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Document 62019CC0225

    Schlussanträge des Generalanwalts P. Pikamäe vom 9. September 2020.
    R.N.N.S. und K.A. gegen Minister van Buitenlandse Zaken.
    Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Den Haag zittingsplaats Haarlem.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Visakodex der Gemeinschaft – Verordnung (EG) Nr. 810/2009 – Art. 32 Abs. 1 bis 3 – Entscheidung über die Visumverweigerung – Anhang VI – Einheitliches Formblatt – Begründung – Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit oder die öffentliche Gesundheit oder für die internationalen Beziehungen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten – Art. 22 – Verfahren der vorherigen Konsultation der zentralen Behörden anderer Mitgliedstaaten – Einwand gegen die Visumerteilung – Rechtsmittel gegen die Entscheidung über die Visumverweigerung – Umfang der gerichtlichen Kontrolle – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf.
    Verbundene Rechtssachen C-225/19 und C-226/19.

    Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2020:679

     SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    PRIIT PIKAMÄE

    vom 9. September 2020 ( 1 )

    Verbundene Rechtssachen C‑225/19 und C‑226/19

    R. N. N. S. (C‑225/19),

    K. A. (C‑226/19)

    gegen

    Minister van Buitenlandse Zaken

    (Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Den Haag zittingsplaats Haarlem [Gericht Den Haag, Außenstelle Haarlem, Niederlande])

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Verordnung (EG) Nr. 810/2009 – Art. 32 – Visakodex der Gemeinschaft – Entscheidung über die Verweigerung eines Visums – Anspruch des Antragstellers auf Einlegung eines Rechtsmittels gegen diese Entscheidung – Anspruch auf einen gerichtlichen Rechtsbehelf – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Gute Verwaltung“

    I. Einleitung

    1.

    Die beiden Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Den Haag zittingsplaats Haarlem (Gericht Den Haag, Außenstelle Haarlem, Niederlande) nach Art. 267 AEUV beziehen sich auf die Auslegung von Art. 32 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex) ( 2 ) im Licht der Art. 41 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

    2.

    Sie ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten zwischen den Klägern der Ausgangsverfahren und den zuständigen niederländischen Behörden wegen Ablehnung ihrer dort gestellten Visumanträge. Die Vorlagefragen an den Gerichtshof betreffen im Kern die Fragestellung, ob ein Mitgliedstaat, der endgültig über die Ablehnung eines Visumantrags nach Art. 32 Abs. 1 des Visakodex entscheidet, nachdem ein anderer Mitgliedstaat Bedenken gegen eine Visumerteilung wegen einer drohenden Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit oder die öffentliche Gesundheit oder für die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats erhoben hat, in seiner Ablehnungsentscheidung oder im folgenden Rechtsbehelfsverfahren mitteilen muss, welcher Mitgliedstaat die Bedenken erhoben und auf welche inhaltliche Begründung dieser Mitgliedstaat sich dabei berufen hat. Eine andere den Ausgangsrechtsstreitigkeiten zugrunde liegende Frage betrifft die Rechtsbehelfe, die zur Verfügung stehen, um gegen die genannten Bedenken gegen die Erteilung eines Visums vorzugehen.

    3.

    Die vorliegenden Rechtssachen bieten dem Gerichtshof eine weitere Gelegenheit, sich zum Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, das sich aus Art. 47 der Charta ergibt, im Bereich der gemeinsamen Visumpolitik, der durch eine teilweise Harmonisierung der Rechtsvorschriften gekennzeichnet ist ( 3 ) und in dem die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten noch eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielt, zu äußern, und das trotz der Tatsache, dass der Visakodex als Instrument, das die Voraussetzungen für die Erteilung, Annullierung oder Aufhebung einheitlicher Visa regelt, grundsätzlich eine einheitliche Anwendung ( 4 ) durch sämtliche Behörden der Mitgliedstaaten – unabhängig davon, ob sie zur Exekutive oder zur Judikative gehören – erfordert, um eine kohärente Umsetzung dieser Politik zu gewährleisten.

    4.

    Der Unionsgesetzgeber hat es den Mitgliedstaaten überlassen, die Anwendung der Bestimmungen des Visakodex im Einklang mit ihren jeweiligen Verfahrensvorschriften sicherzustellen, ihnen jedoch die Verpflichtung auferlegt, bestimmte in der Unionsrechtsordnung anerkannte Verfahrensgarantien, die Ausdruck der Rechtsstaatlichkeit sind, nämlich die Begründungspflicht und das Recht auf Einlegung von Rechtsbehelfen, einzuhalten. Es wird Aufgabe des Gerichtshofs sein, aufzuklären, welche Tragweite diesen Verfahrensgarantien zukommt, und zu erläutern, in welcher Weise sie im Rahmen der Anwendung der nationalen Verfahrensvorschriften umzusetzen sind, wenn ein Rechtsbehelf gegen eine Visumverweigerung eingelegt wird, wobei den Besonderheiten des Bereichs der gemeinsamen Visumpolitik Rechnung zu tragen ist. Damit wird der Gerichtshof nicht nur den Rechtsstaat verteidigen, sondern auch zur Erreichung der Ziele dieser Politik beitragen.

    II. Rechtlicher Rahmen

    A. Charta

    5.

    Art. 41 der Charta hat folgenden Wortlaut:

    „(1)   Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheiten von den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden.

    (2)   Dieses Recht umfasst insbesondere

    a)

    das Recht jeder Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird,

    b)

    das Recht jeder Person auf Zugang zu den sie betreffenden Akten unter Wahrung des berechtigten Interesses der Vertraulichkeit sowie des Berufs- und Geschäftsgeheimnisses,

    c)

    die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen.

    …“

    6.

    Art. 47 Abs. 1 der Charta bestimmt:

    „Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.“

    7.

    Art. 51 Abs. 1 der Charta hat folgenden Wortlaut:

    „Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Dementsprechend achten sie die Rechte, halten sie sich an die Grundsätze und fördern sie deren Anwendung entsprechend ihren jeweiligen Zuständigkeiten und unter Achtung der Grenzen der Zuständigkeiten, die der Union in den Verträgen übertragen werden.“

    8.

    In Art. 52 Abs. 1 der Charta heißt es:

    „Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.“

    B. Visakodex

    9.

    In den Erwägungsgründen 28 und 29 des Visakodex heißt es:

    „(28)

    Da das Ziel der Verordnung, nämlich die Festlegung der Verfahren und Voraussetzungen für die Erteilung von Visa für die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder für geplante Aufenthalte in diesem Gebiet von höchstens drei Monaten je Sechsmonatszeitraum, auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Verordnung nicht über das für die Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.

    (29)

    Diese Verordnung steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten des Europarates und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden.“

    10.

    Art. 1 Abs. 1 des Visakodex lautet:

    „Mit dieser Verordnung werden die Verfahren und Voraussetzungen für die Erteilung von Visa für die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder für geplante Aufenthalte in diesem Gebiet von höchstens drei Monaten je Sechsmonatszeitraum festgelegt.“

    11.

    Art. 2 des Visakodex lautet:

    „Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

    2.

    ‚Visum‘ die von einem Mitgliedstaat erteilte Genehmigung im Hinblick auf

    a)

    die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder einen geplanten Aufenthalt in diesem Gebiet von höchstens drei Monaten je Sechsmonatszeitraum ab dem Zeitpunkt der ersten Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten …;

    3.

    ‚einheitliches Visum‘ ein für das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gültiges Visum;

    …“

    12.

    Art. 22 des Visakodex sieht vor:

    „(1)   Ein Mitgliedstaat kann verlangen, dass die zentralen Behörden anderer Mitgliedstaaten seine zentralen Behörden bei der Prüfung der von Staatsangehörigen spezifischer Drittländer oder von spezifischen Gruppen von Staatsangehörigen dieser Länder eingereichten Anträge konsultieren. Diese Konsultationspflicht gilt nicht für Anträge auf Erteilung eines Visums für den Flughafentransit.

    (2)   Die konsultierten zentralen Behörden beantworten das Ersuchen auf jeden Fall innerhalb von sieben Kalendertagen nach dessen Eingang. Antworten sie nicht innerhalb dieser Frist, so bedeutet dies, dass keine Einwände gegen die Erteilung des Visums bestehen.

    (3)   Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission die Einführung oder Rücknahme der Verpflichtung zur vorherigen Konsultation mit, bevor diese anwendbar wird. Eine entsprechende Unterrichtung erfolgt auch im Rahmen der Schengen-Zusammenarbeit vor Ort in dem betreffenden Konsularbezirk.

    (4)   Die Kommission unterrichtet die Mitgliedstaaten über diese Mitteilungen.

    (5)   Ab dem in Artikel 46 der VIS-Verordnung genannten Zeitpunkt der Ersetzung des Schengener Konsultationsnetzes wird die vorherige Konsultation gemäß Artikel 16 Absatz 2 der genannten Verordnung durchgeführt.“

    13.

    Art. 32 Abs. 1 bis 3 des Visakodex bestimmt:

    „(1)   Unbeschadet des Artikels 25 Absatz 1 wird das Visum verweigert,

    a)

    wenn der Antragsteller:

    vi)

    als eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit oder die öffentliche Gesundheit im Sinne von Artikel 2 [Nummer] 19 des Schengener [Grenzkodexes] oder für die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats eingestuft wird, insbesondere wenn er in den nationalen Datenbanken der Mitgliedstaaten zur Einreiseverweigerung aus denselben Gründen ausgeschrieben worden ist; …

    (2)   Eine Entscheidung über die Verweigerung und die entsprechende Begründung werden dem Antragsteller unter Verwendung des Standardformulars in Anhang VI mitgeteilt.

    (3)   Antragstellern, deren Visumantrag abgelehnt wurde, steht ein Rechtsmittel zu. Die Rechtsmittel sind gegen den Mitgliedstaat, der endgültig über den Visumantrag entschieden hat, und in Übereinstimmung mit dem innerstaatlichen Recht dieses Mitgliedstaats zu führen. Die Mitgliedstaaten informieren die Antragsteller über das im Falle der Einlegung eines Rechtsmittels zu befolgende Verfahren nach Anhang VI.“

    14.

    Anhang VI des Visakodex enthält ein einheitliches Formblatt zur Verwendung bei Entscheidungen über Visumanträge. Hinsichtlich der Begründung der Entscheidung sieht es eine Aufzählung von Ablehnungsgründen vor, die anzukreuzen sind. Ablehnungsgrund Nr. 5 lautet:

    „Sie wurden im Schengener Informationssystem (SIS) zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben von ____ (Angabe des Mitgliedstaats).“

    15.

    Ablehnungsgrund Nr. 6 lautet:

    „Ein oder mehrere Mitgliedstaaten sind der Auffassung, dass Sie eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit oder die öffentliche Gesundheit gemäß Artikel 2 Nummer 19 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 (Schengener Grenzkodex) oder für die internationalen Beziehungen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten darstellen.“

    C. VIS-Verordnung

    16.

    Art. 38 der Verordnung (EG) Nr. 767/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über das Visa‑Informationssystem (VIS) und den Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten über Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt (im Folgenden: VIS-Verordnung) ( 5 ) sieht vor:

    „(1)   Unbeschadet der Pflicht, andere Informationen gemäß Artikel 12 Buchstabe a der Richtlinie 95/46/EG zu erteilen, hat jede Person das Recht auf Auskunft über sie betreffende im VIS gespeicherte Daten und den Mitgliedstaat, der sie an das VIS übermittelt hat. Diese Datenauskunft wird nur von einem Mitgliedstaat erteilt. Jeder Mitgliedstaat führt Aufzeichnungen über diesbezügliche Anträge auf Auskunft.

    (2)   Jede Person kann beantragen, dass sie betreffende unrichtige Daten berichtigt und unrechtmäßig gespeicherte Daten gelöscht werden. Der verantwortliche Mitgliedstaat führt die Berichtigung und Löschung unverzüglich entsprechend seinen Rechts- und Verfahrensvorschriften durch.

    (3)   Wird der Antrag nach Absatz 2 bei einem anderen als dem verantwortlichen Mitgliedstaat gestellt, so kontaktieren die Behörden des Mitgliedstaats, an den der Antrag gerichtet wurde, die Behörden des verantwortlichen Mitgliedstaats innerhalb von 14 Tagen. Der verantwortliche Mitgliedstaat überprüft die Richtigkeit der Daten und die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung im VIS innerhalb eines Monats.

    (4)   Stellt sich heraus, dass im VIS gespeicherte Daten unrichtig sind oder unrechtmäßig gespeichert wurden, so berichtigt oder löscht der verantwortliche Mitgliedstaat die Daten gemäß Artikel 24 Absatz 3. Der verantwortliche Mitgliedstaat bestätigt der betroffenen Person unverzüglich schriftlich, dass er Maßnahmen zur Berichtigung oder Löschung der sie betreffenden Daten ergriffen hat.

    (5)   Ist der verantwortliche Mitgliedstaat nicht der Ansicht, dass die im VIS gespeicherten Daten unrichtig sind oder unrechtmäßig gespeichert wurden, so teilt er der betroffenen Person unverzüglich schriftlich mit, warum er nicht zu einer Berichtigung oder Löschung der sie betreffenden Daten bereit ist.

    (6)   Der verantwortliche Mitgliedstaat teilt der betroffenen Person ebenfalls mit, welche Schritte sie unternehmen kann, wenn sie diese Erklärung nicht akzeptiert. Dies beinhaltet Informationen darüber, wie bei den zuständigen Behörden oder Gerichten dieses Mitgliedstaats Klage erhoben oder Beschwerde eingelegt werden kann, und darüber, ob gemäß den Rechts- und Verfahrensvorschriften dieses Mitgliedstaats eine Unterstützung, unter anderem von den in Artikel 41 Absatz 1 genannten nationalen Kontrollstellen, vorgesehen ist.“

    17.

    Art. 40 Abs. 1 der VIS-Verordnung bestimmt:

    „In allen Mitgliedstaaten haben alle Personen das Recht, eine Klage oder Beschwerde bei den zuständigen Behörden oder Gerichten des betreffenden Mitgliedstaats zu erheben, der das in Artikel 38 Absätze 1 und 2 festgelegte Auskunftsrecht oder Recht auf Berichtigung oder Löschung der sie betreffenden Daten verweigert.“

    III. Sachverhalt der Rechtsstreitigkeiten, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    18.

    Das vorlegende Gericht begründet die Notwendigkeit, den Gerichtshof mit den Vorabentscheidungsersuchen zu befassen, außer hinsichtlich der individuellen Lage der Kläger in beiden Rechtssachen auf identische Weise.

    19.

    Der Kläger des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑225/19, R. N. N. S., ist ein ägyptischer Staatsangehöriger, der seinen Wohnsitz in seinem Herkunftsland hat. Am 28. August 2017 heiratete er eine niederländische Staatsangehörige.

    20.

    Am 7. Juni 2017 beantragte er beim Minister van Buitenlandse Zaken (Minister für auswärtige Angelegenheiten, Niederlande) ein Schengen-Visum, um seine in den Niederlanden wohnhaften Schwiegereltern zu besuchen.

    21.

    Mit Bescheid vom 19. Juni 2017 lehnte der Minister die Erteilung des Visums ab. Die Ablehnungsentscheidung wurde damit begründet, dass R. N. N. S. von einem oder mehreren Mitgliedstaaten, im vorliegenden Fall Ungarn, als eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit oder die öffentliche Gesundheit im Sinne von Art. 2 Nr. 19 des Schengener Grenzkodex oder für die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats eingestuft werde.

    22.

    Am 31. Oktober 2017 wies der Außenminister die von R. N. N. S. gegen diesen Bescheid eingelegte Beschwerde als unbegründet zurück.

    23.

    Am 22. November 2017 erhob R. N. N. S. beim vorlegenden Gericht Klage gegen den letztgenannten Bescheid und trug vor, er dürfe nicht als eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit oder die öffentliche Gesundheit oder für die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats angesehen werden. Der Kläger macht u. a. das Fehlen eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes geltend, da er die Ablehnungsentscheidung des Außenministers inhaltlich nicht anfechten könne. Nach Ansicht des Ministers kann der von Ungarn geäußerte Ablehnungsgrund in den Niederlanden nicht in der Sache überprüft werden, weshalb R. N. N. S. hierfür die ungarischen Gerichte anrufen müsse.

    24.

    Die Klägerin des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑226/19, K. A., ist syrische Staatsangehörige und wohnt in Saudi-Arabien. Sie ist verwitwet und hat volljährige Kinder, wobei ein Kind in Schweden und drei Kinder in den Niederlanden wohnen.

    25.

    Am 2. Januar 2018 beantragte sie beim Außenminister ein Schengen-Visum, um ihren in den Niederlanden lebenden Sohn zu besuchen.

    26.

    Mit Bescheid vom 15. Januar 2018 lehnte der Außenminister die Erteilung des Visums ab. Die Ablehnungsentscheidung wurde damit begründet, dass K. A. von einem oder mehreren Mitgliedstaaten, im vorliegenden Fall von der Bundesrepublik Deutschland, als eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit oder die öffentliche Gesundheit im Sinne von Art. 2 Nr. 19 des Schengener Grenzkodex oder für die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats eingestuft werde.

    27.

