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Document 61994CC0272

    Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 26. Oktober 1995.
    Strafverfahren gegen Michel Guiot und Climatec SA, als zivilrechtlich haftender Arbeitgeber.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal correctionnel d'Arlon - Belgien.
    Arbeitgeberbeiträge - Treuemarken - Schlechtwettermarken - Freier Dienstleistungsverkehr.
    Rechtssache C-272/94.

    Sammlung der Rechtsprechung 1996 I-01905

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1995:362

    SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    GIUSEPPE TESAURO

    vom 26. Oktober 1995 ( *1 )

    1. 

    Das Tribunal correctionnel Arion ersucht den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Frage, ob einige Beitragspflichten mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind, die eine belgische Regelung, genauer, ein durch Königliche Verordnung für verbindlich erklärter Tarifvertrag, Unternehmen auferlegen, die in anderen Mitgliedstaaten, im vorliegenden Fall in Luxemburg, ansässig sind, im belgischen Hoheitsgebiet Dienstleistungen erbringen und dabei ihre eigenen Arbeitnehmer einsetzen.

    Es ist also zu prüfen, ob sich die vom Gastland gemäß seinen eigenen arbeitsrechtlichen Vorschriften auferlegten Bedingungen so auswirken, daß das Unternehmen, das die Arbeitnehmer beschäftigt, dadurch bei seiner Dienstleistungstätigkeit behindert wird, und ob sie somit gegen die Gemeinschaftsregelung über den Dienstleistungsverkehr verstoßen.

    2. 

    Das aufgeworfene Problem betrifft einige Aspekte der belgischen Vorschriften, die die Entlohnungsbedingungen für Arbeitnehmer in der Bauwirtschaft regeln; dabei geht es insbesondere um einige Lohnergänzungszahlungen, die die Arbeitgeber wegen der besonderen Natur dieser Tätigkeit zu leisten haben. Diese Vorschriften werden im folgenden dargestellt.

    Artikel 2 des Tarifvertrags vom 28. April 1988 (im folgenden: Tarifvertrag), der im Rahmen des paritätischen Bauausschusses geschlossen und durch Königliche Verordnung vom 15. Juni 1988 ( 1 ) für verbindlich erklärt wurde, schreibt allen Unternehmen dieses Sektors die Zahlung eines Beitrags von 9,12 % an einen Fonds zur Sicherung des Lebensunterhalts der Bauarbeiter (Fonds de sécurité d'existence des ouvriers de la construction; im folgenden: Fonds) vor, von dem 9 % in Form von „Treuemarken“ für die Arbeitnehmer selbst und 0,12 % zur Dekkung der Verwaltungskosten des Fonds bestimmt sind. Einige Gruppen von Unternehmen dieses Sektors, und zwar diejenigen, deren Arbeitnehmer dem Risiko erzwungener Untätigkeit bei schlechtem Wetter ausgesetzt sind, müssen außerdem gemäß Artikel 3 dieses Tarifvertrags einen weiteren Beitrag von 2,1 % zahlen, von dem 2 % in Form von „Schlechtwettermarken“ für die Arbeitnehmer und 0,1 % zur Deckung der Verwaltungskosten bestimmt sind.

    Die Beiträge nach den Artikeln 2 und 3, die auf der Grundlage von 100 % des Bruttolohns der einzelnen Arbeitnehmer errechnet werden (Artikel 4 Absatz 1 des Tarifvertrags), werden vom Arbeitgeber an das Office patronal d'organisation et de contrôle des régimes de sécurité d'existence (im folgenden: OPOC) abgeführt, das im Auftrag des Fonds die Beiträge erhebt und einzieht. Das OPOC überläßt dann am Ende eines jeden Haushaltsjahres mit den Marken versehene Karten dem Arbeitgeber (Artikel 14 des Tarifvertrags), der seinerseits eine Ausfertigung dieser Karten dem Arbeitnehmer aushändigt (Artikel 15 des Tarifvertrags). Diesem wird der Gegenwert der auf die Karten aufgeklebten Marken unmittelbar von den Gewerkschaften oder dem OPOC ausgezahlt.

    3. 

