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Document 62018CO0424

    Beschluss des Gerichtshofs (Neunte Kammer) vom 20. Juni 2019.
    Italy Emergenza Cooperativa Sociale und Associazione Volontaria di Pubblica Assistenza „Croce Verde“ gegen Ulss 5 Polesana Rovigo und Regione del Veneto.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Vergabe öffentlicher Liefer‑, Dienstleistungs- oder Bauaufträge – Richtlinie 2014/24/EU – Art.10 Buchst. h – Besondere Ausnahmen für Dienstleistungsaufträge – Einsatz von Krankenwagen zur Patientenbeförderung – Begriff.
    Rechtssache C-424/18.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2019:528

     BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

    20. Juni 2019 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Vergabe öffentlicher Liefer‑, Dienstleistungs- oder Bauaufträge – Richtlinie 2014/24/EU – Art.10 Buchst. h – Besondere Ausnahmen für Dienstleistungsaufträge – Einsatz von Krankenwagen zur Patientenbeförderung – Begriff“

    In der Rechtssache C‑424/18

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per il Veneto (Regionales Verwaltungsgericht für Venetien, Italien) mit Entscheidung vom 13. Juni 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Juni 2018, in dem Verfahren

    Italy Emergenza Cooperativa Sociale,

    Associazione Volontaria di Pubblica Assistenza „Croce Verde“

    gegen

    Ulss 5 Polesana Rovigo,

    Regione del Veneto,

    Beteiligte:

    Regione del Veneto,

    Croce Verde Adria,

    Italy Emergenza Cooperativa Sociale,

    Associazione Nazionale Pubbliche Assistenze (Organizzazione nazionale di volontariato) – ANPAS ODV,

    Associazione Nazionale Pubblica Assistenza (ANPAS) – Comitato regionale Liguria,

    Confederazione Nazionale delle Misericordie d’Italia,

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

    unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter D. Šváby (Berichterstatter) und S. Rodin,

    Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der Italy Emergenza Cooperativa Sociale, vertreten durch R. Speranzoni und S. Betti, avvocati,

    der Associazione Volontaria di Pubblica Assistenza „Croce Verde“, vertreten durch V. Migliorini und C. Tamburini, avvocati,

    der Regione del Veneto, vertreten durch E. Zanon, C. Zampieri und C. Drago, avvocati,

    der Croce Verde Adria, vertreten durch C. Tamburini, avvocato,

    der Associazione Nazionale Pubbliche Assistenze (Organizzazione nazionale di volontariato) – ANPAS ODV, vertreten durch V. Migliorini und C. Tamburini, avvocati,

    der Associazione Nazionale Pubblica Assistenza (ANPAS) – Comitato regionale Liguria, vertreten durch R. Damonte, avvocato,

    der Confederazione Nazionale delle Misericordie d’Italia, vertreten durch P. Sanchini, F. Sanchini und C. Sanchini, avvocati,

    der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Sclafani, avvocato dello Stato,

    der deutschen Regierung, vertreten zunächst durch T. Henze und J. Möller, dann J. Möller, als Bevollmächtigte,

    Irlands, vertreten durch M. Browne, G. Hodge und A. Joyce als Bevollmächtigte im Beistand von C. Donnelly, BL,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara, P. Ondrůšek und L. Haasbeek als Bevollmächtigte,

    aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

    folgenden

    Beschluss

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65).