    Am 14. Mai 2018 wies der Außenminister die von K. A. gegen diesen Bescheid eingelegte Beschwerde als unbegründet zurück. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ersuchte die Klägerin den Minister darum, bei den deutschen Behörden ausführlichere Informationen über die Gründe einzuholen, aus denen sie die Klägerin als eine solche Gefahr einstuften. Der Außenminister vertrat jedoch die Auffassung, der Visakodex enthalte keine Verpflichtung für das Königreich der Niederlande, bei den deutschen Behörden derartige Informationen einzuholen.

    28.

    Am 28. Mai 2018 erhob K. A. beim vorlegenden Gericht Klage gegen den letztgenannten Bescheid und trug vor, sie dürfe nicht als eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit oder die öffentliche Gesundheit oder für die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats angesehen werden. K. A. macht u. a. das Fehlen eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes geltend, da sie den Ablehnungsgrund, der zu allgemein formuliert sei, nicht anfechten könne. Nach Ansicht von K. A., die u. a. auf Art. 41 der Charta Bezug nimmt, hätte sich der Außenminister nach den sachlichen Gründen für die Entscheidung der deutschen Behörden erkundigen müssen.

    29.

    Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Kläger in den beiden Verfahren weder im Visa‑Informationssystem (VIS) zur Verweigerung eines Visums noch im Schengener Informationssystem (SIS) zur Verweigerung der Einreise in den Schengen-Raum ausgeschrieben seien.

    30.

    In den beiden Ausgangsverfahren stellt sich die Frage, ob und auf welche Art und Weise der Verweigerungsgrund des Art. 32 Abs. 1 Buchst. a Ziff. vi des Visakodex im Rahmen einer Klage gegen die endgültige Ablehnung des Visumantrags geprüft werden kann und ob diese Art der Prüfung einen wirksamen Rechtsbehelf darstellt.

    31.

    Daher hat die Rechtbank Den Haag zittingsplaats Haarlem (Gericht Den Haag, Außenstelle Haarlem) beschlossen, die Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof in den beiden bei ihr anhängigen Rechtsstreitigkeiten folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    Liegt im Fall eines Rechtsbehelfs im Sinne von Art. 32 Abs. 3 des Visakodex gegen eine endgültige Entscheidung über die Verweigerung eines Visums nach Art. 32 Abs. 1 Buchst. a Ziff. vi des Visakodex ein wirksamer Rechtsbehelf im Sinne von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union unter folgenden Umständen vor:

    In der Begründung der Entscheidung hat der Mitgliedstaat lediglich ausgeführt: „Sie werden von einem oder mehreren Mitgliedstaaten als eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit oder die öffentliche Gesundheit im Sinne von Art. 2 Nr. 19 bzw. Nr. 21 des Schengener Grenzkodex oder für die internationalen Beziehungen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten angesehen“,

    weder in der Entscheidung noch im Rechtsbehelfsverfahren teilt der Mitgliedstaat mit, welcher spezifische Grund bzw. welche spezifischen Gründe der vier in Art. 32 Abs. 1 Buchst. a Ziff. vi des Visakodex genannten Gründe entgegengehalten werden,

    im Rechtsbehelfsverfahren liefert der Mitgliedstaat weder nähere inhaltliche Informationen noch eine nähere inhaltliche Begründung hinsichtlich des Grundes bzw. der Gründe, die den Einwänden des anderen Mitgliedstaats (bzw. der anderen Mitgliedstaaten) zugrunde liegen?

    2.

    Ist unter den in Frage 1 geschilderten Umständen das Recht auf eine gute Verwaltung im Sinne von Art. 41 der Charta gewahrt, insbesondere angesichts der Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen?

    3.

    a)

    Fällt die Antwort auf Frage 1 und 2 anders aus, wenn der Mitgliedstaat im endgültigen Bescheid über das Visum auf eine tatsächlich bestehende und hinreichend genau beschriebene Rechtsbehelfsmöglichkeit in dem anderen Mitgliedstaat gegen die namentlich genannte zuständige Behörde in diesem anderen Mitgliedstaat (bzw. in diesen anderen Mitgliedstaaten) hinweist, der (bzw. die) die in Art. 32 Abs. 1 Buchst. a Ziff. vi des Visakodex genannten Einwände erhoben hat (bzw. haben), und der Verweigerungsgrund im Rahmen dieses Rechtsbehelfs überprüft werden kann?

    3.

    b)

    Ist für eine bejahende Antwort auf Frage 1 im Zusammenhang mit Frage 3.a erforderlich, dass die Entscheidung in dem Rechtsbehelfsverfahren, das in dem Mitgliedstaat, der die endgültige Entscheidung getroffen hat, und gegen diesen betrieben wird, ausgesetzt wird, bis der Antragsteller die Gelegenheit hatte, die Rechtsbehelfsmöglichkeit in dem anderen Mitgliedstaat (oder in den anderen Mitgliedstaaten) in Anspruch zu nehmen, und, falls der Antragsteller sie in Anspruch nimmt, die (endgültige) Entscheidung in Bezug auf diesen Rechtsbehelf ergangen ist?

    4.

    Wirkt es sich auf die Beantwortung der Fragen aus, ob (der Behörde in) dem Mitgliedstaat (bzw. den Mitgliedstaaten), der (bzw. die) die Einwände gegen die Erteilung des Visums erhoben hat (bzw. haben), die Möglichkeit geboten werden kann, im Rechtsbehelfsverfahren gegen die endgültige Entscheidung über den Visumantrag als zweite Gegenpartei aufzutreten, und er (bzw. sie) in dieser Eigenschaft die Gelegenheit erhalten kann (bzw. können), darzulegen, auf welchem Grund bzw. welchen Gründen seine (bzw. ihre) Einwände beruhen?

    IV. Verfahren vor dem Gerichtshof

    32.

    Die Vorlageentscheidungen vom 5. März 2019 sind am 14. März 2019 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

    33.

    Die Parteien der Ausgangsverfahren, die niederländische, die tschechische, die deutsche, die italienische, die litauische und die polnische Regierung sowie die Europäische Kommission haben innerhalb der Frist nach Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union schriftliche Erklärungen eingereicht.

    34.

    Im Wege einer prozessleitenden Maßnahme vom 30. April 2020 hat der Gerichtshof allen Beteiligten Fragen zur schriftlichen Beantwortung gestellt. Die schriftlichen Erklärungen zu diesen Fragen sind fristgerecht eingereicht worden.

    V. Rechtliche Würdigung

    A. Vorbemerkungen

    1.   Notwendigkeit einer einheitlichen Anwendung des Visakodex trotz des Fehlens einer vollständigen Harmonisierung

    35.

    Bevor mit der Prüfung der dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen begonnen wird, sei auf die Bedeutung hingewiesen, die dem Visakodex und dem legislativen Ziel dieses Rechtsinstruments zukommt. Gemäß seinem Art. 1 Abs. 1 werden mit dem Visakodex die Verfahren und Voraussetzungen für die Erteilung von Visa für die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder für geplante Aufenthalte in diesem Gebiet von höchstens drei Monaten je Sechsmonatszeitraum festgelegt. Er ist mit dem Ziel erlassen worden, die unterschiedlichen Bestimmungen abzuschaffen, die zuvor – insbesondere in Bezug auf die wesentlichen Einreisevoraussetzungen und die Verfahrensgarantien wie beispielsweise die Begründungspflicht und das Recht auf Einlegung von Rechtsbehelfen gegen Ablehnungsentscheidungen – bestanden. Der Unionsgesetzgeber wollte diese Voraussetzungen vereinheitlichen, um, wie sich aus dem 18. Erwägungsgrund des Visakodex ergibt, „Visa-Shopping“ zu vermeiden und eine Gleichbehandlung der Visumantragsteller zu gewährleisten.

    36.

    Es liegt jedoch auf der Hand, dass bestimmte mehr oder weniger mit der Visaerteilung zusammenhängende Aspekte ohne eine vollständige diesbezügliche Harmonisierung in die Gesetzgebungszuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen. Dies folgt erstens aus der Tatsache, dass die Union die Zuständigkeit, die sie gemäß Art. 4 Abs. 2 Buchst. j AEUV im Bereich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts mit den Mitgliedstaaten teilt, nicht ausgeübt hat. Sodann kann sich die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten aus einem ausdrücklichen Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten ergeben. Außerdem kann diesen ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum hinsichtlich der Erfüllung spezifischer Aufgaben eingeräumt werden. Die jeweiligen Zuständigkeiten der Union und der Mitgliedstaaten im legislativen oder exekutiven Bereich müssen somit auf Einzelfallbasis im Wege der Auslegung aus den einschlägigen Vorschriften abgeleitet werden.

    2.   Politisch sensibler Charakter bestimmter Aspekte

    37.

    Wie jeder aus einem politischen Kompromiss hervorgegangene Gesetzgebungsakt lässt der Visakodex als sensibel eingestufte Aspekte erkennen, die die Mitgliedstaaten lieber selbst regeln wollten. Die Entstehungsgeschichte des Visakodex liefert Anhaltspunkte für den sensiblen Charakter bestimmter Aspekte, darunter die Begründung einer Entscheidung über die Ablehnung eines Visumantrags und das Recht des Antragstellers auf Einlegung eines Rechtsbehelfs, die gerade Gegenstand der Ausgangsrechtssachen sind ( 6 ).

    38.

    Wie ich bereits in der Einleitung der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, bedeutet dies jedoch nicht, dass die Mitgliedstaaten von der Verpflichtung befreit sein sollten, bei der Durchführung des Rechts der Union im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta die in Art. 47 der Charta festgelegten Verfahrensgarantien einzuhalten. Andererseits erweist es sich als notwendig, den Besonderheiten des Bereichs der gemeinsamen Visumpolitik und den von den Mitgliedstaaten geltend gemachten Sicherheitserwägungen, die verhältnismäßige Einschränkungen der genannten Verfahrensgarantien rechtfertigen könnten, Rechnung zu tragen.

    B. Erste Frage

    1.   Allgemeine Aspekte

    a)   Beschwerdepunkte der Kläger der Ausgangsverfahren gegenüber den Mitgliedstaaten

    39.

    Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob eine von der zuständigen nationalen Behörde aufgrund des Vorliegens eines Ablehnungsgrundes nach Art. 32 Abs. 1 Buchst. a Ziff. vi des Visakodex getroffene Entscheidung über die Verweigerung eines Visums das in Art. 47 der Charta verbürgte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf wahrt, wenn dem Visumantragsteller diese Entscheidung gemäß Art. 32 Abs. 2 desselben Kodex unter Verwendung des Standardformulars in Anhang VI mitgeteilt wird. Wie das vorlegende Gericht ausführt, ist mit diesem Standardformular weder eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen auf unterschiedliche Fälle anwendbaren Gefährdungskategorien nach Art. 32 Abs. 1 Buchst. a Ziff. vi des Visakodex möglich noch lassen sich mit ihm nähere inhaltliche Informationen oder eine nähere inhaltliche Begründung hinsichtlich des Grundes bzw. der Gründe einholen, die den Einwänden eines anderen Mitgliedstaats zugrunde liegen, da sich der Mitgliedstaat, der die endgültige Entscheidung zu erlassen habe, grundsätzlich darauf beschränken könne, das Kontrollkästchen 6 des Standardformulars anzukreuzen.

    40.

    Das an den Gerichtshof gerichtete Ersuchen, mit dem die Vereinbarkeit der einschlägigen Bestimmungen des Visakodex und der entsprechenden Verwaltungspraxis mit Art. 47 der Charta überprüft werden soll, lässt sich dadurch erklären, dass die Kläger der Ausgangsverfahren den nationalen Behörden zur Last legen, erstens ihre Ablehnungsentscheidungen nicht hinreichend zu begründen und zweitens die Ausübung des Rechts der Kläger der Ausgangsverfahren auf Einlegung von Rechtsbehelfen gegen diese Entscheidungen zu unterlaufen. Der angebliche Begründungsmangel der Ablehnungsentscheidungen scheint die Rechte der Kläger der Ausgangsverfahren in mehrfacher Hinsicht zu beeinträchtigen, was sich nicht von vornherein ausschließen lässt, zumal Art. 32 Abs. 3 des Visakodex, ausgelegt im Licht von Art. 47 der Charta, die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, ein Rechtsbehelfsverfahren gegen die Ablehnung von Visumanträgen vorzusehen, bei dem in irgendeinem Stadium ein gerichtlicher Rechtsbehelf gewährleistet sein muss ( 7 ).

    41.

    Um die von den Mitgliedstaaten geschaffenen Rechtsbehelfe wirksam einlegen zu können, muss der Antragsteller über die Gründe unterrichtet sein, auf denen die Ablehnungsentscheidung beruht. Nur unter dieser Voraussetzung kann er in Kenntnis aller Umstände entscheiden, ob es für ihn von Nutzen ist, das zuständige Gericht anzurufen. Das Gericht seinerseits muss Kenntnis von den Gründen haben, um in der Lage zu sein, die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der fraglichen nationalen Entscheidung auszuüben ( 8 ). Die Begründungspflicht verfolgt somit ein doppeltes Ziel, dem Rechnung getragen werden muss, um einen wirksamen Rechtsbehelf zu gewährleisten. Aus Gründen der Klarheit sind diese beiden Aspekte – die Art und Weise, in der dem Antragsteller eine Visumverweigerung mitgeteilt wird, einerseits, und die Rechtmäßigkeitskontrolle, der diese Entscheidung unterliegt, andererseits – getrennt zu prüfen.

    b)   Anwendungsbereich des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und Einschränkungen nach der Charta

    42.

    Der Status der Kläger der Ausgangsverfahren als Drittstaatsangehörige steht einer Anwendung von Art. 47 der Charta auf die vorliegenden Fälle nicht entgegen. Wie der Gerichtshof im Urteil El Hassani ( 9 ) bestätigt hat, wird das Recht auf eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung über die Ablehnung eines Visumantrags durch ein Gericht jedem Antragsteller in irgendeinem Stadium des Verfahrens garantiert. Da die wirksame Ausübung dieser Rechtmäßigkeitskontrolle eine Begründung der Entscheidung über die Visumverweigerung verlangt, ist dem Antragsteller, wie weiter oben ( 10 ) erläutert wurde, das Recht zuzuerkennen, über die Gründe unterrichtet zu werden, auf denen die Ablehnungsentscheidung beruht. In diesem Geist ist festzustellen, dass auch Drittstaatsangehörige in den Anwendungsbereich von Art. 47 der Charta fallen und sich folglich vor den nationalen Behörden auf das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf berufen können ( 11 ).

    43.

    Es ist jedoch davon auszugehen, dass Art. 52 Abs. 1 der Charta, worauf der Gerichtshof im Urteil ZZ ( 12 ) hingewiesen hat, unter bestimmten Voraussetzungen Einschränkungen der Ausübung der in ihr anerkannten Rechte, einschließlich des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, zulässt. Diese Vorschrift verlangt, dass jede Einschränkung den Wesensgehalt des fraglichen Grundrechts achtet, und setzt außerdem voraus, dass jede Einschränkung unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich ist und tatsächlich den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen entspricht. Im vorliegenden Fall hat der Unionsgesetzgeber mit dem Erlass des Visakodex meines Erachtens eine Interessenabwägung zwischen der Garantie der Rechtsstaatlichkeit einerseits und der Wahrung der öffentlichen Sicherheit andererseits vorgenommen, die sich in den Rechtsvorschriften sehr gut niederschlägt. Die rechtsstaatlichen Garantien, genauer gesagt die Verpflichtung zur Begründung von Verwaltungsakten, sowie die Möglichkeiten der Einlegung von Rechtsbehelfen gegen diese Akte können, wie weiter unten dargelegt werden soll, im Interesse der öffentlichen Sicherheit eingeschränkt werden ( 13 ).

    44.

    Um eine sachdienliche Antwort auf die Vorlagefragen geben zu können, muss durch Auslegung der einschlägigen Vorschriften festgestellt werden, welchen Wert der Unionsgesetzgeber diesen Interessen beigelegt hat und in welchem Ausmaß er sie hat schützen wollen. Diese Auslegung wird den derzeitigen Entwicklungsstand des Unionsrechts im Bereich der gemeinsamen Visumpolitik offenbaren. Wie ich weiter oben ausgeführt habe, werden zwei Aspekte im Mittelpunkt der Prüfung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, so wie es im abgeleiteten Recht umgesetzt worden ist, stehen, nämlich die Art und Weise, in der dem Antragsteller eine Visumverweigerung mitgeteilt wird, und die Rechtmäßigkeitskontrolle, der diese behördliche Entscheidung unterliegt.

    2.   Art und Weise, in der dem Antragsteller eine Visumverweigerung mitgeteilt wird

    45.

    Vorab ist zu bemerken, dass sich der Gerichtshof nur sehr allgemein zu der Art und Weise geäußert hat, in der der Betroffene über die Gründe unterrichtet werden muss, auf denen eine ihm gegenüber ergangene behördliche Entscheidung beruht, da lediglich verlangt wird, dass er Kenntnis von ihnen erlangen kann, „entweder durch die Lektüre der Entscheidung selbst oder durch eine auf seinen Antrag hin erfolgte Mitteilung dieser Gründe, unbeschadet der Befugnis des zuständigen Gerichts, von der betreffenden Behörde die Übermittlung dieser Gründe zu verlangen“ ( 14 ). Folglich kann die Übermittlung der Gründe grundsätzlich auf drei verschiedene Weisen erfolgen.

    46.