    Für die folgenden Erwägungen ist außerdem darauf hinzuweisen, daß die luxemburgischen Rechtsvorschriften, d. h. die des Mitgliedstaats der Niederlassung des betreffenden Unternehmens, auch wenn sie nicht mit den belgischen Rechtsvorschriften übereinstimmen, ebenfalls Regelungen vorsehen, die die Arbeitnehmer des Bausektors vor dem Risiko der Untätigkeit wegen schlechten Wetters schützen und außerdem ihre Treue zu diesem Sektor belohnen sollen. Insoweit sieht nämlich das Gesetz vom 28. Juni 1971 ( 2 ) die Zahlung eines Ausgleichslohns im Fall von Arbeitslosigkeit vor, die auf schlechtes Wetter in der Zeit vom 16. November bis zum 31. März zurückzuführen ist (Artikel 1). Diese Ausgleichsentschädigung wird sowohl für Arbeitslosigkeit während einzelner Stunden als auch während ganzer oder aufeinanderfolgender Tage gezahlt (Artikel 5). Der Bruttobetrag des Ausgleichslohns, den der Arbeitgeber an die Arbeitnehmer zahlen muß, entspricht 80 % des normalen Bruttolohns (Artikel 15).

    Darüber hinaus muß der Arbeitgeber seit dem 1. Januar 1989 seinen Arbeitnehmern mit dem Dezemberlohn eine Jahresabschlußprämie von 3 % des Bruttolohns zahlen, sofern der Arbeitnehmer über eine Betriebszugehörigkeit von mindestens einem Jahr verfügt ( 3 ). Ab 1. Januar 1993 ist die Jahresabschlußprämie auf 4 % des Bruttolohns erhöht worden ( 4 ).

    4. 

    Ich komme nun zum Sachverhalt, der dieser Rechtssache zugrunde liegt und der einfach und unbestritten ist. Die Climatec SA, ein in Luxemburg ansässiges Bauunternehmen, führte in der Zeit von März 1992 bis März 1993 auf der Baustelle der Fabrik Ferrerò in Arlon (Belgien) Arbeiten aus und beschäftigte dabei vier ihrer Arbeitnehmer.

    Die Staatsanwaltschaft leitete ein Strafverfahren gegen Herrn Guiot als Geschäftführer der Climatec SA ein, da diese sich geweigert hatte, die für die vier entsandten Arbeitnehmer nach belgischem Recht vorgeschriebenen Beiträge für „Treuemarken“ und „Schlechtwettermarken“ über einen Gesamtbetrag von 98153 BFR zu zahlen.

    5. 

    Im Rahmen dieser Klage hat das Tribunal correctionnel Arion beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof eine Vorlage zu unterbreiten. Die Vorabentscheidungsfrage lautet folgendermaßen:

    Sind die Artikel 7, 7a, 59 und 60 des Vertrages über die Europäische Union so auszulegen, daß die Tatsache, daß ein Mitgliedstaat, der über einen durch Königliche Verordnung für verbindlich erklärten Tarifvertrag alle Unternehmen, die aufgrund ihres Rechts auf freie Dienstleistung in seinem Hoheitsgebiet tätig sind oder dort tätig werden, zur Zahlung von Arbeitgeberbeiträgen für „Treuemarken“ und „Schlechtwettermarken“ verpflichtet, wodurch die Beitragspflichten dieser Unternehmen in ihrem Herkunftsland verdoppelt werden, und damit die gleichen Risiken gedeckt werden und praktisch der gleiche oder ein ähnlicher Zweck verfolgt wird, gegen die vorgenannten Artikel verstößt, da es sich tatsächlich um eine diskriminierende Maßnahme handelt, die ein ernsthaftes Hindernis darstellt für die Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs im Großen Binnenmarkt ohne Grenzen, weil diese Verpflichtung den Unternehmen in der Gemeinschaft zusätzliche Kosten verursacht und ihre Wettbewerbsfähigkeit im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats dadurch verringert?

