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Document 52024DC0036

BERICHT DER KOMMISSION AN DEN RAT UND DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT AKTUELLER STAND DER DURCHSETZUNG DES WETTBEWERBSRECHTS IM ARZNEIMITTELSEKTOR (2018-2022) Die europäischen Wettbewerbsbehörden arbeiten zusammen für erschwingliche und innovative Arzneimittel

COM/2024/36 final

Brüssel, den 26.1.2024

COM(2024) 36 final

BERICHT DER KOMMISSION AN DEN RAT UND DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT

AKTUELLER STAND DER DURCHSETZUNG DES WETTBEWERBSRECHTS IM ARZNEIMITTELSEKTOR (2018-2022)

Die europäischen Wettbewerbsbehörden arbeiten zusammen für erschwingliche und innovative Arzneimittel


BERICHT DER KOMMISSION AN DEN RAT UND DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT

AKTUELLER STAND DER DURCHSETZUNG DES WETTBEWERBSRECHTS IM ARZNEIMITTELSEKTOR (2018-2022)

Die europäischen Wettbewerbsbehörden arbeiten zusammen für erschwingliche und innovative Arzneimittel

Zusammenfassung

Dieser Bericht bietet einen Überblick über die Durchsetzung der kartell- und fusionskontrollrechtlichen Vorschriften der EU in Bezug auf Arzneimittel und gewisse andere Medizinprodukte durch die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden der EU-Mitgliedstaaten (im Folgenden „europäische Wettbewerbsbehörden“) im Zeitraum 2018-2022 ( 1 ). Darüber hinaus legt der Bericht dar, wie das Wettbewerbsrecht der EU in der schwierigen Zeit der Covid-19-Krise dem Schutz der Unternehmen und Verbraucher diente. Dieser Bericht schließt an den zuvor veröffentlichten Bericht ( 2 ), der die Jahre 2009-2017 abdeckte, an.

Im Zeitraum 2018-2022, der Gegenstand dieses Berichts ist, ergingen insgesamt 26 kartellrechtliche Beschlüsse europäischer Wettbewerbsbehörden, die Arzneimittel betrafen. Mit diesen Beschlüssen wurden Sanktionen (Geldbußen von fast 780 Mio. EUR) verhängt oder Verpflichtungszusagen zur Abstellung wettbewerbswidriger Verhaltensweisen für bindend erklärt. Einige dieser Beschlüsse betrafen wettbewerbswidrige Verhaltensweisen, die zuvor noch nicht nach dem EU-Wettbewerbsrecht geprüft worden waren. Diese Präzedenzfälle geben den Akteuren der Branche Orientierungshilfen an die Hand, wie sie sicherstellen können, dass sie die geltenden EU-Wettbewerbsvorschriften einhalten. Im Zeitraum 2018-2022 gab es mehr als 40 Fälle aus dem Arzneimittelsektor, in denen europäische Wettbewerbsbehörden ihre Untersuchungen abschlossen, ohne einen Beschluss zur Feststellung einer Zuwiderhandlung bzw. einen Verpflichtungsbeschluss zu erlassen; in 30 Fällen mutmaßlicher wettbewerbswidriger Zuwiderhandlungen im Arzneimittelsektor wird zurzeit noch ermittelt.

Um eine übermäßige Konzentration der Arzneimittelmärkte infolge von Zusammenschlüssen zu verhindern, hat die Kommission mehr als 30 Zusammenschlüsse im Arzneimittelsektor geprüft. In fünf dieser Fusionskontrollsachen wurden wettbewerbsrechtliche Bedenken festgestellt. Vier dieser Zusammenschlüsse wurden von der Kommission erst genehmigt, nachdem die Unternehmen Änderungen an ihrem Vorhaben angeboten hatten; einer der Zusammenschlüsse wurde aufgegeben. ( 3 )

Beispiele von Kartell- und Fusionskontrollsachen veranschaulichen, wie eine enge wettbewerbsrechtliche Kontrolle des Arzneimittelsektors und die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts dazu beitragen, den Zugang der Patienten in der EU zu erschwinglichen und innovativen Arzneimitteln zu sichern.



Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

1.Einleitung

2.Überblick über die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Arzneimittelsektor

2.1.Durchsetzung der Kartellvorschriften

2.1.1.Was sind die Kartellvorschriften?

2.1.2.Wer setzt die Kartellvorschriften durch?

2.1.3.Welche Instrumente und Verfahren sind verfügbar?

2.1.4.Überblick über die Maßnahmen zur Durchsetzung des Kartellrechts im Arzneimittelsektor

2.2.Fusionskontrolle im Arzneimittelsektor

2.2.1.Was sind die EU-Fusionskontrollvorschriften?

2.2.2.Welche Möglichkeiten hat die Kommission im Falle eines problematischen Zusammenschlusses?

2.2.3.Die Fusionskontrolle der Kommission im Arzneimittelsektor in Zahlen

2.3.Marktüberwachung und Maßnahmen zur Förderung des Wettbewerbsgedankens im Arzneimittelsektor

3.Berücksichtigung der Besonderheiten des Arzneimittelsektors bei der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts

3.1.Spezifische Angebots- und Nachfragestruktur auf den Arzneimittelmärkten

3.2.Der Rechts- und Regulierungsrahmen bestimmt die Wettbewerbsdynamik

3.2.1.Produktlebenszyklus und regulierungsbedingter stetiger Wandel des Wettbewerbs

3.2.2.Preisfestsetzungs- und Erstattungsregeln haben großen Einfluss auf den Wettbewerb zwischen Arzneimitteln

3.2.3.Reform der EU-Arzneimittelvorschriften und „Eine Arzneimittelstrategie für Europa“

4.Schutz der Unternehmen und Verbraucher durch das Wettbewerbsrecht auch in der Covid-19-Krise

4.1.Orientierungshilfe der Kommission zu kartellrechtlichen Vorschriften für in Reaktion auf den Covid-19-Ausbruch zusammenarbeitende Unternehmen

4.2.Initiativen nationaler Wettbewerbsbehörden und Abstimmung mit der Kommission

5.Wettbewerb fördert den Zugang zu erschwinglichen Arzneimitteln

5.1.Die Durchsetzung des Kartellrechts unterstützt das reibungslose Inverkehrbringen günstigerer Arzneimittel

5.1.1.Patentmissbrauch und missbräuchliche Prozessführung

5.1.2.Pay-for-Delay-Vereinbarungen

5.1.3.Verunglimpfung

5.1.4.Missbräuchliche Rabatte und Verdrängungspreise

5.1.5.Weitere Verhaltensweisen zur Verhinderung des Inverkehrbringens

5.2.Durchsetzungsmaßnahmen gegen marktbeherrschende Unternehmen, die unangemessen hohe Preise (überhöhte Preise) verlangen

5.3.Andere wettbewerbswidrige Verhaltensweisen, die den Preiswettbewerb behindern können

5.4.Fusionskontrolle und erschwingliche Arzneimittel

5.4.1.Wie wirken sich Zusammenschlüsse auf die Arzneimittelpreise aus?

5.4.2.Wie werden Preiserhöhungen infolge von Zusammenschlüssen durch die Fusionskontrolle verhindert?

6.Wettbewerb fördert Innovation und erhöht die Auswahl an Medikamenten

6.1.Die Durchsetzung der Kartellvorschriften fördert Innovation und Auswahl

6.1.1.Durchsetzungsmaßnahmen gegen Verhaltensweisen, die Innovationen verhindern oder die Wahlmöglichkeiten der Patienten einschränken

6.1.2.Unterstützung wettbewerbsfördernder Innovationszusammenarbeit durch das Wettbewerbsrecht

6.2.Schutz des Innovationswettbewerbs bei Arzneimitteln durch die Fusionskontrolle

6.2.1.Wie können Zusammenschlüsse die Innovation im Arzneimittelsektor beeinträchtigen?

6.2.2.Wie kann die Fusionskontrolle zur Sicherung der Innovationsvoraussetzungen beitragen?

7.Schlussfolgerung



1.Einleitung

Dieser Bericht bietet einen Überblick über die Durchsetzung der kartell- und fusionskontrollrechtlichen Vorschriften der EU im Arzneimittelsektor durch die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten (im Folgenden „europäische Wettbewerbsbehörden“) im Zeitraum 2018-2022 ( 4 ).

Dieser Bericht, der an den zuvor veröffentlichten Bericht über die Jahre 2009-2017 ( 5 ) anschließt, soll einen entsprechenden Überblick über die Branche für den Folgezeitraum geben.

