Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62002CC0387

    Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 14. Oktober 2004.
    Strafverfahren gegen Silvio Berlusconi (C-387/02), Sergio Adelchi (C-391/02) und Marcello Dell'Utri u. a. (C-403/02).
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunale di Milano (C-387/02 und C-403/02) und Corte d'appello di Lecce (C-391/02) - Italien.
    Gesellschaftsrecht - Artikel 5 EWG-Vertrag (später Artikel 5 EG-Vertrag, jetzt Artikel 10 EG) und 54 Absatz 3 Buchstabe g EWG-Vertrag (später Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g EG) - Erste Richtlinie 68/151/EWG, Vierte Richtlinie 78/660/EWG und Siebente Richtlinie 83/349/EWG - Jahresabschluss - Grundsatz der wahrheitsgetreuen Information - Maßregeln, die im Fall von wahrheitswidrigen Mitteilungen über Gesellschaften (Bilanzfälschung) vorgesehen sind - Artikel 6 der Ersten Richtlinie 68/151 - Erfordernis der Geeignetheit der Sanktionen bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht.
    Verbundene Rechtssachen C-387/02, C-391/02 und C-403/02.

    Sammlung der Rechtsprechung 2005 I-03565

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2004:624

    Schlußanträge des Generalanwalts

    Schlußanträge des Generalanwalts

    Inhaltsverzeichnis

    I – Einleitung

    II – Rechtlicher Rahmen

    A – Gemeinschaftsrecht

    1. Überblick

    2. Die einschlägigen Bestimmungen der Ersten Richtlinie

    3. Die einschlägigen Bestimmungen der Vierten Richtlinie

    4. Bestimmungen der Siebten Richtlinie

    B – Nationales Recht

    1. Frühere Rechtslage

    2. Neue Rechtslage

    3. Allgemeine strafrechtliche Bestimmungen

    III – Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    A – Allgemeines

    B – Rechtssache C-387/02, Silvio Berlusconi

    C – Rechtssache C-391/02, Sergio Adelchi

    D – Rechtssache C-403/02, Marcello Dell’Utri u. a.

    E – Verfahren vor dem Gerichtshof

    IV – Rechtliche Würdigung

    A – Zulässigkeit der Vorabentscheidungsersuchen

    1. Darstellung des tatsächlichen Rahmens

    2. Darstellung des rechtlichen Rahmens

    3. Entscheidungserheblichkeit

    4. Schlussfolgerung

    B – Inhaltliche Würdigung der Vorlagefragen

    1. Zum sachlichen Anwendungsbereich von Artikel 6 der Ersten Richtlinie

    2. Zur Angemessenheit von Sanktionen für falsche Gesellschaftsmitteilungen

    a) Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit und Abschreckung von Sanktionen

    b) Toleranzgrenzen

    c) Verjährungsfristen für die Strafverfolgung

    d) Abgestuftes Sanktionssystem und Strafantragserfordernisse

    e) Gesamtzusammenhang von Bestimmungen des Zivilrechts, des Strafrechts und des Verwaltungsstrafrechts

    C – Auswirkungen eines Verstoßes der mitgliedstaatlichen Vorschriften gegen die Richtlinien für die bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Strafverfahren

    1. Zur Verpflichtung nationaler Gerichte, den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts Geltung zu verschaffen

    2. Zu den Grenzen der Anwendung von Richtlinien im Strafverfahren

    a) In der Rechtsprechung entwickelte Grundsätze

    b) Erörterung der Grundsätze in Bezug auf den vorliegenden Fall

    3. Zur rückwirkenden Anwendung des milderen Strafgesetzes

    4. Schlussfolgerung

    V – Ergebnis

    I – Einleitung

    1. Bei zwei italienischen Gerichten, dem Tribunale di Milano und der Corte di Appello di Lecce (im Folgenden auch: die vorlegenden Gerichte), sind diverse Strafverfahren anhängig, in welchen den Angeklagten jeweils falsche Gesellschaftsmitteilungen (italienisch: false comunicazioni sociali ) vorgeworfen werden; umgangssprachlich werden entsprechende Vorgänge in der Regel auch als „Bilanzfälschung“ bezeichnet.

    2. Nach der Begehung dieser Taten und dem Beginn ihrer Verfolgung hat der italienische Gesetzgeber die einschlägigen Straftatbestände abgemildert und die Strafverfolgung gegenüber der bisherigen Rechtslage erschwert. Vor dem Hintergrund dieser Gesetzesänderung möchten die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen wissen, was unter angemessenen Sanktionen für falsche Gesellschaftsmitteilungen zu verstehen ist. Sie fragen auch, ob im Sinne der einschlägigen gesellschaftsrechtlichen Richtlinien die Veröffentlichung einer falschen Gesellschaftsmitteilung ihrer Nichtveröffentlichung gleichzustellen ist.

    3. Für den Fall, dass eine Regelung wie die Gesetzesänderung in Italien den einschlägigen gesellschaftsrechtlichen Richtlinien widersprechen sollte, ist außerdem zu klären, ob im Strafverfahren ein milderes späteres Strafgesetz trotz seiner Gemeinschaftsrechtswidrigkeit rückwirkend zugunsten des Angeklagten angewandt werden kann.

    II – Rechtlicher Rahmen

    A – Gemeinschaftsrecht

    1. Überblick

    4. Artikel 44 Absatz 1 EG enthält eine Rechtsgrundlage für den Erlass von Richtlinien zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit. Gemäß Absatz 2 Buchstabe g dieser Bestimmung ist es Aufgabe des Rates und der Kommission,

    „soweit erforderlich die Schutzbestimmungen [zu] koordinieren, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten“.

    5. Die Gemeinschaft hat mehrere gesellschaftsrechtliche Richtlinien erlassen. Von Bedeutung für den vorliegenden Fall sind insbesondere

    – die Erste Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten(2) (im Folgenden: Erste Richtlinie oder Richtlinie 68/151) und

    – die Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen(3) (im Folgenden: Vierte Richtlinie oder Richtlinie 78/660),

    die im Fall Italiens auf folgende Kapitalgesellschaften Anwendung finden: die società per azioni (Aktiengesellschaft, abgekürzt: SpA), die società in accomandita per azioni (Kommanditgesellschaft auf Aktien) und die società a responsabilità limitata (Gesellschaft mit beschränkter Haftung, abgekürzt: Srl)(4) .

    6. Daneben ist auf die Siebte Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages über den konsolidierten Abschluss(5) (im Folgenden: Siebte Richtlinie oder Richtlinie 83/349) hinzuweisen.(6)

    2. Die einschlägigen Bestimmungen der Ersten Richtlinie

    7. Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f der Ersten Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit sich die Pflicht zur Offenlegung von Urkunden der Gesellschaften mindestens auf die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung für jedes Geschäftsjahr erstreckt. Die Vorschrift kündigt auch an, dass der Rat innerhalb von zwei Jahren nach der Annahme der Ersten Richtlinie eine weitere Richtlinie erlassen wird, welche eine Koordinierung des Inhalts der Bilanzen und der Gewinn- und Verlustrechnungen vornimmt.

    8. In Artikel 3 Absätze 1 bis 3 der Ersten Richtlinie ist Folgendes vorgesehen:

    „(1) In jedem Mitgliedstaat wird entweder bei einem zentralen Register oder bei einem Handels- oder Gesellschaftsregister für jede der dort eingetragenen Gesellschaften eine Akte angelegt.

    (2) Alle Urkunden und Angaben, die nach Artikel 2 der Offenlegung unterliegen, sind in dieser Akte zu hinterlegen oder in das Register einzutragen; der Gegenstand der Eintragungen in das Register muss in jedem Fall aus der Akte ersichtlich sein.

    (3) Vollständige oder auszugsweise Abschriften der in Artikel 2 bezeichneten Urkunden oder Angaben sind auf schriftliches Verlangen zuzusenden. Die Gebühren für die Erteilung dieser Abschriften dürfen die Verwaltungskosten nicht übersteigen. …“

    9. Gemäß Artikel 6, erster Spiegelstrich, der Ersten Richtlinie drohen die Mitgliedstaaten „geeignete Maßregeln für den Fall an, dass die in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f vorgeschriebene Offenlegung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung unterbleibt“.

    3. Die einschlägigen Bestimmungen der Vierten Richtlinie

    10. Artikel 2 der Vierten Richtlinie lautet auszugsweise:

    „(1) Der Jahresabschluss besteht aus der Bilanz, der Gewinn- und Verlustrechnung und dem Anhang zum Jahresabschluss. Diese Unterlagen bilden eine Einheit.

    (2) Der Jahresabschluss ist klar und übersichtlich aufzustellen; er muss dieser Richtlinie entsprechen.

    (3) Der Jahresabschluss hat ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft zu vermitteln.

    (4) Reicht die Anwendung dieser Richtlinie nicht aus, um ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild im Sinne des Absatzes 3 zu vermitteln, so sind zusätzliche Angaben zu machen.

    (5) Ist in Ausnahmefällen die Anwendung einer Vorschrift dieser Richtlinie mit der in Absatz 3 vorgesehenen Verpflichtung unvereinbar, so muss von der betreffenden Vorschrift abgewichen werden, um sicherzustellen, dass ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild im Sinne des Absatzes 3 vermittelt wird. …“

    11. In Artikel 47 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Vierten Richtlinie ist Folgendes vorgesehen:

    „Der ordnungsgemäß gebilligte Jahresabschluss und der Lagebericht sowie der Bericht der mit der Abschlussprüfung beauftragten Person sind nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG vorgesehenen Verfahren offen zu legen.“

    12. Artikel 47 Absatz 1a der Vierten Richtlinie(7) lautet auszugsweise:

    „Der Mitgliedstaat der [betroffenen Gesellschaft] kann diese Gesellschaft von der Pflicht, ihren Abschluss gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG zu veröffentlichen, mit der Maßgabe befreien, dass ihr Abschluss am Sitz der Gesellschaft zur Einsicht für jedermann bereitgehalten wird, sofern …

    Ausfertigungen des Abschlusses müssen auf Antrag erhältlich sein. Das dafür berechnete Entgelt darf die Verwaltungskosten nicht übersteigen. Geeignete Sanktionen sind für den Fall vorzusehen, dass die in diesem Absatz vorgesehene Offenlegung nicht erfolgt.“

    13. Gemäß Artikel 51 Absatz 1 der Vierten Richtlinie sind die Gesellschaften verpflichtet, ihren Jahresabschluss durch eine oder mehrere Personen prüfen zu lassen, die nach einzelstaatlichem Recht zur Prüfung des Jahresabschlusses zugelassen sind.

    4. Bestimmungen der Siebten Richtlinie

    14. Artikel 16 der Siebten Richtlinie enthält für konsolidierte Abschlüsse von Unternehmensgruppen Vorschriften, die im Wesentlichen jenen von Artikel 2 der Vierten Richtlinie entsprechen; insbesondere hat der konsolidierte Abschluss ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesamtheit der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen zu vermitteln. Artikel 37 der Siebten Richtlinie entspricht Artikel 51 der Vierten Richtlinie und sieht eine Prüfungspflicht für konsolidierte Abschlüsse vor. In Artikel 38 Absatz 1 der Siebten Richtlinie wird hinsichtlich der Offenlegung konsolidierter Abschlüsse in gleicher Weise auf Artikel 3 der Ersten Richtlinie verwiesen, wie dies schon in der Vierten Richtlinie (Artikel 47 Absatz 1 Unterabsatz 1) für den Bereich der Jahresabschlüsse geschieht. Außerdem verpflichtet Artikel 38 Absatz 6 der Siebten Richtlinie die Mitgliedstaaten, geeignete Sanktionen für den Fall vorzusehen, dass eine solche Offenlegung nicht erfolgt.

    B – Nationales Recht

    15. Die hier interessierenden Bestimmungen des italienischen Rechts wurden durch das Decreto legislativo(8) Nr. 61 des Präsidenten der Republik vom 11. April 2002, in Kraft getreten am 16. April 2002 (im Folgenden: Decreto legislativo 61/02)(9), wesentlich geändert. Im Folgenden wird deshalb zunächst die frühere und sodann die neue, zurzeit geltende Rechtslage dargestellt.

    1. Frühere Rechtslage

    16. Nach früherer Rechtslage waren falsche Gesellschaftsmitteilungen in Italien gemäß Artikel 2621 des Codice Civile(10) (im Folgenden: Artikel 2621 a.F. des Codice Civile) mit Strafe bedroht. Diese Vorschrift lautete wie folgt:

    „Falls die Tat nicht eine schwerere strafbare Handlung darstellt, werden mit Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren und mit Geldstrafe von zwei Millionen bis zwanzig Millionen Lire bestraft:

    1. die Gründer, Gründungsgesellschafter, Verwalter, Generaldirektoren, Aufsichtsratsmitglieder und Liquidatoren, die in den Berichten, Jahresabschlüssen oder sonstigen Mitteilungen der Gesellschaft in betrügerischer Absicht wahrheitswidrige Tatsachen über die Verfassung oder über die Vermögenslage der Gesellschaft verbreiten oder hierauf bezogene Tatsachen ganz oder teilweise verschleiern; …“

    17. In seiner damaligen Fassung war Artikel 2621 des Codice Civile ein von Amts wegen zu verfolgendes Verbrechen ( delitto ), für welches eine Verjährungsfrist von zehn Jahren galt. Im Falle der Unterbrechung konnten weitere fünf Jahre hinzukommen.(11)

    18. Nach der italienischen Rechtsprechung diente Artikel 2621 des Codice Civile nicht nur dem Schutz der spezifischen Interessen von Gesellschaftern und Gläubigern, sondern auch dem Schutz des Allgemeininteresses an der Regelung der Funktionsweise der Handelsgesellschaften. Der Schutzzweck der Vorschrift erstreckte sich auf jede Tätigkeit, die darauf gerichtet war, die objektive Lage einer Gesellschaft zu verändern(12) .

    19. Als erschwerender Umstand wurde es nach früherer Rechtslage gewertet,  wenn durch falsche Gesellschaftsmitteilungen im Sinne von Artikel 2621 a.F. für das Unternehmen ein Schaden von erheblichem Ausmaß eintrat; dann erhöhte sich die Strafe gemäß Artikel 2640 des Codice Civile (im Folgenden: Artikel 2640 a.F. des Codice Civile) um bis zu die Hälfte.

    2. Neue Rechtslage

    20. Mit dem Decreto legislativo 61/02 wurde u. a. Artikel 2621 a.F. des Codice Civile durch die beiden folgenden Vorschriften ersetzt:

    „ Artikel 2621 (Wahrheitswidrige Mitteilungen über die Gesellschaft)

    Soweit nicht in Artikel 2622 etwas anderes bestimmt ist, werden Verwalter, Generaldirektoren, Aufsichtsratsmitglieder und Liquidatoren, die in der Absicht, die Gesellschafter oder die Öffentlichkeit zu täuschen, und mit dem Ziel, für sich oder für andere einen unberechtigten Gewinn zu erzielen, in den Jahresabschlüssen, in den Berichten oder in sonstigen gesetzlich vorgesehenen, an die Gesellschafter oder an die Öffentlichkeit gerichteten Mitteilungen der Gesellschaft nicht der Wahrheit entsprechende Tatsachen verbreiten, auch wenn diese Gegenstand von Wertungen sind, oder aber Informationen, deren Übermittlung gesetzlich vorgeschrieben ist, über die Wirtschafts-, Vermögens- oder Finanzlage der Gesellschaft oder der Unternehmensgruppe, der diese angehört, in einer Weise unterlassen, die geeignet ist, bei den Adressaten falsche Vorstellungen über diese Lage hervorzurufen, mit Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr und sechs Monaten bestraft.

    Die Strafbarkeit erstreckt sich auch auf den Fall, dass die Informationen Vermögensgegenstände betreffen, die die Gesellschaft für die Rechnung Dritter in Besitz hat oder verwaltet.

    Die Strafbarkeit ist ausgeschlossen, wenn die wahrheitswidrigen Angaben oder die Unterlassungen die Darstellung der Wirtschafts-, Vermögens- oder Finanzlage der Gesellschaft oder der Unternehmensgruppe, der diese angehört, nicht erheblich verfälschen. Die Strafbarkeit ist auf jeden Fall ausgeschlossen, wenn die wahrheitswidrigen Angaben oder die Unterlassungen zu einer Änderung des wirtschaftlichen Ergebnisses des Geschäftsjahres vor Steuern um nicht mehr als 5 % oder zu einer Änderung des Nettovermögens um nicht mehr als 1 % führen.

    In jedem Fall ist die Tat nicht strafbar, wenn sie die Folge von Schätzungen ist, die, einzeln betrachtet, um nicht mehr als 10 % von der richtigen Bewertung abweichen.

    Artikel 2622 (Wahrheitswidrige Mitteilungen über die Gesellschaft zum Nachteil der Gesellschafter und der Gläubiger)

    Verwalter, Generaldirektoren, Aufsichtsratsmitglieder und Liquidatoren, die in der Absicht, die Gesellschafter oder die Öffentlichkeit zu täuschen, und mit dem Ziel, für sich oder für andere einen unberechtigten Gewinn zu erzielen, in den Jahresabschlüssen, in den Berichten oder in sonstigen gesetzlich vorgesehenen, an die Gesellschafter oder an die Öffentlichkeit gerichteten Mitteilungen der Gesellschaft nicht der Wahrheit entsprechende Tatsachen verbreiten, auch wenn diese Gegenstand von Wertungen sind, oder aber Informationen, deren Übermittlung gesetzlich vorgeschrieben ist, über die Wirtschafts-, Vermögens- oder Finanzlage der Gesellschaft oder der Unternehmensgruppe, der diese angehört, in einer Weise unterlassen, die geeignet ist, bei den Adressaten falsche Vorstellungen über diese Lage hervorzurufen, und dadurch einen Vermögensschaden für die Gesellschafter oder die Gläubiger verursachen, werden auf Strafantrag des Verletzten mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu drei Jahren bestraft.

    Ebenfalls auf Strafantrag wird das Verfahren eingeleitet, wenn die Tat einen anderen, sogar schwereren Straftatbestand zum Nachteil des Vermögens anderer Personen als der Gesellschafter und der Gläubiger erfüllt, es sei denn, sie ist zum Nachteil des Staates, anderer öffentlicher Einrichtungen oder der Europäischen Gemeinschaften begangen worden.

    Handelt es sich um Gesellschaften, für die die Bestimmungen des Teils IV Titel III Abschnitt II des Decreto legislativo Nr. 58 vom 24. Februar 1998 gelten, ist die Strafe für die in Absatz 1 geregelten Taten ein Jahr bis vier Jahre und das Verbrechen wird von Amts wegen verfolgt.

    Die Strafbarkeit der in den Absätzen 1 und 3 geregelten Taten erstreckt sich auch auf den Fall, dass die Informationen Vermögensgegenstände betreffen, die die Gesellschaft für die Rechnung Dritter in Besitz hat oder verwaltet.

    Die Strafbarkeit der in den Absätzen 1 und 3 geregelten Taten ist ausgeschlossen, wenn die wahrheitswidrigen Angaben oder die Unterlassungen die Darstellung der Wirtschafts-, Vermögens- oder Finanzlage der Gesellschaft oder der Unternehmensgruppe, der diese angehört, nicht erheblich verfälschen. Die Strafbarkeit ist auf jeden Fall ausgeschlossen, wenn die wahrheitswidrigen Angaben oder die Unterlassungen zu einer Änderung des wirtschaftlichen Ergebnisses des Geschäftsjahres vor Steuern um nicht mehr als 5 % oder zu einer Änderung des Nettovermögens um nicht mehr als 1 % führen.

    In jedem Fall ist die Tat nicht strafbar, wenn sie die Folge von Schätzungen ist, die, einzeln betrachtet, um nicht mehr als 10 % von der richtigen Bewertung abweichen.“

    21. Artikel 2621 n.F. kann als Auffangtatbestand gegenüber Artikel 2622 n.F. des Codice Civile angesehen werden(13) . Aufgrund des im Vergleich zur früheren Rechtslage geringeren Strafmaßes handelt es sich bei Artikel 2621 n.F. nur noch um ein Vergehen ( contravvenzione ); die entsprechend kürzere Verjährungsfrist für diese Straftat beträgt nunmehr drei Jahre; im Falle der Unterbrechung dieser Frist tritt Verjährung insgesamt spätestens nach vier Jahren und sechs Monaten ein.

    22. Hinsichtlich des neu eingeführten Strafantragserfordernisses in Artikel 2622 n.F., Absatz 1, des Codice Civile sieht Artikel 5 des Decreto legislativo 61/02 eine Übergangsregelung vor. Danach beginnt die Frist zur Stellung von Strafanträgen für Taten, die vor dem Inkrafttreten des Decreto legislativo 61/02 begangen wurden, mit dessen Inkrafttreten zu laufen.

    23. Artikel 2630 des Codice Civile in der Fassung des Decreto legislativo 61/02 (im Folgenden: Artikel 2630 n.F. des Codice Civile) droht Geldbußen von 206 Euro bis 2 065 Euro für die nicht fristgemäße Vorlage gesetzlich vorgeschriebener Gesellschaftsmitteilungen an. Die Geldbuße erhöht sich um ein Drittel, wenn Bilanzen nicht vorgelegt werden.