    Um nun insbesondere zur Prüfung einiger Bestimmungen des Visakodex zu kommen: Art. 32 Abs. 1 dieses Kodex bestimmt, dass das Visum verweigert wird, wenn der Antragsteller als eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit oder die öffentliche Gesundheit im Sinne von Art. 2 Nr. 19 des Schengener Grenzkodex oder für die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats eingestuft wird, insbesondere wenn er in den nationalen Datenbanken der Mitgliedstaaten zur Einreiseverweigerung aus denselben Gründen ausgeschrieben worden ist. Gemäß Art. 32 Abs. 2 des genannten Kodex werden dem Antragsteller eine Entscheidung über die Verweigerung und die entsprechende Begründung unter Verwendung des Standardformulars in Anhang VI mitgeteilt. Diese Ablehnungsentscheidung spiegelt die Schlussfolgerungen der Prüfung, die der für den Erlass der endgültigen Entscheidung zuständige Mitgliedstaat vorgenommen hat, sowie das Ergebnis des in Art. 22 des Visakodex genannten Konsultationsverfahrens wider. Allerdings ist zu beachten, dass das fragliche Standardformular es den Mitgliedstaaten grundsätzlich ermöglicht, lediglich das Kontrollkästchen 6, in dem die Ablehnungsgründe aufgezählt werden, anzukreuzen, ohne dem Betroffenen weitere Informationen zu geben. Das Standardformular unterscheidet somit nicht zwischen den spezifischen Ablehnungsgründen, von denen in Art. 32 Abs. 1 des Visakodex die Rede ist.

    47.

    Folglich wird der Antragsteller nur sehr allgemein und knapp über die Gründe für die Visumverweigerung informiert. Zwar hindert das, worauf die Kommission in ihren Erklärungen zu Recht hinweist, die Mitgliedstaaten nicht daran, diese Informationen in das Formular einzutragen, beispielsweise durch Ausfüllen des Felds „Bemerkungen“. Dieses Feld böte nämlich grundsätzlich die Möglichkeit, dem Antragsteller nützliche Informationen zu liefern, um ihm dabei zu helfen, die Ablehnungsgründe besser zu verstehen, etwaige Fehler aufzudecken und bei der zuständigen nationalen Behörde Berichtigungen zu verlangen. Diesbezüglich ist hervorzuheben, dass, auch wenn sich aus den vorerwähnten Bestimmungen keinerlei Verpflichtung ableiten lässt, genauere Informationen aufzunehmen, diese Möglichkeit im Standardformular, das selbst einen wesentlichen Bestandteil des Visakodex darstellt, gleichwohl vorgesehen ist. Daher ist von der Prämisse auszugehen, dass das Standardformular, in dem das Vorliegen eines oder mehrerer Ablehnungsgründe angegeben wird und das etwaige Bemerkungen der Mitgliedstaaten beinhaltet, ein „Minimum an Informationen“ darstellt, das der Unionsgesetzgeber für ausreichend gehalten hat, um der Verpflichtung zur Begründung von Entscheidungen über die Verweigerung eines Visums als Ausdruck der Rechtsstaatlichkeit nachzukommen.

    48.

    Überdies geht aus den Akten hervor, dass die Kläger auf ihren Antrag bei den niederländischen Behörden hin erfahren haben, welche Mitgliedstaaten im Rahmen des in Art. 22 des Visakodex genannten Konsultationsverfahrens Einwände gegen die Erteilung der Visa erhoben hatten. Daher sei darauf hingewiesen, dass das nationale Verwaltungsverfahren die Möglichkeit vorsehen kann, zusätzliche – für den Antragsteller nützliche – Informationen bereitzustellen, um auf diese Weise die Begründung einer Ablehnungsentscheidung zu ergänzen. Ich teile die Meinung der deutschen Regierung, wonach die Identität der Mitgliedstaaten, die Einwände erhoben haben, auf ausdrücklichen Antrag des Antragstellers hin offengelegt werden sollte, um die Möglichkeit zu gewährleisten, sich gegen die Beurteilung dieser Mitgliedstaaten hinsichtlich der vom Antragsteller ausgehenden Gefahr zu wenden.

    49.

    Aus den vorstehenden Beobachtungen leite ich ab, dass der Unionsgesetzgeber es mangels einer ausdrücklichen Regelung im Rahmen der Union betreffend den Genauigkeitsgrad der Begründung, die in Ablehnungsentscheidungen enthalten sein muss, den Mitgliedstaaten überlassen wollte, festzulegen, welche Informationen sie dem Antragsteller übermitteln möchten. Eine solche Auslegung erscheint mir umso kohärenter, als es objektive Gründe geben kann, die eine weniger detaillierte Begründung dieser Entscheidungen rechtfertigen, wie ich in den vorliegenden Schlussanträgen darlegen werde.

    a)   Gründe im Zusammenhang mit den verschiedenen Kontexten in der Rechtsordnung der Union

    1) Einschränkung der Tragweite des in Art. 47 der Charta geschützten Rechts

    50.

    Erstens können objektive Gründe im Zusammenhang mit den Besonderheiten eines bestimmten normativen Kontexts einen geringeren Genauigkeitsgrad bei der Begründung eines Verwaltungsakts verlangen. Für diese Beschränkung des Rechts des Einzelnen, eine begründete Verwaltungsentscheidung zu erhalten, sprechen oftmals praktische Erwägungen, denen der Gesetzgeber Rechnung trägt, beispielsweise die Arbeitsbelastung der Verwaltung ( 15 ). Theoretisch gesehen wird dem in Art. 47 der Charta garantierten Recht, das eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Verwaltungstätigkeit ermöglicht, in bestimmten Bereichen des Unionsrechts eine geringere Bedeutung als in anderen beigemessen, ohne dass dies auf eine Verkennung seines Wesensgehalts hinausliefe.

    51.

    In diesem Zusammenhang ist auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs hinzuweisen, wonach die Begründungspflicht nach Maßgabe des betroffenen Bereichs des Verwaltungsrechts einen geringen Genauigkeitsgrad aufweisen kann. Ebenfalls einschlägig erscheint mir die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach das Interesse, das der Adressat an Erläuterungen haben kann, bestimmt, ob die Begründung einer Verwaltungsentscheidung als hinreichend angesehen werden kann ( 16 ). Es liegt auf der Hand, dass dieses Interesse weitgehend vom Gesetzgeber selbst bestimmt wird, da dieser den rechtlichen Status des Adressaten im betroffenen Bereich definiert.

    52.

    Der Gerichtshof scheint dieses Vorrecht des Gesetzgebers anzuerkennen, wenn er in seiner Rechtsprechung klarstellt, dass in der Begründung nicht alle tatsächlich und rechtlich einschlägigen Aspekte genannt zu werden brauchen. Nach Ansicht des Gerichtshofs ist die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Unionsrechts genügt, nicht nur anhand des Wortlauts dieser Begründung zu beurteilen, sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet ( 17 ). Daher ist der rechtliche Satus zu prüfen, den das Unionsrecht dem Visumantragsteller verleiht.

    2) Das Unionsrecht verleiht weder ein Recht auf Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten noch ein subjektives Recht auf Erteilung eines Visums

    53.

    In diesem Zusammenhang muss ich gleich zu Beginn erwähnen, dass das Unionsrecht Drittstaatsangehörigen weder ein Recht auf Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten noch ein subjektives Recht auf Erteilung eines Visums gewährt. Ich unterstütze uneingeschränkt den Standpunkt der Generalanwälte Mengozzi, Bobek und Szpunar, die das Bestehen solcher Rechte einhellig ausgeschlossen und sich dabei auf eine eingehende Analyse des Visakodex unter Berücksichtigung u. a. seines legislativen Ziels, des normativen Inhalts seiner Bestimmungen sowie der Besonderheiten der gemeinsamen Visumpolitik gestützt haben. Zur Vermeidung von Wiederholungen erlaube ich mir, auf ihre jeweiligen Schlussanträge in den betreffenden Rechtssachen zu verweisen, wobei ich mir gleichwohl das Recht vorbehalte, auf einige ihrer Bemerkungen, die mir für die Zwecke der vorliegenden Rechtssachen am relevantesten erscheinen, einzugehen.

    54.

    Wie Generalanwalt Mengozzi in der Rechtssache Koushkaki ( 18 ) zu Recht ausgeführt hat, ist das Visum nicht als Recht, sondern als eine Pflicht desjenigen ausgestaltet, der einen Kurzaufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats anstrebt, d. h. als Voraussetzung für die Einreise in das Hoheitsgebiet der Union. Ein Visum sei ein Mittel, um Einreisen und damit Migrationsströme zu kontrollieren ( 19 ). Generalanwalt Mengozzi hat ferner festgestellt, dass mit dem, was im Rahmen der Union im Visabereich unternommen werde, ein eher defensives Ziel verfolgt werde, nämlich die Bekämpfung der illegalen Einwanderung und die Vermeidung von „Visa-Shopping“; es solle also vermieden werden, dass ein Mitgliedstaat eine für Antragsteller offenkundig günstigere Visapolitik verfolge, da eine solche Politik wegen der fehlenden Kontrollen an den Binnengrenzen möglicherweise mit dem Risiko einer Destabilisierung des Schengen-Raums verbunden wäre ( 20 ). Eben aus diesem Grund schaffe der Visakodex eine Verpflichtung, ein Visum zu verweigern, wenn die vom Antragsteller verlangten Voraussetzungen nicht erfüllt seien ( 21 ). Es liegt somit auf der Hand, dass, soweit die im Visakodex vorgesehene teilweise Harmonisierung eine einheitliche Anwendung der Vorschriften, insbesondere der Ablehnungsgründe, zum Ziel hat, dies nicht bedeutet, dass die Mitgliedstaaten unter allen Umständen ein Visum erteilen müssen ( 22 ).

    55.

    Generalanwalt Bobek ist in der Rechtssache El Hassani ( 23 ) seinerseits zu der gleichen Schlussfolgerung gelangt und hat darauf hingewiesen, dass schon die bloße Visumpflicht als solche einem subjektiven Recht auf Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten entgegenstehe ( 24 ). Er hat auf Art. 2 Nr. 2 Buchst. a des Visakodex Bezug genommen, aus dem hervorgeht, dass ein Visum „[eine] von einem Mitgliedstaat erteilte Genehmigung im Hinblick auf die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder einen geplanten Aufenthalt in diesem Gebiet von höchstens drei Monaten“ ist. Zu bemerken ist, dass die Pflicht, eine Genehmigung – d. h. eine vorherige Zustimmung im Sinne des Verwaltungsrechts – einzuholen, die Bedingung für den Zugang von Drittstaatsangehörigen zum Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ist, logischerweise das Fehlen jedweden Automatismus im Visumerteilungsverfahren voraussetzt. Daher haben sich die Generalanwälte Mengozzi und Bobek zu Recht gegen eine Auslegung des Visakodex ausgesprochen, wonach ein subjektives Recht auf Erteilung eines Visums bestehe. Außerdem möchte ich hervorheben, dass der bloße Besitz eines einheitlichen Visums oder eines Visums mit räumlich beschränkter Gültigkeit, wie aus dem Wortlaut von Art. 30 des Visakodex eindeutig hervorgeht, nicht automatisch zur Einreise berechtigt.

    56.

    Auch aus den Bestimmungen der Charta lässt sich meiner Meinung nach kein subjektives Recht ableiten, da ihre Bestimmungen Drittstaatsangehörigen nur in zwei spezifischen Fällen Rechte auf Freizügigkeit verleihen. Erstens bestimmt Art. 15 Abs. 3 der Charta, dass die Staatsangehörigen dritter Länder, die im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten arbeiten dürfen, Anspruch auf Arbeitsbedingungen haben, die denen der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger entsprechen. Zweitens sieht Art. 45 Abs. 2 der Charta vor, dass „Staatsangehörigen von Drittländern, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten, … nach Maßgabe der Verträge Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit gewährt werden [kann]“. Wie Generalanwalt Szpunar in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Fahimian ( 25 ) festgestellt hat, setzt die Charta daher eine legale Einreise in die Union voraus; ein Recht darauf ergibt sich aus ihr nicht ( 26 ).

    57.

    Im Licht der vorstehenden Erwägungen ist es unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach das Interesse des Adressaten einer Verwaltungsentscheidung bestimmt, ob die darin enthaltene Begründung als ausreichend angesehen kann, und in Anbetracht dessen, dass sich Antragsteller gegenüber der Verwaltung auf keinerlei subjektives Recht berufen können, meines Erachtens nicht unangemessen, einen geringeren Genauigkeitsgrad bei der Begründung einer Entscheidung über die Verweigerung eines Visums zu akzeptieren.

    3) Erteilung eines Visums als Ausübung hoheitlicher Gewalt

    58.

    Das Fehlen eines subjektiven Rechts, d. h. eines „durch das Recht [der Union] geschützten legitimen Interesses“ ( 27 ), „das [die Union] dazu verpflichtet, eine bestimmte Maßnahme für den Inhaber dieses subjektiven Rechts zu ergreifen“ ( 28 ), ist Ausdruck einer Position des Visumantragstellers gegenüber dem Staat, die man als schwach bezeichnen könnte. Dies scheint mir jedoch genau das zu sein, was der Gesetzgeber beim Erlass des Visakodex gewollt hat, vor allem, wenn man davon ausgeht, dass es sich bei der Erteilung eines Visums an Drittstaatsangehörige um die Ausübung hoheitlicher Gewalt handelt, wie Generalanwalt Mengozzi in der Rechtssache Koushkaki festgestellt hat. Genauer gesagt hat er darauf hingewiesen, dass das Recht der Staaten, die Einreise von Nichtstaatsangehörigen zu kontrollieren, unter die staatliche Souveränität als Grundsatz des Völkerrechts falle ( 29 ).

    59.

    Generalanwalt Szpunar hat dieses Argument in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Fahimian weiterentwickelt und erläutert, dass die erste Einreise im Sinne der legalen Zuwanderung nach dem gegenwärtigen Stand des Völkerrechts ein Bereich sei, in dem weitgehend uneingeschränktes staatliches Ermessen bestehe ( 30 ). Diese Souveränität werde nicht durch die internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus den Verträgen über die Menschenrechte in Frage gestellt ( 31 ), die von den Klägern der Ausgangsverfahren im Übrigen auch nicht geltend gemacht worden sind, um Zugang zum Hoheitsgebiet des Königreichs der Niederlande zu erhalten. Ebenso wenig genügt die Tatsache, dass die Mitgliedstaaten freiwillig Verpflichtungen in Bezug auf den internationalen Flüchtlingsschutz eingegangen sind, so wichtig sie auch sein mögen, als solche, um ihre volle Entscheidungsgewalt darüber in Frage zu stellen, ob Drittstaatsangehörige Zugang zu ihrem Hoheitsgebiet erhalten. Abgesehen davon ist aus Gründen der Klarheit festzuhalten, dass das Asylsystem der Union, einschließlich des Grundsatzes der „Nichtzurückweisung“, auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da die Kläger der Ausgangsverfahren nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Maßgabe der Regeln und Verfahren des Völkerrechts anstreben.

    60.

    Der Vollständigkeit halber ist zu bemerken, dass sich die Kläger der Ausgangsverfahren nicht auf die unionsrechtlichen Einwanderungsvorschriften berufen zu können scheinen, die bestimmten Mitgliedern der Familie eines Drittstaatsangehörigen einen rechtmäßigen Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gestatten. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht hervor, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung ( 32 )„den Mitgliedstaaten präzise positive Verpflichtungen auf[gibt], denen klar definierte subjektive Rechte entsprechen, da er den Mitgliedstaaten in den in der Richtlinie festgelegten Fällen vorschreibt, den Nachzug bestimmter Mitglieder der Familie des Zusammenführenden zu genehmigen, ohne dass sie dabei ihren Ermessensspielraum ausüben könnten“ ( 33 ). In Ermangelung jedweden konkreten Hinweises in diesem Sinne in den Vorlageentscheidungen ist jedoch anzunehmen, dass die Kläger der Ausgangsverfahren keinen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt haben. Es liegt auch nicht auf der Hand, dass sie die in der Richtlinie aufgeführten Kriterien für Familienangehörige erfüllen. Daher ist von dem Grundsatz auszugehen, dass die genannte Norm auf die vorliegenden Fälle keine Anwendung findet.

    4) Visaregelung als Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik

    61.

    Ein anderes Argument, das meines Erachtens den eher schwachen rechtlichen Status des Antragstellers gegenüber dem Staat im Rahmen eines Visumerteilungsverfahrens bestätigt, hängt mit der Natur der Visaregelung als Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik zusammen ( 34 ); dieses Argument ist auch von Generalanwalt Mengozzi in der Rechtssache Koushkaki ( 35 ) vorgebracht und von Generalanwalt Bobek in der Rechtssache El Hassani ( 36 ) weiterentwickelt worden. Der Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Union ist nämlich durch einen entscheidenden Einfluss der Mitgliedstaaten im Beschlussfassungsverfahren innerhalb des Rates der Europäischen Union gekennzeichnet, das zu gemeinsamen Aktionen und Standpunkten führt, wobei den Mitgliedstaaten ein erheblicher Ermessensspielraum bei der Abstimmung verbleibt, was sich durch die Art und Weise, in der sie ihre Souveränität ausüben, deutlich zeigt ( 37 ). Auch die Einstimmigkeit, die gemäß Art. 24 Abs. 2 EUV und Art. 31 EUV für den Erlass der genannten Beschlüsse erforderlich ist, sowie die untergeordnete Rolle, die dem Parlament in Art. 36 EUV zugewiesen worden ist, unterstreichen das Interesse an der Wahrung ihrer Souveränität, da diese beiden Elemente dazu führen, dass die Annahme einer bestimmten Außen- und Sicherheitspolitik ohne ihre Zustimmung verhindert wird ( 38 ). Zu bemerken ist, dass die Verträge der Union die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Formulierung und Durchführung ihrer Außenpolitik sowie für ihre nationale Vertretung in Drittländern und internationalen Organisationen ausdrücklich anerkennen ( 39 ). All diese Faktoren beeinflussen die Visumpolitik der Union, obwohl die entsprechenden Beschlüsse im Rahmen der Überarbeitung der Verträge unter die qualifizierte Mehrheitsentscheidung gestellt worden sind. In der Praxis spielen die Mitgliedstaaten eine entscheidende Rolle ( 40 ).

