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Document 62005CC0337

    Schlussanträge des Generalanwalts Mazák vom 10. Juli 2007.
    Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik.
    Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Öffentliche Lieferaufträge -Richtlinien 77/62/EWG und 93/36/EWG - Vergabe öffentlicher Aufträge ohne vorherige Vergabebekanntmachung - Keine Ausschreibung - Hubschrauber der Fabrikate ‚Agusta‘ und ‚Agusta Bell.
    Rechtssache C-337/05.

    Sammlung der Rechtsprechung 2008 I-02173

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2007:421

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    JÁN MAZÁK

    vom 10. Juli 20071(1)

    Rechtssache C‑337/05

    Kommission der Europäischen Gemeinschaften

    gegen

    Italienische Republik

    „Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Öffentliche Lieferaufträge – Richtlinie 93/36/EWG und Richtlinie 77/62/EWG – Vergabe von Aufträgen ohne vorherige Vergabebekanntmachung – Hubschrauber des Fabrikats ‚Agusta‘ und ‚Agusta Bell‘ –Art. 296 EG – Eigens für militärische Zwecke bestimmte Waren“





    1.        Mit der vorliegenden Klage nach Art. 226 EG beantragt die Kommission beim Gerichtshof die Feststellung, dass Italien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Richtlinien über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, nämlich der Richtlinie 93/36/EWG des Rates(2) und früher der Richtlinie 77/62/EWG des Rates(3), der Richtlinie 80/767/EWG des Rates(4) und der Richtlinie 88/295/EWG des Rates(5) verstoßen hat, dass es eine Praxis eingeführt hat, die schon seit langer Zeit besteht und der noch immer gefolgt wird und nach der öffentliche Aufträge für den Erwerb von Hubschraubern direkt, ohne jedes Ausschreibungsverfahren an die Firma „Agusta“ vergeben werden, um den Bedarf verschiedener Ministerien und Abteilungen zu befriedigen.

    2.        Italien bestreitet die gerügte Verletzung und beruft sich in seiner Klagebeantwortung u. a. auf Art. 296 Abs. 1 Buchst. b EG.

    I –    Rechtlicher Rahmen

    A –    Gemeinschaftsrecht

    3.        Die Richtlinie 93/36 (im Folgenden: Richtlinie 93/36 oder Richtlinie) koordiniert die Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge und enthält Vorschriften über die Vergabe solcher Aufträge.

    4.        Art. 1 der Richtlinie 93/36 bestimmt:

    „Im Sinne dieser Richtlinie

    a)      gelten als öffentliche Lieferaufträge die zwischen einem Lieferanten (einer natürlichen oder juristischen Person) und einem unter Buchstabe b) näher bezeichneten öffentlichen Auftraggeber geschlossenen schriftlichen entgeltlichen Verträge über Kauf, Leasing, Miete, Pacht oder Ratenkauf, mit oder ohne Kaufoption, von Waren. Diese Lieferung kann auch Nebenarbeiten wie das Verlegen und Anbringen umfassen;

    d)      sind offene Verfahren diejenigen einzelstaatlichen Verfahren, bei denen alle interessierten Lieferanten ein Angebot abgeben können;

    e)      sind nicht offene Verfahren diejenigen einzelstaatlichen Verfahren, bei denen nur die vom öffentlichen Auftraggeber aufgeforderten Lieferanten ein Angebot abgeben können;

    f)      sind Verhandlungsverfahren diejenigen einzelstaatlichen Verfahren, bei denen der öffentliche Auftraggeber sich an Lieferanten seiner Wahl wendet und mit mehreren oder einem einzigen dieser Lieferanten über die Auftragsvergabe verhandelt.“

    5.        Nach ihrem Art. 2 Abs. 1 Buchst. b findet die Richtlinie keine Anwendung auf „Lieferungen, die gemäß den Rechts‑ und Verwaltungsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats für geheim erklärt werden oder deren Ausführung nach diesen Vorschriften besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordert, oder wenn der Schutz wesentlicher Interessen der Sicherheit des Mitgliedstaats es gebietet“.

    6.        Art. 3 der Richtlinie lautet: „Unbeschadet der Artikel 2 und 4 und des Artikels 5 Absatz 1 gilt diese Richtlinie für alle Waren, auf die sich Artikel 1 Buchstabe a) bezieht, einschließlich der Vergabe von Aufträgen öffentlicher Auftraggeber im Bereich der Verteidigung, mit Ausnahme der Waren, auf die Artikel [296] Absatz 1 Buchstabe b [EG] Anwendung findet.“

    7.        Nach Art. 6 der Richtlinie gilt:

    „(1)      Für die Vergabe öffentlicher Lieferaufträge wenden die öffentlichen Auftraggeber die in Artikel 1 Buchstaben d), e) und f) genannten Verfahren in den nachstehenden Fällen an.

    (3)      Die öffentlichen Auftraggeber können in folgenden Fällen Lieferaufträge im Verhandlungsverfahren ohne vorherige öffentliche Vergabebekanntmachung vergeben:

    c)      wenn der Gegenstand der Lieferung wegen seiner technischen oder künstlerischen Besonderheiten oder aufgrund des Schutzes eines Ausschließlichkeitsrechts nur von einem bestimmten Lieferanten hergestellt oder geliefert werden kann;

    e)      bei zusätzlichen, vom ursprünglichen Unternehmer durchgeführten Lieferungen, die entweder zur teilweisen Erneuerung von gelieferten Waren oder Einrichtungen oder zur Erweiterung von Lieferungen oder bestehenden Einrichtungen bestimmt sind, wenn ein Wechsel des Unternehmers dazu führen würde, dass der öffentliche Auftraggeber Material unterschiedlicher technischer Merkmale kaufen müsste und dies eine technische Unvereinbarkeit oder unverhältnismäßige technische Schwierigkeiten bei Gebrauch und Wartung mit sich bringen würde. Die Laufzeit dieser Aufträge sowie der Daueraufträge darf in der Regel drei Jahre nicht überschreiten.

    (4)      In allen anderen Fällen vergibt der öffentliche Auftraggeber seine Lieferaufträge im offenen oder nicht offenen Verfahren.“

    8.        Auf andere besondere Vorschriften werde ich im Rahmen der Prüfung der Klagegründe für die gerügte Vertragsverletzung eingehen.

