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Document 62019CJ0942

Urteil des Gerichtshofs (Siebte Kammer) vom 3. Juni 2021.
Servicio Aragonés de Salud gegen LB.
Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Superior de Justicia de Aragón.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – EGB-UNICE‑CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge – Paragraf 4 – Grundsatz der Nichtdiskriminierung – Ablehnung eines Antrags auf Gewährung einer für das unbefristet beschäftigte statutarische Personal vorgesehenen Beurlaubung wegen Erbringung von Dienstleistungen im öffentlichen Sektor – Nationale Regelung, mit der diese Beurlaubung im Fall der Aufnahme einer befristeten Beschäftigung ausgeschlossen wird – Anwendungsbereich – Unanwendbarkeit von Paragraf 4 – Unzuständigkeit des Gerichtshofs.
Rechtssache C-942/19.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2021:440

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

3. Juni 2021 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge – Paragraf 4 – Grundsatz der Nichtdiskriminierung – Ablehnung eines Antrags auf Gewährung einer für das unbefristet beschäftigte statutarische Personal vorgesehenen Beurlaubung wegen Erbringung von Dienstleistungen im öffentlichen Sektor – Nationale Regelung, mit der diese Beurlaubung im Fall der Aufnahme einer befristeten Beschäftigung ausgeschlossen wird – Anwendungsbereich – Unanwendbarkeit von Paragraf 4 – Unzuständigkeit des Gerichtshofs“

In der Rechtssache C‑942/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Superior de Justicia de Aragón (Oberstes Gericht von Aragonien, Spanien) mit Entscheidung vom 17. Dezember 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Dezember 2019, in dem Verfahren

Servicio Aragonés de Salud

gegen

LB

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Kumin (Berichterstatter) sowie des Richters P. G. Xuereb und der Richterin I. Ziemele,

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

des Servicio Aragonés de Salud, vertreten durch J. Divassón Mendívil, letrado,

von LB, vertreten durch E. Ena Pérez, procuradora, und F. Romero Paricio, abogado,

der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch I. Galindo Martín, N. Ruiz García und M. van Beek, dann durch I. Galindo Martín und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vom 18. März 1999 (im Folgenden: Rahmenvereinbarung), die im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. 1999, L 175, S. 43) enthalten ist.

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Servicio Aragonés de Salud (Gesundheitsdienst von Aragonien, Spanien, im Folgenden: Gesundheitsdienst) und LB über die Weigerung des Gesundheitsdienstes, ihrem Antrag auf Beurlaubung wegen Erbringung von Dienstleistungen im öffentlichen Sektor stattzugeben, die auf der Grundlage eines befristeten Vertrags erfolgen soll.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Nach dem 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 1999/70 „[wollten d]ie Unterzeichnerparteien … eine Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge schließen, welche die allgemeinen Grundsätze und Mindestvorschriften für befristete Arbeitsverträge und Beschäftigungsverhältnisse niederlegt. Sie haben ihren Willen bekundet, durch Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung die Qualität befristeter Arbeitsverhältnisse zu verbessern und einen Rahmen zu schaffen, der den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder Beschäftigungsverhältnisse verhindert.“

4

Die Rahmenvereinbarung soll nach ihrem Paragraf 1:

„a)

durch Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung die Qualität befristeter Arbeitsverhältnisse verbessern;

…“

5

Paragraf 2 („Anwendungsbereich“) der Rahmenvereinbarung lautet:

„1.

Diese Vereinbarung gilt für befristet beschäftigte Arbeitnehmer mit einem Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis gemäß der gesetzlich, tarifvertraglich oder nach den Gepflogenheiten in jedem Mitgliedstaat geltenden Definition.

2.

