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Document 61992CC0433
Opinion of Mr Advocate General Darmon delivered on 24 February 1994. # Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung v Otto Frick GmbH & Co. KG and Vinzenz Murr GmbH. # References for a preliminary ruling: Bundesverwaltungsgericht - Germany. # Beef and veal - Private storage aid - Time of taking into store - Penalty - Meat in the unaltered state - Boned meat - Standard conversion rates - Application. # Joined cases C-433/92 and C-434/92.
Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 24. Februar 1994.
Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung gegen Otto Frick GmbH & Co. KG und Vinzenz Murr GmbH.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesverwaltungsgericht - Deutschland.
Rindfleisch - Beihilfe zur privaten Lagerhaltung - Zeitpunkt der Einlagerung - Sanktion - Unverarbeitetes Fleisch - Entbeintes Fleisch - Pauschale Umrechnungssätze - Anwendung.
Verbundene Rechtssachen C-433/92 und C-434/92.
Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 24. Februar 1994.
Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung gegen Otto Frick GmbH & Co. KG und Vinzenz Murr GmbH.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesverwaltungsgericht - Deutschland.
Rindfleisch - Beihilfe zur privaten Lagerhaltung - Zeitpunkt der Einlagerung - Sanktion - Unverarbeitetes Fleisch - Entbeintes Fleisch - Pauschale Umrechnungssätze - Anwendung.
Verbundene Rechtssachen C-433/92 und C-434/92.
Sammlung der Rechtsprechung 1994 I-01543
ECLI identifier: ECLI:EU:C:1994:74
Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 24. Februar 1994. - BUNDESANSTALT FUER LANDWIRTSCHAFTLICHE MARKTORDNUNG GEGEN OTTO FRICK GMBH & CO. KG UND VINZENZ MURR GMBH. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: BUNDESVERWALTUNGSGERICHT - DEUTSCHLAND. - RINDFLEISCH - BEIHILFE ZUR PRIVATEN LAGERHALTUNG - ZEITPUNKT DER EINLAGERUNG - SANKTION - UNVERARBEITETES FLEISCH - ENTBEINTES FLEISCH - PAUSCHALE UMRECHNUNGSSAETZE - ANWENDUNG. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN C-433/92 UND C-434/92.
Sammlung der Rechtsprechung 1994 Seite I-01543
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Herr Präsident,
meine Herren Richter!
1. In den beiden verbundenen Rechtssachen, über die Sie jetzt zu entscheiden haben, geht es um die Auslegung dreier Verordnungen der Kommission über die Gewährung von Beihilfen für die private Lagerhaltung auf dem Rindfleischsektor.
2. Es handelt sich um die Verordnungen (EWG) Nr. 1071/68 vom 25. Juli 1968(1), Nr. 2471/77 vom 8. November 1977(2) und Nr. 1405/78 vom 22. Juni 1978(3), von denen die beiden letzten erlassen worden sind, um "einige in der [zuerst genannten Verordnung] vorgesehene Bedingungen zu ändern"(4), die für die Gewährung der Beihilfe galten und die den Verfahren in den Rechtssachen C-434/92 und C-433/92 zugrunde liegen.
3. Die vom Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Fragen beziehen sich auf die Auslegung einiger dieser Bedingungen.
4. Lassen Sie mich die Bestimmungen, um die es im Kern in dem Rechtsstreit geht, ins Gedächtnis rufen:
1) Nach Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1071/68 muß der Vertrag über die private Lagerhaltung den Lagerhalter verpflichten,
"a) die vereinbarte Menge des betreffenden Erzeugnisses auf eigene Rechnung und Gefahr fristgerecht einzulagern und zu lagern,
b) der zuständigen Interventionsstelle Tag und Ort der Einlagerung sowie Art und Gewicht der einzulagernden Erzeugnisse mitzuteilen,
c) der zuständigen Interventionsstelle unverzueglich die Nachweise über die Einlagerung zu übersenden,
...
e) der zuständigen Interventionsstelle jederzeit die Kontrolle der Einhaltung der Verpflichtungen zu ermöglichen."
