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Document 62013CC0171

    Schlussanträge des Generalanwalts N. Wahl vom 10. Juli 2014.
    Raad van bestuur van het Uitvoeringsinstituut werknemersverzekeringen (Uwv) gegen M. S. Demirci u. a.
    Vorabentscheidungsersuchen des Centrale Raad van Beroep.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Assoziierungsabkommen EWG‒Türkei – Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer – Aufhebung der Wohnortklauseln – Zusatzleistungen, die aufgrund des nationalen Rechts gewährt werden – Wohnsitzvoraussetzung – Anwendung auf ehemalige türkische Arbeitnehmer – Türkische Staatsangehörige, die die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erworben haben.
    Rechtssache C-171/13.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2014:2073

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    NILS WAHL

    vom 10. Juli 2014 ( 1 )

    Rechtssache C‑171/13

    Raad van bestuur van het Uitvoeringsinstituut werknemersverzekeringen (Uwv)

    gegen

    M. S. Demirci,

    D. Cetin,

    A. I. Önder,

    R. Keskin,

    M. Tüle,

    A. Taskin

    (Vorabentscheidungsersuchen des Centrale Raad van Beroep [Niederlande])

    „Assoziierung zwischen der EWG und der Türkei — Beschluss Nr. 3/80 des Assoziierungsrats — Sozialversicherung der Wanderarbeitnehmer — Zusatzleistung, die auf der Grundlage des nationalen Rechts gewährt wird — Wohnortklausel — Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 — Exportierbarkeit von Leistungen — Empfänger mit mehrfacher Staatsangehörigkeit — Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union — Art. 59 des Zusatzprotokolls des Assoziierungsabkommens EWG–Türkei — Nicht-Vorzugsbehandlungs-Klausel“

    1. 

    Dieses Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrats EWG–Türkei (im Folgenden: Beschluss Nr. 3/80) ( 2 ). Diese Bestimmung verbietet die Einführung von Wohnortklauseln im Zusammenhang mit der Zahlung von bestimmten Arten von Geldleistungen an türkische Arbeitnehmer.

    2. 

    Im Besonderen betrifft der Fall die Anwendung dieser Bestimmung auf frühere Arbeitnehmer mit türkischer Staatsangehörigkeit, die mittlerweile unter gleichzeitiger Beibehaltung der türkischen Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erworben haben. Es stellen sich die folgenden Fragen: Verlieren diese Arbeitnehmer aufgrund des Erwerbs der Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats die Rechte, die ihnen andernfalls gemäß Art. 6 zukommen würden? Haben diese Arbeitnehmer dann noch Anspruch auf zusätzliche beitragsunabhängige Geldleistungen (zusätzlich zu einer Invaliditätsleistung), die auf der Grundlage des nationalen Rechts des Aufnahmemitgliedstaats ( 3 ) gezahlt werden, obwohl sie in die Türkei zurückgekehrt sind und dieses nationale Recht ein Wohnsitzkriterium auferlegt? Wenn dies nicht der Fall ist, zu welchem Zeitpunkt kann die Zusatzleistung eingestellt werden?

    I – Rechtlicher Rahmen

    A – Die Assoziierung zwischen der EWG und der Türkei

    3.

    Am 12. September 1963 wurde ein Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Türkei unterzeichnet (im Folgenden: Assoziierungsabkommen) ( 4 ). Art. 9 dieses Abkommens begründet zwischen den Parteien des Abkommens ein allgemeines Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit.

    4.

    Am 23. November 1970 wurde ein Zusatzprotokoll zu dem Assoziierungsabkommen unterzeichnet (im Folgenden: Zusatzprotokoll) ( 5 ). Art. 39 Abs. 4 des Abkommens stellt sicher, dass „Alters-, Hinterbliebenen- und Invaliditätsrenten“ in die Türkei ausgeführt werden können. Nach Art. 39 Abs. 5 hat diese Vorschrift keine Auswirkung auf bilaterale Abkommen zwischen der Türkei und einem Mitgliedstaat, die eine günstigere Regelung vorsehen.

    5.

    Art. 59 des Zusatzprotokolls verbietet eine günstigere Behandlung mit der Feststellung: „In den von diesem Protokoll erfassten Bereichen darf der Türkei keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander … einräumen.“

    6.

    Am 19. September 1980 nahm der Assoziationsrat den Beschluss Nr. 3/80 an. Diese Maßnahme dient der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten, um auf diese Weise sowohl türkischen Arbeitnehmern als auch deren Familienangehörigen und deren Hinterbliebenen einen Anspruch auf Leistungen im Bereich der sozialen Sicherheit zu schaffen.

    7.

    Nach Art. 2 des Beschlusses Nr. 3/80 gelten die Bestimmungen dieses Beschlusses unter anderem „für Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, und die türkische Staatsangehörige sind“.

    8.

    Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 gewährleistet die Gleichbehandlung im Hinblick auf „die Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats“.

    9.

    Art. 4 des Beschlusses Nr. 3/80 definiert den sachlichen Anwendungsbereich der Maßnahme. Nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. b gilt der Beschluss für „Leistungen bei Invalidität einschließlich der Leistungen, die zur Erhaltung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit bestimmt sind“.

    10.

    Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 bestimmt:

    „Die Geldleistungen bei Invalidität, Alter oder für die Hinterbliebenen sowie die Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten, auf die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten Anspruch erworben worden ist, dürfen, sofern in diesem Beschluss nichts anderes bestimmt ist, nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, weil der Berechtigte in der Türkei oder im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates als des Staates wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.

    …“

    B – Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 ( 6 )

    11.

    Die Verordnung Nr. 1408/71 koordiniert die Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten, um zu gewährleisten, dass die Arbeitnehmer, die innerhalb der Europäischen Union zu- und abwandern, in jedem Fall unter die Vorschriften der sozialen Sicherheit fallen.

    12.

    Art. 4 begrenzt den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung. Nach Art. 4 Abs. 1 findet die Verordnung Nr. 1408/71 auf „Leistungen bei Invalidität einschließlich der Leistungen, die zur Erhaltung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit bestimmt sind“, Anwendung.

    13.

    Im Einzelnen definiert Art. 4 Abs. 2a „besondere beitragsunabhängige Geldleistungen“, d. h. die Art von Leistung, zu der die Leistung zu rechnen ist, die in den vor dem vorliegenden Gericht anhängigen Fällen Streitgegenstand ist.

    14.

    Während Art. 10 Abs. 1 die Mitgliedstaaten daran hindert, ein Wohnortkriterium aufzuerlegen, nimmt Art. 10a Abs. 1 bestimmte besondere beitragsunabhängige Geldleistungen von dieser Bestimmung aus. Art. 10a Abs. 1 lautet:

    „Die Bestimmungen des Artikels 10 und des Titels III gelten nicht für die in Artikel 4 Absatz 2a genannten besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen. Die Personen, für die diese Verordnung gilt, erhalten diese Leistungen ausschließlich im Wohnmitgliedstaat und nach dessen Rechtsvorschriften, sofern diese Leistungen in Anhang IIa aufgeführt sind. Die Leistungen werden vom Träger des Wohnorts zu seinen Lasten gewährt.“

    15.