Die Mitgliedstaaten, nach Anhörung der Sozialpartner, und/oder die Sozialpartner können vorsehen, dass diese Vereinbarung nicht gilt für:

a)

Berufsausbildungsverhältnisse und Auszubildendensysteme/Lehrlingsausbildungssysteme;

b)

Arbeitsverträge und ‑verhältnisse, die im Rahmen eines besonderen öffentlichen oder von der öffentlichen Hand unterstützten beruflichen Ausbildungs-, Eingliederungs- oder Umschulungsprogramms abgeschlossen wurden.“

6

Paragraf 3 der Rahmenvereinbarung bestimmt:

„Im Sinne dieser Vereinbarung ist:

1.

‚befristet beschäftigter Arbeitnehmer‘ eine Person mit einem direkt zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer geschlossenen Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis, dessen Ende durch objektive Bedingungen wie das Erreichen eines bestimmten Datums, die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe oder das Eintreten eines bestimmten Ereignisses bestimmt wird.

2.

‚vergleichbarer Dauerbeschäftigter‘ ein Arbeitnehmer desselben Betriebs mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis, der in der gleichen oder einer ähnlichen Arbeit/Beschäftigung tätig ist, wobei auch die Qualifikationen/Fertigkeiten angemessen zu berücksichtigen sind. Ist in demselben Betrieb kein vergleichbarer Dauerbeschäftigter vorhanden, erfolgt der Vergleich anhand des anwendbaren Tarifvertrags oder in Ermangelung eines solchen gemäß den einzelstaatlichen gesetzlichen oder tarifvertraglichen Bestimmungen oder Gepflogenheiten.“

7

Paragraf 4 („Grundsatz der Nichtdiskriminierung“) der Rahmenvereinbarung sieht vor:

„1.

Befristet beschäftigte Arbeitnehmer dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil für sie ein befristeter Arbeitsvertrag oder ein befristetes Arbeitsverhältnis gilt, gegenüber vergleichbaren Dauerbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.

3.

Die Anwendungsmodalitäten dieser Bestimmung werden von den Mitgliedstaaten nach Anhörung der Sozialpartner und/oder von den Sozialpartnern unter Berücksichtigung der Rechtsvorschriften der Gemeinschaft und der einzelstaatlichen gesetzlichen und tarifvertraglichen Bestimmungen und Gepflogenheiten festgelegt.

4.

In Bezug auf bestimmte Beschäftigungsbedingungen gelten für befristet beschäftigte Arbeitnehmer dieselben Betriebszugehörigkeitszeiten wie für Dauerbeschäftigte, es sei denn, unterschiedliche Betriebszugehörigkeitszeiten sind aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.“

Spanisches Recht

8

Art. 2 der Ley 55/2003 del Estatuto Marco del personal estatutario de los servicios de Salud (Gesetz 55/2003 über das Rahmenstatut des statutarischen Personals der Gesundheitsdienste) vom 16. Dezember 2003 (BOE Nr. 301 vom 17. Dezember 2003, S. 44742) sieht in Abs. 1 vor, dass dieses Gesetz für das statutarische Personal gilt, das in den Gesundheitszentren oder ‑einrichtungen der Gesundheitsdienste der Autonomen Gemeinschaften oder in den Gesundheitszentren und ‑diensten der allgemeinen Staatsverwaltung beschäftigt ist.

9

In Art. 62 („Dienstrechtliche Stellungen“) dieses Gesetzes heißt es:

„Nach der allgemeinen Regelung nimmt das unbefristet beschäftigte statutarische Personal der Gesundheitsdienste eine der folgenden dienstrechtlichen Stellungen ein:

a)

aktiver Dienst;

b)

Sonderurlaub;

c)

Dienstleistung im Rahmen einer anderen rechtlichen Regelung;

d)

Beurlaubung wegen Erbringung von Dienstleistungen im öffentlichen Sektor;

e)

Urlaub aus persönlichen Gründen;

f)

vorläufige Dienstenthebung;

…“

10

Art. 66 („Beurlaubung wegen Erbringung von Dienstleistungen im öffentlichen Sektor“) des Gesetzes 55/2003 bestimmt:

„1.   Statutarisches Personal der Gesundheitsdienste wird wegen der Erbringung von Dienstleistungen im öffentlichen Sektor beurlaubt,

a)

wenn es eine Tätigkeit in einer anderen Kategorie des statutarischen Personals wie Beamter oder Vertragsbediensteter in einer öffentlichen Verwaltung ausübt, es sei denn, es hat die entsprechende Genehmigung erhalten, um die Unvereinbarkeit der Tätigkeiten zu überwinden;

3.   Statutarisches Personal der Gesundheitsdienste, das wegen Erbringung von Dienstleistungen im öffentlichen Sektor beurlaubt wurde, erhält keine Vergütung, und die Dauer dieser dienstrechtlichen Stellung wird gegebenenfalls für die Dreijahresdienstalterszulagen und die Laufbahnentwicklung berücksichtigt, wenn es wieder in den aktiven Dienst eintritt.“

11

Art. 67 („Urlaub aus persönlichen Gründen“) dieses Gesetzes bestimmt:

„1.   Der Betroffene wird nach den folgenden Vorschriften von Amts wegen oder auf Antrag aus persönlichen Gründen beurlaubt:

a)

Urlaub aus persönlichen Gründen kann dem Personal auf Antrag aus einem privaten Grund gewährt werden.

Dafür ist es erforderlich, in den letzten fünf Jahren vor Antragstellung eine Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung ausgeübt zu haben.

Die Gewährung des Urlaubs aus persönlichen Gründen aus einem privaten Grund hängt von dienstlichen Erfordernissen ab; gegebenenfalls ist seine Ablehnung zu begründen.

Urlaub aus persönlichen Gründen kann einem Beamten, gegen den ein Disziplinarverfahren anhängig ist, nicht gewährt werden.

2.   In den in Abs. 1 Buchst. a und c genannten Fällen beträgt die Mindestdauer des Urlaubs aus persönlichen Gründen zwei Jahre.

3.   Statutarisches Personal der Gesundheitsdienste, das aus persönlichen Gründen beurlaubt wurde, erhält keine Vergütung, und der Zeitraum dieses Urlaubs wird bei seiner Laufbahnentwicklung oder den Dreijahresdienstalterszulagen nicht berücksichtigt. …“

12

Art. 15 („Beurlaubung wegen Erbringung von Dienstleistungen im öffentlichen Sektor“) Abs. 1 des Reglamento de Situaciones Administrativas de los Funcionarios Civiles de la Administración General del Estado (Verordnung über die dienstrechtliche Stellung von Beamten der Allgemeinen Verwaltung des Staates) in der sich aus dem Real decreto 365/1995 por el que se aprueba el Reglamento de Situaciones Administrativas de los Funcionarios Civiles de la Administración General del Estado (Königliches Dekret 365/1995 zur Genehmigung der Verordnung über die dienstrechtliche Stellung von Beamten der Allgemeinen Verwaltung des Staates) ergebenden Fassung vom 10. März 1995 (BOE Nr. 85 vom 10. April 1995, S. 10636) (im Folgenden: Verordnung über die dienstrechtliche Stellung) sieht vor:

„Beamte, die im aktiven Dienst in einer anderen Einrichtung der öffentlichen Verwaltung tätig sind, es sei denn, sie haben die zur Überwindung dieser Unvereinbarkeit erforderliche Genehmigung erhalten, sowie diejenigen, die als unbefristet beschäftigtes Personal in Stellen oder Einrichtungen des öffentlichen Sektors zu arbeiten beginnen und nicht berechtigt sind, die Stellungen des aktiven Dienstes oder Sonderurlaubs einzunehmen, sind von Amts wegen oder auf Antrag wegen Erbringung von Dienstleistungen im öffentlichen Sektor zu beurlauben. Handelt es sich bei dieser Beschäftigung um eine Stelle als Interimsbeamter oder befristetes Personal, begründet sie keinen Anspruch auf diese dienstrechtliche Stellung. …“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13

LB arbeitete vom 14. Dezember 2010 bis 20. Dezember 2017 als Mitglied des unbefristet beschäftigten statutarischen Personals des Gesundheitsdienstes in der Kategorie der Zahnärzte/Stomatologen.