2) In Artikel 4 der Verordnung Nr. 2471/77 (Tierkörper, halbe Tierkörper und "quartiers compensés"), der die Möglichkeit der Zerlegung und Entbeinung des Fleisches vorsieht, heisst es:
"...
(3) Zur Anwendung dieser Verordnung entsprechen 100 kg Fleisch mit Knochen ...:
a) 77 kg Fleisch ohne Knochen im Falle des Entbeinens oder Zerlegens der gesamten Menge, für welche der Vertrag abgeschlossen wird, oder im Falle des Entbeinens oder Zerlegens der gleichen Anzahl Vorder- wie Hinterviertel;
b) 70 kg Fleisch ohne Knochen im Falle des Entbeinens oder Zerlegens aller Vorderviertel.
..."
3) Die Möglichkeit des Entbeinens und Zerlegens des Fleisches (Vorderviertel) vor der Einlagerung ist ebenfalls Gegenstand von Artikel 4 der Verordnung Nr. 1405/78, der bestimmt:
"...
(2) Zur Anwendung dieser Verordnung entsprechen 100 Kilogramm Fleisch mit Knochen 70 Kilogramm Fleisch ohne Knochen.
..."
4) Nach den Artikeln 4 Absätze 4 und 5 der Verordnung Nr. 2471/77 und 4 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1405/78 wird keine Beihilfe gezahlt, wenn die eingelagerte Menge Fleisch ohne Knochen kleiner als 85 % der vertraglich einzulagernden Menge Fleisch mit Knochen ist, und die Beihilfe wird entsprechend verringert, wenn sich diese Menge auf mindestens diesen Prozentsatz beläuft.
5. Der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens trug sich im Rahmen der Anwendung dieser Bestimmungen zu. Lassen Sie mich diesen Sachverhalt kurz ins Gedächtnis rufen.
6. In der ersten Rechtssache erhielt die Otto Frick GmbH & Co. KG (im folgenden: Firma Frick) eine Beihilfe für die Lagerung von 22 157,4 kg Fleisch ohne Knochen, das vor der Entbeinung 29 571 kg gewogen hatte, was einer tatsächlichen Ausbeute von 74,93 % entsprach. Die Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung (BALM) forderte von der Firma Frick wegen der vorzeitigen Auslagerung von 3 220,8 kg Fleisch die Beihilfe in voller Höhe mit der Begründung zurück, daß die Mindestmenge von 85 % der vertraglich einzulagernden Menge, die nach der Verordnung Nr. 1405/78 für die Gewährung der Beihilfe vorgeschrieben sei, nicht mehr erreicht werde.
7. Die BALM gelangte zu diesem Ergebnis, indem sie auf die ausgelagerten 3 220,8 kg einen "tatsächlichen" Ausbeutesatz von 74,93 % nach der Entbeinung anwandte, der 4 298 kg vor der Entbeinung ergibt. Wird die letztgenannte Menge von der ursprünglich eingelagerten Menge - 29 571 kg - abgezogen, bleibt entbeintes Fleisch aus einer Menge von 25 273 kg Fleisch mit Knochen übrig, also eine Menge, die in Prozenten ausgedrückt, kleiner ist als die Mindestmenge von 85 % der aufgrund der in Rede stehenden Verordnung vertraglich einzulagernden Menge.
8. Die Firma Frick hat sich vor dem vorlegenden Gericht und in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof gegen die Anwendung dieses "tatsächlichen" Ausbeutesatzes gewandt und geltend gemacht, daß der "fiktive" Ausbeutesatz von 70 % (100 kg Fleisch mit Knochen entsprechen 70 kg ohne Knochen) nach der Verordnung anzuwenden sei: in diesem Fall sei der für die Beihilfegewährung erforderliche Satz von 85 % erreicht, und die Beihilfe dürfe nicht zurückgefordert, sondern lediglich gekürzt werden.