    2

    Es ergeht im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen der Italy Emergenza Cooperativa Sociale (im Folgenden: Italy Emergenza) bzw. der Associazione Volontaria di Pubblica Assistenza „Croce Verde“ (im Folgenden: Croce Verde) einerseits sowie der Ulss 5 Polesana Rovigo (Örtliche Gesundheits- und Sozialeinheit Nr. 5 der Polesine in Rovigo, Italien, im Folgenden: ULSS) und der Regione del Veneto (Region Venetien, Italien) andererseits wegen der unmittelbaren Vergabe von Aufträgen für Krankentransportdienste durch die ULSS.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    3

    Der 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 lautet:

    „Diese Richtlinie sollte nicht für bestimmte von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbrachte Notfalldienste gelten, da der spezielle Charakter dieser Organisationen nur schwer gewahrt werden könnte, wenn die Dienstleistungserbringer nach den in dieser Richtlinie festgelegten Verfahren ausgewählt werden müssten. Diese Ausnahme sollte allerdings nicht über das notwendigste Maß hinaus ausgeweitet werden. Es sollte daher ausdrücklich festgelegt werden, dass der Einsatz von Krankenwagen zur Patientenbeförderung nicht ausgenommen sein sollte. In diesem Zusammenhang muss im Übrigen deutlich gemacht werden, dass die CPV[(Common Procurement Vocabulary [Gemeinsames Vokabular für öffentliche Aufträge])]-Gruppe 601 ‚Landverkehr‘ nicht den Einsatz von Krankenwagen beinhaltet, der unter die CPV-Klasse 8514 fällt. Es sollte daher klargestellt werden, dass für unter den CPV-Code 85143000‑3 fallende Dienstleistungen, die ausschließlich im Einsatz von Krankenwagen zur Patientenbeförderung bestehen, die Sonderregelung [für soziale Dienste und andere besondere Dienstleistungen] gelten soll. Folglich würden auch gemischte Aufträge für Dienste von Krankenwagen generell unter die Sonderregelung fallen, falls der Wert des Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung höher wäre als der Wert anderer Rettungsdienste.“

    4

    Art. 10 („Besondere Ausnahmen für Dienstleistungsaufträge“) Buchst. h der Richtlinie bestimmt:

    „Diese Richtlinie gilt nicht für öffentliche Dienstleistungsaufträge, die Folgendes zum Gegenstand haben:

    h)

    Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden und die unter die folgenden CPV-Codes fallen: 75250000‑3 ([Dienstleistungen der Feuerwehr und von Rettungsdiensten)], 75251000‑0 ([Dienstleistungen der Feuerwehr)], 75251100‑1 [(Brandbekämpfung)], 75251110‑4 [(Brandverhütung)], 75251120‑7 [(Waldbrandbekämpfung)], 75252000‑7 [(Rettungsdienste)], 75222000‑8 [(Zivilverteidigung)], 98113100‑9 [(Dienstleistungen im Bereich der nuklearen Sicherheit)] und 85143000‑3 [(Einsatz von Krankenwagen)] mit Ausnahme des Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung;

    …“

    5

    Titel III („Besondere Beschaffungsregelungen“) der Richtlinie enthält ein Kapitel I, das aus den Art. 74 bis 77 besteht, die die Sonderregelung für soziale Dienste und andere besondere Dienstleistungen enthalten.

    Italienisches Recht

    6

    Das Decreto legislativo n. 50 – Attuazione delle direttive 2014/23/UE, 2014/24/UE e 2014/25/UE sull’aggiudicazione dei contratti di concessione, sugli appalti pubblici e sulle procedure d’appalto degli enti erogatori nei settori dell’acqua, dell’energia, dei trasporti e dei servizi postali, nonché per il riordino della disciplina vigente in materia di contratti pubblici relativi a lavori, servizi e forniture (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 50 zur Durchführung der Richtlinie 2014/23/EU über die Konzessionsvergabe, der Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe sowie der Richtlinie 2014/25/EU über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Neuordnung der geltenden Rechtsvorschriften betreffend die Bau‑, Dienstleistungs- und Lieferaufträge) vom 18. April 2016 (GURI Nr. 91 vom 19. April 2016) stellt den neuen Codice dei contratti pubblici (Gesetzbuch über das öffentliche Auftragswesen) dar.