    II – Sachverhalt, vorprozessuales Verfahren und Anträge

    A –    Sachverhalt

    9.        Nach Eingang einer Beschwerde leitete die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren (Nr. 2002/4194) bezüglich des Beschlusses Nr. 3231 des Präsidenten des Ministerrats der Italienischen Republik vom 24. Juli 2002 über die Bekämpfung von Waldbränden aus der Luft ein, mit dem erlaubt wurde, abweichend von den Richtlinien über öffentliche Liefer‑ und Dienstleistungsaufträge auf das Verhandlungsverfahren zurückzugreifen. Auf der Grundlage dieses Beschlusses erwarb das Corpo Forestale dello Stato (staatliches Forstkorps) am 28. Oktober 2002 zwei Hubschrauber des Typs AB 412 EP der Firma „Agusta Bell“ zum Preis von etwa 18 Millionen Euro „abweichend von den in Art. 4 [des Beschlusses] genannten Rechtsvorschriften freihändig“, also u. a. abweichend von den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinien der Gemeinschaft über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge. Die Kommission erhob Klage beim Gerichtshof gemäß Art. 226 EG, die zu dem Urteil vom 27. Oktober 2005 in der Rechtssache C‑525/03 führte(6).

    10.      Aufgrund der im Rahmen des vorgenannten Verfahrens gewonnenen Erkenntnisse stellte die Kommission fest, dass die konkrete Vertragsverletzung, die Gegenstand jenes Verfahrens war, kein Einzelfall, sondern vielmehr symptomatisch für eine allgemeine Praxis war, nach der die öffentlichen Aufträge für den Erwerb von Hubschraubern des Fabrikats „Agusta“ und „Agusta Bell“ direkt vergeben wurden, um den Bedarf verschiedener Korps des italienischen Staates ohne jedes Ausschreibungsverfahren zu befriedigen. Die Kommission leitete daraufhin ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren ein (Nr. 2003/2158).

    11.      Hinsichtlich des Corpo Nazionale dei Vigili del Fuoco (staatliche Feuerwehr, Innenministerium) stellte die Kommission im Einzelnen fest, dass dieses die nachstehenden Aufträge ohne jedes Ausschreibungsverfahren an die Firma „Agusta“ vergeben hatte: i) Kaufvertrag vom 10. Juni 2002 über vier Hubschrauber vom Typ Agusta Bell AB 412 zum Preis von etwa 30,5 Millionen Euro, ii) Kaufvertrag vom 23. Dezember 2002 über vier Hubschrauber vom Typ Agusta A 109 Power zum Preis von etwa 33,6 Millionen Euro und iii) Leasing-Kaufvertrag vom 19. März 2003 über vier Hubschrauber vom Typ A 109 Power zum Preis von etwa 12,8 Millionen Euro. Nach den Feststellungen der Kommission besteht die Hubschrauberflotte des Corpo Nazionale dei Vigili del Fuoco im Wesentlichen aus Hubschraubern des Fabrikats „Agusta“ oder „Agusta Bell“.

    12.      Bezüglich des Corpo Carabinieri (Verteidigungsministerium) ergibt sich aus den der Kommission mitgeteilten Angaben, dass dieses im Zeitraum 2000 bis 2002 zwei Aufträge für den Erwerb von vier Hubschraubern an Agusta ohne Angebotsverfahren vergeben hat. Nach den Feststellungen der Kommission besteht auch die Hubschrauberflotte des Corpo Carabinieri im Wesentlichen aus Hubschraubern des Fabrikats „Agusta“ oder „Agusta Bell“.

    13.      Was das Corpo Forestale dello Stato (Ministerium für Landwirtschaft und Forsten) anlangt, soll diese Stelle nicht nur die Kaufverträge abgeschlossen haben, die Gegenstand der Rechtssache C‑525/03 waren, sondern auch noch einen weiteren „Agusta“-Hubschrauber gekauft haben. Auch hier stellte die Kommission fest, dass die Hubschrauberflotte des Corpo Forestale im Wesentlichen aus Hubschraubern des Fabrikats „Agusta“ oder „Agusta Bell“ besteht.

    14.      Bezüglich der Zivilschutzbehörde wurde der Kommission mitgeteilt, dass diese einen Vertrag über den Leasing-Kauf von Hubschraubern des Fabrikats „Agusta“ abgeschlossen habe.

    15.      Was die anderen Staatskorps betrifft, gelangte die Kommission trotz fehlender Informationen über konkrete Verträge zu der Ansicht, dass die Luftflotten der Guardia Costiera, einer Einrichtung des Corpo delle Capitanerie di Porto (Infrastruktur‑ und Verkehrsministerium), der Guardia di Finanza (Wirtschafts‑ und Finanzministerium) sowie der Polizia di Stato (Staatspolizei, Innenministerium) ebenfalls ausschließlich oder vorwiegend aus Hubschraubern des Fabrikats „Agusta“ oder „Agusta Bell“ bestehen.

    B –    Vorprozessuales Verfahren

    16.      Da die Kommission keine Hinweise für die Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens auf Gemeinschaftsebene für den Erwerb von Hubschraubern zur Deckung des Bedarfs der oben genannten italienischen Ministerien und Behörden fand, gelangte sie zu der Ansicht, dass die Hubschrauber des Fabrikats „Agusta“ und „Agusta Bell“ auf direktem Wege unter Verletzung der Verfahren nach der Richtlinie 93/36 und früher den Richtlinien 77/62, 80/767 und 88/295 erworben worden seien. Mit Mahnschreiben vom 17. Oktober 2003 forderte sie Italien zur Stellungnahme auf.

    17.      Die italienischen Behörden antworteten am 9. Dezember 2003 per Fax ihrer Ständigen Vertretung bei der Europäischen Union. Da die Kommission die Antwort der italienischen Behörden für unzureichend hielt, richtete sie am 5. Februar 2004 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Italienische Republik, in der sie diese aufforderte, ihren Verpflichtungen binnen zwei Monaten nach Zustellung dieser Stellungnahme nachzukommen.

    18.      Die italienischen Behörden äußerten sich zu der mit Gründen versehenen Stellungnahme mit drei Schreiben der Ständigen Vertretung Italiens bei der Europäischen Union(7).

    19.      Nach Ansicht der Kommission haben die italienischen Behörden nicht genügend Argumente zur Widerlegung der Beanstandungen vorgebracht, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme dargelegt worden seien; sie stellte fest, dass die Italienische Republik keine Maßnahmen ergriffen habe, um die gerügte Praxis abzustellen, und hat dementsprechend am 15. September 2005 Klage beim Gerichtshof erhoben(8).