9. In der zweiten Rechtssache erhielt die Vinzenz Murr GmbH (im folgenden: Firma Murr) eine Beihilfe für die private Lagerhaltung von 31 367 kg ohne Knochen. Nachdem die BALM festgestellt hatte, daß 5 175,8 kg vor dem Vertragsabschluß eingelagert worden waren, vertrat sie die Ansicht, daß diese Einlagerung nicht genehmigt worden sei, und forderte die gesamte Beihilfe mit der Begründung zurück, daß bei einer Anwendung des tatsächlichen Ausbeutesatzes (77,09 %) aufgrund des Entbeinens und nach Abzug des auf diese Weise erhaltenen Gewichts von der ursprünglichen Menge eine eingelagerte Menge übrigbleibe, die unter der von der in Rede stehenden Verordnung vorgeschriebenen Mindestmenge von 85 % liege.
10. Nach Ansicht der Firma Murr kann mit der Einlagerung vor dem Abschluß des Vertrags begonnen werden, und die BALM habe im vorliegenden Fall die Möglichkeit gehabt, die Einlagerung ebenso objektiv zu kontrollieren wie nach dem Abschluß des Lagervertrags, denn ihr sei die Absicht der Firma Murr - gegen die sie keine Einwendungen erhoben habe -, die in Rede stehende Menge Fleisch zu zerkleinern und zu entbeinen, am selben Tag telefonisch mitgeteilt worden, an dem der Beihilfeantrag der Firma Murr bei ihr eingegangen sei. Zudem sei - dies ist auch die Ansicht der Firma Frick - für die Frage, ob der Mindestbetrag von 85 % erreicht werde, die in der Verordnung aufgeführte Berechnungsweise (100 kg mit Knochen entsprechen danach 77 kg ohne Knochen) anzuwenden.
11. Mit der Frage in der ersten Rechtssache sowie hilfsweise der letzten der fünf Fragen, die Ihnen in der zweiten Rechtssache vorgelegt werden, wird Auskunft darüber begehrt, welcher Umrechnungsschlüssel - tatsächlicher oder "fiktiver" Ausbeutesatz - für die Bestimmung der Mindestmenge, die einzulagern ist, bei Fleisch ohne Knochen anzuwenden ist, damit eine Beihilfe ganz oder teilweise gewährt werden kann.
12. Mit Hilfe der ersten vier Fragen soll bestimmt werden, ob die Firma Murr Anspruch auf eine Beihilfe für die vor Abschluß des Vertrags mit der BALM eingelagerte Partie Fleisch hat.
13. Mit der ersten Frage wird Auskunft darüber begehrt, ob mit der Einlagerung der vereinbarten Menge erst nach Abschluß des Lagerhaltungsvertrags begonnen werden darf.
14. Da die Verordnung Nr. 1071/68 keine genaueren Angaben hierzu enthält, schlägt die Kommission unter Berufung auf bestimmte Vorschriften dieser Verordnung über den Lagerhaltungsvertrag vor, diese Frage zu bejahen. Ich teile diesen Standpunkt.
15. Nach Artikel 3 Absatz 2 Buchstaben b und c muß der Vertrag den privaten Lagerhalter verpflichten, der Interventionsstelle Tag und Ort der Einlagerung sowie Art und Gewicht der einzulagernden Erzeugnisse mitzuteilen und ihr "unverzueglich" die Nachweise über die Einlagerung zu übersenden. Sonach muß die Einlagerung üblicherweise nach dem Abschluß des Vertrags erfolgen.
