Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62019CC0742

Schlussanträge des Generalanwalts H. Saugmandsgaard Øe vom 28. Januar 2021.
B. K. gegen Republika Slovenija (Ministrstvo za obrambo).
Vorabentscheidungsersuchen des Vrhovno sodišče.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmenden – Arbeitszeitgestaltung – Mitglieder der Streitkräfte – Anwendbarkeit des Unionsrechts – Art. 4 Abs. 2 EUV – Richtlinie 2003/88/EG – Anwendungsbereich – Art. 1 Abs. 3 – Richtlinie 89/391/EWG – Art. 2 Abs. 2 – Tätigkeiten der Militärangehörigen – Begriff ‚Arbeitszeit‘ – Bereitschaftszeit – Rechtsstreit über das Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers.
Rechtssache C-742/19.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2021:77

  VORLÄUFIGE FASSUNG VOM 20/01/2021

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

HENRIK SAUGMANDSGAARD ØE

vom 28. Januar 2021 ( 1 )

Rechtssache C‑742/19

B. K.

gegen

Republika Slovenija (Ministrstvo za obrambo)

(Vorabentscheidungsersuchen des Vrhovno sodišče Republike Slovenije [Oberster Gerichtshof der Republik Slowenien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer – Arbeitszeitgestaltung – Richtlinie 2003/88/EG – Anwendungsbereich – Art. 1 Abs. 3 – Richtlinie 89/391/EWG – Art. 2 Abs. 1 und 2 – Anwendbarkeit auf Militärangehörige der Streitkräfte der Mitgliedstaaten – Richtlinie 2003/88/EG – Art. 2 Nr. 1 – Begriff ‚Arbeitszeit‘ – Bewachung militärischer Einrichtungen“

I. Einleitung

1.

Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen hat der Vrhovno sodišče Republike Slovenije (Oberster Gerichtshof der Republik Slowenien) dem Gerichtshof zwei Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ( 2 ) vorgelegt.

2.

Diese Fragen stellen sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen B. K., einem ehemaligen Unteroffizier der slowenischen Armee, und der Republik Slowenien (Verteidigungsministerium), seiner ehemaligen Arbeitgeberin, über die Vergütung, die B. K. für die Bewachung militärischer Einrichtungen, die er während seines Dienstes regelmäßig durchgeführt hat, gezahlt werden muss.

3.

In diesem Zusammenhang ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Wesentlichen um Klarstellung, ob Personen, die militärische Aufgaben in den Streitkräften der Mitgliedstaaten wahrnehmen (im Folgenden: Militärangehörige oder Mitglieder der Streitkräfte), in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 fallen und ihre Arbeitszeit infolgedessen auch dann im Einklang mit den Richtlinienbestimmungen berechnet, gestaltet und begrenzt werden muss, wenn es um eine solche Bewachung geht.

4.

Die Richtlinie 2003/88 ist bereits Gegenstand einer reichhaltigen Rechtsprechung des Gerichtshofs. Die in der vorliegenden Rechtssache gestellten Fragen sind deshalb nicht weniger neu und äußerst sensibel. Die Frage der Arbeitszeitgestaltung für Militärangehörige bezieht sich nämlich auf das Funktionieren der Streitkräfte der Mitgliedstaaten und damit auf Einrichtungen, die von den Mitgliedstaaten oftmals als „Eckpfeiler“ ihrer Souveränität angesehen werden und deren Organisation grundsätzlich in die ausschließliche Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten fällt. Außerdem wird befürchtet, dass eine Anwendung dieser Richtlinie auf Militärangehörige in der Praxis der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte schadet.

5.

In der vorliegenden Rechtssache hat es der Gerichtshof daher mit einem militärischen Kontext zu tun, über den er bisher nur selten entschieden hat. Die Herausforderung wird für ihn darin bestehen, einen „angemessenen Ausgleich“ zwischen den Rechten der Militärangehörigen als Arbeitnehmern auf Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz, einschließlich des Rechts auf Begrenzung der Arbeitszeit, einerseits und dem Interesse der Mitgliedstaaten an einem reibungslosen Funktionieren ihrer Streitkräfte, das für den Schutz ihrer nationalen Sicherheit unerlässlich ist, andererseits zu finden.

6.

In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich dem Gerichtshof vorschlagen, zur Gewährleistung dieses Ausgleichs festzustellen, dass Militärangehörige grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 fallen. Gleichwohl sind sie davon ausgeschlossen, wenn sie bestimmte „spezifische Tätigkeiten“ der Streitkräfte unter Bedingungen verrichten, die ich im Einzelnen aufführen werde. Ich werde auch erläutern, weshalb eine Tätigkeit wie die Bewachung militärischer Einrichtungen grundsätzlich nicht dazu gehört.

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

1. Richtlinie 89/391/EWG

7.

Art. 2 der Richtlinie 89/391/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit ( 3 ) sieht vor:

„(1)   Diese Richtlinie findet Anwendung auf alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche (gewerbliche, landwirtschaftliche, kaufmännische, verwaltungsmäßige sowie dienstleistungs- oder ausbildungsbezogene, kulturelle und Freizeittätigkeiten usw.).

(2)   Diese Richtlinie findet keine Anwendung, soweit dem Besonderheiten bestimmter spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, z. B. bei den Streitkräften oder der Polizei, oder bestimmter spezifischer Tätigkeiten bei den Katastrophenschutzdiensten zwingend entgegenstehen.

In diesen Fällen ist dafür Sorge zu tragen, dass unter Berücksichtigung der Ziele dieser Richtlinie eine größtmögliche Sicherheit und ein größtmöglicher Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewährleistet ist.“

2. Richtlinie 2003/88

8.

Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88 bestimmt:

„Diese Richtlinie gilt unbeschadet ihrer Artikel 14, 17, 18 und 19 für alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche im Sinne des Artikels 2 der [Richtlinie 89/391].

Diese Richtlinie gilt unbeschadet des Artikels 2 Nummer 8 nicht für Seeleute gemäß der Definition in der Richtlinie 1999/63/EG[ ( 4 )].“

9.

Art. 2 dieser Richtlinie sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie sind:

1.

Arbeitszeit: jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt;

…“

B.   Slowenisches Recht

10.

Art. 142 Abs. 1 und 2 des Zakon o delovnih razmerjih (Gesetz über die Arbeitsverhältnisse) (Uradni list RS, Nr. 21/2013) bestimmt:

„(1)   Die Arbeitszeit umfasst die effektive Arbeitszeit und die Ruhepause gemäß Art. 154 dieses Gesetzes sowie die Zeit der entschuldigten Abwesenheit von der Arbeit gemäß Gesetz und Tarifvertrag bzw. Allgemeinem Akt (Rechtsakt mit allgemeiner Geltung).

(2)   Effektive Arbeitszeit umfasst den Zeitraum, in dem der Arbeitnehmer arbeitet, was bedeutet, dass er dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Arbeitsverpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag erfüllt.“

11.

Art. 23 des Zakon o sistemu plač v javnem sektorju (Besoldungsgesetz für den öffentlichen Sektor) (Uradni list RS, Nr. 56/02 ff.) bestimmt, dass öffentliche Bedienstete (einschließlich der in der slowenischen Armee beschäftigten Personen) u. a. Anspruch auf eine Zulage für Dienst zu ungünstigeren Dienstzeiten im Sinne von Art. 32 Abs. 3 dieses Gesetzes haben. In der letztgenannten Vorschrift heißt es, dass den öffentlichen Bediensteten auch eine Zulage für die ständige Bereitschaft zusteht. Abs. 5 des genannten Artikels sieht vor, dass sich die Höhe der Zulage für die ständige Bereitschaft nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Sektor bestimmt.

12.

Art. 46 der Kolektivna pogodba za javni sektor (Tarifvertrag für den öffentlichen Sektor) lautet in seiner während des in der Ausgangsrechtssache in Rede stehenden Zeitraums geltenden Fassung (Uradni list RS, Nr. 57/2008 ff.): „Dem öffentlichen Bediensteten steht eine Zulage für die Zeit der ständigen Bereitschaft in Höhe von 20 % des Stundensatzes des Grundgehalts zu. Die Zeit der ständigen Bereitschaft wird dem öffentlichen Bediensteten nicht als Dienstzeit angerechnet.“

13.

Der Auslegungsakt dieses Tarifvertrags (Uradni list RS, Nr. 112-4869/2008) sieht vor: „Bereitschaft bedeutet Erreichbarkeit eines öffentlichen Bediensteten, damit er sich im Bedarfsfall außerhalb seiner Dienstzeit in den Dienst begibt. Ständige Bereitschaft muss schriftlich angeordnet werden. Die Höhe der Zulage für die Zeit der ständigen Bereitschaft ist unabhängig davon, ob sich der öffentliche Bedienstete bei Tag, bei Nacht, an einem Werktag, am Sonntag, an einem Feiertag oder an einem Tag, der gesetzlich als arbeitsfreier Tag festgelegt ist, in ständiger Bereitschaft befindet, immer gleich.“

14.

Das Zakon o obrambi (Verteidigungsgesetz) (Uradni list RS, Nr. 92/94 ff.) regelt u. a. die Rechte und Pflichten der Bediensteten, die hauptberuflich im Verteidigungsbereich tätig sind ( 5 ). Art. 96 Abs. 1 dieses Gesetzes bestimmt, dass der Bedienstete, der hauptberuflich im Verteidigungsbereich tätig ist, auf Weisung des Vorgesetzten verpflichtet ist, im dienstlichen Bedarfsfall den Dienst unter besonderen Dienstbedingungen zu verrichten. Nach Abs. 2 dieses Artikels gilt als solcher Dienst zu Dienstzeiten, die für die Bediensteten ungünstiger sind, und Dienst unter ungünstigeren Dienstbedingungen oder mit zusätzlichen Erschwernissen, zu denen auch Bereitschaftsdienst bzw. Erreichbarkeit und Wachdienst zählen. In Abs. 3 des genannten Artikels heißt es, dass, wenn der Bedienstete während des Bereitschaftsdiensts tätig wird, die Zeit des effektiven Dienstes als Dienst in der verlängerten Dienstzeit gilt, wenn in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

15.

Art. 97e Abs. 1 des Verteidigungsgesetzes bestimmt, dass Bereitschaft jene Zeit ist, in der ein im Verteidigungsbereich tätiger Bediensteter im Bereitschaftsdienst am Dienstort, an einem bestimmten Ort oder zu Hause zu sein hat. In Abs. 2 dieses Artikels heißt es, dass der Bereitschaftsdienst nicht zur Stundenanzahl der wöchentlichen bzw. monatlichen Dienstverpflichtung zählt. Falls der Bedienstete während des Bereitschaftsdiensts tatsächlich Dienst verrichten muss, werden diese Stunden des effektiven Dienstes zur Stundenanzahl der wöchentlichen bzw. monatlichen Dienstverpflichtung hinzugerechnet. Nach Abs. 3 dieses Artikels legt der Minister die Fälle sowie die Art und Weise der Ausübung des Bereitschaftsdiensts in den dienstlichen Räumlichkeiten, an einem bestimmten Ort oder zu Hause fest. Die Fälle sowie die Art und Weise der Ausübung des Bereitschaftsdiensts in der Armee legt der Generalstabschef fest. Abs. 4 dieses Artikels sieht vor, dass Bereitschaftsdienst an einem bestimmten Ort gleichbedeutend mit Bereitschaftsdienst am Dienstort ist.

16.

Art. 97č Abs. 1 des Verteidigungsgesetzes bestimmt, dass Wachdienste in der Regel ununterbrochen 24 Stunden dauern. Nach Abs. 2 dieses Artikels gilt für die Militärangehörigen, die Wachdienst leisten, dass sie zu gestaffelten Dienstzeiten tätig sind. Stunden, in denen sie nicht effektiv Dienst verrichten, gelten nicht als Dienstzeit, sondern als Bereitschaftsdienst am Dienstort. Abs. 3 dieses Artikels sieht vor, dass die tägliche Dienstverpflichtung während des Wachdiensts zwölf Stunden nicht überschreiten darf. Im Fall eines außerordentlichen Ereignisses bzw. zwecks Beendigung einer begonnenen Aufgabe kann sich die Dienstzeit des Militärangehörigen ausnahmsweise verlängern, wobei die Stunden, die er nach bereits geleisteten zwölf Stunden effektiven Dienstes erbringt, als Stunden gelten, die über die volle Dienstzeit hinaus erbracht werden. In Abs. 4 dieses Artikels heißt es, dass die Verrichtung des Wachdiensts ununterbrochen höchstens sieben Tage andauern kann. Die Militärangehörigen haben Anspruch auf eine Ruhepause am Ort, an dem der Wachdienst verrichtet wird, wobei ihnen zwölf Stunden als reguläre Dienstzeit, die übrigen zwölf Stunden aber als Bereitschaftsdienst angerechnet werden.

III. Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

17.

Als Unteroffizier der slowenischen Armee leistete B. K. in der Kaserne in Slovenska Bistrica (Slowenien), der er zugewiesen war, eine Woche im Monat Wachdienst, der 24 Stunden am Tag alle Tage der Woche einschließlich Samstag und Sonntag dauerte. In dieser Zeit musste B. K. erreichbar und ständig in der Kaserne anwesend sein. Im Fall des unangekündigten Erscheinens der Militärpolizei, der Inspektion oder einer Einsatzgruppe musste er dies auf dem Meldeformular vermerken und die Befehle ausführen, die ihm der Vorgesetzte erteilte.

18.

Für den Wachdienst berechnete die Republik Slowenien (Verteidigungsministerium) acht Stunden pro Tag als Dienstzeit und zahlte B. K. sein reguläres Gehalt für diese acht Stunden. Die übrigen Stunden wurden nicht als Dienstzeit, sondern als Bereitschaftsdienst am Dienstort angesehen. B. K. erhielt für diese Stunden daher eine Zulage für den Bereitschaftsdienst in Höhe von 20 % seines Gehalts.

19.

B. K. erhob vor dem Delovno in socialno sodišče v Ljubljani (Arbeits- und Sozialgericht Ljubljana, Slowenien) Klage gegen die Republik Slowenien (Verteidigungsministerium), mit der er die Vergütung der im Rahmen des Wachdiensts geleisteten Bereitschaftsdienststunden für den Zeitraum von Februar 2014 bis Juli 2015 als Vergütung für Überstunden begehrt ( 6 ). B. K. trägt vor, diese Stunden hätten gemäß der Richtlinie 2003/88 in vollem Umfang als Dienstzeit angerechnet und damit ausbezahlt werden müssen, da er die ganze Zeit an seinem Dienstort bzw. in der Kaserne habe anwesend sein und seinem Dienstherrn habe zur Verfügung stehen müssen sowie von seiner Wohnstätte und seiner Familie getrennt gewesen sei.

20.

Mit Urteil vom 26. September 2016 wies der Delovno in socialno sodišče v Ljubljani (Arbeits- und Sozialgericht Ljubljana) die Klage von B. K. ab. Die Republik Slowenien (Verteidigungsministerium), so dieses Gericht, habe das Gehalt von B. K. im Einklang mit dem Verteidigungsgesetz berechnet, wonach der Bereitschaftsdienst am Dienstort oder an einem bestimmten Ort zur Gänze nicht als Dienstzeit zähle. B. K. habe für die streitgegenständlichen Stunden daher lediglich Anspruch auf eine Zulage für die Bereitschaftszeit, die ihm ausbezahlt worden sei.

21.

B. K. legte Rechtsmittel vor dem Višje delovno in socialno sodišče v Ljubljani (Arbeits- und Sozialgerichtshof Ljubljana, Slowenien) ein. Mit Urteil vom 4. Mai 2017 wies dieses Gericht das Rechtsmittel von B. K. zurück und bestätigte das erstinstanzliche Urteil. Das Berufungsgericht vertrat u. a. die Ansicht, das Verteidigungsgesetz stehe nicht im Widerspruch zur Richtlinie 2003/88, da gemäß Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 diese beiden Richtlinien keine Anwendung fänden, soweit dem Besonderheiten bestimmter spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, insbesondere bei den Streitkräften, zwingend entgegenstünden, was beim Dienst in der slowenischen Armee der Fall sei.