Mit diesem Bericht wird auf die zuvor vom Rat ( 6 ) und vom Europäischen Parlament ( 7 ) geäußerte Besorgnis reagiert, dass der Zugang der Patienten zu erschwinglichen und innovativen unentbehrlichen Arzneimitteln durch das Zusammenspiel sehr hoher und unzumutbarer Preise, aktiver Geschäftsstrategien der Pharmaunternehmen und begrenzter Verhandlungsmacht der nationalen Regierungen gegenüber diesen Pharmaunternehmen gefährdet sein könnte.

Für die Menschen ist es sehr wichtig, gesund zu sein und Zugang zu erschwinglichen und innovativen Arzneimitteln und medizinischer Versorgung zu haben. In der Covid-19-Krise sind die gesellschaftliche und die wirtschaftliche Bedeutung des Arzneimittelsektors und des Gesundheitswesens im Allgemeinen noch viel deutlicher geworden. Die Präventionsausgaben (z. B. für Tests, Nachverfolgung und pandemiebezogene Informationskampagnen) stiegen 2020 (gegenüber 2019) um fast ein Drittel, während die Ausgaben für stationäre Behandlungen um fast 9 % zunahmen. Obwohl das BIP deutlich zurückging, verzeichneten die Mitgliedstaaten der EU 2020 einen Anstieg der Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben um zwischen 5,8 % (Luxemburg) und 12,8 % (Deutschland) des BIP. ( 8 ) Die Ausgaben für Arzneimittel stellen einen erheblichen Teil der staatlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen dar. ( 9 ) Vor diesem Hintergrund können die Arzneimittelpreise für die nationalen Gesundheitssysteme eine große Belastung darstellen.

Darüber hinaus sind kontinuierliche Anstrengungen im Hinblick auf Innovationen und Investitionen in Forschung und Entwicklung („FuE“) entscheidend für die Entwicklung neuer oder verbesserter Behandlungsformen, die Patienten und Ärzten eine Auswahl an modernsten Arzneimitteln bieten. Innovationsanreize können jedoch durch Zusammenschlüsse und wettbewerbswidrige Verhaltensweisen auch zunichtegemacht werden.

In diesem Bericht wird aufgezeigt, wie die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts – d. h. sowohl der EU-Kartellvorschriften als auch der EU-Fusionskontrollvorschriften ( 10 ) – dazu beigetragen hat, die Versorgung der Patienten in der EU mit erschwinglichen und innovativen Arzneimitteln zu gewährleisten. Der Bericht wurde in enger Zusammenarbeit mit den nationalen Wettbewerbsbehörden der EU-Mitgliedstaaten erarbeitet (die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden werden im Folgenden gemeinsam als „europäische Wettbewerbsbehörden“ bezeichnet). Die europäischen Wettbewerbsbehörden arbeiten bei der Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts und der kontinuierlichen Überwachung der Arzneimittelmärkte eng zusammen.

Anhand konkreter Beispiele wird in diesem Bericht dargelegt, wie die Vorschriften, die die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung und wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen verbieten, durchgesetzt wurden, um zu gewährleisten, dass i) der Preiswettbewerb bei Arzneimitteln nicht künstlich gebremst oder ausgeschaltet wird und ii) Innovationen ( 11 ) in diesem Sektor nicht durch wettbewerbswidrige Verhaltensweisen eingeschränkt werden. Diesen beiden Zielen dient auch die Prüfung von Zusammenschlüssen von Pharmaunternehmen im Hinblick auf deren mögliche negative Auswirkungen auf den Wettbewerb. In diesem Bericht wird erläutert, wie die Anwendung der EU-Fusionskontrollvorschriften durch die Kommission in konkreten Fällen zu erschwinglicheren und innovativeren Arzneimitteln beigetragen hat. Der Bericht befasst sich mit Humanarzneimitteln.

Kartellrechtliche Untersuchungen sind komplex und erfordern erhebliche Ressourcen. Aus diesem Grund konzentrieren sich die europäischen Wettbewerbsbehörden bei ihren Untersuchungen auf die wichtigsten Fälle, einschließlich jener, die den Marktteilnehmern Orientierungshilfen bieten und sie von ähnlichen wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen abhalten können. Eine wettbewerbsrechtliche Prüfung trägt somit nicht nur mit Blick auf den konkreten untersuchten Fall, sondern auch im weiteren Sinne zu einer Verbesserung des Wettbewerbs auf den Arzneimittelmärkten bei, indem sie das künftige Verhalten der Branche beeinflusst. In den letzten Jahren haben die europäischen Wettbewerbsbehörden in einigen wichtigen Präzedenzfällen geklärt, wie das EU-Wettbewerbsrecht auf einige sich neu ergebende Fragestellungen auf den Arzneimittelmärkten anzuwenden ist. Diese wegweisenden Beschlüsse basierten oftmals auf umfassenden Untersuchungen des gesamten Sektors. Die europäische Wettbewerbsbehörden sind nach wie vor entschlossen, die wirksame und zeitnahe Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften auf den Arzneimittelmärkten sicherzustellen; so gaben sie z. B. den Unternehmen während der Covid-Krise Orientierungshilfen u. a. dazu, wie Diskussionen über Methoden zur Steigerung der Produktion von Material für persönliche Schutzausrüstungen in nicht wettbewerbsschädigender Weise geführt werden können.

Die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts (Kartellrecht und Fusionskontrollrecht) trägt dazu bei, den Zugang der Patienten und Gesundheitssysteme zu innovativen und erschwinglichen Arzneimitteln zu gewährleisten; die Rechtsetzungs- und Regulierungsmaßnahmen, die sicherstellen sollen, dass den Patienten in der EU modernste und erschwingliche Arzneimittel und Gesundheitsdienste zur Verfügung stehen, werden dadurch jedoch weder ersetzt noch beeinträchtigt. Die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts stellt vielmehr eine Ergänzung der unterschiedlichen Regulierungssysteme dar. Dabei wird in erster Linie in Einzelfällen gegen bestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen am Markt vorgegangen. Bei systembedingtem Marktversagen unterbreiten die Wettbewerbsbehörden staatlichen oder privaten Entscheidungsträgern gelegentlich auch Vorschläge für wettbewerbsfördernde Lösungen.

Dieser Bericht bezieht sich auf den Zeitraum 2018-2022. Er bietet:

einen allgemeinen Überblick über die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts durch die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden im Arzneimittelsektor (Abschnitt 2),

eine Beschreibung der wichtigsten Merkmale des Arzneimittelsektors, die für die wettbewerbsrechtliche Prüfung von Bedeutung sind (Abschnitt 3),

eine Erklärung dazu, wie das Wettbewerbsrecht in den Zeiten der Covid-19-Krise die Unternehmen und Verbraucher schützte (Abschnitt 4), und

eine Veranschaulichung des Beitrags der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts zu erschwinglichen Arzneimitteln (Abschnitt 5) sowie zu Innovation und Wahlmöglichkeiten bei Arzneimitteln und Behandlungen (Abschnitt 6) durch eine Analyse von Kartellbeschlüssen (der Kommission und der nationalen Wettbewerbsbehörden) sowie von Fusionskontrollbeschlüssen (der Kommission).

2.Überblick über die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Arzneimittelsektor

Dieser Abschnitt enthält eine Einführung in die einschlägigen Vorschriften sowie einen Überblick über einige Fakten und Zahlen bezüglich der Durchsetzungsmaßnahmen der europäischen Wettbewerbsbehörden. Abschnitt 2.1 hat die Durchsetzung der Kartellvorschriften zum Gegenstand, d. h. das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung. In Abschnitt 2.2 wird auf die Prüfung von Fusionen und Übernahmen eingegangen, mit der Zusammenschlüsse verhindert werden sollen, die den wirksamen Wettbewerb erheblich beeinträchtigen könnten. In Abschnitt 2.3 wird über die von den europäischen Wettbewerbsbehörden ergriffenen Maßnahmen zur Marktüberwachung und zur Förderung des Wettbewerbsgedankens berichtet.

2.1.Durchsetzung der Kartellvorschriften

2.1.1.Was sind die Kartellvorschriften?

Nach Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (im Folgenden „AEUV“) sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche eine Einschränkung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, verboten. Artikel 102 AEUV verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf einem bestimmten Markt. Nach der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 ( 12 ) sind sowohl die Kommission als auch die nationalen Wettbewerbsbehörden befugt, die im AEUV verankerten Vorschriften auf wettbewerbswidrige Verhaltensweisen anzuwenden.