    62.

    Dabei fällt auf, dass mehrere von der Union und ihren Mitgliedstaaten geschlossene Abkommen mit Drittländern sowie weitere Rechtsakte eine Liberalisierung der Visaregelung vorsehen, die Reisen, eine wirtschaftliche Tätigkeit und Kontakte zwischen Personen erleichtert. Diese Abkommen und Rechtsakte fügen sich in eine Strategie ein, in der die Interessen der Union und ihrer Mitgliedstaaten im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik widergespiegelt werden ( 41 ). Diese Strategie kann nach Maßgabe der internationalen Beziehungen, aber auch der verschiedenen Gruppen von Drittländern variieren. Vorrechte wie beispielsweise eine Befreiung von der Visumpflicht können Staatsangehörigen bestimmter Drittländer auf Gegenseitigkeitsbasis gewährt und von spezifischen Bedingungen abhängig gemacht werden, die der Kontrolle der Union und ihrer Mitgliedstaaten unterliegen ( 42 ). Sie können daher auch entzogen werden, wenn die Voraussetzung für ihre Gewährung nicht mehr erfüllt sind. Gleichermaßen müssen sie entzogen werden können, wenn die Gegenseitigkeit der Gewährung nicht mehr sichergestellt ist, wie Generalanwalt Mengozzi in der Rechtssache Koushkaki ( 43 ) zu Recht vorgetragen hat. Wenn die Union und die Mitgliedstaaten Entscheidungen über die Zweckmäßigkeit des Abschlusses solcher Abkommen treffen, üben sie ihre Hoheitsgewalt aus und stellen sicher, dass diese Entscheidungen den von ihnen ermittelten Notwendigkeiten entsprechen; damit werden sie ihrer Verantwortung gegenüber den Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern gerecht.

    63.

    Der Visakodex ist meiner Meinung nach im Licht der vorstehenden Erwägungen auszulegen. Es darf nicht vergessen werden, dass, soweit der Visakodex Drittstaatsangehörigen einen gewissen rechtlichen Status verleiht, dieser rechtliche Status von der Union und ihren Mitgliedstaaten in Ausübung ihres souveränen Willens definiert wird. Daher ist der Schluss zu ziehen, dass der Einzelne beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Unionsrechts im Visabereich nur ein „Begünstigter“ mit beschränkten Rechten ist, da sein rechtlicher Status im Einklang mit den Zielen stehen muss, die von der Union und ihren Mitgliedstaaten im Rahmen der Außen- und Sicherheitspolitik festgelegt worden sind.

    5) Weiter Beurteilungsspielraum der nationalen Behörden hinsichtlich der Feststellung, ob ein Einzelner für die Erteilung eines Visums in Betracht kommt

    64.

    Ein anderer Aspekt, der mit der Ausübung der Souveränität zusammenhängt und meines Erachtens für die Zwecke der vorliegenden Würdigung relevant ist, gibt Anlass zu einigen Bemerkungen, nämlich die Rolle der nationalen Behörden bei der Prüfung von Visumanträgen.

    65.

    Ich weise zunächst darauf hin, dass das Visum gemäß Art. 32 Abs. 1 Buchst. a Ziff. vi des Visakodex verweigert wird, wenn der Antragsteller „als eine Gefahr“ im Sinne von Art. 2 Nr. 19 des Schengener Grenzkodex „eingestuft wird“, was erstens eine Risikobewertung durch die zuständigen Behörden nach Art. 21 des Visakodex voraussetzt und zweitens bedeutet, dass eine absolute Gewissheit hinsichtlich des Vorliegens einer wirklichen Gefahr nicht erforderlich ist. Es hat sogar den Anschein, als genügte es für die Anwendung dieser Vorschrift in der Regel, bestimmte Anhaltspunkte festzustellen, die auf Gefahren für die fraglichen legitimen Interessen hindeuten ( 44 ). Eine solche Auslegung ließe sich nämlich durch den präventiven Charakter der Visaregelung erklären, die mit dem Ziel entwickelt worden ist, die Sicherheit im gesamten Schengen-Raum vor externen Gefahren wie illegaler Migration und Menschenhandel zu schützen ( 45 ). Daher ließe sich grundsätzlich die Auffassung vertreten, dass sich die nationalen Behörden auf die Anhaltspunkte, über die sie verfügen, stützen können, wenn es darum geht, der Erteilung eines Visums entgegenzutreten, ohne gezwungen zu sein, absolute Gewissheit darüber zu erlangen, dass der Antragsteller tatsächlich eine Gefahr darstellt. Im Interesse der Kohärenz sollten weniger strenge Anforderungen an die Begründung einer Ablehnungsentscheidung gestellt werden.

    66.

    Auch in seinem Urteil in der Rechtssache Koushkaki ( 46 ) hat der Gerichtshof den weiten Beurteilungsspielraum hervorgehoben, über den die nationalen Behörden bei der Feststellung verfügen, ob ein Einzelner für die Erteilung eines Visums in Betracht kommt. Aus diesem Urteil geht hervor, dass die Beurteilung der individuellen Situation eines Visumantragstellers im Hinblick auf die Feststellung, ob seinem Antrag ein Verweigerungsgrund entgegensteht, mit komplexen Bewertungen verbunden ist, die sich u. a. auf die Persönlichkeit dieses Antragstellers, seine Integration in dem Land, in dem er lebt, die politische, soziale und wirtschaftliche Lage dieses Landes sowie die mit der Einreise des Antragstellers möglicherweise verbundene Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats beziehen ( 47 ). Nach Ansicht des Gerichtshofs erfordern solche komplexen Bewertungen eine Prognose über das voraussichtliche Verhalten des betreffenden Antragstellers und müssen u. a. auf einer vertieften Kenntnis seines Wohnsitzstaats sowie auf der Analyse verschiedener Dokumente, deren Echtheit und Wahrheitsgehalt zu überprüfen sind, und der Aussagen des Antragstellers, deren Glaubwürdigkeit zu beurteilen ist, beruhen, wie es Art. 21 Abs. 7 des Visakodex vorsieht ( 48 ).

    67.

    In seinem Urteil in der Rechtssache El Hassani hat der Gerichtshof erneut auf den weiten Beurteilungsspielraum hingewiesen, über den die nationalen Behörden in Bezug auf die Anwendungsvoraussetzungen der im Visakodex vorgesehenen Ablehnungsgründe und die Würdigung der relevanten Tatsachen verfügen ( 49 ).

    68.

    Es sollte betont werden, dass sich der Gerichtshof im Urteil Fahimian, das sich auf die Auslegung der Richtlinie 2004/114/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 über die Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zur Absolvierung eines Studiums oder zur Teilnahme an einem Schüleraustausch, einer unbezahlten Ausbildungsmaßnahme oder einem Freiwilligendienst ( 50 ) bezog, d. h. einen Rechtsakt, der sich vom Visakodex unterschied, aber auch in den Bereich der Einwanderungspolitik fiel, auf die gleiche Argumentation gestützt hat. So hat der Gerichtshof den weiten Beurteilungsspielraum hervorgehoben, der den nationalen Behörden bei der Würdigung der relevanten Tatsachen zuerkannt wird und mit dem festgestellt werden soll, ob die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/114 genannten Gründe, aus denen sich eine Bedrohung u. a. für die öffentliche Sicherheit ergibt, der Zulassung des Drittstaatsangehörigen entgegenstehen ( 51 ). Der Gerichtshof hat entschieden, dass die nationalen Behörden für die Feststellung, ob der Visumantragsteller eine – auch nur potenzielle – Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstellt, eine Gesamtbetrachtung aller seine Situation kennzeichnenden Umstände vornehmen müssen ( 52 ). Es erscheint mir wichtig, herauszustellen, dass sich der Gerichtshof dabei auf eine entsprechende Anwendung seiner Rechtsprechung in der bereits weiter oben erwähnten Rechtssache Koushkaki ( 53 ) gestützt hat.

    69.

    Meiner Meinung nach bestätigt dieser den nationalen Behörden zuerkannte Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Feststellung, ob ein Einzelner für die Erteilung eines Visums in Betracht kommt, den schwachen rechtlichen Status, den der Visakodex Antragstellern verleiht.

    6) Der für die Unionsbürgerschaft und den Binnenmarkt geltende Rechtsrahmen ist nicht auf die Situation eines Visumantragstellers übertragbar

    i) Kein privilegierter Status für die Kläger der Ausgangsverfahren

    70.

    Aus den Vorlageentscheidungen geht hervor, dass einige Mitglieder der Familie der Kläger der Ausgangsverfahren in den Niederlanden leben. Somit stellt sich die Frage, ob die Kläger der Ausgangsverfahren gewissermaßen einen privilegierten Status innehaben, weil diese Angehörigen ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der Union haben. Ein gewisser Zusammenhang mit den Grundfreiheiten des Binnenmarkts der Union könnte – zumindest theoretisch – in Erwägung gezogen werden.

    71.

    Meiner Meinung nach ist diese Frage eindeutig zu verneinen. Der für den Binnenmarkt der Union geltende Rechtsrahmen ist nicht auf die Situation von Visumantragstellern übertragbar, was einen weiteren wichtigen Grund dafür darstellt, dass diesen Antragstellern kein Schutz gewährt werden kann, der mit dem einer Person vergleichbar ist, die das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt ausübt. Ich denke insbesondere an die Vorschriften über die Behandlung von Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen.

    72.

    Wie der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung festgestellt hat, hat der Unionsgesetzgeber die Anwendung des Unionsrechts auf dem Gebiet der Einreise und des Aufenthalts im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten weitgehend auf die Drittstaatsangehörigen erstreckt, die mit Staatsangehörigen von Mitgliedstaaten verheiratet sind ( 54 ). Genauer gesagt verleiht die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG ( 55 ), jedem Drittstaatsangehörigen, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers im Sinne von Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie ist und den Unionsbürger in einen anderen Mitgliedstaat als den, dessen Staatsangehörigkeit dieser besitzt, begleitet oder ihm dorthin nachzieht, das Recht, in den Aufnahmemitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten.

    73.

    Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass mit den für diese Personengruppe geltenden Vorschriften in Wirklichkeit die Freizügigkeit der Unionsbürger gewährleistet werden soll. Der Unionsgesetzgeber hat die Bedeutung anerkannt, die der Gewährleistung des Schutzes des Familienlebens der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten für die Beseitigung der Hindernisse bei der Ausübung der von den Verträgen garantierten Grundfreiheiten zukommt ( 56 ). Die Ausübung der Freiheiten, die der Vertrag den Unionsbürgern gewährleistet, würde schwerwiegend behindert, wenn diese im Aufnahmemitgliedstaat kein normales Familienleben führen dürften ( 57 ). Art. 21 Abs. 1 AEUV und die Richtlinie 2004/38 verleihen Drittstaatsangehörigen keine eigenständigen Rechte. Die etwaigen Rechte, die die unionsrechtlichen Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft Drittstaatsangehörigen verleihen, sind Rechte, die daraus abgeleitet werden, dass ein Unionsbürger sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat ( 58 ).

    74.

    Es ist demnach nicht nur unwahrscheinlich, dass diese Bestimmungen auf die fraglichen Rechtssachen anwendbar sind, da es sich bei den Klägern der Ausgangsverfahren nicht um Familienangehörige im Sinne von Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2004/38 zu handeln scheint, sondern für mich auch völlig offensichtlich, dass die Absicht des Unionsgesetzgebers nicht darin bestand, den Kreis der Begünstigten auf andere, in dieser Richtlinie nicht ausdrücklich genannte Personen auszudehnen. Wie im vorstehenden Absatz erläutert worden ist, folgt die Entscheidung, die Rechte auf Einreise und Aufenthalt auf bestimmte Familienangehörige von Unionsbürgern auszudehnen, einer bestimmten Logik, die eng mit dem Recht des Binnenmarkts und den Grundrechten verknüpft ist. Die im Rat als Mitgesetzgebungsorgane vertretenen Mitgliedstaaten haben sich auf der Grundlage einer souveränen Entscheidung freiwillig damit einverstanden erklärt, einem speziellen Kreis von Begünstigten Rechte zu verleihen, um das Konzept der Unionsbürgerschaft weiterzuentwickeln und den Binnenmarkt zu konsolidieren, was folglich jedwede entsprechende Anwendung von Art. 21 Abs. 1 AEUV und der Richtlinie 2004/38 auf andere Gruppen von Drittstaatsangehörigen ausschließt.

    ii) Schutz der öffentlichen Sicherheit im Binnenmarktrecht

    75.

    Gleiches gilt für die Rechtsbegriffe, die im Zusammenhang mit der Unionsbürgerschaft stehen oder in den Bereich des Binnenmarkts fallen, wie beispielsweise der Begriff der Gründe der „öffentlichen Sicherheit“ als Ausnahme von der allgemeinen Regel der Freizügigkeit. Wie ich weiter oben in den vorliegenden Schlussanträgen ( 59 ) ausgeführt habe, können die rechtsstaatlichen Garantien, u. a. die Verpflichtung zur Begründung von Verwaltungsakten, im Interesse der öffentlichen Sicherheit eingeschränkt werden. Obwohl diese allgemeine Aussage grundsätzlich richtig ist, sollten dennoch einige wichtige Klarstellungen vorgenommen werden. Die Tatsache, dass der Visakodex und die Vorschriften zur Umsetzung der Freiheiten des Binnenmarkts auf die „öffentliche Sicherheit“ Bezug nehmen, bedeutet nicht, dass es sich um den gleichen Rechtsbegriff handelt und dieser auf die gleiche Art und Weise auszulegen ist. Entsprechend den vorstehend getroffenen Feststellungen ( 60 ) hat der Kontext einer Vorschrift in der Rechtsordnung der Union entscheidenden Einfluss auf die Auslegung dieser Vorschrift.

    76.

    Deshalb hat es Generalanwalt Szpunar zu Recht abgelehnt, die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Ausnahmen von der allgemeinen Regel der Freizügigkeit auf die Visaregelung, um die es in den Ausgangsrechtssachen geht, zu übertragen. Wie er in der Rechtssache Fahimian festgestellt hat, ist es nachvollziehbar, dass diese Ausnahmen eng ausgelegt werden ( 61 ), zumal das Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten ist. Generalanwalt Szpunar hat weitere relevante Argumente vorgebracht, um eine Übertragung der in den Bereich des Binnenmarkts fallenden Rechtsbegriffe auf die Visaregelung auszuschließen, beispielsweise die unterschiedliche Normstruktur ( 62 ). Der Umstand, nicht als eine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit betrachtet zu werden, sei keine Ausnahme von einem weit ausgelegten Recht auf Einreise, sondern lediglich eine negative Voraussetzung für ein Recht auf Einreise. Der Kontext sei einfach ein anderer als im Binnenmarkt, und der Kontext sei wichtig. Der konkrete Kontext des Einwanderungsrechts der Union impliziere, dass einem Drittstaatsangehörigen nicht die gleichen Rechte zuteilwürden wie dem Angehörigen eines Mitgliedstaats, d. h. einem Unionsbürger. Nach der Feststellung, dass die Richtlinie 2004/114 auf Art. 79 AEUV im Dritten Teil Titel V des AEU-Vertrags beruhe, hat der Generalanwalt außerdem den Unterschied zwischen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Recht des freien Personenverkehrs und im Einwanderungsrecht hervorgehoben ( 63 ). In diesem Zusammenhang hat er auf Art. 72 AEUV Bezug genommen, der eine ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit vorsieht und auf den ich weiter unten in meiner Würdigung zurückkommen werde.

    77.

    Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der rechtliche Status eines Visumantragstellers dem eines Unionsbürgers oder eines Angehörigen seiner Familie, der Staatsangehöriger eines Drittstaats ist, nicht gleichgestellt werden kann. Demnach ist jede entsprechende Anwendung der Rechtsbegriffe betreffend die Unionsbürgerschaft und den Binnenmarkt auf die Visaregelung auszuschließen.

    iii) Die in der Rechtssache ZZ entwickelten Grundsätze sind nicht in vollem Umfang auf die vorliegenden Fälle übertragbar

    78.