22.

Daraufhin legte B. K. vor dem Vrhovno sodišče Republike Slovenije (Oberster Gerichtshof der Republik Slowenien) Revision gegen das Berufungsurteil ein. Vor diesem Hintergrund hat dieses Gericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Findet Art. 2 der Richtlinie 2003/88 auch auf die im Verteidigungsbereich tätigen Bediensteten bzw. die Militärangehörigen, die Wachdienst zu Friedenszeiten leisten, Anwendung?

2.

Steht Art. 2 der Richtlinie 2003/88 einer nationalen Regelung entgegen, wonach der Bereitschaftsdienst von Bediensteten, die im Verteidigungsbereich am Dienstort oder an einem bestimmten Ort (also nicht zu Hause) tätig sind, bzw. die Anwesenheit von Militärangehörigen, die im Verteidigungsbereich in der Zeit der Wache im Einsatz sind, in der diese Militärangehörigen zwar keinen effektiven Dienst verrichten, aber physisch in der Kaserne anwesend sein müssen, nicht als Dienstzeit gilt?

23.

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen vom 10. September 2019 ist am 10. Oktober desselben Jahres beim Gerichtshof eingegangen. Die slowenische ( 7 ), die deutsche und die französische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht. Dieselben Verfahrensbeteiligten sowie die spanische Regierung waren in der mündlichen Verhandlung, die am 21. September 2020 stattgefunden hat, vertreten.

IV. Würdigung

24.

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2003/88 ( 8 ) eine Reihe von „Mindestvorschriften“ ( 9 ) im Bereich der Arbeitszeitgestaltung festlegt. Gemäß dieser Richtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine tägliche Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden (Art. 3), für eine tägliche Arbeit von mehr als sechs Stunden eine Ruhepause (Art. 4), pro Siebentageszeitraum eine wöchentliche kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden (Art. 5), eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden einschließlich der Überstunden (Art. 6) sowie ein bezahlter Mindestjahresurlaub von vier Wochen (Art. 7) gewährt werden. Diese Richtlinie enthält darüber hinaus Vorschriften betreffend die Dauer und die Bedingungen der Nacht- und Schichtarbeit sowie den Arbeitsrhythmus ( 10 ).

25.

Diese „Vorschriften“ haben im Wesentlichen zum Ziel, die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen ( 11 ). Mit ihnen soll insbesondere gewährleistet werden, dass die Arbeitnehmer über ausreichende Ruhezeiten verfügen, um sich von der durch ihre Arbeit hervorgerufenen Ermüdung zu erholen. Sie tragen so dazu bei, der Gefahr vorzubeugen, dass sie wegen Übermüdung versehentlich sich selbst, ihre Kollegen oder sonstige Personen verletzen, und verhindern allgemein, dass diese Arbeit ihre Gesundheit kurzfristig oder langfristig schädigt ( 12 ). Die Richtlinie 2003/88 konkretisiert damit die allgemeinen Grundsätze, die in der Richtlinie 89/391 festgelegt sind, bei der es sich um die „Rahmenrichtlinie“ auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit am Arbeitsplatz handelt. Außerdem zielen die Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 darauf ab, den Arbeitnehmern einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verschaffen, und sichern ihnen dadurch eine gewisse Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben ( 13 ).

26.

Dementsprechend ergeben sich aus den genannten „Vorschriften“ für Arbeitgeber, einschließlich der Mitgliedstaaten, wirtschaftliche und praktische Zwänge, wenn sie in dieser Eigenschaft handeln. Insbesondere das Funktionieren wesentlicher öffentlicher Dienstleistungen, mit denen bezweckt wird, dem Allgemeininteresse zu entsprechen, und die deshalb einem Kontinuitätserfordernis unterliegen, wird dadurch komplexer. Diese Kontinuität hängt nämlich von der Verfügbarkeit einer ausreichenden Zahl aktiver Mitarbeiter für diese Dienstleistungen ab, so dass zunächst ein Spannungsverhältnis zwischen der strikten Gewährung der in der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen Rechte auf Begrenzung der Arbeitszeit und auf Ruhezeit an die betreffenden Arbeitnehmer und dem Funktionieren dieser Dienstleistungen besteht.

27.

Dieses Spannungsverhältnis ist besonders prägnant in der vorliegenden Rechtssache, deren Hintergrund das Funktionieren der Streitkräfte der Mitgliedstaaten – also besonders wichtiger Hoheitseinrichtungen – bildet.

28.

Wie die slowenische, die spanische und die französische Regierung ausgeführt haben, sind die Streitkräfte, auch wenn der Umfang der ihnen übertragenen Aufgaben von einem Mitgliedstaat zum anderen variieren kann, insoweit generell ein Kernbestandteil der Verteidigungspolitiken der Mitgliedstaaten. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die Unversehrtheit des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten sowie den Schutz der Bevölkerung und Einrichtungen dieser Mitgliedstaaten gegen bewaffnete Angriffe zu gewährleisten. Die Streitkräfte leisten darüber hinaus ganz allgemein einen Beitrag zur Bekämpfung der sonstigen Bedrohungen für deren nationale Sicherheit. In diesem Zusammenhang haben sie oftmals die Aufgabe, die Sicherheit der Bevölkerung zu garantieren und die zivilen Behörden zu unterstützen, wenn deren Mittel nicht mehr ausreichen, insbesondere im Fall einer Naturkatastrophe oder eines Attentats ( 14 ). Auch gewährleisten die Streitkräfte, dass die Mitgliedstaaten ihre Souveränität auf internationaler Ebene frei ausüben können. Insbesondere ermöglichen sie es ihnen, Verantwortung auf dem Gebiet der kollektiven Sicherheit – im Rahmen der internationalen Organisationen, denen sie angehören ( 15 ) – und auf Unionsebene – im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ( 16 ) – zu übernehmen. In diesem Zusammenhang tragen die Streitkräfte der Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Ausmaß zur Förderung und Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit bei. Alles in allem stellen die Streitkräfte das letzte Mittel der Staaten zur Verteidigung ihrer Sicherheit und zur Wahrung ihrer wesentlichen Interessen dar.

29.

Zudem ist, während die Streitkräfte – wie die slowenische, die spanische und die französische Regierung vor dem Gerichtshof hervorgehoben haben – historisch gesehen hauptsächlich zu „Zeiten eines Krieges“ unter Beteiligung des betreffenden Staates und nicht zu „Friedenszeiten“ eingriffen, allgemein anerkannt, dass diese Unterscheidung im derzeitigen geopolitischen Kontext nicht mehr angemessen ist. Obwohl es an den unmittelbaren Grenzen der Mitgliedstaaten keinen „Krieg“ im herkömmlichen Sinne gibt, führten nämlich die Entwicklung des internationalen Terrorismus, die Zunahme unterschiedlich intensiver lokaler oder regionaler Konflikte in zum Teil europanahen Drittstaaten, das Aufkommen eines durch den technologischen Wandel ermöglichten „Cyberkriegs“ sowie weitere Spannungsfaktoren zu einer dauerhaften Instabilität der internationalen Beziehungen, die sich in zahlreichen – vielfältigen, „hybriden“ und nachhaltigen – Bedrohungen für die Sicherheit der Mitgliedstaaten niederschlug. Deren Verteidigungspolitiken und insbesondere ihre Streitkräfte müssen daher eine ständige Rolle spielen, und zwar auch während der herkömmlichen „Friedenszeiten“ ( 17 ).

30.

Um ihren Aufgaben dauerhaft und wirksam nachkommen zu können, müssen die Streitkräfte der Mitgliedstaaten auch hier über die notwendigen personellen Mittel verfügen. In diesem Zusammenhang ist die Frage nach der Gestaltung der Arbeitszeit von Militärangehörigen besonders heikel, und die einschlägigen Ansätze unterscheiden sich innerhalb der Mitgliedstaaten ( 18 ).

31.

Im Wesentlichen sehen einige Mitgliedstaaten, darunter Deutschland ( 19 ), Luxemburg ( 20 ) und Slowenien ( 21 ), für die wöchentliche und tägliche Arbeitszeit der Militärangehörigen in ihren Rechtsvorschriften einen Rahmen vor, wie dies für die übrigen öffentlichen Bediensteten und Beamten der Fall ist, wobei in Anbetracht der Besonderheiten der Streitkräfte jedoch Ausnahmen für bestimmte Tätigkeiten vorbehalten sind, um deren reibungslosen Ablauf sicherzustellen. Andere Mitgliedstaaten, zu denen Spanien ( 22 ) und Italien ( 23 ) gehören, sehen solche Regelungen der Arbeitszeit vor, unterwerfen Militärangehörige aber einem ständigen Verfügbarkeitserfordernis, das den dienstlichen Erfordernissen Vorrang vor der Einhaltung dieser Regelungen gewährt. Eine letzte Gruppe von Mitgliedstaaten, darunter Frankreich und Zypern, sehen in ihren Rechtsvorschriften keine Begrenzung der Arbeitszeit der Militärangehörigen vor, da diese Mitgliedstaaten ein weites Verständnis der Verfügbarkeit ihrer Militärangehörigen haben, die naturgemäß jeglicher Deckelung der Dienstzeit entgegenstehe.

32.

Genauer gesagt gebieten Kontinuität und Effektivität der Streitkräfte nach Ansicht der französischen Regierung einen Organisationsmodus, der mit einem System wie dem in der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen, das auf einer individuellen Erfassung der Arbeitszeit sowie der obligatorischen täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten beruht, unvereinbar ist. Die ordnungsgemäße Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben erfordere die Schaffung eines spezifischen Rahmens für die Gestaltung der Dienstzeit von Militärangehörigen, der ausreichende Flexibilität aufweise, um deren Gesundheitsschutz und Sicherheit einerseits und die operativen Erfordernisse, die absolute Priorität hätten, andererseits miteinander in Einklang zu bringen. Es müsse daher Sache der Führung sein, nach Maßgabe dieser Erfordernisse über die Dienststunden sowie die Ruhe- und Urlaubszeiten (oder genauer gesagt den „Ausgang“) der Militärangehörigen zu entscheiden und gleichzeitig so gut als möglich für das Wohlergehen und die Sicherheit der Truppen zu sorgen.

33.

Wie die französische Regierung hervorhebt, wird überdies der Grundsatz der ständigen Verfügbarkeit, der in der Verpflichtung der Militärangehörigen zum Ausdruck komme, „jederzeit und an jedem Ort“ zu dienen, speziell in Frankreich nicht nur als unerlässliche Voraussetzung für die Erfüllung der Aufgaben der Streitkräfte, sondern auch als Identitätsmerkmal verstanden, das Militärangehörige von Zivilisten unterscheide. Den mit dieser ständigen Verpflichtung verbundenen Zwängen stünden Gegenleistungen gegenüber wie beispielsweise eine hohe Zahl von Urlaubstagen oder eine Vorruhestandsregelung, die großzügiger sei als die für andere Arbeitnehmer. Es werde häufig vertreten, dass die Anwendung der Regeln der Richtlinie 2003/88 auf Militärangehörige den Verfügbarkeitsgrundsatz in Frage stellen und damit zu einer gewissen „Banalisierung“ des Militärberufs beitragen würde, wenn dieser der Arbeit ziviler Beamter angenähert und ihm dadurch seine Singularität genommen würde ( 24 ).

34.

Bevor ich mich den Fragen zuwende, die das vorlegende Gericht in diesem heiklen Kontext gestellt hat (Abschnitte B und C), muss ich mich kurz mit ihrer Zulässigkeit befassen (Abschnitt A).

A.   Zulässigkeit

35.

Gegenstand der Klage, die B. K. gegen die Republik Slowenien (Verteidigungsministerium) erhoben hat, ist wie gesagt die Vergütung der Bereitschaftsdienststunden, die er im Rahmen der während seines Dienstes ausgeführten Wachtätigkeit geleistet hat, als Vergütung für Überstunden. Wie ich in Nr. 25 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, zielen die in der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen Arbeitszeitvorschriften jedoch auf den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer ab. Grundsätzlich ( 25 ) wird eine solche vermögensrechtliche Frage ( 26 ) daher nicht durch diese Richtlinie geregelt.

36.

Daraus ergibt sich aber nicht, dass die vorliegenden Vorabentscheidungsfragen unzulässig sind. Das vorlegende Gericht vertritt nämlich die Ansicht, dass es für die Bestimmung der Vergütung, die B. K. für die im Rahmen der Wachtätigkeit geleisteten Stunden hätte gezahlt werden müssen, und damit für die Entscheidung über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit darauf ankomme, ob diese Stunden zur Gänze „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 darstellten. Offenkundig geht das vorlegende Gericht davon aus, dass die Fragen nach der Anwendung der Richtlinie 2003/88 auf Militärangehörige und der Einstufung der von diesen im Wachdienst verbrachten Zeit im Sinne der erwähnten Richtlinie eine Vorfrage für die Frage nach dem Bestehen eines Rechts auf die von B. K. geforderte Zusatzvergütung darstellen. Unter diesen Umständen besteht ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen den gestellten Fragen und der Ausgangsrechtssache ( 27 ).

B.   Anwendbarkeit der Richtlinie 2003/88 auf Militärangehörige (erste Frage)

37.

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 2003/88 auf die „im Verteidigungsbereich tätigen Bediensteten“ bzw. „Militärangehörige“ anwendbar ist. Nach meinem Verständnis schließt die erste Gruppe die zweite ein, erfasst gleichzeitig aber auch das beim slowenischen Verteidigungsministerium beschäftigte zivile Personal ( 28 ). Gleichwohl ist diese Frage für den Ausgangsrechtsstreit nur in Bezug auf Militärangehörige relevant. Somit hat sich die Würdigung vorrangig mit dieser Personengruppe zu befassen. Auch wenn die Frage auf die Bewachung militärischer Einrichtungen „zu Friedenszeiten“ abstellt, ist darüber hinaus zunächst zu fragen, ob die Richtlinie 2003/88 generell für Militärangehörige gilt, bevor anschließend gegebenenfalls untersucht wird, ob speziell der Wachdienst davon ausgeschlossen ist.

38.

Wie ich in der Einleitung der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, bin ich der Meinung, dass die Richtlinie 2003/88 grundsätzlich auf Militärangehörige anwendbar ist. Nationale Maßnahmen zur Organisation der Streitkräfte der Mitgliedstaaten sind vom Anwendungsbereich des Unionsrechts nämlich nicht gänzlich ausgeschlossen (Abschnitt 1). Überdies sind Militärangehörige „Arbeitnehmer“ im Sinne dieser Richtlinie (Abschnitt 2), und die Streitkräfte gehören zu den von ihr erfassten Tätigkeitsbereichen (Abschnitt 3). Allerdings kommen Militärangehörige nicht in den Genuss der Vorschriften der Richtlinie, wenn sie an bestimmten „spezifischen Tätigkeiten“ dieser Streitkräfte teilnehmen (Abschnitt 4), zu denen eine Tätigkeit wie der Wachdienst in militärischen Einrichtungen grundsätzlich nicht gehört (Abschnitt 5).

1. Nationale Maßnahmen zur Organisation der Streitkräfte sind vom Anwendungsbereich des Unionsrechts nicht gänzlich ausgeschlossen

39.

In der mündlichen Verhandlung haben die spanische und die französische Regierung vorgetragen, in den Arbeitszeitvorschriften für Militärangehörige kämen Entscheidungen hinsichtlich der militärischen Organisation zum Ausdruck, die jeder Mitgliedstaat mit dem Ziel treffe, die Verteidigung seines Hoheitsgebiets und seiner wesentlichen Interessen sicherzustellen. Diese Maßnahmen seien daher gemäß Art. 4 Abs. 2 EUV vollständig vom Unionsrecht ausgeschlossen ( 29 ).

40.

In meinen Augen ist das aus folgenden Gründen nicht der Fall.

41.