    20.      Die Kommission beantragt,

    1.      festzustellen, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 93/36/EWG und früher den Richtlinien 77/62/EWG, 80/767/EWG und 88/295/EWG verstoßen hat, dass die italienische Regierung, insbesondere das Innen‑, das Verteidigungs‑, das Wirtschafts‑ und Finanz‑, das Landwirtschafts‑ und Forst‑ sowie das Infrastruktur‑ und Verkehrsministerium und die Zivilschutzbehörde des Präsidenten des Ministerrats, eine Praxis eingeführt hat, die seit langer Zeit besteht und der noch immer gefolgt wird und nach der die öffentlichen Aufträge für den Erwerb von Hubschraubern des Fabrikats „Agusta“ und „Agusta Bell“ an die Firma „Agusta“ direkt, ohne jedes Ausschreibungsverfahren und vor allem ohne Beachtung der in den genannten Richtlinien vorgesehenen Verfahren vergeben werden, um den Bedarf der militärischen Korps der Feuerwehr, der Carabinieri, des staatlichen Forstkorps, der Küstenwacht, der Guardia di Finanza und der Staatspolizei sowie der Zivilschutzbehörde zu befriedigen;

    2.      der Italienischen Republik die Kosten aufzuerlegen.

    21.      Die Italienische Republik beantragt, die Klage als unzulässig, jedenfalls aber als unbegründet abzuweisen.

    22.      Beide Verfahrensbeteiligten haben in der am 17. April 2007 durchgeführten Sitzung mündliche Ausführungen gemacht.

    III – Würdigung

    A –    Vorbemerkungen

    23.      Zu beachten ist, dass die italienische Regierung nicht bestreitet, den Erwerb von Hubschraubern für ihre Korps im Verhandlungsverfahren durchgeführt und Aufträge ohne vorherige öffentliche Vergabebekanntmachung auf Gemeinschaftsebene direkt an Agusta vergeben zu haben. Im Mittelpunkt der Prüfung im vorliegenden Fall steht daher die Frage, ob Italien zulässigerweise von den gemeinschaftlichen Bestimmungen über öffentliche Lieferaufträge abweichen durfte(9). Der Antrag der Kommission bezieht sich nicht nur auf die Richtlinie 93/36, sondern auch auf die früheren Richtlinien 77/62, 80/767 und 88/295. Angesichts der Ähnlichkeit der relevanten Bestimmungen dieser Richtlinien halte ich es jedoch entsprechend dem Vorschlag der Kommission für ausreichend, der Klarheit und Einfachheit halber in meinen weiteren Ausführungen ausschließlich auf die Richtlinie 93/36 zu verweisen.

    B –    Zulässigkeit

    24.      Die italienische Regierung bestreitet in ihrer Klagebeantwortung die Zulässigkeit der vorliegenden Klage.

    1.      Wesentliches Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

    25.      Italien trägt vor, im vorprozessualen Verfahren habe die Kommission nicht auf militärische Lieferungen Bezug genommen, sondern in diesem Rahmen lediglich Lieferungen für zivile Zwecke erwähnt. Außerdem habe die Kommission im Rahmen des vorprozessualen Verfahrens nur einige Verträge angeführt, die das Corpo dei Vigili del Fuoco, das Corpo Forestale bzw. die Carabinieri in den letzten Jahren, d. h. 2002 und 2003, mit Agusta abgeschlossen hätten. Die Rüge im vorprozessualen Verfahren entspreche daher nicht dem Antrag in der beim Gerichtshof eingereichten Klageschrift. In seiner Gegenerwiderung wendet Italien außerdem ein, angesichts des vagen und unpräzisen Sachvortrags der Kommission erfülle die Klage nicht die in der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen. Nach Auffassung der Italienischen Republik hat dies ihre Verteidigungsrechte erheblich beeinträchtigt.

    26.      Schließlich erhebt die italienische Regierung die Einrede, der die Lieferungen für das Corpo Forestale dello Stato betreffende Teil der vorliegenden Klage sei unzulässig, da diese Lieferungen auf der Grundlage des Beschlusses Nr. 3231 erfolgt seien. Da der Gerichtshof über diesen Beschluss bereits im Urteil C‑525/03(10) entschieden habe, sei der Grundsatz ne bis in idem verletzt.

    27.      Die Kommission tritt der Auffassung der Italienischen Republik entgegen. Das vorprozessuale Verfahren habe zu keinem Zeitpunkt militärische Lieferungen betroffen. Vielmehr habe es sich auf zivile Lieferungen bezogen, die u. a. zur Deckung des Bedarfs bestimmter militärischer Korps der Italienischen Republik bestimmt gewesen seien. Zum Vorwurf der Ungenauigkeit trägt die Kommission vor, seit dem Mahnschreiben sei stets klar gewesen, dass Streitgegenstand die seit langer Zeit bestehende und nie beendete Praxis der direkten Auftragsvergabe an Agusta gewesen sei. Über den Verfahrenszweck sei sich Italien durchaus im Klaren gewesen, das sich habe verteidigen können und dies auch getan habe, u. a. durch Vorlage einer Reihe beigefügter Unterlagen. Darüber hinaus sei der Streitgegenstand in der Rechtssache C‑525/03 ein anderer als im vorliegenden Fall gewesen.

    2.      Würdigung

    28.      Nach ständiger Rechtsprechung muss die Kommission in einer gemäß Art. 226 EG eingereichten Klageschrift die Rügen, über die der Gerichtshof entscheiden soll, genau angeben und zumindest in gedrängter Form die rechtlichen und tatsächlichen Umstände darlegen, auf die diese Rügen gestützt sind(11).

    29.      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gegenstand der nach Art. 226 EG erhobenen Klage zwar durch das in dieser Vorschrift vorgesehene vorprozessuale Verfahren umschrieben wird, weshalb die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission und die Klage auf dieselben Rügen gestützt werden müssen, dass dieses Erfordernis aber nicht so weit gehen kann, dass sie in jedem Fall völlig übereinstimmend formuliert sein müssen, sofern nur der Streitgegenstand nicht erweitert oder geändert, sondern lediglich beschränkt worden ist. Daher kann die Kommission ihre ursprünglichen Rügen in ihrer Klageschrift präzisieren, sofern sie den Streitgegenstand nicht ändert(12).

    30.      Zunächst finde ich die Erläuterung der Kommission überzeugend, das Adjektiv „militärisch“ beziehe sich ganz eindeutig auf bestimmte staatliche „Korps“ und nicht auf den Begriff „Lieferungen“, wie dies die italienische Regierung vorträgt(13). Nach den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht es der Kommission nur um zivile Lieferungen zur Deckung des Bedarfs bestimmter Korps des italienischen Staates, von denen einige militärischen, andere zivilen Charakter haben. Tatsächlich ergibt ein Vergleich der mit Gründen versehenen Stellungnahme mit der Klageschrift, die nahezu identisch formuliert sind, dass beide die gleichen Rügen zur Grundlage haben. Danach ist die Einrede Italiens, die Rügen im vorprozessualen Verfahren entsprächen nicht dem Klageantrag, nicht haltbar.