    Ist, genauer gesagt, die Verpflichtung für ein Bauunternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und in Belgien Dienstleistungen im Bausektor erbringt, Schlechtwetter- und Treuemarken gemäß dem durch Königliche Verordnung vom 15. Juni 1988 für verbindlich erklärten Tarifvertrag vom 28. April 1988 zu zahlen, mit Artikel 59 EWG-Vertrag (Beschränkungen des freien grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs) vereinbar?

    6. 

    Mit dieser — zweigeteilten — Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob die Artikel 59 und 60 dahin auszulegen sind, daß sie es einem Mitgliedstaat verbieten, ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen, das sich in das Hoheitsgebiet des erstgenannten Staates begibt, um dort eine Dienstleistung zu erbringen, und dabei eigene Arbeitnehmer einsetzt, zu verpflichten, für diese Arbeitnehmer Beiträge zu entrichten, die sie bei durch schlechtes Wetter erzwungener Arbeitslosigkeit schützen und außerdem für ihre „Treue“ zu dem betreffenden Sektor belohnen sollen.

    Bevor ich mich dem Kern dieser Frage zuwende, möchte ich betonen, daß das vorlegende Gericht selbst im ersten Teil der Frage (sogar buchstäblich) unterstrichen hat, daß die dem Unternehmen von dem Staat, in dem die Dienstleistung erbracht wird, auferlegte Beitragspflicht die „Beitragspflichten ... verdoppelt“, die dieses Unternehmen im Mitgliedstaat seiner Niederlassung zu erfüllen hat. Denn die Beiträge, um die es geht, dekken nach Auffassung des vorlegenden Gerichts die gleichen Risiken und verfolgen einen ähnlichen, wenn nicht gar genau den gleichen Zweck.

    7. 

    Unstreitig geht es hier um die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne der Artikel 59 ff. des Vertrages. Bei der in Rede stehenden Tätigkeit handelt es sich nämlich um eine wirtschaftliche Tätigkeit, die von einem Bauunternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Leistung erbracht worden ist, ansässig ist, gegen Entgelt ausgeübt wird.

    Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht darin, daß mit der Erbringung der Dienstleistung eine vorübergehende Entsendung von Arbeitnehmern in den Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung erbracht wird, einhergeht ( 5 ), ein Fall, den der Gerichtshof im übrigen bereits in früheren Urteilen geprüft hat ( 6 ). Gerade wegen der — wenn auch nur vorübergehenden — Anwesenheit dieser Arbeitnehmer im belgischen Hoheitsgebiet war das Unternehmen, das die Dienstleistungen erbrachte, zur Zahlung der in Rede stehenden Beiträge verpflichtet.

    8. 

    Dieses vorausgeschickt, möchte ich zunächst daran erinnern, daß die Rechtsprechung im Bereich der Dienstleistungen aufgrund einer ähnlichen Einstellung, wie sie sich im Bereich des freien Warenverkehrs gefestigt hat, bereits eindeutig klargestellt hat, daß Artikel 59 „die Aufhebung aller Beschränkungen — selbst wenn sie unterschiedslos für einheimische Dienstleistende wie für Dienstleistende anderer Mitgliedstaaten gelten — verlangt, wenn sie geeignet sind, die Tätigkeit des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden oder zu behindern“ ( 7 ).

    Auch wenn eine Harmonisierung in diesem Bereich fehlt, ergibt sich hieraus, daß der freie Dienstleistungsverkehr als fundamentaler Grundsatz des Vertrages nur durch Regelungen beschränkt werden kann, die durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt sind und die für alle Personen oder Unternehmen gelten, die eine Tätigkeit im Gebiet des Staates ausüben, in dem die Dienstleistung erbracht wird, sofern dem Allgemeininteresse nicht bereits durch die Vorschriften Rechnung getragen wird, denen der Dienstleistende in dem Staat unterliegt, in dem er ansässig ist, und natürlich unter der Voraussetzung, daß das gleiche Ergebnis nicht durch weniger einschränkende Regelungen erreicht werden kann ( 8 ).

    9. 

    Es liegt jedoch auf der Hand, daß sich die streitige nationale Regelung ( 9 ), auch wenn sie unterschiedslos für einheimische Dienstleistende wie für Dienstleistende anderer Mitgliedstaaten gilt, einschränkend auf den freien Dienstleistungsverkehr innerhalb der Gemeinschaft auswirkt.