    24. Darüber hinaus ist auf eine neue Bußgeldvorschrift für Gesellschaften hinzuweisen, welche ebenfalls durch das Decreto legislativo 61/02 geschaffen wurde. Sie wurde allerdings nicht in den Codice Civile, sondern als Artikel 25ter in das Decreto legislativo Nr. 231 vom 8. Juni 2001(14) eingefügt (im Folgenden: Decreto legislativo 231/01) und regelt die „administrative Verantwortlichkeit von Gesellschaften“(15) wie folgt:

    „1. Für im Codice Civile geregelte Straftaten im Bereich der Gesellschaften gelten, wenn sie im Interesse der Gesellschaft von Verwaltern, Generaldirektoren oder Liquidatoren oder von unter deren Aufsicht stehenden Personen begangen worden sind, sofern die Tat nicht ausgeführt worden wäre, wenn diese die Aufsicht im Einklang mit den mit ihrer Stellung verbundenen Verpflichtungen ausgeübt hätten, folgende Geldbußen:

    a) für den Vergehenstatbestand der wahrheitswidrigen Mitteilungen über die Gesellschaft gemäß Artikel 2621 des Codice Civile eine Geldbuße in Höhe von hundert bis einhundertfünfzig Einheiten;

    b) für den Verbrechenstatbestand der wahrheitswidrigen Mitteilungen über die Gesellschaft zum Nachteil der Gesellschafter oder der Gläubiger gemäß Artikel 2622 Absatz 1 des Codice Civile eine Geldbuße in Höhe von einhundertfünfzig bis dreihundertdreißig Einheiten;

    c) für den Verbrechenstatbestand der wahrheitswidrigen Mitteilungen über die Gesellschaft zum Nachteil der Gesellschafter oder der Gläubiger gemäß Artikel 2622 Absatz 3 des Codice Civile eine Geldbuße in Höhe von zweihundert bis vierhundert Einheiten;

    3. Hat die Körperschaft in Folge der Begehung der in Absatz 1 genannten Straftaten einen Gewinn von erheblichem Umfang erzielt, so wird die Geldbuße um ein Drittel erhöht.“

    3. Allgemeine strafrechtliche Bestimmungen

    25. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen ist in Artikel 25 Absatz 2 der italienischen Verfassung und in Artikel 2 Absatz 1 des Codice Penale(16) niedergelegt.

    26. Für den Fall der Divergenz zwischen dem zum Tatzeitpunkt anwendbaren Strafgesetz und einem späteren Strafgesetz sieht Artikel 2 Absatz 3 des Codice Penale vor, dass stets jenes Gesetz anzuwenden ist, dessen Bestimmungen für den Beschuldigten die günstigsten sind, es sei denn, es existiert bereits ein rechtskräftiges Urteil.

    27. Hinsichtlich der Verjährungsvorschriften für die Strafverfolgung sieht das italienische Recht insbesondere Folgendes vor: Gemäß Artikel 157 des Codice Penale bringt die Verjährung die strafbare Handlung u. a. in folgenden Zeiträumen zum Erlöschen:

    – in zehn Jahren, wenn es sich um ein Verbrechen handelt, für das das Gesetz Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren androht;

    – in fünf Jahren, wenn es sich um ein Verbrechen handelt, für das das Gesetz Freiheitsstrafe unter fünf Jahren oder Geldstrafe androht;

    – in drei Jahren, wenn es sich um ein Vergehen handelt, für das das Gesetz Freiheitsstrafe androht.

    Artikel 160 Absatz 3 des Codice Penale sieht vor, dass die Verjährung im Falle ihrer Unterbrechung mit dem Tag der Unterbrechung neu zu laufen beginnt. Liegen mehrere unterbrechende Handlungen vor, so läuft die Verjährung ab der letzten dieser Handlungen; jedoch dürfen in keinem Fall die in Artikel 157 bestimmten Fristen um mehr als die Hälfte verlängert werden.

    III – Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    A – Allgemeines

    28. Den Angeklagten der drei Ausgangsverfahren werden jeweils falsche Gesellschaftsmitteilungen zur Last gelegt, wobei alle Taten vor dem Inkrafttreten des Decreto legislativo 61/02 begangen und diesbezüglich Strafverfahren eingeleitet wurden, also zu einem Zeitpunkt, als in Italien noch Artikel 2621 a.F. des Codice Civile Geltung hatte.

    29. Jeweils während der Strafverfahren trat das Decreto legislativo 61/02 in Kraft. Die Angeklagten berufen sich deshalb nunmehr auf die Anwendbarkeit der Artikel 2621 n.F. und 2622 n.F. des Codice Civile, was nach Angaben der vorlegenden Gerichte zur Folge hätte, dass sie jeweils straffrei ausgingen.

    30. Die vorlegenden Gerichte heben im Wesentlichen folgende Aspekte der neuen Rechtslage hervor:

    31. Sowohl in Artikel 2621 n.F. als auch in Artikel 2622 n.F. des Codice Civile sei das Strafmaß für falsche Gesellschaftsmitteilungen gegenüber der bisherigen Rechtslage deutlich gesenkt worden. Zu Artikel 2621 n.F. des Codice Civile führt beispielsweise das Tribunale di Milano im Verfahren C-403/02 aus, dass „strafrechtliche Vergehen mit in quantitativer Hinsicht lächerlichen Strafen geahndet“ werden und die angedrohten Strafen „fast immer unter zwei Jahren Freiheitsentzug liegen, so dass sie zur Bewährung ausgesetzt werden können“.

    32. Ein Vergleich zwischen den Artikeln 2621 n.F. und 2622 n.F. des Codice Civile zeige, dass die gesetzliche Neuregelung danach differenziere, ob falsche Gesellschaftsmitteilungen zum Schaden von Gesellschaftern bzw. Gläubigern gemacht wurden oder nicht. Nur wenn ein solcher Schaden eintrete, sei die Tat noch als Verbrechen eingestuft (Artikel 2622 n.F. des Codice Civile), andernfalls lediglich als Vergehen (Artikel 2621 n.F. des Codice Civile).

    33. Die Einstufung einer Tat als Verbrechen oder Vergehen drücke sich nicht nur in einem unterschiedlichen Strafmaß aus, sondern habe auch sonst erhebliche praktische Auswirkungen. So setzten etwa Folgedelikte wie Geldwäsche oder Hehlerei ein Verbrechen als Anknüpfungspunkt voraus, im Zusammenhang mit bloßen Vergehen wie Artikel 2621 n.F. des Codice Civile könnten sie hingegen nicht verwirklicht werden.

    34. Des Weiteren setzten die beiden neuen Straftatbestände, neben der Täuschungsabsicht, als zusätzliches subjektives Tatbestandsmerkmal eine Art Bereicherungsabsicht voraus.

    35. Sowohl nach Artikel 2621 n.F. als auch nach Artikel 2622 n.F. des Codice Civile sei die Strafbarkeit ausgeschlossen, wenn durch die Tat nicht in erheblicher Weise die Darstellung der Ertrags-, der Vermögens- und der Finanzlage der Gesellschaft oder der Unternehmensgruppe verfälscht werde. Dies folge aus den in Artikel 2621 n.F., Absätze 3 und 4, sowie in Artikel 2622 n.F., Absätze 5 und 6, des Codice Civile vorgesehenen Toleranzgrenzen.

    36. Die Verjährungsfrist für die Strafverfolgung gemäß Artikel 2621 n.F. sei deutlich kürzer als nach alter Rechtslage. Da diese Frist bereits mit Begehung der Tat zu laufen beginne, könnten die – häufig aufwändigen und langwierigen – Ermittlungen und das gerichtliche Verfahren, welches sich regelmäßig über drei Instanzen erstrecke, im Normalfall nicht vor Eintritt der Verjährung abgeschlossen werden.

    37. Die Strafverfolgung nach Artikel 2622 n.F. des Codice Civile setze einen Strafantrag des Geschädigten voraus, es sei denn, es handle sich um ein börsennotiertes Unternehmen, oder die Tat werde zum Nachteil des Staates, anderer öffentlicher Einrichtungen oder der Europäischen Gemeinschaften begangen(17) .

    38. Die in den Ausgangsverfahren zuständigen Staatsanwaltschaften halten die jetzt geltende neue Rechtslage angesichts ihrer geschilderten Eigenheiten für verfassungs- und gemeinschaftsrechtswidrig.

    B – Rechtssache C-387/02, Silvio Berlusconi

    39. Dem Angeklagten Silvio Berlusconi wird für die Jahre 1986 bis 1989 als Präsident bzw. Hauptaktionär der Fininvest SpA und anderer zur gleichen Gruppe gehörender Unternehmen die Veröffentlichung falscher Gesellschaftsmitteilungen zur Last gelegt. Laut Anklagevorwurf sind die zugrunde liegenden Handlungen dazu bestimmt gewesen, Finanztransaktionen zu verschleiern und außerhalb der Unternehmensbuchhaltung Liquiditätsreserven(18) aufzubauen, welche sodann für geheime und illegale Zwecke eingesetzt werden sollten. Die Taten wurden nach Artikel 2621 a.F. des Codice Civile angeklagt(19) .

    40. Nach Inkrafttreten des Decreto legislativo 61/02 wäre nunmehr lediglich Artikel 2621 n.F. des Codice Civile anwendbar. Dann wäre die Straftat aber bereits verjährt. Die Verjährung wäre sogar schon weit vor der Einleitung der Strafverfolgung eingetreten gewesen. Eine Anwendung von Artikel 2622 n.F. des Codice Civile käme nicht in Betracht, da kein gültiger Strafantrag gestellt wurde und die betreffenden Unternehmen zum Tatzeitpunkt auch nicht börsennotiert waren, so dass eine Verfolgung von Amts wegen ebenfalls ausscheidet.

    41. Mit Beschluss vom 26. Oktober 2002 hat das Tribunale di Milano, vor dessen erster Strafkammer Herr Berlusconi und andere Personen angeklagt sind, sein Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die wie folgt zusammengefasst werden können(20) :

    1) Ist davon auszugehen, dass Artikel 6 der Richtlinie 68/151 nicht nur den Fall betrifft, dass eine Bilanz sowie eine Gewinn- und Verlustrechnung nicht veröffentlicht worden sind, sondern auch den, dass sie zwar veröffentlicht worden sind, aber falsche Angaben enthalten, da in diesem Fall die Interessen der Gesellschafter oder Dritter eindeutig mehr beeinträchtigt werden? Oder soll mit der Richtlinie nur ein Mindestmaß an gemeinschaftsrechtlichem Schutz geschaffen werden und wird damit den Mitgliedstaaten die Aufgabe überlassen, Schutzmaßnahmen für den Fall vorzusehen, dass falsche Bilanzen oder Gesellschaftsmitteilungen vorgelegt werden?

    2) Beziehen sich die Kriterien der Wirksamkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Abschreckung, denen die von den Mitgliedstaaten zu erlassenden Maßregeln genügen müssen, um „geeignet“ zu sein, abstrakt auf die Natur oder die Art der Sanktion oder auf deren konkrete Anwendung unter Berücksichtigung der Strukturmerkmale der Rechtsordnung, deren Bestandteil sie ist?

    3) Verwehren die Grundsätze, die in den Richtlinien 78/660, 83/349 sowie 90/605 niedergelegt sind und nach denen sich die nationalen Bestimmungen über die Erstellung und den Inhalt von Jahresabschlüssen und Lageberichten richten müssen, insbesondere hinsichtlich der Kapitalgesellschaften, den Mitgliedstaaten die Festsetzung von Schwellenwerten, unterhalb deren Darstellungen in den Jahresabschlüssen und Lageberichten von Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die kein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermitteln, nicht strafbar sind?

    C – Rechtssache C-391/02, Sergio Adelchi

    42. Der Angeklagte Sergio Adelchi wurde am 9. Januar 2001 in erster Instanz vom Tribunale di Lecce auf der Grundlage von Artikel 2621 a.F. des Codice Civile wegen falscher Gesellschaftsmitteilungen in den Jahren 1992 und 1993 für die Gesellschaften La Nuova Adelchi Srl und Calzaturificio Adelchi Srl verurteilt. Herr Adelchi war der einzige Geschäftsführer dieser Gesellschaften. Deren Bilanzen seien unweigerlich falsch, weil falsche Rechnungen ausgestellt worden seien und fiktive Ein- und Ausfuhren über die Zollgrenzen der Gemeinschaft hinweg deklariert worden seien; diese Vorgänge hätten die Höhe der Kosten und die Umsatzzahlen der beiden Gesellschaften verfälscht.

    43. Gegen das erstinstanzliche Strafurteil hat der Angeklagte Adelchi Berufung zur Corte di Appello di Lecce eingelegt. Nach Inkrafttreten des Decreto legislativo 61/02 wäre nunmehr allenfalls Artikel 2621 n.F. des Codice Civile anwendbar. Insoweit beruft sich der Angeklagte Adelchi auf die eingetretene Verjährung und macht außerdem geltend, dass die Ertrags-, Vermögens- und Finanzlage der von ihm geführten Gesellschaften nicht in erheblicher Weise verfälscht worden sei(21) . Eine Anwendung von Artikel 2622 n.F. des Codice Civile kommt von vornherein nicht in Betracht, da kein gültiger Strafantrag gestellt wurde und die betreffenden Unternehmen auch nicht börsennotiert sind, so dass eine Verfolgung von Amts wegen ebenfalls ausscheidet.

    44. Mit Beschluss vom 7. Oktober 2002 hat die Corte di Appello di Lecce, sezione penale, ihr Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1) Sind im Hinblick auf die Verpflichtung der einzelnen Mitgliedstaaten, „geeignete Maßregeln“ für die nach den Richtlinien 68/151 und 78/660 vorgesehenen Verstöße zu erlassen, diese Richtlinien und insbesondere  Artikel 44 [Absatz 2] Buchstabe g EG in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f und Artikel 6 der Richtlinie 68/151 und Artikel 2 Absätze 2, 3 und 4 der Richtlinie 78/660 (in der Fassung der Richtlinien 83/349 und 90/605) dahin auszulegen, dass diese Vorschriften einem Gesetz eines Mitgliedstaats entgegenstehen, das, indem es die bereits auf dem Gebiet der Gesellschaftsstraftaten bestehende Sanktionsregelung ändert, gegenüber dem Verstoß gegen die für den Schutz des Grundsatzes der öffentlichen und wahrheitsgetreuen Information der Gesellschaften auferlegten Pflichten ein Maßregelsystem vorsieht, das konkret nicht den Kriterien der Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit und Abschreckung der für diesen Schutz aufgestellten Sanktionen entspricht?

    2) Sind die genannten Richtlinien und insbesondere Artikel 44 [Absatz 2] Buchstabe g EG, Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f und Artikel 6 der Richtlinie 68/151 und Artikel 2 Absätze 2, 3 und 4 der Richtlinie 78/660 (in der Fassung der Richtlinien 83/349 und 90/605) dahin auszulegen, dass sie einem Gesetz eines Mitgliedstaats entgegenstehen, das die Strafbarkeit des Verstoßes gegen die Pflichten der Offenlegung und wahrheitsgetreuen Information in Bezug auf bestimmte Gesellschaftshandlungen (darunter die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung) ausschließt, wenn die falsche Gesellschaftsmitteilung oder die unterbliebene Information keine Veränderung des wirtschaftlichen Ergebnisses des Geschäftsjahres und keine Veränderung des Nettovermögens der Gesellschaft über einen bestimmten Prozentsatz hinaus bedeuten?

    3) Sind die genannten Richtlinien und insbesondere die Artikel 44 [Absatz 2] Buchstabe g EG, Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f und Artikel 6 der Richtlinie 68/151 und Artikel 2 Absätze 2, 3 und 4 der Richtlinie 78/660 (in der Fassung der Richtlinien 83/349 und 90/605) dahin auszulegen, dass sie einem Gesetz eines Mitgliedstaats entgegenstehen, das die Strafbarkeit des Verstoßes gegen die der Gesellschaft obliegenden Pflichten der Offenlegung und wahrheitsgetreuen Information ausschließt, wenn Angaben gemacht werden, die zwar darauf gerichtet sind, die Gesellschafter und die Öffentlichkeit zur Erlangung eines unberechtigten Gewinns zu täuschen, aber Folge von geschätzten Bewertungen sind, die einzeln betrachtet, in einem nicht einen bestimmten Schwellenwert überschreitenden Ausmaß abweichen?

    4) Sind die genannten Richtlinien und insbesondere die Artikel 44 [Absatz 2] Buchstabe g EG, Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f und Artikel 6 der Richtlinie 68/151 und Artikel 2 Absätze 2, 3 und 4 der Richtlinie 78/660 (in der Fassung der Richtlinien 83/349 und 90/605) unabhängig von progressiven Grenzen und Schwellenwerten dahin auszulegen, dass sie einem Gesetz eines Mitgliedstaats entgegenstehen, das die Strafbarkeit des Verstoßes gegen die den Gesellschaften obliegenden Pflichten der Offenlegung und wahrheitsgetreuen Information ausschließt, wenn die falschen Angaben oder betrügerischen Unterlassungen und jedenfalls die Mitteilungen und Informationen, die die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend vermitteln, die Vermögens- oder Ertragslage der Unternehmensgruppe nicht „in erheblicher Weise“ verändern (auch wenn es dem nationalen Gesetzgeber überlassen ist, den Begriff der „ erheblichen Veränderung “ festzulegen)?

    5) Sind die genannten Richtlinien und insbesondere die Artikel 44 [Absatz 2] Buchstabe g EG, Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f und Artikel 6 der Richtlinie 68/151 und Artikel 2 Absätze 2, 3 und 4 der Richtlinie 78/660 (in der Fassung der Richtlinien 83/349 und 90/605) dahin auszulegen, dass sie einem Gesetz eines Mitgliedstaats entgegenstehen, das gegenüber der Verletzung der der Gesellschaft obliegenden Pflichten der Offenlegung und wahrheitsgetreuen Information, die zum Schutz der „ Interessen sowohl der Gesellschafter als auch Dritter“ aufgestellt sind, nur für die Gesellschafter und die Gläubiger das Recht vorsieht, die Maßregel zu beantragen, und folglich einen allgemeinen effektiven Schutz Dritter ausschließt?

    6) Sind die genannten Richtlinien und insbesondere die Artikel 44 [Absatz 2] Buchstabe g EG, Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f und Artikel 6 der Richtlinie 68/151 und Artikel 2 Absätze 2, 3 und 4 der Richtlinie 78/660 (in der Fassung der Richtlinien 83/349 und 90/605) dahin auszulegen, dass sie einem Gesetz eines Mitgliedstaats entgegenstehen, das gegenüber der Verletzung der der Gesellschaft obliegenden Pflichten der Offenlegung und wahrheitsgetreuen Information, die zum Schutz der „Interessen sowohl der Gesellschafter als auch Dritter“ aufgestellt sind, einen besonders differenzierten Strafverfolgungsmechanismus und eine besonders differenzierte Sanktionsregelung vorsieht und die Strafbarkeit auf Antrag sowie stärkere und effektivere Maßregeln ausschließlich für die Verstöße zum Nachteil der Gesellschafter und der Gläubiger vorbehält?

    D – Rechtssache C-403/02, Marcello Dell’Utri u. a.

    45. Den Angeklagten Marcello Dell’Utri, Romano Luzi und Romano Comincioli werden u. a. Bilanzfälschungen aus der Zeit bis 1993 vorgeworfen(22) . Bei ihrer Begehung waren diese Taten gemäß den Artikeln 2621 a.F. und 2640 a.F. des Codice Civile mit Strafe bedroht. Seit dem Inkrafttreten des Decreto legislativo 61/02 fallen sie in den Anwendungsbereich von Artikel 2622 n.F. des Codice Civile.

    46. Mit Beschluss vom 29. Oktober 2002 hat das Tribunale di Milano, vierte Strafkammer, sein Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1) Ist Artikel 6 der Richtlinie 68/151 dahin auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten nicht nur verpflichtet, geeignete Maßregeln für den Fall der unterbliebenen Offenlegung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung von Handelsgesellschaften festzulegen, sondern auch für den Fall ihrer Fälschung sowie der unrichtigen Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft gegenüber den Gesellschaften oder der Öffentlichkeit oder anderer unrichtiger Informationen über die Wirtschafts-, Vermögens- oder Finanzsituation, die entweder das Unternehmen selbst oder die Unternehmensgruppe, zu der es gehört, betreffen und zu deren Mitteilung das Unternehmen verpflichtet ist?

    2) Ist der Begriff der „Geeignetheit“ einer Maßregel insbesondere im Lichte von Artikel 5 EWG-Vertrag dahin auszulegen, dass die Maßregel anhand ihrer konkreten Ausprägung im Rechtssystem des Mitgliedstaates (also im Straf- oder Verfahrensrecht) zu beurteilen ist, dass sie also „geeignet, wirksam und tatsächlich abschreckend“ sein muss?

    3) Sind diese Voraussetzungen im Fall des Zusammenspiels von Artikel 2621 und Artikel 2622 des Codice Civile in der jeweils durch das vom italienischen Staat erlassene Decreto legislativo Nr. 61 vom 11. April 2002 geänderten Fassung erfüllt, und ist insbesondere die neu gefasste Bestimmung in Artikel 2621 Codice Civile als „ausreichend abschreckend“ und „konkret geeignet“ anzusehen, wenn dort für Bilanzfälschungen ohne Vermögensfolgeschaden oder mit Folgeschaden, sofern mangels Strafantrag eine Verfolgbarkeit nach dem neu gefassten Artikel 2622 des Codice Civile ausscheidet, eine Bestrafung als strafrechtliches Vergehen mit einer Höchststrafe von einem Jahr und sechs Monaten vorgesehen ist? Ist es schließlich auch im Hinblick auf den konkreten Schutz der im öffentlichen Interesse liegenden Transparenz des Unternehmensmarktes und seiner möglichen Ausdehnung auf Gemeinschaftsebene als geeignete Maßregel anzusehen, wenn für Straftaten nach dem neu gefassten Artikel 2622 Absatz 1 des Codice Civile (also im Zusammenhang mit nicht börsennotierten Unternehmen) die Verfolgbarkeit von einem Strafantrag der Geschädigten (also der Gesellschafter oder der Gläubiger) abhängt?

    E – Verfahren vor dem Gerichtshof

    47. Mit Beschluss vom 20. Januar 2003 hat der Präsident des Gerichtshofes die drei Rechtssachen C-387/02, C-391/02 und C-403/02 zu gemeinsamem schriftlichem und mündlichem Verfahren sowie zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.