    Ich zögere etwas, dem Vorschlag der Kommission, wonach die Grundsätze, die der Gerichtshof in der Rechtssache ZZ ( 64 ) entwickelt hat, entsprechend auf die vorliegenden Fälle angewandt werden sollen, zuzustimmen. Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen selbst einräumt, unterscheidet sich der tatsächliche Zusammenhang von dem der im vorliegenden Fall untersuchten Rechtssachen, die durch eine geringere Intensität des Eingriffs der Behörden gekennzeichnet sind. In der Rechtssache ZZ wurde einem Unionsbürger der Zugang zu dem Mitgliedstaat, in dem seine Ehefrau und seine Kinder lebten und er selbst mehrere Jahre lang wohnhaft gewesen war, mit der Begründung verweigert, dass seine Anwesenheit im Aufnahmemitgliedstaat der öffentlichen Sicherheit zuwiderlaufe. In den Ausgangsrechtssachen sind die Kläger hingegen Drittstaatsangehörige, die keinen Anknüpfungspunkt zu irgendeinem Mitgliedstaat aufweisen und denen die Erteilung eines Visums verweigert worden ist. Demnach sind die Rechtssachen in ganz verschiedenen rechtlichen Zusammenhängen verortet, da der Gerichtshof in der Rechtssache ZZ die Bestimmungen der Richtlinie 2004/38 auszulegen hatte und nicht – wie in den Ausgangsrechtssachen – die Bestimmungen des Visakodex.

    79.

    In Anbetracht der erheblichen tatsächlichen und rechtlichen Unterschiede und unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen halte ich es für zweckmäßig, bei der vorbehaltlosen Anwendung der Grundsätze, die der Gerichtshof in der Rechtssache ZZ entwickelt hat, Vorsicht walten zu lassen, auch wenn in den vorliegenden Rechtssachen eine ähnliche Problematik aufgegriffen wird. Diese Ähnlichkeit darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Unionsgesetzgeber eine Interessenabwägung zwischen der Verpflichtung zur Begründung einer Verwaltungsentscheidung einerseits und der Wahrung der öffentlichen Sicherheit andererseits vorgenommen und dabei einen rechtlichen Kontext berücksichtigt hat, der sich stark von dem des Binnenmarkts unterscheidet, in dem der Schutz der öffentlichen Sicherheit eine zentrale Rolle spielt, wie ich in den folgenden Absätzen erläutern werde.

    b)   Gründe im Zusammenhang mit dem Schutz der öffentlichen Sicherheit

    80.

    Wie bereits weiter oben ( 65 ) ausgeführt worden ist, lässt Art. 52 Abs. 1 der Charta unter bestimmten Voraussetzungen Einschränkungen der Ausübung der in ihr anerkannten Rechte, einschließlich des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, zu. Theoretisch können Einschränkungen der Ausübung von Rechten durch von der Union anerkannte dem Gemeinwohl dienende Zielsetzungen gerechtfertigt sein. Ich stelle insoweit fest, dass sich alle Mitgliedstaaten, die in den vorliegenden Rechtssachen Erklärungen eingereicht haben, auf den Schutz der öffentlichen Ordnung und der nationalen Sicherheit als Grund für die Nichtoffenlegung als vertraulich erachteter Informationen berufen haben. Der Schutz der öffentlichen Sicherheit, vor allem was die Verwaltung sensibler Daten betrifft, stellt eine solche dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung dar, wie mehrere Vorschriften zur Gewährleistung der Vertraulichkeit von Informationen aus Sicherheitsgründen bestätigen.

    81.

    Gemäß Art. 346 Abs. 1 AEUV ist ein Mitgliedstaat, der einen Einwand erhoben hat, nicht zur Auskunft über die Gründe für die Einstufung des Antragstellers als Gefahr für die innere Sicherheit im Sinne von Art. 32 Abs. 1 Buchst. a Ziff. vi des Visakodex verpflichtet, da die Mitteilung sicherheitsrelevanter Informationen einen besonders sensiblen Bereich darstellt.

    82.

    Durch Art. 72 AEUV wird zudem klargestellt, dass die gemeinsame Politik in den Bereichen Einwanderung und Kontrolle der Außengrenzen nicht die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit berührt ( 66 ). Diese Zuständigkeit umfasst auch die Einführung und Anwendung von Vorschriften über die amtliche Verwahrung geheimhaltungsbedürftiger Unterlagen und deren Weitergabe an Dritte. Den Grundsatz der Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten hat die Union darüber hinaus im Rahmen der Vorschrift in Art. 8 Abs. 3 des Visakodex über Vertretungsvereinbarungen aufgegriffen, der vorsieht, dass die einschlägigen Datenschutz- und Sicherheitsvorschriften zu beachten sind.

    83.

    Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung seinerseits anerkannt, dass „zwingende Erwägungen der Sicherheit oder der Gestaltung der internationalen Beziehungen der Union oder ihrer Mitgliedstaaten der Mitteilung bestimmter Informationen oder Beweise an die betroffene Person entgegenstehen [können]“ ( 67 ). In Ausnahmefällen und insbesondere aus Gründen der Staatssicherheit ist es demnach möglich, den Betroffenen bestimmte Informationen vorzuenthalten. Dies gilt für ein Verwaltungsverfahren wie das Visumerteilungsverfahren, aber auch im Rahmen eines Gerichtsverfahrens nach Klageerhebung, wie ich später erläutern werde.

    c)   Zwischenergebnis

    84.

    Im Licht der vorstehenden Feststellungen komme ich zu einem Zwischenergebnis, dass sich wie folgt zusammenfassen lässt:

    85.

    Das Standardformular in Anhang VI des Visakodex ermöglicht es den Mitgliedstaaten, dem Antragsteller eine hinreichend detaillierte Begründung zu liefern, die dessen rechtlichem Status Rechnung trägt.

    86.

    Auch wenn die Mitgliedstaaten beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Unionsrechts nicht verpflichtet sind, eine detaillierte Begründung zu liefern, hindert sie nichts daran, in das Standardformular „Bemerkungen“ aufzunehmen, um eine Rechtmäßigkeitskontrolle zu erleichtern.

    87.

    Der Unionsgesetzgeber kann darüber hinaus die Art und Weise überarbeiten, in der Antragstellern die Verweigerung von Visa mitgeteilt wird, nachdem er eine erneute Abwägung der auf dem Spiel stehenden Interessen vorgenommen hat. Mit dem Erlass der Verordnung (EU) 2019/1155 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Änderung des Visakodex ( 68 ) hat der Gesetzgeber das nämlich unlängst getan. Diese legislative Revision bringt erhebliche Änderungen mit sich, da das neue Standardformular nunmehr die Kategorie einer „Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit“ einerseits und die einer „Gefahr für die öffentliche Gesundheit“ andererseits trennt. Die drei Ablehnungsgründe sind somit jetzt auf drei verschiedene Kontrollkästchen verteilt. Zu beachten ist ferner der 15. Erwägungsgrund der neuen Verordnung, in dem es heißt: „Die Mitteilung über die Ablehnung sollte nähere Angaben zu den Ablehnungsgründen und dem Verfahren für die Einlegung eines Rechtsbehelfs enthalten. Während des Rechtsbehelfsverfahrens sollten Antragsteller Zugang zu allen maßgeblichen Informationen über ihren Fall im Einklang mit dem innerstaatlichen Recht erhalten.“ So lässt sich der Wille des Gesetzgebers feststellen, den rechtlichen Status von Visumantragstellern schrittweise anzupassen, um den Transparenzanforderungen, die das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf stellt, besser zu entsprechen.

    3.   Rechtmäßigkeitskontrolle, der die Ablehnungsentscheidung unterliegt

    88.

    Die vorstehenden Feststellungen zum rechtlichen Status von Visumantragstellern und zur Art und Weise, in der Antragstellern die Ablehnungsgründe mitgeteilt werden, haben gravierende Folgen für die Prüfung des Umfangs der gerichtlichen Kontrolle im Rahmen des Rechtsmittels gemäß Art. 32 Abs. 3 des Visakodex, ausgelegt im Licht von Art. 47 der Charta, wie in den vorliegenden Schlussanträgen gezeigt werden soll.

    a)   Modalitäten der Rechtmäßigkeitskontrolle richten sich nach dem nationalen Recht

    89.

    Der Unionsgesetzgeber hat Antragstellern das Recht auf einen Rechtsbehelf in Übereinstimmung mit der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten verliehen, was zur Folge hat, dass die Verfahren zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit von einem Mitgliedstaat zum anderen variieren können. Verfahren administrativer, gerichtlicher oder sogar gemischter Natur sind grundsätzlich möglich ( 69 ). In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof nützliche Klarstellungen für die Auslegung der vorerwähnten Vorschriften geliefert, als er in seinem Urteil in der Rechtssache El Hassani entschieden hat, dass, obwohl die „Ausgestaltung [des Rechtsbehelfsverfahrens gegen die Ablehnung von Visumanträgen] – unter Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität – Sache der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten [ist, b]ei diesem Verfahren … in irgendeinem Stadium ein gerichtlicher Rechtsbehelf gewährleistet sein [muss]“ ( 70 ).

    90.

    Im Übrigen ist auch im vorliegenden Kontext noch einmal deutlich zu sagen, dass, soweit die innerstaatliche Rechtsordnung „gemischte Verfahren“ vorsieht, beispielsweise die Möglichkeit, bei der die Ablehnungsentscheidung erlassenden Behörde (oder bei der mit der Rechtsaufsicht betrauten übergeordneten Verwaltungsbehörde) Beschwerde einzulegen, nichts die Mitgliedstaaten daran hindert, soweit möglich detailliertere Auskünfte zu erteilen. Allerdings hat es entgegen dem Wortlaut der ersten Vorlagefrage den Anschein, dass die Kläger der Ausgangsverfahren von den niederländischen Behörden rechtmäßig detailliertere Informationen – u. a. über die Mitgliedstaaten, die Einwände gegen die Visumerteilung erhoben hatten – erhalten haben. Demnach scheint das in den Niederlanden geltende Verfahren, wie weiter oben in der Würdigung ( 71 ) ausgeführt worden ist, ein Mindestmaß an Transparenz zu gewährleisten.

    91.

    Die Bedeutung einer solchen Rechtmäßigkeitskontrolle darf nicht unterschätzt werden. Wie Generalanwalt Mengozzi in der Rechtssache Koushkaki festgestellt hat, besteht das Ziel der Visaregelung im Wesentlichen darin, ein Verfahren mit „für den Antragsteller klarer[en] und nachvollziehbarer[en] [Voraussetzungen einzuführen], um diesem eine Behandlung, die seine Menschenwürde und seine Person achtet, zu gewährleisten“ ( 72 ). Generalanwalt Bobek hat seinerseits darauf hingewiesen, dass „ein Recht darauf [besteht], dass der eigene [Visum‑] Antrag ordnungsgemäß und rechtskonform bearbeitet wird, und dieses Recht … Grundlage einer gerichtlichen Überprüfung der Entscheidung über den betreffenden Antrag sein [kann] ( 73 )“. Eine wichtige Frage, die in den vorliegenden Schlussanträgen zu prüfen ist, um auf die erste Vorlagefrage antworten zu können, betrifft jedoch die Strenge, mit der Entscheidungen über die Verweigerung von Visa gerichtlich überprüft werden müssen.

    b)   Weniger tiefgehende gerichtliche Kontrolle als Folge der Vorrechte des Rates im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik

    92.

    Als Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik der Union ( 74 ) hängt die Visaregelung von den Vorrechten ab, die dem Rat in diesem Bereich zuerkannt worden sind, was es dem Rat ermöglicht, sie nach Maßgabe der Lage der internationalen Beziehungen und der Sicherheitsanforderungen anzupassen. Unterstützt vom Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, ist der Rat am besten geeignet, diese Politik festzulegen und sie auf Regelungsebene, auch in Bezug auf den Zugang von Drittstaatsangehörigen zum Unionsgebiet, umzusetzen. Er ist in der Lage, die Zweckmäßigkeit einer Beibehaltung oder einer etwaigen Änderung der Visumpolitik auf der Grundlage der von den verschiedenen Dienststellen der Union und ihren Mitgliedstaaten gesammelten Informationen zu beurteilen ( 75 ). Er übt seine Zuständigkeiten in diesem Bereich somit im Interesse einer tatsächlichen Verwirklichung der in den Verträgen festgelegten Zielsetzungen aus ( 76 ).

    93.

    Gemäß Art. 13 Abs. 2 EUV handelt „[j]edes Organ … nach Maßgabe der ihm in den Verträgen zugewiesenen Befugnisse nach den Verfahren, Bedingungen und Zielen, die in den Verträgen festgelegt sind“. In dieser Bestimmung kommt der Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts zum Ausdruck, der für den organisatorischen Aufbau der Union kennzeichnend ist und gebietet, dass jedes Organ seine Befugnisse unter Beachtung der Befugnisse der anderen Organe ausübt ( 77 ). Die Zuständigkeitsverteilung innerhalb der Union sowie die Vorrechte des Rates im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bedeuten notwendigerweise, dass den anderen Organen eine weniger herausragende Rolle zugewiesen werden muss ( 78 ). Gleiches gilt für die gerichtliche Kontrolle der vom Rat angenommenen Rechtsakte, wie Art. 24 Abs. 1 EUV und Art. 275 AEUV, wonach die Zuständigkeit des Gerichtshofs in diesem Bereich – abgesehen von den unter Art. 40 EUV fallenden Aspekten, die mit den Verfahren und dem Umfang der jeweiligen Zuständigkeiten der Organe zusammenhängen, sowie der Überwachung der Rechtmäßigkeit restriktiver Maßnahmen gegenüber natürlichen oder juristischen Personen – ausdrücklich ausgeschlossen ist, zeigen ( 79 ). Wie ich in den vorliegenden Schlussanträgen erläutern werde, sind diese Erwägungen für die Bestimmung des Umfangs der gerichtlichen Kontrolle auf nationaler Ebene in Bezug auf Entscheidungen im Visabereich relevant.

    94.

    Die Verfassungsordnung der Mitgliedstaaten sieht eine Zuständigkeitsverteilung vor, die der in den vorstehenden Absätzen beschriebenen ähnelt und traditionell der Exekutive Vorrechte im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik überträgt, und zwar aus den von mir genannten Gründen. In der Regel obliegt es der Exekutive eines Staates, die Außenpolitik zu formulieren sowie die diplomatische und konsularische Vertretung im Ausland zu übernehmen ( 80 ). Im Einklang mit den in den vorliegenden Schlussanträgen dargelegten Ausführungen würde ich meinen, dass die gerichtliche Kontrolle von Rechtsakten, die eng mit diesem Bereich verknüpft sind, wie beispielsweise Entscheidungen im Visabereich, begrenzter sein sollte.

    95.

    In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass die nationalen Gerichte für die Anwendung des Rechts auf bei ihnen anhängige Rechtssachen zuständig sind, so dass sie den Sachverhalt zu beurteilen und über möglicherweise auftretende Rechtsfragen zu entscheiden haben. Dagegen verfügen die nationalen Gerichte in der Regel über keinerlei Zuständigkeit oder Sachkenntnis im Bereich der Außen- oder Sicherheitspolitik. Außerdem verfügen sie in ihrer Verfassungsordnung nicht über die notwendige Legitimation, um Entscheidungen in diesem besonders sensiblen Bereich treffen zu können. Im Übrigen lässt sich nicht ausschließen, dass ihre Maßnahmen die von den zu diesem Zweck benannten Staatsorganen verfolgten Ziele sogar unterlaufen. Es scheint mir folglich kein realistischer Ansatz zu sein, wenn den nationalen Gerichten eine Aufgabe zugewiesen werden soll, die sie nicht erfüllen könnten. Genau dazu würde eine unbeschränkte gerichtliche Kontrolle jedoch führen, da sie die Gerichte dazu verpflichten könnte, jeweils sämtliche einer Entscheidung über die Verweigerung eines Visums zugrunde liegende Gründe zu überprüfen, um den Anforderungen des Unionsrechts gerecht zu werden.

    96.

    Nachdem ich im Rahmen der Auslegung von Art. 32 Abs. 3 des Visakodex allen vorerwähnten Aspekten Rechnung getragen habe, bin ich davon überzeugt, dass in den vorliegenden Fällen eine weniger tiefgehende gerichtliche Kontrolle durch die nationalen Gerichte geboten ist. Diesbezüglich stelle ich fest, dass ich nicht der einzige Generalanwalt am Gerichtshof bin, der diese Auffassung vertritt, wie ich in den folgenden Absätzen zeigen werde.

    c)   Die Mitgliedstaaten können eine weniger tiefgehende gerichtliche Kontrolle vorsehen

    97.

    Ich teile nämlich vorbehaltlos die Meinung der Generalanwälte Bobek und Szpunar, die sich für eine weniger tiefgehende gerichtliche Kontrolle aussprechen, wobei sich ihre Argumentation auf den weiten Beurteilungsspielraum stützt, über den die entscheidungstragenden Behörden hinsichtlich der Frage verfügen, ob ein Einzelner für die Erteilung eines Visums in Betracht kommt.

    98.