14

Mit Entscheidung vom 25. November 2016 schlug die Universität Complutense de Madrid (Spanien) vor, LB auf eine Stelle als Interimsprofessorin zu ernennen. Nachdem dieser Vorschlag vom Rektorat dieser Universität genehmigt worden war, wurde LB zum Antritt der Stelle am 21. Dezember 2017 aufgefordert. Zu diesem Zweck wurde ihr ein befristeter Dienstvertrag übermittelt.

15

Wegen der Unvereinbarkeit zwischen der Ausübung dieser Tätigkeit und ihrer Stelle im Gesundheitsdienst beantragte LB am 1. Dezember 2017 bei diesem, sie wegen Erbringung von Dienstleistungen im öffentlichen Sektor nach Art. 66 Abs. 1 Buchst. a des Gesetzes 55/2003 zu beurlauben.

16

Mit Bescheid vom 4. Dezember 2017 lehnte der Gesundheitsdienst diesen Antrag mit der Begründung ab, dass die von LB zu übernehmende Stelle befristet sei. Art. 15 der Verordnung über die dienstrechtliche Stellung schließe die Beurlaubung wegen Erbringung von Dienstleistungen im öffentlichen Sektor aus, wenn die neue Stelle auf der Grundlage eines befristeten Vertrags übernommen werde.

17

Nach dieser Ablehnung stellte LB gemäß Art. 67 Abs. 1 Buchst. a des Gesetzes 55/2003 einen Antrag auf Urlaub aus persönlichen Gründen, dem stattgegeben wurde.

18

LB legte daneben Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. Dezember 2017 ein. Nach der Zurückweisung dieses Widerspruchs erhob LB beim Juzgado de lo Contencioso-Administrativo no 4 de Zaragoza (Verwaltungsgericht Nr. 4 von Saragossa, Spanien) Klage auf Aufhebung sowohl des Bescheids vom 4. Dezember 2017 als auch der diesen Bescheid bestätigenden Entscheidung. LB stützte ihre Klage im Wesentlichen darauf, dass diese Entscheidungen insbesondere gegen die Grundsätze der Gleichheit und der Nichtdiskriminierung verstießen, wie sie in Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung gewährleistet würden.

19

Mit Urteil vom 9. Mai 2019 gab das Verwaltungsgericht der Klage statt. In diesem Urteil hieß es, dass es einen Verstoß gegen den in Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung vorgesehenen Grundsatz der Nichtdiskriminierung zwischen unbefristet und befristet beschäftigten Arbeitnehmern darstelle, LB die Beurlaubung wegen Erbringung von Dienstleistungen im öffentlichen Sektor mit der Begründung zu verweigern, dass die Stelle in der Bestimmungsverwaltung befristet sei.

20

Der Gesundheitsdienst legte gegen dieses Urteil beim vorlegenden Gericht, dem Tribunal Superior de Justicia de Aragón (Oberstes Gericht von Aragonien, Spanien), ein Rechtsmittel ein. Er hält die in Art. 15 der Verordnung über die dienstrechtliche Stellung festgelegte unterschiedliche Behandlung von befristet und unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern durch sachliche Gründe, nämlich insbesondere durch das Erfordernis für gerechtfertigt, die Stabilität der vom aragonischen Gesundheitssystem zu erbringenden Leistungen zu gewährleisten.