    48. Die Angeklagten Berlusconi und Dell’Utri, die Procura Generale presso la Corte di Appello di Lecce(23), die italienische Regierung sowie die Kommission haben vor dem Gerichtshof schriftliche Erklärungen abgegeben. In der Verhandlung vom 13. Juli 2004 haben vor dem Gerichtshof die Vertreter der Angeklagten Berlusconi, Adelchi und Dell’Utri, der Procura della Repubblica presso il Tribunale ordinario di Milano(24), der Procura Generale presso la Corte di Appello di Lecce, der italienischen Regierung sowie der Kommission mündliche Erklärungen abgegeben.

    IV – Rechtliche Würdigung

    A – Zulässigkeit der Vorabentscheidungsersuchen

    49. Die Angeklagten Berlusconi und Dell’Utri sowie die italienische Regierung äußern Bedenken bezüglich der Zulässigkeit der Vorabentscheidungsersuchen.

    1. Darstellung des tatsächlichen Rahmens

    50. Der Angeklagte Dell’Utri ist zunächst der Auffassung, das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C-403/02 enthalte keinerlei Darstellung des tatsächlichen Rahmens zum Ausgangsverfahren und sei deshalb unzulässig.

    51. Ich teile diese Besorgnis nicht. Zwar hat sich das Tribunale di Milano darauf beschränkt, dem Gerichtshof mit äußerst knappen Worten mitzuteilen, dass den bei ihm angeklagten Personen u. a. Bilanzfälschungen aus der Zeit bis 1993 vorgeworfen würden, dass diese Taten ursprünglich nach den Artikeln 2621 a.F. und 2640 a.F. des Codice Civile strafbar gewesen seien und dass sie nunmehr unter Artikel 2622 n.F. des Codice Civile fielen. Diese Angaben sind jedoch für das Verständnis der dem Gerichtshof gestellten Vorlagefragen ausreichend.

    52. Bekanntlich hat sich der Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren nicht zur konkreten Auslegung und Anwendung des nationalen italienischen Strafrechts zu äußern. Insbesondere entscheidet er nicht in der Sache darüber, ob der Angeklagte Bilanzfälschungen begangen hat oder nicht. Deshalb ist es für den Gerichtshof nicht entscheidend, im Detail zu erfahren, welche Handlungen dem Angeklagten zum Vorwurf gemacht werden. Es genügt vielmehr die Mitteilung, dass bestimmte – nicht näher beschriebene – Handlungen zu einer Anklage wegen Bilanzfälschung geführt haben und hierüber ein Strafprozess anhängig ist.

    53. Die beiden Kernprobleme, mit denen sich der Gerichtshof im vorliegenden Fall zu befassen hat, nämlich einerseits die Frage, ob im Sinne der einschlägigen gesellschaftsrechtlichen Richtlinien(25) die Veröffentlichung einer falschen Gesellschaftsmitteilung ihrer Nichtveröffentlichung gleichzustellen ist, und andererseits die Frage, was unter angemessenen Sanktionen für falsche Gesellschaftsmitteilungen zu verstehen ist, lassen sich auch auf der Grundlage der vorgelegten summarischen Informationen sachdienlich beantworten.

    2. Darstellung des rechtlichen Rahmens

    54. Die Angeklagten Berlusconi und Dell’Utri meinen außerdem, dass in den Vorabentscheidungsersuchen in den Rechtssachen C-387/02 bzw. C-403/02 der nationale rechtliche Rahmen verkürzt wiedergegeben sei, weil sich dort praktisch nur Ausführungen zu den Artikeln 2621 a.F., 2621 n.F. und 2622 n.F. des Codice Civile fänden, nicht aber ein Gesamtbild der auf falsche Gesellschaftsmitteilungen anwendbaren und der zur Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien ergangenen italienischen Rechtsvorschriften.

    55. Ich teile auch diese Besorgnis nicht. Die ausreichende Darstellung des rechtlichen Rahmens soll es zum einen dem Gerichtshof erlauben, zu einer dem nationalen Gericht nützlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu gelangen, und zum anderen den Regierungen der Mitgliedstaaten sowie den anderen Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit geben, nach Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes Erklärungen einzureichen(26) . Mit Blick auf diese Zielrichtung ist zu ermitteln, ob die in einem Vorlagebeschluss gemachten Angaben ausreichend sind oder nicht.

    56. In beiden Vorabentscheidungsersuchen werden die wesentlichen Elemente der alten wie auch der neuen italienischen Rechtslage dargestellt und miteinander verglichen. Insbesondere haben die vorlegenden Gerichte hinreichend diejenigen Straftatbestände dargestellt, zu deren Anwendung sie in den anhängigen Strafverfahren berufen sind. Damit ist der vorliegende Fall keineswegs mit jenen Verfahren vergleichbar, in denen der Gerichtshof Vorlagefragen wegen eines weitgehenden Fehlens von Hinweisen zum tatsächlichen oder rechtlichen Rahmen für unzulässig erklärt hat(27) .

    57. Zutreffend ist zwar, dass die Vorlagebeschlüsse nicht noch zusätzlich auf alle sonstigen Vorschriften eingehen, die in Italien zur Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien erlassen worden sind. Auch werden etwa, wie die Kommission anmerkt, keine Ausführungen zur möglichen Nichtigerklärung von Gesellschaftsbeschlüssen(28) gemacht, ebenso wenig zur zivilrechtlichen Verantwortlichkeit der Geschäftsführer bei Bilanzfälschung. Das Fehlen solcher zusätzlichen Hinweise macht jedoch die Vorlagebeschlüsse keineswegs missverständlich oder gar unbrauchbar. Ergänzende Informationen wie diese sind als Grundlage für die Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens und für die Erklärungen der Verfahrensbeteiligten nicht unerlässlich. Im Übrigen können sie – wie geschehen – von derjenigen Partei, die sie für nützlich hält, mittels einer Stellungnahme gemäß Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes in das Vorabentscheidungsverfahren eingebracht werden.

    3. Entscheidungserheblichkeit

    58. Schließlich halten die Angeklagten Berlusconi und Dell’Utri sowie die italienische Regierung die Vorabentscheidungsersuchen auch deshalb für unzulässig, weil die gestellten Fragen für den jeweiligen Ausgangsrechtsstreit irrelevant seien. Wegen des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Strafen ( nullum crimen, nulla poena sine lege ) und des Prinzips der rückwirkenden Anwendung milderer Strafgesetze stehe von vornherein fest, dass die Anklagevorwürfe auf jeden Fall nach neuer Rechtslage, d. h. nach den Artikeln 2621 n.F. und 2622 n.F. des Codice Civile in der Fassung des Decreto legislativo 61/02, beurteilt werden müssten. Der zum Tatzeitpunkt geltende Straftatbestand, Artikel 2621 a.F. des Codice Civile, könne unter keinen Umständen Anwendung finden. Weder ein Urteil des Gerichtshofes im Vorabentscheidungsverfahren noch der von den vorlegenden Gerichten geplante Antrag auf Normenkontrolle zum italienischen Verfassungsgerichtshof (Corte costituzionale)(29) könne hieran etwas ändern. Somit erübrige sich eine Prüfung der Vereinbarkeit der neuen Rechtslage mit dem Gemeinschaftsrecht.

    59. Diese Meinung überzeugt aus folgenden Gründen nicht:

    60. Die Vorlagefragen in allen drei Rechtssachen stellen sich im Zusammenhang mit konkreten Strafverfahren. Der Fortgang dieser Strafverfahren hängt entscheidend davon ab, ob nationale Rechtsvorschriften wie die vom italienischen Gesetzgeber mit dem Decreto legislativo 61/02 eingeführten gegen die gesellschaftsrechtlichen Richtlinien verstoßen oder aber mit ihnen vereinbar sind. Unerheblich wäre diese Frage für den Fortgang der Ausgangsverfahren nur dann, wenn tatsächlich bereits von vornherein feststünde , dass Bestimmungen wie die Artikel 2621 n.F. und 2622 n.F. des Codice Civile als mildere Strafgesetze auf jeden Fall rückwirkend anzuwenden wären, und zwar selbst dann, wenn sie gemeinschaftsrechtswidrig sein sollten. Dem ist aber nicht so – im Gegenteil: Es versteht sich keineswegs von selbst, dass mildere Strafgesetze trotz ihrer Gemeinschaftsrechtswidrigkeit rückwirkend anwendbar sein sollen. Mindestens genauso gut denkbar ist vielmehr eine Lösung, nach der neue Straftatbestände, soweit sie gegen die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts verstoßen, unangewendet bleiben und statt dessen auf die früheren, zum Tatzeitpunkt geltenden Vorschriften zurückgegriffen wird(30) . Mit dieser Problematik hat sich der Gerichtshof noch nicht eingehend befasst.

    61. Auch spielt es für die Zulässigkeit der Vorlagefragen – entgegen der Meinung der Angeklagten und der italienischen Regierung – keine Rolle, ob die Antworten des Gerichtshofes später in einem Verfahren vor dem italienischen Verfassungsgerichtshof Verwendung finden können oder nicht. Die Erheblichkeit der Vorlagefragen ist nicht mit Blick auf ein etwaiges späteres Verfahren vor der Corte costituzionale, sondern allein mit Blick auf die derzeit bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Strafverfahren zu beurteilen. Diese Gerichte sind nämlich kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet, bereits aus eigener Entscheidungsbefugnis jede Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet zu lassen , soweit diese gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt. Der vorherigen Durchführung eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens bedarf es hierzu nicht(31) .

    62. Selbst wenn man aber unterstellen würde, dass die vorlegenden Gerichte ihre Fragen ausschließlich zur Vorbereitung späterer Normenkontrollverfahren vor der Corte costituzionale gestellt haben, müsste nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes zuallererst diesen drei nationalen Gerichten die Beurteilung der Erforderlichkeit ihrer Vorlagefragen überlassen werden. Denn nach ständiger Rechtsprechung ist es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen die vorgelegten Fragen die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, so ist der Gerichtshof daher grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden. Er kann die Entscheidung über eine Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur dann ablehnen, wenn die von diesem erbetene Auslegung oder Beurteilung der Gültigkeit einer Gemeinschaftsvorschrift offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die erforderlichen tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, um die ihm vorgelegten Fragen sachdienlich beantworten zu können(32) .

    63. Im vorliegenden Fall ist keinesfalls offensichtlich, dass den Vorlagefragen der Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand etwa vorzubereitender verfassungsgerichtlicher Verfahren fehlt oder dass die Vorlagefragen Probleme hypothetischer Natur zum Gegenstand haben. Zwar hat die Corte costituzionale kürzlich die Normenkontrollanträge dreier italienischer Gerichte in Bezug auf die Artikel 2621 n.F. und 2622 n.F. des Codice Civile für unzulässig erklärt(33) . Sie hat jedoch am selben Tag in einem anderen Normenkontrollverfahren die Prüfung der gemeinschaftsrechtlichen Aspekte , welche insbesondere im Zusammenhang mit Artikel 117 Absatz 1 der italienischen Verfassung(34) eine Rolle spielen können, ausdrücklich aufgeschoben, bis eine Entscheidung des Gerichtshofes im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren ergeht; dabei hat sie sogar unmittelbar auf die beim Gerichtshof anhängigen Rechtssachen C-387/02, C-391/02 und C-403/02 Bezug genommen(35) . Von mangelnder Erheblichkeit der dem Gerichtshof gestellten Vorlagefragen kann also, auch vor diesem Hintergrund, keine Rede sein.

    4. Schlussfolgerung

    64. Aus den genannten Gründen halte ich die drei Vorabentscheidungsersuchen für zulässig(36) .

    B – Inhaltliche Würdigung der Vorlagefragen

    65. Aus Gründen der Übersichtlichkeit bietet es sich an, die diversen Fragen der drei vorlegenden Gerichte nach ihrem wesentlichen Inhalt zu gruppieren und zwei großen Themenkomplexen zuzuordnen: einerseits der Frage nach dem sachlichen Anwendungsbereich des ersten Spiegelstrichs von Artikel 6 der Ersten Richtlinie und andererseits der Frage nach der Angemessenheit von Sanktionen für falsche Gesellschaftsmitteilungen in Jahresabschlüssen.

    66. Für konsolidierte Abschlüsse stellen sich dieselben Auslegungsprobleme in Bezug auf Artikel 38 Absatz 6 der Siebten Richtlinie; insoweit gelten die folgenden Ausführungen entsprechend.

    1. Zum sachlichen Anwendungsbereich von Artikel 6 der Ersten Richtlinie

    67. Zunächst möchten alle vorlegenden Gerichte im Wesentlichen wissen, ob Artikel 6, erster Spiegelstrich, der Ersten Richtlinie den Mitgliedstaaten geeignete Maßregeln nur für den Fall vorschreibt, dass Jahresabschlüsse(37) überhaupt nicht offen gelegt werden, oder darüber hinaus auch für den Fall gilt, dass inhaltlich falsche Jahresabschlüsse offen gelegt werden(38) .

    68. Seinem Wortlaut nach verpflichtet Artikel 6, erster Spiegelstrich, der Ersten Richtlinie die Mitgliedstaaten, geeignete Maßregeln für den Fall anzudrohen, dass die in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f dieser Richtlinie vorgeschriebene Offenlegung von Jahresabschlüssen unterbleibt (39) .

    69. Anders als die Kommission und die beiden Staatsanwaltschaften gehen die Angeklagten Berlusconi und Dell’Utri in Übereinstimmung mit der italienischen Regierung davon aus, dass angesichts dieses Wortlauts die Pflicht, geeignete Maßregeln vorzusehen, nur eine Mindestharmonisierung beinhaltet und sich nicht auch auf die Offenlegung falscher Jahresabschlüsse erstreckt. Die Erste Richtlinie sehe lediglich eine „formale Publizität“ vor. Eine inhaltliche Ausgestaltung erfahre diese Publizität erst durch die Vierte Richtlinie, welche aber gerade keine eigenständige, dem Artikel 6 der Ersten Richtlinie vergleichbare Vorschrift über Sanktionen kenne.

    70. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der Wortlaut von Artikel 6 der Ersten Richtlinie keineswegs so eindeutig ist. Die Bestimmung kann nämlich durchaus auch dahin gehend verstanden werden, dass Sanktionen über das bloße Unterbleiben jeglicher Offenlegung hinaus auch für das Unterbleiben der vorgeschriebenen Offenlegung anzudrohen sind, also für das Unterbleiben der Offenlegung eines inhaltlich richtigen Jahresabschlusses im Sinne der Artikel 2 und 47 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Vierten Richtlinie in Verbindung mit Artikel 3 der Ersten Richtlinie.

    71. Auch unter Zugrundelegung der von den Angeklagten und der italienischen Regierung favorisierten engen Sichtweise wäre aber Folgendes zu beachten: Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts nicht nur deren Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden(40) . Betrachtet man den Regelungszusammenhang sowie die Ziele der Ersten Richtlinie, so ergibt sich Folgendes:

    72. Zum einen zeigt sich, dass dem Schutz der Interessen Dritter in jener Richtlinie besondere Bedeutung zukommt. Diesen Aspekt hebt schon der Vertrag selbst in seinem Regelungsauftrag für den Gemeinschaftsgesetzgeber ausdrücklich hervor (Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g EG). Ferner spiegelt sich die Bedeutung des Schutzes der Interessen Dritter an prominenter Stelle in der zweiten und vierten Begründungserwägung der Ersten Richtlinie wider, wie auch übrigens in der ersten Begründungserwägung der Vierten Richtlinie und in der ersten Begründungserwägung der Siebten Richtlinie. Die in diesen Richtlinien vorgesehene Offenlegungspflicht soll es Dritten erlauben, sich über die wesentlichen Urkunden einer Gesellschaft, so etwa über ihren Jahresabschluss, zu unterrichten.

    73. Zum anderen stellen Artikel 2 Absatz 3 der Vierten Richtlinie sowie deren vierte Begründungserwägung den fundamentalen Grundsatz auf, dass der Jahresabschluss ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft zu vermitteln hat(41) . Dieser Grundsatz spielt nicht nur innerhalb der Vierten Richtlinie, sondern auch bei der Auslegung und Anwendung der Ersten Richtlinie eine Rolle. Da nämlich die Vierte Richtlinie die Lücken der Ersten im Hinblick auf die inhaltliche Gestaltung von Jahresabschlüssen schließt(42) und beide Richtlinien zu diesem Zweck auch ausdrücklich auf einander Bezug nehmen(43), sind sie im Zusammenhang zu lesen und auszulegen.

    74. Somit ist bei der Auslegung und Anwendung von Artikel 6 der Ersten Richtlinie sowohl dem Schutz der Interessen Dritter als auch dem Grundsatz des wahrheitsgetreuen Abbildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Nicht nur gegenwärtige, sondern auch künftige Geschäftspartner, namentlich potenzielle Gläubiger und Investoren aus anderen Mitgliedstaaten, müssen in der Lage sein, sich jederzeit ein verlässliches Bild von einem Unternehmen zu machen, um die Risiken einer Geschäftsbeziehung und der Bereitstellung von Finanzmitteln besser einschätzen zu können. Als Außenstehende sind sie naturgemäß schutzbedürftiger als etwa die maßgeblichen Gesellschafter, welche in ungleich größerem Ausmaß Kenntnis über Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des betreffenden Unternehmens haben und an dessen Entscheidungen mitwirken, jedenfalls aber sich darüber informieren können(44) . Die Möglichkeit für alle Dritten, Jahresabschlüsse von Gesellschaften zu konsultieren, wirkt gegenüber potenziellen Geschäftspartnern vertrauensbildend und unterstützt damit letztlich ein – auch grenzüberschreitendes – Tätigwerden auf dem Binnenmarkt(45) .

    75. Nun ist aber die Schutzbedürftigkeit Dritter besonders groß, wenn zwar ein Jahresabschluss offen gelegt wird, dieser jedoch ein falsches Bild von der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft zeichnet. Während nämlich der Dritte im Falle der Nichtoffenlegung eines Jahresabschlusses gewarnt ist und gar nicht erst Vertrauen in eine bestimmte Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der betroffenen Gesellschaft setzen kann, dürfte es für ihn äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein, ohne vertiefte Kenntnisse über das Unternehmen Fehler in einem offen gelegten Jahresabschluss aufzudecken. Die Auffassung der italienischen Regierung, wonach jedermann einen offen gelegten Jahresabschluss auf seine Richtigkeit hin überprüfen könne, ist deshalb nicht überzeugend. Im Gegenteil werden Dritte im Falle der Offenlegung eines Jahresabschlusses in aller Regel auf die Richtigkeit der dari n gemachten Angaben vertrauen. Umso wichtiger ist es, dieses Vertrauen – und letztlich das Vertrauen der Öffentlichkeit sowie der Märkte – zu schützen(46) .

    76. Aus dem Regelungszusammenhang von Artikel 6 der Ersten Richtlinie sowie aus dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift folgt deshalb eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, nicht nur für den Fall der unterbliebenen Offenlegung von Jahresabschlüssen, sondern erst recht auch für die Offenlegung inhaltlich falscher Jahresabschlüsse geeignete Maßregeln anzudrohen.

    77. Gegen dieses Ergebnis kann nicht eingewendet werden, dass der Wortlaut der Vierten Richtlinie eigenständige Sanktionspflichten der Mitgliedstaaten nicht kenne(47) . Aufgrund des oben erwähnten Regelungszusammenhangs zwischen der Ersten und der Vierten Richtlinie kommt es nämlich gar nicht darauf an, ob die Vierte Richtlinie eine dem Artikel 6 der Ersten Richtlinie vergleichbare, eigene Bestimmung enthält. Gerade weil die Vierte Richtlinie die Erste inhaltlich ergänzt und Artikel 47 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Vierten Richtlinie ausdrücklich auf die Offenlegungsvorschriften der Ersten Richtlinie verweist, war eine eigenständige Bestimmung über Sanktionen in der Vierten Richtlinie nicht zwingend notwendig. Umgekehrt (und folgerichtig) enthält die Vierte Richtlinie dort, wo sie nicht auf die Offenlegungsvorschriften der Ersten Richtlinie verweist (vgl. Artikel 47 Absatz 1a der Vierten Richtlinie(48) ), sehr wohl eine eigenständige Verpflichtung der Mitgliedstaaten, geeignete Maßregeln anzudrohen. All dies legt den Schluss nahe, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die Mitgliedstaaten mit der Ersten und Vierten Richtlinie zu einem lückenlosen System von Sanktionen verpflichten wollte und dass im Normalfall aufgrund des Verweises auf die Erste Richtlinie automatisch auch die dort in Artikel 6 vorgesehenen Maßregeln zur Anwendung kommen sollten; lediglich die Lücken, in denen nicht auf die Erste Richtlinie verwiesen wird, werden durch eine eigenständige Sanktionsverpflichtung in der Vierten Richtlinie (vgl. deren Artikel 47 Absatz 1a, letzter Satz) geschlossen.

    78. Die Auffassung des Angeklagten Dell’Utri, wonach die Mitgliedstaaten nur in den in der Vierten Richtlinie ausdrücklich erwähnten Ausnahmefällen zu Sanktionen für inhaltlich falsche Jahresabschlüsse verpflichtet sind, überzeugt mich nicht. Da die Ausnahmeregelungen der Vierten Richtlinie, insbesondere Artikel 47 Absatz 1a, vorwiegend kleinere Unternehmen betreffen, hätte eine solche Sichtweise nämlich die widersinnige Folge, dass gegen kleinere Unternehmen bei falschen Gesellschaftsmitteilungen strenger vorzugehen wäre als gegen große.