    Im Wege einer durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 ( 7 ) eingeführten Änderung wurde die TW-Leistung der Liste von besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen in Anhang IIa der Verordnung hinzugefügt. Diese Änderung trat am 5. Mai 2005 in Kraft.

    C – Niederländisches Recht

    16.

    Die TW regelt die Bewilligung von Zusatzleistungen in den Niederlanden. Diese Leistungen werden mit dem Ziel bewilligt, für jeden einen bestimmten Mindestlebensunterhalt zu sichern. Gemäß der TW ist das Uitvoeringsinstituut werknemersverzekeringen (Durchführungseinrichtung für Arbeitnehmerversicherungen, im Folgenden: Uwv) die Behörde, die auf Antrag einer Person bestimmt, ob ein Anspruch auf eine solche Zusatzleistung besteht.

    17.

    Mit der Wet beperking export uitkeringen (Gesetz über die Beschränkung des Leistungsexports, im Folgenden: Wet BEU) vom 27. Mai 1999 wurde eine neue Bestimmung in die TW aufgenommen, die den Anspruch auf Zusatzleistungen von einem Wohnsitz in den Niederlanden abhängig machte. Deshalb müssen vom 1. Januar 2000 an alle Empfänger einer Zusatzleistung ihren Wohnsitz in den Niederlanden haben.

    18.

    Nach einer durch Art. XI der Wet BEU eingeführten Übergangsregelung wurde die Zahlung von Leistungen gemäß der TW an Empfänger, die bereits vor dem Inkrafttreten der neuen Regelung eine Zusatzleistung empfangen hatten und die zu dieser Zeit außerhalb des Hoheitsgebiets der Niederlande wohnten, ab dem 1. Januar 2000 jährlich um ein Drittel abgebaut. Dasselbe Kürzungsverfahren wurde ab dem Jahr 2007 gegenüber EU- und EWR-Angehörigen vorgenommen, nachdem die TW der Liste in Anhang IIa der Verordnung Nr. 1408/71 hinzugefügt worden war.

    II – Sachverhalt, Verfahren und die Vorlagefragen

    19.

    Herr Demirci und fünf weitere frühere Wanderarbeitnehmer (im Folgenden: Rechtsmittelgegner) sind türkische Staatsangehörige, die in den Niederlanden mehrere Jahre gearbeitet und gewohnt haben. Wegen Invalidität wurden sie arbeitsunfähig, weshalb ihnen sowohl eine Invaliditätsleistung ( 8 ) als auch eine beitragsunabhängige Zusatzleistung auf der Grundlage der TW bewilligt wurde. Die betreffende Zusatzleistung soll sicherstellen, dass das Niveau der Leistung wegen Arbeitsunfähigkeit das Einkommen von Empfängern so weit wie möglich dem Mindestlohn annähert. Die Rechtsmittelgegner kehrten alle vor dem Jahr 2000 in die Türkei zurück, obwohl sie in der Zwischenzeit – zusätzlich zu ihrer türkischen Staatsangehörigkeit – die niederländische Staatsangehörigkeit erworben und infolgedessen ein Aufenthaltsrecht in den Niederlanden erhalten hatten.

    20.

    Als das Uwv die Zusatzleistung auf der Grundlage der Wet BEU abbaute, legten die Rechtsmittelgegner gegen die zu diesem Zweck erlassenen Entscheidungen Rechtsmittel ein. Auf mehrere Gerichtsentscheidungen hin setzte das Uwv die Bewilligung der Zusatzleistung einige Jahre lang fort, baute sie aber schließlich entsprechend den jeweiligen Umständen von 2004 bzw. von 2007 an ab.

    21.

    Da der Centrale Raad van Beroep Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einstellung der Zusatzleistung hatte, beschloss er, das Verfahren auszusetzen und die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    Ist Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 unter Berücksichtigung von Art. 59 des Zusatzprotokolls dahin auszulegen, dass er einer gesetzlichen Regelung eines Mitgliedstaats wie Art. 4a TW entgegensteht, die die aufgrund des nationalen Rechts gewährte Zusatzleistung nicht mehr gewährt, wenn die Empfänger dieser Leistung nicht mehr im Hoheitsgebiet dieses Staates wohnen, auch wenn diese Empfänger unter Beibehaltung der türkischen Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erworben haben?

    2.

    Falls der Gerichtshof bei der Beantwortung der ersten Frage zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die betroffenen Personen auf Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 berufen können, diese Berufung jedoch durch die Wirkung von Art. 59 des Zusatzprotokolls beschränkt wird: Ist dann Art. 59 des Zusatzprotokolls dahin auszulegen, dass er der Fortzahlung der Zusatzleistung an türkische Staatsangehörige als Betroffene von dem Zeitpunkt an entgegensteht, zu dem Unionsbürger aufgrund des Unionsrechts keinen Anspruch mehr auf diese Leistung erheben können, auch wenn Unionsbürger die betreffende Leistung aufgrund des nationalen Rechts längere Zeit erhielten?

    22.

    Schriftliche Erklärungen in dem vorliegenden Verfahren sind vom Uwv, Herrn Demirci und Herrn Keskin, von der niederländischen Regierung sowie von der Kommission eingereicht worden. In der mündlichen Verhandlung vom 14. Mai 2014 haben diese Parteien und Herr Cetin mündliche Ausführungen gemacht.

    III – Analyse

    A – Vorbemerkungen

    23.

    Das Geflecht von Problemen in den beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtssachen (da aber nur ein Ersuchen gestellt wurde, im Folgenden: die vorliegende Rechtssache) ähnelt weitgehend der komplizierten Situation, die zu dem Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Akdas u. a. ( 9 ) führte. Im Wesentlichen geht es sowohl in der Rechtssache Akdas als auch in der vorliegenden Rechtssache um Exportierbarkeit einer beitragsunabhängigen Geldleistung (einer besonderen Zusatzleistung) nach der TW aus den Niederlanden unter Umständen, in denen diese Leistung von Unionsangehörigen nicht mehr in andere Mitgliedstaaten exportiert werden kann.

    24.

    Gleichwohl besteht zwischen den beiden Fällen ein wesentlicher Unterschied. In der Rechtssache Akdas hatten die betroffenen früheren türkischen Arbeitnehmer die türkische Staatsangehörigkeit. In der vorliegenden Rechtssache erhielten die Rechtsmittelgegner zusätzlich zu der türkischen Staatsangehörigkeit jene des Aufnahmemitgliedstaats. Wie dieser Fall zeigt, führt eine mehrfache Staatsangehörigkeit zu unvorhergesehenen Auslegungsschwierigkeiten in Hinblick auf Art. 6 des Beschlusses Nr. 3/80.

    25.