Die Unternehmen müssen selbst beurteilen, ob ihr Verhalten den kartellrechtlichen Vorschriften entspricht. Um die Rechtssicherheit bei der Anwendung des Wettbewerbsrechts zu gewährleisten, hat die Kommission Verordnungen erlassen, in denen festgelegt ist, wann bestimmte Arten von Vereinbarungen (wie etwa Lizenzvereinbarungen) unter eine Gruppenfreistellung fallen können, und Leitlinien herausgegeben, in denen klargestellt wird, wie die Kommission die Kartellvorschriften anwendet. ( 13 )

2.1.2.Wer setzt die Kartellvorschriften durch?

Für die Durchsetzung sind die Kommission und die 27 ( 14 ) nationalen Wettbewerbsbehörden zuständig. Die nationalen Wettbewerbsbehörden sind uneingeschränkt zur Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV befugt. Die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden arbeiten im Rahmen des Europäischen Wettbewerbsnetzes (European Competition Network, „ECN“) eng zusammen. Ein Fall kann von einer einzelnen nationalen Wettbewerbsbehörde, der Kommission oder von mehreren Behörden gleichzeitig bearbeitet werden.

Wenn ein bestimmtes Verhalten den grenzüberschreitenden Handel nicht beeinträchtigt, wenden die nationalen Wettbewerbsbehörden lediglich ihre nationalen Kartellgesetze an, die häufig den EU-Rechtsvorschriften entsprechen.

Neben den europäischen Wettbewerbsbehörden, die für die Durchsetzung der EU-Kartellvorschriften zuständig sind, sind auch die nationalen Gerichte uneingeschränkt befugt und gehalten, die Artikel 101 und 102 AEUV anzuwenden. Dies geschieht sowohl im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung von Beschlüssen nationaler Wettbewerbsbehörden als auch bei Rechtsstreitigkeiten zwischen privaten Parteien. Die nationalen Gerichte und die europäischen Wettbewerbsbehörden arbeiten auch zusammen: Die Gerichte können bei den Behörden Stellungnahmen zur Anwendung der EU-Kartellvorschriften einholen, und die Behörden können sich an Gerichtsverfahren beteiligen, indem sie schriftliche Stellungnahmen einreichen.

2.1.3.Welche Instrumente und Verfahren sind verfügbar?

Die europäischen Wettbewerbsbehörden können Beschlüsse erlassen, in denen sie feststellen, dass bestimmte Vereinbarungen oder einseitige Verhaltensweisen gegen Artikel 101 und/oder Artikel 102 AEUV verstoßen. In diesen Fällen erlässt die betreffende Behörde einen „Verbotsbeschluss“ und ordnet an, dass die Unternehmen die Zuwiderhandlung abstellen und unterlassen; sie kann auch eine erhebliche Geldbuße verhängen. Zudem können Abhilfemaßnahmen auferlegt werden. Die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden ( 15 ) können darüber hinaus die von den untersuchten Unternehmen vorgelegten Verpflichtungszusagen, die beanstandeten Verhaltensweisen einzustellen, für bindend erklären. Mit solchen Verpflichtungsbeschlüssen wird weder eine Zuwiderhandlung festgestellt noch eine Geldbuße gegen die Unternehmen verhängt; diese Beschlüsse können jedoch von entscheidender Bedeutung sein, um den Wettbewerb auf einem Markt wiederherzustellen.

Kasten 1: Was ist ein Verpflichtungsbeschluss?

Der Verpflichtungsbeschluss stellt einen förmlichen Vergleich auf Ersuchen des Unternehmens dar, das Gegenstand der Untersuchung ist; die Wettbewerbsbehörde erteilt ihre Zustimmung, wenn sie der Auffassung ist, dass die Verpflichtungszusagen geeignet sind, ihre Bedenken auszuräumen. ( 16 ) Akzeptiert die Behörde die Verpflichtungszusagen, so wird das Verfahren mit einem Verpflichtungsbeschluss ohne förmliche Feststellung eines Verstoßes gegen Artikel 101 oder 102 AEUV abgeschlossen.

Verpflichtungsbeschlüsse können nützlich sein, um Abhilfemaßnahmen vorzusehen, die möglicherweise besser geeignet sind, die wettbewerbsrechtlichen Bedenken auszuräumen. Die Verpflichtungszusagen können verhaltensorientierter oder struktureller Art sein; sie können auch befristet sein. Überdies kann die Kommission den Sachverhalt erneut überprüfen, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse in einem für den Beschluss wesentlichen Punkt geändert haben. Das Unternehmen kann die Kommission auch darum ersuchen, eine Verpflichtung, die nicht länger angemessen ist, aufzuheben. Ein Beispiel für einen solchen Verpflichtungsbeschluss ist in Kasten 13 zu finden.

Im Allgemeinen sieht der Verpflichtungsbeschluss vor, dass die Einhaltung der Verpflichtungen überwacht wird; werden die eingegangenen Verpflichtungen nicht eingehalten, kann die Wettbewerbsbehörde eine Geldbuße verhängen. Es können auch Zwangsgelder verhängt werden, die bis zur Erfüllung der Verpflichtungen zu zahlen sind. Im Berichtszeitraum hat die rumänische nationale Wettbewerbsbehörde eine solche Geldbuße gegen GlaxoSmithKline (GSK) verhängt. Die ursprüngliche Untersuchung (in deren Rahmen festgestellt werden sollte, ob das Vertriebsmodell von GSK für die Arzneimittel Avodart, Seretide und Tyverb deren Parallelexport einschränkte) war 2017 eingestellt worden, nachdem sich GSK verpflichtet hatte, die Arzneimittel Avodart und Seretide zwei Jahre lang in zur Deckung des Patientenbedarfs im Inlandsmarkt ausreichenden Mengen zu liefern. ( 17 )  Später wurde jedoch festgestellt, dass GSK die Vermarktung von drei Formen von Seretide – einem Arzneimittel zur Behandlung von Asthma und COPD – bereits vor Ablauf der Zweijahresfrist eingestellt hatte. ( 18 )

Zu den wichtigsten Untersuchungsinstrumenten der europäischen Wettbewerbsbehörden zählen unangekündigte Nachprüfungen vor Ort, Auskunftsverlangen und Befragungen. Auskunftsverlangen können sehr mächtige Untersuchungsinstrumente darstellen, da die Unternehmen gezwungen sind, vollständige und korrekte Angaben zu machen, weil ihnen andernfalls Geldbußen drohen.

Kasten 2: Was sind Nachprüfungen vor Ort?

Sowohl die Kommission als auch die nationalen Wettbewerbsbehörden können unangekündigte Nachprüfungen (mitunter als „Dawn Raids“ bezeichnet) vornehmen und die Räumlichkeiten von Unternehmen durchsuchen, um Beweise für mutmaßlich wettbewerbswidriges Verhalten zu sammeln. Sollte ein Unternehmen die Nachprüfung nicht dulden oder sie behindern, indem es beispielsweise einen von der Kommission versiegelten Raum betritt, kann dies hohe Geldbußen nach sich ziehen. Mit der Richtlinie ECN+ wird unter anderem sichergestellt, dass alle nationalen Wettbewerbsbehörden über die wesentlichen Befugnisse und Instrumente für Nachprüfungen verfügen, so auch über wirksamere Untersuchungsbefugnisse (beispielsweise das Recht auf Durchsuchung der auf Geräten wie Smartphones, Tablets usw. gespeicherten Informationen). ( 19 )

In ihren Verfahren wahren die europäischen Wettbewerbsbehörden die Verteidigungsrechte der von der Untersuchung betroffenen Parteien. So erhalten die Parteien, die Gegenstand der Untersuchung der Kommission sind, eine umfassende Mitteilung der Beschwerdepunkte sowie Zugang zu den in der Akte der Kommission enthaltenen Beweisen; auf dieser Grundlage können sie ihr Recht auf Anhörung vor Erlass des abschließenden Beschlusses ausüben. Anschließend haben sie die Möglichkeit, sich schriftlich sowie in einer mündlichen Anhörung zu den Beschwerdepunkten zu äußern, bevor die Kommission den abschließenden Beschluss erlässt.

Die Beschlüsse der europäischen Wettbewerbsbehörden unterliegen einer vollständigen und sorgfältigen Prüfung durch die Gerichte; diese sind befugt zu prüfen, ob die Beschlüsse sachlich fundiert sind und alle Verfahrensrechte der Parteien gewahrt wurden.