Erstens berührt die Organisation der Streitkräfte der Mitgliedstaaten unbestreitbar deren „nationale Sicherheit“ im Sinne von Art. 4 Abs. 2 EUV. Im Rahmen der Verteidigungspolitiken, die die Streitkräfte durchführen, stellen sie ein diese „Sicherheit“ gewährleistendes Element dar ( 30 ). Wie diese Vorschrift klarstellt, fällt die nationale Sicherheit weiterhin in die alleinige Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten. Mit dieser Klarstellung wird unterstrichen, dass der Union zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinerlei Zuständigkeit u. a. für Verteidigungsangelegenheiten übertragen worden ist ( 31 ). Folglich ist es entsprechend der ausschließlichen Zuständigkeit, über die sie insoweit verfügen, Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer nationalen Sicherheit zu erlassen und in diesem Rahmen Vorkehrungen für die Organisation ihrer Streitkräfte zu treffen.

42.

Dennoch sind solche Maßnahmen vom Anwendungsbereich des Unionsrechts nicht gänzlich ausgeschlossen. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs „kann die bloße Tatsache, dass eine nationale Maßnahme zum Schutz der nationalen Sicherheit getroffen wurde, [nämlich] nicht zur Unanwendbarkeit des Unionsrechts führen und die Mitgliedstaaten von der erforderlichen Beachtung dieses Rechts entbinden“ ( 32 ).

43.

Daher gelten das Unionsrecht und insbesondere die Rechtsakte des abgeleiteten Rechts zur Durchführung der Politiken, für die die Union eine Zuständigkeit besitzt – im sozialen Bereich, auf dem Gebiet der Gleichbehandlung usw. –, unter den von ihnen festgelegten Bedingungen erst einmal auch für nationale Maßnahmen zur Organisation der Streitkräfte und können in diesem Rahmen gewisse Grenzen setzen, die von den Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit in der Angelegenheit beachtet werden müssen ( 33 ).

44.

Entgegen dem Vorbringen der französischen Regierung stellt das Urteil Dory ( 34 ) diese Auslegung nicht in Frage. Aus diesem Urteil lässt sich nämlich nicht ableiten, dass nationale Maßnahmen zur Organisation der Streitkräfte dem Anwendungsbereich des Unionsrechts vollständig entzogen wären.

45.

Die Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, betraf die deutsche Regelung über die Männern vorbehaltene Wehrpflicht. Um von ihr befreit zu werden, trug Herr Dory vor, diese Regelung bedinge eine gegen die Richtlinie 76/207 verstoßende Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beim Zugang zur Beschäftigung und zur Berufsbildung. Die Ableistung des Wehrdiensts habe bei Männern nämlich einen verspäteten Zugang zur Folge – eine Verspätung, die Frauen nicht erlitten, da sie von diesem Dienst befreit seien. Der Gerichtshof hat im Wesentlichen entschieden, dass das Unionsrecht einen Mitgliedstaat nicht daran hindert, die Wehrpflicht Männern vorzubehalten. Die Gründe des erwähnten Urteils, ausgelegt im Licht der Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl ( 35 ), spiegeln die Erläuterungen wider, die in den Nrn. 41 bis 43 der vorliegenden Schlussanträge gegeben worden sind. Zum einen wurde die Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland, eine Wehrpflicht zur Grundlage der Personalstärke ihrer Streitkräfte zu machen, als solche nicht durch das Unionsrecht geregelt – es handelte sich dabei um eine reine Frage der militärischen Organisation, die in die ausschließliche Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten fällt ( 36 ). Zum anderen setzte keine Verpflichtung aus dem Unionsrecht der Ausübung dieser Zuständigkeit in jenem Fall Grenzen. Der Zusammenhang zwischen der nationalen Regelung über den Wehrdienst und dem in der Richtlinie 76/207 vorgesehenen Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts war für eine Anwendbarkeit der Richtlinie nämlich zu schwach, da sich die besagte Regelung allenfalls indirekt auf den Zugang zur Beschäftigung und zur Berufsbildung in Deutschland auswirkte ( 37 ).

46.

Zweitens ist ebenfalls unbestreitbar, dass die Streitkräfte, wie die französische Regierung geltend gemacht hat, unter die „grundlegenden Funktionen des Staates, insbesondere die Wahrung der territorialen Unversehrtheit … und den Schutz der nationalen Sicherheit“, im Sinne von Art. 4 Abs. 2 EUV fallen. Nach dieser Vorschrift muss die Union diese grundlegenden staatlichen Funktionen „achten“ ( 38 ).

47.

Gleichwohl bedeutet das auch hier nicht, dass die von den Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen zur Organisation ihrer Streitkräfte dem Anwendungsbereich des Unionsrechts vollständig entzogen wären. Die von der Union geschuldete „Achtung“ der „grundlegenden Funktionen des Staates“ schränkt nämlich nicht den Anwendungsbereich dieses Rechts ein, sondern ist gebührend zu berücksichtigen, insbesondere bei Erlass ( 39 ) und Auslegung von Rechtsakten des abgeleiteten Rechts wie der Richtlinie 2003/88, da die Anwendung solcher Rechtsakte nach dem genannten Art. 4 Abs. 2 nicht den reibungslosen Ablauf dieser „grundlegenden Funktionen“ behindern darf ( 40 ).

48.

Zusammenfassend kann das Unionsrecht, wie die deutsche Regierung und die Kommission geltend gemacht haben, auf die Arbeitszeitgestaltung für Militärangehörige Anwendung finden, auch wenn diese Frage die Organisation der Streitkräfte und damit die „nationale Sicherheit“ und die „grundlegenden Funktionen des Staates“ im Sinne von Art. 4 Abs. 2 EUV berührt. Das Unionsrecht kann jedoch nicht in einer Weise ausgelegt und angewandt werden, die das ordnungsgemäße Funktionieren der Streitkräfte beeinträchtigen würde – diesen Gedanken werde ich in den folgenden Abschnitten weiter ausführen.

2. Berufssoldaten sind „Arbeitnehmer“ im Sinne der Richtlinie 2003/88

49.

Die Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 sollen, wie in ihr mehrfach zum Ausdruck gebracht wird ( 41 ), den „Arbeitnehmern“ zugutekommen. Aus meiner Sicht gehören Berufssoldaten wie B. K. unbestreitbar zur Gruppe der Arbeitnehmer ( 42 ).

50.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist der Arbeitnehmerbegriff im Sinne der Richtlinie 2003/88 nämlich ein eigenständiger Begriff des Unionsrechts, der anhand objektiver Kriterien, die das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen, definiert worden ist. In diesem Zusammenhang besteht das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält ( 43 ).

51.

Berufssoldaten erbringen während einer bestimmten Zeit verschiedene Leistungen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung – insbesondere ihren Sold – erhalten. Darüber hinaus sind Militärangehörige durch ein zwingendes Disziplinerfordernis gebunden, das u. a. die Befolgung von Verhaltensregeln, militärischen Vorschriften und Befehlen der Vorgesetzten ( 44 ) – also eine extreme Ausdrucksform des jedes Arbeitsverhältnis kennzeichnenden Unterordnungsverhältnisses – einschließt.

52.

Ich möchte klarstellen, dass Berufssoldaten „Arbeitnehmer“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 sind, unabhängig davon, ob sie in ihren jeweiligen Mitgliedstaaten vertraglich an die Streitkräfte gebunden sind oder den Status von Beamten haben ( 45 ). Selbst wenn Militärangehörige nach nationalem Recht einen Status sui generis haben ( 46 ), sind sie für die Zwecke dieser Richtlinie als Arbeitnehmer zu betrachten ( 47 ).

3. Streitkräfte gehören zu den von der Richtlinie 2003/88 erfassten Tätigkeitsbereichen

53.

Wie aus Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88 hervorgeht, ist der Anwendungsbereich dieser Richtlinie im Wesentlichen durch Verweis auf Art. 2 der Richtlinie 89/391 festgelegt, der den Anwendungsbereich der letzteren Richtlinie beschreibt. Beide Rechtsakte haben somit grundsätzlich den gleichen Anwendungsbereich ( 48 ), abgesehen davon, dass die Richtlinie 2003/88 – anders als die Richtlinie 89/391 – keine „Seeleute“ erfasst, für die speziell die Richtlinie 1999/63 gilt. Diese Ausnahme ist für die vorliegende Rechtssache jedoch irrelevant ( 49 ). Für die Feststellung, ob die Richtlinie 2003/88 Anwendung auf Militärangehörige findet, ist folglich zu prüfen, ob diese unter die Richtlinie 89/391 fallen.

54.

Gemäß ihrem Art. 2 Abs. 1 findet die Richtlinie 89/391 Anwendung auf „alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche“, zu denen „dienstleistungsbezogene Tätigkeiten“ gehören.

55.

Im vorliegenden Fall führen die Streitkräfte der Mitgliedstaaten eine solche „Tätigkeit“ aus, da sie eine öffentliche Dienstleistung – die der Verteidigung – erbringen ( 50 ). Diese Kräfte gehören somit zu den im erwähnten Art. 2 Abs. 1 genannten „öffentlichen Tätigkeitsbereichen“.

4. Militärangehörige sind von den Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 ausgeschlossen, wenn sie an bestimmten „spezifischen Tätigkeiten“ der Streitkräfte teilnehmen

56.

Allerdings sieht Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 eine Ausnahme von ihrem Anwendungsbereich vor. Danach findet diese Richtlinie keine Anwendung, „soweit dem Besonderheiten bestimmter spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, z. B. bei den Streitkräften oder der Polizei, oder bestimmter spezifischer Tätigkeiten bei den Katastrophenschutzdiensten zwingend entgegenstehen“. Abs. 2 Unterabs. 2 stellt gleichwohl klar, dass in diesen Fällen unter Berücksichtigung der Ziele der Richtlinie eine größtmögliche Sicherheit und ein größtmöglicher Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewährleistet werden müssen.

57.

Die slowenische ( 51 ), die spanische und die französische Regierung tragen vor, diese Ausnahme, die durch Verweis auf die Richtlinie 2003/88 gelte, ermögliche es den Mitgliedstaaten, alle Militärangehörigen ihrer Streitkräfte dauerhaft vom Anwendungsbereich der letztgenannten Richtlinie auszuschließen ( 52 ).

58.

Ich für meinen Teil bin wie die deutsche Regierung und die Kommission der Ansicht, dass Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 die Mitgliedstaaten nicht berechtigt, sämtliche Militärangehörigen dauerhaft von der Anwendung der Bestimmungen dieser Richtlinie oder denen der Richtlinie 2003/88 auszuschließen (Abschnitt a). Das geht meines Erachtens aus dem Wortlaut und dem mit dieser Vorschrift verfolgten Ziel, das im Licht des Kontexts zu sehen ist, in den sie sich einfügt, sowie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, die nützliche Anhaltspunkte liefert.

a) Die Mitgliedstaaten können nicht sämtliche Militärangehörigen dauerhaft von der Anwendung der Bestimmungen der Richtlinien 89/391 und 2003/88 ausschließen

59.

Erstens bezieht sich der Wortlaut von Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 nicht auf Militärangehörige oder die Streitkräfte als solche, sondern auf „bestimmte spezifische Tätigkeiten“ bei den Streitkräften ( 53 ). Das vom Unionsgesetzgeber in dieser Vorschrift verwendete Kriterium beruht somit nicht auf der Zugehörigkeit der Militärangehörigen zum „Tätigkeitsbereich“ der Streitkräfte als Ganzes. Die genannte Vorschrift bezieht sich auch nicht auf die gesamte „Tätigkeit“ der Streitkräfte – im Sinne der öffentlichen Dienstleistung der Verteidigung ( 54 ). Der erwähnte Begriff bezeichnet genauer „Aufgaben“ oder, anders gesagt, „Aufträge“, die von den Militärangehörigen im Rahmen ihrer Funktionen ausgeführt werden. Außerdem sind nicht alle von Militärangehörigen wahrgenommenen Aufgaben gemeint, sondern nur „bestimmte spezifische“ Aufgaben ( 55 ).

60.

Zweitens erinnere ich daran, dass Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 eine allgemeine Abweichung von den Bestimmungen dieser Richtlinie und damit von denen der Richtlinie 2003/88 gestattet, soweit „Besonderheiten“ der betreffenden Tätigkeiten, einschließlich der von Militärangehörigen ausgeübten, einer Anwendung der genannten Bestimmungen „zwingend“ entgegenstehen – oder anders ausgedrückt, soweit diese Tätigkeiten nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden könnten, falls die besagten Bestimmungen Anwendung finden müssten.

61.

Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, soll mit dieser Vorschrift somit den Notwendigkeiten bestimmter Gemeinwohlaufgaben, die zu den „grundlegenden Funktionen des Staates“ ( 56 ) gehören, wie sie in Art. 4 Abs. 2 EUV vorgesehen sind, darunter bestimmte von Militärangehörigen wahrgenommene Aufträge, Rechnung getragen werden. Offenkundig wollte der Unionsgesetzgeber dafür Sorge tragen, dass die Richtlinie 89/391 keinen Rahmen aufzwingt, der die ordnungsgemäße Erfüllung dieser Aufgaben verhindert ( 57 ). Wie die französische Regierung geltend macht, stellt Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie mithin die „Achtung“ der erwähnten „grundlegenden Funktionen“, zu denen die Streitkräfte gehören ( 58 ), durch die Union sicher und muss daher im Licht des genannten Art. 4 Abs. 2 ausgelegt werden.

62.

Gleichwohl dürfen wir drittens nicht die Bedeutung der individuellen Rechte, von denen gemäß Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 abgewichen werden darf, aus dem Blick verlieren. Die in den Richtlinien 89/391 und 2003/88 vorgesehenen allgemeinen Grundsätze und Mindestvorschriften auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit am Arbeitsplatz sollen insoweit Mindestgarantien darstellen, in deren Genuss „jeder Arbeitnehmer“ allein wegen dieses Status kommt, unabhängig davon, in welchem Tätigkeitsbereich er tätig ist ( 59 ). Daher ist der Anwendungsbereich beider Richtlinien mit Absicht ausgesprochen weit definiert. Dieser weite Anwendungsbereich steht im Übrigen im Einklang mit den der Union übertragenen Zuständigkeiten ( 60 ). Die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie deren Angleichung auf dem Wege des Fortschritts ist sogar ein Ziel der Union ( 61 ). Daher hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass u. a. die Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 über die Höchstarbeitszeit und die Mindestruhezeit oder aber den bezahlten Jahresurlaub „Regel[n] des Sozialrechts der Union [sind], die besondere Bedeutung [haben]“ ( 62 ). Überdies werden der Gesundheitsschutz und die Sicherheit am Arbeitsplatz, das Recht auf faire Arbeitsbedingungen, das Recht auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit oder auch das Recht auf Erholung in verschiedenen internationalen Rechtsinstrumenten ( 63 ) und – auf der Ebene des Unionsrechts – in der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989 ( 64 ) sowie in Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) – die wiederum für „Arbeitnehmer“ allgemein, einschließlich Militärangehörige, gelten – in den Rang von Grundrechten erhoben ( 65 ).

63.

In diesem Zusammenhang ist die in Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 enthaltene Ausnahme, wie der Gerichtshof entschieden hat, so auszulegen, dass sie ihre Tragweite auf das beschränkt, was „zur Wahrung der Interessen, die sie den Mitgliedstaaten zu schützen erlaubt, unbedingt erforderlich ist“ ( 66 ).

64.

Wie auch die französische Regierung geltend gemacht hat, belässt Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391, ausgelegt im Licht von Art. 4 Abs. 2 EUV, den Mitgliedstaaten meines Erachtens allerdings einen Ermessensspielraum, um festzulegen, was ihnen in ihrem nationalen Kontext zur Erfüllung der den Streitkräften übertragenen Aufgaben und damit zum Schutz ihrer nationalen Sicherheit und zum reibungslosen Ablauf ihrer „grundlegenden Funktionen“„unbedingt erforderlich“ erscheint ( 67 ).

65.