    Bevor diese Schwierigkeiten näher untersucht werden, ist es zweckdienlich, daran zu erinnern, dass die Verordnung Nr. 1408/71 für „besondere beitragsunabhängige Leistungen“ eine besondere Regelung eingeführt hat, die seit 1992 wirksam ist. Obwohl solche Leistungen in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen, können Mitgliedstaaten gemäß ihrem Art. 10a (jetzt Art. 70 der Verordnung [EG] Nr. 883/2004) ( 10 ) diese Leistungen ansässigen Personen vorbehalten. Das gilt, solange die betreffenden Leistungen in der Liste des Anhangs IIa der Verordnung Nr. 1408/71 (jetzt Anhang X der Verordnung Nr. 883/2004) aufgeführt sind. Die TW-Leistung ist in diesem Anhang enthalten.

    26.

    Vor diesem Hintergrund stellte der Gerichtshof in der Rechtssache Akdas fest, dass ungeachtet des Umstands, dass Unionsangehörige, die sich von einem Mitgliedstaat in einen anderen begeben, nicht berechtigt sind, die auf der Grundlage der TW gewährten Zusatzleistungen zu exportieren, diese Beschränkung nicht für türkische Arbeitnehmer gilt. Wichtig ist die Feststellung, dass in dem Umstand, wonach türkische Staatsangehörige die betreffende Zusatzleistung exportieren können, kein Verstoß gegen Art. 59 des Zusatzprotokolls, wonach türkische Staatsangehörige im Vergleich zu Unionsangehörigen nicht günstiger behandelt werden dürfen, gesehen wurde ( 11 ).

    27.

    Im Licht des Urteils in der Rechtssache Akdas stellt sich nun die Frage, welche Auswirkungen die Einbürgerung der Rechtsmittelgegner für die Entscheidung der vorliegenden Rechtssache hat. Wie sich aus den voneinander abweichenden Ansichten der Parteien ergibt, die Stellungnahmen eingereicht haben, liegt die Antwort auf diese Frage keineswegs auf der Hand. Wie ich noch zu zeigen versuchen werde, bin ich jedoch der Ansicht, dass sich die Situation der Rechtsmittelgegner von jener der türkischen Arbeitnehmer in der Rechtssache Akdas wesentlich unterscheidet. Schließlich sind sie – als niederländische Staatsangehörige – Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union.

    B – Die Auswirkung des Besitzes der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union

    28.

    Für Wanderarbeitnehmer, wie etwa türkische Staatsangehörige, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union arbeiten, stellt der Erwerb der Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats zweifellos einen bedeutenden Schritt auf dem Weg zur vollständigen Integration dar ( 12 ). Aus den nachfolgend dargestellten Gründen bin ich der Ansicht, dass der Beschluss Nr. 3/80 nicht mehr anzuwenden ist, wenn ein türkischer Arbeitnehmer die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erworben hat. Dieser Arbeitnehmer ist ein Unionsangehöriger eigenen Rechts. Folglich kann er sich nicht mehr nach Belieben die geltenden Regelungen aussuchen, die in einer bestimmten Situation am besten seinen Interessen zu entsprechen scheinen.

    29.

    Nach meinem Verständnis können türkische Staatsangehörige, die nach dem Recht der Assoziierung zwischen der EWG und der Türkei in einen Mitgliedstaat gekommen sind, sobald sie in dem Aufnahmemitgliedstaat eingebürgert worden sind, ihre Sozialversicherungsrechte nicht mehr aus dem Beschluss Nr. 3/80 ableiten. Als – vollwertige – Unionsangehörige leiten sie ihre Rechte aus dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats und gegebenenfalls aus Unionsrecht ab. Andernfalls würden zwei Systeme zur Regelung von Invaliditätsleistungen gleichzeitig zur Anwendung kommen.

    30.

    Zum Beispiel hat der Beschluss Nr. 1/80 ( 13 ) – eine Maßnahme zur Revitalisierung und Entwicklung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Republik Türkei und der Europäischen Union ( 14 ) – zum Ziel, die den Arbeitnehmern und deren Familienangehörigen gewährte soziale Behandlung nach dem Recht der Assoziierung zwischen der EWG und der Türkei zu verbessern ( 15 ). In dieser Hinsicht ist es allein ihre Eigenschaft als Arbeitnehmer oder als Mitglieder einer Arbeitnehmerfamilie, die dazu führt, dass türkische Staatsangehörige von dem Assoziationsabkommen erfasst werden und damit ihren Rechtsstatus vom Beschluss Nr. 1/80 ableiten ( 16 ). Das ist nicht die unionsrechtliche Position von Arbeitnehmern (oder einer anderen in diesem Zusammenhang relevanten Gruppe von Personen) mit der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats, die ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben. Sie leiten ihre Rechte schlicht deshalb von Unionsrecht ab, weil sie die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union besitzen ( 17 ).

    31.

    Deutlich wird das in der Rechtssache Kahveci ( 18 ), auf die sich die Rechtsmittelgegner ebenfalls stützen. In dieser Rechtssache ging es um die richtige Auslegung von Art. 7 ( 19 ) des Beschlusses Nr. 1/80. Die Streitfrage war, ob Familienangehörige von türkischen Arbeitnehmern, die, wie die Rechtsmittelgegner, sowohl die niederländische als auch die türkische Staatsangehörigkeit besaßen, diese Vorschrift auch dann noch geltend machen können, wenn diese Arbeitnehmer die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erworben haben.

    32.

    Ich stimme uneingeschränkt der Analyse durch Generalanwältin Sharpston in dieser Rechtssache zu. Hinsichtlich der betroffenen Arbeitnehmer steht es den Behörden eines Mitgliedstaats frei, einen Arbeitnehmer mit doppelter Staatsangehörigkeit so zu behandeln, als habe er nur die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats ( 20 ). Jedoch können sie im Verkehr mit Familienangehörigen, die nicht Unionsangehörige sind, nicht die türkische Staatsangehörigkeit der Person unbeachtet lassen. Der Grund dafür ist, dass aus der Sicht des Verhältnisses der Behörden zu dem betroffenen Familienangehörigen der Arbeitnehmer, der mehrere Staatsangehörigkeiten besitzt, nach wie vor eine Person mit türkischer Staatsangehörigkeit ist, die in den Niederlanden dem regulären Arbeitsmarkt angehört. Auch wenn der Arbeitnehmer seine Rechte von dem Status als Staatsangehöriger des betreffenden Mitgliedstaats ableiten wird, bleibt er doch ein „türkischer Arbeitnehmer“ im Sinne von Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80. Mit anderen Worten: Vorausgesetzt, dass sie in die Niederlande legal eingereist sind, können die Familienangehörigen aus Art. 7 Rechte ableiten, auch wenn der, von dem diese Rechte ausgehen, dies selbst nicht mehr kann, weil die niederländischen Behörden ihm gegenüber verpflichtet sind, die eine Hälfte seines Staatsangehörigkeitsstatus unbeachtet zu lassen ( 21 ).

    33.