    7

    In dessen Art. 17 („Besondere Ausnahmen bei öffentlichen Aufträgen und Dienstleistungskonzessionen“) Abs. 1 heißt es:

    „Die Bestimmungen des vorliegenden Gesetzbuchs gelten nicht für öffentliche Aufträge und Dienstleistungskonzessionen, die Folgendes zum Gegenstand haben:

    h)

    Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden und die unter die folgenden CPV-Codes fallen: 75250000‑3, 75251000‑0, 75251100‑1, 75251110‑4, 75251120‑7, 75252000‑7, 75222000‑8, 98113100‑9 und 85143000‑3 mit Ausnahme des Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung“.

    8

    Art. 57 des Decreto legislativo n. 117 – Codice del Terzo settore (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 117 betreffend das Gesetzbuch über den Dritten Sektor) vom 3. Juli 2017 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 179 vom 2. August 2017) bestimmt:

    „Notfallkrankentransportdienste dürfen vorrangig per Vertrag an Freiwilligenorganisationen vergeben werden, die seit mindestens sechs Monaten im nationalen Register des dritten Sektors eingetragen sind, einem Netzwerk von Vereinigungen gemäß Art. 41 Abs. 2 angehören und nach den gegebenenfalls bestehenden regionalen Vorschriften in diesem Bereich akkreditiert sind, wenn die unmittelbare Vergabe aufgrund der besonderen Art des Dienstes die Bereitstellung eines Dienstes im Allgemeininteresse innerhalb eines Systems sicherstellt, das wirksam sozialen Zwecken dient und Ziele der Solidarität verfolgt, und zwar unter wirtschaftlich effizienten und geeigneten Bedingungen sowie unter Wahrung der Grundsätze der Transparenz und der Nichtdiskriminierung.“

    9

    Das Decreto del Presidente del Consiglio dei Ministri – Definizione e aggiornamento dei livelli essenziali di assistenza, di cui all’articolo 1, comma 7, del decreto legislativo 30 dicembre 1992 n. 502 (Verordnung des Präsidenten des Ministerrats über die Festlegung und Aktualisierung der Mindestversorgungsstandards gemäß Art. 1 Abs. 7 des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 502 vom 30. Dezember 1992) vom 12. Januar 2017 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 65 vom 18. März 2017) bestimmt in seinem Art. 7 („Hoheitlicher Notfall im Gesundheitswesen“):

    „1.   Der nationale Gesundheitsdienst stellt bei Notfällen außerhalb eines Krankenhauses eine schnelle Krankenfürsorge zur Stabilisierung des Zustands des Patienten sicher und sorgt für die sichere Beförderung zum geeignetsten Krankenhaus. Die Koordinierung und Verwaltung der hoheitlichen Notfalldienste wird von den Einsatzzentralen 118 im Zeitraum von 24 Stunden, aus denen ein Tag besteht, übernommen.

    2.   Insbesondere sind sichergestellt:

    a)

    die Krankenfürsorge, die mittels Land- und Luftfahrzeugen für grundlegende oder weiter gehende Notfallmaßnahmen durchgeführt werden, die angemessen ausgebildetes Gesundheitspersonal an Bord haben,

    b)

    die sekundären medizinischen Krankentransporte mit oder ohne Behandlung,

    c)

    die Tätigkeiten der Behandlung und der Organisation bei Großschadenslagen und Ereignissen mit nuklearen, biologischen, chemischen oder radiologischen Risiken (CBRN),

    d)

    die Tätigkeiten der Behandlung bei Demonstrationen und angekündigten Veranstaltungen nach den von den Regionen und Autonomen Provinzen bestimmten Modalitäten.