Wie die slowenische, die deutsche und die französische Regierung festgestellt haben, besitzen die Mitgliedstaaten nämlich ein unterschiedliches Verständnis ihrer Streitkräfte, das durch historische Gründe ( 68 ), ihre geografischen Verhältnisse und ganz allgemein durch die spezifischen Bedrohungen erklärbar ist, denen sie jeweils ausgesetzt sind. Außerdem sind einige von ihnen weiter gehende internationale Verpflichtungen eingegangen, die ihnen besondere Verantwortung im Bereich der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit auferlegen, und erfüllen deshalb anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten ( 69 ). Diese Unterschiede spiegeln sich zwangsläufig in einem gewissen Maße in der Organisation der Streitkräfte und im Status der Militärangehörigen der Mitgliedstaaten wider.

66.

Gleichwohl gibt Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 den Mitgliedstaaten selbst dann, wenn er im Licht von Art. 4 Abs. 2 EUV ausgelegt wird, nicht die Befugnis, durch bloße Berufung auf ihre Interessen der nationalen Sicherheit von den Bestimmungen dieser Richtlinie oder der Richtlinie 2003/88 abzuweichen. Meines Erachtens muss ein Mitgliedstaat, der sich auf diese Ausnahme beruft, nachweisen, dass ihre Inanspruchnahme für ihn „unbedingt erforderlich“ ist. Er muss daher nachweisen, dass eine Anwendung der Bestimmungen der einen und/oder der anderen Richtlinie auf seine Militärangehörigen dem Erfordernis des Schutzes dieser Interessen nicht hätte gerecht werden können ( 70 ).

67.

Im vorliegenden Fall machen die slowenische, die spanische und die französische Regierung im Wesentlichen geltend, dass alle den Streitkräften übertragenen Aufgaben entsprechend ihrer Rolle als letztes Mittel für die nationale Sicherheit ( 71 ) kontinuierlich wahrgenommen werden müssten. Insbesondere müssten die Streitkräfte jederzeit in der Lage sein, auf Bedrohungen der nationalen Sicherheit zu reagieren. Militärangehörige müssten den Streitkräften somit ständig zur Verfügung stehen, damit diese sofort einsatzbereit seien. Außerdem setzten sowohl der Erfolg solcher Einsätze als auch die Notwendigkeit, die Militärangehörigen selbst zu schützen, voraus, dass diese angemessen ausgebildet und geschult seien. Hierfür sei eine Abweichung von den Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 erforderlich ( 72 ). Die französische Regierung fügt hinzu, dass das Kontinuitätserfordernis auch im Rahmen der Aufgaben der Verhütung und Antizipation von Bedrohungen zum Ausdruck komme, da Militärangehörige – zumindest in einigen Mitgliedstaaten – ständig einsatzbereit seien, um die Luftverteidigung und die Verteidigung der Grenzen des Staatsgebiets sicherzustellen, oder aber im Rahmen von Überwachungstätigkeiten. Im derzeitigen geopolitischen Kontext sei diese Kontinuität von umso größerer Bedeutung ( 73 ).

68.

Meines Erachtens ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Streitkräfte einem besonders zwingenden Kontinuitätserfordernis unterliegen. Allerdings sind die Kontinuität und der Verfügbarkeitsgrad der Bediensteten, die sie bedingt, keine spezifische Eigenschaft der Streitkräfte. Jede öffentliche Dienstleistung muss nämlich kontinuierlich und regelmäßig funktionieren ( 74 ).

69.

Zwar kann das Erfordernis der Kontinuität der öffentlichen Dienstleistungen insbesondere in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit und öffentliche Ordnung rechtfertigen, dass dem Personal dieser Dienste bestimmte Rechte vorenthalten bleiben, die Arbeitnehmern ansonsten zuerkannt werden, wie beispielsweise das Streikrecht ( 75 ); der Gerichtshof hat jedoch wiederholt entschieden, dass dieses Erfordernis einer Anwendung der Bestimmungen der Richtlinien 89/391 und 2003/88 auf das betreffende Personal grundsätzlich nicht entgegensteht ( 76 ).

70.

Es ist nämlich, viertens, darauf hinzuweisen, dass, selbst wenn diese Dienste Ereignisse bewältigen müssen, die naturgemäß nicht vorhersehbar sind, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die unter gewöhnlichen Umständen damit verbundenen Tätigkeiten, die im Übrigen der ihnen übertragenen Aufgabe entsprechen, einschließlich der Vorbeugung von Gefahren für die Sicherheit und/oder die Gesundheit sowie der Arbeitszeiten des Personals, im Voraus planbar sind ( 77 ). Mit anderen Worten geht der Gerichtshof davon aus, dass das Erfordernis des kontinuierlichen Funktionierens der genannten Dienste grundsätzlich unter Einhaltung der Bestimmungen der Richtlinien 89/391 und 2003/88 gesichert werden kann, u. a. indem Tätigkeiten geplant und Personalrotationen vorgesehen werden, und dass die mit dieser Planung für den Arbeitgeber verbundenen Zwänge geringeres Gewicht haben als die Rechte der betreffenden Arbeitnehmer auf Gesundheitsschutz und Sicherheit ( 78 ).

71.

Gemäß dieser Rechtsprechung ist dies anders zu beurteilen, wenn die Tätigkeiten unter „außergewöhnlichen Umständen“ wie Natur- oder Technologiekatastrophen, Attentaten oder schweren Unglücksfällen erfolgen. In diesem Fall ist die Anwendung von Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 auf Dienste im Bereich der öffentlichen Gesundheit, Sicherheit und Ordnung für den Gerichtshof gerechtfertigt. Der Gerichtshof erkennt an, dass die ordnungsgemäße Durchführung und insbesondere die Kontinuität ihrer Aufgaben in Frage gestellt wäre, wenn alle Vorschriften der Richtlinien 89/391 und 2003/88 beachtet werden müssten. Er erkennt darüber hinaus an, dass Arbeitnehmer aufgrund dieser Umstände nicht zu vernachlässigenden Gefahren für ihre Sicherheit und/oder Gesundheit ausgesetzt sein könnten und dass es nicht vernünftig wäre, den Arbeitgeber in Bezug auf die beteiligten Arbeitnehmer zu einer wirksamen Prävention von Berufsrisiken und einer Arbeitszeitplanung unter Einhaltung der genannten Vorschriften zu verpflichten ( 79 ).

72.

Auch wenn diese Rechtsprechung nach meinem Dafürhalten in Bezug auf Militärangehörige angepasst werden muss, wie ich in den Nrn. 78 ff. der vorliegenden Schlussanträge erläutern werde, ergibt sich aus ihr dennoch, dass das Erfordernis der Kontinuität des Funktionierens der Streitkräfte allein nicht die Notwendigkeit erweist, sämtliche Militärangehörigen dauerhaft von der Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 – oder der Richtlinie 89/391 – auszuschließen.

73.

Diese Auslegung wird durch das Urteil Sindicatul Familia Constanţa u. a. ( 80 ), in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass „bestimmte besondere Tätigkeiten des öffentlichen Dienstes, selbst wenn sie unter normalen Bedingungen ausgeübt werden, so spezifische Merkmale aufweisen, dass ihre Art zwingend einer die Vorgaben der Richtlinie 2003/88 beachtenden Arbeitsplanung entgegensteht“ ( 81 ), nicht in Frage gestellt.

74.

Aus diesem Urteil lässt sich meines Erachtens nämlich nicht ableiten, dass alle Militärangehörigen dauerhaft von einer Inanspruchnahme der Bestimmungen der besagten Richtlinie ausgeschlossen werden könnten. Die Urteilsbegründung ist im Rahmen der Rechtssache zu verstehen, in der dieses Urteil ergangen ist. Diese bezog sich auf die Aufgabe von Pflegeeltern, durchgängig und auf lange Zeit angelegt ein besonders verletzliches Kind in ihrem Haushalt und ihrer Familie zu betreuen. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass es mit der Aufgabe von Pflegeeltern unvereinbar wäre, wenn ihnen in regelmäßigen Abständen das Recht gewährt würde, sich von den bei ihnen untergebrachten Kindern nach einer bestimmten Zahl von Arbeitsstunden oder an wöchentlichen oder jährlichen Ruhetagen zu trennen. Es war auch nicht angemessen, ein Rotationssystem unter Pflegeeltern einzuführen, da ein solches System u. a. die Verbindung zwischen ihnen und dem ihnen anvertrauten Kind beeinträchtigt hätte ( 82 ).

75.

Alles in allem handelt es sich bei dem in diesem Urteil erfassten Tatbestand um den sehr speziellen Fall einer Tätigkeit, die grundsätzlich nur von ein und demselben Arbeitnehmer erfüllt werden kann. Dies kann somit nicht auf sämtliche Militärangehörigen eines Mitgliedstaats übertragen werden. Während die Streitkräfte als Kollektiv ihre Tätigkeit kontinuierlich ausführen müssen, gilt das nicht zwangsläufig für jeden der Militärangehörigen, aus denen sie bestehen ( 83 ).

76.

Abgesehen davon eignen sich einige der von Militärangehörigen ausgeführten Tätigkeiten, wie ich in den Nrn. 86 ff. der vorliegenden Schlussanträge erläutern werde, ihrer Art nach tatsächlich nicht für eine Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie 2003/88. Das Urteil Sindicatul Familia Constanţa u. a. ( 84 ) könnte es auch rechtfertigen, bestimmte Militärangehörige dauerhaft vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie auszuschließen. Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, könnten bestimmte Militärangehörige nämlich in hochqualifizierten Bereichen oder in solchen eingesetzt werden, die eine hohe Vertraulichkeitseinstufung erfordern, was bedeutet, dass sie nur schwer ersetzt werden können ( 85 ). Auch lässt sich nicht ausschließen, dass lediglich bestimmte Eliteeinheiten, die beispielsweise zu den Spezialkräften der Mitgliedstaaten gehören, als einzige bestimmte Fähigkeiten besitzen und auf bestimmte Arten von Aufgaben besonders spezialisiert sind, so dass ihre Mitglieder wiederum nur schwer ersetzbar sind ( 86 ).

77.

Daraus folgt, dass Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 die Mitgliedstaaten nicht berechtigt, alle Militärangehörigen dauerhaft von den Bestimmungen dieser Richtlinie oder denen der Richtlinie 2003/88 auszuschließen ( 87 ). Beide Richtlinien gelten grundsätzlich auch für Militärangehörige ( 88 ). Nur bestimmte „spezifische Tätigkeiten“ der Streitkräfte, deren Besonderheiten einer Anwendung der Bestimmungen dieser beiden Richtlinien zwingend entgegenstehen, sind davon ausgeschlossen.

78.

Wie die deutsche Regierung geltend macht, ist bei der Anwendung dieser Richtlinien somit zwischen den verschiedenen Tätigkeiten von Militärangehörigen zu unterscheiden ( 89 ). Auch wenn, wie ich zuvor ausgeführt habe, die bestehende, zwischen „normalen Bedingungen“ und „außerordentlichen Umständen“ unterscheidende Rechtsprechung des Gerichtshofs in Bezug auf Militärangehörige angepasst werden muss, liefert sie gleichwohl nützliche Hinweise.

79.

Ich möchte vorab klarstellen, dass es nicht darum geht, Tätigkeiten, die Militärangehörige zu „Friedenszeiten“ ausüben, solchen gegenüberzustellen, die sie zu „Kriegszeiten“ ausführen.

80.

Im Fall der Kriegserklärung seitens eines Mitgliedstaats oder bei ernsten, eine Kriegsgefahr darstellenden internationalen Spannungen wäre dieser Mitgliedstaat selbstverständlich berechtigt, unter solch „außergewöhnlichen Umständen“ von den Richtlinien 89/391 und 2003/88 abzuweichen. Die in Art. 2 Abs. 2 der ersteren Richtlinie vorgesehene Ausnahme ist jedoch nicht auf einen solchen Fall beschränkt ( 90 ). Insoweit teile ich die Auffassung der Regierungen, die vor dem Gerichtshof vertreten waren, dass der Gegensatz zwischen „Friedenszeiten“ und „Kriegszeiten“ für das Funktionieren der Streitkräfte im derzeitigen geopolitischen Kontext nicht mehr entscheidend ist ( 91 ).

81.

Tatsächlich sollte, wie die deutsche Regierung vorschlägt, der „Grundbetrieb“, auf den die Richtlinien 89/391 und 2003/88 anwendbar sind (Abschnitt b), nach meinem Dafürhalten von den eigentlich „spezifischen Tätigkeiten“ der Streitkräfte, insbesondere Tätigkeiten im Rahmen militärischer Einsätze und der operativen Vorbereitung, die davon ausgeschlossen sind (Abschnitt c), getrennt werden. Eine solche Auslegung ermöglicht meines Erachtens in der Regel einen angemessenen Ausgleich zwischen den Anforderungen dieser beiden Richtlinien einerseits und dem Schutz der nationalen Sicherheit der Mitgliedstaaten sowie dem reibungslosen Ablauf ihrer „grundlegenden Funktionen“ im Sinne von Art. 4 Abs. 2 EUV andererseits (Abschnitt d). Es lässt sich jedoch nicht ausschließen, dass ein Mitgliedstaat nachweist, dass die besonderen Zwänge, denen seine Streitkräfte unterliegen, eine weiter gehende Ausnahme von der Richtlinie 2003/88 rechtfertigen (Abschnitt e).

b) Der „Grundbetrieb“, auf den die Richtlinien 89/391 und 2003/88 Anwendung finden

82.

Wie die deutsche Regierung geltend gemacht hat, haben Militärangehörige unter „normalen Bedingungen“ jeden Tag eine Vielzahl von Tätigkeiten auszuführen, die oftmals mit denen ziviler Beamter identisch oder vergleichbar sind und nicht mehr als jene „Besonderheiten“ aufweisen, die einer Anwendung der Bestimmungen der Richtlinien 89/391 und 2003/88 zwingend entgegenstehen. Im Rahmen dieser Richtlinien müssen sie somit gleich behandelt werden. In einer solchen Situation gäbe es nämlich keine Rechtfertigung dafür, dass Militärangehörige in höherem Maße als zivile Beamte Risiken für Gesundheit und Sicherheit ausgesetzt wären.

83.

Wenn Militärangehörige ihre gewöhnlichen Aufgaben – seien es Wartungs‑, Verwaltungs- und Ausbildungsaufgaben oder, wie ich in den Nrn. 102 ff. der vorliegenden Schlussanträge ausführen werde, Wach‑, Überwachungs- und Bereitschaftstätigkeiten – an ihrem üblichen Dienstort wahrnehmen, können diese Aufgaben insoweit im Vorfeld organisiert werden, einschließlich was die Verhütung von Gefahren für die Sicherheit und/oder Gesundheit sowie die Arbeitszeiten des Personals betrifft. Außerdem sind Zwänge im Zusammenhang mit der Verfügbarkeit dieses Personals zur Sicherstellung der Kontinuität des Dienstes, wie die deutsche Regierung geltend macht, grundsätzlich nicht unüberwindbar.

84.

In diesem Fall muss der Arbeitgeber zum einen die in der Richtlinie 89/391 aufgestellten allgemeinen Grundsätze – Verhütung berufsbedingter Gefahren, Abschätzung nicht vermeidbarer Risiken, Gefahrenbekämpfung an der Quelle, Berücksichtigung des Faktors „Militär“ bei der Arbeit usw. – beachten ( 92 ).

85.

Zum anderen finden auch die in der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen Arbeitszeitvorschriften Anwendung. Insbesondere muss für Militärangehörige eine die Grenzen dieser Richtlinie beachtende tägliche und wöchentliche Arbeitszeit festgelegt werden. Gleichwohl sieht diese Richtlinie Möglichkeiten spezifischer Abweichungen vor, die entgegen dem Vorbringen der französischen Regierung für den „Grundbetrieb“ der Militärangehörigen relevant sind. Ich denke insbesondere an Art. 17 Abs. 3 Buchst. b und c der Richtlinie, der es gestattet, für „den Wach- und Schließdienst sowie die Dienstbereitschaft, die durch die Notwendigkeit gekennzeichnet sind, den Schutz von Sachen und Personen zu gewährleisten“ bzw. bei „Tätigkeiten, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Kontinuität des Dienstes … gewährleistet sein muss“, von verschiedenen in der Richtlinie vorgesehenen Rechten abzuweichen ( 93 ). Die Tatsache, dass Militärangehörige in dieser Vorschrift nicht ausdrücklich aufgeführt sind, ist insoweit irrelevant, da die Aufzählung der Arbeitnehmer und Tätigkeiten nicht abschließend ist ( 94 ). Die genannten Abweichungen bieten zusätzliche Flexibilität bei der Gewährleistung der Kontinuität des Dienstes ( 95 ), worauf die Kommission in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat.

c) Die „spezifischen Tätigkeiten“ der Streitkräfte, auf die die Richtlinien 89/391 und 2003/88 keine Anwendung finden

86.