    Die in einem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen, die — wie die Climatec SA — in einem anderen Mitgliedstaat Dienstleistungen erbringen wollen und dazu eigene Arbeitnehmer dorthin schicken, müssen nämlich bereits im Land ihrer Niederlassung die Sozial- und Lohnabgaben für die bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmer tragen. Kurz gesagt, es handelt sich um Unternehmen, die bereits die gesetzlichen Anforderungen des Staates ihrer Niederlassung erfüllen müssen (und erfüllen).

    10. 

    Es stimmt, daß das Gemeinschaftsrecht, wie der Gerichtshof wiederholt festgestellt hat, es den Mitgliedstaaten nicht verwehrt, ihre Rechtsvorschriften oder die Tarifverträge der Sozialpartner über die Mindestlöhne unabhängig davon, in welchem Land der Arbeitgeber ansässig ist, auf alle Personen auszudehnen, die in ihrem Hoheitsgebiet, und sei es auch nur vorübergehend, eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausüben; ebensowenig verbietet es das Gemeinschaftsrecht, die Beachtung dieser Normen mit den geeigneten Mitteln durchzusetzen ( 10 ).

    Eine solche Feststellung bedeutet natürlich, daß das Gemeinschaftsrecht anerkennt, daß eine Regelung über einen sozialen Mindestlohn einen schützenswerten Zweck des Allgemeininteresses verfolgt. Die Beachtung einer solchen Regelung kann daher, wenn eine Harmonisierung oder wenigstens eine Koordinierung in dem Bereich fehlt ( 11 ), auch von den in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Dienstleistenden verlangt werden und somit bestimmte Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen, aber nur mit geeigneten Mitteln. Das bedeutet, daß auch in diesem Fall eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen ist.

    11. 

    Der Gerichtshof hat zu dem uns hier interessierenden Punkt insbesondere ausgeführt, daß „[e]ine Regelung oder Praxis, durch die allen Dienstleistungserbringern, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind und Angehörige von Drittstaaten als Arbeitnehmer beschäftigen, unabhängig davon, ob sie die in dem Mitgliedstaat, in dem die Leistung erbracht wird, geltende Regelung über den sozialen Mindestlohn beachtet haben oder nicht, allgemein eine den freien Dienstleistungsverkehr beschränkende Soziallast oder Belastung mit parasozialem Charakter auferlegt wird, ... [kein] geeignetes Mittel [darstellen kann], da eine solche allgemeine Maßnahme ihrer Natur nach weder geeignet wäre, für die Einhaltung dieser Regelung zu sorgen, noch sich in irgendeiner Weise vorteilhaft für die betreffenden Arbeitnehmer auswirken könnte“ ( 12 ).

    Nun, unabhängig von einer Prüfung der Frage, ob im vorliegenden Fall den entsandten Arbeitnehmern ein tatsächlicher Vorteil als Gegenleistung für die dem Arbeitgeber auferlegten Beitragspflichten zugute kommt, was die luxemburgische Regierung bestreitet, steht fest, daß es sich um eine allgemeine Maßnahme handelt, die als solche ungeeignet ist, die Erreichung des angestrebten Zieles zu gewährleisten. Es ist nämlich völlig klar, daß die Beitragspflichten, die die belgische Regelung allen Unternehmen auferlegt, die im belgischen Hoheitsgebiet Dienstleistungen erbringen und dazu eigene Arbeitnehmer dorthin schicken, den Mindestlohn überhaupt nicht berücksichtigen, den die bei diesen Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer erhalten. Die streitige Regelung ist mit anderen Worten dazu bestimmt, immer und auf jeden Fall angewandt zu werden und daher auch dann, wenn die betreffenden Arbeitnehmer möglicherweise einen höheren sozialen Mindestlohn erhalten als die Arbeitnehmer, für die die Rechtsvorschriften des Staates gelten, in dem die Dienstleistung erbracht wird.

    12. 