    In diesem Zusammenhang sollte darauf hingewiesen werden, dass dann, wenn man einer bestimmten Gruppe von Unionsangehörigen (d. h. jenen, die sowohl die türkische Staatsangehörigkeit als auch die eines Mitgliedstaats besitzen) als Folge der Nicht-Unionsangehörigkeit eine Vorzugsbehandlung gewährte, dies in der Praxis dazu führen würde, dass man zwischen verschiedenen Gruppen von Unionsangehörigen unterscheiden würde. Den einen Unionsangehörigen die Exportierbarkeit (innerhalb der Europäischen Union) zuzugestehen, den anderen aber nicht, verstieße demnach eindeutig gegen den allgemeinen Nichtdiskriminierungsgrundsatz.

    34.

    Anders ausgedrückt, wenn türkische Arbeitnehmer, wie es die Rechtsmittelgegner sind, die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erwerben, so sind sie schlicht und einfach keine „türkischen Arbeitnehmer“ im Sinne des Beschlusses Nr. 3/80 (oder allgemeiner: gemäß dem Assoziationsrecht) mehr. Von diesem Zeitpunkt an leiten sie ihre Ansprüche auf Sozialversicherungsleistungen nicht mehr vom Assoziationsrecht ab, sondern vielmehr vom nationalen Recht und gegebenenfalls vom Unionsrecht.

    35.

    Deshalb vertrete ich die Auffassung, dass der Beschluss Nr. 3/80 im Fall der beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtssachen nicht anzuwenden ist, in dem die betroffenen Arbeitnehmer unter gleichzeitiger Beibehaltung der türkischen Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erworben haben.

    36.

    Jedoch suchen das vorlegende Gericht und die Parteien, die Erklärungen eingereicht haben, die Lösung der Auslegungsprobleme des vorliegenden Falles überwiegend aus einem anderen Blickwinkel, nämlich aus der Sicht des Art. 6 des Beschlusses Nr. 3/80 (und des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache Akdas). Der Vollständigkeit halber werde ich nun zeigen – wenn auch auf die Gefahr, die Darstellung unnötig zu verzerren –, dass selbst auf der Grundlage von Art. 6 des Beschlusses Nr. 3/80 in Verbindung mit Art. 59 des Zusatzprotokolls dieser Fall von jenem in der Rechtssache Akdas zu unterscheiden ist.

    C – Argumentation auf der Grundlage der Rechtssache Akdas

    1. Rechtssache Akdas und Art. 6 des Beschlusses Nr. 3/80

    37.

    In der Rechtssache Akdas bestätigte der Gerichtshof, dass Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 für Personen, die in den persönlichen Anwendungsbereich des Beschlusses fallen, unmittelbare Wirkung entfaltet ( 22 ). Art. 2 des Beschlusses Nr. 3/80 erfasst unter anderem Arbeitnehmer, für die die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats galten und die türkische Staatsangehörige sind. Wenn man annimmt, das der Beschluss Nr. 3/80 noch anwendbar ist, dann erfüllen die Rechtsmittelgegner (wie die betroffenen Personen in der Rechtssache Akdas) dieses Kriterium: Sie sind türkische Staatsangehörige, für die die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, nämlich die der Niederlande, galten. Folglich sollten jene früheren türkischen Arbeitnehmer sich – grundsätzlich – auf Art. 6 des Beschlusses Nr. 3/80 berufen dürfen, um sicherzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Zusatzleistung in der Türkei weiter gezahlt wird.

    38.

    Nach dem Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Akdas ist ebenfalls klar, dass eine zusätzliche beitragsunabhängige Geldleistung wie diejenige im vorliegenden Fall in den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 fällt ( 23 ). Was speziell die Exportierbarkeit der in Frage stehenden Leistung betrifft, bejahte der Gerichtshof, dass frühere türkische Arbeitnehmer, die in die Türkei zurückgekehrt sind, weiterhin berechtigt sind, gemäß Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 eine Sozialleistung wie diese Zusatzleistung zu erhalten (obwohl Unionsangehörigen kein entsprechendes Recht zusteht) ( 24 ). Der Gerichtshof kam aufgrund der nachfolgenden Überlegungen zu diesem Ergebnis.

    39.

    Erstens sieht Art. 39 Abs. 4 des Zusatzprotokolls ausdrücklich die Exportierbarkeit bestimmter Sozialleistungen vor, einschließlich von Alters‑ und Invaliditätsrenten, die von türkischen Arbeitnehmern nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erworben wurden. Zweitens erfasst Art. 2 des Beschlusses Nr. 3/80, wie oben erwähnt, ohne weitere Spezifizierung türkische Arbeitnehmer, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten „galten“. Türkische Arbeitnehmer fallen einfach deshalb in den Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 3/80, weil für sie die Rechtsvorschriften zumindest eines Mitgliedstaats galten ( 25 ).

    40.

    Würde man drittens – und vielleicht noch grundsätzlicher – im Zusammenhang mit dem Beschluss Nr. 3/80 das gegenwärtig nach der Verordnung Nr. 1408/71 geltende System der besonderen beitragsunabhängigen Leistungen anwenden, käme dies einer Änderung dieses Beschlusses gleich. Die Befugnis zu einer derartigen Änderung ist aber dem Assoziationsrat vorbehalten.

    41.

    Von besonderem Interesse im vorliegenden Fall ist jedoch der Status von türkischen Staatsangehörigen, nachdem sie ihre Arbeit im Aufnahmemitgliedstaat beendet haben. Auf der Grundlage der seit dem Urteil in der Rechtssache Bozkurt ( 26 ) geltenden Rechtsprechung stellte der Gerichtshof fest, dass ein türkischer Staatsangehöriger, der – im Sinne von Art. 6 ( 27 ) des Beschlusses Nr. 1/80 – dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört hat, nicht ohne Weiteres berechtigt ist, im Hoheitsgebiet dieses Staates zu verbleiben, nachdem er Opfer eines Arbeitsunfalls geworden ist. Das gilt insbesondere dann, wenn er aufgrund dieses Unfalls auf Dauer arbeitsunfähig und daher mit Bestimmtheit vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist ( 28 ).

    42.

    Da man nicht mehr annehmen konnte, dass die betroffenen Personen in der Rechtssache Akdas auf irgendeine sinnvolle Weise weiter zum Arbeitsmarkt gehörten, waren sie – auf der Grundlage des Beschlusses Nr. 1/80 – nicht berechtigt, auf dem Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats zu bleiben ( 29 ). Daher konnte im Sinne von Art. 59 des Zusatzprotokolls die Situation dieser Personen vernünftigerweise nicht mit jener von Unionsangehörigen verglichen werden. Das liegt im Wesentlichen daran, dass Unionsangehörige – als Folge des Besitzes der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union – berechtigt sind, sich auf das Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten zu begeben und sich dort (vorbehaltlich bestimmter Regelungen) aufzuhalten. Daher behalten Unionsangehörige auch ihr Aufenthaltsrecht in dem Mitgliedstaat, der die betreffende Leistung gewährte. Mit anderen Worten können sie sich dafür entscheiden, das Hoheitsgebiet dieses Staates zu verlassen und damit die Leistung zu verlieren. Jedoch behalten sie andererseits das Recht, in den betreffenden Mitgliedstaat zurückzukehren.