Es gibt selbstverständlich „spezifische Tätigkeiten“ der Streitkräfte, deren „Besonderheiten“ einer Anwendung der Bestimmungen der Richtlinien 89/391 und 2003/88 zwingend entgegenstehen. In diesem Sinne weisen die Tätigkeiten der Streitkräfte, wie die Regierungen, die vor dem Gerichtshof vertreten waren, hervorgehoben haben, insofern eine unbestreitbare „Eigenart“ insbesondere im Vergleich mit Polizei oder Feuerwehr auf, über die der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung bisher zu befinden hatte, als es sich um einen Großteil der den Streitkräften übertragenen Aufgaben handelt.

87.

Nach meinem Dafürhalten schließen diese „spezifischen Tätigkeiten“erstens Tätigkeiten ein, die von den Streitkräften im Rahmen militärischer Einsätze durchgeführt werden. Eine Entsendung der Streitkräfte im Rahmen derartiger Einsätze ist nämlich etwas „Außergewöhnliches“ ( 96 ). Auch wenn solche Operationen den Kern der von den Streitkräften erbrachten öffentlichen Dienstleistung ausmachen, liegt außerdem auf der Hand, dass sich die Tätigkeiten von Militärangehörigen, die im Rahmen einer „Krisenbewältigungsoperation“ beispielsweise in ein Drittland entsandt werden, nicht für eine wirksame Verhütung berufsbedingter Gefahren ( 97 ) oder für eine Arbeitsplanung unter Einhaltung der Bestimmungen der Richtlinien 89/391 und 2003/88 eignen ( 98 ). Zunächst geht die Gewährleistung der Kontinuität der während solcher Einsätze erbrachten Tätigkeiten, wie die deutsche Regierung vorgetragen hat, mit besonderen militärischen Zwängen einher, da die Führung die besagte Kontinuität auf der Grundlage von zwangsläufig begrenzten Humanressourcen und Ausrüstung sicherstellen muss. Dies setzt die Mitarbeit aller entsandten Einheiten voraus, so dass das Zeitmanagement, wie die französische Regierung geltend gemacht hat, unweigerlich kollektiv ist. Sodann ist die Aufgabenplanung besonders schwierig, da diese Aufgaben vom Verhalten eines möglichen Feindes oder anderen Umständen, insbesondere umweltbezogenen oder geografischen Bedingungen, abhängen, auf die der Arbeitgeber wenig oder keinen Einfluss hat. Schließlich und vor allem kann das Recht der Militärangehörigen auf Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, einschließlich des Rechts auf Begrenzung der Arbeitszeit, operativen Erfordernissen nicht vorgehen, wenn die ordnungsgemäße Durchführung derselben Einsätze nicht gefährdet werden soll. Verfügbarkeit und Engagement der Militärangehörigen müssen in diesem Rahmen umfassend sein ( 99 ).

88.

Dies gilt meines Erachtens grundsätzlich sowohl für externe Einsätze – Fall der Entsendung von Militärangehörigen ins Ausland, wie oben in Nr. 87 behandelt – als auch für interne Operationen – Fall des Einsatzes von Militärangehörigen im eigenen Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats. Insoweit ist nämlich die Rolle der Streitkräfte als letztes Mittel im Auge zu behalten. Militärangehörige werden grundsätzlich auch hierfür nur unter „außergewöhnlichen Umständen“ eingesetzt. In der Regel werden die Streitkräfte nur dann um Unterstützung der von den Zivilbehörden getroffenen Maßnahmen gebeten, wenn die zivilen Mittel wegen eingetretener oder unmittelbar bevorstehender „außergewöhnlicher Ereignisse“ wie Naturkatastrophen oder Terroranschlägen nicht mehr ausreichen und ebenso außergewöhnliche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die öffentliche Ordnung und den Schutz des Gemeinwesens zu gewährleisten ( 100 ). Unter solchen Umständen lassen sich für die beteiligten Militärangehörigen weder eine wirksame Verhütung berufsbedingter Gefahren noch eine Arbeitsplanung unter Einhaltung der Bestimmungen der Richtlinien 89/391 und 2003/88 vorschreiben ( 101 ).

89.

Zweitens umfassen die „spezifischen Tätigkeiten“ der Streitkräfte nach meinem Dafürhalten Grundausbildung, Trainingseinheiten und Übungen, die von Militärangehörigen für Zwecke der operativen Vorbereitung durchgeführt werden. Obwohl diese Tätigkeiten meines Erachtens unter „gewöhnlichen Umständen gemäß der [den Streitkräften] übertragenen Aufgabe“ ( 102 ) ausgeübt werden, weisen sie meiner Meinung nach „derart spezifische Merkmale“ auf, dass ihr Wesen einer Anwendung der Bestimmungen der Richtlinien 89/391 und 2003/88 entgegensteht ( 103 ). Die Streitkräfte müssen nämlich nicht nur, insbesondere im Rahmen militärischer Einsätze, die nationale Sicherheit und die wesentlichen Interessen der Mitgliedstaaten schützen, sondern sich auch auf einen solchen Fall vorbereiten. Wie die slowenische und die französische Regierung ausgeführt haben, muss diese Vorbereitung, im Interesse sowohl des Erfolgs der Einsätze als auch der Sicherheit der Militärangehörigen selbst, unter Bedingungen erfolgen, die möglichst realistisch die Bedingungen simulieren, denen sie im Fall einer Entsendung ausgesetzt wären. In diesem Rahmen müssen sie auf Ermüdung, kollektive Disziplin, Gewalt seitens des Feindes und raue Arbeitsbedingungen vorbereitet werden. Grundausbildung, Trainingseinheiten und Übungen müssen somit bei Tag und Nacht, bisweilen über lange Zeiträume, stattfinden können – ohne dass insbesondere die Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 über Pausenzeiten und Nachtarbeit im Wege stehen ( 104 ).

90.

Drittens sollten die Mitgliedstaaten entsprechend dem Ermessensspielraum, der ihnen zuzuerkennen ist ( 105 ), in ihrem nationalen Recht weitere Tätigkeiten der Streitkräfte festlegen können, die von den Bestimmungen der Richtlinien 89/391 und 2003/88 ausgeschlossen sind, sofern diese Tätigkeiten „spezifisch“ sind und sie nachweisen, dass dies für den reibungslosen Ablauf der fraglichen Tätigkeiten „unbedingt erforderlich“ ist ( 106 ).

91.

Konkret sind die Bestimmungen der Richtlinien 89/391 und 2003/88 während der Beteiligung von Militärangehörigen an all diesen „spezifischen Tätigkeiten“ vorübergehend nicht anwendbar ( 107 ). Die Mitgliedstaaten haben gemäß Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 2 der ersteren Richtlinie gleichwohl dafür Sorge zu tragen, dass unter Berücksichtigung der Ziele dieser Richtlinie einerseits und der operativen Erfordernisse andererseits eine größtmögliche Sicherheit und ein größtmöglicher Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewährleistet sind.

92.

Ich möchte ferner darauf hinweisen, dass es in der Praxis natürlich in die Zuständigkeit jedes einzelnen Mitgliedstaats fällt, zu beurteilen, ob er es mit „außergewöhnlichen Umständen“ zu tun hat, die die Entsendung seiner Militärangehörigen im Rahmen eines militärischen Einsatzes rechtfertigen – und damit von den Richtlinien 89/391 und 2003/88 abzuweichen. Es obliegt allein den Mitgliedstaaten, zu prüfen, wann ihre wesentlichen Interessen oder aber der Weltfrieden bedroht sind, und die gebotene Reaktion festzulegen. Die Entscheidung, die Streitkräfte in einen Einsatz zu entsenden, stellt eine militärische Entscheidung dar, die als solche nicht unter das Unionsrecht fällt. Die Rechte auf Gesundheitsschutz und Sicherheit, die Militärangehörigen in den Richtlinien 89/391 und 2003/88 zuerkannt werden, dürfen eine solche Entscheidung daher nicht beeinträchtigen ( 108 ). In diesem Rahmen schließe ich insbesondere nicht aus, dass bestimmte Mitgliedstaaten angesichts der jüngsten Anschläge gegen sie und ganz allgemein der Analysen ihrer Nachrichtendienste der Auffassung sein könnten, sie hätten es mit einer „außerordentlich“ starken terroristischen Bedrohung zu tun, die einen Einsatz von Militärangehörigen innerhalb des eigenen Hoheitsgebiets rechtfertige.

d) Eine solche Auslegung stellt in der Regel einen angemessenen Ausgleich zwischen den auf dem Spiel stehenden Interessen her

93.

Die von mir vorgeschlagene Auslegung von Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 ermöglicht meines Erachtens einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Recht auf Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, einschließlich des Rechts auf Begrenzung der Arbeitszeit, die Militärangehörigen als Arbeitnehmern durch diese Richtlinie und die Richtlinie 2003/88 zuerkannt werden, einerseits und den Erfordernissen der Streitkräfte andererseits ( 109 ).

94.

Meines Erachtens stellt diese Auslegung u. a. sicher, dass Militärangehörige entsprechend dem mit der Richtlinie 2003/88 verfolgten Ziel ( 110 ) über eine ausreichende Ruhezeit verfügen, wenn Übertretungen der einschlägigen Vorschriften nicht unerlässlich sind, was im Gegenzug dazu beiträgt, dass sie die „spezifischen Tätigkeiten“, für die ihre umfassende Verfügbarkeit und ihr volles Engagement geboten sind, umso effektiver ausüben ( 111 ).

95.

Darüber hinaus bezweifle ich, dass diese Auslegung den u. a. im französischen Recht verankerten Grundsatz der Verfügbarkeit ( 112 ) von Militärangehörigen – einen Grundsatz, der, so die französische Regierung, die „nationale Identität“ der Französischen Republik im Sinne von Art. 4 Abs. 2 EUV berühre, weil er die in ihrer Rechtsordnung in den Rang einer Verfassungsnorm erhobene „freie Verfügbarkeit der Streitkraft“ ( 113 ) gewährleiste – wirklich in Frage stellt.

96.

Selbst wenn unterstellt wird, dass der Verfügbarkeitsgrundsatz tatsächlich unter diesen Begriff „nationale Identität“ subsumiert werden kann ( 114 ), ist die von mir in den vorliegenden Schlussanträgen vorgeschlagene Auslegung nämlich flexibel genug, um die „spezifischen Tätigkeiten“ der Streitkräfte, insbesondere militärische Einsätze, nicht zu behindern. Sie hindert die Französische Republik oder andere Mitgliedstaaten also nicht daran, frei über ihre Armee zu verfügen. Außerdem stellt sie weder die Tatsache in Frage, dass ein Militärangehöriger in diesem Rahmen „jederzeit und an jeden Ort“ entsandt werden kann, wenn die zuständigen Behörden das für nötig halten, noch den Umstand, dass Verfügbarkeit und Engagement der Militärangehörigen bei solchen Einsätzen umfassend sein müssen ( 115 ).

e) Spezifische Zwänge der Streitkräfte bestimmter Mitgliedstaaten

97.

Zusammenfassend läuft die von mir vorgeschlagene Auslegung auf die Aussage hinaus, dass Militärangehörige gemäß Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 grundsätzlich unter die Bestimmungen dieser Richtlinie und der Richtlinie 2003/88 fallen. Gleichwohl sind sie vorübergehend davon ausgeschlossen, wenn sie bestimmte „spezifische Tätigkeiten“ der Streitkräfte ausüben, insbesondere im Rahmen militärischer Einsätze sowie der für die operative Vorbereitung notwendigen Ausbildung, Trainingseinheiten und Übungen. Außerdem gestattet es diese Vorschrift, wie ich in Nr. 76 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, bestimmte Militärangehörige dauerhaft von den Bestimmungen der letzteren Richtlinie auszuschließen ( 116 ).

98.

Die französische Regierung hat gleichwohl vorgetragen, dass ein Mitgliedstaat berechtigt sein müsse, sämtliche Militärangehörigen seiner Streitkräfte dauerhaft von der Inanspruchnahme der Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 auszuschließen, wenn er, wie die Französische Republik, „bedeutende internationale Verantwortung für die Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit“ übernehme und der Grad seines militärischen Engagements daher „strukturell höher als der anderer Staaten“ sei.

99.

In diesem Zusammenhang stelle ich fest, dass der Gerichtshof gegenüber einem Vorbringen, wonach die nationalen Sicherheits- und insbesondere die Verteidigungserfordernisse eines Mitgliedstaats es rechtfertigten, dass dieser vollständig und dauerhaft von den Rechtsvorschriften der Union abweiche, im Allgemeinen Zurückhaltung an den Tag legt. Gemäß einem Ansatz der Interessenabwägung und der Verhältnismäßigkeit fordert er in der Regel mehr Spezifität ( 117 ). Außerdem betrifft Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 schon seinem Wortlaut nach nur „bestimmte spezifische Tätigkeiten“ der Streitkräfte und nicht diese insgesamt.

100.

Ich kann mir allerdings vorstellen, dass sich die Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 für einen Mitgliedstaat, der aufgrund seiner besonderen internationalen Verpflichtungen eine ansehnliche Zahl von Militärangehörigen hat, die durchgängig an ausländischen Einsatzorten, aber auch in seinem eigenen Hoheitsgebiet eingesetzt werden, um die terroristische Bedrohung, der er ausgesetzt ist, abzuwenden, und der ständig gewisse eigene, auf seiner weltpolitischen Stellung beruhende Abschreckungsaufgaben gewährleisten muss – insbesondere da Frankreich seit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union der einzige Mitgliedstaat ist, der über Atomwaffen verfügt –, wobei diese Tätigkeiten zu den sonstigen Tätigkeiten der Militärangehörigen hinzutreten, selbst für einen Teil der Militärangehörigen und dieser Tätigkeiten als äußerst komplex erweist. Insbesondere lässt sich nicht ausschließen, dass die besonderen Zwänge, die sich aus diesen vielfältigen Verpflichtungen und Tätigkeiten ergeben, eine höhere Verfügbarkeit der Militärangehörigen erfordern. Im Übrigen erkennt der EU-Vertrag die besondere militärische Lage bestimmter Mitgliedstaaten, zu denen die Französische Republik zweifellos gehört, selbst an ( 118 ). Es ist somit nicht vollständig ausgeschlossen, dass aufgrund der vorstehend beschriebenen besonderen Umstände und unter Berücksichtigung des Ermessensspielraums, der den Mitgliedstaaten zuzuerkennen ist ( 119 ), einer von ihnen die Notwendigkeit nachweisen kann, stärker als in den vorliegenden Schlussanträgen vorgesehen von der Richtlinie 2003/88 abzuweichen, indem er beispielsweise einen bedeutenderen Teil seiner Kräfte dauerhaft von dieser Richtlinie ausnimmt, die Notwendigkeit einer solchen Ausnahme aber regelmäßig neu bewertet.

101.

Gleichwohl braucht in der vorliegenden Rechtssache nicht endgültig zu dieser Frage Stellung genommen zu werden. Es wäre Sache der nationalen Gerichte und gegebenenfalls des Gerichtshofs, im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens oder einer Vertragsverletzungsklage darüber zu entscheiden.

5. Bewachung militärischer Einrichtungen ist grundsätzlich keine solche „spezifische Tätigkeit“

102.

Was die Bewachung militärischer Einrichtungen durch B. K. angeht, die speziell Gegenstand der ersten Frage des vorlegenden Gerichts ist, so wird dieses Gericht zu prüfen haben, ob sie unter den „Grundbetrieb“ fällt, für den die Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 gelten, oder unter die „spezifischen Tätigkeiten“ der Streitkräfte, die ihnen zwingend entgegenstehen. Ich halte es gleichwohl für sinnvoll, ihm einige Hinweise zu geben, um ihm die Entscheidung zu ermöglichen.