    Aus dieser Sicht ist im Licht der erwähnten Rechtsprechung, wonach der Dienstleistende in dem Staat, in dem er ansässig ist, nicht bereits den gleichen Bedingungen unterworfen sein darf ( 13 ), zu prüfen, ob die Anforderungen der Regelung des Staates seiner Niederlassung, hier Luxemburgs, die gleichen sind wie die der Regelung des Staates, in dem die Dienstleistung erbracht wird, hier Belgiens, oder jedenfalls mit ihnen vergleichbar sind.

    Da es im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nicht Sache des Gerichtshofes ist, eine vergleichende Untersuchung der beiden in Rede stehenden Regelungen vorzunehmen, ist erneut daran zu erinnern, daß das vorlegende Gericht im Vorlagebeschluß ausgeführt hat, daß die streitigen Beiträge eine Verdoppelung derjenigen darstellen, die nach der entsprechenden luxemburgischen Regelung gefordert werden. Für die vorliegenden Zwecke sei außerdem darauf hingewiesen, daß sicher keine völlige Übereinstimmung oder Gleichwertigkeit der in den Regelungen der beiden Staaten niedergelegten Beitragspflichten verlangt wird; es genügt, sehr viel einfacher, daß es sich um ähnliche Beiträge handelt, die insbesondere den gleichen Zweck haben.

    13. 

    In diesem Sinn äußert sich im übrigen auch die einschlägige Rechtsprechung. Der Gerichtshof hat nämlich in einem Fall, der in verschiedener Hinsicht dem vorliegenden gleicht, ausgeführt, daß es grundsätzlich mit den Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr unvereinbar ist, wenn der Umstand, daß den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden die gleichen Verpflichtungen auferlegt werden, die die einheimischen Dienstleistenden erfüllen müssen, zu einer zusätzlichen Erschwernis führt. Genauer gesagt, er hat festgestellt, daß eine versteckte Diskriminierung vorliegt, wenn „die für im Inland ansässige Leistende bestehende Verpflichtung zur Zahlung des Arbeitgeberanteils an den Beiträgen zur Sozialversicherung auf Arbeitgeber ausgedehnt wird, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind und bereits nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats für dieselben Arbeitnehmer und dieselben Beschäftigungszeiten vergleichbare Beiträge zu entrichten haben. Unter diesen Umständen stellt sich die Regelung des Staates, in dem die Leistung erbracht wird, wirtschaftlich gesehen nämlich als eine zusätzliche Belastung für die in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Arbeitgeber dar, die im Ergebnis stärker belastet werden als die im Inland ansässigen Leistenden.“ ( 14 )

    Auf der Grundlage dieser Feststellung hat der Gerichtshof gleichfalls ausgeführt, daß Unternehmen, die in einem anderen Mitgliedstaat eine Dienstleistung erbringen und hierzu eigene Arbeitnehmer dorthin schikken, sich weder an die Arbeitsverwaltung des Gastlandes wenden, noch sich den entsprechenden Verfahren unterwerfen müssen. Dies gilt selbstverständlich nur, soweit sie zuvor in dem Land, in dem sie ansässig sind, das für die Einstellung von (fremden oder einheimischen) Arbeitskräften gesetzlich vorgesehene Verfahren bereits eingehalten und die entsprechenden verwaltungsmäßigen und finanziellen Pflichten erfüllt haben ( 15 ).

    14. 

    Nun, wie aus den Akten und der mündlichen Verhandlung hervorgeht, hat die Climatec SA bereits im Staat ihrer Niederlassung Beiträge zu entrichten, die den gleichen Zweck haben wie die streitige belgische Regelung; diese Beiträge muß sie auch für die vorübergehend entsandten Arbeitnehmer entrichten, und zwar für die von diesen Arbeitnehmern in dem Staat, in dem die Dienstleistung erbracht worden ist, zurückgelegten Beschäftigungszeiten. Die belgische Regierung hat im übrigen, obwohl sie auf bestehende Unterschiede zwischen den beiden einschlägigen nationalen Regelungen hingewiesen hat, keineswegs nachgewiesen, daß es sich um zwei funktionell unterschiedliche Systeme handelt, und eher die Notwendigkeit eines Mechanismus anerkannt, der die Berücksichtigung dessen erlaubt, was das Unternehmen für ähnliche Zwecke bereits im Staat seiner Niederlassung entrichtet hat.