    79. Auch das vom Angeklagten Berlusconi ins Feld geführte Urteil Rabobank(49) führt zu keinem anderen Ergebnis. Jenes Urteil beschäftigt sich gar nicht mit den Offenlegungsvorschriften der Ersten Richtlinie, sondern mit der Vertretungsmacht der Organe von Kapitalgesellschaften. Aus ihm kann nicht geschlossen werden, dass alle Vorschriften der Ersten Richtlinie möglichst eng und wortlautorientiert auszulegen seien. Vielmehr greift der Gerichtshof auch im Urteil Rabobank auf die Methode der systematischen Auslegung zurück, indem er in seine Überlegungen den Vorschlag der Kommission für eine Fünfte Richtlinie auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts mit einbezieht(50) . Methodisch geht also der Gerichtshof im Urteil Rabobank ganz ähnlich vor, wie ich es oben mit meinem Verweis auf den Regelungszusammenhang zwischen der Ersten und Vierten Richtlinie vorschlage.

    80. Übrigens wären die Mitgliedstaaten, selbst wenn man der hier vertretenen Auslegung von Artikel 6 der Ersten Richtlinie nicht folgte, auch kraft ihrer Gemeinschaftstreuepflicht gehalten, für eine wirksame Ahndung der Offenlegung inhaltlich falscher Jahresabschlüsse zu sorgen. Sieht nämlich eine gemeinschaftsrechtliche Regelung für den Fall eines Verstoßes gegen sie keine Sanktion vor, oder verweist sie insoweit auf die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, so sind die Mitgliedstaaten nach Artikel 10 EG verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten(51) .

    81. Zusammenfassend gilt deshalb:

    Artikel 6, erster Spiegelstrich, der Ersten Richtlinie, in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 3 und Artikel 47 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Vierten Richtlinie und mit Artikel 10 EG, schreibt den Mitgliedstaaten geeignete Maßregeln nicht nur für den Fall vor, dass Jahresabschlüsse überhaupt nicht offen gelegt werden, sondern gilt darüber hinaus auch für den Fall, dass inhaltlich falsche Jahresabschlüsse offen gelegt werden. Entsprechend ist der auf konsolidierte Abschlüsse anwendbare Artikel 38 Absatz 6 der Siebten Richtlinie auszulegen.

    2. Zur Angemessenheit von Sanktionen für falsche Gesellschaftsmitteilungen

    82. Im Übrigen möchten die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen wissen, was unter angemessenen Sanktionen („geeigneten Maßregeln“) für falsche Gesellschaftsmitteilungen zu verstehen ist. Einerseits fragen sie ganz allgemein nach den Kriterien für die Beurteilung der Angemessenheit von Sanktionen(52) ; andererseits und im Besonderen geht es vor allem um Vorschriften wie die des italienischen Decreto legislativo 61/02, welche ein abgestuftes Sanktionssystem einführen(53), sich auf die Verjährung von Straftaten auswirken(54), das Erfordernis eines Strafantrags einführen(55) und Toleranzgrenzen vorsehen, unterhalb deren eine Bestrafung wegen falscher Gesellschaftsmitteilungen ausgeschlossen sein soll(56) .

    83. Die Angeklagten sowie die italienische Regierung gehen davon aus, dass Vorschriften wie die mit dem Decreto legislativo 61/02 eingeführten den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts entsprechen. Einen gegenläufigen Standpunkt beziehen die Kommission und die beiden Staatsanwaltschaften, die sich am Verfahren vor dem Gerichtshof beteiligt haben.

    84. Zwar kann der Gerichtshof im Rahmen eines Verfahrens nach Artikel 234 EG nicht selbst über die Vereinbarkeit innerstaatlicher Rechtsnormen mit dem Gemeinschaftsrecht oder über die Auslegung nationaler Vorschriften entscheiden. Deswegen kann er sich beispielsweise auch nicht zur Höhe des Strafmaßes in Artikel 2621 n.F. des Codice Civile äußern(57) . Er ist aber befugt, den vorlegenden Gerichten alle Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu geben, die es diesen ermöglichen, für die Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtssachen über die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht zu befinden(58) .

    a) Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit und Abschreckung von Sanktionen

    85. Artikel 6, erster Spiegelstrich, der Ersten Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten lediglich, für den Fall eines Verstoßes gegen die bereits erörterte Offenlegungspflicht geeignete Maßregeln anzudrohen. Damit überlässt die Vorschrift, wie es Artikel 249 Absatz 3 EG entspricht, den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel, räumt ihnen also einen nicht unerheblichen Ermessensspielraum ein.

    86. Dieser Ermessensspielraum ist jedoch nicht unbegrenzt. Enthält nämlich eine Gemeinschaftsregelung für den Fall ihrer Verletzung keine eigene Sanktionsbestimmung oder verweist sie insoweit auf die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, so sind nach der bereits zitierten Rechtsprechung die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 10 EG verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. Wenngleich den Mitgliedstaaten die Wahl der Sanktionen verbleibt, müssen sie namentlich darauf achten, dass Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht, wobei die Sanktion jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein muss(59) .

    87. Anhaltspunkte für eine Diskriminierung zwischen rein nationalen und gemeinschaftsrechtlichen Sachverhalten bestehen im vorliegenden Fall nicht. Deshalb widmen sich die folgenden Ausführungen allein den Kriterien der Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit und Abschreckung ; sie bilden im vorliegenden Fall den Maßstab für die Beurteilung der Frage, ob Bestimmungen wie die durch das Decreto legislativo 61/02 eingeführten mit Artikel 6 der Ersten Richtlinie vereinbar sind. Besondere Bedeutung ist dabei angesichts der schon erörterten Zielbestimmungen der Ersten und Vierten Richtlinie(60) nicht nur den Interessen von Gesellschaftern und Gläubigern, sondern auch dem Schutz der Interessen und des Vertrauens sonstiger Dritter auf eine wahrheitsgetreue Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft beizumessen. Auch und gerade diesen Schutz müssen die im nationalen Recht vorzusehenden Sanktionen in wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Weise sicherstellen.

    88. Wirksam ist eine Sanktionsregelung, wenn sie so ausgestaltet ist, dass die Verhängung der vorgesehenen Sanktion (und damit die Verwirklichung der vom Gemeinschaftsrecht vorgegebenen Ziele(61) ) nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird. Dies ergibt sich aus dem Effektivitätsgrundsatz (62), welcher nach der Rechtsprechung überall dort Anwendung findet, wo ein Sachverhalt einen Bezug zum Gemeinschaftsrecht aufweist, aber – etwa für das anzuwendende Verfahren – keine gemeinschaftsrechtliche Regelung existiert und die Mitgliedstaaten folglich nationale Rechtsvorschriften zur Anwendung bringen. Dabei gilt der Effektivitätsgrundsatz nicht nur, wenn der Einzelne gegenüber einem Mitgliedstaat seine aus dem Gemeinschaftsrecht fließenden Rechte geltend macht, sondern auch umgekehrt, wenn ein Mitgliedstaat gegenüber dem Einzelnen die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts umsetzt(63) .

    89. Abschreckend ist eine Sanktion, wenn sie den Einzelnen davon abhält, gegen die gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Ziele und Regelungen zu verstoßen(64) . Dabei kommt es nicht nur auf Art und Höhe(65) der Sanktion an, sondern auch auf die Wahrscheinlichkeit, mit der sie verhängt werden wird: Wer einen Verstoß begeht, muss befürchten, auch tatsächlich mit der Sanktion belegt zu werden. In dieser Hinsicht überschneidet sich das Kriterium der Abschreckung mit jenem der Wirksamkeit.

    90. Verhältnismäßig ist eine Sanktion, wenn sie zur Erreichung der mit ihr verfolgten legitimen Ziele geeignet (also insbesondere wirksam und abschreckend )  und außerdem erforderlich ist. Wenn mehrere (gleich) geeignete Sanktionen zur Auswahl stehen, ist die am wenigsten belastende zu wählen. Ferner müssen die Auswirkungen der Sanktion auf den Betroffenen in einem angemessenen Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen(66) .

    91. Ob eine nationale Rechtsvorschrift eine in diesem Sinne wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion enthält, ist unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Regelungssystem, einschließlich des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen, in jedem Fall zu prüfen, in dem sich diese Frage stellt(67) .

    92. Zusammenfassend ergibt sich deshalb:

    Maßregeln sind geeignet im Sinne von Artikel 6 der Ersten Richtlinie, wenn sie wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind. Dabei ist nicht nur den Interessen von Gesellschaftern und Gläubigern, sondern auch den Interessen sonstiger Dritter und dem Schutz ihres Vertrauens auf eine wahrheitsgetreue Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft besondere Bedeutung beizumessen. Ob eine nationale Rechtsvorschrift eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion enthält, ist unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Regelungssystem, einschließlich des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen, in jedem Fall zu prüfen, in dem sich diese Frage stellt.

    b) Toleranzgrenzen

    93. Sowohl in Absatz 3 Satz 1 des Artikels 2621 n.F. als auch in Absatz 5 Satz 1 des Artikels 2622 n.F. des Codice Civile ist die Strafbarkeit falscher Gesellschaftsmitteilungen ausgeschlossen, wenn durch die Tat nicht in erheblicher Weise die Darstellung der Ertrags-, Vermögens- und Finanzlage der Gesellschaft oder der Unternehmensgruppe verfälscht wird. Zusätzlich enthalten beide Vorschriften in Prozentzahlen ausgedrückte Toleranzgrenzen (vgl. Artikel 2621 n.F., Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4, sowie Artikel 2622 n.F., Absatz 5 Satz 2 und Absatz 6, des Codice Civile). Da diese Bestimmungen in beiden Strafvorschriften gleich sind, bietet es sich an, ihre Erörterung an den Anfang zu stellen.

    94. Bei der Beurteilung dieser Bestimmungen ist von dem Leitbild auszugehen, das der Vierten Richtlinie zugrunde liegt. So verlangt Artikel 2 Absatz 3 der Vierten Richtlinie, dass der Jahresabschluss einer Gesellschaft ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild ihrer Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu vermitteln hat. Diesem Grundsatz kommt innerhalb der Richtlinienbestimmungen über den Jahresabschluss eine zentrale Bedeutung zu(68) . Insbesondere die Absätze 4 und 5 von Artikel 2 der Vierten Richtlinie illustrieren dies. So ist im Zweifel sogar von anderen Vorschriften der Vierten Richtlinie abzuweichen, um sicherzustellen, dass der Jahresabschluss ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild abgibt (Artikel 2 Absatz 5 Satz 1), und es kann sogar die Notwendigkeit bestehen, hierfür über die Anforderungen der Vierten Richtlinie hinauszugehen (Artikel 2 Absatz 4).(69)

    95. Wie bereits erwähnt, soll durch diese Vorschriften sowohl das Vertrauen der Gesellschafter als auch das Vertrauen von Dritten in die sachliche Richtigkeit von Jahresabschlüssen geschützt werden.

    96. Daraus folgt grundsätzlich zweierlei: Sind Fehler in einem Jahresabschluss oder in einem konsolidierten Abschluss geeignet, das Vertrauen in die Richtigkeit der Darstellung von Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage einer Gesellschaft zu erschüttern, so kann es nach dem Grundsatz der Wirksamkeit der Sanktionen hierfür keine Toleranz geben; anderenfalls würde das mit den Richtlinien verfolgte Ziel vereitelt. Sind hingegen Fehler in einem Jahresabschluss nicht geeignet, dieses Vertrauen zu enttäuschen, so können die angedrohten Sanktionen geringer ausfallen oder gar völlig entfallen.

    97. Vorschriften, die genügend Spielraum für die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls lassen, können bei richtlinienkonformer Auslegung und Anwendung diesen Maßstäben gerecht werden. Demgegenüber können die rein quantitativen Auswirkungen eines Fehlers, auf welche die Artikel 2621 n.F., Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4, sowie Artikel 2622 n.F., Absatz 5 Satz 2 und Absatz 6, des Codice Civile Bezug nehmen, lediglich ein erster Anhaltspunkt für die Bewertung sein, ob dieser Fehler geeignet ist, das Vertrauen in die Richtigkeit der Darstellung von Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage einer Gesellschaft zu erschüttern.

    98. Zwar sind die Interessen von Gesellschaftern und Dritten sowie der Schutz ihres Vertrauens auf die Richtigkeit von Jahresabschlüssen normalerweise nicht gefährdet, solange durch etwaige Buchungsfehler die Ertrags-, Vermögens- und Finanzlage der Gesellschaft oder der Unternehmensgruppe rein zahlenmäßig nicht in erheblicher Weise verfälscht wird. Um aber Missbräuchen vorzubeugen und einen Anreiz zu größtmöglicher Sorgfalt bei der Abfassung von Jahresabschlüssen zu geben, muss es stets einer Beurteilung im Einzelfall überlassen bleiben, ob lediglich eine in ihren Auswirkungen unerhebliche Ungenauigkeit vorliegt oder aber eine nicht hinnehmbare Fälschung. Ansonsten wäre nämlich die Gefahr groß, dass es im Schatten der vom Gesetzgeber gewährten Toleranzgrenzen zu weit verbreiteten und bewusst einkalkulierten Ungenauigkeiten in Jahresabschlüssen käme. Eine solche Entwicklung könnte vor allem das Vertrauen Dritter und damit das Vertrauen des Geschäftsverkehrs insgesamt in die Richtigkeit von Jahresabschlüssen nachhaltig erschüttern.

    99. Insbesondere kann es auch keinerlei Toleranz geben, wenn, wie in den Artikeln 2621 n.F. und 2622 n.F. des Codice Civile vorausgesetzt, vorsätzlich sowie mit Täuschungs- bzw. Bereicherungsabsicht falsche Informationen in einen Jahresabschluss eingestellt und dann offen gelegt werden, mögen auch die Auswirkungen der Fälschung in rein quantitativer Hinsicht gering sein. Denn der Grundsatz des wahrheitsgemäßen Abbildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage einer Gesellschaft dient, wie bereits erwähnt, dem Schutz der Interessen Dritter und des Vertrauens, das der Geschäftsverkehr der Richtigkeit von Jahresabschlüssen entgegenbringt. Ließe man es zu, dass in Jahresabschlüssen vorsätzlich und mit Täuschungs- bzw. Bereicherungsabsicht falsche Angaben gemacht werden, so würde dieses Vertrauen nachhaltig enttäuscht und damit gegen die Zielsetzung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien verstoßen.

    100. Vor diesem Hintergrund erscheinen Toleranzgrenzen bzw. Strafausschlussgründe, wie sie im italienischen Codice Civile in Artikel 2621 n.F., Absätze 3 und 4, sowie in Artikel 2622 n.F., Absätze 5 und 6, vorgesehen sind, nicht als geeignet, den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts an wirksame (und auch abschreckende) Sanktionen zu genügen.

    101. Nur am Rande sei angemerkt, dass auch in den Vereinigten Staaten von Amerika, etwa in der Verwaltungspraxis der Securities and Exchange Commission (SEC), von der Ungeeignetheit quantitativer Toleranzgrenzen ausgegangen wird, jedenfalls sofern damit eine unwiderlegliche Vermutung ohne die Möglichkeit der umfassenden Bewertung aller Umstände des Einzelfalls begründet werden soll.(70)

    102. Gegen die hier vertretene Sichtweise kann auch nicht eingewendet werden, dass „ De-Minimis -Regelungen“ im Gemeinschaftsrecht allgemein anerkannt seien(71) . Zwar trifft es zu, dass im europäischen Wettbewerbsrecht bestimmte Spürbarkeitsschwellen existieren. Jedoch kommen solche Schwellen nur dort zur Anwendung, wo sichergestellt ist, dass der Sinn und Zweck sowie die praktische Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln nicht beeinträchtigt werden.

    103. So verlangt etwa im Bereich der staatlichen Beihilfen Artikel 3 der einschlägigen Gruppenfreistellungsverordnung(72) die Durchführung bestimmter Kontrollen, um sicherzustellen, dass als de minimis gewährte Beihilfen den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen und den Wettbewerb nicht verfälschen(73) . Ein Vergleich mit dieser De-Minimis -Regelung legt also, wenn überhaupt, den folgenden Schluss nahe: Toleranzgrenzen kann es nur geben, wenn durch sie nicht der Sinn und Zweck der einschlägigen Rechtsvorschriften unterlaufen wird, d. h. im Falle von Jahresabschlüssen der Schutz des Vertrauens Dritter und der Öffentlichkeit in Gesellschaftsmitteilungen.

    104. Nicht weniger aufschlussreich ist ein Vergleich mit der im Bereich des Artikels 81 EGgeltenden De-Minimis -Regelung: Dort sind nämlich besonders schwerwiegende Beschränkungen, wie etwa Preisabsprachen oder die Bildung von Gebietskartellen (so genannte Kernbeschränkungen), von vornherein vom Anwendungsbereich der De-Minimis -Regelung ausgenommen; sie verbleiben damit uneingeschränkt im Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts(74) . Überträgt man auch diesen Gedanken auf den Bereich der falschen Gesellschaftsmitteilungen, so liegt, wenn überhaupt, folgender Schluss nahe: Für besonders schwerwiegende Angriffe auf das Vertrauen Dritter und der Öffentlichkeit in die Richtigkeit der Mitteilungen einer Gesellschaft, insbesondere für mit Vorsatz und Täuschungs- bzw. Bereicherungsabsicht gemachte Falschangaben in Jahresabschlüssen, darf es keine Toleranz geben, selbst wenn durch die Fälschungen rein zahlenmäßig die Ertrags-, Vermögens- und Finanzlage einer Gesellschaft oder Unternehmensgruppe nicht in erheblicher Weise verfälscht wurde.

    105. Zusammenfassend gilt also:

    Zwar steht Artikel 6, erster Spiegelstrich, der Ersten Richtlinie in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 3 und Artikel 47 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Vierten Richtlinie einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegen, nach der die Strafbarkeit falscher Gesellschaftsmitteilungen ausgeschlossen ist, wenn durch die Tat nicht in erheblicher Weise die Darstellung der Ertrags-, Vermögens- und Finanzlage der Gesellschaft oder der Unternehmensgruppe verfälscht wird, es sei denn, die Tat wurde vorsätzlich und mit Täuschungs- bzw. Bereicherungsabsicht begangen.

    Jedoch stehen dieselben Bestimmungen einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen, nach der – ohne eine Gesamtbewertung aller Umstände des Einzelfalls – die Strafbarkeit falscher Gesellschaftsmitteilungen immer schon dann entfällt, wenn die wahrheitswidrigen Angaben oder die Unterlassungen zu einer Änderung führen, die um nicht mehr als einen bestimmten Prozentsatz vom richtigen Wert abweicht.

    Entsprechend ist Artikel 38 Absatz 6 in Verbindung mit Absatz 1 und Artikel 16 Absatz 3 der Siebten Richtlinie auszulegen.

    c) Verjährungsfristen für die Strafverfolgung

    106. Was die Verjährung betrifft, so hat das Decreto legislativo 61/02 zu einer wesentlichen Verkürzung der anwendbaren Fristen geführt. Dies wirkt sich insbesondere auf die Verfolgung von Straftaten nach dem neu eingeführten Artikel 2621 n.F. des Codice Civile aus. Für dieses Vergehen, welches den allgemeinen Straftatbestand für falsche Gesellschaftsmitteilungen darstellt, beträgt die Verjährungsfrist nunmehr drei Jahre; im Falle der Unterbrechung dieser Frist tritt Verjährung insgesamt spätestens nach vier Jahren und sechs Monaten ein.(75)

    107. Es bestehen keine grundsätzlichen Bedenken dagegen, dass die Mitgliedstaaten Sanktionen, welche sie kraft Gemeinschaftsrechts einzuführen haben, der Verjährung unterwerfen. Solche Verjährungsfristen dienen nämlich der Rechtssicherheit, und der Grundsatz der Rechtssicherheit ist als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch auf Gemeinschaftsebene anerkannt(76) . Folgerichtig kennt auch das Gemeinschaftsrecht vergleichbare Verjährungsfristen, etwa im Rahmen seiner Bestimmungen über den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften(77) und im Rahmen der Wettbewerbspolitik(78) .

    108. Wie die Existenz solcher Verjährungsfristen außerdem zeigt, gebietet das Gemeinschaftsrecht keineswegs, dass es in jedem Einzelfall auch tatsächlich zur Verhängung einer Sanktion kommen muss. Hingegen muss sichergestellt sein, dass die anwendbaren Verjährungsregeln nicht insgesamt die Wirksamkeit und Abschreckungswirkung der vorgesehenen Sanktionen untergraben(79) . Falsche Gesellschaftsmitteilungen dürfen also nicht lediglich theoretisch mit Sanktionen belegt werden. Das Sanktionssystem ist vielmehr so auszugestalten, dass jeder, der einen falschen Jahresabschluss vorlegt, auch tatsächlich befürchten muss, mit Sanktionen belegt zu werden(80) .

    109. Ob Verjährungsvorschriften wie die auf Artikel 2621 n.F. und Artikel 2622 n.F. des Codice Civile anwendbaren den soeben dargestellten Anforderungen an wirksame und abschreckende Sanktionen entsprechen, ist einerseits unter Berücksichtigung der Art und Schwere der betroffenen Straftaten und andererseits unter Berücksichtigung der Ausgestaltung der im nationalen Recht vorgesehenen Verjährungsregelung zu beurteilen(81) . Dabei kommt es nicht allein auf die Länge der Verjährungsfrist an, sondern beispielsweise auch auf den Anfangszeitpunkt für den Lauf dieser Frist, auf etwaige die Verjährung hemmenden bzw. unterbrechenden Ereignisse und auf die Auswirkungen einer solchen Hemmung bzw. Unterbrechung. Ebenso darf nicht vernachlässigt werden, wie viel Zeit angesichts der Komplexität der Sachverhalte sowie der personellen und materiellen Ausstattung der Justiz im Normalfall für die Ermittlungen und die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens benötigt wird. Im Gegenzug ist zu berücksichtigen, dass Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten(82) sowie Artikel 47 Absatz 2 Satz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(83) jedermann, insbesondere den Angeklagten eines Strafprozesses, vor überlangen Verfahrensdauern schützen; bei der Beurteilung solcher Verfahrensdauern sind allerdings wiederum die Umstände des Einzelfalls, auch seine Komplexität, heranzuziehen(84) .