Kartellrechtliche Untersuchungen sind im Allgemeinen komplex, weil sie die gründliche Prüfung einer breiten Palette von Fakten sowie eine umfassende rechtliche und wirtschaftliche Analyse erfordern. Die Untersuchungen erfordern deshalb erhebliche Ressourcen und zuweilen dauert es mehrere Jahre, bis ein abschließender Beschluss ergeht. Um eine wirksame Ressourcennutzung zu gewährleisten, müssen die Wettbewerbsbehörden Prioritäten setzen und sich zum Beispiel auf solche Fälle konzentrieren, in denen die Verhaltensweisen besonders gravierende Auswirkungen auf den Markt haben können oder in denen der Beschluss einen hilfreichen Präzedenzfall für den gesamten Arzneimittelsektor oder sogar darüber hinaus darstellen kann.

Kasten 3: Können die Opfer wettbewerbswidriger Verhaltensweisen Schadensersatz verlangen?

Die Opfer von Kartellrechtsverstößen haben Anspruch auf Schadensersatz. Es gibt eine EU-Richtlinie, nach der die nationalen Rechtsvorschriften die Möglichkeit wirksamer Schadensersatzklagen vor den nationalen Gerichten vorsehen müssen. ( 20 )Oftmals werden Schadensersatzklagen erst nach dem abschließenden Beschluss einer EU-Wettbewerbsbehörde als Folgeklagen erhoben (sogenannte „Follow-on“-Klagen auf Schadensersatz); zuweilen erheben die Parteien jedoch direkt Klage bei Gericht und ersuchen dieses sowohl um Feststellung eines Verstoßes gegen das EU-Wettbewerbsrecht als auch um Zuerkennung von Schadensersatz für den eingetretenen Schaden (sogenannte „Stand-alone“-Klagen).

So hat zum Beispiel das Berufungsgericht in Venedig (Italien) kürzlich in einem Streit zwischen einem Großhändler von Arzneimittelspezialitäten (So.Farma.Morra SpA) und dessen Lieferantin, der GlaxoSmithKline SpA (GSK), zu entscheiden, in dem der Händler mit einer eigenständigen Klage („Stand-alone“-Klage) dagegen vorging, dass GSK die Lieferung von Avodart (Hyperplasiebehandlung) und Seretide (Asthmabehandlung) wettbewerbswidrig (missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschen Stellung im Sinne des Artikels 102 AEUV) reduziert habe. Der Kläger forderte Schadensersatz wegen Umsatzverlusts, Kundschaftsverlusts und entgangener Investitionsgelegenheiten. Mit Urteil vom 4. Februar 2021 ( 21 ) stellte das Gericht einen Verstoß gegen das EU-Wettbewerbsrecht fest und verwies die Sache zur Beurteilung des vom Opfer behaupteten Schadens (Gesamtforderung von 3 519 909 EUR) zurück an das Gericht erster Instanz.

2.1.4.Überblick über die Maßnahmen zur Durchsetzung des Kartellrechts im Arzneimittelsektor

Im Zeitraum 2018-2022 erließen 12 nationale Wettbewerbsbehörden und die Kommission im Rahmen von Kartellverfahren zu Humanarzneimitteln insgesamt 26 Interventionsbeschlüsse, mit denen Zuwiderhandlungen festgestellt oder Verpflichtungszusagen für bindend erklärt wurden. Die vollständige Liste der 26 Fälle kann auf der Website der GD Wettbewerb abgerufen werden ( 22 ).

Darüber hinaus führten die europäischen Wettbewerbsbehörden auch umfangreiche Untersuchungen in Fällen durch, die ohne Interventionsbeschluss abgeschlossen wurden (z. B. weil die Bedenken im Zuge der Untersuchung ausgeräumt wurden und kein förmlicher Beschluss mehr erforderlich war); zurzeit gibt es mehr als 30 Fälle, in denen im Zusammenhang mit Arzneimitteln Untersuchungen durchgeführt werden. Zudem ergingen in 10 Fällen, die Medizinprodukte betrafen, und in 13 Fällen, die andere Bereiche des Gesundheitswesens betrafen, Beschlüsse zur Feststellung einer Zuwiderhandlung bzw. Verpflichtungsbeschlüsse.

Abbildung 1: Kartellrechtliche Untersuchungen europäischer Wettbewerbsbehörden im Arzneimittelsektor (2018-2022 und zurzeit anhängig)

Interventionen und Sanktionen der Wettbewerbsbehörden

Von den 26 Fällen von Interventionen, die Arzneimittel zum Gegenstand hatten, wurden 17 mit einem Verbotsbeschluss abgeschlossen, in dem eine Zuwiderhandlung gegen das EU-Wettbewerbsrecht festgestellt wurde. Für den Berichtszeitraum wurden in 20 Fällen Geldbußen in Höhe von fast 780 Mio. EUR verhängt (siehe unten Abbildung 2) ( 23 ). In neun Fällen konnte die Untersuchung ohne Feststellung einer Zuwiderhandlung abgeschlossen werden, weil die Unternehmen, gegen die ermittelt wurde, Verpflichtungszusagen anboten, die die wettbewerbsrechtlichen Bedenken ausräumten. Diese Verpflichtungszusagen wurden von der Wettbewerbsbehörde per Beschluss für bindend erklärt.

Abbildung 2: Von den europäischen Wettbewerbsbehörden in Arzneimittel betreffenden Fällen verhängte Geldbußen in Höhe von insgesamt fast 780 Mio. EUR (2018-2022) 

In sieben der 26 Untersuchungen, die mit einem Interventionsbeschluss abgeschlossen wurden, wurden unangekündigte Nachprüfungen zur Beweiserhebung durchgeführt. Abgesehen von einem einzigen Fall wurde stets auf Auskunftsverlangen zurückgegriffen. In acht Fällen wurden Befragungen durchgeführt.

Die Hälfte der 26 Untersuchungen wurde von Amts wegen eingeleitet, neun auf Beschwerden hin und vier aus anderen Gründen (z. B. aufgrund bei einer Sektoruntersuchung gefundener Indizien). Die Untersuchungen betrafen wettbewerbswidrige Verhaltensweisen von Arzneimittelherstellern (11 Fälle), Großhändlern (8 Fälle) und Einzelhändlern (3 Fälle) sowie vier Fälle, in denen es um Verhaltensweisen ging, an denen sowohl Hersteller als auch Händler beteiligt waren. Die Untersuchungen betrafen ein breites Spektrum von Arzneimitteln, zum Beispiel Krebsmedikamente (7 Fälle), Antidepressiva, Hormonbehandlungen oder Impfstoffe.

Wie aus Abbildung 3 hervorgeht, betrafen die wettbewerbsrechtlichen Bedenken, derentwegen Interventionsbeschlüsse ergingen, zumeist die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung (50 % der Fälle), gefolgt von unterschiedlichen Formen wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen zwischen Unternehmen. Darunter: i) wettbewerbsbeschränkende horizontale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, wie etwa Pay-for-Delay-Vereinbarungen (8 %); ii) echte Kartelle (wie Angebotsabsprachen (bid rigging)) (31 %); und iii) vertikale Vereinbarungen (beispielsweise Klauseln, die es Händlern untersagen, Produkte konkurrierender Hersteller zu bewerben oder zu verkaufen) (11 %).

Abbildung 3: Art der wettbewerbsrechtlichen Bedenken, aufgrund derer es zu einem Eingriff der europäischen Wettbewerbsbehörden kam

Untersuchungen der Wettbewerbsbehörden fördern die Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften

Neben den Fällen, die mit einem Interventionsbeschluss abgeschlossen wurden, führten die europäischen Wettbewerbsbehörden in mehr als 40 weiteren Fällen umfangreiche Untersuchungen wegen wettbewerbsrechtlicher Bedenken durch; diese Fälle wurden aus unterschiedlichen Gründen eingestellt (insbesondere, weil die mutmaßlich wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen während der Untersuchung abgestellt wurden und die Fälle daher nicht mehr als vorrangig angesehen wurden ( 24 ) oder weil im Vorprüfverfahren keine hinreichenden Beweise gefunden wurden). Zwar wurden in diesen Fällen keine Sanktionen verhängt und keine Verpflichtungszusagen unterbreitet, jedoch bestanden im Rahmen dieser Untersuchungen enge Kontakte zu unterschiedlichen Akteuren der Arzneimittelmärkte, die in vielen Fällen Klarstellungen bezüglich der Wettbewerbsvorschriften und ihrer Anwendung im Arzneimittelsektor ermöglichten.

Gegenwärtig untersuchen die europäischen Wettbewerbsbehörden noch mehr als 30 Fälle im Arzneimittelsektor.

2.2.Fusionskontrolle im Arzneimittelsektor

2.2.1.Was sind die EU-Fusionskontrollvorschriften?