103.

Den von der slowenischen Regierung gegebenen Erläuterungen zufolge ist die Wachtätigkeit eine den Streitkräften übertragene Aufgabe zum Schutz von auf slowenischem Territorium liegenden militärischen Einrichtungen und anderen strategischen Gebäuden. Diese Tätigkeit muss wiederum kontinuierlich ausgeübt werden. Gleichwohl steht das Kontinuitätserfordernis, wie ich ausgeführt habe, einer die Anforderungen der Richtlinie 2003/88 beachtenden Planung nicht notwendigerweise entgegen, sofern die Bewachung eine gewöhnliche Aufgabe der slowenischen Militärangehörigen darstellt. Anders wäre es, wenn diese Wache in einem „außergewöhnlichen“ Kontext stattfände – insbesondere in einem militärischen Einsatz, mit dem einer gegenwärtigen oder unmittelbar bevorstehenden Bedrohung für die nationale Sicherheit begegnet werden soll.

104.

Vorliegend hebt das vorlegende Gericht hervor, dass B. K. die Wachtätigkeit im konkreten Fall jeden Monat im Rahmen seiner üblichen Arbeit verrichtet habe. Es ist nicht vorgetragen worden, dass diese Tätigkeit durch ein besonderes Sicherheitsbedürfnis im Rahmen eines „außergewöhnlichen“ Kontexts gerechtfertigt gewesen wäre. Vorbehaltlich der Prüfung durch das vorlegende Gericht ( 120 ) fiel die Tätigkeit meines Erachtens daher unter den „Grundbetrieb“, so dass die Richtlinie 2003/88 Anwendung findet. ( 121 )

6. Zwischenergebnis

105.

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 89/391 dahin auszulegen ist, dass Militärangehörige grundsätzlich in den Anwendungsbereich dieser beiden Richtlinien fallen. Gleichwohl sind sie davon ausgeschlossen, wenn sie bestimmte „spezifische Tätigkeiten“ der Streitkräfte ausführen, deren Besonderheiten einer Anwendung der Bestimmungen der beiden Richtlinien zwingend entgegenstehen. Die Bewachung militärischer Einrichtungen gehört grundsätzlich nicht dazu.

C.   Zur Tatsache, dass die von einem Militärangehörigen im Wachdienst verbrachte „Bereitschaftszeit am Arbeitsplatz“„Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 darstellen könnte (zweite Frage)

106.

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach die Zeit, in der ein im Wachdienst befindlicher Militärangehöriger in der Kaserne, der er zugewiesen ist, anwesend sein und seinen Vorgesetzten zur Verfügung stehen muss, ohne effektiv Dienst zu verrichten, nicht als Dienstzeit angerechnet und vergütet wird.

107.

Nach meinem Verständnis besteht ein Teil der von Militärangehörigen ausgeführten Wachtätigkeit nach slowenischem Recht u. a. aus einer Zeit der „Bereitschaft am Arbeitsplatz“. In diesem Rahmen muss der Militärangehörige an dem Ort, dem er zugewiesen ist, oder an einem anderen vom Arbeitgeber bestimmten Ort anwesend und für seine Vorgesetzten verfügbar sein, um im Bedarfsfall sofort die Aufgaben auszuführen, die diese ihm übertragen könnten. Diese Zeit wird nicht als Arbeitszeit angerechnet, und der Militärangehörige hat lediglich Anspruch auf eine Zulage für den Bereitschaftsdienst in Höhe von 20 % des Stundensatzes seines Grundgehalts.

108.

Insoweit ist erstens klar, dass eine solche Zeit der „Bereitschaft am Arbeitsplatz“ in Anbetracht der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs als Arbeitszeit im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 anzusehen ist. Nach dieser Rechtsprechung ist als solche nämlich jeder Zeitraum anzusehen, in dem sich ein Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und diesem zur Verfügung stehen muss, um gegebenenfalls sofort seine Leistungen erbringen zu können ( 122 ).

109.

Allerdings ist zweitens hervorzuheben, dass dieser Art. 2 Nr. 1 für sich den Arbeitnehmern keine Rechte verleiht. Er ist in Verbindung mit einer der präskriptiven Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 – wie beispielsweise Art. 3 dieser Richtlinie über ein Recht auf tägliche Ruhezeit oder Art. 6 der Richtlinie über eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden – zu sehen.

110.

Wie ich in den Nrn. 35 und 36 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, betrifft die Richtlinie 2003/88 nicht die Vergütung von Arbeitnehmern. Keine Bestimmung dieser Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, ein bestimmtes Vergütungsniveau für Zeiten der „Bereitschaft am Arbeitsplatz“ festzulegen, die als „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie einzuordnen sind. Die Mitgliedstaaten bleiben somit frei, solche Zeiten nach eigenem Gutdünken zu vergüten.

111.

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass die Zeit, in der ein im Wachdienst befindlicher Militärangehöriger in der Kaserne, der er zugewiesen ist, anwesend sein und seinen Vorgesetzten zur Verfügung stehen muss, ohne effektiven Dienst zu verrichten, für die Zwecke der Bestimmungen dieser Richtlinie auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit in vollem Umfang als „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist. Dagegen steht die besagte Vorschrift nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen, wonach diese Zeit lediglich für die Zwecke der dem Militärangehörigen geschuldeten Vergütung anders berechnet wird.

V. Ergebnis

112.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Fragen des Vrhovno sodišče Republike Slovenije (Oberster Gerichtshof der Republik Slowenien) wie folgt zu antworten:

1.

Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit ist dahin auszulegen, dass Militärangehörige grundsätzlich in den Anwendungsbereich dieser beiden Richtlinien fallen. Gleichwohl sind sie davon ausgeschlossen, wenn sie bestimmte „spezifische Tätigkeiten“ der Streitkräfte ausführen, deren Besonderheiten einer Anwendung der Bestimmungen der beiden Richtlinien zwingend entgegenstehen. Die Bewachung militärischer Einrichtungen gehört grundsätzlich nicht dazu.

2.

Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass die Zeit, in der ein im Wachdienst befindlicher Militärangehöriger in der Kaserne, der er zugewiesen ist, anwesend sein und seinen Vorgesetzten zur Verfügung stehen muss, ohne effektiven Dienst zu verrichten, für die Zwecke der Bestimmungen dieser Richtlinie auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit in vollem Umfang als „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist. Dagegen steht die besagte Vorschrift nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen, wonach diese Zeit lediglich für die Zwecke der dem Militärangehörigen geschuldeten Vergütung anders berechnet wird.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 (ABl. 2003, L 299, S. 9).

( 3 ) Richtlinie des Rates vom 12. Juni 1989 (ABl. 1989, L 183, S. 1).

( 4 ) Richtlinie des Rates vom 21. Juni 1999 zu der vom Verband der Reeder in der Europäischen Gemeinschaft (European Community Shipowners’ Association ECSA) und dem Verband der Verkehrsgewerkschaften in der Europäischen Union (Federation of Transport Workers’ Unions in the European Union FST) getroffenen Vereinbarung über die Regelung der Arbeitszeit von Seeleuten (ABl. 1999, L 167, S. 33).

( 5 ) Gemäß Art. 5 dieses Gesetzes ist „Bediensteter, der hauptberuflich im Verteidigungsbereich tätig ist“, für die Zwecke dieses Gesetzes ein Militärangehöriger, eine zivile Person, die hauptberuflich in der Armee tätig ist, oder eine andere Person, die hauptberuflich Verwaltungsaufgaben und fachspezifisch technische Aufgaben im Ministerium erledigt (Punkt 14a dieses Artikels). „Militärangehöriger“ ist eine Person, die Militärdienst leistet (Punkt 14 des genannten Artikels).

( 6 ) Genauer gesagt fordert B. K. die Differenz zwischen der ausbezahlten Zulage für Bereitschaftsdienst (d. h. 20 % des Grundgehalts pro Stunde) und der Überstundenvergütung (also 130 % dieses Gehalts pro Stunde).

( 7 ) Im weiteren Verlauf der vorliegenden Schlussanträge werde ich die Republik Slowenien und das Verteidigungsministerium, die vor dem Gerichtshof gemeinsam vertreten worden sind, zusammen als „slowenische Regierung“ bezeichnen.

( 8 ) Ich weise darauf hin, dass die Richtlinie 2003/88 die Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 1993, L 307, S. 18) ersetzt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist dessen Auslegung hinsichtlich der Bestimmungen der Richtlinie 93/104 auf die entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 übertragbar (vgl. u. a. Urteil vom 10. September 2015, Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones obreras, C‑266/14, EU:C:2015:578, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die für die vorliegende Rechtssache relevanten Bestimmungen, insbesondere Art. 1 der Richtlinie 2003/88, entsprechen denen der Richtlinie 93/104. Der Einfachheit halber werde ich daher ausschließlich auf die Richtlinie 2003/88 verweisen, gleichermaßen aber auch Urteile und Schlussanträge anführen, die sich auf die Richtlinie 93/104 beziehen.

( 9 ) So können die Mitgliedstaaten für die Arbeitnehmer günstigere Vorschriften anwenden oder erlassen (vgl. Art. 15 der Richtlinie 2003/88).

( 10 ) Vgl. Art. 4 und Art. 8 bis 13 der Richtlinie 2003/88.

( 11 ) Vgl. Erwägungsgründe 3 und 4 der Richtlinie 2003/88 sowie u. a. Urteil vom 14. Mai 2019, CCOO (C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 12 ) Vgl. u. a. Art. 2 Nr. 9 der Richtlinie 2003/88. Vgl. auch Urteile vom 6. November 2018, Kreuziger (C‑619/16, EU:C:2018:872, Rn. 39 und 40 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 11. April 2019, Syndicat des cadres de la sécurité intérieure (C‑254/18, EU:C:2019:318, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 13 ) Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 6. November 2018, Kreuziger (C‑619/16, EU:C:2018:872, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie Schlussanträge des Generalanwalts Wahl in der Rechtssache Sindicatul Familia Constanţa u. a. (C‑147/17, EU:C:2018:518, Nr. 53).

( 14 ) Und zwar auch in Bezug auf die Bevölkerung der übrigen Mitgliedstaaten. Vgl. insoweit die „Solidaritätsklausel“ in Art. 222 AEUV.

( 15 ) Die französische Regierung verweist in diesem Zusammenhang auf Art. 5 des Nordatlantikvertrags vom 4. April 1949, der seine Parteien dazu verpflichtet, jederzeit in der Lage zu sein, einem anderen Bündnismitglied, das Ziel eines bewaffneten Angriffs ist, militärisch beizustehen, und auf Art. 24 der am 26. Juni 1945 in San Francisco unterzeichneten Satzung der Vereinten Nationen, der den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, zu denen die Französische Republik gehört, die Hauptverantwortung für die Wahrung des Friedens und der internationalen Sicherheit überträgt.

( 16 ) Vgl. Art. 42 bis 46 EUV (im Folgenden: GSVP).

( 17 ) Vgl. in diesem Sinne Baude, F., und Vallée, F., Droit de la défense, Ellipses, 2012, S. 122 und 123; Faugère, J.‑M., „L’état militaire: Aggiornamento ou rupture“, Revue „Inflexions“, 2012, Nr. 20, S. 53, sowie Malis, C., Guerre et stratégie au XXIe siècle, Fayard, 2014, S. 16 bis 53 und 153 bis 182.

( 18 ) Vgl. zu den verschiedenen Ansätzen der Mitgliedstaaten betreffend die Arbeitszeit von Militärangehörigen Piotet, F. (Hrsg.), Les conditions de vie des militaires en Europe, convergences et divergences (Allemagne, Belgique, Espagne, France, Pays-Bas, Italie et Royaume-Uni), C2SD, Paris, 2003, S. 95, sowie Leigh, I., Born, H., Handbook on Human Rights and Fundamental Freedoms of Armed Forces Personnel, OSCE Office for Democratic Institutions and Human Rights (ODIHR), 2008, S. 178 und 179.

( 19 ) Vgl. Verordnung vom 16. November 2015 über die Arbeitszeit der Soldatinnen und Soldaten (BGBl. 2015 I, S. 1995).

( 20 ) Vgl. Vereinbarung über Arbeits- und Ruhezeiten in der Armee vom 12. Juli 2019.

( 21 ) Nach meinem Verständnis des slowenischen Rechts gelten Militärangehörige als öffentliche Bedienstete, die grundsätzlich der allgemeinen Arbeitszeitregelung unterliegen (vgl. Nr. 11 der vorliegenden Schlussanträge), wobei das Verteidigungsgesetz gleichwohl bestimmte Anpassungen vorsieht, u. a. für den Wachdienst.

( 22 ) Vgl. Orden DEF/253/2015, de 9 de febrero, por la que se regula el régimen de vacaciones, permisos, reducciones de jornada y licencias de los miembros de las Fuerzas Armadas (Erlass DEF/253/2015 vom 9. Februar 2015 über die Regelung des Urlaubs, des Ausgangs, der Arbeitszeitverkürzung und des Urlaubs ohne Bezüge der Angehörigen der bewaffneten Kräfte) (BOE Nr. 42 vom 18. Februar 2015, S. 13193), insbesondere Art. 3; Orden DEF/1363/2016, de 28 de julio, por la que se regulan la jornada y el régimen de horario habitual en el lugar de destino de los miembros de las Fuerzas Armadas (Erlass DEF/1363/2016 vom 28. Juli 2016 über die Festlegung der täglichen Dienstzeit und der Regelarbeitszeit am Dienstort der Angehörigen der bewaffneten Kräfte (BOE Nr. 192 vom 10. August 2016, S. 57311), insbesondere Art. 4.

( 23 ) Vgl. Lo Torto, A., „L’orario di servizio del personale militare valenza disciplinare e rilevanza penale“, Periodico di Diritto e Procedura Penale Militare, no 4, 2015.

( 24 ) Die französische Regierung hebt hervor, dass der militärische Dienst im Vergleich zu allen anderen Diensten „singulär“ sei: Nur Militärangehörige hätten das Recht, zu töten, verbunden mit der Pflicht, ihr eigenes Leben zu riskieren, falls der Einsatz es erfordere. Vgl. zum Verfügbarkeitsgrundsatz nach Verständnis des französischen Rechts Art. L.4111-1 des Code de la défense (Verteidigungsgesetz); Pêcheur, B., Heitz, R., und Vandier, P., „Le militaire, travailleur, justiciable, citoyen comme les autres?“, Revue Défense Nationale, Nr. 825, Dezember 2019, S. 21 bis 30, sowie Vinot, J., „La disponibilité: une singularité militaire en question“, in Un monde en turbulence – Regards du CHEM 2019 – 68ème session.

( 25 ) Mit Ausnahme des in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen Rechts auf bezahlten Jahresurlaub, das nicht Gegenstand der Ausgangsrechtssache ist.

( 26 ) Vgl. u. a. Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a. (C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 35 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

( 27 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a. (C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 36 bis 38).

( 28 ) Vgl. Art. 5 des Verteidigungsgesetzes, der in Fn. 5 der vorliegenden Schlussanträge wiedergegeben ist.

( 29 ) Diese Vorschrift lautet: „Die Union achtet die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen und ihre jeweilige nationale Identität, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen … zum Ausdruck kommt. Sie achtet die grundlegenden Funktionen des Staates, insbesondere die Wahrung der territorialen Unversehrtheit, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der nationalen Sicherheit. Insbesondere die nationale Sicherheit fällt weiterhin in die alleinige Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten.“

( 30 ) Der Begriff „nationale Sicherheit“ bezieht sich auf sämtliche Bedrohungen und Gefahren, die geeignet sind, die wesentlichen Funktionen des Staates und die grundlegenden Interessen der Gesellschaft zu beeinträchtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net u. a. (C‑511/18, C‑512/18 und C‑520/18, EU:C:2020:791, Rn. 135), und damit auf Bedrohungen, deren „hybrider“ Charakter im derzeitigen geopolitischen Kontext (vgl. Nr. 29 der vorliegenden Schlussanträge) zur Aufhebung der herkömmlichen Unterscheidung zwischen innerer Sicherheit (Ordnungskräfte) und äußerer Sicherheit (Verteidigung und Streitkräfte) führt, die durch diesen umfassenden Begriff verdrängt wird.