16. Die Auslegung dieser Bestimmungen im Zusammenhang mit Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe e, wonach der Lagerhalter der Interventionsstelle jederzeit die Kontrolle der Einhaltung der Verpflichtungen zu ermöglichen hat, spricht ebenfalls für dieses Ergebnis. Ist die Einlagerung vor dem Vertragsabschluß erfolgt, kann die Kontrolle nur nachträglich vorgenommen werden, was deren Zuverlässigkeit zu beeinträchtigen droht.
17. Für den Fall, daß die erste Frage bejaht wird, möchte das vorlegende Gericht wissen, mit welcher Tätigkeit die Einlagerung im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1071/68 beginnt.
18. Gemäß der Verordnung Nr. 2471/77 beträgt die Dauer der Lagerung vier oder fünf Monate (Artikel 5 Absatz 1), und die Lagerzeit beginnt am Tag der Beendigung der Einlagerung (Artikel 3 Absatz 2 Satz 2).
19. Zwar enthält diese Verordnung ebensowenig wie die Verordnung Nr. 1071/68 ähnlich genaue Angaben über den Beginn der Einlagerung, jedoch enthalten beide Regelungen wertvolle Anhaltspunkte.
20. Den ersten gibt uns Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1071/68, der lautet: "Die Beihilfe wird je Gewichtseinheit festgesetzt und bezieht sich auf das bei der Einlagerung nachgewiesene Gewicht vor dem Einfrieren." Die Einlagerung erfolgt demnach nach dem Wiegen und vor dem Einfrieren.
21. Nach der dritten Begründungserwägung dieser Verordnung kommen für die Beihilfe nur private Lagerhalter in Betracht, die die Gewähr "für eine sachgerechte Durchführung der Lagerung bieten und über die dafür erforderlichen Räumlichkeiten innerhalb der Gemeinschaft verfügen". Artikel 3 Absatz 2 regelt die "Einlagerung ... der einzulagernden Erzeugnisse" (Buchstabe b) und spricht von der Verpflichtung des Lagerhalters, "die Erzeugnisse in leicht identifizierbaren Partien zu lagern" (Buchstabe d).
22. Diese Angabe, die die vorhergehende präzisiert, erlaubt den Schluß, daß die Einlagerung in einen Kühlraum den Beginn der Einlagerung bedeutet, wobei darauf hinzuweisen ist, daß der Vorgang des Einfrierens erst später eingeleitet werden kann, damit es insbesondere der Interventionsstelle ermöglicht wird, alle sachdienlichen Kontrollen vorzunehmen.
23. Nachdem feststeht, daß mit der Einlagerung grundsätzlich erst nach Abschluß des Lagerhaltungsvertrags begonnen werden darf, ist zu untersuchen - darauf bezieht sich die dritte Frage -, ob der Vertragspartner, der eine Partie Fleisch vor Vertragsabschluß eingelagert hat, jeden Anspruch auf eine Beihilfe für diese Partie verliert.
24. Mit anderen Worten, ist die genannte Verpflichtung rechtlich als Hauptpflicht zu qualifizieren, deren Verletzung zum Verlust des Anspruchs auf die Beihilfe führen kann, oder als blosse Nebenpflicht, die eine solche Sanktion nicht rechtfertigt?
25. Sie haben in Ihrem Urteil Man (Sugar)(5) entschieden:
"Unterscheidet eine gemeinschaftsrechtliche Regelung zwischen einer Hauptpflicht, deren Erfuellung erforderlich ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen, und einer Nebenpflicht, die im wesentlichen administrativer Natur ist, so kann sie nicht, ohne gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu verstossen, die Nichtbeachtung der Nebenpflicht mit einer ebenso strengen Sanktion belegen wie die der Hauptpflicht."(6)
26. Ferner haben Sie in Ihrem Urteil Fromançais(7) festgestellt:
"Um festzustellen, ob eine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit übereinstimmt, muß in erster Linie geprüft werden, ob die zur Erreichung des angestrebten Zwecks eingesetzten Mittel mit der Bedeutung dieses Zwecks zu vereinbaren sind, und in zweiter Linie, ob sie zu dessen Erreichung erforderlich sind."(8)
27. Der Zweck der Beihilfen besteht vor allem in einem Anreiz für die Lagerhaltung. Diese muß jedoch unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen erfolgen, die geeignet sind, ihre Wirksamkeit zu gewährleisten und es der Interventionsstelle zu ermöglichen, ihre Kontrolle vorzunehmen. Ist dies nicht der Fall, so kann der Zweck der Verordnungen nicht erreicht werden.