Unter Pharmaunternehmen kommt es regelmäßig zu Fusionen und Übernahmen (im Folgenden „Zusammenschlüsse“). Einige dieser Zusammenschlüsse zielen darauf ab, Größenvorteile zu erzielen, die Forschung und Entwicklung auf neue therapeutische Bereiche auszuweiten, höhere Gewinnziele zu erreichen usw.

Eine Konsolidierung, die sich auf die Marktstruktur auswirkt, kann jedoch auch den Wettbewerb behindern. So könnte beispielsweise das aus dem Zusammenschluss hervorgehende neue Unternehmen aufgrund seiner Marktmacht in der Lage sein, die Preise für seine Arzneimittel zu erhöhen oder die Entwicklung vielversprechender neuer Behandlungen, die seine Marktstellung gefährden würden, aufzugeben. Die Fusionskontrolle soll sicherstellen, dass eine Konsolidierung den wirksamen Wettbewerb im Arzneimittelsektor nicht erheblich beeinträchtigt.

Die Kommission hat die Aufgabe, Zusammenschlüsse zu prüfen, die von unionsweiter Bedeutung sind, d. h. bei denen der Gesamtumsatz der beteiligten Unternehmen die in der EU-Fusionskontrollverordnung festgelegten Schwellenwerte überschreitet. Das bedeutet, dass Unternehmen, die in mehreren Mitgliedstaaten der EU tätig sind, ihr Zusammenschlussvorhaben von der Kommission prüfen lassen können, anstatt sie gesondert in jedem einzelnen betroffenen Mitgliedstaat prüfen zu lassen (die Kommission als zentrale Anlaufstelle nach dem „One Stop Shop“-Prinzip). Werden diese Schwellenwerte nicht erreicht, kann der Zusammenschluss den Zuständigkeitsregeln der Mitgliedstaaten unterliegen und von einer oder mehreren nationalen Wettbewerbsbehörden geprüft werden. ( 25 )

Überdies sieht die EU-Fusionskontrollverordnung ein System für die Verweisung der Prüfung von Zusammenschlüssen von den nationalen Wettbewerbsbehörden an die Kommission und umgekehrt vor, um sicherzustellen, dass stets die am besten geeignete Behörde für die Prüfung eines Vorhabens zuständig ist. ( 26 ) Dazu gehört die Möglichkeit, dass die Kommission auf Antrag einer oder mehrerer nationaler Wettbewerbsbehörden ein Zusammenschlussvorhaben prüfen kann, bei dem die nationalen Zuständigkeitsschwellenwerte nicht erreicht werden, das jedoch den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt und den Wettbewerb im Hoheitsgebiet des bzw. der antragstellenden Mitgliedstaaten erheblich zu beeinträchtigen droht.

Kasten 4: Überarbeiteter Ansatz der Kommission für Verweisungen durch die Mitgliedstaaten

Kürzlich hat die Kommission ihren Ansatz für Verweisungsanträge geändert, die von nationalen Wettbewerbsbehörden gestellt werden, die nicht für den in Rede stehenden Zusammenschluss zuständig sind. Früher wurde darauf hingewirkt, dass nationale Wettbewerbsbehörden in solchen Fällen von der Stellung eines Verweisungsantrags absehen, weil beim damaligen Erfahrungsstand angenommen wurde, dass die auf den Umsatz abstellenden Schwellenwerte alle Vorhaben erfassen würden, die wesentliche Auswirkungen auf den Binnenmarkt haben könnten. Im Jahr 2016 leitete die Kommission allerdings eine öffentliche Konsultation zu bestimmten verfahrens- und zuständigkeitsrechtlichen Aspekten der EU-Fusionskontrolle ein, bei der es beispielsweise auch um die Anmeldeschwellen im Arzneimittelsektor ging. Die Kommission stellte fest, dass die bestehenden Schwellenwerte im Großen und Ganzen zwar gut funktionieren, aber immer mehr Zusammenschlüsse stattfinden, an denen Unternehmen beteiligt sind, die, obwohl sie zum Zeitpunkt des Zusammenschlusses allenfalls geringe Umsätze erzielen, bereits eine bedeutende Rolle im Wettbewerb auf dem Markt spielen oder aber künftig eine wichtige Rolle spielen könnten. Derartige Zusammenschlüsse würden von den bestehenden Schwellenwerten nicht erfasst, könnten jedoch erhebliche Auswirkungen auf den Wettbewerb haben. Dies gilt ganz besonders für den Arzneimittelsektor, da hier Innovation der wichtigste Wettbewerbsparameter ist. Zielunternehmen mit vielversprechenden Pipeline-Medikamenten können hohe Bewertungen und ein erhebliches Wettbewerbspotenzial aufweisen, selbst wenn sie noch keine Umsätze erzielen und deshalb unter den einschlägigen Fusionskontrollschwellenwerten liegen.( 27

Nach Ansicht der Kommission bieten Verweisungen durch nationale Wettbewerbsbehörden das geeignetste Instrument und ein notwendiges Sicherheitsnetz, mit dem sich solche unter den Schwellenwerten liegende Vorhaben, die Anlass zu wettbewerbsrechtlichen Bedenken geben könnten, erfassen lassen. Am 26. März 2021 erließ die Kommission eine Mitteilung mit einem Leitfaden zur Anwendung des Verweisungssystems nach Artikel 22 der EU-Fusionskontrollverordnung auf bestimmte Kategorien von Vorhaben. Darin erklärte die Kommission, dass sie beabsichtigt, unter bestimmten Umständen die Verweisung von Fällen, die ursprünglich nicht in die Zuständigkeit des verweisenden Mitgliedstaats fallen, zu fördern und ihr zuzustimmen, sofern die in Artikel 22 Absatz 1 der EU-Fusionskontrollverordnung genannten Voraussetzungen erfüllt sind. ( 28 )

Dieser überarbeitete Ansatz fand erstmals im Biotech-Sektor Anwendung (Rechtssache Illumina und Grail/Kommission, siehe unten Kasten 16), und in dieser Rechtssache folgte das Gericht dem von der Kommission vertretenen Ansatz für derartige Verweisungen. ( 29 ) Inzwischen werden Zusammenschlussvorhaben von Pharmaunternehmen von der Kommission aktiv überwacht, um Vorhaben zu erkennen, bei denen die Anmeldeschwellen der EU und der Mitgliedstaaten zwar nicht erreicht werden, eine Überprüfung durch die Kommission aber dennoch geboten ist, um etwaige Beeinträchtigungen des wirksamen Wettbewerbs zu vermeiden. In diesem Bericht geht es ausschließlich um diejenigen Fusionskontrollverfahren, bei denen die EU-Fusionskontrollvorschriften zur Anwendung kommen, d. h. um Zusammenschlussvorhaben, die von der Kommission untersucht wurden.

Der Rechtsrahmen für die Prüfung von Zusammenschlüssen durch die Kommission umfasst die EU-Fusionskontrollverordnung und die dazugehörige Durchführungsverordnung ( 30 ). Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Mitteilungen, Bekanntmachungen und Leitlinien, in denen ausgeführt wird, wie die Kommission Zusammenschlüsse unter unterschiedlichen Bedingungen prüft. ( 31 )

Im Zuge der Prüfung eines Zusammenschlusses nimmt die Kommission eine vorausschauende Analyse der Frage vor, ob durch das Vorhaben – insbesondere durch die Begründung oder Stärkung einer beherrschenden Stellung – der wirksame Wettbewerb in der EU erheblich behindert würde. Bei ihrer Prüfung berücksichtigt die Kommission insbesondere, i) wie sich das zusammengeschlossene Unternehmen nach dem Zusammenschluss verhalten könnte („unilaterale Effekte“), ii) ob für andere Unternehmen weiterhin Wettbewerbsanreize bestünden oder diese stattdessen ihre Geschäftsstrategie an die des zusammengeschlossenen Unternehmens anpassen würden („koordinierte Effekte“) und iii) ob der Zugang zu Lieferanten oder Kunden verhindert werden könnte („vertikale und konglomerate Effekte“).

Eine Prüfung eines Zusammenschlusses wird eingeleitet, wenn die Kommission von den beteiligten Unternehmen über den beabsichtigten Zusammenschluss in Kenntnis gesetzt wird; dies geschieht häufig bereits im Vorfeld einer förmlichen Anmeldung. Die beteiligten Unternehmen sind verpflichtet, ihr Zusammenschlussvorhaben anzumelden, und dürfen es nicht vollziehen, solange es nicht von der Kommission genehmigt wurde. Der Vollzug eines Zusammenschlusses vor Erlass des Genehmigungsbeschlusses wird gemeinhin als „Gun-Jumping“ bezeichnet.