    Wie Generalanwalt Bobek zu Recht festgestellt hat, „führt ein weiter Beurteilungsspielraum der Behörden der Mitgliedstaaten logischerweise zu einem weniger strengen Maßstab für die von den Gerichten der Mitgliedstaaten durchzuführende gerichtliche Überprüfung“ ( 81 ). Generalanwalt Szpunar bemerkt seinerseits, dass „[e]in weiter Beurteilungsspielraum … eine eingeschränkte gerichtliche Überprüfung [bedingt]. Anderenfalls würde der Beurteilungsspielraum ausgehöhlt, und die Judikative nähme die Aufgabe der Exekutive wahr“ ( 82 ). In einem Kontext wie dem des Visabereichs, in dem die zuständigen Behörden, wie ich bereits erläutert habe, komplexe Beurteilungen vornehmen müssen, um die Sicherheit im gesamten Schengen-Raum vor externen Gefahren zu schützen, ohne jedoch absolute Gewissheit über das Vorliegen einer konkreten Gefahr haben zu müssen ( 83 ), erscheint mir diese Argumentation besonders überzeugend. Ein nationales Gericht kann sich nicht an die Stelle der zuständigen Behörden setzen, die im Übrigen über die Befähigung und die Mittel verfügen, die für die Erfüllung dieser Aufgabe erforderlich sind.

    99.

    Ich habe ferner den Eindruck, dass die Argumentation des Generalanwalts Mengozzi in die gleiche Richtung geht, wenn er darauf hinweist, dass das Rechtsbehelfsverfahren auf die Vermeidung willkürlicher Entscheidungen ausgerichtet sei ( 84 ). Eine Überprüfung, die dazu dient, Willkür einzudämmen, setzt per Definition das Bestehen einer vergleichsweise hohen Schwelle für die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Verwaltungsentscheidung voraus ( 85 ).

    100.

    Die vorstehende Auslegung ist von der Rechtsprechung des Gerichtshofs, der im Urteil in der Rechtssache Fahimian entschieden hat, dass das nationale Gericht befugt sein sollte, sich mit allen relevanten Fragen zu befassen, wobei die Kontrolle jedoch auf die Prüfung des „Fehlens offenkundiger Fehler“ beschränkt ist ( 86 ), bestätigt worden.

    101.

    Diese Feststellung bedeutet meiner Meinung nach, dass eine nationale Stelle, die aufgerufen ist, die gerichtliche Kontrolle einer Entscheidung über die Verweigerung eines Visums, die von der Verwaltung getroffen worden ist, weil der Betroffene als eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit oder die öffentliche Gesundheit oder für die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 32 Abs. 1 Buchst. a Ziff. vi des Visakodex eingestuft wird, auszuüben, die Möglichkeit haben muss, selbst nachzuprüfen, ob das in Art. 22 des Visakodex beschriebene Verfahren der Konsultation der zentralen Behörden der anderen Mitgliedstaaten ordnungsgemäß angewandt worden ist und ob die Verfahrensgarantien im konkreten Fall eingehalten worden sind.

    102.

    Was die Begründetheit der Ablehnungsentscheidung angeht, so muss die gerichtliche Kontrolle es der genannten nationalen Stelle ermöglichen, nachzuprüfen, ob die Grenzen des Beurteilungsspielraums, der von der Verwaltung bei der Feststellung in Anspruch genommen worden ist, ob der Antragsteller für die Erteilung eines Visums in Betracht kommt, nicht überschritten worden sind. Zu diesem Zweck wird das Gericht zu untersuchen haben, ob die einschlägigen Voraussetzungen, von denen die Nutzung des Beurteilungsspielraums abhängt, erfüllt waren. Ohne offenkundige Beurteilungsfehler der Verwaltung muss das Gericht feststellen, dass die Entscheidung über die Visumverweigerung rechtmäßig ist.

    103.

    Bei der Prüfung auf offenkundige Beurteilungsfehler muss sich das Gericht auf die in der Gerichtsakte enthaltenen Informationen stützen, was das ordnungsgemäß ausgefüllte Standardformular, etwaige „Bemerkungen“ zur Untermauerung der Ablehnungsentscheidung sowie weitere Informationen umfasst, die von der Verwaltung im Rahmen des vorprozessualen Verwaltungsverfahrens gegebenenfalls geliefert worden sind. Das Gericht hat die besonderen Umstände jedes Einzelfalls, insbesondere die legitimen Sicherheitsanliegen hinsichtlich der Natur und der Quellen von Auskünften, zu berücksichtigen.

    d)   Wie lassen sich die legitimen Sicherheitsanliegen der Mitgliedstaaten mit den Verfahrensgarantien, die die Rechtsstaatlichkeit verlangt, vereinbaren?

    104.

    In Ausübung der gerichtlichen Kontrolle werden die Behörden gelegentlich vertrauliche Daten zu verwalten haben, weshalb sich die Frage stellt, wie sich die legitimen Sicherheitsanliegen der Mitgliedstaaten mit den Verfahrensgarantien, die die Rechtsstaatlichkeit verlangt, vereinbaren lassen.

    105.

    An sich ergibt sich die Antwort auf diese Frage aus den vorstehenden Beobachtungen, die dem rechtlichen Status des Visumantragstellers sowie den Sicherheitsanliegen der Mitgliedstaaten Rechnung tragen. Beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Unionsrechts sind die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, eine erschöpfende Darstellung der Gründe für die Ablehnungsentscheidung zu liefern, was sie dazu veranlassen könnte, sensible Informationen, die eine ernsthafte Gefahr für ihre nationalen Interessen darstellen könnten, preiszugeben oder die Preisgabe solcher Informationen zu gestatten. Sie können sich darauf beschränken, dem Gericht die im Standardformular in Anhang VI des Visakodex enthaltenen Informationen, einschließlich der „Bemerkungen“, sowie weitere Informationen, die von der Verwaltung, beispielsweise infolge einer Beschwerde, geliefert worden sind, um eine Rechtmäßigkeitskontrolle zu erleichtern, zur Verfügung zu stellen.

    106.

    Da das Unionsrecht Mindestgarantien vorsieht, wobei es den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, die Ausgestaltung des Rechtsbehelfsverfahrens unter Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität festzulegen, hindert sie nichts daran, dem Gericht unter bestimmten Voraussetzungen auch als vertraulich eingestufte Informationen zur Verfügung zu stellen. Wie der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung ( 87 ) anerkannt hat, können die Mitgliedstaaten das Gericht zum Schutz ihrer nationalen Interessen gegebenenfalls um die Anwendung von „Techniken [bitten], die es ermöglichen, die legitimen Sicherheitsinteressen in Bezug auf die Art und die Quellen der Informationen, die beim Erlass der betreffenden Ablehnungsentscheidung berücksichtigt worden sind, auf der einen Seite und das Erfordernis, dem Einzelnen die Wahrung seiner Verfahrensrechte wie des Rechts, gehört zu werden, und des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens hinreichend zu garantieren, auf der anderen Seite zum Ausgleich zu bringen“.

    e)   Zwischenergebnis

    107.

    In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen komme ich zu folgendem Zwischenergebnis.

    108.

    Das Unionsrecht sieht eine begrenzte gerichtliche Kontrolle vor, die der besonderen Natur des Visumerteilungsverfahrens Rechnung trägt.

    4.   Antwort auf die erste Frage

    109.

    Auf der Grundlage der vorliegenden Würdigung ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass die Ablehnungsentscheidung, die ein Visumantragsteller von den nationalen Behörden erhält, nämlich das etwaige Bemerkungen enthaltende Standardformular, grundsätzlich den Anforderungen des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Art. 47 der Charta entspricht. Auch wenn die Mitgliedstaaten beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Unionsrechts nicht verpflichtet sind, eine detaillierte Begründung zu liefern, hindert sie nichts daran, in das Standardformular „Bemerkungen“ sowie weitere Informationen aufzunehmen, die von der Verwaltung, beispielsweise infolge einer Beschwerde, geliefert worden sind, um eine Rechtmäßigkeitskontrolle zu erleichtern.

    110.

    Da das Unionsrecht Mindestgarantien vorsieht, wobei es den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, die Ausgestaltung des Rechtsbehelfsverfahrens unter Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität festzulegen, hindert sie nichts daran, dem Gericht unter bestimmten Voraussetzungen auch als vertraulich eingestufte Informationen zur Verfügung zu stellen. Die Mitgliedstaaten können das Gericht zum Schutz ihrer nationalen Interessen gegebenenfalls um die Anwendung von Techniken bitten, die es ermöglichen, die legitimen Sicherheitsinteressen in Bezug auf die Art und die Quellen der Informationen, die beim Erlass der betreffenden Ablehnungsentscheidung berücksichtigt worden sind, auf der einen Seite und das Erfordernis, dem Einzelnen die Wahrung seiner Verfahrensrechte wie des Rechts, gehört zu werden, und des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens hinreichend zu garantieren, auf der anderen Seite zum Ausgleich zu bringen.

    C. Zweite Frage

    111.

    Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 41 der Charta, in dem das Recht auf eine gute Verwaltung verankert ist, dahin auszulegen ist, dass er einer Praxis wie der in der ersten Vorlagefrage beschriebenen entgegensteht.

    112.

    Gemäß Art. 41 Abs. 1 der Charta hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheiten von den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden. Somit ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 41 der Charta, dass sich dieser nicht an die Mitgliedstaaten, sondern ausschließlich an die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union richtet ( 88 ).

    113.

    Folglich kann sich eine Person, die eine Entscheidung über die Verweigerung eines Visums anficht, nicht auf Art. 41 Abs. 2 Buchst. c der Charta stützen, der sich auf die Verpflichtung der Verwaltung bezieht, ihre Entscheidungen in allen mit dem Antrag dieser Person zusammenhängenden Verfahren zu begründen ( 89 ).

    114.

    Zu bemerken ist jedoch, dass das Recht auf eine gute Verwaltung den Bestimmungen von Art. 47 der Charta, der sich auf das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz und ein faires Verfahren bezieht ( 90 ), inhärent ist. Der Gerichtshof hat anerkannt, dass dieses Recht einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, widerspiegelt ( 91 ). Dieser Grundsatz kommt nunmehr in Art. 47 der Charta zum Ausdruck ( 92 ).

    115.

    Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen ist in den Ausgangsrechtssachen meines Erachtens davon auszugehen, dass das Recht auf eine gute Verwaltung unter den in der ersten Frage erwähnten Umständen aus den gleichen Gründen wie denen, die in der Antwort auf die erste Vorlagefrage genannt worden sind und sich auf die Übereinstimmung der in den betreffenden Rechtssachen untersuchten Situation mit Art. 47 der Charta beziehen, gewährleistet ist.

    D. Dritte und vierte Frage

    116.

    Ich schlage vor, eine gemeinsame Antwort auf die dritte und die vierte Frage zu geben, da sie sich auf die Möglichkeit beziehen, einen Rechtsbehelf gegen den von einem anderen Mitgliedstaat im Rahmen des in Art. 22 des Visakodex genannten Konsultationsverfahrens zum Ausdruck gebrachten Widerstand gegen die Erteilung eines Visums einzulegen.

    1.   Grenzen der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten

    117.

    Insoweit sei darauf hingewiesen, dass der Visakodex nur eine teilweise Harmonisierung der Rechtsvorschriften bewirkt ( 93 ). Daraus folgt, dass dieser Kodex kein spezifisches Verfahren vorsieht, das es ermöglichen würde, die Beurteilung des Mitgliedstaats, der auf der Grundlage von Art. 22 Abs. 2 des Visakodex Einwände gegen die Erteilung eines Visums erhoben hat, anzufechten.

    118.

    Überdies ist zu bemerken, dass das in Art. 8 Abs. 1 und 2 der VIS-Verordnung vorgesehene Verfahren auf die vorliegenden Fälle keine Anwendung findet, da die Kläger der Ausgangsverfahren weder im VIS zur Verweigerung eines Visums noch im SIS zur Verweigerung der Einreise in den Schengen-Raum ausgeschrieben sind ( 94 ).

    119.

    Aus einer ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass es mangels einschlägiger Unionsregeln nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats ist, die verfahrensrechtlichen Modalitäten der Rechtsbehelfe, die zum Schutz der Rechte der Bürger bestimmt sind, festzulegen, vorausgesetzt allerdings, dass sie nicht ungünstiger sind als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte regeln, die dem innerstaatlichen Recht unterliegen (Äquivalenzgrundsatz), und dass sie die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) ( 95 ). Allerdings dürfen sich die Mitgliedstaaten nicht den Anforderungen entziehen, die das in Art. 47 der Charta garantierte Recht in Bezug auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz auferlegt ( 96 ). Folglich sind sie verpflichtet, in ihren jeweiligen Rechtsordnungen geeignete Rechtsbehelfe vorzusehen ( 97 ). Wie ich weiter unten verdeutlichen werde, kommen verschiedene Optionen in Betracht, von denen ich jedoch kein bestimmtes Modell favorisiere ( 98 ).

    2.   Verpflichtung zur Belehrung der Antragsteller über die verfügbaren Rechtsbehelfe

    120.

    In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Antragsteller über die verfügbaren Rechtsbehelfe zu belehren. Ich stelle insoweit fest, dass es im Visakodex keine Vorschrift gibt, die diesen Aspekt ausdrücklich regelt. Art. 32 Abs. 3 des Visakodex sieht jedoch die Verpflichtung vor, die Antragsteller über die verfügbaren Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen über die Verweigerung eines Visums zu informieren. Ich befürworte eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift, und zwar aus den Gründen, die ich in den vorliegenden Schlussanträgen darlegen werde.

    121.

    Wie ich weiter oben ( 99 ) erläutert habe, spiegelt diese Ablehnungsentscheidung die Schlussfolgerungen der Prüfung, die der für den Erlass der endgültigen Entscheidung zuständige Mitgliedstaat vorgenommen hat, sowie das Ergebnis des in Art. 22 des Visakodex genannten Konsultationsverfahrens wider. Daher kann man annehmen, dass der Widerstand eines oder mehrerer Mitgliedstaaten ein konstitutives Element der Verwaltungsentscheidung darstellt. Da Art. 32 Abs. 2 des Visakodex vorsieht, dass der Antragsteller unter Verwendung des Standardformulars in Anhang VI über den Ablehnungsgrund informiert werden muss, erscheint es mir kohärent, diese Informationspflicht auf die verfügbaren Rechtsbehelfe gegen den Widerstand eines oder mehrerer Mitgliedstaaten auszudehnen.

    122.

    Eine – zumindest entsprechende – Anwendung von Art. 32 Abs. 3 des Visakodex ist geboten, um die Kohärenz und Effektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes im Rahmen des durch den Visakodex garantierten Rechtsmittels sicherzustellen. Die Durchführung des Unionsrechts durch nationale Verwaltungsorgane verpflichtet diese unweigerlich zu zahlreichen Interaktionen, was Berührungspunkte und Überschneidungen erzeugt. In einer Situation wie der der vorliegenden Fälle, die die Anwendung von Normen verschiedener Rechtsordnungen sowie die Beteiligung mehrerer Verwaltungsstellen mit sich bringt, kann sich die Verteidigung der Rechte des Einzelnen als komplex erweisen. Um sie nicht illusorisch zu machen, sollten die Mitgliedstaaten meiner Meinung nach verpflichtet sein, Antragsteller – auf Antrag oder infolge einer Beschwerde – über Rechtsbehelfe zu belehren ( 100 ).

    123.

    Aus dem Beschluss des Gerichtshofs in der Rechtssache Guérin automobiles/Kommission ( 101 ) geht hervor, dass in den meisten Mitgliedstaaten eine derartige Belehrungspflicht der Verwaltung besteht. Wie der Gerichtshof zu Recht festgestellt hat, „wurde [diese] … im [A]llgemeinen vom Gesetzgeber aufgestellt und geregelt“ ( 102 ). Abgesehen davon hat der Unionsgesetzgeber eine solche Belehrungspflicht in Art. 32 Abs. 3 des Visakodex ausdrücklich vorgesehen, um die gerichtliche Kontrolle zu erleichtern. Die von mir vorgeschlagene Anwendung dieser Vorschrift auf die verfügbaren Rechtsbehelfe gegen den Widerstand eines oder mehrerer Mitgliedstaaten macht den vom Gesetzgeber garantierten gerichtlichen Rechtsschutz lediglich kohärenter und effektiver.

    124.

    Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass der vom Europäischen Bürgerbeauftragten entwickelte Europäische Kodex für gute Verwaltungspraxis in seinem Art. 19 Abs. 1 eine Verpflichtung zur Angabe der Möglichkeiten vorsieht, Berufung gegen Entscheidungen der Unionsorgane einzulegen, die sich nachteilig auf die Rechte oder Interessen einer Einzelperson auswirken können. Gleiches gilt für den von der Kommission entwickelten Kodex, der diese Verpflichtung auferlegt, „wenn das Unionsrecht es vorsieht“. Auch wenn die Kodizes auf die vorliegenden Fälle nicht direkt anwendbar sind, weil der Visakodex von den Mitgliedstaaten durchgeführt wird, lassen sich aus ihnen Schlussfolgerungen zur Bedeutung einer solchen Belehrung für die Verteidigung der Rechte im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens ziehen ( 103 ).

    3.   Denkansätze: mögliche Optionen für von den Mitgliedstaaten zu entwickelnde Rechtsbehelfe

    125.

    Wie weiter oben ausgeführt worden ist, kann sich die Verteidigung der Rechte des Einzelnen in Abhängigkeit von den Daten des konkreten Falls als komplex erweisen; dies gilt umso mehr, als die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten unterschiedliche Rechtsbehelfe vorsehen können. Rechtsbehelfsbelehrungen müssen der Art und Weise Rechnung tragen, in der die verschiedenen Verwaltungsstellen im Rahmen der Prüfung eines Visumantrags zusammenarbeiten.

    126.