    31.      Was zweitens den Einwand der italienischen Regierung betrifft, der Sachvortrag der Kommission sei vage und unpräzise, so hat die Kommission meiner Meinung nach im vorprozessualen Verfahren im vorliegenden Fall deutlich die Gründe dargelegt, die sie veranlasst haben, von einem Verstoß Italiens gegen die Richtlinien über öffentliche Lieferaufträge auszugehen. In Nr. 14 der mit Gründen versehenen Stellungnahme und in Nr. 25 des Mahnschreibens erklärt die Kommission eindeutig, sie habe keine Informationen erlangen können, die bestätigten, dass die italienische Regierung beim Erwerb von Hubschraubern öffentliche Vergabeverfahren auf Gemeinschaftsebene entsprechend der Richtlinie 93/36 und früher auch der Richtlinien 77/62, 80/767 und 88/295 durchgeführt hätte. Die Vorwürfe waren daher hinreichend klar, um der italienischen Regierung eine Verteidigung zu ermöglichen.

    32.      Schließlich sehe ich im vorliegenden Verfahren auch keine Verletzung des Grundsatzes ne bis in idem. Meiner Meinung war Streitgegenstand der Rechtssache C‑525/03 ein konkreter einzelstaatlicher Beschluss (nämlich der Beschluss Nr. 3231), mit dem erlaubt wurde, abweichend von den Richtlinien über öffentliche Liefer‑ und Dienstleistungsaufträge auf das Verhandlungsverfahren zurückzugreifen. Damals wurde die Klage sogar wegen der zeitlich begrenzten Geltungsdauer des Beschlusses als unzulässig zurückgewiesen. Im vorliegenden Verfahren liegt kein Antrag auf erneute Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Beschlusses Nr. 3231 vor. Streitgegenstand im vorliegenden Fall ist vielmehr die beanstandete Praxis, Aufträge für den Erwerb von Hubschraubern ohne jedes Ausschreibungsverfahren auf Gemeinschaftsebene direkt an Agusta zu vergeben.

    33.      Aus den vorstehenden Gründen ist die von der italienischen Regierung erhobene Einrede der Unzulässigkeit zu verwerfen.

    C –    Begründetheit

    1.      „In house“-Verhältnis zu Agusta

    34.      Zur Prüfung, ob Italien tatsächlich gegen die Richtlinien über öffentliche Lieferaufträge verstoßen hat, werde ich zunächst den Einwand der italienischen Regierung untersuchen, ihre Beziehungen zu Agusta seien bis Ende der 1990er Jahre als „In house“-Verhältnis zu bezeichnen.

    a)      Wesentliche Argumente der Verfahrensbeteiligten

    35.      Italien beruft sich auf ein „In house“-Verhältnis zu Agusta und stellt in seiner Klagebeantwortung die historische Entwicklung der Beteiligung der öffentlichen Hand an Agusta dar. Italien räumt zwar ein, dass die direkte Vergabe von Aufträgen des Staates an Unternehmen, an denen er zum betreffenden Zeitpunkt beteiligt sei, nur schwer mit der Rechtsprechung zu „In house“-Geschäften zu vereinbaren sei, argumentiert jedoch, die Beziehungen Agustas zum italienischen Staat seien eher im Sinne einer „Eigenherstellung von Waren und Dienstleistungen“ zu charakterisieren, die vom Staat genutzt würden und die einen wesentlichen Bestandteil des Produktionsvolumens von Unternehmen mit staatlicher Beteiligung darstellten.

    36.      Nach Meinung der Kommission haben die italienischen Behörden nicht nachgewiesen, dass die vom Gerichtshof im Urteil Teckal(14) aufgestellten Kriterien im vorliegenden Fall erfüllt sind, da Italien sich auf den Vortrag vager und unpräziser Angaben beschränkt habe.

    b)      Würdigung

    37.      Wie die Kommission zutreffend ausführt, ist zu beachten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Ausschreibung gemäß den Richtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge – selbst wenn der Vertragspartner eine Einrichtung ist, die sich vom öffentlichen Auftraggeber rechtlich unterscheidet – dann nicht zwingend ist, wenn zwei kumulativ geltende Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss die öffentliche Stelle, die ein öffentlicher Auftraggeber ist, über die fragliche Einrichtung eine ähnliche Kontrolle ausüben wie über ihre eigenen Dienststellen, und zweitens muss diese Einrichtung ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die öffentliche Körperschaft oder die öffentlichen Körperschaften verrichten, die ihre Anteile innehaben(15).

    38.      Italien war verpflichtet, nicht nur das Bestehen einer solchen Beziehung zwischen den Auftraggebern und Agusta vorzutragen, sondern auch die Beweise beizubringen, anhand deren der Gerichtshof zweifelsfrei feststellen kann, dass die beiden oben genannten Voraussetzungen erfüllt waren. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht jedoch hervor, dass der Vortrag Italiens in dieser Hinsicht recht unergiebig ist und nicht durch relevante Unterlagen belegt wird. Im vorliegenden Fall hat die italienische Regierung die Erfüllung der beiden Voraussetzungen daher nicht dargetan.

    39.      Darüber hinaus hat der Gerichtshof kürzlich ausgeführt, die – auch nur minderheitliche – Beteiligung eines privaten Unternehmens am Kapital einer Gesellschaft, an der auch der betreffende öffentliche Auftraggeber beteiligt sei, schließe es auf jeden Fall aus, dass der öffentliche Auftraggeber über diese Gesellschaft eine ähnliche Kontrolle ausübe wie über seine eigenen Dienststellen(16).

    40.      Danach ist allein schon aufgrund der von der Kommission vorgetragenen Tatsache, dass der italienische Staat Agusta in den 1970er bis 1990er Jahren zu keiner Zeit zu 100 % gehalten hat, ein „In house“-Verhältnis zu Agusta ausgeschlossen(17). Darüber hinaus ist auch für den Zeitraum ab 2000, als gemeinsam mit der britischen Firma Westland das Joint Venture „Agusta-Westland“ gegründet wurde, ein „In house“-Verhältnis zum italienischen Staat auszuschließen.

    41.      Ich werde daher nunmehr prüfen, ob ein tatsächlicher Verstoß gegen die Richtlinien über öffentliche Lieferaufträge vorliegt.