    110. Führt eine Verjährungsregelung bei Berücksichtigung all dieser Gesichtspunkte dazu, dass eine tatsächliche Verhängung der angedrohten Strafe in Wirklichkeit nicht oder nur selten zu erwarten ist, so kann von einer wirksamen und abschreckenden Sanktion nicht gesprochen werden.

    111. Nach Angaben aller vorlegenden Gerichte können insbesondere im Falle eines Vergehens im Sinne von Artikel 2621 n.F. des Codice Civile die – häufig aufwändigen und langwierigen – Ermittlungen und das gerichtliche Verfahren, welches sich regelmäßig über drei Instanzen erstreckt, im Normalfall nicht vor Eintritt der Verjährung abgeschlossen werden. Vor diesem Hintergrund bestehen erhebliche Zweifel, ob eine Vorschrift wie Artikel 2621 n.F. des Codice Civile als wirksame und abschreckende Sanktion im Sinne von Artikel 6, erster Spiegelstrich, der Ersten Richtlinie angesehen werden kann.

    112. Zusammenfassend gilt also:

    Artikel 6, erster Spiegelstrich, der Ersten Richtlinie in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 3 und Artikel 47 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Vierten Richtlinie steht einer Verjährungsregelung entgegen, nach der die tatsächliche Verhängung der angedrohten Maßregeln in Wirklichkeit nicht oder nur selten zu erwarten ist. Entsprechend ist Artikel 38 Absatz 6 in Verbindung mit Absatz 1 und Artikel 16 Absatz 3 der Siebten Richtlinie auszulegen.

    d) Abgestuftes Sanktionssystem und Strafantragserfordernisse

    113. Der Verbrechenstatbestand des Artikels 2622 n.F. des Codice Civile zeichnet sich zwar durch ein wesentlich höheres Strafmaß aus als Artikel 2621 n.F. und unterliegt auch längeren Verjährungsfristen, jedoch erlaubt er eine Strafverfolgung in der Regel nur auf Antrag des geschädigten Gesellschafters oder Gläubigers. Damit kann die Tat in der Regel nicht von Amts wegen und auch nicht auf Antrag anderer Dritter als der geschädigten Gläubiger verfolgt werden.

    114. Zwar bleibt es den Mitgliedstaaten unbenommen, ein abgestuftes Sanktionssystem einzuführen und beispielsweise schärfere Strafen für den Fall anzudrohen, dass falsche Gesellschaftsmitteilungen – über den regelmäßig eintretenden immateriellen Schaden aufgrund der Enttäuschung des Vertrauens in die Richtigkeit von Jahresabschlüssen hinaus – zu Vermögensschäden führen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Sanktionen legt es sogar nahe, qualifizierte Straftatbestände einzuführen, die bei Eintritt von Vermögensschäden höhere Strafen vorsehen als der allgemeine Straftatbestand und deren Verfolgung im Gegenzug von der Stellung eines Strafantrags des Geschädigten abhängen kann.

    115. Für sich genommen sind jedoch Bestimmungen, welche mit einem Strafantragserfordernis einhergehen, nicht geeignet, der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung zur Androhung geeigneter Maßregeln nachzukommen, wie sie den Mitgliedstaaten gemäß Artikel 6 der Ersten Richtlinie obliegt. Wegen ihrer auf geschädigte Gesellschafter oder Gläubiger beschränkten Strafantragsregelung kann eine Vorschrift wie Artikel 2622 n.F. des Codice Civile nämlich nicht wirksam den Schutz der Interessen aller Dritten sicherstellen, sondern allenfalls den Schutz bestimmter Dritter. Wie aber der Gerichtshof bereits im Urteil Daihatsu Deutschland festgestellt hat, steht Artikel 6 der Ersten Richtlinie den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegen, die nur den Gesellschaftern, den Gläubigern und dem Gesamtbetriebsrat bzw. dem Betriebsrat der Gesellschaft das Recht einräumen, die Verhängung der Maßregel zu beantragen(85) . Aus den oben erwähnten Gründen(86) sind die im Urteil Daihatsu Deutschland angestellten Überlegungen keineswegs nur auf den Fall der Nichtoffenlegung von Jahresabschlüssen beschränkt; vielmehr müssen sie – entgegen der Meinung der Angeklagten Berlusconi und Dell’Utri – erst recht auch für den Fall der Offenlegung falscher Jahresabschlüsse gelten.

    116. Qualifizierte Straftatbestände wie Artikel 2622 n.F. des Codice Civile können somit allenfalls ein im nationalen Recht ohnehin schon vorgesehenes System wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen ergänzen. Hingegen sind sie wegen ihrer Beschränkung auf den Schutz der Interessen von Gesellschaftern und Gläubigern nicht geeignet, etwaige Defizite beim Schutz der Interessen (sonstiger) Dritter auszugleichen, sei es in Bezug auf mögliche Vermögensschäden oder auch nur in Bezug auf den rein immateriellen Schaden, der entstehen kann, wenn das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Richtigkeit von Jahresabschlüssen enttäuscht wird.

    117. Sollten die vorlegenden Gerichte also zu dem Schluss kommen, dass der allgemeine Straftatbestand in Artikel 2621 n.F. des Codice Civile, etwa aufgrund der Toleranzgrenzen oder der auf ihn anwendbaren Verjährungsregelung, keine wirksame und abschreckende Sanktion darstellt(87), so könnte auch eine Vorschrift wie Artikel 2622 n.F. des Codice Civile mit ihrem nur auf Gesellschafter und Gläubiger beschränkten Strafantragserfordernis diesen Mangel nicht beheben.

    118. Übrigens kann es für die Gesamtbewertung dieser Vorschrift keine Rolle spielen, dass jedenfalls in Ausnahmefällen eine Strafverfolgung von Amts wegen nach Artikel 2622 n.F., Absätze 2 und 3, des Codice Civile möglich bleibt. Es versteht sich von selbst, dass bei der Beurteilung der Wirksamkeit und Abschreckung von Sanktionen nicht nur die etwa auftretenden falschen Gesellschaftsmitteilungen bei den wenigen börsennotierten Unternehmen bedacht werden dürfen, sowie Straftaten zum Nachteil des Staates oder der Europäischen Gemeinschaften. Vielmehr müssen alle Fälle falscher Gesellschaftsmitteilungen bedacht werden, nicht zuletzt jene, die sich auf nicht börsennotierte Unternehmen beziehen und sich nicht zum Nachteil der öffentlichen Hand auswirken.

    119. Zusammenfassend gilt also:

    Artikel 6, erster Spiegelstrich, der Ersten Richtlinie in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 3 und Artikel 47 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Vierten Richtlinie steht einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegen, nach der Maßregeln, mit denen die Vermögensinteressen bestimmter Personen geschützt werden, in der Regel nur auf Antrag des Verletzten verhängt werden können. Dies setzt jedoch voraus, dass darüber hinaus eine allgemeine Rechtsvorschrift besteht, die zum Schutze der Interessen Dritter auch unabhängig von einem etwaigen Vermögensschaden wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Maßregeln vorsieht, welche von Amts wegen verhängt werden können. Entsprechend ist Artikel 38 Absatz 6 in Verbindung mit Absatz 1 und Artikel 16 Absatz 3 der Siebten Richtlinie auszulegen.

    e) Gesamtzusammenhang von Bestimmungen des Zivilrechts, des Strafrechts und des Verwaltungsstrafrechts

    120. Die Angeklagten Berlusconi, Adelchi und Dell’Utri sowie die italienische Regierung weisen darauf hin, dass bei der Beurteilung des neuen italienischen Systems von Sanktionen für falsche Gesellschaftsmitteilungen auch die nicht strafrechtlichen Komponenten, also zivilrechtliche und verwaltungsrechtliche Bestimmungen, mit zu berücksichtigen seien. Auch die Ausführungen der Kommission können, jedenfalls im Grundsatz, so verstanden werden. In diesem Zusammenhang wird beispielsweise auf folgende Bestimmungen verwiesen:

    – die zivilrechtliche Haftung der für falsche Gesellschaftsmitteilungen Verantwortlichen(88),

    – die Möglichkeit, den Beschluss der Gesellschaft zur Feststellung einer (falschen) Bilanz anzufechten(89),

    – die Möglichkeit, gegen die Gesellschaft selbst für in ihrem Interesse gemachte falsche Gesellschaftsmitteilungen bestimmte Verwaltungsstrafen (Geldbußen) zu verhängen(90),

    – die Möglichkeit, wegen der Nichtvorlage oder der nicht fristgerechten Vorlage von Bilanzen Geldbußen zu verhängen(91) und

    – die Vorschriften über die Prüfung der Jahresabschlüsse und konsolidierten Abschlüsse durch eigens hierfür zugelassene und einer besonderen Haftung unterworfene Personen(92) .

    121. Wie bereits ausgeführt(93), räumt Artikel 6 der Ersten Richtlinie den Mitgliedstaaten einen nicht unerheblichen Ermessensspielraum bei der Ausgestaltung ihres nationalen Systems von Sanktionen ein. Keineswegs folgt deshalb aus Artikel 6 der Ersten Richtlinie, dass nur strafrechtliche Sanktionen zu verhängen wären(94) . Aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht ist auch eine Kombination aus Strafvorschriften mit Bestimmungen des Zivilrechts und solchen des Verwaltungsstrafrechts nicht grundsätzlich zu beanstanden. Für die Beurteilung des Zusammenspiels solcher Vorschriften gilt vielmehr allein der Grundsatz der Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit und Abschreckung von Sanktionen.

    122. Es ist Sache der vorlegenden Gerichte, das System der vom italienischen Gesetzgeber vorgesehenen Sanktionen in seinem Gesamtzusammenhang zu würdigen und an den Kriterien der Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit und Abschreckung zu messen(95) . Der Gerichtshof kann insoweit nur Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts geben, die es den nationalen Gerichten ermöglichen, eine solche Beurteilung des nationalen Rechts vorzunehmen.

    123. In diesem Zusammenhang ist zunächst daran zu erinnern, dass Sanktionen, welche lediglich auf Antrag bestimmter Personen, namentlich der Gesellschafter und der Gläubiger, ausgelöst werden können, von vornherein nicht geeignet sein können, etwaige Defizite beim allgemeinen Schutz der Interessen Dritter auszugleichen(96) . Ebenso wenig darf der Schutz der Interessen Dritter vom Eintritt einer irgendwie gearteten Schädigung dieser Dritten abhängig sein. Zu schützen sind nicht etwa nur die Vermögensinteressen Dritter, sondern auch und gerade das immaterielle Interesse Dritter an einer wahrheitsgetreuen Information über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft und damit das Vertrauen des Geschäftsverkehrs in die Richtigkeit von Jahresabschlüssen. Ist dieser Schutz nicht gewährleistet, so fehlt es von vornherein an der Wirksamkeit der Sanktionen.

    124. Auch dass Dritte gegebenenfalls zivilrechtliche Maßnahmen wie etwa die Nichtigerklärung von Gesellschaftsbeschlüssen zur Feststellung von Jahresabschlüssen erwirken können(97), ist für sich allein nicht ausreichend, um von einer wirksamen Sanktion zu sprechen. Die Wirksamkeit und vor allem der Abschreckungscharakter von Sanktionen setzen, wie bereits erwähnt, voraus, dass derjenige, der falsche Jahresabschlüsse vorlegt, auch tatsächlich die Verhängung von Sanktionen gegen sich befürchten muss. Deshalb sind zusätzlich zumindest die Wahrscheinlichkeit(98) und die Erfolgsaussicht zu untersuchen, mit der Dritte überhaupt einen Rechtsbehelf wie etwa die Nichtigkeitsklage zu den zuständigen nationalen Gerichten anstrengen könnten.

    125. Sofern andere Bestimmungen tatbestandlich an die Artikel 2621 n.F. und 2622 n.F. des Codice Civile anknüpfen, ist bei deren Beurteilung zu beachten, dass sich etwaige Unzulänglichkeiten jener Straftatbestände, beispielsweise die Toleranzgrenzen, mittelbar auch auf die Folgebestimmungen auswirken und damit deren Wirksamkeit und Abschreckung beeinträchtigen können. Dies gilt z. B. für eine Bestimmung wie Artikel 2641 des Codice Civile(99), wo der Verfall des unrechtmäßig erlangten Vermögenszuwachses und die Einziehung der Tatmittel vorgesehen sind. Es gilt ebenso für Verwaltungssanktionen wie die in Artikel 25ter des Decreto legislativo 231/01 eingeführten; auch sie nehmen auf die Straftatbestände der Artikel 2621 n.F. und 2622 n.F. des Codice Civile Bezug.

    126. Hinsichtlich des Artikels 25ter des Decreto legislativo 231/01 ist außerdem zu berücksichtigen, dass diese Vorschrift lediglich auf Taten Anwendung findet, die im Interesse der Gesellschaft begangen wurden und dass die Gesellschaft sich unter bestimmten Voraussetzungen exkulpieren kann(100) . Vorschriften, deren Anwendungsbereich derart beschränkt ist, mögen zwar eine sinnvolle Ergänzung des Sanktionssystems insgesamt darstellen, sie können aber etwaige Defizite beim allgemeinen Schutz der Interessen Dritter nicht ausgleichen. Der Schutz des Interesses Dritter an einer wahrheitsgetreuen Information über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der betroffenen Gesellschaft ist nämlich auch dann wirksam zu gewährleisten, wenn jemand falsche Angaben in einem Jahresabschluss zu seinem persönlichen Vorteil und nicht notwendigerweise im Interesse der Gesellschaft oder zum Schaden anderer gemacht hat.

    127. Im Übrigen ist bei Vorschriften wie Artikel 25ter des Decreto legislativo 231/01 auch die Höhe der dort angedrohten Sanktionen einer Prüfung im Hinblick auf ihre Abschreckungswirkung zu unterziehen. Erweisen sich die vorgesehenen Geldbußen betragsmäßig als so gering, dass sie der Schwere der in Frage stehenden Verstöße gegen die einschlägigen Bilanzvorschriften und der Größe der betroffenen Unternehmen nicht gerecht werden, so können derartige Vorschriften nicht als abschreckend bezeichnet werden. Sie wären dann auch aus diesem Grund nicht geeignet, etwaige Defizite in strafrechtlichen Sanktionen wie den Artikeln 2621 n.F. und 2622 n.F. des Codice Civile auszugleichen.

    128. Im Hinblick auf Vorschriften wie Artikel 2630 n.F. des Codice Civile genügt der Hinweis, dass Artikel 6 der Ersten Richtlinie, wie oben ausgeführt(101), geeignete Maßregeln nicht nur für den Fall der Nichtoffenlegung von Jahresabschlüssen verlangt, sondern ebenso für den Fall der Offenlegung falscher Jahresabschlüsse.

    129. Die Prüfung von Abschlüssen durch Wirtschaftsprüfer(102) stellt zwar ohne Zweifel einen zentralen Bestandteil des Regelungswerkes dar, mit dem die inhaltliche Richtigkeit von Gesellschaftsmitteilungen sichergestellt werden soll. Allerdings handelt es sich bei der Rechnungsprüfung um eine präventive Kontrolle . Demgegenüber verlangt Artikel 6 der Ersten Richtlinie schon nach seinem Wortlaut („Maßregeln“(103) ) von den Mitgliedstaaten – zumindest auch – ein angemessenes Vorgehen repressiverNatur . Dasselbe folgt übrigens auch aus dem Regelungszusammenhang der Vierten und Siebten Richtlinie sowie aus dem Sinn und Zweck der Vorschriften über die Abschlussprüfung: Die präventive Tätigkeit der Wirtschaftsprüfer soll repressive Maßnahmen der Mitgliedstaaten keineswegs ersetzen oder deren Defizite ausgleichen, vielmehr ist sie als zweites, eigenständiges Standbein eines Systems gedacht, mit dem inhaltliche Richtigkeit von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen gewährleistet werden soll. Der Gemeinschaftsgesetzgeber verpflichtet die Mitgliedstaaten, sowohl eine wirksame präventive als auch eine wirksame repressive Kontrolle sicherzustellen.

    130. Im strafrechtlichen Bereich ist schließlich zu beachten, dass bestimmte Vorschriften die Verwirklichung eines Verbrechens ( delitto ) voraussetzen(104) und dass deshalb ein Vergehen ( contravvenzione ) wie Artikel 2621 n.F. des Codice Civile für sie von vornherein nicht als Anknüpfungspunkt in Betracht kommt.

    C – Auswirkungen eines Verstoßes der mitgliedstaatlichen Vorschriften gegen die Richtlinien für die bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Strafverfahren

    131. Um den vorlegenden Gerichten eine nützliche Antwort für die Entscheidung der dort anhängigen Strafverfahren zu geben, ist darüber hinaus zu untersuchen, welche Wirkung der hier vorgeschlagenen Auslegung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien in einem nationalen Gerichtsverfahren zukommt(105) . Dabei ist zum einen auf die allgemeine und allseits bekannte Verpflichtung der nationalen Gerichte hinzuweisen, den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts Geltung zu verschaffen, zum anderen sind die Grenzen der Anwendung von Richtlinien im Strafverfahren und schließlich der Grundsatz der rückwirkenden Anwendung des milderen Strafgesetzes zu erörtern.

    1. Zur Verpflichtung nationaler Gerichte, den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts Geltung zu verschaffen

    132. In mindestens zwei Ausgangsverfahren haben die zuständigen Staatsanwaltschaften vor den jeweiligen nationalen Gerichten gerügt, dass die mit dem Decreto legislativo 61/02 eingeführten Gesetzesänderungen verfassungswidrig seien(106) . Alle drei vorlegenden Gerichte erwägen, das Decreto legislativo 61/02 zur Prüfung seiner Verfassungsmäßigkeit dem italienischen Verfassungsgerichtshof vorzulegen. In seinem Vorlagebeschluss in der Rechtssache C-387/02 führt beispielsweise das Tribunale di Milano aus, dass „die Entscheidung des Rechtsstreits von einem Urteil über die Vereinbarkeit der Vorschriften mit der Verfassung abhängt, für das … die Corte costituzionale zuständig ist …“

    133. Dazu ist Folgendes anzumerken: Es versteht sich von selbst, dass es nicht in die Zuständigkeit des Gerichtshofes fällt, zur Auslegung der Verfassung eines Mitgliedstaats Stellung zu nehmen oder die Vereinbarkeit eines nationalen Rechtsakts mit ihr zu prüfen. Aufgabe des Gerichtshofes ist es hingegen, durch seine Rechtsprechung für eine einheitliche und effektive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten zu sorgen. Hierzu kann der Gerichtshof den vorlegenden Gerichten im Rahmen seiner Zuständigkeit für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts die erforderlichen rechtlichen Hinweise geben.

    134. Nach ständiger und fest stehender Rechtsprechung des Gerichtshofes sind nationale Gerichte verpflichtet, das Gemeinschaftsrecht anzuwenden und etwa entgegenstehendes nationales Recht unangewendet zu lassen. Dies ist die logische Konsequenz des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts(107) . Im Urteil Simmenthal hat der Gerichtshof hierzu ausgeführt, dass der nationale Richter dem Gemeinschaftsrecht Geltung zu verschaffen hat, indem er „… jede mögliche entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts, gleichgültig, ob sie früher oder später als die Gemeinschaftsnorm ergangen ist, unangewendet lässt …“(108)

    135. Mehr noch, das innerstaatliche Gericht ist gehalten, für die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts Sorge zu tragen, „indem es erforderlichenfalls jede – auch spätere – entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste“(109) .

    136. Die vorlegenden Gerichte sind somit kraft Gemeinschaftsrechts, insbesondere gemäß den Artikeln 10 EG und 249 Absatz 3 EG, verpflichtet, den Vorgaben der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien in den bei ihnen anhängigen Strafverfahren Geltung zu verschaffen, ohne dass es hierzu einer vorherigen Entscheidung des italienischen Verfassungsgerichtshofes über die mögliche Verfassungswidrigkeit des Decreto legislativo 61/02 bedürfte.

    137. All dies schließt selbstverständlich nicht aus, dass ein nationaler Gesetzgebungsakt wie das Decreto legislativo 61/02 gemäß den jeweiligen innerstaatlichen Bestimmungen zusätzlich auch einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung unterzogen wird, mit der allgemein über seine Verfassungsmäßigkeit und gegebenenfalls über seine Gültigkeit befunden wird.

    138. Unabhängig von der Durchführung einer solchen verfassungsgerichtlichen Überprüfung und unabhängig von der Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit des Decreto legislativo 61/02 mit der italienischen Verfassung haben aber die vorlegenden Gerichte im konkreten Fall, d. h. in den bei ihnen anhängigen Strafverfahren, diese gesetzesvertretende Verordnung bereits jetztunangewendet zu lassen , und zwar soweit die darin vorgesehenen Neuerungen dem Gemeinschaftsrecht widersprechen. Die Antwort des Gerichtshofes auf die von den vorlegenden Gerichten gestellten Fragen ist für alle nationalen Gerichte, die mit den Ausgangsverfahren befasst sind, bindend(110) . Dabei ergibt sich aus der vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung, in welchem Sinne und mit welcher Bedeutung die Vorschriften der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden sind bzw. gewesen wären(111) .