    2. Rechtssache Akdas und Art. 59 des Zusatzprotokolls

    43.

    Die Erwägungen des Gerichtshofs in der Rechtssache Akdas machen deutlich, dass Art. 59 des Zusatzprotokolls als eine Art „letztes Mittel“ anzusehen ist, wenn es darum geht, sicherzustellen, dass durch die Auslegung der Bestimmungen des Rechts der Assoziierung zwischen der EWG und der Türkei Unionsbürger nicht ohne sachlichen Grund weniger günstig behandelt werden als türkische Staatsangehörige. Art. 59 stellt jedoch keine übergeordnete Nichtdiskriminierungsklausel dar, die von Unionsangehörigen immer dann geltend gemacht werden kann, wenn türkischen Staatsangehörigen Rechte nach dem Recht der Assoziierung zwischen der EWG und der Türkei gewährt werden, die Unionsangehörigen nicht zustehen ( 30 ).

    44.

    Dieser Punkt kommt im Urteil in der Rechtssache Derin ( 31 ) klar zum Vorschein. Der Gerichtshof stellte darin fest, dass Art. 59 des Zusatzprotokolls eine Auslegung von Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 nicht ausschließt, wonach ein Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers, der nach dem Erreichen der Volljährigkeit ein von dem Arbeitnehmer unabhängiges Leben führte, sein Aufenthaltsrecht in dem Aufnahmemitgliedstaat behält. Dem stand auch nicht entgegen, dass Unionsangehörige kein entsprechendes Recht nach den Regelungen des Unionsrechts hatten.

    45.

    Dieser Auslegung lag die Erwägung zugrunde, dass der Rechtsstatus von türkischen Staatsangehörigen (nach Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80) mit jenem von Unionsangehörigen (gemäß dem von der Verordnung [EWG] Nr. 1612/68 ( 32 ) geschaffenen System) nicht vergleichbar war. Die Rechte aus dem Assoziationsrecht blieben in mehrfacher Hinsicht hinter den Rechten zurück, die sich aus dem Unionsrecht für Unionsangehörige ergeben ( 33 ). Folgerichtig wurde Art. 59 des Zusatzprotokolls nicht als eine Vorschrift betrachtet, die der Gewährung eines Rechts an türkische Staatsangehörige entgegensteht, das in einem derartigen Zusammenhang Unionsangehörigen nicht zusteht. Dieses Urteil deutet daraufhin, dass es entscheidend auf den Rechtsstatus von türkischen Staatsangehörigen und Unionsangehörigen insgesamt ankommt. Mit anderen Worten verlangt Art. 59 lediglich, dass die Rechtsposition von Unionsangehörigen – als Ganzes – im Hinblick auf eine bestimmte Kategorie von Rechten nicht weniger günstig sein darf als jene von türkischen Staatsangehörigen ( 34 ).

    46.

    Ähnlich den Umständen in der Rechtssache Derin ist die Regelung zur Koordinierung der Sozialversicherungssysteme, die durch den Beschluss Nr. 3/80 geschaffen wurde und in der Rechtssache Akdas Streitgegenstand war, nicht vollständig an der Verordnung Nr. 1408/71 (jetzt Verordnung Nr. 883/2004) ausgerichtet. Auch wenn der Beschluss die Exportierbarkeit bestimmter Leistungen sicherstellen mag, kann zu Recht davon ausgegangen werden, dass er im Vergleich zu dem Schutz, der sich aus der Unionsbürgerschaft als Ganzes ergibt, einen weniger umfangreichen Schutz vorsieht ( 35 ).

    47.

    Umgekehrt, aus der Sicht türkischer Staatsangehöriger in Fällen, in denen davon ausgegangen wird, dass sich türkische Staatsangehörige in einer Lage befinden, die mit der von Unionsangehörigen vergleichbar ist, kann die Anwendung von Art. 59 des Zusatzprotokolls zu einer Situation führen, in der die Rechte, die die türkischen Staatsangehörigen andernfalls aus dem Recht der Assoziierung zwischen der EWG und der Türkei abgeleitet hätten, nicht anzuwenden sind ( 36 ).

    48.

    Unterscheidet sich die Rechtsposition der Rechtsmittelgegner in hinreichendem Maß von jener der türkischen Arbeitnehmer in der Rechtssache Akdas? Wie bereits erläutert, bin ich der Meinung, dass das der Fall ist. Auch auf die Gefahr, mich zu wiederholen, werde ich jedoch diese Unterschiede im Licht der Rechtssache Akdas kurz darstellen.

    3. Die Rechtssache Akdas und der vorliegende Fall

    49.

    In der Rechtssache Akdas wurden die betroffenen ehemaligen türkischen Arbeitnehmer in den Niederlanden arbeitsunfähig. Infolgedessen gehörten sie nicht mehr in einer Weise zum Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats, aus der sich für sie ein Verbleiberecht ergeben hätte. Es liegt für mich auf der Hand, dass – wie das vorlegende Gericht ausführt – die Situation dieser türkischen Staatsangehörigen vernünftigerweise nicht mit jener von Unionsangehörigen verglichen werden kann, da Letztere das Recht auf Freizügigkeit und freien Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten haben: Anders als türkische Arbeitnehmer genießen Unionsangehörige die Freiheit, nicht nur einen Mitgliedstaat zu verlassen, sondern auch in diesen zurückzukehren. Was vielleicht am wichtigsten ist: Die Staatsangehörigen eines bestimmten Mitgliedstaats können sich immer auch dafür entscheiden, diesen Staat gar nicht erst zu verlassen.

    50.

    Im vorliegenden Fall haben die Rechtsmittelgegner das Recht auf Aufenthalt in den Niederlanden gerade deshalb, weil sie die Staatsangehörigkeit dieses Staates erworben haben: Sie wurden nicht gezwungen, den Mitgliedstaat ihrer anderen Staatsangehörigkeit zu verlassen, und können jederzeit dorthin zurückkehren, wenn sie dies wünschen. Wenn sie dies tun, werden sie auch die Zusatzleistung bekommen. Deshalb stimme ich – nach dieser zweiten Argumentation – insbesondere mit der Kommission und der niederländischen Regierung darin überein, dass die Rechtsmittelgegner im Vergleich zu den betroffenen Personen in der Rechtssache Akdas eine völlig andere Rechtsposition innehaben. Hinsichtlich ihres Aufenthaltsrechts sind die Rechtsmittelgegner in der Tat mit jedem anderen Unionsangehörigen gleichberechtigt. Sie sind tatsächlich Unionsangehörige.

    51.