( 31 ) Nach dem in Art. 5 Abs. 2 EUV festgelegten Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung. Mir sind die Neuerungen, die der Vertrag von Lissabon im Rahmen der GSVP für den Verteidigungsbereich gebracht hat, bewusst. In diesem Zusammenhang lässt sich die Erweiterung des Spektrums der Missionen, bei deren Durchführung die Union auf militärische Mittel zurückgreifen kann (Art. 43 Abs. 1 EUV), die Institutionalisierung der Europäischen Verteidigungsagentur (Art. 42 Abs. 3 und Art. 45 EUV), die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (Art. 42 Abs. 6 und Art. 46 EUV) oder aber die gegenseitige „Beistandsklausel“ (Art. 42 Abs. 7 EUV) anführen. Gleichwohl führen diese Neuerungen nicht zu einer „Vergemeinschaftung“ der Verteidigungspolitiken oder der Streitkräfte der Mitgliedstaaten. Die Zwischenstaatlichkeit bleibt beim Funktionieren der GSVP die Regel. Auch wenn diese Politik die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik einschließt, die letztlich zu einer gemeinsamen Verteidigung führen wird, ist das derzeit noch nicht der Fall. Vgl. Baude, F., und Vallée, F., a. a. O., S. 120 bis 122.

( 32 ) Urteil vom 6. Oktober 2020, Privacy International (C‑623/17, EU:C:2020:790, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. in diesem Sinne auch Urteile vom 26. Oktober 1999, Sirdar (C‑273/97, EU:C:1999:523, Rn. 15 und 16), sowie vom 11. Januar 2000, Kreil (C‑285/98, EU:C:2000:2, Rn. 15 und 16).

( 33 ) In den Urteilen vom 26. Oktober 1999, Sirdar (C‑273/97, EU:C:1999:523), und vom 11. Januar 2000, Kreil (C‑285/98, EU:C:2000:2), hat der Gerichtshof beispielsweise entschieden, dass das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, das seinerzeit in der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. 1976, L 39, S. 40) vorgesehen war, auch für militärische Beschäftigungsverhältnisse gilt und daher regelt, wie die einzelnen Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeit für die Organisation ihrer Streitkräfte auszuüben haben.

( 34 ) Urteil vom 11. März 2003 (C‑186/01, EU:C:2003:146).

( 35 ) Schlussanträge in der Rechtssache Dory (C‑186/01, EU:C:2002:718).

( 36 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. März 2003, Dory (C‑186/01, EU:C:2003:146, Rn. 39), sowie Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl in der Rechtssache Dory (C‑186/01, EU:C:2002:718, Nrn. 55, 62 und 63).

( 37 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. März 2003, Dory (C‑186/01, EU:C:2003:146, Rn. 40 und 41), sowie Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl in der Rechtssache Dory (C‑186/01, EU:C:2002:718, Nrn. 77 bis 108). Vgl. entsprechend Urteile vom 4. Oktober 1991, Society for the Protection of Unborn Children Ireland (C‑159/90, EU:C:1991:378, Rn. 24), und vom 27. Januar 2000, Graf (C‑190/98, EU:C:2000:49, Rn. 25).

( 38 ) Die französische Regierung trägt ferner vor, die Vorschriften über die Organisation der Streitkräfte könnten Teil der „nationalen Identität“ der Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 4 Abs. 2 EUV sein. Diesen Aspekt behandle ich in den Nrn. 95 und 96 der vorliegenden Schlussanträge.

( 39 ) So muss der Unionsgesetzgeber in Rechtsakten des abgeleiteten Rechts – sofern notwendig – bestimmte Vorkehrungen, Abweichungen und sonstige Ausnahmen vorsehen, die es den Mitgliedstaaten gegebenenfalls ermöglichen, den reibungslosen Ablauf ihrer grundlegenden staatlichen Funktionen zu sichern. Das ist im Übrigen in vielen dieser Rechtsakte der Fall.

( 40 ) Vgl. entsprechend Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache G4S Secure Solutions (C‑157/15, EU:C:2016:382, Nr. 32) und Schlussanträge des Generalanwalts Pikamäe in der Rechtssache Stadt Frankfurt am Main (C‑18/19, EU:C:2020:130, Nr. 76).

( 41 ) Vgl. u. a. Erwägungsgründe 2, 4 und 5 sowie Art. 3 bis 7 der Richtlinie 2003/88.

( 42 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 13. November 1997, Grahame und Hollanders (C‑248/96, EU:C:1997:543, Rn. 29). Ich möchte klarstellen, dass die Beziehungen zwischen Militärangehörigen und Streitkräften unterschiedlicher Art sein können. Insbesondere gibt es „Berufssoldaten“, die frei wählen, sich – für ihr gesamtes Berufsleben oder die Laufzeit eines Vertrags – bei den Streitkräften zu verpflichten, und „Wehrpflichtige“, die – u. a. im Rahmen und für die Dauer des in einigen Staaten bestehenden Militärdiensts – zwangsweise einberufen werden (vgl. Nr. 45 der vorliegenden Schlussanträge). Da sich die Ausgangsrechtssache auf einen Berufssoldaten bezieht, betreffen die vorliegenden Schlussanträge hauptsächlich diese – im Übrigen derzeit bedeutendste – Gruppe. Auch wenn der frühere hohe Personalbestand der westlichen Streitkräfte im Wesentlichen auf der Wehrpflicht beruhte, lässt sich seit dem Ende des Kalten Krieges nämlich eine allgemeine Tendenz zur „Verdichtung“ dieser Kräfte rund um ein reduziertes Kontingent von Berufssoldaten beobachten. Vgl. Malis, C., a. a. O., S. 117, 118 und 122.

( 43 ) Vgl. u. a. Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a. (C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 41 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

( 44 ) Vgl. die vom Ministerkomitee am 24. Februar 2010 anlässlich der 1077. Sitzung der Ministerbeauftragten angenommene Empfehlung CM/Rec (2010) 4 über die Menschenrechte von Angehörigen der Streitkräfte, S. 25.

( 45 ) Vgl. u. a. Urteil vom 3. Mai 2012, Neidel (C‑337/10, EU:C:2012:263, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 46 ) Was beispielsweise im französischen Recht der Fall ist.

( 47 ) Vgl. u. a. Urteil vom 26. März 2015, Fenoll (C‑316/13, EU:C:2015:200, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 48 ) Was sich wohl dadurch erklärt, dass es sich bei der Richtlinie 89/391 um die „Rahmenrichtlinie“ zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze auf dem Gebiet der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz handelt, die in der Richtlinie 2003/88 umgesetzt worden sind (vgl. Nr. 25 der vorliegenden Schlussanträge).

( 49 ) Sogar Marinesoldaten fallen nicht unter diese Ausnahme. Die Europäische Vereinbarung über die Regelung der Arbeitszeit von Seeleuten im Anhang der Richtlinie 1999/63 gilt nämlich für „Seeleute auf allen Seeschiffen …, die … gewöhnlich in der gewerblichen Seeschifffahrt verwendet werden“ – was also militärische Seeeinsätze ausschließt (vgl. Paragraf 1 Abs. 1 dieser Vereinbarung).

( 50 ) Ich möchte zum einen klarstellen, dass die öffentliche Dienstleistung der Verteidigung nicht nur von öffentlichen Armeen erbracht wird. Söldnertum hat es schon immer gegeben. Vgl. für Beispiele zu Verwendungen dieser privaten Militärangehörigen durch westliche Staaten in der jüngeren Geschichte Malis, C., a. a. O., S. 134 bis 138. Zum anderen sind die Streitkräfte der Mitgliedstaaten, wie ich in Nr. 28 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, oftmals an anderen Tätigkeiten des Allgemeininteresses beteiligt.

( 51 ) Genauer gesagt hat die slowenische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen geltend gemacht, der von slowenischen Militärangehörigen erbrachte Wachdienst sei eine von der Richtlinie 2003/88 ausgeschlossene Tätigkeit. In der mündlichen Verhandlung scheint mir diese Regierung wie die spanische und die französische Regierung hingegen vorgetragen zu haben, dass Militärangehörige bezogen auf alle Aufgaben dauerhaft vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen seien.

( 52 ) Und möglicherweise auch der Richtlinie 89/391, obwohl der Standpunkt der erwähnten Regierungen insoweit nicht klar ist.

( 53 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u. a. (C‑397/01 bis C‑403/01, EU:C:2004:584, Rn. 53).

( 54 ) Vgl. Nr. 55 der vorliegenden Schlussanträge.

( 55 ) Vgl. Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a. (C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 55 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

( 56 ) Vgl. Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a. (C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 56, 58, 59 und 61).

( 57 ) Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Saggio in der Rechtssache Simap (C‑303/98, EU:C:1999:621, Nr. 27), sowie Schlussanträge des Generalanwalts Wahl in der Rechtssache Sindicatul Familia Constanţa u. a. (C‑147/17, EU:C:2018:518, Nr. 51).

( 58 ) Vgl. Nrn. 46 und 47 der vorliegenden Schlussanträge.

( 59 ) Vgl. Art. 3 bis 7 der Richtlinie 2003/88, in denen die Rechte anerkannt werden, die sie für „jeden Arbeitnehmer“ vorsehen.

( 60 ) Es sei darauf hingewiesen, dass die Richtlinie 89/391 auf der Grundlage von Art. 118a EGV und die Richtlinie 2003/88 auf der Grundlage von Art. 137 EGV, der den erwähnten Art. 118a ersetzt hatte (jetzt Art. 153 AEUV), erlassen worden ist. Zum einen verleiht die letztgenannte Vorschrift – ebenso wie ihre Vorgängervorschriften – der Union eine Zuständigkeit für den Erlass von Mindestvorschriften zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der „Arbeitnehmer“ im Allgemeinen; zum anderen ist die Union, wie aus Nr. 43 der vorliegenden Schlussanträge hervorgeht, obwohl die Verteidigung in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, dadurch nicht daran gehindert, entsprechend der Zuständigkeit, die ihr u. a. diese Vorschrift zuerkennt, eine Sozialpolitik zu verfolgen, die grundsätzlich alle Arbeitnehmer umfasst, einschließlich der in diesem Bereich beschäftigten Arbeitnehmer, zu denen Militärangehörige gehören.

( 61 ) Vgl. Art. 151 AEUV, in dem es heißt: „Die Union und die Mitgliedstaaten verfolgen … folgende Ziele: … die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen …“

( 62 ) Vgl. u. a. Urteile vom 26. Juni 2001, BECTU (C‑173/99, EU:C:2001:356, Rn. 43), sowie vom 14. Mai 2019, CCOO (C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 63 ) Vgl. Art. 23 Abs. 1 und Art. 24 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, Art. 7 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 sowie Präambel Teil I Nr. 2 und Art. 2 der am 18. Oktober 1961 in Turin unterzeichneten Europäischen Sozialcharta. Vgl. auch Internationale Arbeitsorganisation (IAO), Übereinkommen Nr. 132 über den bezahlten Jahresurlaub (Neufassung), 1970 (C132), Nr. 155 über Arbeitsschutz und Arbeitsumwelt, 1981 (C155), sowie Nr. 171 über Nachtarbeit, 1990 (C171).

( 64 ) Vgl. Art. 7 und 8 dieser Charta.

( 65 ) Vgl. insbesondere – in Bezug auf die Europäische Sozialcharta – Empfehlung CM/Rec (2010) 4 über die Menschenrechte von Angehörigen der Streitkräfte, Titel Q. Im Übrigen entspricht der Begriff „Arbeitnehmer“ im Sinne von Art. 31 der Grundrechtecharta dem Arbeitnehmerbegriff der Richtlinie 2003/88 (vgl. u. a. Urteil vom 26. März 2015, Fenoll (C‑316/13, EU:C:2015:200, Rn. 26). Die in dieser Vorschrift garantierten Grundrechte stehen Militärangehörigen somit in ihrer Eigenschaft als „Arbeitnehmer“ zu.

( 66 ) Vgl. u. a. Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a. (C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 53 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

( 67 ) Vgl. entsprechend Urteile vom 26. Oktober 1999, Sirdar (C‑273/97, EU:C:1999:523, Rn. 27), vom 11. Januar 2000, Kreil (C‑285/98, EU:C:2000:2, Rn. 24), und vom 20. März 2018, Kommission/Österreich (Staatsdruckerei) (C‑187/16, EU:C:2018:194, Rn. 78).

( 68 ) Die französische Regierung hat die zahlreichen Konflikte erwähnt, mit denen die Französische Republik konfrontiert gewesen ist. Die slowenische Regierung hat ihrerseits auf den Konflikt im Umfeld der Unabhängigkeit der Republik Slowenien zu Beginn der 1990er Jahre hingewiesen.

( 69 ) Vgl. im Rahmen der GSVP Art. 42 Abs. 6 EUV.

( 70 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 20. März 2018, Kommission/Österreich (Staatsdruckerei) (C‑187/16, EU:C:2018:194, Rn. 78 bis 80 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

( 71 ) Vgl. Nr. 28 der vorliegenden Schlussanträge.

( 72 ) Die französische Regierung führt Schulungen für Nachteinsätze an, für die von den in dieser Richtlinie vorgesehenen Bestimmungen über Nachtarbeit abgewichen werden müsse (vgl. Nr. 24 der vorliegenden Schlussanträge).

( 73 ) Vgl. Nr. 29 der vorliegenden Schlussanträge.

( 74 ) Vgl. Nr. 26 der vorliegenden Schlussanträge.

( 75 ) Vgl. in Bezug auf Militärangehörige Empfehlung CM/Rec (2010) 4 über die Menschenrechte von Angehörigen der Streitkräfte, S. 56.

( 76 ) Vgl. Urteile vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a. (C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 67), sowie vom 30. April 2020, Készenléti Rendőrség (C‑211/19, EU:C:2020:344, Rn. 40).

( 77 ) Vgl. Urteile vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u. a. (C‑397/01 bis C‑403/01, EU:C:2004:584, Rn. 57), sowie vom 30. April 2020, Készenléti Rendőrség (C‑211/19, EU:C:2020:344, Rn. 41).

( 78 ) Vgl. u. a. Urteil vom 30. April 2020, Készenléti Rendőrség (C‑211/19, EU:C:2020:344, Rn. 44).

( 79 ) Vgl. u. a. Urteile vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a. (C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 67), sowie vom 30. April 2020, Készenléti Rendőrség (C‑211/19, EU:C:2020:344, Rn. 40 und 42).

( 80 ) Urteil vom 20. November 2018 (C‑147/17, EU:C:2018:926).

( 81 ) Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a. (C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 68).

( 82 ) Vgl. Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a. (C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 70 bis 75).

( 83 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 30. April 2020, Készenléti Rendőrség (C‑211/19, EU:C:2020:344, Rn. 44).

( 84 ) Urteil vom 20. November 2018 (C‑147/17, EU:C:2018:926).

( 85 ) Vgl. entsprechend EGMR, Urteil vom 22. März 2012, Konstantin Markin/Russland, ECHR:2012:0322JUD003007806, § 148. Gleiches könnte für bestimmte zivile Armeebedienstete gelten.

( 86 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 26. Oktober 1999, Sirdar (C‑273/97, EU:C:1999:523, Rn. 21 bis 32). Vgl. für das Profil und eine Übersicht der Verwendungen der Spezialkräfte in jüngerer Zeit Malis, C., a. a. O., S. 118 und 130 bis 133.

( 87 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Januar 2006, Kommission/Spanien (C‑132/04, nicht veröffentlicht, EU:C:2006:18). In gleicher Weise enthält keines der in Nr. 62 der vorliegenden Schlussanträge erwähnten Rechtsinstrumente einen allgemeinen Ausschluss für Militärangehörige in Bezug auf das Recht auf faire und gerechte Arbeitsbedingungen, obwohl ein solcher allgemeiner Ausschluss bisweilen für andere Grundrechte vorgesehen ist, darunter die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Tarifverhandlungen (vgl. u. a. Art. 14 der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer).