    3.   Die hoheitlichen Notfallmaßnahmen werden integriert mit den zwischen den Krankhäusern bestehenden Notfallmaßnahmen, die von den Diensten zur Ersthilfe und den Rettungsdiensten sichergestellt werden, durchgeführt, und zwar mit den Tätigkeiten, die zur Grundversorgung sowie zur fortlaufenden Betreuung gehören.“

    10

    Art. 2 Abs. 1 der Legge regionale n. 26 – Disciplina del sistema regionale di trasporto sanitario di soccorso ed emergenza (Venezianisches Regionalgesetz Nr. 26 zur Regelung des regionalen Systems für Rettungstransporte und Notfallmaßnahmen) vom 27. Juli 2012 (im Folgenden: Gesetz Nr. 26/2012) bestimmt:

    „Für die Zwecke des vorliegenden Gesetzes wird die Tätigkeit als Notfallbeförderung und Notfallkrankentransport definiert, die mittels Rettungsfahrzeugen insbesondere durch hierfür beauftragtes Gesundheitspersonal unter Ausübung der folgenden Aufgaben durchgeführt wird:

    a)

    Notfallbeförderungdienste mittels Rettungswagen, die von den Einsatzleitstellen des Medizinischen Notfalldienstes (SUEM) geleitet werden;

    b)

    mittels Rettungswagen durchgeführte Beförderungsdienste, die im Rahmen der Livelli Essenziali di Assistenza (Mindestversorgungsstandards) vorgesehen sind;

    c)

    Beförderungsdienste, in deren Rahmen der krankhafte Zustand des Patienten die ausschließliche Verwendung von Rettungswagen gebietet und während der Fahrt die Unterstützung des medizinischen oder hierfür ausgebildeten Personals sowie die Garantie einer kontinuierlichen Versorgung erfordert.“

    11

    Der Beschluss Nr. 1515 vom 29. Oktober 2015 der Giunta Regionale del Veneto (Exekutivorgan der Region Venetien, Italien) bestimmt, dass sich „im Krankenwagen … während des Einsatzes ein Fahrer mit Rettungshelferausbildung und mindestens ein Rettungshelfer mit den für diese Tätigkeit vorgeschriebenen Qualifikationen und Fertigkeiten [befinden müssen]“, wozu die Teilnahme an einem Lehrgang und der erfolgreiche Abschluss einer Prüfung in drei Fächern, nämlich Anatomie, Physiologie und Rettungsdienst, gehört. Daraus folge, dass der sekundäre Dienst, einschließlich des einfachen Beförderungsdiensts, in einem Kontext erbracht werde, der die gewöhnliche Beförderung und die Gesundheitsversorgung vereinige.

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    12

    Italy Emergenza, eine Sozialgenossenschaft, die Krankenwagen zur Beförderung einsetzt, erhob eine Klage, mit der sie hauptsächlich die Nichtigerklärung einer Reihe vorbereitender Maßnahmen zum Erlass der Entscheidung Nr. 1754 vom 28. Dezember 2017 des Generaldirektors der ULSS sowie der Entscheidung selbst begehrte. Mit dieser Entscheidung hat die ULSS die Erbringung von Notfallbeförderungsdiensten und sekundären Beförderungsdiensten im Krankenwagen für das von ihr verwaltete Gebiet per Vereinbarung unmittelbar an die Croce Verde vergeben. Diese vom 1. April 2018 bis zum 31. März 2020 geltende Vereinbarung kann unter der Voraussetzung um zwei weitere Jahre verlängert werden, dass die Croce Verde weiterhin die Akkreditierungsbedingungen erfüllt, die im Gesetz Nr. 26/2012 und in der Entscheidung Nr. 179/2014 des Regionalrats von Venetien festgelegt sind. Schließlich werden in der Vereinbarung die erstattungsfähigen Kosten auf 2291260 Euro jährlich, d. h. auf einen Betrag von 6873780 Euro in drei Jahren, veranschlagt.

    13

    Italy Emergenza ist der Auffassung, dass die sekundären Beförderungsdienste im Krankenwagen nicht zu den Dienstleistungen gehören, die gemäß Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit deren 28. Erwägungsgrund von den Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge ausgenommen sind.