    Allein schon vor diesem Hintergrund erscheint die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass im Fall der Rechtsmittelgegner Art. 59 des Zusatzprotokolls einer Auslegung von Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 entgegensteht, die es ihnen erlaubte, die fragliche Zusatzleistung über die Grenzen des Mitgliedstaats zu exportieren, in dem sich die zuständige Zahlstelle befindet. Ich werde jedoch angesichts des Umstands, dass sich die Rechtsmittelgegner in ihrem Vorbringen auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Kahveci stützen, noch einmal kurz auf dieses Urteil eingehen. Die Rechtsmittelgegner leiten aus diesem Urteil im Wesentlichen ab, dass eine mehrfache Staatsbürgerschaft allein nicht zum Verlust von Rechten führen kann, die andernfalls aus dem Recht der Assoziierung zwischen der EWG und der Türkei abgeleitet werden.

    52.

    Ich bin nicht überzeugt, dass die Feststellungen des Gerichtshofs in der Rechtssache Kahveci unmittelbar auf die vorliegende Rechtssache übertragen werden können oder dass dieses Urteil hilfreiche Hinweise für den vorliegenden Fall enthält. Wie bereits erläutert, ging es in der Rechtssache Kahveci um die richtige Auslegung von Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 im Hinblick auf die Rechte von Familienangehörigen türkischer Arbeitnehmer. In diesem Zusammenhang stellte der Gerichtshof fest, dass es Hauptzweck von Art. 7 ist, die Integration der türkischen Arbeitnehmer und der Angehörigen ihrer Familien in dem Aufnahmemitgliedstaat zu fördern ( 37 ).

    53.

    Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 verfolgt ein zweifaches Ziel. Einerseits soll er es Familienangehörigen ermöglichen, bei einem Wanderarbeitnehmer zu leben. Er zielt darauf ab, durch Familienzusammenführung die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der sich bereits ordnungsgemäß in den Aufnahmemitgliedstaat integriert hat, zu konsolidieren ( 38 ). Andererseits – und das ist meines Erachtens am wichtigsten – will diese Vorschrift die Eingliederung der Familie des türkischen Wanderarbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat fördern. Das Erreichen dieses Ziels wird dadurch sichergestellt, dass es dem betroffenen Familienangehörigen ermöglicht wird, Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewinnen. Auf diese Weise zielt die Bestimmung schrittweise darauf ab, die Stellung des Familienangehörigen in dem Aufnahmemitgliedstaat zu stärken, so dass er sich schließlich eine gegenüber der Stellung des Wanderarbeitnehmers selbständige Stellung aufbauen kann ( 39 ).

    54.

    Dagegen ist Art. 6 des Beschlusses Nr. 3/80 nicht dazu bestimmt, die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat zu fördern. Er stellt – unter anderem – sicher, dass ehemalige türkische Arbeitnehmer, die in die Türkei zurückgekehrt sind oder sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben haben als jenen, in dem sich die zuständige Zahlstelle befindet, ihre Ansprüche auf bestimmte Arten von Leistungen behalten (trotz gegebenenfalls vom Aufnahmemitgliedstaat eingeführter Wohnortklauseln), wie sie Streitgegenstand vor dem vorlegenden Gericht sind. Er ist darauf gerichtet, die Heimkehr des ehemaligen türkischen Arbeitnehmers unter anderem in die Türkei zu erleichtern, falls er sich dafür entscheiden sollte.

    55.

    In diesem Sinne kann das Verbot der Wohnortklauseln gemäß Art. 6 des Beschlusses Nr. 3/80 als ein „kompensatorisches“ Ziel beschrieben werden. Dieses Verbot stellt sicher, dass ehemalige türkische Arbeitnehmer, die Opfer eines Arbeitsunfalls geworden sind oder an Berufskrankheiten gelitten haben, für die im Aufnahmemitgliedstaat erlittenen Unglücksfälle angemessen entschädigt werden. Das erscheint angesichts der Tatsache, dass dieser Staat von der Leistung dieser Arbeitnehmer profitiert hat, angemessen.

    56.

    Auf den ersten Blick mag der von mir vorgeschlagene Weg unter Berücksichtigung dieses Ziels vielleicht unangemessen erscheinen. Die logische Schlussfolgerung dieses Lösungsansatzes ist in der Tat, dass ehemalige türkische Arbeitnehmer, die die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erworben haben, die Rechte verlieren könnten, die ihnen andernfalls gemäß Art. 6 des Beschlusses Nr. 3/80 zustünden. Dazu kommt es, wenn diese Bestimmung im Licht von Art. 59 des Zusatzprotokolls gelesen wird.

    57.

    Jedoch wird bei diesem Einwand ein wichtiger Punkt übersehen. Um noch einmal darauf hinzuweisen: Das Assoziationsrecht bietet türkischen Arbeitnehmern – allgemein gesprochen zumindest – einen weniger umfangreichen Schutz, als ihn das Unionsrecht Unionsangehörigen gewährt. Während ein Verlust des Rechts, bestimmte Leistungen zu exportieren, sicherlich als nachteilig erscheinen mag, gewährt die Einbürgerung in dem Aufnahmemitgliedstaat andere Rechte, die Arbeitnehmern nicht zur Verfügung stehen, die nur die türkische Staatsangehörigkeit haben. In dieser Hinsicht sind die Sozialversicherungsrechte eingebürgerter ehemaliger türkischer Arbeitnehmer in der Rechtsposition der Rechtsmittelgegner uneingeschränkt mit jenen (anderer) Unionsangehöriger (und im vorliegenden Fall mit jenen anderer niederländischer Staatsangehöriger) vergleichbar. Anders ist es im Fall ehemaliger türkischer Arbeitnehmer, die nicht die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erhalten haben (wie es in der Rechtssache Akdas der Fall war).

    58.

    Darüber hinaus kann die Exportierbarkeit der Zusatzleistung, worauf einige der Parteien, die Erklärungen eingereicht haben, hingewiesen haben, zurückgewonnen werden, indem die niederländische Staatsangehörigkeit aufgegeben wird. Ich gebe zu, dass diese Lösung problematisch erscheinen mag, wenn man sie an dem Ziel der Sicherstellung der Integration türkischer Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat misst. Diese Arbeitnehmer könnten davon abgehalten werden, die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats anzunehmen. Ich bin jedoch nicht überzeugt, dass das Risiko eines Verlusts einer Zusatzleistung wie der, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht, in der Praxis diese angeblich abschreckende Wirkung hätte. Der Grund dafür ist, dass, wie bereits ausgeführt, die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats andere Rechte (einschließlich des Rechts der Freizügigkeit) gewährt, die sich aus der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union ableiten.

    59.

    Infolgedessen wäre das Ergebnis im Wesentlichen dasselbe, auch wenn man dem Ansatz folgen sollte, den das vorlegende Gericht für die Auslegung wählt. Deshalb bin ich der Ansicht, dass Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 unter Berücksichtigung von Art. 59 des Zusatzprotokolls nicht dahin ausgelegt werden kann, dass er einer gesetzlichen Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die aufgrund des nationalen Rechts gewährte Zusatzleistung nicht mehr gewährt, wenn die Empfänger dieser Leistung nicht mehr im Hoheitsgebiet dieses Staates wohnen und unter Beibehaltung der türkischen Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erworben haben.