28. Diese Voraussetzungen und insbesondere die Einhaltung der Verpflichtung, die Einlagerung erst nach Abschluß des Lagerhaltungsvertrags vorzunehmen, deren Bedeutung ich hervorgehoben habe, sind daher rechtlich als Hauptpflicht zu qualifizieren, deren Verletzung grundsätzlich den Verlust des Anspruchs auf Beihilfe für die betreffenden Mengen rechtfertigt.
29. Ich wiederhole: Angesichts der vorausgegangenen Erwägungen erscheint mir diese Sanktion als geeignet und erforderlich, um die wesentlichen Zwecke der betreffenden Regelung zu erreichen, die in einem Anreiz für die Lagerhaltung unter Vermeidung von Unregelmässigkeiten und Betrügereien bestehen.
30. Wie verhält es sich nach diesen Ausführungen, wenn die Verwaltung trotzdem die Möglichkeit hatte, die Einlagerung ebenso wirksam zu kontrollieren, wie wenn diese ordnungsgemäß, d. h. nach Abschluß des Lagerhaltungsvertrags, erfolgt wäre?
31. In einem solchen Fall schlägt das Bundesverwaltungsgericht in der Begründung seiner vierten Frage "eine differenzierende Betrachtung der ... Problematik"(9) des vorliegenden Falls vor; die Kommission und die Firma Murr teilen diese Betrachtungsweise, und es würde mir schwerfallen, mich ihr nicht anzuschließen.
32. Es sei darauf hingewiesen, daß der BALM telefonisch - eine in diesem Bereich gängige Praxis ihrer örtlichen Aussenstelle - die Absicht der Firma Murr mitgeteilt wurde, mit der vorzeitigen Einlagerung einer bestimmten Menge Fleisch zu beginnen, und daß sie hiergegen keine Bedenken angemeldet hat.
33. Wenn diese "vorzeitige" Einlagerung die Möglichkeiten der Vornahme der Kontrolle durch die BALM nicht beeinträchtigt hat - dieser Umstand ist von dem nationalen Gericht selbständig zu beurteilen -, so ist zu entscheiden, daß der Lagerhalter seinen Anspruch auf Beihilfe für die streitige Menge nicht verloren hat.
34. Kommen wir nun zu der beiden Verfahren gemeinsamen Frage. Sie stellt sich nicht in der gleichen Weise. Falls Sie meinem Vorschlag zur vierten Frage in der Rechtssache Murr folgen, bedarf das vorlegende Gericht keiner Antwort auf seine letzte Frage, um den Rechtsstreit, der bei ihm anhängig ist, zu entscheiden.(10)
35. Andernfalls bleibt diese Frage jedoch erheblich, und in jedem Fall kann es nur Ihre Antwort darauf dem vorlegenden Gericht ermöglichen, die Rechtssache Frick zu entscheiden.
36. Das Problem ist, lassen Sie mich daran erinnern, der Umrechnungsschlüssel, der anzuwenden ist, wenn das Fleisch zerlegt und entbeint ist. Wenn Sie die Lösung wählen, die Ihnen von den Unternehmen vorgeschlagen wird, und sich für den in den genannten Verordnungen vorgesehenen pauschalen Ausbeutesatz entscheiden, ist der Anspruch auf die streitigen Beihilfen in jedem Fall gewährleistet. Wenn Sie jedoch mit der BALM und der Kommission der Ansicht sind, daß nur der "tatsächliche" Ausbeutesatz zugrunde gelegt werden darf, wird ihnen der Anspruch versagt, gewiß, was die Rechtssache Frick angeht, und vorbehaltlich der vorausgehenden Ausführungen bei der Firma Murr.