    14

    Während die Klage beim Tribunale amministrativo regionale per il Veneto (Regionales Verwaltungsgericht für Venetien, Italien) anhängig war, erklärte die ULSS mit Entscheidung Nr. 372 vom 24. April 2018 die Entscheidung Nr. 1754 für nichtig, um einem Urteil des Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) vom 22. Februar 2018 Rechnung zu tragen. Danach könne nur der Notfallrettungsdienst mit einem Krankenwagen ausnahmsweise von der Regel des Ausschreibungsverfahrens ausgenommen werden, sofern er von gemeinnützigen Vereinigungen erbracht werde. Dagegen unterliege der einfache Dienst der Beförderung im Krankenwagen, nämlich der gewöhnliche Patiententransport, mit dem kein Notfall einhergehe, der Sonderregelung gemäß den Art. 74 bis 77 der Richtlinie 2014/24.

    15

    Nach dem Erlass der Entscheidung Nr. 372 teilte Italy Emergenza im Wesentlichen mit, dass sie beabsichtige, ihre Klage zurückzunehmen, sofern die Croce Verde nicht die Nichtigerklärung der Entscheidung beantrage.

    16

    Die Croce Verde legte jedoch gegen diese Entscheidung einen Rechtsbehelf ein. Ihrer Auffassung nach ist die Unterscheidung zwischen Notfallkrankentransportdiensten und einfachen Transportdiensten weiterhin umstritten. Zwar scheine der 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 „ausschließlich“ die Beförderung von Patienten mit einem Krankenwagen der Sonderregelung zu unterwerfen, in Art. 10 Buchst. h der Richtlinie finde sich diese Klarstellung aber nicht wieder.

    17

    Das vorlegende Gericht hat in einem Urteil vom 9. März 2018 in einer ähnlichen Rechtssache entschieden, dass nach Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24 und dem diese Bestimmung getreu umsetzenden Art. 17 Abs. 1 Buchst. h des Gesetzbuchs über das öffentliche Auftragswesen der unter den CPV-Code 85143000‑3 fallende „Einsatz von Krankenwagen“ abweichend von den traditionellen Regelungen für die Vergabe öffentlicher Aufträge von den Bestimmungen des Gesetzbuchs über das öffentliche Auftragswesen ausgenommen sei, sofern es nicht um den „Einsatz von Krankenwagen zur Patientenbeförderung“ gehe, für den weiterhin die Sonderregelung gelte. Damit die in Art. 10 Buchst. h der Richtlinie vorgesehene Ausnahme greifen könne, müssten die Notfallrettungsdienste mittels Krankenwagen durchgeführt werden, eine Beförderung und Erste-Hilfe-Leistung an Notfallpatienten darstellen und von gemeinnützigen Organisationen erbracht werden. Der einfache Einsatz von Krankenwagen zur Beförderung, bei dem es um die gewöhnliche Beförderung von Patienten außerhalb jeglicher Notlage gehe, sei seinerseits der Sonderregelung unterworfen.

    18

    Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts sind die Notfallrettungsdienste zwar leicht von den einfachen Patientenbeförderungsdiensten zu unterscheiden, jedoch gebe es Zwischenformen der Beförderung, deren Einordnung sich nicht offenkundig aufdränge. Dies sei u. a. bei bestimmten in Art. 2 des Gesetzes Nr. 26/2012 genannten Dienstleistungen des Gesundheitswesens der Fall wie zum einen bei im Rahmen der Mindestversorgungsstandards vorgesehenen Beförderungsdiensten, die für den Servizio Sanitario Nazionale (Nationaler Gesundheitsdienst, Italien) darin bestünden, für alle Bürger kostenlos oder nach Kostenbeteiligung Leistungen wie die Dienstleistungen, die mittels Rettungswagen erbracht würden, zu erbringen, und zum anderen bei Beförderungsdiensten, in deren Rahmen der krankhafte Zustand des Patienten die ausschließliche Verwendung von Rettungswagen gebiete und während der Fahrt die Unterstützung des medizinischen oder hierfür ausgebildeten Personals sowie die Garantie einer kontinuierlichen Versorgung erfordere.