    60.

    Angesichts der vorstehenden Erwägungen stellt sich die Frage, von welchem Zeitpunkt an die Zahlung der Zusatzleistung eingestellt werden kann. Dieser Punkt wird im Folgenden behandelt.

    D – Der angemessene Zeitpunkt für die Einstellung der Zahlung der Zusatzleistung

    61.

    Wie die erste Vorlagefrage ist die zweite in Begriffen des Art. 59 des Zusatzprotokolls formuliert. Im Einzelnen will das vorlegende Gericht wissen, ob diese Vorschrift der Fortzahlung der Zusatzleistung an die Rechtsmittelgegner entgegensteht, wenn Unionsangehörige unter denselben Umständen (die in ihr Herkunftsland zurückgekehrt sind) aufgrund des Unionsrechts keinen Anspruch mehr auf diese Leistung erheben können.

    62.

    Wie sich sowohl aus den schriftlichen Erklärungen als auch aus den mündlichen Stellungnahmen ergibt, herrscht eine erhebliche Verwirrung darüber, welche Vergleichsperson in diesem Zusammenhang die richtige ist. Einer der Punkte, auf die diesbezüglich besonders hingewiesen wurde, ist der Umstand, dass Unionsangehörige – die zu dem Zeitpunkt, als das Wohnsitzkriterium eingeführt wurde, in anderen Mitgliedstaaten wohnten – gleichwohl diese Leistung während eines Übergangszeitraums aufgrund des nationalen Rechts behielten ( 40 ).

    63.

    Aber wie dem auch sei, möchte ich klarstellen, dass es im vorliegenden Fall in Wirklichkeit um niederländische Staatsangehörige geht, die sich von den Niederlanden in ein Drittland begeben haben und die Zusatzleistung von diesem Mitgliedstaat in ein Gebiet jenseits der Grenzen der Europäischen Union exportieren wollen (oder dies tatsächlich auch getan haben). Ich bin deshalb fest davon überzeugt, dass die geeignete Vergleichsperson nicht ein Unionsangehöriger (z. B. ein Deutscher) ist, der, nachdem er in den Niederlanden gearbeitet hat, in sein Herkunftsland zurückkehrt. Vielmehr müssen die Rechtsmittelgegner mit irgendeinem anderen niederländischen Staatsangehörigen verglichen werden, der die Zusatzleistung in ein Drittland (sei es die Türkei oder irgendein anderes Land) exportieren will.

    64.

    Unter diesen Umständen bin ich der Auffassung, dass die Bestimmung des angemessenen Zeitpunkts der Einstellung der Zahlung allein eine Angelegenheit des nationalen Rechts ist und dass die Antwort auf diese Frage nicht durch Auslegung von Art. 59 des Zusatzprotokolls gefunden werden kann ( 41 ). Mit anderen Worten scheint es angesichts des Umstands, dass wir es mit niederländischen Staatsangehörigen zu tun haben, die die Zusatzleistung in ein Drittland exportieren, keinen offensichtlichen Zusammenhang zum Unionsrecht zu geben. Die Rechtsmittelgegner haben nicht ihr Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union ausgeübt ( 42 ).

    65.

    Infolgedessen bin ich nicht der Ansicht, dass Art. 59 des Zusatzprotokolls unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache ein geeigneter Maßstab für die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung der Zahlung der fraglichen Zusatzleistung ist. Es handelt sich dabei um eine Frage des nationalen Rechts, über die das nationale Gericht zu befinden hat.

    IV – Ergebnis

    66.

    Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Centrale Raad van Beroep zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

    1.

    Der Beschluss Nr. 3/80 vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige ist unter den Umständen der beim vorliegenden Gericht anhängigen Rechtssachen, in denen die betroffenen Personen unter gleichzeitiger Beibehaltung der türkischen Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erhalten haben, nicht anzuwenden.

    2.

    Unter diesen Umständen ist die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung der Zahlung der Zusatzleistung eine Frage des nationalen Rechts, über die deshalb das nationale Gericht zu befinden hat.


    ( 1 ) Originalsprache: Englisch.

    ( 2 ) Beschluss vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige (ABl. 1983, C 110, S. 60).

    ( 3 ) Toeslagenwet vom 6. November 1986 (Gesetz über Zusatzleistungen; im Folgenden: TW).

    ( 4 ) Dieses Abkommen wurde durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1973, C 113, S. 1) durch den Rat der Europäischen Gemeinschaft im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt.

    ( 5 ) Das Zusatzprotokoll wurde am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichnet und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl. 1977, L 361, S. 60) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt.

    ( 6 ) Verordnung des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2) in der maßgeblichen Fassung.

    ( 7 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (ABl. L 117, S. 1).

    ( 8 ) Die Bewilligung erfolgte auf der Grundlage der Wet op de arbeidsongeschiktheidsverzekering (Gesetz über die Versicherung gegen Arbeitsunfähigkeit).

    ( 9 ) C‑485/07, EU:C:2011:346 (im Folgenden: Rechtssache Akdas).

    ( 10 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1).

    ( 11 ) Urteil Akdas u. a. (EU:C:2011:346, Rn. 88 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 12 ) Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Kahveci (C‑7/10 und C‑9/10, EU:C:2011:673, Nr. 61 bis 63) zum Begriff der Integration in den Aufnahmemitgliedstaaten und den mit diesem Prozess verbundenen Schwierigkeiten.

    ( 13 ) Beschluss des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation.

    ( 14 ) Dieses Ziel wird im ersten Erwägungsgrund der Präambel dieses Beschlusses zum Ausdruck gebracht.

    ( 15 ) Vgl. in dieser Hinsicht den dritten Erwägungsgrund der Präambel dieses Beschlusses.

    ( 16 ) Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Ziebell (C‑371/08, EU:C:2011:244, Nr. 49).

    ( 17 ) Vgl. entsprechend Urteil Micheletti u. a. (C‑369/90, EU:C:1992:295). In dieser Rechtssache stellte der Gerichtshof fest, dass die spanischen Behörden verpflichtet sind, eine Person mit doppelter, nämlich argentinischer und italienischer, Staatsangehörigkeit als einen Unionsbürger zu behandeln. Nach meiner Ansicht lässt sich aus dem Urteil ableiten, dass die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats jene eigenen Staatsangehörigen, die, wie in der vorliegenden Rechtssache, eine mehrfache Staatsangehörigkeit besitzen, als Staatsangehörige dieses Staates behandeln müssen.

    ( 18 ) Urteil Kahveci (C-7/10 und C-9/10, EU:C:2012:180).

    ( 19 ) Art. 7 regelt die Rechte von Familienangehörigen türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmemitgliedstaat ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Dort ist unter anderem geregelt, dass diese Familienangehörigen berechtigt sind, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben, und dass sie freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis haben, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.