37. Meines Erachtens ist die erste Lösung sowohl unter Berücksichtigung des Wortlauts der Regelungen selbst als auch des Fehlens einer Rechtsgrundlage für die zweite zu wählen.
38. Zuerst der Wortlaut der Regelungen: Die Artikel 4 Absatz 3 bzw. Absatz 2 der Verordnungen Nrn. 2471/77 und 1405/78 bestimmten: "Zur Anwendung dieser Verordnung entsprechen ..." x kg Fleisch mit Knochen y kg Fleisch ohne Knochen.
39. Daher ist diese Regel in Ermangelung einer ausdrücklichen Ausnahme bei der Durchführung der genannten Verordnungen in vollem Umfang anzuwenden.
40. Deshalb ist in Fällen, in denen eine bestimmte Menge Fleisch ohne Knochen vorschriftswidrig ausgelagert oder unter vorschriftswidrigen Voraussetzungen eingelagert wird, so daß sie in beiden Fällen nicht für die Gewährung einer Beihilfe in Betracht kommt, für die Ermittlung, welcher Menge Fleisch mit Knochen sie entspricht, der ausdrücklich in den in Rede stehenden Verordnungen vorgesehene Umrechnungsschlüssel und nicht irgendein tatsächlicher Ausbeutesatz anzuwenden, der in diesen Verordnungen nicht erwähnt wird.
41. Es erscheint nämlich folgerichtig, daß für ein so technisches Gebiet wie die Lagerhaltung von Rindfleisch genaue Vorschriften gelten. Zwar gibt es in den Verordnungen Nrn. 2471/77 und 1405/78 genaue Angaben zum pauschalen Ausbeutesatz (100 kg mit Knochen entsprechen je nach Lage des Falles 77 oder 70 kg ohne Knochen), jedoch keine Angaben zu dem tatsächlichen Ausbeutesatz, für dessen Anwendung die Kommission eintritt.
42. Daher veranlasst mich der Wortlaut dieser Bestimmungen zu dem Ergebnis, daß nur der dort erwähnte Pauschalsatz anzuwenden ist.
43. In diesem Sinne haben Sie in Ihrem Urteil Deutschland/Kommission(11) ausgeführt:
"... Rechtsakte der Gemeinschaft [müssen] ... eindeutig sein, und ihre Anwendung muß für die Betroffenen vorhersehbar sein. Dieses Gebot der Rechtssicherheit gilt in besonderem Masse, wenn es sich um Vorschriften handelt, die finanzielle Konsequenzen haben können, denn die Betroffenen müssen in der Lage sein, den Umfang der ihnen durch diese Vorschriften auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen."
44. Ferner bestätigt mich das Fehlen jeder Rechtsgrundlage für die von der Kommission vorgeschlagene Lösung, nach der der tatsächliche Ausbeutesatz zugrunde zu legen ist, in meiner Ansicht.
45. Ebensowenig, wie es in den Regelungen eine ausdrückliche Bestimmung über einen tatsächlichen Umrechnungsschlüssel gibt, lässt sich ihr Inhalt für eine Auslegung heranziehen, die den Standpunkt der Kommission unterstützt.