2.2.2.Welche Möglichkeiten hat die Kommission im Falle eines problematischen Zusammenschlusses?

Wirft ein Vorhaben wettbewerbsrechtliche Bedenken auf, weil beispielsweise die Gefahr einer Erhöhung der Arzneimittelpreise oder einer Beeinträchtigung von Innovationen besteht, und schlagen die an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen keine geeigneten Änderungen vor, so kann die Kommission den Zusammenschluss verbieten.

Um dies zu vermeiden, können Unternehmen Änderungen an dem Zusammenschluss vorschlagen, um die wettbewerbsrechtlichen Bedenken auszuräumen. Solche Änderungen werden gemeinhin als Abhilfemaßnahmen oder Verpflichtungen bezeichnet. Wenn ihr die vorgeschlagenen Abhilfemaßnahmen zweckmäßig erscheinen, führt die Kommission einen sogenannten Markttest durch, indem sie insbesondere Wettbewerber und Kunden auffordert, sich dazu zu äußern, ob die Verpflichtungen die wettbewerbsrechtlichen Bedenken wirksam ausräumen würden. Auf dieser Grundlage entscheidet die Kommission, ob sie die Genehmigung des Vorhabens an bestimmte Bedingungen und Auflagen knüpft; diese Abhilfemaßnahmen müssen je nach den besonderen Umständen des Einzelfalls entweder vor oder nach dem Zusammenschluss der Unternehmen umgesetzt werden.

Nach Auffassung der Kommission sind in Fusionskontrollsachen strukturelle Abhilfemaßnahmen (insbesondere Veräußerungen) das Mittel der Wahl, um wettbewerbsrechtliche Bedenken auszuräumen. Dementsprechend betreffen die Abhilfemaßnahmen im Arzneimittelsektor häufig die Veräußerung der Zulassung der Produkte, für die in dem betreffenden Mitgliedstaat Bedenken festgestellt wurden. In der Regel geht dies mit einem Transfer von geistigem Eigentum und Technologie im Zusammenhang mit Herstellungs- und Vertriebs-Know-how sowie mit befristeten Liefer- oder anderen Vereinbarungen und gegebenenfalls der Übertragung von Produktionsanlagen und Personal einher.

Kasten 5: Beispiele für strukturelle Abhilfemaßnahmen

Veräußerung vermarkteter Arzneimittel (Fall M.9274 – GSK/Pfizer Consumer Healthcare Business (2019))

Die Sparten Consumer Healthcare von GSK und Pfizer überschnitten sich bei einigen rezeptfrei erhältlichen Arzneimittelkategorien, insbesondere bei Schmerzmitteln zur äußerlichen Anwendung (Salben, Gele, Sprays und Schmerzpflaster für die lokale Schmerzbehandlung). Die Kommission hatte Bedenken, dass die Übernahme den Wettbewerb im Bereich der Schmerzmittel zur äußerlichen Anwendung reduzieren würde, weil dadurch eine beherrschende Stellung begründet oder gestärkt würde, was zu Preissteigerungen in einer Reihe von EWR-Staaten führen könnte, unter anderem in Österreich, Deutschland, Irland, Italien und den Niederlanden.

Um diese Bedenken der Kommission auszuräumen, boten die beteiligten Unternehmen an, die Pfizer-Sparte für Schmerzmittel zur äußerlichen Anwendung (die unter der Marke ThermaCare erfolgte) weltweit zu veräußern. Die zu veräußernde Sparte umfasste alle relevanten Aktiva, die zum aktuellen Geschäftsbetrieb beitrugen oder für die Sicherstellung von dessen Tragfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit erforderlich waren, unter anderem: i) ein in den USA gelegenes Werk von Pfizer (zur gezielten Herstellung von ThermaCare-Produkten), ii) sämtliche Immaterialgüterrechte an den ThermaCare-Produkten und der Marke sowie iii) in Entwicklung befindliche Produkte. ( 32 ) Letztendlich wurde die zu veräußernde Sparte an den italienischen Pharmakonzern Angelini verkauft.

Veräußerung eines Pipeline-Medikaments (Fall M.9461 – AbbVie/Allergan (2020)) 

In diesem Fall überschnitten sich die Tätigkeiten der Beteiligten im Bereich der biologischen Behandlungen für Colitis ulcerosa und Morbus Crohn. Wie nachstehend in Kasten 15 beschrieben, waren AbbVie und Allergan zwei der wenigen Unternehmen, die an der Entwicklung vielversprechender Medikamente gegen diese Krankheiten arbeiteten; die Kommission hatte Bedenken, dass das aus dem Zusammenschluss hervorgehende Unternehmen das Medikament, an dessen Entwicklung Allergan arbeitete, einstellen würde, um doppelte Entwicklungsarbeit und die Kannibalisierung des Absatzes des Produkts von AbbVie zu vermeiden. Demnach hätte die Übernahme die Marktreife eines vielversprechenden Arzneimittels verhindert und einen Innovationsverlust bewirkt, was für Patienten und Gesundheitssysteme geringere Auswahlmöglichkeiten und höhere Preise zur Folge hätte haben können.

Das Vorhaben wurde von der Kommission mit der Maßgabe genehmigt, dass das in Entwicklung befindliche Medikament von Allergan veräußert werden musste. Die Veräußerung umfasste insbesondere i) die Rechte, das Pipeline-Medikament zu entwickeln, herzustellen und weltweit zu verkaufen, ii) sämtliche das Medikament betreffenden Immaterialgüterrechte, Daten, Lizenzen/Genehmigungen und Verträge, iii) gewisse wichtige Mitarbeiter von Allergan, die an der Entwicklung des Medikaments arbeiteten, sowie iv) einige befristete Liefervereinbarungen, um den reibungslosen Übergang der Geschäftsübertragung sicherzustellen. ( 33 ) Letztendlich wurde das Pipeline-Medikament an AstraZeneca veräußert.

2.2.3.Die Fusionskontrolle der Kommission im Arzneimittelsektor in Zahlen

Im Zeitraum 2018-2022 prüfte die Kommission mehr als 30 Zusammenschlüsse im Arzneimittelsektor. ( 34 ) Davon gaben fünf Anlass zu wettbewerbsrechtlichen Bedenken. ( 35 ) Die festgestellten potenziellen wettbewerbsrechtlichen Bedenken betrafen vor allem die Gefahr, dass i) die Preise für bestimmte Arzneimittel in einem oder mehreren Mitgliedstaaten steigen; ii) den Patienten und Gesundheitssystemen bestimmte Arzneimittel vorenthalten werden und iii) Innovationen im Zusammenhang mit bestimmten auf europäischer oder sogar globaler Ebene entwickelten Behandlungsformen eingeschränkt werden. Die von der Kommission ermittelten Probleme betrafen in der Regel eine geringe Anzahl von Arzneimitteln, die nur einen kleinen Teil des gesamten Portfolios der Unternehmen ausmachten.

Angesichts der von den beteiligten Unternehmen angebotenen Abhilfemaßnahmen konnte die Kommission vier der Zusammenschlüsse, die Anlass zu punktuellen Bedenken gegeben hatten, genehmigen und damit sowohl den Vollzug der Zusammenschlüsse gestatten als auch den Wettbewerb und die Verbraucher in Europa schützen. Ein Zusammenschlussvorhaben wurde aufgegeben, nachdem die Kommission erste wettbewerbsrechtliche Bedenken geäußert hatte.

Damit belief sich die Interventionsquote im Arzneimittelsektor auf etwa 17 % ( 36 ). Im Vergleich dazu lag die Gesamt-Interventionsquote in allen Sektoren in diesem Zeitraum bei 5 %.

2.3.Marktüberwachung und Maßnahmen zur Förderung des Wettbewerbsgedankens im Arzneimittelsektor 

Neben ihren unmittelbaren Durchsetzungsmaßnahmen – Beschlüsse und Untersuchungen zu (potenziellen) wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen im Arzneimittelsektor und im Gesundheitswesen – ergriffen die Wettbewerbsbehörden im Zeitraum 2018-2022 auch 60 Maßnahmen zur Marktüberwachung und zur Förderung des Wettbewerbsgedankens. Zu den Überwachungstätigkeiten zählen Sektoruntersuchungen, Marktstudien und Erhebungen zur Ermittlung von Hindernissen für das reibungslose Funktionieren des Wettbewerbs in einem bestimmten Sektor. Maßnahmen zur Förderung des Wettbewerbsgedankens sind ebenfalls ein wichtiger (wenn auch manchmal weniger sichtbarer) Teil der Arbeit der Wettbewerbsbehörden und umfassen beratende Stellungnahmen, Ad-hoc-Beratung und andere Maßnahmen, mit denen – unter anderem gegenüber Gesetzgebungs- und Verwaltungsorganen – für Konzepte und Lösungen geworben wird, die einen wirksamen und fairen Wettbewerb in einem bestimmten Sektor oder auf einem bestimmten Markt fördern. Im Arzneimittelsektor sind solche Initiativen angesichts der spezifischen Herausforderungen für die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts in diesem Bereich von besonderer Bedeutung (siehe Abschnitt 3).