21

Das vorlegende Gericht hat Zweifel an der Vereinbarkeit von Art. 15 dieser Verordnung mit Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung, wie er vom Gerichtshof ausgelegt wird, da besagter Art. 15 der Beurlaubung eines öffentlichen Bediensteten entgegenstehe, wenn dieser eine befristete Stelle in einer anderen als der Herkunftsverwaltung erhalte, während dieser Artikel eine Beurlaubung zulasse, wenn der Bedienstete unter denselben Umständen eine unbefristete Stelle erhalte. Überdies hätte der Bedienstete, der einen solchen Urlaub genommen habe, im Unterschied zu einem Bediensteten, der nach der Versagung dieser Beurlaubung gezwungen gewesen sei, einen Urlaub aus persönlichen Gründen zu nehmen, um seine neue Stelle übernehmen zu können, Anspruch auf bestimmte Vergünstigungen.

22

Insoweit geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Beurlaubung wegen Erbringung von Dienstleistungen in einer anderen als der Herkunftsverwaltung des betreffenden Bediensteten nicht wegen dienstlicher Erfordernisse verweigert werden kann, und dass die Bediensteten in dieser dienstrechtlichen Stellung ihre Eigenschaft als Beamte der Herkunftsverwaltung und das Recht auf Teilnahme an den von dieser organisierten Verfahren zur Stellenbesetzung behalten. Darüber hinaus wird die Dauer der Beurlaubung in die Bestimmungsverwaltung als aktiver Dienst in der Herkunftsverwaltung berücksichtigt. So haben Bedienstete, die nach der Beurlaubung wieder in ihre Herkunftsverwaltung zurückkehren, Anspruch auf Berücksichtigung des in der Bestimmungsverwaltung erworbenen Aufstiegs. Ferner ist in dieser Stellung keine Mindestdauer vorgesehen.

23

Hingegen muss eine Mindestdauer im aktiven Dienst zurückgelegt worden sein, bevor ein Urlaub aus persönlichen Gründen genommen werden kann. Außerdem kann dieser wegen dienstlicher Erfordernisse verweigert werden. Darüber hinaus erhalten die Bediensteten in dieser dienstrechtlichen Stellung keine Vergütung. Ebenso wenig wird die in einer solchen Stellung verbrachte Zeit in der Herkunftsverwaltung für das Aufsteigen, die Dreijahreszulagen und die Ansprüche an das System der sozialen Sicherheit berücksichtigt. Schließlich wird der Urlaub aus persönlichen Gründen für eine Mindestdauer gewährt.

24

In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht als Erstes wissen, ob der Anspruch auf Beurlaubung wegen Erbringung von Dienstleistungen im öffentlichen Sektor eine „Beschäftigungsbedingung“ der befristeten Stelle darstellt, die der Bedienstete antreten möchte. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sei die zu berücksichtigende Beschäftigungsbedingung die der vom Bediensteten übernommenen befristeten Stelle oder Beschäftigung. In der beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtssache sei jedoch die zu prüfende Beschäftigungsbedingung die einer befristeten Stelle, die noch nicht übernommen worden sei, die der Bedienstete aber antreten wolle. Daher sei diese Rechtsprechung im vorliegenden Fall nicht anwendbar.

25

Als Zweites fragt sich das vorlegende Gericht, ob die von der Verwaltung angeführte Begründung, nämlich die Bedeutung der Vermeidung von Funktionsstörungen und Nachteilen in Form mangelnder Kontinuität des Stammpersonals in einem so sensiblen Sektor wie dem der Leistungen des Gesundheitswesens, eine Ungleichbehandlung zwischen befristet und unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern rechtfertigen kann.

26

Unter diesen Umständen hat das Tribunal Superior de Justicia de Aragón (Oberstes Gericht von Aragonien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen, dass der wegen des Erhalts einer Stelle im öffentlichen Sektor entstehende Anspruch auf Zuerkennung einer bestimmten dienstrechtlichen Stellung im Hinblick auf die bis zu diesem Zeitpunkt belegte, ebenfalls zum öffentlichen Sektor gehörende Stelle eine Beschäftigungsbedingung darstellt, für die eine unterschiedliche Behandlung zwischen Arbeitnehmern mit befristetem und solchen mit unbefristetem Arbeitsverhältnis unzulässig ist?