46. Die Kommission möchte, daß Sie aus den Artikeln 4 Absatz 1 der Verordnungen Nrn. 2471/77 und 1405/78, nach denen sämtliches beim Entbeinen oder Zerlegen anfallende Fleisch eingelagert werden muß (und nicht nur 77 oder 70 kg Fleisch ohne Knochen je 100 kg Fleisch mit Knochen), ableiten, daß bei der Festsetzung der Beihilfe die beim Entbeinen tatsächlich verbleibende Menge zu berücksichtigen sei. Eine solche Auslegung würde es dem Lagerhalter, der sich für das Entbeinen des Fleisches entschieden habe und der eine höhere Ausbeute als 77/100 kg oder 70/100 kg erzielt habe, verbieten, die gesamte Beihilfe zu beantragen und dabei die Möglichkeit zu behalten, die überzähligen Fleischstücke zu verkaufen. Zudem heisse es in der sechsten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1071/68: "Unter Berücksichtigung der Handelsbräuche empfiehlt es sich, bestimmte Abweichungen von der vereinbarten Lagermenge zuzulassen." Dies rechtfertige die in den Verordnungen Nrn. 2471/77 und 1405/78 vorgesehenen Prozentsätze (90 % oder 85 %, je nachdem, ob das Fleisch unbearbeitet oder entbeint eingelagert werde). Daher dürfe dem Vertragspartner, der nach dem Entbeinen einen Überschuß erzielt habe, nicht durch die Berücksichtigung des fiktiven Satzes bei der Berechnung der Beihilfe eine erhöhte Flexibilität eingeräumt werden.
47. Ich teile diesen Standpunkt nicht.
48. Die Verpflichtung der Wirtschaftsteilnehmer, das gesamte nach dem Entbeinen gewonnene Fleisch einzulagern, entspricht gewiß einem der hauptsächlichen Zwecke der genannten Verordnungen, der darin besteht, die Einlagerung einer möglichst grossen Menge Rindfleisch sicherzustellen(12) und Betrügereien zu verhindern. Sie ist keineswegs mit dem Vorhandensein pauschaler Umrechnungsschlüssel unvereinbar, mit denen die Voraussetzungen für die Gewährung der Beihilfen zugeteilt werden, im voraus genau festgelegt werden sollen.
49. Mit diesen Umrechnungsschlüsseln darf entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht nur bezweckt sein, einen Mindestausbeutesatz für das Entbeinen festzulegen. Sie stellen einen der wesentlichen Bestandteile der Verordnungen dar, denn ihre Anwendung macht den Anspruch auf Beihilfen von Bedingungen abhängig.
50. Desgleichen bin ich der Ansicht, daß die sechste Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1071/68 nicht in dem von der Kommission angegebenen Sinn ausgelegt werden darf, und ich halte es nicht für möglich, daraus ein Verbot für die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer abzuleiten, im Falle des Entbeinens die Anwendung des pauschalen Satzes zu erhalten.
51. Mehr noch, ich meine, daß die Anwendung des tatsächlichen Satzes auf eine Partie vorzeitig ausgelagertes oder vorschriftswidrig eingelagertes Fleisch ohne Knochen zum Zweck der Feststellung, welcher Menge Fleisch mit Knochen sie entspricht, schwerwiegende Bewertungsfehler hervorrufen kann.
52. Dieser tatsächliche Satz ergibt sich nämlich aus dem Entbeinen des gesamten eingelagerten Fleisches, also sämtlicher Stücke zusammengenommen. In diesem Sinne handelt es sich um einen tatsächlichen Durchschnittssatz, der sich aus dem Gesamtvorgang des Entbeinens ergibt.
53. Daher wäre die Anwendung dieses tatsächlichen Durchschnittssatzes auf eine kleine - die vorzeitig ausgelagerte oder vorschriftswidrig eingelagerte - Menge Fleisch, die nur aus einigen Stücken besteht, ungeeignet, denn dieser Satz ist nur im Verhältnis zu der Ausbeute, die beim Entbeinen des gesamten eingelagerten Fleisches erzielt wird, tatsächlich.
54. Dies bestärkt mich in meiner Meinung, daß der Pauschalsatz, wie er in den Verordnungen angegeben ist, angewandt werden muß.