    2. Zu den Grenzen der Anwendung von Richtlinien im Strafverfahren

    139. Die Angeklagten Berlusconi, Adelchi und Dell’Utri sowie die italienische Regierung weisen auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen hin. Aus diesem Grundsatz ergebe sich, dass den Angeklagten infolge der Anwendung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien weder Strafverfolgung noch andere und schwerere Strafen drohen könnten als die in den Artikeln 2621 n.F. und 2622 n.F. des Codice Civile vorgesehenen. Entgegengesetzter Meinung sind die am Verfahren beteiligte Staatsanwaltschaft Mailand und die Kommission.

    a) In der Rechtsprechung entwickelte Grundsätze

    140. In der Rechtsprechung ist bereits geklärt, dass eine Richtlinie für sich allein und unabhängig von zu ihrer Durchführung erlassenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht die Wirkung haben kann, die strafrechtliche Verantwortlichkeit derjenigen, die gegen die Vorschriften der Richtlinie verstoßen, festzulegen oder zu verschärfen.(112)

    141. Zum einen ergibt sich diese Feststellung aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen ( nullum crimen, nulla poena sine lege )(113), welcher zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehört, die den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind und auch in Artikel 7 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, in Artikel 15 Absatz 1 Satz 1 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte(114) sowie in Artikel 49 Absatz 1 Satz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist(115) . Aufgrund dieser Regel, die auch die extensive Auslegung von Strafbestimmungen zum Nachteil des Betroffenen verbietet, sind ferner der richtlinienkonformen Interpretation im Strafverfahren enge Grenzen gesetzt.(116)

    142. Zum anderen hat der Gerichtshof die Regel, dass Richtlinien nicht unmittelbar zur Begründung oder Verschärfung der Strafbarkeit herangezogen werden können, darauf gestützt, dass eine Richtlinie selbst keine Verpflichtungen für den Einzelnen begründen kann.(117)

    143. Zwar hat Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer den Grundsatz, dass eine Richtlinie keine Verpflichtungen für den Einzelnen begründen darf, jüngst in der Rechtssache Pfeiffer für den Fall der unmittelbaren Anwendung einer Richtlinie im Verhältnis zwischen zwei Privaten hinterfragt.(118) Er hat allerdings selbst darauf hingewiesen, dass in Strafverfahren, in denen der Einzelne dem Staat gegenübersteht, andere Maßstäbe gelten.(119) Im Ergebnis bleibt es also unstreitig dabei, dass die unmittelbare Wirkung einer Richtlinie jedenfalls im Strafverfahren nicht dazu führen kann, dem Einzelnen Verpflichtungen aufzuerlegen.

    b) Erörterung der Grundsätze in Bezug auf den vorliegenden Fall

    144. Im vorliegenden Fall ist keiner der Gründe einschlägig, die der Gerichtshof zur Beschränkung der Wirkung von Richtlinien in Strafverfahren angeführt hat.

    145. So ist der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen nicht berührt, da die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten in den Ausgangsverfahren sich keinesfalls unmittelbar aus den gesellschaftsrechtlichen Richtlinien ergeben würde und damit unabhängig von zu ihrer Durchführung erlassenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften(120) . Ebenso wenig würde die Strafbarkeit der Angeklagten unmittelbar aus Artikel 10 EG folgen. Die Beachtung von Artikel 10 EG sowie der Vorgaben der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien bewirkt nämlich lediglich, dass die nach der Tat ergangenen strafmildernden und eine Strafverfolgung erschwerenden oder gar ausschließenden Gesetzesänderungen, eingeführt durch das Decreto legislativo 61/02, gegebenenfalls unangewendet bleiben müssen. Anwendbar bleibt hingegen das nationale Gesetz in seiner zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung. Damit beruht die Strafbarkeit der Angeklagten auf dem zur Tatzeit geltenden nationalen Recht, namentlich auf Artikel 2621 a.F. des Codice Civile.

    146. Hiergegen kann nicht eingewendet werden, dass der bisherige, in Artikel 2621 a.F. des Codice Civile enthaltene Straftatbestand infolge seiner Aufhebung durch das Decreto legislativo 61/02 „unwiederbringlich erloschen“ sei und nicht „wieder aufleben“ könne. Denn aufgrund der fortbestehenden Verpflichtung, für wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen zu sorgen, ist es dem nationalen Gesetzgeber kraft Gemeinschaftsrechts verwehrt, eine bestehende Sanktionsregelung kurzerhand aufzuheben, ohne diese zugleich durch andere wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen zu ersetzen. Das Verbot, die Ziele einer Richtlinie zu vereiteln(121), gilt nämlich nicht nur vor Ablauf ihrer Umsetzungsfrist, sondern erst recht auch danach. Verstößt also ein Aufhebungsakt wie der im Decreto legislativo 61/02 enthaltene gegen die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts, so muss auch und gerade dieser Aufhebungsakt in den Ausgangsverfahren unangewendet bleiben . Bleibt aber der Aufhebungsakt selbst unangewendet, so ist Artikel 2621 a.F. des Codice Civile im vorliegenden Fall gar nicht „unwiederbringlich erloschen“, und die Frage, ob er „wieder aufleben“ kann, stellt sich nicht.

    147. Selbst wenn man aber annimmt, dass das frühere Strafgesetz, also Artikel 2621 a.F. des Codice Civile, nunmehr aufgehoben sei, schließt das keineswegs aus, diesen Straftatbestand weiterhin auf vor seiner Aufhebung begangene Taten anzuwenden. Es entspricht vielmehr gerade dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen ( nullum crimen, nulla poena sine lege ), eine Tat stets an demjenigen Strafgesetz zu messen, das zum Zeitpunkt ihrer Begehung galt. Beispielsweise würde wohl niemand ernsthaft an der fortdauernden Anwendbarkeit eines alten, milderen Strafgesetzes zweifeln, falls der Gesetzgeber zwischenzeitlich die Strafbarkeit verschärft hätte. Dass im vorliegenden Fall, unter umgekehrten Vorzeichen, die Anwendbarkeit des alten Strafgesetzes bestritten wird, berührt im Kern nicht so sehr die Frage, ob der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen gewahrt ist, sondern ganz im Gegenteil die Frage, ob von diesem Grundsatz eine Ausnahme zugunsten der rückwirkenden Anwendung des späteren, milderen Strafgesetzes gemacht werden kann(122) .

    148. In einem Fall wie dem vorliegenden ist keine Verletzung des Grundsatzes nullum crimen, nulla poena sine lege zu befürchten. Dies bekräftigt auch der Gerichtshof im Urteil Tombesi(123) . In jenem Fall „… waren die Handlungen, die Gegenstand der Ausgangsverfahren sind, im Zeitpunkt ihrer Begehung nach nationalem Recht strafbar, und die [nationalen Vorschriften], durch die sie der Anwendung der Sanktionen [nach nationalem Recht] entzogen wurden, traten erst später in Kraft. Unter diesen Umständen besteht kein Anlass, sich zu fragen, welche Folgen sich aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen für die Anwendung der Verordnung … ergeben könnten.“

    149. Diese Aussage ist in vollem Umfang auf den vorliegenden Fall übertragbar. Der Fall Tombesi, wie auch übrigens der Fall Niselli(124), stimmt nämlich in den entscheidenden Punkten mit dem hier vorliegenden Fall überein. Weder hier noch dort wurde im Grundsatz die Strafbarkeit von Verstößen gegen die anwendbaren Rechtsvorschriften (Abfallrecht bzw. Bilanzrecht) in Frage gestellt. Hier wie dort geht es vielmehr um eine Veränderung von Tatbestandsmerkmalen, welche die Grundlage der Bestrafung bilden. Hier wie dort bewirkte die Änderung der nationalen Rechtsvorschriften, dass bestimmte Handlungen straffrei ausgingen, welche zuvor unter Strafe gestanden hatten . Wurden etwa im vorliegenden Fall bestimmte Toleranzgrenzen (Schwellenwerte) neu eingeführt, unterhalb derer die Strafbarkeit falscher Gesellschaftsmitteilungen entfällt, so wurde in den Fällen Tombesi und Niselli der Abfallbegriff und damit die Strafbarkeit von bestimmten Verstößen gegen das Abfallrecht neu (und enger) gefasst.(125) Entscheidend ist, dass hier wie dort die Taten zum Tatzeitpunkt nach nationalem Recht strafbar waren .

    150. Nur der Vollständigkeit halber sei noch bemerkt, dass im vorliegenden Fall auch keinerlei tatbestandserweiternde richtlinienkonforme Interpretation des nationalen Rechts erforderlich ist, welche das Verbot der extensiven Auslegung zum Nachteil der Angeklagten verletzen könnte. Wie bereits erwähnt, käme es nämlich für die Begründung der Strafbarkeit – bei Nichtanwendung des Decreto legislativo 61/02 – insbesondere auf Artikel 2621 a.F. des Codice Civile an, der nach Angaben der vorlegenden Gerichte schon zum Tatzeitpunkt falsche Gesellschaftsmitteilungen, wie sie hier zur Anklage kamen, unzweifelhaft unter Strafe stellte. Das zum Tatzeitpunkt geltende Recht braucht daher keineswegs erst extensiv ausgelegt zu werden, um den Vorgaben der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien zu entsprechen.

    151. Schließlich begründen die gesellschaftsrechtlichen Richtlinien und Artikel 10 EG als solche in der vorliegenden Konstellation auch keinerlei Verpflichtung für den Einzelnen. Ohnehin ist die Frage, welche Pflichten dem Einzelnen obliegen, stets nach der Rechtslage zu entscheiden, die zum Zeitpunkt der relevanten Handlungen bestand, da Pflichten nur in Bezug auf ein zukünftiges Verhalten aufgestellt werden können. Pflichten (bzw. Verbote) können nicht rückwirkend begründet oder verändert werden. Als die den Angeklagten in den Ausgangsverfahren zur Last gelegten Taten begangen wurden, waren sie in einem nationalen italienischen Gesetz, insbesondere in Artikel 2621 a.F. des Codice Civile, mit Strafe bedroht: Keineswegs leitete sich die Strafandrohung zum Tatzeitpunkt unmittelbar aus den Richtlinien oder aus Artikel 10 EG ab.

    152. Anders könnte der Fall allenfalls dann zu beurteilen sein, wenn sich die angeklagten Sachverhalte nach Erlass des Decreto legislativo 61/02 ereignet hätten. Ließe man das Decreto legislativo 61/02 für nach seinem Erlass begangene Taten außer Anwendung, so könnte man eher davon sprechen, dass die Anwendung einer Richtlinie oder des Artikels 10 EG unmittelbar Pflichten begründe. Im vorliegenden Fall braucht dieser Gesichtspunkt jedoch nicht weiter vertieft zu werden, weil, wie bereits dargestellt, alle den Angeklagten zur Last gelegten Taten ausnahmslos vor Erlass des Decreto legislativo 61/02 begangen wurden. Die Angeklagten konnten also im Tatzeitpunkt nicht darauf vertrauen, dass die ihnen zur Last gelegten Sachverhalte milder bestraft würden als nach Artikel 2621 a.F. des Codice Civile oder dass sie gänzlich straffrei ausgehen würden.

    153. Aus all diesen Gründen steht im vorliegenden Fall der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafe einer Nichtanwendung des Decreto legislativo 61/02 keineswegs entgegen. Die Berücksichtigung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien und von Artikel 10 EG führt nicht etwa zur Begründung von Verpflichtungen für die Angeklagten, sondern hat allenfalls mittelbar nachteilige Auswirkungen für sie. Dies befreit den nationalen Richter aber nicht von seiner aus Artikel 249 Absatz 3 EG und Artikel 10 EG folgenden Pflicht, den Vorgaben der Richtlinien Geltung zu verschaffen.(126)

    3. Zur rückwirkenden Anwendung des milderen Strafgesetzes

    154. Nach Auffassung der Angeklagten Berlusconi und Dell’Utri sowie der italienischen Regierung sind jedoch in den Ausgangsverfahren die mit dem Decreto legislativo 61/02 eingeführten Artikel 2621 n.F. und 2622 n.F. des Codice Civile in jedem Fall als mildere Strafgesetze rückwirkend anzuwenden. Die Staatsanwaltschaft Mailand und die Kommission sind entgegengesetzter Meinung.

    155. In seiner früheren Rechtsprechung hat der Gerichtshof das Problem der rückwirkenden Anwendbarkeit milderer Strafgesetze als Frage des nationalen Rechts eingeordnet, die vom jeweils vorlegenden Gericht zu beurteilen sei(127) . So hat er etwa in der Rechtssache Allain(128) anerkannt, dass ein Verhalten, welches ursprünglich gegen Gemeinschaftsrecht verstieß und deswegen nach nationalem Recht strafbar war, in Anwendung nationaler Verfahrensgrundsätze (insbesondere des Grundsatzes der rückwirkenden Anwendung des milderen Strafgesetzes) neu bewertet werden kann, wenn sich die Tatsachen- und Rechtslage nachträglich geändert hat.

    156. Das Gebot der rückwirkenden Anwendung des milderen Strafgesetzes ist jedoch nicht nur in den nationalen Rechtsordnungen fast aller 25 Mitgliedstaaten verankert(129), sondern ist auch international anerkannt(130) . Es hat außerdem bereits seit einiger Zeit Eingang in das sekundäre Gemeinschaftsrecht gefunden, etwa in die Regeln über Verwaltungssanktionen wegen Unregelmäßigkeiten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaft(131) . Zudem wurde dieser Grundsatz auch in Artikel 49 Absatz 1 Satz 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union aufgenommen.

    157. Aus all dem folgt, dass dieses Prinzip keineswegs nur als rein nationaler Rechtsgrundsatz anzusehen ist, sondern auch als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts(132), den der nationale Richter grundsätzlich berücksichtigen muss, wenn er das zur Durchführung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien erlassene nationale Recht anwendet(133) .

    158. Mit dieser Feststellung ist allerdings noch nicht geklärt, ob mildere Strafgesetze selbst dann rückwirkend anzuwenden sind, wenn sie gemeinschaftsrechtswidrig sind . Gelten also Bestimmungen wie Artikel 2621 n.F. und 2622 n.F. des Codice Civile sogar dann rückwirkend für die vor ihrem Erlass begangenen Taten, wenn sie gegen die gesellschaftsrechtlichen Richtlinien verstoßen? Um diese Frage zu beantworten, empfiehlt es sich, den Hintergrund der rückwirkenden Anwendung milderer Strafgesetze näher zu untersuchen.

    159. Die Anwendung späterer, milderer Strafgesetze stellt eine Ausnahme zu dem bereits erörterten fundamentalen Grundsatz der Gesetzmäßigkeit von Strafen dar ( nullum crimen, nulla poena sine lege ), wird doch rückwirkend ein anderes Gesetz angewandt als das zum Tatzeitpunkt geltende.

    160. Dieser Ausnahme liegen letztlich Billigkeitserwägungen zugrunde, welche nicht den gleichen hohen Rang haben können wie etwa der Geltungsgrund für den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen, d.  h., der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Grundsatz der Rechtssicherheit. Dementsprechend hat der Grundsatz der rückwirkenden Anwendung milderer Strafgesetze auch in den meisten nationalen Rechtsordnungen keinen Verfassungsrang, sondern ist nur einfachgesetzlich verankert. Ferner kennt er seinerseits nicht selten Einschränkungen, etwa wenn die Strafbarkeit einer Tat auf einem von vornherein befristet geltenden Gesetz beruhte(134) .

    161. Die rückwirkende Anwendung milderer Strafgesetze basiert auf der Erwägung, dass ein Angeklagter nicht wegen eines Verhaltens verurteilt werden soll, welches nach der (geänderten) Ansicht des Gesetzgebers zum Zeitpunkt des Strafverfahrens gar nicht mehr strafwürdig ist. Dem Angeklagten sollen so die gewandelten gesetzgeberischen Bewertungen zugute kommen. Auf diese Weise wird insbesondere die Kohärenz der Rechtsordnung gewährleistet. Außerdem trägt die rückwirkende Anwendung des milderen Strafgesetzes dem Umstand Rechnung, dass die Strafzwecke der General- und Spezialprävention entfallen, sobald das fragliche Verhalten nicht mehr unter Strafe steht.

    162. In einem Fall mit Bezug zum Gemeinschaftsrecht rechtfertigt sich allerdings die rückwirkende Anwendung des milderen Strafgesetzes nur dann, wenn der Vorrang des Gemeinschaftsrechts gewahrt bleibt, wenn also auch die Wertvorstellungen des Gemeinschaftsgesetzgebers berücksichtigt werden und die (gewandelten) Anschauungen des nationalen Gesetzgebers mit den Vorgaben des Gemeinschaftsgesetzgebers im Einklang stehen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb dem Einzelnen rückwirkend die veränderte Bewertung des nationalen Gesetzgebers über die Strafwürdigkeit seines Verhaltens zugute kommen soll, wenn diese Bewertung den unverändert fortbestehenden gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zuwiderläuft(135) .

    163. Verstößt nämlich der nationale Gesetzgeber beim Erlass eines neuen, milderen Strafgesetzes gegen die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts, so fördert er keineswegs die Kohärenz der anwendbaren Bestimmungen; er gefährdet vielmehr die Einheitlichkeit der Rechtsordnung. In einem solchen Fall besteht kein Anlass, von einem fundamentalen rechtsstaatlichen Grundsatz wie der Gesetzmäßigkeit der Strafen eine Ausnahme zu machen. Im Gegenteil gebietet es die Wahrung der Kohärenz der Rechtsordnung, dem vorrangig anwendbaren Gemeinschaftsrecht zur Durchsetzung zu verhelfen.

    164. Selbstverständlich entfallen auch die Strafzwecke der Generalprävention und der Spezialprävention nicht, wenn ein Verhalten lediglich nach Ansicht des nationalen Gesetzgebers straffrei bleiben soll, während für dasselbe Verhalten von Gemeinschaftsrechts wegen unverändert wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen anzudrohen sind.

    165. Soweit die nationalen Bestimmungen mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar sind, muss es also bei der Verpflichtung der vorlegenden Gerichte bleiben, den Vorgaben der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien dadurch zur Durchsetzung zu verhelfen, dass sie diese nationalen Bestimmungen, und seien es mildere Strafgesetze, unangewendet lassen. Auf den Punkt gebracht könnte man sagen, dass ein nachträglich erlassenes gemeinschaftsrechtswidriges Strafgesetz gar kein anwendbares milderes Strafgesetz darstellt.

    166. Nichts anderes könnte übrigens gelten, wenn man das Gebot der rückwirkenden Anwendung des milderen Strafgesetzes – entgegen der hier vertretenen Auffassung(136) – nicht als gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz betrachtete, sondern allein als Frage des nationalen Rechts. Denn auch bei Anwendung nationaler Vorschriften setzt das Gemeinschaftsrecht der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten Schranken(137) . Aus dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts folgt, dass die vorlegenden Gerichte in den anhängigen Strafverfahren das Gemeinschaftsrecht sowie insbesondere die in den gesellschaftsrechtlichen Richtlinien zum Ausdruck kommenden Vorgaben und Wertvorstellungen des Gemeinschaftsgesetzgebers beachten müssen(138) .

    167. Eine im nationalen Recht vorgesehene rückwirkende Anwendung milderer Strafgesetze dürfte deshalb nicht die effektive und in allen Mitgliedstaaten einheitliche Anwendung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien gefährden. Keinesfalls dürfte sie zur Konsequenz haben, dass ein zur Tatzeit strafbares Verhalten unter Verstoß gegen die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts rückwirkend straffrei bleibt.

    168. Auch die Feststellungen des Gerichtshofes im Urteil Allain(139) stehen der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Im Gegensatz zum vorliegenden Fall hatte sich nämlich in der Rechtssache Allain der tatsächliche und gemeinschaftsrechtliche Rahmen zugunsten des Angeklagten nachträglich geändert. Ähnliches gilt für die Rechtssachen Awoyemi sowie Skanavi und Chryssanthakopoulos, wo sich ebenfalls zwischenzeitlich das Gemeinschaftsrecht geändert hatte(140) . Solche Konstellationen sind nicht damit zu vergleichen, dass auf nationaler Ebene nachträglich eine dem Angeklagten günstige, aber gemeinschaftsrechtswidrige Regelung eingeführt wird.

    4. Schlussfolgerung

    169. Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass das Gericht eines Mitgliedstaats verpflichtet ist, den Vorgaben einer Richtlinie ohne vorherige Einschaltung des nationalen Verfassungsgerichts dadurch Geltung zu verschaffen, dass es ein nach der Tat ergangenes milderes Strafgesetz unangewendet lässt, soweit dieses Gesetz unvereinbar mit der Richtlinie ist.

    V – Ergebnis

    170. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die ihm vom Tribunale di Milano und von der Corte di Appello di Lecce zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu antworten:

    1) Artikel 6, erster Spiegelstrich, der Ersten Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968, in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 3 und Artikel 47 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 und mit Artikel 10 EG, schreibt den Mitgliedstaaten geeignete Maßregeln nicht nur für den Fall vor, dass Jahresabschlüsse überhaupt nicht offen gelegt werden, sondern gilt darüber hinaus auch für den Fall, dass inhaltlich falsche Jahresabschlüsse offen gelegt werden.

    2) Maßregeln sind geeignet im Sinne von Artikel 6 der Ersten Richtlinie, wenn sie wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind. Dabei ist nicht nur den Interessen von Gesellschaftern und Gläubigern, sondern auch den Interessen sonstiger Dritter und dem Schutz ihres Vertrauens auf eine wahrheitsgetreue Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft besondere Bedeutung beizumessen. Ob eine nationale Rechtsvorschrift eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion enthält, ist unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Regelungssystem, einschließlich des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen, in jedem Fall zu prüfen, in dem sich diese Frage stellt.

    3) Zwar steht Artikel 6, erster Spiegelstrich, der Ersten Richtlinie in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 3 und Artikel 47 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Vierten Richtlinie einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegen, nach der die Strafbarkeit falscher Gesellschaftsmitteilungen ausgeschlossen ist, wenn durch die Tat nicht in erheblicher Weise die Darstellung der Ertrags-, Vermögens- und Finanzlage der Gesellschaft oder der Unternehmensgruppe verfälscht wird, es sei denn, die Tat wurde vorsätzlich und mit Täuschungs- bzw. Bereicherungsabsicht begangen.