2.

Ist Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen, dass Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung zwischen Arbeitnehmern mit einem befristeten und solchen mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag wegen sachlicher Gründe auch der Zweck sein kann, erhebliche Funktionsstörungen und Nachteile in Form mangelnder Kontinuität des Stammpersonals in einem – vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf Schutz der Gesundheit – so sensiblen Bereich wie dem der Leistungen des Gesundheitswesens zu vermeiden, und kann dieser Zweck dann als Grundlage dienen, um Arbeitnehmern eine konkrete dienstrechtliche Stellung der Beurlaubung zu verweigern, wenn sie auf eine befristete, aber nicht, wenn sie auf eine unbefristete Stelle wechseln?

3.

Steht Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung einer Vorschrift wie Art. 15 der Verordnung über die dienstrechtliche Stellung entgegen, die bei der Übernahme einer Stelle als Interimsbeamter oder befristet beschäftigter Bediensteter die Beurlaubung wegen Erbringung von Dienstleistungen im öffentlichen Sektor ausschließt, während jemand, der eine unbefristete Stelle im öffentlichen Sektor übernimmt, Anspruch auf diese dienstrechtliche Stellung hat, die für ihn vorteilhafter ist als andere, alternative dienstrechtliche Stellungen, die er stattdessen beantragen müsste, um eine neue Stelle, für die er ernannt worden ist, antreten zu können?

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

27

Sowohl die spanische Regierung als auch die Europäische Kommission machen im Wesentlichen geltend, dass die Situation, da LB die Beurlaubung wegen Erbringung von Dienstleistungen im öffentlichen Sektor beantragt habe, während sie eine unbefristete Stelle innehabe, nach Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung nicht in deren Anwendungsbereich falle, so dass Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung auf das Ausgangsverfahren nicht anwendbar sei.

28

Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen hat, unter denen er vom nationalen Gericht angerufen wird (Urteil vom 7. September 2017, Schottelius, C‑247/16, EU:C:2017:638, Rn. 24).

29

Nach gefestigter Rechtsprechung ist der Gerichtshof ferner grundsätzlich nur zur Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts zuständig, die im Ausgangsverfahren tatsächlich anwendbar sind (Urteil vom 7. September 2017, Schottelius, C‑247/16, EU:C:2017:638, Rn. 25).

30

Zur Feststellung, ob der Gerichtshof für die Beantwortung der vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen zuständig ist, ist darauf hinzuweisen, dass der persönliche Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung in deren Paragraf 2 Nr. 1 festgelegt ist.

31

Insoweit geht aus dem Wortlaut dieser Bestimmung hervor, dass der Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung weit gefasst ist, da sie allgemein „befristet beschäftigte Arbeitnehmer mit einem Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis gemäß der gesetzlich, tarifvertraglich oder nach den Gepflogenheiten in jedem Mitgliedstaat geltenden Definition“ erfasst. Zudem fallen nach der Definition des Begriffs„befristet beschäftigter Arbeitnehmer“ gemäß Paragraf 3 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung darunter alle Arbeitnehmer, ohne Unterscheidung danach, ob sie an einen öffentlichen oder an einen privaten Arbeitgeber gebunden sind, und unabhängig davon, wie ihr Vertrag nach dem innerstaatlichen Recht zu qualifizieren ist (Urteil vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana [Status der italienischen Friedensrichter], C‑658/18, EU:C:2020:572, Rn. 115 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32