    2.      Bestehen der Praxis

    a)      Wesentliche Argumente der Verfahrensbeteiligten

    42.      Da die streitigen öffentlichen Lieferaufträge unter die Richtlinie 93/36 fallen, da aufgrund des hohen Preises von Hubschraubern alle Aufträge den Schwellenwert von 130 000 Sonderziehungsrechten (SZR)(18) bei Weitem überschritten haben, macht die Kommission geltend, für die Vergabe hätte ein offenes oder ein nicht offenes Verfahren nach Art. 6 der Richtlinie, nicht aber ein Verhandlungsverfahren durchgeführt werden müssen. Damit ist nach Ansicht der Kommission eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts nachgewiesen. Da die italienischen Behörden ausdrücklich eingeräumt hätten, vor 2000 „Agusta“-Hubschrauber ohne jedes Ausschreibungsverfahren auf Gemeinschaftsebene erworben zu haben, trägt die Kommission vor, dass die direkte Auftragsvergabe an Agusta seit 2000 durchgängige Praxis gewesen sei und dass dies durch die der Klage beigefügten Verträge auch belegt werde.

    43.      Zu den Käufen vor 2000 trägt Italien im Wesentlichen vor, diese seien als „In house“-Geschäfte einzustufen, während bei den Käufen aus jüngerer Zeit die direkte Auftragsvergabe durch die internationale Sicherheitslage nach dem 11. September 2001 bedingt gewesen sei. Infolgedessen müssten zivile Hubschrauber den militärischen gleichgestellt werden. Die Käufe seien somit nach Art. 296 EG vom Gemeinschaftsrecht ausgenommen gewesen.

    b)      Würdigung

    44.      Die Kommission behauptet, die fragliche Praxis werde „allgemein“ und „systematisch“ angewendet, und rügt die Verletzung der Richtlinie 93/36, der Richtlinie 77/62 sowie aller anderen zwischenzeitlich einschlägigen Richtlinien. Daraus ergibt sich, dass die systematische Vergabe von Aufträgen für den Erwerb von Hubschraubern direkt an Agusta durchaus über rund 30 Jahre hinweg praktiziert worden sein mag.

    45.      Die italienische Regierung bestreitet diese Praxis nicht. Vielmehr bestätigt sie in ihrer Klagebeantwortung sogar die dahin gehenden Behauptungen der Kommission. Folglich hat Italien in der Tat das Verhandlungsverfahren ohne jede Ausschreibung auf Gemeinschaftsebene angewendet. Es ist daher zu untersuchen, ob Italien rechtmäßigerweise von den Bestimmungen der Richtlinie abweichen durfte.

    46.      Im zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 93/36 wird klargestellt, dass das Verhandlungsverfahren die Ausnahme darstellen muss und daher nur in bestimmten, genau festgelegten Fällen zur Anwendung gelangen darf(19).

    47.      Ferner ist zu berücksichtigen, dass Ausnahmen von den Vorschriften, die die Wirksamkeit der Rechte nach dem Vertrag im Bereich der öffentlichen Lieferaufträge gewährleisten sollen, eng auszulegen sind(20). Die Mitgliedstaaten können daher weder Tatbestände für die Anwendung des Verhandlungsverfahrens schaffen, die in der Richtlinie 93/36 nicht vorgesehen sind, noch die ausdrücklich in dieser Richtlinie vorgesehenen Tatbestände um neue Bestimmungen ergänzen, die die Anwendung des genannten Verfahrens erleichtern, da sie sonst die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beseitigen würden(21). Außerdem obliegt die Beweislast dafür, dass die außergewöhnlichen Umstände, die die Ausnahmen rechtfertigen, tatsächlich vorliegen, demjenigen, der sich auf sie berufen will(22).

    48.      Im Folgenden ist daher zu untersuchen, ob Italien die Voraussetzungen der im Vertrag und/oder in der Richtlinie ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmetatbestände erfüllt, auf die es sich beruft.

    3.      Berechtigte Belange des nationalen Interesses

    a)      Hauptargumente der Verfahrensbeteiligten

    49.      Nach Auffassung Italiens berücksichtigten die Aufträge über den Erwerb von Hubschraubern berechtigte Belange des nationalen Interesses gemäß Art. 296 EG und auch Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie. Diese Bestimmungen fänden Anwendung, da es sich bei den fraglichen Hubschraubern um Güter mit doppeltem Verwendungszweck handele, d. h. Güter, die sowohl für zivile als auch für militärische Aufgaben eingesetzt werden könnten.

    50.      Erstens vertritt die italienische Regierung die Auffassung, Art. 296 EG erfasse alle Lieferungen für die militärischen Korps des italienischen Staates. Hinsichtlich der anderen Korps sei hervorzuheben, dass seit 2001 Lieferungen an solche Korps zunehmend in den speziellen Bereich der Staatssicherheit (bzw. inneren Sicherheit) fielen und in einer militärischen Lieferungen entsprechenden Weise gehandhabt würden(23). Italien trägt vor, der Gerichtshof habe im Urteil Leifer u. a.(24), in dem es um eine Ausnahme von Art. 28 EG für Güter mit doppeltem Verwendungszweck gegangen sei, den Mitgliedstaaten ausdrücklich einen Ermessensspielraum zugestanden, wenn sie Maßnahmen träfen, die sie für erforderlich hielten, um ihre innere und äußere öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.

    51.      Insoweit verweist Italien auf das Urteil des Gerichts erster Instanz in der Rechtssache Fiocchi Munizioni(25), in dem es heiße, die Regelung von Art. 296 Abs. 1 Buchst. b EG solle die Handlungsfreiheit der Mitgliedstaaten in bestimmten Bereichen wahren, die die Landesverteidigung und die nationale Sicherheit berührten. Art. 296 Abs. 1 Buchst. b EG räume den Mitgliedstaaten ein besonders weites Ermessen bei der Beurteilung der Bedürfnisse im Zusammenhang mit der Wahrung dieser Interessen ein.

    52.      Zweitens macht Italien geltend, der Ausnahmetatbestand von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie sei anwendbar, da die fraglichen Hubschrauber sowohl im Kampf gegen Terrorismus als auch zum Schutz der öffentlichen Ordnung eingesetzt werden könnten. Italien beruft sich außerdem auf Vertraulichkeitsbelange beim Erwerb der Hubschrauber.