    Jedoch stehen dieselben Bestimmungen einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen, nach der – ohne eine Gesamtbewertung aller Umstände des Einzelfalls – die Strafbarkeit falscher Gesellschaftsmitteilungen immer schon dann entfällt, wenn die wahrheitswidrigen Angaben oder die Unterlassungen zu einer Änderung führen, die um nicht mehr als einen bestimmten Prozentsatz vom richtigen Wert abweicht.

    4) Artikel 6, erster Spiegelstrich, der Ersten Richtlinie in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 3 und Artikel 47 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Vierten Richtlinie steht einer Verjährungsregelung entgegen, nach der die tatsächliche Verhängung der angedrohten Maßregeln in Wirklichkeit nicht oder nur selten zu erwarten ist.

    5) Artikel 6, erster Spiegelstrich, der Ersten Richtlinie in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 3 und Artikel 47 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Vierten Richtlinie steht einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegen, nach der Maßregeln, mit denen die Vermögensinteressen bestimmter Personen geschützt werden, in der Regel nur auf Antrag des Verletzten verhängt werden können. Dies setzt jedoch voraus, dass darüber hinaus eine allgemeine Rechtsvorschrift besteht, die zum Schutze der Interessen Dritter auch unabhängig von einem etwaigen Vermögensschaden wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Maßregeln vorsieht, welche von Amts wegen verhängt werden können.

    6) Entsprechend ist der auf konsolidierte Abschlüsse anwendbare Artikel 38 Absatz 6 in Verbindung mit Absatz 1 und Artikel 16 Absatz 3 der Siebten Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 auszulegen.

    7) Das Gericht eines Mitgliedstaats ist verpflichtet, den Vorgaben einer Richtlinie ohne vorherige Einschaltung des nationalen Verfassungsgerichts dadurch Geltung zu verschaffen, dass es ein nach der Tat ergangenes milderes Strafgesetz unangewendet lässt, soweit dieses Gesetz unvereinbar mit der Richtlinie ist.

    (1) .

    (2)  – ABl. L 65, S. 8. Artikel 58 des EWG-Vertrags entspricht Artikel 48 EG.

    (3)  – ABl. L 222, S. 11. Artikel 54 Absatz 3 des EWG-Vertrags entspricht Artikel 44 Absatz 2 EG.

    (4)  – Vgl. Artikel 1 der Ersten Richtlinie und Artikel 1 Absatz 1 der Vierten Richtlinie.

    (5)  – ABl. L 193, S. 1. Artikel 54 Absatz 3 des EWG-Vertrags entspricht Artikel 44 Absatz 2 EG.

    (6)  – Die Erste, Vierte und Siebte Richtlinie wurden zuletzt geändert durch Anhang II Abschnitt 4 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 2003, L 236, S. 338). Die für das vorliegende Vorabentscheidungsverfahren maßgeblichen Bestimmungen waren jedoch, soweit im Folgenden nichts Gegenteiliges vermerkt ist, bereits in der ursprünglichen Fassung der Richtlinie enthalten. Auch kommt es für den vorliegenden Fall aus zeitlichen Gründen nicht auf die Änderungen der Ersten Richtlinie durch Artikel 1 der Richtlinie 2003/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2003, ABl. L 221, S. 13, an.

    (7)  – Vierte Richtlinie in der Fassung der Richtlinie 90/605/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG über den Jahresabschluss bzw. den konsolidierten Abschluss hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs (ABl. L  17, S. 60; im Folgenden: Richtlinie 90/605).

    (8)  – Gesetzesvertretende Verordnung.

    (9)  – Das Decreto legislativo ist abgedruckt in GURI Nr. 88 vom 15. April 2002, S. 4. Es beruht auf einer parlamentarischen Ermächtigung in Artikel 11 des Gesetzes Nr. 366 vom 3. Oktober 2001 (GURI Nr. 234 vom 8. Oktober 2001).

    (10)  – Italienisches Zivilgesetzbuch.

    (11)  – Siehe Randnr. 42 des Vorlagebeschlusses in der Rechtssache C-391/02.

    (12)  – So die Corte di Appello di Lecce in Randnrn. 19 und 20 ihres Vorlagebeschlusses in der Rechtssache C-391/02, unter Berufung auf das Urteil Nr. 6889 der italienischen Corte Suprema di Cassazione, 5. Kammer, vom 20. Februar 2001.

    (13)  – So ausdrücklich das Tribunale di Milano in seinem Vorlagebeschluss in der Rechtssache C-403/02.

    (14)  – GURI Nr. 140 vom 19. Juni 2001.

    (15)  – Dass es sich um Sanktionen für Gesellschaften handelt, ergibt sich aus der Überschrift von Artikel 3 des Decreto legislativo 61/02 sowie aus dem Gesamtzusammenhang des Decreto legislativo 231/01, welches sich mit der administrativen Verantwortlichkeit der juristischen Personen, der Gesellschaften und der Vereine, auch ohne Rechtspersönlichkeit, beschäftigt („responsabilità amministrativa delle persone giuridiche, delle società e delle associazioni anche prive di personalità giuridica“).

    (16)  – Italienisches Strafgesetzbuch.

    (17)  – In den Ausgangsverfahren handelt es sich weder um (zum Tatzeitpunkt) börsennotierte Unternehmen noch um Taten zum Nachteil des Staates, anderer öffentlicher Einrichtungen oder der Europäischen Gemeinschaften.

    (18)  – In der Umgangssprache auch „schwarze Kassen“ genannt.

    (19)  – Wie sich aus den Akten des Ausgangsverfahrens sowie aus den ergänzenden Angaben des Angeklagten Berlusconi ergibt, stützt sich die Anklage darüber hinaus auf weitere Straftatbestände, etwa Artikel 2640 a.F. des Codice Civile.

    (20)  – Vgl. auch ABl. 2003, C 19, S. 10.

    (21)  – Das wirtschaftliche Ergebnis des Geschäftsjahres vor Steuern sei nicht um mehr als 5 % und das Nettovermögen um nicht mehr als 1 % verändert worden (vgl. Artikel 2621 n.F., Absatz 3, des Codice Civile).

    (22)  – Wie der Angeklagte Dell’Utri in seinen schriftlichen Erklärungen ergänzend mitteilt, handelt es sich in seinem Fall um den Vorwurf buchhalterischer Unregelmäßigkeiten in den Bilanzen der Firma Publitalia ’80 SpA, welche als „concessionaria di pubblicità“ für die Fininvest-Gruppe tätig war und deren Präsident Herr Dell’Utri war. Die Anklage basiert u. a. auf dem Vorwurf der Schaffung schwarzer Kassen („verborgene Reserven“).

    (23)  – Generalstaatsanwaltschaft beim Berufungsgericht Lecce.

    (24)  – Staatsanwaltschaft Mailand.

    (25)  – Der Einfachheit halber wird dieser Begriff im Folgenden als Sammelbegriff für die Erste, Vierte und Siebte Richtlinie verwendet.

    (26)  – Urteil vom 25. März 2004 in den verbundenen Rechtssachen C-480/00, C-481/00, C-482/00, C-484/00, C-489/00, C-490/00, C-491/00, C-497/00, C-498/00 und C-499/00 (Ribaldi, Slg. 2004, I-0000, Randnr. 73), Beschluss vom 11. Februar 2004 in den verbundenen Rechtssachen C-438/03, C-439/03, C-509/03 und C-2/04 (Cannito u. a., Slg. 2004; I-0000, Randnrn. 6 bis 8 mit weiteren Nachweisen), Urteil vom 26. Januar 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-320/90 bis C-322/90 (Telemarsicabruzzo u. a., Slg. 1993, I-393, Randnr. 6).

    (27)  – Vgl. etwa den Beschluss Cannito (insbesondere Randnrn. 9 und 10) und das Urteil Telemarsicabruzzo (insbesondere Randnrn. 8 und 9), beide zitiert in Fußnote 26.

    (28)  – Beispielsweise zur Nichtigerklärung des Beschlusses, mit dem die Bilanz einer Gesellschaft festgestellt wird.

    (29)  – Gegenstand eines verfassungsgerichtlichen Normenkontrollverfahrens könnte nach Angaben der vorlegenden Gerichte u. a. die Frage sein, ob das Decreto legislativo 61/02 verfassungswidrig ist, weil der Gesetzgeber gegen die gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen Italiens verstoßen hat.

    (30)  – Vgl. dazu die Nrn. 131 ff. dieser Schlussanträge.

    (31)  – Zu den Einzelheiten vgl. die Nrn. 132 ff. dieser Schlussanträge.

    (32)  – Urteile Ribaldi (zitiert in Fußnote 26, Randnr. 72), vom 7. Januar 2003 in der Rechtssache C-306/99 (BIAO, Slg. 2003, I-1, Randnrn. 88 und 89), vom 13. März 2001 in der Rechtssache C-379/98 (PreussenElektra, Slg. 2001, I-2099, Randnrn. 38 und 39) und vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93 (Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnrn. 59 bis 61).

    (33)  – Urteil Nr. 161/2004 der Corte costituzionale vom 26. Mai/1. Juni 2004.

    (34)  – Artikel 117 Absatz 1 der italienischen Verfassung bestimmt, dass die gesetzgebende Gewalt vom Staat und von den Regionen unter Beachtung der Verfassung sowie der Bindungen ausgeübt wird, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht und aus internationalen Verpflichtungen ergeben.

    (35)  – Beschluss Nr. 165/2004 der Corte costituzionale vom 26. Mai/1. Juni 2004.

    (36)  – Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass der Gerichtshof Vorlagen in ähnlichen Konstellationen bisher stets als zulässig angesehen hat. Vgl. das Urteil vom 26. September 1996 in der Rechtssache C-341/94 (Allain, S1g. 1996, I-4631, Randnrn. 12 und 13), das Urteil vom 25. Juni 1997 in den verbundenen Rechtssachen C-304/94, C-330/94, C-342/94 und C-224/95 (Tombesi u. a., Slg. 1997, I-3561, Randnrn. 39 und 40) und den Beschluss vom 15. Januar 2004 in der Rechtssache C-235/02 (Saetti und Frediani, Slg. 2004, I-0000, Randnr. 26). Vgl. ferner die Ausführungen in den Nrn. 25 bis 27 meiner Schlussanträge vom 10. Juni 2004 in der Rechtssache C-457/02 (Niselli, Slg. 2004, I-0000).

    (37)  – Zu Begriff und Zusammensetzung des Jahresabschlusses vgl. Artikel 2 Absatz 1 der Vierten Richtlinie. Der Begriff „Jahresabschluss“ wird im Folgenden aus Gründen der Vereinfachung benutzt.

    (38)  – So ausdrücklich die jeweils erste Vorlagefrage zu den Rechtssachen C-387/02 und C-403/02. Der Vorlagebeschluss in der Rechtssache C-391/02 setzt in seiner Randnr. 35 bereits voraus, dass geeignete Maßregeln auch für den Fall der Offenlegung inhaltlich falscher Jahresabschlüsse angedroht werden müssen.

    (39)  – Eine inhaltsgleiche Regelung sieht Artikel 38 Absatz 6 der Siebten Richtlinie für die konsolidierten Abschlüsse von Unternehmensgruppen vor.

    (40)  – Vgl. statt vieler das Urteil vom 13. November 2003 in der Rechtssache C-294/01 (Granarolo, Slg. 2003, I-0000, Randnr. 34 mit weiteren Nachweisen).

    (41)  – Vgl. dazu auch das Urteil BIAO (zitiert in Fußnote 32, Randnrn. 72 ff.), ferner die Urteile vom 14. September 1999 in der Rechtssache C-275/97 (DE + ES Bauunternehmung, Slg. 1999, I-5331, Randnrn. 26 und 27) und vom 27. Juni 1996 in der Rechtssache C-234/94 (Tomberger, Slg. 1996, I-3133, Randnr. 17, berichtigt durch Beschluss des Gerichtshofes vom 10. Juli 1997, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). Für konsolidierte Abschlüsse ergibt sich dasselbe aus Artikel 16 Absatz 3 in Verbindung mit der fünften Begründungserwägung der Siebten Richtlinie.

    (42)  – Urteile vom 4. Dezember 1997 in der Rechtssache C-97/96 (Daihatsu Deutschland, Slg. 1997, I-6843, Randnr. 14) und vom 29. September 1998 in der Rechtssache C-191/95 (Kommission/ Deutschland, Slg. 1998, I-5449, Randnr. 66).

    (43)  – Artikel 47 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Vierten Richtlinie verweist ausdrücklich auf die Erste Richtlinie; umgekehrt kündigt die Erste Richtlinie in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f bereits den Erlass einer Richtlinie zur Koordinierung des Inhalts der Bilanzen und der Gewinn- und Verlustrechnungen an, der sich mit der Vierten Richtlinie realisiert hat.

    (44)  – Zur mangelnden Kenntnis Dritter über die buchhalterische und finanzielle Situation der Gesellschaft vgl. auch das Urteil Daihatsu Deutschland (zitiert in Fußnote 42, Randnr. 22). Generalanwalt Cosmas betont ebenfalls in Nr. 32 seiner Schlussanträge vom 5. Juni 1997 in der Rechtssache C-191/95 (Kommission/Deutschland, Slg. 1998, I-5449, I-5452), dass die Pflicht zur Offenlegung von Jahresabschlüssen „die Unterrichtung derjenigen Personen bezweckt, die die Situation der Gesellschaft und deren Pläne nicht genug kennen, eben damit sie beurteilen können, ob die Aufnahme irgendeiner Rechtsbeziehung zu ihr zweckmäßig ist“.

    (45)  – Die Relevanz der nach Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g EG erlassenen Richtlinien für die Verwirklichung des Binnenmarkts unterstreicht auch der Gerichtshof im Urteil Daihatsu Deutschland (zitiert in Fußnote 42, Randnr. 18); ähnlich bereits das Urteil vom 12. November 1974 in der Rechtssache 32/74 (Haaga, Slg. 1974, 1201, Randnr. 6).

    (46)  – Die große Bedeutung der Richtigkeit von Jahresabschlüssen, nicht nur für Gesellschafter und Gläubiger, sondern auch für die Finanzmärkte und die Wirtschaft allgemein, wird beispielsweise auch in dem am 4. November 2002 in Brüssel veröffentlichten Bericht einer hochrangigen Expertengruppe betont, die im Auftrag der Kommission Empfehlungen zum europäischen Gesellschaftsrecht abgegeben hat: Bericht der hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa , S. 71 f., Abschnitt 4.3, erster Absatz; abrufbar (20. Juli 2004) unter < .

    (47)  – Ähnlich – wenngleich lediglich bezogen auf Sanktionen für die Nichtoffenlegung von Jahresabschlüssen – Generalanwalt Cosmas in seinen Schlussanträgen vom 5. Juni 1997 in der Rechtssache C-191/95 (zitiert in Fußnote 44, Nr. 30).

    (48)  – Artikel 47 Absatz 1a der Vierten Richtlinie wurde eingefügt durch die Richtlinie 90/605.

    (49)  – Urteil vom 16. Dezember 1997 in der Rechtssache C-104/96 (Coöperatieve Rabobank „Vecht en Plassengebied“, Slg. 1997, I-7211, insbesondere Randnrn. 22 bis 25).

    (50)  – Urteil Rabobank (zitiert in Fußnote 49, Randnrn. 25 bis 27).

    (51)  – Ständige Rechtsprechung seit dem Urteil vom 21. September 1989 in der Rechtssache 68/88 (Kommission/Griechenland, Slg. 1989, 2965, Randnr. 23); vgl. auch das Urteil Allain (zitiert in Fußnote 36, Randnr. 24) sowie die Urteile vom 30. September 2003 in der Rechtssache C-167/01 (Inspire Art, Slg. 2003, I-10155, Randnr. 62) und vom 15. Januar 2004 in der Rechtssache C-230/01 (Penycoed, Slg. 2004, I-0000, Randnr. 36).

    (52)  – Vgl. insbesondere die jeweils zweite Vorlagefrage in den Rechtssachen C-387/02 und C-403/02 sowie die erste Vorlagefrage in der Rechtssache C-391/02.

    (53)  – Vgl. dazu insbesondere die sechste Vorlagefrage in der Rechtssache C-391/02.

    (54)  – Vgl. dazu die Begründung zur jeweils zweiten Vorlagefrage in den Rechtssachen C-387/02 und C-403/02 sowie zur ersten Vorlagefrage in der Rechtssache C-391/02.

    (55)  – Vgl. dazu die fünfte und sechste Vorlagefrage in der Rechtssache C-391/02 sowie die dritte Vorlagefrage in der Rechtssache C-403/02.

    (56)  – Vgl. dazu die dritte Vorlagefrage in der Rechtssache C-387/02 sowie die zweite, dritte und vierte Vorlagefrage in der Rechtssache C-391/02.

    (57)  – Darauf zielt etwa der erste Teil der dritten Vorlagefrage in der Rechtssache C-403/02 ab.

    (58)  – Ständige Rechtsprechung; vgl. nur das Urteil Tombesi (zitiert in Fußnote 3651, Randnr. 63).

    (59)  – Ständige Rechtsprechung seit dem Urteil Kommission/Griechenland (zitiert in Fußnote 513651, Randnr. 62).

    (60)  – Vgl. die zweite Begründungserwägung der Ersten Richtlinie und die erste Begründungserwägung der Vierten Richtlinie sowie die Ausführungen in Nrn. 72 bis 75 dieser Schlussanträge.

    (61)  – Letzteren Aspekt betont Generalanwalt Van Gerven in Nr. 8 seiner Schlussanträge vom 5. Dezember 1989 in der Rechtssache C-326/88 (Hansen, Slg. 1990, I-2911, I-2919). Wirksam bedeutet seiner Ansicht nach „unter anderem, dass die Mitgliedstaaten gehalten sind, die Ziele der betreffenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen anzustreben und zu verwirklichen“.

    (62)  – Vgl. nur die Urteile vom 7. Januar 2004 in der Rechtssache C-201/02 (Delena Wells, Slg. 2004, I-0000, Randnr. 67 mit weiteren Nachweisen) und vom 14. Dezember 1995 in der Rechtssache C-312/93 (Peterbroeck, Slg. 1995, I-4599, Randnr. 12).

    (63)  – Vgl. etwa die Urteile vom 26. Juni 2003 in der Rechtssache C-404/00 (Kommission/Spanien, Slg. 2003, I-6695, Randnr. 24), vom 16. Juli 1998 in der Rechtssache C-298/96 (Oelmühle Hamburg und Schmidt Söhne, Slg. 1998, I-4767, Randnr. 24) und vom 21. September 1983 in den verbundenen Rechtssachen 205/82 bis 215/82 (Deutsche Milchkontor u. a., Slg. 1983, 2633, Randnr. 19).

    (64)  – Ähnlich Generalanwalt Van Gerven in seinen Schlussanträgen vom 5. Dezember 1989 in der Rechtssache Hansen (zitiert in Fußnote 61, Nr. 8): „‚Abschreckend‘ und ‚verhältnismäßig‘ bedeuten, dass die Sanktionen im Hinblick auf die angestrebten Ziele hinreichend sein müssen, aber nicht unverhältnismäßig streng sein dürfen“.

    (65)  – Urteil vom 18. Oktober 2001 in der Rechtssache C-354/99 (Kommission/Irland, Slg. 2001, I-7657, Randnr. 47), dazu Nr. 27 der Schlussanträge von Generalanwalt Geelhoed vom 5. April 2001 (Slg. 2001, I-7660). Vgl. auch die Urteile vom 8. Juni 1994 in der Rechtssache C-382/92 (Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1994, I-2435, Randnrn. 56 bis 58) und in der Rechtssache C-383/92 (Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1994, I-2479, Randnrn. 41 und 42).

    (66)  – Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vgl. etwa die Urteile vom 3. Juli 2003 in der Rechtssache C-220/01 (Lennox, Slg. 2003, I-7091, Randnr. 76), vom 12. März 2002 in den verbundenen Rechtssachen C-27/00 und C-122/00 (Omega Air u. a., Slg. 2002, I-2569, Randnr. 62) und vom 11. Juli 1989 in der Rechtssache 265/87 (Schräder, Slg. 1989, 2237, Randnr. 21). Vgl. auch das Urteil vom 23. Januar 1997 in der Rechtssache C-29/95 (Pastoors und Trans-Cap, Slg. 1997, I-285, Randnrn. 24, letzter Satz, und 25 bis 28).

    (67)  – In diesem Sinne – bezogen auf die Vereinbarkeit nationaler Verfahrensvorschriften mit dem Effektivitätsgrundsatz – die ständige Rechtsprechung: Vgl. etwa das Urteil Peterbroeck (zitiert in Fußnote 62, Randnr. 14) sowie die Urteile vom 10. April 2003 in der Rechtssache C-276/01 (Steffensen, Slg. 2003, I-3735, Randnr. 66), vom 27. Februar 2003 in der Rechtssache C-327/00 (Santex, Slg. 2003, I-1877, Randnr. 56) und vom 21. November 2002 in der Rechtssache C-473/00 (Cofidis, Slg. 2002, I-10875, Randnr. 37).

    (68)  – Vgl. dazu auch die in Fußnote 41 zitierte Rechtsprechung.

    (69)  – Entsprechende Bestimmungen für konsolidierte Abschlüsse enthält Artikel 16 der Siebten Richtlinie.