    ( 20 ) Es ist allgemein bekannt, dass die Mitgliedstaaten die Befugnis haben, die Bedingungen für den Erwerb und den Verlust ihrer Staatsangehörigkeit festzulegen. Dasselbe gilt für den Fall, dass die Mitgliedstaaten ihre Befugnisse im Bereich der Staatsangehörigkeit im Allgemeinen ausüben. Jedoch ist dafür Voraussetzung, dass diese Befugnisse nicht nur in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht, sondern auch mit dem Völkerrecht ausgeübt werden.

    ( 21 ) Schlussanträge von Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Kahveci (EU:C:2011:673, Nr. 74). Dieser Argumentation scheint der Gerichtshof – zumindest implizit – zu folgen (vgl. Rn. 35 des Urteils in dieser Rechtssache). Dem Gerichtshof zufolge „würde“ der Hauptzweck des Beschlusses Nr. 1/80 – die soziale Behandlung der türkischen Arbeitnehmer in dem Aufnahmemitgliedstaat zu verbessern – „vereitelt, wenn der Umstand, die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats zu erhalten, einen türkischen Arbeitnehmer, der weiterhin die türkische Staatsangehörigkeit hat, zwingen würde, auf die günstigen Voraussetzungen für die Familienzusammenführung in dem genannten Aufnahmemitgliedstaat zu verzichten“.

    ( 22 ) EU:C:2011:346, Rn. 74.

    ( 23 ) Urteil Akdas (EU:C:2011:346, Rn. 89 bis 91).

    ( 24 ) Ebd., vgl. insbesondere Rn. 74 und 89 bis 96.

    ( 25 ) Die Situation ist in gewisser Weise für Familienangehörige dieser Arbeitnehmer eine andere. Denn gemäß Art. 2 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 3/80 gilt dieser Beschluss für „die Familienangehörigen dieser Arbeitnehmer, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen“.

    ( 26 ) Urteil Bozkurt (C‑434/93, EU:C:1995:168).

    ( 27 ) Art. 6 regelt die Bedingungen der tatsächlichen Beschäftigung im Aufnahmemitgliedstaat, die zu einer schrittweisen Integration des betroffenen türkischen Arbeitnehmers in dem Aufnahmemitgliedstaat beitragen sollen. Nach dieser Bestimmung hat ein türkischer Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat – nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung – Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt. Nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung in einem bestimmten Mitgliedstaat ist ein derartiger Arbeitnehmer – vorbehaltlich der Erfüllung anderer Bedingungen – berechtigt, sich um ein anderes Stellenangebot zu bewerben. Schließlich – nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – hat er in dem betreffenden Mitgliedstaat freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung.

    ( 28 ) Urteil Bozkurt (EU:C:1995:168, Rn. 42).

    ( 29 ) Urteil Akdas (EU:C:2011:346, Rn. 94). Unter diesen Umständen hatten die Betroffenen den Aufnahmemitgliedstaat nicht aus eigenem Wunsch und ohne berechtigte Gründe verlassen. Tatsächlich kann das Verlassen ohne berechtigte Gründe nach ständiger Rechtsprechung zum Verlust der Rechte führen, die nach dem Recht der Assoziierung zwischen der EWG und der Türkei erworben wurden. Vgl. hierzu Urteil Er (C‑453/07, EU:C:2008:524, Rn. 30). Vgl. auch Urteil Genc (C‑14/09, EU:C:2010:57, Rn. 42).

    ( 30 ) Tatsächlich haben es zwei Kommentatoren auf den Punkt gebracht: „Die zwei Gruppen unterliegen zwei verschiedenen Regelungen mit unterschiedlicher Rechtsgrundlage und unterschiedlichen Gesetzgebern“. Vgl. Eisele, K., und van der Mei, A., „Portability of Social Benefits and Reverse Discrimination of EU Citizens vis-à-vis Turkish Nationals: Comment on Akdas“ (Portabilität von Sozialleistungen und umgekehrte Diskriminierung von Unionsangehörigen gegenüber türkischen Staatsangehörigen: Anmerkung zur Rechtssache Akdas), European Law Review 37 (2012), S. 204 bis 212, 211.

    ( 31 ) Urteil Derin (C‑325/05, EU:C:2007:442).

    ( 32 ) Verordnung des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2).

    ( 33 ) Vgl. insbesondere Urteil Derin (EU:C:2007:442, Rn. 62 bis 67). Vgl. auch die Schlussanträge von Generalanwalt Bot in der Rechtssache Ziebell (EU:C:2011:244) zur Rechtsposition von Unionsangehörigen, die sich von einem Mitgliedstaat in einen anderen begeben.

    ( 34 ) Vgl. Eisele und van der Mei, a. a. O., S. 208.

    ( 35 ) Zwar haben sowohl der Beschluss Nr. 3/80 als auch die Verordnung Nr. 1408/71 zum Ziel, die Koordinierung der Sozialversicherungssysteme in Situationen sicherzustellen, die von der Mobilität der Arbeitnehmer geprägt sind. Während der Beschluss auf die meisten in der Verordnung Nr. 1408/71 erwähnten Leistungen verweist, erfasst er aber, anders als die Verordnung, keine Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Interessant ist auch, dass das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Akdas die Kommission dazu veranlasste, den Beschluss Nr. 3/80 zu ändern und dabei in den neuen Beschluss eine Regelung über die Nichtexportierbarkeit besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen aufzunehmen. Vgl. Vorschlag der Kommission vom 30. März 2012, COM(2012) 153 final, S. 8.

    ( 36 ) Ich werde auf diesen Punkt in den Nrn. 55 ff. zurückkommen. Zur einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs vgl. u. a. Urteil Soysal und Savatli (C‑228/06, EU:C:2009:101) und Beschluss Kommission/Niederlande (C‑92/07, EU:C:2007:402).

    ( 37 ) Vgl. EU:C:2012:180, Rn. 33. Vgl. auch Schlussanträge von Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Kahveci (EU:C:2011:673).

    ( 38 ) Vgl. diesbezüglich Urteil Kahveci (EU:C:2012:180, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 39 ) Vgl. in diesem Sinne ebd., Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung.

    ( 40 ) Wie oben erwähnt wurde die Exportierbarkeit der Zusatzleistung innerhalb der Europäischen Union mit Wirkung vom 5. Mai 2005, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 647/2005, eingeschränkt. Nach diesem Zeitpunkt wurden nationale Übergangsbestimmungen – die einen Zeitraum des schrittweisen Abbaus einführten – im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten angewendet.

    ( 41 ) In dieser Hinsicht ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass die Zahlung der Zusatzleistung an Empfänger, die vor dem Inkrafttreten der neuen Regelung eine solche Leistung bereits erhalten hatten und zu diesem Zeitpunkt außerhalb des Hoheitsgebiets der Niederlande wohnten, vom 1. Januar 2000 an schrittweise abzubauen war.

    ( 42 ) Wäre das der Fall gewesen, hätte ein Recht auf Exportierbarkeit nur bis zum 5. Mai 2005 von Unionsrecht abgeleitet werden können. Von diesem Zeitpunkt an kamen unterschiedliche bilaterale Abkommen zur Anwendung.

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