Die Wettbewerbsbehörden können Marktüberwachung durchführen, wenn beispielsweise „Preisstarrheiten oder andere Umstände vermuten [lassen], dass der Wettbewerb im Gemeinsamen Markt möglicherweise eingeschränkt oder verfälscht ist“ ( 37 ). Sektoruntersuchungen und andere Überwachungstätigkeiten wie auch Maßnahmen zur Förderung des Wettbewerbsgedankens bieten den Marktteilnehmern in der Regel auch Orientierungshilfen, was in der Folge zu kartellrechtlichen Durchsetzungsmaßnahmen führen kann. Einige nationale Wettbewerbsbehörden sind mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet, die es ihnen beispielsweise erlauben, Untersuchungen durchzuführen, auf deren Grundlage sie Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben erarbeiten oder sogar andere Regulierungsmaßnahmen auferlegen können, die Auswirkungen auf die Wettbewerbsbedingungen in einem bestimmten Sektor haben können.

Bei fast Zweidrittel der Überwachungs- und Förderungsinitiativen der nationalen Wettbewerbsbehörden handelt es sich um Stellungnahmen – aus wettbewerbspolitischer Sicht – zu Gesetzesentwürfen, die Arzneimittel, Apotheken, Medizinprodukte oder Gesundheitsdienste betreffen. Bei den übrigen handelt es sich vornehmlich um Maßnahmen zur Marktüberwachung, zum Beispiel Untersuchungen einzelner Wirtschaftszweige oder Studien, die häufig mit Empfehlungen oder Vorschlägen verbunden sind.

Ähnlich wie in dem vom vorhergehenden ECN Pharma Report (2009-2017) abgedeckten Zeitraum lag der Schwerpunkt bei mehr als einem Viertel der 60 Überwachungs- und Förderungsmaßnahmen ausdrücklich auf dem Einzelhandel mit Arzneimitteln und dem Wettbewerb unter Apotheken. Ein Bericht, der die Märkte der Online-Apotheken betrifft, geht auf eine gemeinsame Initiative der nordischen Länder Dänemark, Norwegen, Finnland und Schweden zurück. Im Vergleich zum vorhergehenden Berichtszeitraum gibt es einen neuen wichtigen Schwerpunkt: die Preisgestaltung für (erstattungsfähige) Arzneimittel und überhöhte Preise; dieses Thema wurde in etwa einem Viertel der Initiativen angeschnitten. Ein weiteres neues Thema, dem besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird, sind biologische Arzneimittel und Biosimilars (eine Verlagerung vom Thema der Generika im vorherigen Berichtszeitraum, vgl. Abschnitt 3.2.1).

Vollständige Aufstellungen der von den europäischen Wettbewerbsbehörden im Zeitraum 2018-2022 durchgeführten Überwachungstätigkeiten und Maßnahmen zur Förderung des Wettbewerbsgedankens sind auf der Website der GD Wettbewerb verfügbar ( 38 ).

3.Berücksichtigung der Besonderheiten des Arzneimittelsektors bei der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts

Damit die Wettbewerbspolitik und die diesbezüglichen Durchsetzungsmaßnahmen im Arzneimittelsektor wirksam sind, müssen die Besonderheiten und die daraus resultierende Wettbewerbsdynamik dieses Sektors berücksichtigt werden. Zu diesen Besonderheiten zählen beispielsweise die eine Vielzahl von Interessenträgern umfassende spezifische Angebots- und Nachfragestruktur (Abschnitt 3.1) und der umfassende Rechts- und Regulierungsrahmen in den einzelnen Mitgliedstaaten (Abschnitt 3.2).

3.1.Spezifische Angebots- und Nachfragestruktur auf den Arzneimittelmärkten

Bei der Analyse der Funktionsweise eines Marktes und jeder wettbewerbsrechtlichen Prüfung von Verhaltensweisen muss die betreffende Angebots- und Nachfragestruktur ordnungsgemäß berücksichtigt werden. Auf den Arzneimittelmärkten ist eine Vielzahl von Interessenträgern vertreten, die unterschiedliche Interessen verfolgen. Die Nachfrageseite umfasst Verbraucher (Patienten), Verordner, Apotheken sowie Krankenversicherungen, Krankenkassen und nationale Systeme für die Arzneimittelkostenerstattung ( 39 ):

-Die Patienten sind die Endverbraucher der Arzneimittel. In der Regel bezahlen sie – wenn überhaupt – nur einen geringen Teil des Preises der ihnen verordneten Arzneimittel, während der verbleibende Teil vom Gesundheitssystem getragen wird.

-Die Verordner, d. h. die Ärzte, entscheiden darüber, welche verschreibungspflichtigen Arzneimittel der Patient einnimmt. Zudem können sie Empfehlungen für rezeptfreie Arzneimittel aussprechen. Sie tragen jedoch nicht die Kosten der von ihnen verordneten Behandlungen.

-Auch die Apotheken können die Arzneimittelnachfrage beeinflussen. In vielen Mitgliedstaaten gibt es für die Apotheker die Verpflichtung oder Anreize, die preisgünstigste erhältliche Version eines bestimmten Arzneimittels abzugeben (z. B. ein Generikum oder ein Parallelimport-Produkt). Zudem erfolgt die Beratung der Patienten über rezeptfreie Medikamente häufig in erster Linie durch Apotheker.

-Die Kosten verschreibungspflichtiger Arzneimittel werden in voller Höhe oder zum Großteil von nationalen Kostenerstattungssystemen oder von Krankenversicherungen/Krankenkassen gedeckt, die durch Steuern und/oder Versicherungsbeiträge finanziert werden. Beide haben jeweils ein großes Interesse, die Kosten des Gesundheitswesens niedrig zu halten, dabei jedoch durch kosteneffiziente Behandlungen die insgesamt beste medizinische Versorgung der Patienten sicherzustellen. Gesundheitsbehörden und Versicherer sind nicht (direkt) an der von den Verordnern und Patienten getroffenen Auswahl der Behandlung beteiligt, können jedoch mittels eines Preiskontrollmechanismus die Nachfrage beeinflussen.

Auf der Angebotsseite gibt es Hersteller mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen (Lieferung von Originalpräparaten, Generika, Hybrid-Arzneimitteln, Biosimilars oder anderen Produktarten), Großhändler und verschiedene Arten von Apotheken: Online-Apotheken, Versandapotheken, traditionelle Apotheken mit Ladengeschäften und Krankenhausapotheken:

-Die Originalpräparatehersteller sind in der Erforschung, Entwicklung, Herstellung, Vermarktung und Lieferung innovativer Arzneimittel tätig. In der Regel konkurrieren sie „um den Markt“, indem sie versuchen, die ersten zu sein, die ein neues Arzneimittel entdecken, patentieren und auf den Markt bringen; außerdem stehen Originalpräparate mit verschiedenen Wirkstoffen auch „im Markt“ im Wettbewerb zueinander, wo es dann um Preis, Qualität und Auswahl geht.

-Die Hersteller von Generika bieten – oftmals zu erheblich niedrigeren Preisen – nicht-innovative, generische Versionen des Originalpräparats an, nachdem die Originalpräparatehersteller ihre Exklusivrechte verloren haben. Generika haben dieselbe qualitative und quantitative Zusammensetzung an Wirkstoffen und dieselbe Darreichungsform (z. B. Tabletten, injizierbare Präparate) wie die bereits zugelassenen entsprechenden Originalpräparate (im Folgenden „Referenzarzneimittel“) und ihre Bioäquivalenz mit dem Referenzarzneimittel muss in Bioverfügbarkeitsstudien nachgewiesen worden sein. ( 40 ) Da sie der Behandlung derselben Krankheit dienen wie das Referenzarzneimittel, konkurrieren die Generika mit den Originalpräparaten (oder anderen bereits im Markt erhältlichen Generika) um Marktanteile, wobei sie vor allem im Preiswettbewerb stehen. Fällt ein Arzneimittel nicht unter den Begriff eines Generikums (z. B. wegen anderer Stärke, anderen Verabreichungswegs oder leicht vom Referenzarzneimittel abweichender therapeutischer Indikation) und lässt sich die Bioäquivalenz nicht durch Bioverfügbarkeitsstudien nachweisen, so wird die Zulassung zum Teil von den Ergebnissen der Prüfungen des Referenzarzneimittels und zum Teil von neuen Daten aus klinischen Prüfungen abhängen. Derartige Arzneimittel werden als „Hybrid-Arzneimittel“ bezeichnet ( 41 ).