    19

    Nach Art. 2 des Gesetzes Nr. 26/2012 seien jedoch alle diese Dienstleistungen Notfallbeförderungsdiensten mittels Rettungswagen gleichgestellt, so dass für sie die in Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24 und in Art. 17 Abs. 1 Buchst. h des Gesetzbuchs über das öffentliche Auftragswesen vorgesehene Ausnahme gelte, wenn sie von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht würden.

    20

    In diesem Kontext hat das Tribunale amministrativo regionale per il Veneto (Regionales Verwaltungsgericht für Venetien) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1.

    Sind Art. 10 Buchst. h und der 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen, dass

    a)

    Einsätze von Krankenwagen, bei denen sich in dem Fahrzeug ein Fahrer mit Rettungshelferausbildung und mindestens ein Rettungshelfer mit Qualifikationen und Fertigkeiten, die durch die Teilnahme an einem Lehrgang und den erfolgreichen Abschluss einer Prüfung in den Rettungsdienst betreffenden Fächern erworben wurden, befinden müssen, und

    b)

    im Rahmen der Mindestversorgungsstandards vorgesehene Beförderungsdienste, die in Rettungsfahrzeugen durchgeführt werden, unter die Ausnahme gemäß Art. 10 Buchst. h fallen oder aber zu den Dienstleistungen gemäß den Art. 74 bis 77 der Richtlinie 2014/24 gehören?

    2.

    Ist die Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die vorsehen, dass auch insoweit, als kein aktueller Notfall vorliegt,

    a)

    Einsätze von Krankenwagen, bei denen sich in dem Fahrzeug ein Fahrer mit Rettungshelferausbildung und mindestens ein Rettungshelfer mit Qualifikationen und Fertigkeiten, die durch die Teilnahme an einem Lehrgang und den erfolgreichen Abschluss einer Prüfung in den Rettungsdienst betreffenden Fächern erworben wurden, befinden müssen, und

    b)

    im Rahmen der Mindestversorgungsstandards vorgesehene Beförderungsdienste, die in Rettungsfahrzeugen durchgeführt werden, vorrangig Freiwilligenorganisationen direkt per Vereinbarung übertragen werden?

    Zu den Vorlagefragen

    21

    Gemäß Art. 99 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder die Beantwortung einer solchen Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden.

    22

    Diese Bestimmung ist hier anzuwenden.

    23

    Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit ihrem 28. Erwägungsgrund dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach zum einen die Einsätze im Krankenwagen, bei denen ein Fahrer als Rettungshelfer und mindestens ein Rettungshelfer mit Qualifikationen und Fertigkeiten, die durch die Teilnahme an einem Lehrgang und den erfolgreichen Abschluss einer Prüfung in den Rettungsdienst betreffenden Fächern erworben wurden, an Bord sein müssen, und zum anderen die im Rahmen der Mindestversorgungsstandards vorgesehenen Beförderungsdienste, die mittels Rettungsfahrzeugen durchgeführt werden, der in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausnahme unterliegen, ohne dass ein Notfall vorliegt.

    24

    Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24 Dienstleistungen, die den Katastrophenschutz, den Zivilschutz oder die Gefahrenabwehr betreffen, aus dem Geltungsbereich der klassischen Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe ausnimmt, wenn die doppelte Bedingung eingehalten wird, dass sie unter die in dieser Bestimmung genannten CPV-Codes fallen und von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden. Diese Ausnahme von der Geltung der Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe enthält jedoch insofern ihrerseits eine Ausnahme, als sie keine Anwendung findet auf den Einsatz von Krankenwagen zur Patientenbeförderung, für die die in den Art. 74 bis 77 der Richtlinie 2014/24 vorgesehene Sonderregelung gilt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. März 2019, Falck Rettungsdienste und Falck, C‑465/17, EU:C:2019:234, Rn. 38).