    Unter diesen Umständen stellen die Beitragspflichten, die den Unternehmen, die im belgischen Hoheitsgebiet eine Dienstleistung erbringen, auferlegt werden, eine zusätzliche Belastung dar, die als eine Verdoppelung der Pflichten angesehen werden kann, die bereits im Staat der Niederlassung auferlegt und erfüllt werden; diese Verdoppelung ist völlig ungerechtfertigt und geeignet, das betreffende Unternehmen im Wettbewerb mit den einheimischen Dienstleistenden zu benachteiligen. Hinzu kommt, daß es sich bei den Arbeitnehmern, um die es hier geht, um Gemeinschaftsbürger handelt, mit der Folge, daß die Anwendung des einschlägigen luxemburgischen Systems jedenfalls dazu angetan ist, die Gefahr der Ausbeutung von Arbeitnehmern und der Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Unternehmen auszuschließen ( 16 ).

    15. 

    Aus dem Vorstehenden ergibt sich abschließend, daß die streitige Regelung in bezug auf die geprüften Aspekte ein ungerechtfertigtes Hindernis für die Unternehmen darstellt, die im belgischen Hoheitsgebiet eine Dienstleistung erbringen. Diese Regelung verstößt daher gegen die Vorschriften über den Dienstleistungsverkehr, insbesondere gegen die Artikel 59 und 60 des Vertrages.

    16. 

    Im Licht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof daher vor, dem vorlegenden Gericht folgendermaßen zu antworten:

    Die Artikel 59 und 60 des Vertrages sind dahin auszulegen, daß sie es einem Mitgliedstaat verbieten, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen, die sich in das Gebiet des erstgenannten Mitgliedstaats begeben, um dort eine Dienstleistung zu erbringen, zur Zahlung von Beiträgen für Treuemarken und Schlechtwettermarken für die zur Erbringung der Dienstleistung entsandten Arbeitnehmer zu verpflichten, sofern diese Unternehmen im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung bereits vergleichbaren Belastungen für dieselben Arbeitnehmer und dieselben Beschäftigungszeiten unterworfen sind.


    ( *1 ) Originalspntche: Italienisch.

    ( 1 ) Monitem belge vom 7. Juli 1988, S. 9897.

    ( 2 ) Mémorial A, 1971, S. 36.

    ( 3 ) Großherzogliche Verordnung vom 21. Juli 1989 {Mémorial A, 1989, S. 975).

    ( 4 ) Vgl. Artikel 18 und Anhang TV der Großherzoglichen Verordnung vom 16. Oktober 1993 (Memorial A, 1993, S. 1668).

    ( 5 ) Hierzu ist daran zu erinnern, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber den Fall der vorübergehenden Entsendung von Arbeitnehmern im Bereich der sozialen Sicherheit berücksichtigt hat, und zwar in Artikel 14 Nr. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (in der durch die Verordnung [EWG] Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 kodifizierten Fassung, ABl. L 230, S. 6). Diese Vorschrift ist jedoch in der vorliegenden Rechtssache nicht anwendbar, da Artikel 1 Buchstabe j dieser Verordnung Vorschriften tarifvertraglichen Ursprungs von ihrem Geltungsbereich ausschließt, auch wenn sie durch Gesetz für allgemeinverbindlich erklärt worden sind. Vorliegend handelt es sich aber jedenfalls nicht um Sozialversicnerungsbeiträge, sondern um Beiträge, die den Zweck der Lohnergänzung haben.

    ( 6 ) Vgl. Urteil vom 3. Februar 1982 in den verbundenen Rechtssachen 62/81 und 63/81 (Seco und Desquenne & Girai, Slg. 1982, 223); Urteil vom 27. März 1990 in der Rechtssache C-113/89 (Rush Portuguesa, Slg. 1990, I-1417); außerdem Urteil vom 9. August 1994 in der Rechtssache C-43/93 (Vander Elst, Slg. 1994, I-3803). Im Unterschied zur vorliegenden Rechtssache, in der die entsandten Arbeitnehmer Gemeinschaftsangehörige sind, handelte es sich in den soeben genannten Rechtssachen hingegen um Drittstaatsangehörige oder um solche, für die noch eine Übergangsregelung galt (Rush Portuguesa).