    (70)  – SEC Staff Accounting Bulletin No. 99, 17 CFR Part 211 [Release No. SAB 99], datiert vom 12. August 1999, abrufbar (13. Juli 2004) unter < > . Nach Auffassung der Verwaltung der SEC gilt: „ Exclusive reliance on certain quantitative benchmarks to assess materiality in preparing financial statements and performing audits of those financial statements is inappropriate; misstatements are not immaterial simply because they fall beneath a numerical threshold “. Als eines von mehreren Kriterien für die Beurteilung, ob eine quantitativ geringfügige Abweichung dennoch qualitativ bedeutsam ist, wird dort übrigens auch aufgeführt: „ whether the misstatement involves concealment of an unlawful transaction ”. Auch die Vorsätzlichkeit einer falschen Angabe kann für ihre Bewertung eine Rolle spielen: „ In certain circumstances, intentional immaterial misstatements are unlawful. “

    (71)  – So aber der Angeklagte Berlusconi in seinen schriftlichen Erklärungen.

    (72)  – Verordnung (EG) Nr. 69/2001 der Kommission vom 12. Januar 2001 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf „ De-Minimis “-Beihilfen (ABl. L 10, S. 30).

    (73)  – Vgl. die fünfte und Siebte Begründungserwägung der Gruppenfreistellungsverordnung (zitiert in Fußnote 72).

    (74)  – Vgl. Nr. 11 der Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken ( de minimis ), ABl. 2001, C 368, S. 13.

    (75)  – Zum Vergleich: Für Artikel 2621 a.F. des Codice Civile galt eine Verjährungsfrist von zehn Jahren; im Falle der Unterbrechung dieser Frist trat Verjährung insgesamt spätestens nach 15 Jahren ein (siehe z. B. Randnr. 42 des Vorlagebeschlusses in der Rechtssache C-391/02).

    (76)  – Urteil vom 24. Juni 2004 in der Rechtssache C-278/02 (Handlbauer, Slg. 2004, I-0000, Randnr. 40, berichtigt durch Beschluss des Gerichtshofes vom 14. Juli 2004, Slg. 2004, I-0000).

    (77)  – Artikel 3 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 312, S. 1; im Folgenden: Verordnung 2988/95).

    (78)  – Artikel 25 und 26 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1). Eine der Verjährung ähnliche Fristenregelung findet sich auch in Artikel 15 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags (ABl. L 83, S. 1). Hervorzuheben ist aber, dass die Fristen nach Artikel 25 Absatz 6 der Verordnung 1/2003 und nach Artikel 15 Absatz 2 Satz 4 der Verordnung 659/1999 jeweils ruhen, solange ein Gerichtsverfahren anhängig ist.

    (79)  – Ähnliche Erwägungen finden sich auch in anderem Zusammenhang, namentlich in der Rechtsprechung zur Anwendbarkeit bestimmter Verfahrensfristen des nationalen Rechts auf Sachverhalte mit Bezug zum Gemeinschaftsrecht. Dort lässt der Gerichtshof die Festlegung von (Ausschluss-)Fristen grundsätzlich zu, jedoch dürfen nach dem Effektivitätsgrundsatz solche Fristen die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren; vgl. dazu die Urteile vom 15. September 1998 in der Rechtssache C-231/96 (Edis, Slg. 1998, I-4951, Randnrn. 34 und 35) und vom 17. Juni 2004 in der Rechtssache C-30/02 (Recheio – Cash & Carry, Slg. 2004, I-0000, Randnrn. 17 und 18).

    (80)  – Vgl. auch Nrn. 88 und 89 dieser Schlussanträge.

    (81)  – Falls sich die vorlegenden Gerichte zur Beurteilung des italienischen Verjährungssystems, wie vom Angeklagten Berlusconi angeregt, auch auf Statistiken stützen wollten, so hätten sie sinnvollerweise darauf zu achten, dass solche Statistiken aussagekräftig sind, d. h., dass sie sich spezifisch auf die hier in Frage stehenden Straftatbestände beziehen und einen Vergleich zwischen den Auswirkungen der Verjährung nach altem und nach neuem Recht zulassen.

    (82)  – Unterzeichnet am 4. November 1950 in Rom.

    (83)  – ABl. 2000, C 364, S. 1. Wenngleich diese Charta noch keine dem Primärrecht vergleichbaren bindenden Rechtswirkungen entfaltet, gibt sie doch zumindest als Rechtserkenntnisquelle Aufschluss über die durch die Gemeinschaftsrechtsordnung garantierten Grundrechte; in diesem Sinne auch Nr. 51 der Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro vom 29. Juni 2004 in der Rechtssache C-181/03 P (Nardone, Slg. 2004, I-0000), Nr. 126 der Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 20. September 2001 in den verbundenen Rechtssachen C-20/00 und C-64/00 (Booker Aquaculture und Hydro Seafood, Slg. 2003, I-7411, I-7415), Nr. 28 der Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 8. Februar 2001 in der Rechtssache C-173/99 (BECTU, Slg. 2001, I-4881, I-4883) sowie Nrn. 82 und 83 der Schlussanträge des Generalanwalts Léger vom 10. Juli 2001 in der Rechtssache C-353/99 P (Hautala, Slg. 2001, I-9565, I-9567).

    (84)  – Urteile vom 17. Dezember 1998 in der Rechtssache C-185/95 P (Baustahlgewebe, Slg. 1998, I-8417, insbesondere Randnrn. 21, 29 und 47) und vom 15. Oktober 2002 in den verbundenen Rechtssachen C-238/99 P, C-244/99 P, C-245/99 P, C-247/99 P, C-250/99 P, C-251/99 P, C-252/99 P und C-254/99 P (Limburgse Vinyl Maatschappij u. a., Slg. 2002, I-8375, insbesondere Randnr. 187).

    (85)  – Urteil zitiert in Fußnote 4242, Randnr. 67) und den Beschluss vom 23. September 2004 in den verbundenen Rechtssachen C-435/02 und C-103/03 (Springer und Weske, Slg. 2004, I-0000, Randnrn. 28 bis 35).

    (86)  – Nrn . 67 bis 81 dieser Schlussanträge.

    (87)  – Vgl. dazu Nrn. 93 bis 104 und Nrn. 106 bis 111 dieser Schlussanträge.

    (88)  – In diesem Zusammenhang erwähnen etwa die Angeklagten Berlusconi und Dell’Utri u. a. die Artikel 2393 bis 2395 des Codice Civile.

    (89)  – In diesem Zusammenhang wird beispielsweise von den Angeklagten Berlusconi und Dell’Utri auf Artikel 2379 und den neuen Artikel 2434bis des Codice Civile verwiesen.

    (90)  – In diesem Zusammenhang wird von verschiedener Seite auf den neuen Artikel 25ter des Decreto legislativo 231/01 verwiesen (eingefügt durch das Decreto legislativo 61/02).

    (91)  – In diesem Zusammenhang wird namentlich auf Artikel 2630 n.F. des Codice Civile hingewiesen.

    (92)  – In diesem Zusammenhang verweisen beispielsweise die Angeklagten Berlusconi und Dell’Utri u. a. auf die Artikel 2409bis bis 2409septies des Codice Civile, eingefügt durch das Decreto legislativo Nr. 6 vom 17. Januar 2003 (GURI Nr. 17 vom 22. Januar 2003).

    (93)  – Vgl. Nrn. bis 87 bis dieser Schlussanträge.

    (94)  – Urteil vom 2. Oktober 1991 in der Rechtssache C-7/90 (Vandevenne u. a., Slg. 1991, I-4371, Randnr. 17), dazu Nr. 8 der Schlussanträge des Generalanwalts Van Gerven vom 19. Februar 1991. Ähnlich das Urteil vom 12. September 1996 in den verbundenen Rechtssachen C-58/95, C-75/95, C-112/95, C-119/95, C-123/95, C-135/95, C-140/95, C-141/95, C-154/95 und C-157/95 (Gallotti u. a., Slg. 1996, I-4345, Randnrn. 14 und 15).

    (95)  – Vgl. in diesem Sinne etwa das Urteil Inspire Art (zitiert in Fußnote 51, Randnrn. 62 und 63). Vgl. auch Nr. 91 dieser Schlussanträge.

    (96)  – Vgl. dazu Nrn. 115 bis 117 dieser Schlussanträge mit Hinweisen auf die Urteile Daihatsu Deutschland und Kommission/Deutschland (beide zitiert in Fußnote 42).

    (97)  – Darauf weisen etwa die Angeklagten Berlusconi und Dell’Utri in ihren schriftlichen Erklärungen hin. Demgegenüber betont die Generalstaatsanwaltschaft beim Berufungsgericht Lecce in ihren schriftlichen Erklärungen, dass beispielsweise bei börsennotierten Unternehmen nicht jeder Dritte eine solche Nichtigerklärung erwirken kann. Auch die Angeklagten Berlusconi und Dell’Utri erwähnen in ihren Schriftsätzen einige Einschränkungen des Anfechtungsrechts Dritter (vgl. etwa Artikel 2434bis des Codice Civile).

    (98)  – Wie Generalanwalt Cosmas in seinen Schlussanträgen vom 5. Juni 1997 in der Rechtssache C-191/95 (zitiert in Fußnote 44, Nr. 33) betont, haben Personen, die antragsberechtigt sind, nicht stets ein Interesse an der Einleitung des betreffenden Verfahrens.

    (99)  – In der Fassung des Decreto legislativo 61/02. Sowohl der Angeklagte Berlusconi als auch der Angeklagte Dell’Utri weisen auf diese Vorschrift ausdrücklich hin.

    (100)  – Vgl. auch Artikel 5 und 6 des Decreto legislativo 231/01.

    (101)  – Nrn. 67 bis 81 dieser Schlussanträge.

    (102)  – Vgl. dazu Artikel 51 der Vierten Richtlinie und Artikel 37 der Siebten Richtlinie. Vgl. außerdem Artikel 23 bis 27 der Achten Richtlinie 84/253/EWG des Rates vom 10. April 1984 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen (ABl. L 126, S. 20, zuletzt geändert durch Anhang XXII des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, ABl. 1994, L 1, S. 517). Artikel 54 Absatz 3 des EWG-Vertrags entspricht Artikel 44 Absatz 2 EG.

    (103)  – Noch deutlicher als in der deutschen Sprachfassung der Bestimmung ist beispielsweise in der französischen Version von „ sanctions appropriées “ die Rede, in der italienischen von „ adeguate sanzioni “, in der spanischen von „ sanciones apropiadas “, in der portugiesischen von „ sanções apropriadas “, in der niederländischen von „ passende sancties “ und in der englischen von „ appropriate penalties “.

    (104)  – In der mündlichen Verhandlung hat die Generalstaatsanwaltschaft Lecce beispielsweise darauf hingewiesen, dass die Strafe des Berufsverbots für Geschäftsführer von Unternehmen nur im Zusammenhang mit einem Verbrechen ( delitto ) ausgesprochen werden kann.

    (105)  – Vgl. zum gleichen Problem bereits meine Schlussanträge in der Rechtssache Niselli (zitiert in Fußnote 36, Nrn. 52 bis 75).

    (106)  – Sie berufen sich dabei auf Artikel 3 der italienischen Verfassung (Gleichbehandlungsgrundsatz) sowie auf die Artikel 11 und 117 der italienischen Verfassung (internationale, insbesondere gemeinschaftsrechtliche Verpflichtungen Italiens); vgl. dazu auch Fußnote 34.

    (107)  – Ständige Rechtsprechung seit dem Urteil vom 15. Juli 1964 in der Rechtssache 6/64 (Costa/ENEL, Slg. 1964, deutsche Ausgabe, S. 1253, 1269 f.).

    (108)  – Urteil vom 9. März 1978 in der Rechtssache 106/77 (Staatliche Finanzverwaltung/Simmenthal, Slg. 1978, 629, Randnrn. 21 bis 23). Vgl. auch die Urteile vom 19. Juni 1990 in der Rechtssache C-213/89 (Factortame, Slg. 1990, I-2433, Randnr. 20) und vom 19. November 1991 in den verbundenen Rechtssachen C-6/90 und C-9/90 (Francovich u. a., Slg. 1991, I-5357, Randnr. 32).

    (109)  – Urteil Simmenthal (zitiert in Fußnote 108, Randnr. 24; Hervorhebung von mir). Vgl. auch die Urteile vom 8. Juni 2000 in der Rechtssache C-258/98 (Carra u. a., Slg. 2000, I-4217, Randnr. 16) und vom 18. September 2003 in der Rechtssache C-416/00 (Morellato, Slg. 2003, I-9343, Randnrn. 43 und 44).

    (110)  – Urteil vom 24. Juni 1969 in der Rechtssache 29/68 (Milch-, Fett- und Eierkontor/Hauptzollamt Saarbrücken, Slg. 1969, 165, Randnrn. 2 und 3). Vgl. auch das Urteil vom 3. Februar 1977 in der Rechtssache 52/76 (Benedetti/Munari, Slg. 1977, 163, Randnr. 26/27) und den Beschluss vom 5. März 1986 in der Rechtssache 69/85 (Wünsche III, Slg. 1986, 947, Randnrn. 13 bis 15); ähnlich das Gutachten 1/91 vom 14. Dezember 1991 (EWR I, Slg. 1991, I-6079, Randnr. 61).

    (111)  – Urteile vom 27. März 1980 in der Rechtssache 61/79 (Denkavit italiana, Slg. 1980, 1205, Randnrn. 16 und 17) und in den verbundenen Rechtssachen 66/79, 127/79 und 128/79 (Meridionale Industria Salumi u. a., Slg. 1980, 1237, Randnr. 9) sowie vom 22. Oktober 1998 in den verbundenen Rechtssachen C-10/97 bis C-22/97 (IN.CO.GE.’90 u. a., Slg. 1998, I-6307, Randnr. 23) und vom 13. Januar 2004 in der Rechtssache C-453/00 (Kühne & Heitz, Slg. 2004, I-0000, Randnr. 21).

    (112)  – Urteile vom 11. Juni 1987 in der Rechtssache 14/86 (Pretore di Salò/X, Slg. 1987, 2545, Randnr. 20), vom 26. September 1996 in der Rechtssache C-168/95 (Arcaro, Slg. 1996, I-4705, Randnr. 36) und vom 7. Januar 2004 in der Rechtssache C-60/02 (X, Slg. 2004, I-0000, Randnr. 61).

    (113)  – Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer vom 18. Juni 1996 in den verbundenen Rechtssachen C-74/95 und C-129/95 (X, Slg. 1996, I-6609, I-6612, Nr. 43). Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 24. Oktober 1996 in den verbundenen Rechtssachen C-304/94, C-330/94, C-342/94 und C-224/95 (Tombesi u. a., Slg. 1997, I-3564, Nr. 37).

    (114)  – Zur Unterzeichnung aufgelegt am 19. Dezember 1966 (UN Treaty Series, Band 999, S. 171).

    (115)  – Vgl. dazu das Urteil des Gerichtshofes vom 12. Dezember 1996 in den verbundenen Rechtssachen C-74/95 und C-129/95 (X, Slg. 1996, I-6609, Randnr. 25) unter Verweis auf die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 25. Mai 1993 (Kokkinakis, Serie A, Nr. 260-A, § 52) und vom 22. November 1995 (S. W./Vereinigtes Königreich und C. R./Vereinigtes Königreich, Serie A, Nrn. 335-B, § 35, und 335-C, § 33). Vgl. auch das Urteil des Gerichtshofes vom 10. Juli 1984 in der Rechtssache 63/83 (Kirk, Slg. 1984, 2689, Randnr. 22).

    (116)  – Siehe dazu insbesondere das Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-74/95 und C-129/95 (zitiert in Fußnote 115112, Randnr. 42).

    (117)  – Urteile Pretore di Salò (zitiert in Fußnote 1121124236115, Randnr. 23).

    (118)  – Schlussanträge vom 6. Mai 2003 in den verbundenen Rechtsachen C-397/01 bis C-403/01 (Slg. 2004, I-0000). Da nach Ansicht des Gerichtshofes damit die Grundsatzfrage nach der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien zwischen Einzelnen aufgeworfen wurde, verwies er die Sache an die Große Kammer und eröffnete die mündliche Verhandlung wieder. In seinen zweiten Schlussanträgen vom 27. April 2004 bestätigte der Generalanwalt seinen Standpunkt.

    (119)  – Nr. 38 der (zweiten) Schlussanträge vom 27. April 2004 in den verbundenen Rechtsachen C-397/01 bis C-403/01 (Pfeiffer).

    (120)  – Siehe dazu die Nachweise in Fußnote 112.

    (121)  – Urteile vom 18. Dezember 1997 in der Rechtssache C-129/96 (Inter-Environnement Wallonie, Slg. 1997, I-7411, Randnr. 45), vom 8. Mai 2003 in der Rechtssache C-14/02 (ATRAL, Slg. 2003, I-4431, Randnr. 58) und vom 5. Februar 2004 in der Rechtssache C-157/02 (Rieser, Slg. 2004, I-0000, Randnr. 66).

    (122)  – Vgl. dazu unten, Nrn. 154 ff. dieser Schlussanträge.

    (123)  – Zitiert in Fußnote 3636, Randnr. 26).

    (124)  – Zitiert in Fußnote 36.

    (125)  – Für die Frage der Vergleichbarkeit des vorliegenden Falls mit den Rechtssachen Tombesi und Niselli spielt es übrigens keine Rolle , ob das Decreto legislativo 61/02 eine (partielle) „ abolitio criminis “ bewirkt, wie der Angeklagte Dell’Utri meint, oder aber „ Regelungskontinuität “ zwischen den alten und neuen Straftatbeständen besteht, wie das Tribunale di Milano in seinem Vorlagebeschluss zur Rechtssache C-403/02 und die italienische Regierung in ihrem Schriftsatz erklären. Entscheidend ist, dass hier wie dort infolge einer Gesetzesänderung bestimmte Handlungen straffrei werden, die zuvor (und zum Tatzeitpunkt) noch mit Strafe bedroht waren. Der Streit um „ abolitio criminis “ und „ Regelungskontinuität “ ist rein akademischer Natur.

    (126)  – Vgl. das Urteil Delena Wells (zitiert in Fußnote 62, Randnr. 57) und meine Schlussanträge vom 29. Januar 2004 in der Rechtssache C-127/02 (Landelijke Vereniging tot Behoud van de Waddenzee u. a., Slg. 2004, I-0000, Nrn. 146 ff.).

    (127)  – Vgl. das Urteil Allain (Randnr. 12), den Beschluss Saetti und Frediani (Randnr. 26) und das Urteil Tombesi (Randnrn. 42 und 43), jeweils zitiert in Fußnote 36113, Nr. 35).

    (128)  – Urteil zitiert in Fußnote 36.

    (129)  – In Italien etwa ist dieses Gebot in Artikel 2 Absatz 3 des Codice Penale verankert, in Deutschland in § 2 Absatz 3 des Strafgesetzbuchs. Nicht anerkannt wird dieser Grundsatz, soweit ersichtlich, lediglich in Irland und im Vereinigten Königreich.

    (130)  – Vgl. etwa Artikel 15 Absatz 1 Satz 3 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte.

    (131)  – Vgl. Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung 2988/95, dazu das Urteil vom 1. Juli 2004 in der Rechtssache C-295/02 (Gerken, Slg. 2004, I-0000, Randnrn. 52 bis 58).

    (132)  – Die Frage, ob es sich um einen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz handelt, hat Generalanwalt Fennelly bereits in seinen Schlussanträgen vom 7. März 1996 in der Rechtssache C-341/94 (Allain, Slg. 1996, I-4633, Nr. 43) aufgeworfen, im Ergebnis aber unbeantwortet gelassen. Generalanwalt Léger hat sie in seinen Schlussanträgen vom 16. Juli 1998 in der Rechtssache C-230/97 (Awoyemi, Slg. 1998, I-6784, Nrn. 31 und 32) unter Verweis auf frühere Rechtsprechung verneint.

    (133)  – Zur Pflicht, die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts zu beachten, vgl. statt vieler das Urteil vom 26. Oktober 1995 in der Rechtssache C-36/94 (Siesse, Slg. 1995, I-3573, Randnr. 21).

    (134)  – In Italien ist beispielsweise die rückwirkende Anwendung des milderen Strafgesetzes ausgeschlossen, wenn bereits ein rechtskräftiges Urteil ergangen ist oder wenn es sich um Ausnahme- oder zeitlich befristete Gesetze handelt (Artikel 2 Absätze 3 und 4 des Codice Penale). Die Kommission weist außerdem auf das Urteil Nr. 51 des italienischen Verfassungsgerichtshofes (Corte costituzionale) vom 19./22. Februar 1985 hin, wonach der Grundsatz der rückwirkenden Anwendung des milderen Strafgesetzes nicht für ein Gesetzesdekret (Decreto legge) gelte, welches nach seinem Erlass nicht vom Parlament in ein Gesetz umgewandelt wurde und deshalb rückwirkend seine Gültigkeit verlor; vgl. dazu auch Artikel 77 Absatz 3 der italienischen Verfassung.

    (135)  – Anders läge es im umgekehrten Fall, wenn das zur Tatzeit geltende Strafgesetz das mildere war bzw. wenn zur Tatzeit überhaupt keine Strafbarkeit bestand. Dann handelt es sich nicht um eine Ausnahme von dem fundamentalen rechtsstaatlichen Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafe, sondern schlichtweg um dessen Anwendung . Das mildere Strafgesetz bzw. die Straffreiheit muss bei dieser Sachlage selbst dann zur Geltung kommen, wenn die damalige nationale Rechtslage gegen das Gemeinschaftsrecht verstieß.

    (136)  – Nrn. 156 und 157 dieser Schlussanträge.

    (137)  – Für den Bereich des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts kommt dieser Gedanke beispielsweise in den Urteilen vom 2. Februar 1989 in der Rechtssache 186/87 (Cowan, Slg. 1989, 195, Randnr. 19) und vom 24. November 1998 in der Rechtssache C-274/96 (Bickel und Franz, Slg. 1998, I-7637, Randnr. 17) zum Ausdruck.

    (138)  – Zur Pflicht, die Geltung und praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, vgl. auch Nrn. 88 und 134 bis 136 dieser Schlussanträge.

    (139)  – Zitiert in Fußnote 36.

    (140)  – Urteile zitiert in Fußnote 127.

    Top