    53.      Nach Auffassung der Kommission hat Italien im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen, dass die Voraussetzungen bestanden, um die Anwendung von Art. 30 EG und die Einstufung der Hubschrauber als Güter mit doppeltem Verwendungszweck zu rechtfertigen. Außerdem habe Italien hinsichtlich Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie und der Argumentation, bei Offenlegung bestimmter Elemente des Kaufs würden wesentliche Interessen Italiens verletzt, nicht dargetan, um welche „Elemente“ es sich dabei handele. Was Art. 296 EG anbetreffe, gehe es hier nicht um „Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit“, sondern um den Erwerb von Hubschraubern, die im Wesentlichen für die zivile Nutzung bestimmt seien, und Italien habe nicht dargelegt, dass im vorliegenden Fall eine Maßnahme zum Schutz wesentlicher Interessen wie etwa Sicherheitsinteressen getroffen worden sei, was aber nach Art. 296 EG unabdingbare Voraussetzung sei. Mit Sicherheit stehe nur die zivile Nutzung der Hubschrauber fest, während ihr militärischer Einsatz lediglich eine ungewisse Möglichkeit darstelle. Art. 296 EG sei daher nicht anwendbar. Selbst wenn man hypothetisch vom militärischen Charakter der fraglichen Lieferungen ausgehen wollte, so würde Art. 296 EG bei dem vorliegenden Sachverhalt nicht zwangsläufig eine Ausnahme wie die von Italien in Anspruch genommene gestatten. Einen ganzen Industriezweig zum Schutz der nationalen Sicherheit außerhalb der Wettbewerbsverfahren zu stellen, erscheine weder verhältnismäßig noch erforderlich.

    b)      Würdigung

    54.      Wie der Gerichtshof festgestellt hat, sieht der Vertrag Ausnahmen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit nur in den Art. 30 EG, 39 EG, 46 EG, 58 EG, 64 EG, 296 EG und 297 EG vor; diese betreffen ganz bestimmte außergewöhnliche Fälle. Aus ihnen lässt sich kein allgemeiner, dem Vertrag immanenter Vorbehalt ableiten, der jede Maßnahme, die im Interesse der öffentlichen Sicherheit getroffen wird, vom Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts ausnähme. Würde ein solcher Vorbehalt unabhängig von den besonderen Tatbestandsmerkmalen der Bestimmungen des Vertrages anerkannt, könnte das die Verbindlichkeit und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen(26). So kann die öffentliche Sicherheit nur geltend gemacht werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Diese Gründe dürfen überdies nicht von ihrer eigentlichen Funktion losgelöst und in Wirklichkeit für wirtschaftliche Zwecke geltend gemacht werden(27).

    55.      Der Gerichtshof hat ferner entschieden, der Mitgliedstaat, der diese Ausnahmen in Anspruch nehmen wolle, müsse nachweisen, dass die betreffenden Befreiungen nicht die Grenzen der genannten Tatbestände überschritten und dass sie für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich seien(28).

    56.      Italien beruft sich in seiner Klageerwiderung vor allem auf Art. 296 EG. Zweck von Art. 296 EG sind die Koordinierung und der Ausgleich der Beziehungen und Spannungsverhältnisse zwischen dem Schutz des Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt und der Wahrung der wesentlichen Sicherheitsinteressen der Mitgliedstaaten, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen, so dass die Mitgliedstaaten Ausnahmen vom Gemeinschaftsrecht vorsehen können, allerdings nur unter den aufgestellten engen Voraussetzungen.

    57.      Als Ausnahmevorschrift ist dieser Artikel eng auszulegen.

    58.      Folglich ist diese Ausnahmebestimmung ebenso wie beispielsweise die Ausnahmebestimmung in Art. 30 EG nicht als zwangsläufige bzw. pauschale Befreiung zu betrachten, auf die sich die Mitgliedstaaten ungeachtet der Umstände des Einzelfalls berufen können. Art. 296 EG darf von den Mitgliedstaaten nur von Fall zu Fall herangezogen werden, und in einem Fall wie dem vorliegenden muss jeder einzelne Beschaffungsauftrag individuell beurteilt werden. Nach Art. 296 EG müssen die von einem Mitgliedstaat getroffenen Maßnahmen, die die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen, für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sein. Darüber hinaus gilt nach Art. 296 EG die Voraussetzung, dass „diese Maßnahmen … auf dem Gemeinsamen Markt die Wettbewerbsbedingungen hinsichtlich der nicht eigens für militärische Zwecke bestimmten Waren nicht beeinträchtigen [dürfen]“ (Hervorhebung nur hier). Außerdem findet Art. 296 EG nur auf Waren Anwendung, die in der durch eine Entscheidung des Rates vom 15. April 1958 aufgestellten Liste angeführt sind(29).

    59.      Meiner Ansicht nach muss in Fällen, in denen die Anwendung von Art. 296 EG durch einen Mitgliedstaat den Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt beeinträchtigt, der betreffende Mitgliedstaat nachweisen, dass die Waren eigens für militärische Zwecke bestimmt sind(30). Ich meine, dass dadurch an sich schon Güter mit doppeltem Verwendungszweck ausgeschlossen sind(31).

    60.      Die Art der in der Liste von 1958 aufgeführten Produkte und die Wendung „eigens für militärische Zwecke“ in Art. 296 EG bestätigen, dass nur der Handel mit eigens für militärische Zwecke konzipierten, entwickelten und hergestellten Gütern aufgrund Art. 296 Abs. 1 Buchst. b EG von den gemeinschaftlichen Wettbewerbsvorschriften freigestellt werden kann(32). Aus dem Erfordernis, dass Erzeugnisse eigens für militärische Zwecke bestimmt sein müssen, folgt beispielsweise, dass die Lieferung eines Hubschraubers an das militärische Korps, der für zivile Zwecke bestimmt ist, dem öffentlichen Vergaberecht entsprechen muss. Erst recht müssen Hubschrauber an zivile Stellen eines Mitgliedstaats, die – so Italien – nur hypothetisch zu militärischen Zwecken eingesetzt werden könnten, zwingend unter Einhaltung dieser Rechtsvorschriften geliefert werden.

    61.      Im vorliegenden Fall hat Italien zu keiner Zeit behauptet, alle fraglichen Hubschrauber seien eigens für militärische Zwecke erworben worden. Die italienische Regierung trägt vielmehr im Wesentlichen vor, die fraglichen Hubschrauber könnten hypothetisch auch für militärische Zwecke genutzt werden, würden aber gleichzeitig für zivile Zwecke eingesetzt. Demnach ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass die fraglichen Hubschrauber nicht eigens für militärische Zwecke bestimmt waren. Demzufolge kann sich Italien zu seiner Verteidigung nicht auf Art. 296 Abs. 1 Buchst. b EG berufen.