    Abgesehen davon und vorbehaltlich der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Verfahrensmodalitäten für Rechtsbehelfe, die den Schutz der Rechte Einzelner gewährleisten sollen, scheinen mir theoretisch verschiedene Optionen in Erwägung gezogen werden zu können. Zum einen ist es möglich, ausschließlich in dem Mitgliedstaat, der die endgültige Entscheidung erlässt, einen Rechtsbehelf vorzusehen, wobei diese Option der vom vorlegenden Gericht angedachten „zentralen Anlaufstelle“ weitgehend gleichkommt. Zum anderen kann ein Rechtsbehelf in dem Mitgliedstaat, der die Einwände erhoben hat, ins Auge gefasst werden. Die folgenden Erwägungen sollen einige Denkansätze liefern, um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben.

    a)   Rechtsbehelf in dem Mitgliedstaat, der die endgültige Entscheidung erlässt?

    127.

    Wie es in Art. 32 Abs. 3 des Visakodex heißt, ist ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung über die Verweigerung eines Visums „gegen den Mitgliedstaat, der endgültig über den Visumantrag entschieden hat, und in Übereinstimmung mit dem innerstaatlichen Recht dieses Mitgliedstaats zu führen“.

    128.

    In Ermangelung detaillierterer Vorschriften bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass auch die Anfechtung eines von einem anderen Mitgliedstaat erhobenen Einwands vor den Behörden des Mitgliedstaats erfolgen muss, der endgültig entschieden hat. Meiner Meinung nach ist der Wortlaut von Art. 32 Abs. 3 des Visakodex jedoch wie ein starker Hinweis des Gesetzgebers zugunsten des im siebten Erwägungsgrund des Visakodex verankerten Gedankens einer „zentralen Anlaufstelle“ auszulegen, wonach der Antragsteller nur einen Ansprechpartner haben und seine gesamten Verwaltungsformalitäten an einem einzigen Ort erledigen könnte. Die Vorteile für die Wahrung der Interessen des Antragstellers liegen auf der Hand, zumal ihm die Mühe erspart würde, bei mehreren nationalen Verwaltungen, die jeweils nach unterschiedlichen Regeln arbeiten, vorstellig zu werden. Das Konzept eines in mehreren Stufen ablaufenden und die Beteiligung verschiedener spezialisierter Stellen vorsehenden Verwaltungsverfahrens ist im Verwaltungsrecht – sowohl auf der Ebene der Union als auch auf der Ebene der Mitgliedstaaten – nämlich nicht unbekannt. Folglich hindert nichts die Mitgliedstaaten daran, einvernehmlich geeignete Mechanismen einzuführen, zumindest so lange, bis etwaige Änderungen des Visakodex verabschiedet worden sind.

    129.

    Die Bestimmungen des Visakodex stehen einem solchen Ansatz nicht entgegen, sofern das nationale Verfahrensrecht und Vereinbarungen zwischen den betreffenden Mitgliedstaaten, die in Ausübung ihrer souveränen Rechte geschlossen worden sind, es vorsehen. In diesem Zusammenhang sei auf die den Mitgliedstaaten gemäß Art. 8 des Visakodex zur Verfügung stehende Option hingewiesen, sich bei der Prüfung von Anträgen und der Erteilung von Visa von anderen Mitgliedstaaten vertreten zu lassen. Auch wenn diese Vorschrift nur einen spezifischen Fall, nämlich den der Vertretung, betrifft, zeigt er, dass ein Mitgliedstaat Zuständigkeiten bei der Bearbeitung von Visumanträgen auf die Behörden eines anderen Mitgliedstaats übertragen kann.

    130.

    Im Gegensatz zu dem, was das vorlegende Gericht anzunehmen scheint, ist ein Tätigwerden des Mitgliedstaats, der im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens einen Einwand erhoben hat ( 104 ), meines Erachtens nicht die einzige in Betracht kommende Option. In einem Geist der loyalen Zusammenarbeit und des gegenseitigen Vertrauens – Grundsätze, auf denen gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV die Union beruht – könnte auch ein Informationstransfer zwischen den betreffenden Mitgliedstaaten vorgesehen werden ( 105 ), wobei für den Erlass der endgültigen Entscheidung der Mitgliedstaat zuständig ist, der dem nationalen Gericht die erhaltenen Informationen zur Verfügung stellt. Um die Vertraulichkeit der bereitgestellten Informationen zu schützen, könnte sich dieser Mitgliedstaat dazu verpflichten, das Gericht um die Anwendung der in Nr. 106 der vorliegenden Schlussanträge erwähnten Techniken zu bitten.

    b)   Rechtsbehelf in dem Mitgliedstaat, der den Einwand erhoben hat?

    131.

    Ein Rechtsbehelf könnte gegebenenfalls in dem Mitgliedstaat eingeführt werden, der einen Einwand gegen die Erteilung eines Visums erhoben hat.

    132.

    Zu bemerken ist jedoch, dass, auch wenn das Unionsrecht dem vorstehenden Ansatz nicht entgegensteht, dieser Visumantragstellern in dem Sinne besondere Anstrengungen abverlangt, als sie gezwungen wären, den Rechtsbehelf bei den Behörden eines Mitgliedstaats einzulegen, zu dem sie keinerlei Verbindung aufweisen und der gegebenenfalls nicht ihr Reiseziel ist ( 106 ). Eine Voraussetzung, wonach Antragsteller den Rechtsbehelf bei dem Mitgliedstaat einzulegen hätten, der einen Einwand gegen die Erteilung eines Visums erhoben hat, scheint unter diesem Gesichtspunkt nicht die Option zu sein, die geeignet ist, einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten.

    133.

    Für den Fall, dass ein „inzidenter“ Rechtsbehelf in einem anderen Mitgliedstaat vorgesehen wird, wäre es im Interesse der Kohärenz und der Effektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes sinnvoll, das „Hauptverfahren“ bis zum Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens auszusetzen.

    c)   Antwort auf die dritte und die vierte Frage

    134.

    Auf der Grundlage der dargelegten Argumente schlage ich vor, auf die dritte und die vierte Frage wie folgt zu antworten.

    135.

    Es fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, über die Natur und die konkrete Ausgestaltung der Rechtsbehelfe zu entscheiden, über die Visumantragsteller verfügen, um gegen die im Rahmen des Konsultationsverfahrens gemäß Art. 22 des Visakodex erhobenen Einwände gegen die Erteilung eines Visums vorzugehen.

    136.

    Ähnlich wie in Art. 32 Abs. 3 des Visakodex vorgesehen sollten die Mitgliedstaaten Antragsteller auf Antrag oder infolge einer Beschwerde über das im Falle der Einlegung eines Rechtsbehelfs zu befolgende Verfahren informieren.

    VI. Ergebnis

    137.

    Im Licht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen der Rechtbank Den Haag zittingsplaats Haarlem (Gericht Den Haag, Außenstelle Haarlem, Niederlande) wie folgt zu antworten:

    1.

    Die Ablehnungsentscheidung, die ein Visumantragsteller von den nationalen Behörden erhält, nämlich das etwaige Bemerkungen enthaltende Standardformular in Anhang VI der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex), entspricht grundsätzlich den Anforderungen des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Auch wenn die Mitgliedstaaten beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Unionsrechts nicht verpflichtet sind, eine detaillierte Begründung zu liefern, hindert sie nichts daran, zur Erleichterung einer Rechtmäßigkeitskontrolle in das Standardformular „Bemerkungen“ sowie weitere Informationen aufzunehmen, die von der Verwaltung, beispielsweise infolge einer Beschwerde, geliefert worden sind.

    2.

    Da das Unionsrecht Mindestgarantien vorsieht, wobei es den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, die Ausgestaltung des Rechtsbehelfsverfahrens unter Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität festzulegen, hindert sie nichts daran, dem Gericht unter bestimmten Voraussetzungen auch als vertraulich eingestufte Informationen zur Verfügung zu stellen. Die Mitgliedstaaten können das Gericht zum Schutz ihrer nationalen Interessen gegebenenfalls um die Anwendung von Techniken bitten, die es ermöglichen, die legitimen Sicherheitsinteressen in Bezug auf die Art und die Quellen der Informationen, die beim Erlass der betreffenden Ablehnungsentscheidung berücksichtigt worden sind, auf der einen Seite und das Erfordernis, dem Einzelnen die Wahrung seiner Verfahrensrechte wie des Rechts, gehört zu werden, und des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens hinreichend zu garantieren, auf der anderen Seite zum Ausgleich zu bringen.

    3.

    Es fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, über die Natur und die konkrete Ausgestaltung der Rechtsbehelfe zu entscheiden, über die Visumantragsteller verfügen, um gegen die im Rahmen des Konsultationsverfahrens gemäß Art. 22 des Visakodex erhobenen Einwände gegen die Erteilung eines Visums vorzugehen.

    4.

    Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Antragsteller auf Antrag oder infolge einer Beschwerde über das im Falle der Einlegung eines Rechtsbehelfs zu befolgende Verfahren zu informieren.


    ( 1 ) Originalsprache: Französisch.

    ( 2 ) ABl. 2009, L 243, S. 1.

    ( 3 ) Vgl. Stellungnahme der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Vo (C‑83/12 PPU, EU:C:2012:170, Nr. 42) sowie ihre Schlussanträge in der Rechtssache Vethanayagam u. a. (C‑680/17, EU:C:2019:278, Nr. 37).

    ( 4 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2013, Koushkaki (C‑84/12, EU:C:2013:862, Rn. 44 bis 55).

    ( 5 ) ABl. 2008, L 218, S. 60.

    ( 6 ) Meloni, A., „The Community Code on Visas: harmonisation at last?“, European Law Review, 2009, Bd. 34, S. 671, erläutert, dass es sich bei der Einführung einer Verpflichtung zur Begründung der Visumverweigerung und eines Rechts auf Einlegung von Rechtsbehelfen um eine rote Linie gehandelt habe, die für das Europäische Parlament, unterstützt durch die Kommission und einige Mitgliedstaaten, die diese Bestimmungen als „Eckstein“ der Garantien für Visumantragsteller angesehen hätten, nicht verhandelbar gewesen sei. Eine große Mehrheit der Mitgliedstaaten – besorgt über die Gefahr einer Überlastung ihrer innerstaatlichen Gerichte – habe sich jedoch dafür ausgesprochen, Visumverweigerungen nicht zu begründen, und sich der Einführung eines Rechts auf Einlegung von Rechtsbehelfen widersetzt. Mit der Einführung dieser Verpflichtungen habe der Visakodex eine Schwäche der früheren Regelung beseitigt, nämlich das Fehlen eines einheitlichen Ansatzes bei den Rechten und Rechtsbehelfen, die Visumantragstellern, denen eine Weigerung entgegengehalten werde, offen stünden.

    ( 7 ) Urteil vom 13. Dezember 2017, El Hassani (C‑403/16, EU:C:2017:960, Rn. 42).

    ( 8 ) Urteil vom 4. Juni 2013, ZZ (C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 9 ) Urteil vom 13. Dezember 2017, El Hassani (C‑403/16, EU:C:2017:960, Rn. 42).

    ( 10 ) Vgl. Nr. 41 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 11 ) Jarass, H., Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl., München 2016, Art. 47 der Charta, Rn. 5, 48 und 49, weist darauf hin, dass Art. 47 der Charta in der Regel nur für das Gerichtsverfahren gelte, während Art. 41 Abs. 2 der Charta Rechte im Rahmen des Verwaltungsvorverfahrens vorsehe. Gleichwohl könne Art. 47 der Charta geltend gemacht werden, wenn Art. 41 der Charta keine Anwendung finde, was bei der Durchführung des Rechts der Union durch die Mitgliedstaaten der Fall sei. Aus Art. 47 der Charta ergebe sich eine Verpflichtung, behördliche Entscheidungen, die sich auf die Position des Betroffenen auswirkten, hinreichend zu begründen. Die Behörde könne aus Gründen im Zusammenhang mit der Staatssicherheit von einer solchen Begründung absehen. Vgl. auch Lemke, S., Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl., Baden-Baden 2015, Art. 47 der Charta, Rn. 4, S. 807, der sich für die Anwendbarkeit von Art. 47 der Charta ausspricht, wenn die Mitgliedstaaten das Recht der Union durchführen. Brouwer, E. R., „Wanneer een staat een visum weigert namens een andere staat – Vertegenwoordigingsafspraken in het EU-visumbeleid en het recht op effectieve rechtsbescherming“, SEW Tijdschrift voor Europees en Economisch recht, 2015 (April), S. 165, prüft den Begründungsmangel einer Entscheidung über die Verweigerung eines Visums anhand von Art. 47 der Charta. Hoffmann, H., The EU Charter of Fundamental Rights, Oxford 2014, Rn. 47.67, S. 1219, prüft das Recht, einen begründeten Verwaltungsakt zu erhalten, unter dem Gesichtspunkt des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes nach Art. 47 der Charta.

    ( 12 ) Urteil vom 4. Juni 2013, ZZ (C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 51).

    ( 13 ) Vgl. Urteil vom 15. Februar 2016, J. N. (C‑601/15 PPU, EU:C:2016:84, Rn. 53). Vgl. in diesem Sinne Van Drooghenbroeck, S., Rizcallah, C., Charte des droits fondamentaux de l’Union européenne – Commentaire article par article, Bruylant, Brüssel 2018, S. 1099 und 1103.

    ( 14 ) Urteil vom 17. November 2011, Gaydarov (C‑430/10, EU:C:2011:749, Rn. 41). Vgl. auch Urteile vom 17. März 2011, Peñarroja Fa (C‑372/09 und C‑373/09, EU:C:2011:156, Rn. 63), und vom 4. Juni 2013, ZZ (C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 53).

    ( 15 ) Vgl. Urteil vom 12. Juli 1989, Belardinelli u. a./Gerichtshof (225/87, EU:C:1989:309, Rn. 7), in dem der Gerichtshof an seine ständige Rechtsprechung erinnert hat, wonach der Prüfungsausschuss für ein Auswahlverfahren mit hoher Teilnehmerzahl berechtigt ist, den praktischen Schwierigkeiten Rechnung zu tragen, die bei einem solchen Auswahlverfahren auftreten, und den Bewerbern in einem ersten Stadium lediglich die Kriterien und das Ergebnis der Auswahl mitzuteilen, wenn er nur später den Bewerbern, die dies ausdrücklich verlangen, individuelle Erklärungen gibt.

    ( 16 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink’s France (C‑367/95 P, EU:C:1998:154, Rn. 63), vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala (C‑413/06 P, EU:C:2008:392, Rn. 166), vom 16. November 2011, Bank Melli Iran/Rat (C‑548/09 P, EU:C:2011:735, Rn. 93), vom 15. November 2012, Al‑Aqsa/Rat und Niederlande/Al‑Aqsa (C‑539/10 P und C‑550/10 P, EU:C:2012:711, Rn. 139), vom 11. Juli 2013, Team Relocations u. a./Kommission (C‑444/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:464, Rn. 120), und vom 28. März 2017, Rosneft (C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 122).

    ( 17 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink’s France (C‑367/95 P, EU:C:1998:154, Rn. 63), vom 22. Juni 2004, Portugal/Kommission (C‑42/01, EU:C:2004:379, Rn. 66), vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala (C‑413/06 P, EU:C:2008:392, Rn. 166), vom 15. November 2012, Al‑Aqsa/Rat und Niederlande/Al‑Aqsa (C‑539/10 P und C‑550/10 P, EU:C:2012:711, Rn. 140), vom 11. Juli 2013, Team Relocations u. a./Kommission (C‑444/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:464, Rn. 120), und vom 28. März 2017, Rosneft (C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 122).

    ( 18 ) Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Koushkaki (C‑84/12, EU:C:2013:232).

    ( 19 ) Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Koushkaki (C‑84/12, EU:C:2013:232, Nr. 51).

    ( 20 ) Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Koushkaki (C‑84/12, EU:C:2013:232, Nr. 51).

    ( 21 ) Schlussanträge des Generalanwalt Mengozzi in der Rechtssache Koushkaki (C‑84/12, EU:C:2013:232, Nr. 52).

    ( 22 ) Wie die tschechische Regierung in ihrer Antwort auf die Fragen des Gerichtshofs unter Verweis auf die Rechtsgrundlagen der Verträge, die den Erlass des Visakodex ermöglicht haben, feststellt, sollen mit diesen lediglich die Verfahren der Mitgliedstaaten in einem bestimmten Bereich vereinheitlicht und kein allgemeines Recht eingeführt werden, in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen.

    ( 23 ) Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache El Hassani (C‑403/16, EU:C:2017:659).

    ( 24 ) Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache El Hassani (C‑403/16, EU:C:2017:659, Nr. 98).

    ( 25 ) Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Fahimian (C‑544/15, EU:C:2016:908).

    ( 26 ) Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Fahimian (C‑544/15, EU:C:2016:908, Nr. 29).

    ( 27 ) Nach der Definition von Von Jhering, R., „Der Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung“, Teil III, Abschnitt 1, Leipzig 1865, S. 316, zitiert von Hacker, P., Verhaltensökonomik und Normativität, Tübingen 2017, S. 234.

    ( 28 ) Alexy, R., „Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen“, Der Staat, 1990, Nr. 29, S. 53.

    ( 29 ) Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Koushkaki (C‑84/12, EU:C:2013:232, Nr. 47).

    ( 30 ) Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Fahimian (C‑544/15, EU:C:2016:908, Nr. 27).