Die Rahmenvereinbarung ist mithin auf alle Arbeitnehmer anwendbar, die entgeltliche Arbeitsleistungen im Rahmen eines mit ihrem Arbeitgeber bestehenden befristeten Beschäftigungsverhältnisses erbringen, vorausgesetzt, zwischen ihnen besteht ein Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis nach nationalem Recht, und vorbehaltlich allein des den Mitgliedstaaten in Paragraf 2 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung eingeräumten Ermessens hinsichtlich deren Anwendung auf bestimmte Kategorien von Arbeitsverträgen oder ‑verhältnissen sowie des Ausschlusses von Leiharbeitnehmern nach dem vierten Absatz der Präambel der Rahmenvereinbarung (Urteil vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana [Status der italienischen Friedensrichter], C‑658/18, EU:C:2020:572, Rn. 116 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33

Eines der Ziele der Rahmenvereinbarung besteht nach deren Paragrafen 1 Buchst. a darin, durch Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung die Qualität befristeter Arbeitsverhältnisse zu verbessern. Desgleichen heißt es im dritten Absatz der Präambel der Rahmenvereinbarung, dass sie „den Willen der Sozialpartner deutlich [macht], einen allgemeinen Rahmen zu schaffen, der durch den Schutz vor Diskriminierung die Gleichbehandlung von Arbeitnehmern in befristeten Arbeitsverhältnissen sichert“. Im 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 1999/70 wird dazu festgestellt, dass die Rahmenvereinbarung insbesondere die Qualität befristeter Arbeitsverhältnisse durch Festlegung von Mindestvorschriften verbessern soll, die geeignet sind, die Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung zu gewährleisten (Urteil vom 17. März 2021, Consulmarketing, C‑652/19, EU:C:2021:208, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Die Rahmenvereinbarung, insbesondere ihr Paragraf 4, bezweckt, diesen Grundsatz auf befristet beschäftigte Arbeitnehmer anzuwenden, um zu verhindern, dass ein befristetes Arbeitsverhältnis von einem Arbeitgeber benutzt wird, um diesen Arbeitnehmern Rechte vorzuenthalten, die Dauerbeschäftigten zuerkannt werden (Urteil vom 17. März 2021, Consulmarketing, C‑652/19, EU:C:2021:208, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35

Folglich ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut von Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung als auch aus dem mit der Rahmenvereinbarung und insbesondere dem mit deren Paragraf 4 verfolgten Ziel, dass der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Sinne des letztgenannten Paragrafen nur auf all die Arbeitnehmer anwendbar ist, die entgeltliche Arbeitsleistungen im Rahmen eines mit ihrem Arbeitgeber bestehenden befristeten Beschäftigungsverhältnisses erbringen.

36

Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch hervor, dass LB, als sie die Beurlaubung wegen Erbringung von Dienstleistungen im öffentlichen Sektor beantragte, um die befristete Stelle als Professorin an der Universität Complutense de Madrid zu übernehmen, als unbefristet beschäftigtes Mitglied des statutarischen Personals für den Gesundheitsdienst arbeitete. Daher erbrachte sie zum Zeitpunkt dieses Antrags entgeltliche Arbeitsleistungen im Rahmen eines unbefristeten Beschäftigungsverhältnisses.

37

Demnach ist Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung in Verbindung mit deren Paragraf 2 Nr. 1 dahin auszulegen, dass er nicht auf eine Situation anwendbar ist, in der einem auf der Grundlage eines unbefristeten Vertrags eingestellten Arbeitnehmer eine Beurlaubung durch die öffentliche Verwaltung mit der Begründung verweigert wird, dass diese Beurlaubung auf die Übernahme eines befristeten Beschäftigungsverhältnisses abziele.

38

Daher ist der Gerichtshof für die Beantwortung der vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen nicht zuständig.

Kosten

39

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

Der Gerichtshof der Europäischen Union ist für die Beantwortung der vom Tribunal Superior de Justicia de Aragón (Oberstes Gericht von Aragonien, Spanien) mit Entscheidung vom 17. Dezember 2019 vorgelegten Fragen nicht zuständig.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Spanisch.

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