    62.      Italien hat sich nicht um den Nachweis bemüht, dass seine Bedenken im Hinblick auf Vertraulichkeit nicht auch im Rahmen der in der Richtlinie vorgesehenen Vergabeverfahren hätten angemessen ausgeräumt werden können, insbesondere im Rahmen des nicht offenen Verfahrens nach Art. 1 Buchst. e EG. Italien hat vielmehr einen erheblichen Teil von Hubschrauberlieferungen an die Zentralverwaltung des italienischen Staates aus dem Anwendungsbereich der Vorschriften über die öffentliche Auftragsvergabe ausgeklammert, indem es systematisch Aufträge direkt an Agusta vergeben hat. Diese Praxis ist in Bezug auf das erklärte Anliegen des Vertraulichkeitsschutzes eindeutig unverhältnismäßig(33).

    63.      Im Übrigen wird das zu Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie von Italien vorgetragene Argument, im vorliegenden Fall müsse über den Erwerb der Hubschrauber Vertraulichkeit gewahrt bleiben, durch den Umstand entkräftet, dass die fraglichen Hubschrauber ausschließlich oder vorwiegend zivilen Zwecken dienen, so dass die in der genannten Bestimmung vorgesehene Ausnahme auf die streitgegenständlichen Hubschraubereinkäufe nicht anwendbar ist.

    4.      Zur Homogenität/Interoperabilität der Flotte

    a)      Wesentliche Argumente der Verfahrensbeteiligten

    64.      Italien trägt vor, aufgrund der technischen Besonderheit von Hubschraubern und da die fraglichen Lieferungen zusätzliche Lieferungen darstellten, sei die Regierung gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. c und e der Richtlinie 93/36 berechtigt gewesen, die Aufträge im Wege des Verhandlungsverfahrens zu vergeben.

    65.      Nach Auffassung der Kommission sind diese beiden Ausnahmetatbestände im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Zum Argument der zusätzlichen Lieferungen führt die Kommission darüber hinaus an, es gelte die in Art. 6 Abs. 3 Buchst. e festgelegte allgemeine Drei-Jahre-Regel; auf jeden Fall aber seien zusätzliche Lieferungen aufgrund der Rechtswidrigkeit bereits der früheren Lieferungen naturgemäß ebenfalls als rechtswidrig zu betrachten.

    b)      Würdigung

    66.      Ich kann mich mit dem Hinweis begnügen, dass Italien nicht hinreichend dargelegt und bewiesen hat, welche Gründe es zu der Ansicht veranlasst haben, nur Hubschrauber des Fabrikats Agusta wiesen die erforderlichen Merkmale auf, um einen Erwerb nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. c und e zu rechtfertigen. Ferner stimme ich der Kommission zu, dass die von Italien behauptete Tatsache, auch andere Mitgliedstaaten, die Hubschrauber herstellten, würden in dieser Weise verfahren, für das vorliegende Verfahren nicht relevant ist.

    67.      Nach alldem schlage ich dem Gerichtshof daher vor, festzustellen, dass die Italienische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 93/36 und früher den Richtlinien 77/62, 80/767 und 88/295 verstoßen hat.

    IV – Kosten

    68.      Gemäß Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die italienische Regierung als unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

    V –    Ergebnis

    69.      Demgemäß schlage ich dem Gerichtshof vor,

    1.      festzustellen, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 93/36/EWG und früher den Richtlinien 77/62/EWG, 80/767/EWG und 88/295/EWG verstoßen hat, dass die italienische Regierung, insbesondere das Innen‑, das Verteidigungs‑, das Wirtschafts‑ und Finanz‑, das Landwirtschafts‑ und Forst‑ sowie das Infrastruktur‑ und Verkehrsministerium und die Zivilschutzbehörde des Präsidenten des Ministerrats, eine Praxis eingeführt hat, die seit langer Zeit besteht und der noch immer gefolgt wird und nach der die öffentlichen Aufträge für den Erwerb von Hubschraubern des Fabrikats „Agusta“ und „Agusta Bell“ an die Firma „Agusta“ direkt, ohne jedes Ausschreibungsverfahren und vor allem ohne Beachtung der in den genannten Richtlinien vorgesehenen Verfahren vergeben werden, um den Bedarf der militärischen Korps der Feuerwehr, der Carabinieri, des staatlichen Forstkorps, der Küstenwacht, der Guardia di Finanza und der Staatspolizei sowie der Zivilschutzbehörde zu befriedigen;

    2.      der Italienischen Republik die Kosten aufzuerlegen.


    1 – Originalsprache: Englisch.


    2 – Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl. L 199, S. 1).


    3 – Richtlinie 77/62/EWG des Rates vom 21. Dezember 1976 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl. L 13, S. 1).


    4 – Richtlinie 80/767/EWG des Rates vom 22. Juli 1980 zur Anpassung und Ergänzung der Richtlinie 77/62/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge hinsichtlich bestimmter öffentlicher Auftraggeber (ABl. L 215, S. 1).


    5 – Richtlinie 88/295/EWG des Rates vom 22. März 1988 zur Änderung der Richtlinie 77/62/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge und zur Aufhebung einiger Bestimmungen der Richtlinie 80/767/EWG (ABl. L 127, S. 1).


    6 – Kommission/Italien (Slg. 2005, I‑9405).


    7 – i) Das erste, vom 5. April 2004, zur Übersendung einer Mitteilung des Legislativdienstes des Ministeriums für Gemeinschaftspolitik vom 2. April 2004, ii) das zweite, vom 13. Mai 2004, zur Übermittlung einer Mitteilung des Präsidenten des Ministerrats (Abteilung Gemeinschaftspolitik) vom 11. Mai 2004 und iii) das dritte, vom 27. Mai 2004, zur Weiterleitung einer Mitteilung des Präsidenten des Ministerrats (Abteilung Zivilschutz) vom 12. Mai 2004.


    8 – Die Kommission weist ferner darauf hin, dass nach ihren Informationen die italienische Regierung im Dezember 2003 unmittelbar im Wege eines Verhandlungsverfahrens weitere „Agusta“-Hubschrauber erworben habe, um den Bedarf der Guardia di Finanza, der Polizia di Stato, der Carabinieri und des Corpo Forestale zu decken; aus dem Datum der Anmeldung dieser Käufe beim italienischen Rechnungshof ergebe sich, dass Italien diese Aufträge nach Erhalt der mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht storniert habe.


    9 – Nämlich von den Richtlinien 93/36 und davor den Richtlinien 77/62, 80/767 und 88/295.


    10 – In Fn. 6 angeführt.


    11 – Vgl. u. a. Urteil vom 23. Oktober 1997, Kommission/Griechenland (C‑375/95, Slg. 1997, I‑5981, Randnr. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).