    ( 7 ) Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-76/90 (Säger, Slg. 1991, I-4221, Randnr. 12).

    ( 8 ) Vgl. z. B. Urteile vom 26. Februar 1991 in der Rechtssache C-154/89 (Kommission/Frankreich, Slg. 1991, I-659; Randnrn. 14 und 15), in der Rechtssache C-180/89 (Kommission/Italien, Slg. 1991, I-709, Randnrn. 17 und 18) sowie in der Rechtssache 198/89 (Kommission/Griechenland, Slg. 1991, I-727, Randnrn. 18 und 19).

    ( 9 ) Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß diese Regelung Gegenstand eines von der Kommission gegen den belgischen Staat mit Aufforderungsschreiben vom 7. Januar 1993 eingeleiteten Vertragsverleizungsvcrfahrens sind. Wie die Kommission darin ausgeführt hat, hat sie dieses Verfahren jedoch im Hinblick auf die Anhängigkeit des vorliegenden Verfahrens ausgesetzt.

    ( 10 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. August 1994 (Vander Elst, a. a. O., Randnr. 23) und bereits Urteil vom 27. März 1990 (Rush Portuguesa, a. a. O., Randnr. 18); außerdem Urteil vom 3. Februar 1982 (Seco und Desquenne & Girai, a. a. O., Randnr. 14).

    ( 11 ) Hierzu möchte ich daran erinnern, daß sich gegenwärtig einvon der Kommission vorgelegter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates in der Diskussion befindet, der gerade die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen betrifft (geänderter Vorschlag, ABI. C 187 vom 9. Juli 1993, S.5). Dieser Richtlinienvorschlag bezweckt die Koordinierung der Gesetze der Mitgliedstaaten, und zwar durch Festlegung eines Kernbestands zwingender Bestimmungen über einen Mindestschutz, der im Gastland von den Arbeitgebern zu gewährleisten ist, die Arbeitnehmer für eine befristete Arbeitsleistung in das Hoheitsgebiet eines Staates entsenden, in dem eine Dienstleistung zu erbringen ist (vgl. 17. Begründungserwägung des geänderten Vorschlags).

    ( 12 ) Urteil Seco und Desquenne & Girai (a. a. O., Randnr. 14).

    ( 13 ) Eine derartige Voraussetzung, die den offensichtlichen Zweck hat, zu verhindern, daß doppelte (überflüssige) Kontrollen und die Verdoppelung von Belastungen den Dienstleistungsverkehr ungerechtfertigt einschränken, stellt erneut eine (andere) Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dar. So hat der Gerichtshof z. B. ausgeführt, daß die Beachtung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs impliziert, daß der Bestimmungsstaat der Dienstleistung „die Nachweise und Sicherheiten berücksichtigt, die der Leistungserbringer bereits für die Ausübung seiner Tätigkeit im Mitgliedstaat der Niederlassung beigebracht hat“ (Urteil vom 17. Dezember 1981 in der Rechtssache 279/80, Webb, Slg. 1981, 3305). Dieses Ergebnis findet sich auch im Urteil vom 18. Januar 1979 in den verbundenen Rechtssachen 110/78 und 111/78 (Van Wesemael, Slg. 1979, 35) und außerdem im Urteil vom 4. Dezember 1986 in der Rechtssache 205/84 (Kommission/Deutschland, Slg. 1986, 3755, Randnr. 27).

    ( 14 ) Urteil vom 3. Februar 1982 (Seco und Desquenne & Giral, a. a. O., Randnr. 9).

    ( 15 ) Vgl. Urteil vom 27. März 1990 (Rush Portuguesa, a. a. O., Randnr. 12); außerdem Urteil vom 9. August 1994 (Vander Elst, a. a. O., Randnrn. 18 bis 21).

    ( 16 ) Vgl. Urteil vom 9. August 1994 (Vander Elst, a. a. Ο., Randnr. 25).

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