( 88 ) Vgl. in diesem Sinne BVerwG, 15. Dezember 2011, 2 C 41.10 (DE:BVerwG:2011:151211U2C41.10.0). Dass Militärangehörige nicht grundsätzlich vom Anwendungsbereich der Richtlinie 89/391 ausgeschlossen sind, beweist im Übrigen auch die Tatsache, dass mehrere „Einzelrichtlinien“ auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit am Arbeitsplatz, die auf der Grundlage der erstgenannten Richtlinie erlassen worden sind, Ausnahmen für Militärangehörige vorsehen. Vgl. insoweit Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 89/656/EWG des Rates vom 30. November 1989 über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Benutzung persönlicher Schutzausrüstungen durch Arbeitnehmer bei der Arbeit (Dritte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. 1989, L 393, S. 18). Vgl. auch Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2013/35/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (elektromagnetische Felder) (20. Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/40/EG (ABl. 2013, L 179, S. 1). Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass die zur Umsetzung der Richtlinie 89/391 erlassenen Richtlinien auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit am Arbeitsplatz – die sich auf so unterschiedliche Themen wie Arbeitsplätze, die Benutzung von Arbeits- und Bildschirmausrüstungen durch Arbeitnehmer bei der Arbeit, den Schutz gegen Gefährdung durch Karzinogene, Lärm, Vibrationen am Arbeitsplatz usw. beziehen – auf Militärangehörige Anwendung finden.

( 89 ) Die Streitkräfte der Mitgliedstaaten stellen im Allgemeinen keine homogene Einheit dar. Militärangehörige üben sehr verschiedenartige Tätigkeiten aus, manche eher operativer Art, andere wesentlich weniger, und haben sehr unterschiedliche Aufgaben und Aufträge.

( 90 ) Ansonsten verlöre diese Vorschrift einen Großteil ihrer Daseinsberechtigung, da sie sich u. a. mit Art. 347 AEUV überschneiden würde, der es den Mitgliedstaaten gestattet, „bei einer schwerwiegenden innerstaatlichen Störung der öffentlichen Ordnung, im Kriegsfall, bei einer ernsten, eine Kriegsgefahr darstellenden internationalen Spannung oder in Erfüllung der Verpflichtungen …, die [sie] im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit übernommen [haben]“, allgemein vom Unionsrecht abzuweichen. Vgl. entsprechend Art. 15 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und Art. 30 der Europäischen Sozialcharta.

( 91 ) Vgl. Nr. 29 der vorliegenden Schlussanträge. Beispielsweise kommen die nach Afghanistan entsandten europäischen Soldaten – mangels einer Kriegserklärung gegenüber dem afghanischen Staat – zu „Friedenszeiten“ in einem „Krieg gegen den Terrorismus“ zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zum Einsatz und stehen einem „asymmetrischen“ bzw. „irregulären“, d. h. keiner staatlichen Armee angehörenden, Feind im Sinne des Völkerrechts gegenüber.

( 92 ) Vgl. Art. 6 der Richtlinie 89/391. Im Übrigen sieht die französische Regelung zur Umsetzung dieser Richtlinie genau das vor. Nach dieser Regelung gelten die Vorschriften der Richtlinie uneingeschränkt für „militärisches Personal, das Tätigkeiten ausübt, die mit Tätigkeiten des zivilen Personals gleichartig sind“. Ein Militärangehöriger, der eine solche Tätigkeit wahrnimmt, verfügt sogar – wie jeder Beamte – über ein Zurückbehaltungsrecht, wenn er einen triftigen Grund zu der Annahme hat, dass seine Arbeitssituation eine schwerwiegende und unmittelbare Gefahr für sein Leben oder seine Gesundheit darstellt. Dagegen sorgt die Beschäftigungsbehörde, „wenn Besonderheiten der Tätigkeiten im Bereich der nationalen Verteidigung, der inneren Sicherheit oder des Zivilschutzes [einer Anwendung dieser Vorschriften] zwingend entgegenstehen, … für die Gewährleistung der Sicherheit und den Schutz der körperlichen und geistigen Gesundheit des Militärangehören, indem sie [die genannten Vorschriften] an die örtlichen Besonderheiten und das Betriebsumfeld anpasst“. Militärangehörige haben in einem solchen Fall kein Zurückbehaltungsrecht. Vgl. Décret no 2018-1286, du 27 décembre 2018, relatif aux conditions d’hygiène et de sécurité destinées à préserver la santé et l’intégrité physique des militaires durant leur service (Dekret Nr. 2018-1286 vom 27. Dezember 2018 über die Hygiene- und Sicherheitsbedingungen zur Wahrung der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit von Militärangehörigen während ihres Dienstes) (JORF Nr. 0301 vom 29. Dezember 2018), insbesondere Art. R.4123-53 und R.4123-54. Vgl. auch Décret no 2012-422, du 29 mars 2012, relatif à la santé et à la sécurité au travail au ministère de la défense (Dekret Nr. 2012-422 vom 29. März 2012 über den Gesundheitsschutz und die Sicherheit bei der Arbeit im Verteidigungsministerium) (JORF Nr. 0077 vom 30. März 2012), Art. 35 und 36. Genauer gesagt wird in letzterem Dekret „militärisches Personal, das Tätigkeiten ausübt, die mit Tätigkeiten des zivilen Personals gleichartig sind“, „militärische[m] Personal [gegenübergestellt], das eine operative Tätigkeit oder eine Tätigkeit im Bereich der Kampfausbildung ausführt“, was mehr oder weniger der Unterscheidung entspricht, die in den vorliegenden Schlussanträgen vorgeschlagen wird. Ich gebe zu bedenken, dass dieselbe Regelung – zumindest nach Ansicht einiger französischer Sachverständiger für Militärfragen – eine ausgewogene Balance zwischen den Verpflichtungen des Europarechts und den Notwendigkeiten der Streitkräfte herstellt. Vgl. Hoher Ausschuss für die Bewertung der militärischen Lage (HCECM), 13. Thematischer Bericht, „La mort, la blessure, la maladie“, Juli 2019, S. 92.

( 93 ) Im Einzelnen handelt es sich um die Vorschriften über die tägliche Ruhezeit (Art. 3), die Ruhepause (Art. 4), die wöchentliche Ruhezeit (Art. 5), die Dauer der Nachtarbeit (Art. 8) und die Bezugszeiträume (Art. 16) (vgl. zu diesen Vorschriften Nr. 24 der vorliegenden Schlussanträge).

( 94 ) Vgl. Urteil vom 14. Oktober 2010, Union syndicale Solidaires Isère (C‑428/09, EU:C:2010:612, Rn. 48).

( 95 ) Vgl. 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88.

( 96 ) Vgl. Nr. 71 der vorliegenden Schlussanträge.

( 97 ) Es ist offensichtlich, dass der Arbeitgeber die „Gefahren“ nur schwer „an der Quelle bekämpfen“ könnte, wie Art. 6 der Richtlinie 89/391 es fordert.

( 98 ) Ich möchte klarstellen, dass sich der Ausschluss meines Erachtens dann aber auf sämtliche beteiligten Truppen, d. h. nicht nur auf die ins Einsatzgebiet entsandten Militärangehörigen, sondern auch auf diejenigen bezieht, deren Tätigkeit unmittelbar mit der Durchführung und Unterstützung von Auslandseinsätzen zusammenhängt, von deren Erfordernissen die Tätigkeit mithin geprägt ist.

( 99 ) Vgl. für einen erhellenden Beitrag De Braquilanges, M., „Les militaires et le temps de travail“, Blog Theatrum Belli, 2017: „… das entsandte Personal ist in ständiger Einsatzbereitschaft, da die Bedrohung für einen selbst und für in Schwierigkeiten geratene benachbarte Einheiten, die uns – sei es während der Ruhezeit oder beim Freizeitausgleich und erst recht im Einsatz – um Unterstützung bitten könnten, jederzeit präsent bleibt. In den Wirren des Krieges die Arbeitszeit zu regeln, wäre so, als wollte man stets mögliche – weil vom Willen eines Gegners abhängige – unvorhergesehene Ereignisse ausblenden. … Eine Begrenzung der Arbeitszeit im Einsatz würde durch Festlegung einer Obergrenze für unsere Verfügbarkeit und damit für unser Engagement unweigerlich zu Zweifeln an unserer Entschlossenheit führen.“

( 100 ) Vgl. Nr. 28 der vorliegenden Schlussanträge.

( 101 ) Vgl. Nr. 71 der vorliegenden Schlussanträge.

( 102 ) Beschluss vom 14. Juli 2005, Personalrat der Feuerwehr Hamburg (C‑52/04, EU:C:2005:467, Rn. 52).

( 103 ) Vgl. Nr. 73 der vorliegenden Schlussanträge.

( 104 ) Vgl. in diesem Sinne HCECM, 9. Thematischer Bericht, „Perspectives de la condition militaire“, Juni 2015, S. 50 und 51, HCECM, 11. Thematischer Bericht, „La fonction militaire dans la société française“, September 2017, S. 24 und 25, und De Braquilanges, M., a. a. O.

( 105 ) Vgl. Nr. 64 der vorliegenden Schlussanträge.

( 106 ) Vgl. Nr. 66 der vorliegenden Schlussanträge.

( 107 ) Diese Ausnahme wird in der Praxis eher Militärangehörige betreffen, die im operativen Bereich tätig sind, als solche auf einsatzfernen Arbeitsplätzen. Art. 7 der Richtlinie 2003/88, der ein Recht auf bezahlten Jahresurlaub vorsieht, stünde, falls die zuständigen Behörden die Entsendung von Militärangehörigen in den Einsatz oder die Durchführung einer Trainingseinheit bzw. einer notwendigen einsatzvorbereitenden Übung für zwingend notwendig halten, einer etwaigen Streichung des Urlaubs von Militärangehörigen nach meiner Einschätzung insoweit daher nicht entgegen. Meiner Ansicht nach stünde diese Vorschrift lediglich entgegen, wenn ein Militärangehöriger infolge einer solchen Streichung den nicht genommenen Resturlaub verlöre.

( 108 ) Hinsichtlich der Frage, ob eine Entscheidung über die Entsendung der Streitkräfte in einen Einsatz gerichtlich überprüft werden sollte, bin ich der Ansicht, dass jeder Mitgliedstaat seine eigenen einschlägigen Standards anwenden sollte. Es wäre meines Erachtens nämlich kaum vertretbar, wenn das Unionsrecht einen solchen Kontrollstandard allein deshalb vorschriebe, weil diese Entscheidung eine Abweichung von den Bestimmungen der Richtlinien 89/391 und 2003/88 bedingt.

( 109 ) Vgl. in diesem Sinne Empfehlung CM/Rec (2010) 4 über die Menschenrechte von Angehörigen der Streitkräfte, Titel Q, Paragraf 67, und Begründung, S. 62 und 63.

( 110 ) Vgl. Nr. 25 der vorliegenden Schlussanträge.

( 111 ) Ich darf nur auf die optimistischen Botschaften hinweisen, wonach solche Arbeitszeitvorschriften in einer Zeit, in der bei einem Teil der Militärangehörigen gewisse Bestrebungen nach einer besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben anzutreffen sind (vgl. u. a. HCECM, „La vie des militaires et de leur famille selon le lieu d’affectation“, Zwölfter Bericht, Juni 2018, und Brault, O., „Les défis de la préservation d’une singularité militaire“, in Un monde en turbulence – Regards du CHEM 2019 – 68e session), einen Beitrag zur Rekrutierung und Bindung dieser Militärangehörigen leisten (vgl. u. a. Leigh, I., Born, H., a. a. O., S. 175).

( 112 ) Vgl. Nr. 33 der vorliegenden Schlussanträge.

( 113 ) Vgl. Conseil constitutionnel (Verfassungsrat, Frankreich), Entscheidungen Nr. 2014-432 QPC vom 28. November 2014 und Nr. 2014-45Q QPC vom 27. Februar 2015.

( 114 ) Auch wenn der Grundsatz der Verfügbarkeit von Militärangehörigen im französischen Recht zweifellos eine erhebliche Bedeutung hat und die Grundsätze für die Organisation der Streitkräfte von einem Mitgliedstaat zum anderen Eigenarten aufweisen können (vgl. Nr. 65 der vorliegenden Schlussanträge), zögere ich, diese Grundsätze in die gleiche Kategorie einzuordnen wie die republikanische Staatsform (vgl. u. a. Urteil vom 2. Juni 2016, Bogendorff von Wolffersdorff,C‑438/14, EU:C:2016:401, Rn. 64) oder die Amtssprache eines Staates (vgl. u. a. Urteil vom 16. April 2013, Las,C‑202/11, EU:C:2013:239, Rn. 26). Außerdem umfasst die „nationale Identität“ der einzelnen Mitgliedstaaten zwar deren „verfassungsmäßige Identität“ (vgl. u. a. Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in der Rechtssache Michaniki, C‑213/07, EU:C:2008:544, Nr. 31), doch bezieht sich der letztere Begriff meines Erachtens lediglich auf einen „harten Kern“ nationaler Verfassungsvorschriften, in denen die eigentliche Identität der betreffenden verfassungsmäßigen Ordnung definiert ist. Ich frage mich, ob die „notwendige Verfügungsfreiheit der Streitkraft“ wirklich dazugehört.

( 115 ) Vgl. Nr. 87 der vorliegenden Schlussanträge. Daher nimmt diese Auslegung meiner Ansicht nach dem Soldatenberuf auch nicht seine Singularität (vgl. Nr. 33 der vorliegenden Schlussanträge).

( 116 ) Vgl. für in dieselbe Richtung gehende Vorschläge IAO, Empfehlung Nr. 116 betreffend die Verkürzung der Arbeitszeit, 1962 (R116), Nr. 14 Buchst. a Ziff. ii und Buchst. b Ziff. vi.

( 117 ) Insbesondere im Urteil vom 11. Januar 2000, Kreil (C‑285/98, EU:C:2000:2, Rn. 20 bis 29), hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 76/207, der Abweichungen vom Diskriminierungsverbot für berufliche Tätigkeiten gestattet, „für die das Geschlecht aufgrund ihrer Art oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine unabdingbare Voraussetzung darstellt“, es einem Mitgliedstaat nicht erlaubt, Frauen vollständig vom Dienst mit der Waffe auszuschließen, da ein solcher Ausschluss nicht als eine Ausnahmemaßnahme angesehen werden kann, die durch die spezifische Art der betreffenden Beschäftigungen oder die besonderen Bedingungen ihrer Ausübung gerechtfertigt wäre. Vgl. auch im Mehrwertsteuerbereich Urteil vom 16. September 1999, Kommission/Spanien (C‑414/97, EU:C:1999:417), im öffentlichen Auftragswesen Urteil vom 8. April 2008, Kommission/Italien (C‑337/05, EU:C:2008:203), sowie im Zollbereich u. a. Urteil vom 15. Dezember 2009, Kommission/Finnland (C‑284/05, EU:C:2009:778).

( 118 ) Vgl. Art. 42 Abs. 6 EUV.

( 119 ) Vgl. Nr. 64 der vorliegenden Schlussanträge.

( 120 ) Das vorlegende Gericht sollte insbesondere prüfen, ob, wie die slowenische Regierung angibt, der von den slowenischen Militärangehörigen erbrachte Wachdienst als Training Teil der Einsatzvorbereitung ist – was auf den ersten Blick zweifelhaft scheint.

( 121 ) Dagegen sind die in Art. 17 Abs. 3 Buchst. b und c der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen speziellen Abweichungen einschlägig, insbesondere für die genannte Tätigkeit (vgl. Nr. 85 der vorliegenden Schlussanträge).

( 122 ) Vgl. u. a. Urteile vom 3. Oktober 2000, Simap (C‑303/98, EU:C:2000:528, Rn. 48 und 49); vom 9. September 2003, Jaeger (C‑151/02, EU:C:2003:437, Rn. 63 und 65), sowie vom 21. Februar 2018, Matzak (C‑518/15, EU:C:2018:82, Rn. 59).

Top