    12 – Vgl. zuletzt Urteil vom 26. April 2007, Kommission/Finnland (C‑195/04, Slg. 2007, I‑0000, Randnr. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil vom 10. November 2005, Kommission/Österreich (C‑29/04, Slg. 2005, I‑9705, Randnrn. 25 bis 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).


    13 – Die Kommission weist in ihrer Erwiderung zutreffend darauf hin, dass Italien in seiner Klagebeantwortung selbst erklärt hat, die Carabinieri, die Guardia di Finanza und die Guardia Costiera seien staatliche Korps mit militärischem Charakter. Die anderen Korps sind hingegen ziviler Natur.


    14 – Vgl. Urteil vom 18. November 1999 (C‑107/98, Slg. 1999, I‑8121).


    15 – Vgl. Urteil Teckal, in Fn. 14 angeführt, Randnr. 50, und zuletzt Urteil vom 19. April 2007, Asociación Nacional de Empresas Forestales (C‑295/05, Slg. 2007, I‑0000, Randnr. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).


    16 – Vgl. Urteil vom 11. Januar 2005, Stadt Halle (C‑26/03, Slg. 2005, I‑1, Randnrn. 49 f.).


    17 – Die Argumentation Italiens, das Urteil Stadt Halle sei nicht einschlägig, da es zeitlich vor dem Sachverhalt des vorliegenden Falles liege, greift meiner Meinung nach nicht, da in dem Urteil lediglich entschieden wurde, wie das Recht ab initio hätte ausgelegt werden müssen.


    18 – Entsprechend der Bestimmung in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 93/36. Dieser Betrag in SZR entspricht etwa 162 000 Euro in den Jahren 2002 und 2003.


    19 – Vgl. Urteil Teckal, in Fn. 14 angeführt, Randnr. 43, wo es heißt: „Die Richtlinie 93/36 ist nämlich nur in den Fällen unanwendbar, die in ihr selbst ausdrücklich und abschließend aufgeführt sind (vgl. zur Richtlinie 77/62 das Urteil vom 17. November 1993 in der Rechtssache C‑71/92, Kommission/Spanien, Slg. 1993, I‑5923, Randnr. 10).“ Bezüglich u. a. der Richtlinie 93/37/EWG vgl. Urteil vom 17. September 1998, Kommission/Belgien (C‑323/96, Slg. 1998, I‑5063, Randnr. 34).


    20 – Vgl. Urteil vom 10. März 1987, Kommission/Italien (199/85, Slg. 1987, 1039, Randnr. 14).


    21 – Urteil vom 13. Januar 2005, Kommission/Spanien (C-84/03, Slg. 2005, I-139, Randnrn. 48, 58 und Tenor sowie die dort zitierte Rechtsprechung).


    22 – Urteil Kommission/Italien, 199/85, in Fn. 20 angeführt, Randnr. 14. Vgl. zuletzt zur Richtlinie 93/38/EWG Urteil vom 2. Juni 2005, Kommission/Griechenland (C‑394/02, Slg. 2005, I‑4713, Randnr. 33).


    23 – Dass die militärische oder paramilitärische Nutzung der fraglichen Hubschrauber nur ein Eventualfall sei, stellt nach Ansicht Italiens deren „nicht zivilen“ Charakter nicht in Frage, da sich aus der Notwendigkeit, ihre Eignung für militärische Zwecke sicherzustellen, bestimmte Anforderungen an die Bestell‑ und Beschaffungsphase ergäben, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Geheimhaltung.


    24 – Urteil vom 17. Oktober 1995 (C‑83/94, Slg. 1995, I‑3231, Randnr. 35).


    25 – Urteil vom 30. September 2003, Fiocchi Munizioni (T‑26/01, Slg. 2003, II‑3951, Randnr. 58).


    26 – Urteile vom 11. März 2003, Dory (C‑186/01, Slg. 2003, I‑2479, Randnr. 31), vom 15. Mai 1986, Johnston (222/84, Slg. 1986, 1651, Randnr. 26), vom 26. Oktober 1999, Sirdar (C‑273/97, Slg. 1999, I‑7403, Randnr. 16), und vom 11. Januar 2000, Kreil (C‑285/98, Slg. 2000, I‑69, Randnr. 16).


    27 – Urteil vom 14. März 2000, Association Église de scientologie (C‑54/99, Slg. 2000, I‑1335, Randnr. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).


    28 – Urteil vom 16. September 1999, Kommission/Spanien (C‑414/97, Slg. 1999, I‑5585, Randnr. 22). Vgl. auch Urteil vom 4. Oktober 1991, Richardt und „Les Accessoires Scientifiques“ (C‑367/89, Slg. 1991, I‑4621, Randnrn. 20 f. und die dort angeführte Rechtsprechung).


    29 – Der Rat hat die Liste der Waren, auf die dieser Artikel Anwendung findet, am 15. April 1958 aufgestellt. Die Liste selbst wurde nie amtlich veröffentlicht oder geändert, ist aber öffentlich zugänglich. Vgl. Schriftliche Anfrage E‑1324/01 von Bart Staes (Verts/ALE) an den Rat: Artikel 296 Absatz 1 Buchstabe b) des EG-Vertrags (ABl. C 364 E vom 20. Dezember 2001, S. 85).


    30 – Im Urteil Kommission/Spanien, C‑414/97, in Fn. 28 angeführt, Randnr. 22, führte der Gerichtshof aus, dass „der Mitgliedstaat, der diese Ausnahmen [also u. a. Art. 30 EG und Art. 296 EG] in Anspruch nehmen möchte, nachweisen [muss], dass die betreffenden Befreiungen nicht die Grenzen der genannten Tatbestände überschreiten“.


    31 – Im Umkehrschluss ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Erzeugnisse, die auf der Liste stehen, aber nicht eigens für militärische Zwecke bestimmt sind, sehr wohl unter die Vergaberechtsvorschriften fallen.


    32 – Vgl. Urteil Fiocchi Munizioni, in Fn. 25 angeführt, Randnrn. 59 und 61.


    33 – Mit der Kommission halte ich es für angebracht, insoweit an die Schlussanträge von Generalanwalt Léger in der Rechtssache Spanien/Kommission (C‑349/97, Urteil vom 8. Mai 2003, Slg. 2003, I‑3851), Nrn. 249 bis 257, zu erinnern, in denen er zu dem Ergebnis kommt, dass Vertraulichkeitsbelange es nicht rechtfertigen könnten, einen öffentlichen Auftrag dem Wettbewerb zu entziehen. Im damaligen Fall war die Richtlinie 77/62 einschlägig, die durch die Richtlinie 93/36 aufgehoben wurde.

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