgelegte Frage zu entnehmen, die in Fn. 14 der vorliegenden Schlussanträge wiedergegeben ist.

( 35 ) Die Möglichkeit für ein Gericht des Herkunftsstaats, sich im Zusammenhang mit der Auslegung des Unionsrechts durch die Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats auf Art. 267 AEUV zu berufen, wurde vom Gerichtshof im Urteil vom 25. Juli 2018, AY (Haftbefehl – Zeuge) (C‑268/17, EU:C:2018:602), zugelassen. Die Möglichkeit, dass die Auslegung des Unionsrechts in einem Mitgliedstaat das Gericht eines anderen Mitgliedstaats dazu veranlasst, einen an den ersten Mitgliedstaat gerichteten Europäischen Haftbefehl zu widerrufen, veranlasste den Gerichtshof zu der Schlussfolgerung, dass „weder behauptet werden [kann], die Vorlagefragen stünden in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens, noch, dass das Problem hypothetischer Natur wäre“ (ebd., Rn. 27).

( 36 ) Die deutsche Regierung weist in ihren schriftlichen Erklärungen (Rn. 54) darauf hin, dass der vom Finanzamt Münster erlassenen EEA ein Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Münster (Deutschland) vorausgegangen sei. Sie stellt jedoch nicht klar, ob die EEA lediglich den Inhalt dieses Beschlusses wiedergibt – dann könnte die EEA dem Amtsgericht zugerechnet werden – oder ob dieser Beschluss als allgemeine Grundlage für den Erlass einer Anordnung dient, deren konkreter Inhalt ausschließlich vom Finanzamt stammt. Auf jeden Fall ist es nach Auffassung der deutschen Regierung nicht ausgeschlossen, dass Verwaltungsorgane vor der förmlichen Einleitung eines Gerichtsverfahrens eine EEA erlassen.

( 37 ) Siehe oben, Nr. 41 der vorliegenden Schlussanträge.

( 38 ) So hat sich auch die Kommission in ihrer schriftlichen Antwort auf die in Fn. 13 der vorliegenden Schlussanträge wiedergegebene Frage des Gerichtshofs geäußert. Die italienische Regierung vertritt den gleichen Standpunkt (Rn. 22 bis 30 ihrer Antwort).

( 39 ) Die deutsche Regierung hat hervorgehoben (Rn. 38 bis 43 ihrer schriftlichen Erklärungen), dass in der deutschen Fassung der Vorschrift im Gegensatz zu anderen Sprachfassungen nicht das Adjektiv „justizielle“, sondern der Begriff „gerichtliche“ verwendet werde. Ich halte diesen Unterschied nicht für wesentlich, da der ausdrückliche Verweis auf die Staatsanwälte in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 zeigt, dass die EEA nicht als eine Entscheidung angesehen wird, die nur von solchen Organen getroffen werden kann, die die Gerichtsbarkeit im strengen Sinn ausüben.

( 40 ) Nach Ziff. i konkret durch „einen Richter, ein Gericht, einen Ermittlungsrichter oder einen Staatsanwalt, der/das in dem betreffenden Fall zuständig ist“.

( 41 ) Art. 2 Ziff. ii Buchst. c der Richtlinie 2014/41.

( 42 ) Ebd.

( 43 ) Hervorhebung nur hier.

( 44 ) Hervorhebung nur hier.

( 45 ) Richtlinien 2010/64, 2012/13 und 2013/48. Vgl. Nr. 4 und Fn. 7, 8 und 9 der vorliegenden Schlussanträge.

( 46 ) Urteil OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) (Rn. 50).

( 47 ) Urteil vom 10. November 2016, Poltorak (C‑452/16 PPU, EU:C:2016:858, Rn. 35).

( 48 ) Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Einzelweisungen der Exekutive unterworfen ist, führt dazu, dass sie keinen EHB erlassen kann (Urteil OG und PI [Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau]), schließt jedoch nicht aus, dass sie eine EEA erlässt (Staatsanwaltschaft Wien [Gefälschte Überweisungsaufträge]).

( 49 ) Im Urteil vom 2. März 2021, Prokuratuur (Voraussetzungen für den Zugang zu Daten über die elektronische Kommunikation) (C‑746/18, EU:C:2021:152), hat der Gerichtshof speziell für den Fall des Zugangs zu Verkehrs- und Standortdaten für strafrechtliche Ermittlungen die Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) (ABl. 2002, L 201, S. 37) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 (ABl. 2009, L 337, S. 11) geänderten Fassung dahin ausgelegt, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach die Staatsanwaltschaft dafür zuständig ist, diesen Zugang zu gewähren, soweit sie ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren leitet und gegebenenfalls die öffentliche Klage vertritt.

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