    ( 31 ) Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Fahimian (C‑544/15, EU:C:2016:908, Nr. 28).

    ( 32 ) ABl. 2003, L 251, S. 12.

    ( 33 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Juni 2006, Parlament/Rat (C‑540/03, EU:C:2006:429, Rn. 60), und vom 4. März 2010, Chakroun (C‑578/08, EU:C:2010:117, Rn. 41).

    ( 34 ) Meloni, A., „EU visa policy: What kind of solidarity?“, Maastricht Journal of European and Comparative Law, 10/2017, Bd. 24, Nr. 5, S. 652.

    ( 35 ) Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Koushkaki (C‑84/12, EU:C:2013:232, Nr. 51).

    ( 36 ) Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache El Hassani (C‑403/16, EU:C:2017:659, Nr. 99).

    ( 37 ) Palosaari, T., „From ‚Thin‘ to ‚Thick‘ foreign policy europeanization: Common Foreign and Security Policy and Finland“, European Foreign Affairs Review, 12/2016, Bd. 21, Nr. 4, S. 583, unterstreicht den zwischenstaatlichen Charakter der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Union sowie das traditionelle Verhältnis dieses Bereichs zur Souveränität des Staates; Koutrakos, P., „Judicial review in the EU’s common foreign and security policy“, International and Comparative Law Quarterly, 01/2018, Bd. 67, Nr. 1, S. 1, vertritt die Auffassung, es sei konventionell, die Außen- und Sicherheitspolitik als einen Bereich souveränen Willens und nationaler Interessen par excellence zu betrachten.

    ( 38 ) Carli, E., La politica di sicurezza e di difesa comune dell’Unione europea, Turin 2019, S. 16 und 393, hebt das Erfordernis der Einstimmigkeit für die Beschlussfassung im Rat hervor, was nach Ansicht des Autors die zwischenstaatliche Natur der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik unterstreicht.

    ( 39 ) Vgl. „Erklärung zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ Erklärung Nr. 13 im Anhang zur Schlussakte der Regierungskonferenz, auf der der Vertrag von Lissabon angenommen wurde.

    ( 40 ) Dumas, P., L’accès des ressortissants des pays tiers au territoire des États membres de l’Union européenne, Brüssel 2013, S. 146; Balleix, C., La politique migratoire de l’Union européenne, Paris 2013, S. 47.

    ( 41 ) Meloni, A., „EU visa policy: What kind of solidarity?“, Maastricht Journal of European and Comparative Law, 10/2017, Bd. 24, Nr. 5, S. 653.

    ( 42 ) Dumas, P., L’accès des ressortissants des pays tiers au territoire des États membres de l’Union européenne, Brüssel 2013, S. 144; Delcour, L., „The EU’s visa liberalisation policy – What kind of transformative power in neighbouring regions?“, The Routledge Handbook of the Politics of Migration in Europe, Kapitel 32, London 2019, S. 410.

    ( 43 ) Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Koushkaki (C‑84/12, EU:C:2013:232, Nr. 49).

    ( 44 ) Vgl. die ähnlichen Feststellungen des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Fahimian (C‑544/15, EU:C:2016:908, Nr. 58).

    ( 45 ) Mungianu, R., „Frontex: Towards a Common Policy on External Border Control“, European Journal of Migration and Law, Bd. 15, Nr. 4, 2013, S. 360; García Andrade, P., „EU external competences in the field of migration: How to act externally when thinking internally“, Common Market Law Review, 02/2018, Bd. 55, Nr. 1, S. 163; Mazille, C., „L’accès des étrangers au territoire de l’Union et l’exigence de sécurité publique“, Revue française de droit administratif, 11/2017, Nr. 5, S. 929.

    ( 46 ) Urteil vom 19. Dezember 2013, Koushkaki (C‑84/12, EU:C:2013:862).

    ( 47 ) Urteil vom 19. Dezember 2013, Koushkaki (C‑84/12, EU:C:2013:862, Rn. 56).

    ( 48 ) Urteil vom 19. Dezember 2013, Koushkaki (C‑84/12, EU:C:2013:862, Rn. 57).

    ( 49 ) Urteil vom 13. Dezember 2017, El Hassani (C‑403/16, EU:C:2017:960, Rn. 36).

    ( 50 ) ABl. 2004, L 375, S. 12.

    ( 51 ) Urteil vom 4. April 2017, Fahimian (C‑544/15, EU:C:2017:255, Rn. 42). Zu erwähnen ist auch das Urteil vom 10. September 2014, Ben Alaya (C‑491/13, EU:C:2014:2187, Rn. 33), das sich ebenfalls auf die Auslegung der Richtlinie 2004/114 bezieht.

    ( 52 ) Urteil vom 4. April 2017, Fahimian (C‑544/15, EU:C:2017:255, Rn. 43).

    ( 53 ) Urteil vom 19. Dezember 2013, Koushkaki (C‑84/12, EU:C:2013:862, Rn. 60).

    ( 54 ) Urteil vom 25. Juli 2008, Metock u. a. (C‑127/08, EU:C:2008:449, Rn. 57).

    ( 55 ) ABl. 2004, L 158, S. 77.

    ( 56 ) Urteil vom 25. Juli 2008, Metock u. a. (C‑127/08, EU:C:2008:449, Rn. 56).

    ( 57 ) Urteil vom 25. Juli 2008, Metock u. a. (C‑127/08, EU:C:2008:449, Rn. 62).

    ( 58 ) Urteile vom 8. Mai 2013, Ymeraga u. a. (C‑87/12, EU:C:2013:291, Rn. 34), vom 12. März 2014, O. und B. (C‑456/12, EU:C:2014:135, Rn. 36), sowie vom 18. Dezember 2014, McCarthy u. a. (C‑202/13, EU:C:2014:2450, Rn. 34).

    ( 59 ) Vgl. Nr. 43 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 60 ) Vgl. Nr. 50 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 61 ) Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Fahimian (C‑544/15, EU:C:2016:908, Nr. 56).

    ( 62 ) Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Fahimian (C‑544/15, EU:C:2016:908, Nr. 59).

    ( 63 ) Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Fahimian (C‑544/15, EU:C:2016:908, Nr. 61).

    ( 64 ) Urteil vom 4. Juni 2013, ZZ (C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 51).

    ( 65 ) Vgl. Nr. 43 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 66 ) Caniard, H., „Pouvoirs et moyens de l’Agence européenne de garde-frontières et de garde-côtes: Le règlement (UE) 2016/1624 traduit-il un renforcement des moyens et capacités?“, De Frontex à Frontex – Vers l’émergence d’un service européen des garde-côtes et garde-frontières, Brüssel 2019, S. 43, weist darauf hin, dass die Verträge trotz der Zuständigkeitszuweisung an die Union im Bereich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts Zuständigkeitsvorbehaltsklauseln zugunsten der Staaten enthielten.

    ( 67 ) Urteile vom 4. Juni 2013, ZZ (C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 54), und vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi (C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 125).

    ( 68 ) ABl. 2019, L 188, S. 25.

    ( 69 ) Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache El Hassani (C‑403/16, EU:C:2017:659, Nr. 119).

    ( 70 ) Urteil vom 13. Dezember 2017, El Hassani (C‑403/16, EU:C:2017:960, Rn. 42).

    ( 71 ) Vgl. Nr. 48 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 72 ) Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Koushkaki (C‑84/12, EU:C:2013:232, Nr. 56).

    ( 73 ) Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache El Hassani (C‑403/16, EU:C:2017:659, Nr. 105).

    ( 74 ) Vgl. Nrn. 61 bis 63 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 75 ) Vgl. Nr. 62 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 76 ) Eeckhout, P., EU External Relations Law, 2. Aufl., Oxford 2012, S. 486, weist darauf hin, dass der Rat das wichtigste Organ im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sei. Während die Beschlussfassung im Rahmen der Anwendung des AEU-Vertrags durch eine klare Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Parlament, dem Rat und der Kommission gekennzeichnet sei, was eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen diesen Organen verlange, „kontrolliere“ der Rat eindeutig die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Die Aufgaben, die der Rat in diesem Bereich wahrnehme, hätten hauptsächlich „exekutiven“ Charakter.

    ( 77 ) Urteile vom 14. April 2015, Rat/Kommission (C‑409/13, EU:C:2015:217, Rn. 64), und vom 28. Juli 2016, Rat/Kommission (C‑660/13, EU:C:2016:616, Rn. 31 und 32).

    ( 78 ) Vgl. Nr. 61 der vorliegenden Schlussanträge zur untergeordneten Rolle, die dem Parlament im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zugewiesen worden ist.

    ( 79 ) Urteile vom 19. Juli 2016, H/Rat und Kommission (C‑455/14 P, EU:C:2016:569, Rn. 39), sowie vom 28. März 2017, Rosneft (C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 60).

    ( 80 ) Vgl. u. a. das Verfassungsrecht der Vereinigten Staaten von Amerika, das die Doktrin der „executive power“ kennt, die dem Präsidenten eine sehr wichtige Zuständigkeit im Bereich der Außen- und Verteidigungspolitik gegenüber dem Kongress verleiht (in diesem Sinne Prakash, S., und Ramsey, M., „The Executive Power over Foreign Affairs“, Yale Law Journal, 11/2001, Bd. 111, Nr. 2, S. 233), die Rolle der Bundesregierung nach deutschem Verfassungsrecht (Röben, V., Außenverfassungsrecht, Tübingen 2007, S. 91), und die Vorrechte der Exekutive im französischen Verfassungsrecht (Martin, V., „Les relations extérieures, ‚domaine réservé‘ du pouvoir exécutif?“, Giornale di Storia Costituzionale, 2014, Nr. 28, S. 77).

    ( 81 ) Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache El Hassani (C‑403/16, EU:C:2017:659, Nr. 109).

    ( 82 ) Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Fahimian (C‑544/15, EU:C:2016:908, Nr. 72).

    ( 83 ) Vgl. Nr. 65 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 84 ) Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Koushkaki (C‑84/12, EU:C:2013:232, Nr. 63). Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache El Hassani (C‑403/16, EU:C:2017:659, Nr. 109), in denen er die Meinung äußert, dass „es … [genügt], wenn die nationalen Gerichte sicherstellen, dass die Visumverweigerung nicht willkürlich erfolgte“.

    ( 85 ) Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht hervor, dass eine Verwaltungsentscheidung, die eine Nachprüfung gestattet, willkürlich ist, wenn sie ohne Vorliegen von Tatsachen, die diese Nachprüfung rechtfertigen könnten, erlassen worden ist. Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juni 2002, HI (C‑92/00, EU:C:2002:379, Rn. 56 bis 64), und vom 22. Oktober 2002, Roquette Frères (C‑94/00, EU:C:2002:603, Rn. 55).

    ( 86 ) Urteil vom 4. April 2017, Fahimian (C‑544/15, EU:C:2017:255, Rn. 46).

    ( 87 ) Urteile vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission (C‑402/05 P und C‑415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 344), und vom 4. Juni 2013, ZZ (C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 57).

    ( 88 ) Urteile vom 21. Dezember 2011, Cicala (C‑482/10, EU:C:2011:868, Rn. 28), vom 17. Juli 2014, YS u. a. (C‑141/12 und C‑372/12, EU:C:2014:2081, Rn. 67), sowie vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 44).

    ( 89 ) Vgl. Lemke, S., Europäisches Unionsrecht (von der Groeben/Schwarze/Hatje), Art. 47, 7. Aufl., Baden-Baden 2015, S. 807, die geltend macht, Art. 41 der Charta sei selbst dann nicht auf das Verwaltungsverfahrensrecht der Mitgliedstaaten anwendbar, wenn diese das Recht der Union durchführten.

    ( 90 ) Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in den verbundenen Rechtssachen YS u. a. (C‑141/12 und C‑372/12, EU:C:2013:838, Nr. 36).

    ( 91 ) Urteil vom 8. Mai 2014, H. N. (C‑604/12, EU:C:2014:302, Rn. 49).

    ( 92 ) Urteil vom 22. Dezember 2010, DEB (C‑279/09, EU:C:2010:811, Rn. 30 und 31), Beschluss vom 1. März 2011, Chartry (C‑457/09, EU:C:2011:101, Rn. 25), und Urteil vom 28. Juli 2011, Samba Diouf (C‑69/10, EU:C:2011:524, Rn. 49).

    ( 93 ) Vgl. Nr. 3 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 94 ) Vgl. Nr. 29 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 95 ) Urteile vom 15. März 2017, Aquino (C‑3/16, EU:C:2017:209, Rn. 48), vom 13. Dezember 2017, El Hassani (C‑403/16, EU:C:2017:960, Rn. 25 und 26), sowie vom 19. März 2020, Bevándorlási és Menekültügyi Hivatal (C‑406/18, EU:C:2020:216, Rn. 26).

    ( 96 ) Urteile vom 8. März 2011, Lesoochranárske zoskupenie (C‑240/09, EU:C:2011:125, Rn. 47), vom 15. September 2016, Star Storage u. a. (C‑439/14 und C‑488/14, EU:C:2016:688, Rn. 46), sowie vom 8. November 2016, Lesoochranárske zoskupenie VLK (C‑243/15, EU:C:2016:838, Rn. 65).

    ( 97 ) Vgl. in diesem Sinne von Danwitz, T., Europäisches Verwaltungsrecht, Köln 2008, S. 277.

    ( 98 ) Nach Meinung von Alber, S., Europäische Grundrechte-Charta – Kommentar (Stern/Sachs), München 2016, Art. 47, Rn. 55 und 56, S. 711, stellt Art. 47 der Charta nicht klar, welche Rechtsbehelfe die Mitgliedstaaten vorsehen müssen. Demnach könnten diese Rechtbehelfe von einem Mitgliedstaat zum anderen variieren. Die genannte Vorschrift verlange weder ihre Harmonisierung noch ihre Anpassung an den höchsten Standard.

    ( 99 ) Vgl. Nr. 46 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 100 ) Schmidt-Assmann, E., Kohärenz und Konsistenz des Verwaltungsrechtsschutzes, Tübingen 2015, S. 55, spricht sich für eine Verpflichtung zur Information über die dem Adressaten einer Verwaltungsentscheidung offenstehenden Rechtsbehelfe aus, zumindest in komplexen Verwaltungssituationen.

    ( 101 ) Beschluss vom 5. März 1999, Gúerin automobiles/Kommission (C‑153/98 P, EU:C:1999:123).

    ( 102 ) Beschluss vom 5. März 1999, Gúerin automobiles/Kommission (C‑153/98 P, EU:C:1999:123, Rn. 14).

    ( 103 ) Sander, P., Charta der Grundrechte der Europäischen Union – GRC‑Kommentar (Holoubek/Lienbacher), Wien 2014, Art. 41, Rn. 21, S. 543, und Jarass, H., Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl., München 2016, Art. 47, Rn. 49, sind der Meinung, eine Verpflichtung zur Rechtsbehelfsbelehrung des Adressaten einer Verwaltungsentscheidung lasse sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht eindeutig ableiten. Sie unterstreichen gleichwohl die Bedeutung der Kodizes des Europäischen Bürgerbeauftragten und der Kommission für gute Verwaltungspraxis.

    ( 104 ) In ihren Antworten auf die Fragen des Gerichtshofs haben die deutsche und die polnische Regierung auf die Verwaltungsverfahrensvorschriften ihres nationalen Rechts verwiesen, die grundsätzlich eine Beteiligung Dritter an einem gerichtlichen Verfahren erlauben, wenn diese Dritten ein rechtliches Interesse an der Beteiligung haben. Im Hinblick auf den Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten, der ausschließt, dass sich ein Staat der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates unterwirft (par in parem non habet imperium, vgl. Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom 3. Februar 2012, Deutschland/Italien, Griechenland [Streithelfer], in Sachen Immunität des Staates von der Gerichtsbarkeit), haben mehrere Mitgliedstaaten gleichwohl Vorbehalte bezüglich dieser Möglichkeit zum Ausdruck gebracht.

    ( 105 ) Dies vorausgeschickt, lege ich Wert auf die Feststellung, dass ein solcher Informationsaustausch zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten, worauf die deutsche und die polnische Regierung in ihren Antworten auf die Fragen des Gerichtshofs hingewiesen haben, tatsächlich stattfinden kann. Die polnische Regierung vertritt die Ansicht, ein Mitgliedstaat, der gemäß Art. 22 Abs. 2 des Visakodex einen Einwand gegen die Erteilung eines Visums erhebe, müsse seinen Einwand begründen. Ohne eine solche Begründung könne der Mitgliedstaat, der den Visumantrag prüfe, eine Frage stellen, um zusätzliche Informationen (gegebenenfalls einschließlich relevanter zusätzlicher Dokumente) zu erhalten. Die Antworten auf die Fragen und etwaige Dokumente, so die polnische Regierung, könnten im Rahmen des Informationsaustauschs, der die Visa-Konsultation vervollständige, übermittelt werden, sofern sie keine geheimen Informationen darstellten, für die Anforderungen auf dem Gebiet geheimer Informationen anzuwenden und geeignete gesicherte Übertragungsmedien zu nutzen seien. Die die Visa-Konsultation vervollständigenden Antworten auf die Fragen müssten unverzüglich geliefert werden.

    ( 106 ) Vgl. die entsprechende Argumentation der Generalanwältin Sharpston in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Vethanayagam u. a. (C‑680/17, EU:C:2019:278, Nr. 81) betreffend den in Art. 8 des Visakodex vorgesehenen Vertretungsmechanismus.

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