55. Was die Gefahr betrifft, daß Lagerhalter, die entbeint haben, die überschüssigen Stücke verkaufen, braucht nur ausgeführt zu werden, daß die in Rede stehenden Verordnungen (in ihren Artikeln 4 Absatz 1) das Entbeinen nur unter der Voraussetzung gestatten, daß das gesamte bei diesem Vorgang gewonnene Fleisch eingelagert wird.
56. Daher schlage ich vor, für Recht zu erkennen:
1) Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1071/68 der Kommission vom 25. Juli 1968 über Beihilfen für die private Lagerhaltung auf dem Rindfleischsektor ist so auszulegen, daß ein privater Lagerhalter mit der Einlagerung der vereinbarten Menge erst nach Abschluß des Lagerhaltungsvertrags beginnen darf.
2) Die Einlagerung beginnt im Sinne der genannten Bestimmung vor dem Einfrieren mit der Einlagerung des Fleisches im Kaltlagerraum des Gefrierhauses.
3) Das Gebot, erst nach Vertragsabschluß einzulagern, stellt eine Hauptpflicht dar, deren Verletzung grundsätzlich den Anspruch auf eine Beihilfe für die betreffende Menge Fleisch entfallen lässt.
4) Dieser Anspruch entfällt jedoch dann nicht, wenn der private Lagerhalter der Interventionsstelle telefonisch die beabsichtigte vorzeitige Einlagerung der in Rede stehenden Menge angezeigt hat, ohne daß diese die geringsten Bedenken angemeldet hat, und wenn dieser Vorgang die Möglichkeit der Interventionsstelle nicht beeinträchtigt hat, eine wirksame Kontrolle der Einhaltung der Verpflichtungen des Lagerhalters durchzuführen.
5) Zur Berechnung der für den Anspruch auf Beihilfe für die Lagerhaltung zu berücksichtigenden Fleischmenge im Falle des Entbeinens sind die in Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2471/77 der Kommission vom 8. November 1977 zur Gewährung von im voraus festgesetzten pauschalen Beihilfen für die private Lagerhaltung von Tierkörpern, halben Tierkörpern und "quartiers compensés" auf dem Rindfleischsektor und Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1405/78 der Kommission vom 22. Juni 1978 zur Gewährung von im voraus festgesetzten pauschalen Beihilfen für die private Lagerhaltung von Vordervierteln auf dem Rindfleischsektor vorgesehenen pauschalen Sätze anzuwenden.
(*) Originalsprache: Französisch.
(1) - Verordnung über Durchführungsbestimmungen für die Gewährung von Beihilfen für die private Lagerhaltung auf dem Sektor Rindfleisch (ABl. L 180, S. 19).
(2) - Verordnung zur Gewährung von im voraus festgesetzten pauschalen Beihilfen für die private Lagerhaltung von Tierkörpern, halben Tierkörpern und quartiers compensés auf dem Rindfleischsektor (ABl. L 286, S. 20).
(3) - Verordnung zur Gewährung von im voraus festgesetzten pauschalen Beihilfen für die private Lagerhaltung von Vordervierteln auf dem Rindfleischsektor (ABl. L 170, S. 20).
(4) - Siehe die sechste bzw. die vierte Begründungserwägung dieser Verordnungen.
(5) - Urteil vom 24. September 1985 in der Rechtssache 181/84 (Slg. 1985, 2889).
(6) - Randnr. 20.
(7) - Urteil vom 23. Februar 1983 in der Rechtssache 66/82 (Slg. 1983, 395).
(8) - Randnr. 8.
(9) - Vorlagebeschluß, II 1 d.
(10) - A. a. O., II 1 erster Absatz.
(11) - Urteil vom 15. Dezember 1987 in der Rechtssache 332/85 (Slg. 1987, 5143, Randnr. 23).
(12) - Urteil vom 1. Februar 1994 in der Rechtssache C-374/92 (Irsfeld, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 24).