    25

    Aus Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24 im Licht ihres 28. Erwägungsgrundes ergibt sich, dass die darin zugunsten von Dienstleistungen der Gefahrenabwehr bestimmte Ausnahme von den Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe nur für bestimmte Notfalldienste gilt, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden, und dass sie nicht über das unbedingt notwendige Maß hinaus ausgeweitet werden darf (Urteil vom 21. März 2019, Falck Rettungsdienste und Falck, C‑465/17, EU:C:2019:234, Rn. 43).

    26

    Im Hinblick auf Dienstleistungen der Gefahrenabwehr ist also die Nichtanwendbarkeit der Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe gemäß Art. 10 Buchst. h der Richtlinie untrennbar mit dem Vorhandensein eines Notfalldiensts verknüpft. Somit reicht es nicht allein aus, dass ein Krankenwagen mit qualifiziertem Personal besetzt ist, damit ein Einsatz von Krankenwagen nach dem CPV-Code 85143000‑3 vorliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. März 2019, Falck Rettungsdienste und Falck, C‑465/17, EU:C:2019:234, Rn. 44 und 45).

    27

    Dennoch kann ein Notfall zumindest potenziell vorliegen, wenn ein Patient befördert werden muss, bei dem das – grundsätzlich objektiv zu beurteilende – Risiko besteht, dass sich sein Gesundheitszustand während des Transports verschlechtert. Nur unter diesen Bedingungen könnte der qualifizierte Krankentransport unter die Ausnahme von der Geltung der Regelungen für die Vergabe öffentlicher Aufträge gemäß Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24 fallen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. März 2019, Falck Rettungsdienste und Falck, C‑465/17, EU:C:2019:234, Rn. 46 und 49).

    28

    Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass weder der Einsatz von Krankenwagen, bei dem nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung ein Fahrer und mindestens ein Rettungshelfer, die ordnungsgemäß ausgebildet sind, an Bord sein müssen, noch die im Rahmen der Mindestversorgungsstandards vorgesehenen Beförderungsdienste, die mittels Rettungsfahrzeugen durchgeführt werden, automatisch unter die Ausnahme gemäß Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24 fallen. Die Geltung dieser Ausnahme setzt nämlich neben der Anwesenheit von ordnungsgemäß als Ersthelfer geschultem Personal voraus, dass der Einsatz von Krankenwagen von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen im Sinne dieser Bestimmung erbracht wird und ein Notfall vorliegt.

    29

    Auf die Vorlegefragen ist somit zu antworten, dass Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit ihrem 28. Erwägungsgrund dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach zum einen die Einsätze im Krankenwagen, bei denen ein Fahrer mit Rettungshelferausbildung und mindestens ein Rettungshelfer mit Qualifikationen und Fertigkeiten, die durch die Teilnahme an einem Lehrgang und den erfolgreichen Abschluss einer Prüfung in den Rettungsdienst betreffenden Fächern erworben wurden, an Bord sein müssen, und zum anderen die im Rahmen der Mindestversorgungsstandards vorgesehenen Beförderungsdienste, die mittels Rettungsfahrzeugen durchgeführt werden, der in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausnahme unterliegen, ohne dass ein Notfall vorliegt.

    Kosten

    30

    Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

     

    Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG ist in Verbindung mit ihrem 28. Erwägungsgrund dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach zum einen die Einsätze im Krankenwagen, bei denen ein Fahrer mit Rettungshelferausbildung und mindestens ein Rettungshelfer mit Qualifikationen und Fertigkeiten, die durch die Teilnahme an einem Lehrgang und den erfolgreichen Abschluss einer Prüfung in den Rettungsdienst betreffenden Fächern erworben wurden, an Bord sein müssen, und zum anderen die im Rahmen der Mindestversorgungsstandards vorgesehenen Beförderungsdienste, die mittels Rettungsfahrzeugen durchgeführt werden, der dieser Bestimmung vorgesehenen Ausnahme unterliegen, ohne dass ein Notfall vorliegt.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.

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