Biosimilars ( 42 ) sind Arzneimittel, die eine hohe Ähnlichkeit mit anderen, bereits in der EU in den Verkehr gebrachten, biologischen Arzneimitteln („Referenzarzneimittel“) aufweisen; anders als die Moleküle klassischer Arzneistoffe, die kleiner und synthetisch hergestellt sind, werden die erheblich komplexeren biologischen Arzneimittel ( 43 ) aus biologischen Quellen (z. B. lebenden Zellen oder Organismen) extrahiert oder synthetisiert, und zwar unter Umständen, bei denen eine vollständige Replikation des Referenzprodukts nicht möglich ist (wegen verschiedener Zellkulturen, geheimen verfahrenstechnischen Know-hows usw.). In einer gemeinsamen Erklärung bestätigten die Behörden der Mitgliedstaaten, dass die Erfahrungen mit zugelassenen Biosimilars in den letzten 15 Jahren gezeigt haben, dass sie in Bezug auf Wirksamkeit, Sicherheit und Immunogenität mit ihrem Referenzarzneimittel vergleichbar und daher austauschbar sind und anstelle des Referenzarzneimittels (oder umgekehrt) verwendet oder durch ein anderes Biosimilar desselben Referenzarzneimittels ersetzt werden können ( 44 ). ()

Einige Hersteller liefern sowohl Originalpräparate als auch generische, hybride und Biosimilar-Produkte. Diese Unternehmen entwickeln für die einzelnen Produktarten unterschiedliche Geschäftsstrategien.

-Großhändler organisieren den Vertrieb von Arzneimitteln, indem sie diese bei den Herstellern erwerben und an Apotheken und Krankenhäuser verkaufen.

-Die verschiedenen Arten von Apotheken nehmen zwei Funktionen wahr: Sie beraten die Patienten und geben die benötigten Arzneimittel an sie ab.

Dies ist ein in hohem Maße regulierter Sektor, in dem die Mitgliedstaaten eine signifikante Rolle spielen: Je nach den nationalen Gegebenheiten gibt es verschiedene Behörden, die die Erteilung der Marktzulassung, die Preisbildung, die Beschaffung, die Kostenerstattung und den Ersatz von Arzneimitteln verwalten. Mit der Regulierung wollen die Regierungen mehrere Ziele erreichen, zum Beispiel i) die Qualität, Sicherheit, Effizienz und Wirksamkeit von Arzneimitteln sicherstellen, ii) durch Preisverhandlungen und Einrichtung öffentlicher Krankenversicherungssysteme dafür sorgen, dass Arzneimittel für alle erschwinglich sind, iii) Innovation und medizinische Forschung fördern, was auch die Verbesserung der Versorgungssicherheit und Prävention gegen Lieferengpässe einschließt.

Das komplexe System von Angebot und Nachfrage auf den Arzneimittelmärkten ist in Abbildung 4 dargestellt.

Abbildung 4: Angebot und Nachfrage auf den Arzneimittelmärkten

3.2.Der Rechts- und Regulierungsrahmen bestimmt die Wettbewerbsdynamik

Der Wettbewerb in den Arzneimittelmärkten ist von mehreren Faktoren abhängig, unter anderem der Aktivität im Bereich der Forschung und Entwicklung, den Anforderungen an die Marktzulassung, dem Zugang zu Kapital ( 45 ), den Immaterialgüterrechten, der Preisregulierung, der Werbetätigkeit, den Geschäftsrisiken usw. Für die Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten oder ein bestimmtes Fusionsvorhaben wettbewerbswidrig ist, ist ein gründliches Verständnis dieser Faktoren unerlässlich. Dieses Verständnis ist auch Voraussetzung dafür, einen Schlüsselbegriff der wettbewerbsrechtlichen Prüfung – den relevanten Markt – zu verstehen.

Kasten 6: Abgrenzung der relevanten Arzneimittelmärkte

Die Abgrenzung des relevanten Marktes ( 46 ) dient dazu, die Quellen des Wettbewerbsdrucks zu ermitteln, dem die von der Untersuchung betroffenen Parteien ausgesetzt sind. Der relevante Markt hat sowohl eine sachliche Dimension (die anderen Produkte, die wirksamen und unmittelbaren Wettbewerbsdruck auf das untersuchte Produkt ausüben) als auch eine räumliche Dimension (das Gebiet, in dem die Wettbewerbsbedingungen hinreichend ähnlich sind, um die Auswirkungen des zu untersuchenden Verhaltens oder Zusammenschlusses beurteilen zu können). Um zu verstehen, welche Arzneimittel demselben Markt angehören, müssen die Behörden sowohl die Nachfragesubstituierbarkeit beurteilen (z. B. ob Verordner, Patienten und Zahler bereit wären, zu einem anderen Produkt zu wechseln) als auch die Angebotssubstituierbarkeit (d. h. ob es Anbieter gibt, die einen Anreiz haben könnten und hätten, ebenfalls kurzfristig und mit nur unerheblichen zusätzlichen irreversiblen Kosten mit der Herstellung des/der in Rede stehenden Arzneimittel(s) zu beginnen).

Die Marktabgrenzung, d. h. die Ermittlung der Quellen, die wirksamen und unmittelbaren Wettbewerbsdruck erzeugen, ermöglicht den Wettbewerbsbehörden, in einem zweiten Schritt die Fragen zu beurteilen, ob das von der Untersuchung betroffene Unternehmen Marktmacht oder eine beherrschende Stellung innehat und ob das untersuchte Verhalten geeignet ist, den Wettbewerb zu behindern, oder voraussichtlich eher durch das Angebot der übrigen Wettbewerber ausgeglichen wird.

Im Hinblick auf die Feststellung der Quellen des Wettbewerbsdrucks, dem ein auf den Markt gebrachtes Arzneimittel ausgesetzt ist, stellt das Verständnis darüber, welche anderen Erzeugnisse therapeutisch austauschbar sind, einen notwendigen ersten Schritt bei der Ermittlung der relevanten konkurrierenden Arzneimittel dar. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs beurteilt sich „[d]ie Austauschbarkeit oder Ersetzbarkeit … nicht allein mit Blick auf die objektiven Eigenschaften der fraglichen Erzeugnisse und Dienstleistungen. Es müssen auch die Wettbewerbsbedingungen sowie die Struktur der Nachfrage und des Angebots auf dem Markt in Betracht gezogen werden“. ( 47 ) Nur Arzneimittel, die tatsächlich Wettbewerbsdruck auf das untersuchte Produkt ausüben können, können als demselben sachlich relevanten Markt zugehörig angesehen werden. Zielt beispielsweise die Positionierung eines Arzneimittels (Preis, Qualität, Innovationswert, Absatzförderung durch Marketing) darauf ab, Verschreibungen eines anderen Arzneimittels mit einem anderen Molekül zu verhindern, wäre dies ein Anhaltspunkt dafür, dass die auf zwei unterschiedlichen Molekülen basierenden Erzeugnisse wahrscheinlich demselben Markt zugehören. Droht jedoch der größte Wettbewerbsdruck von generischen Versionen eines bestimmten Moleküls, die dasselbe Molekül beinhalten, und ist der von Arzneimitteln mit anderen Molekülen ausgehende Druck deutlich schwächer, kann dies darauf hindeuten, dass der Markt kleiner und auf das untersuchte Molekül beschränkt ist. Der Grad des Wettbewerbsdrucks, der auf ein Arzneimittel ausgeübt wird, ist natürlich dynamisch und kann sich mit dem Markteintritt neuer Produkte ändern: So kann z. B. der Markteintritt oder bevorstehende Markteintritt einer generischen Version des Arzneimittels die Wettbewerbslandschaft für das Originalpräparat verändern. ( 48 ) Die Wettbewerbslandschaft hängt nicht nur davon ab, ob es austauschbare Arzneimittel gibt, sondern wird zu einem großen Teil auch durch Preisgestaltung und die Regulierung der Erstattungsfähigkeit beeinflusst ( 49 ).

3.2.1.Produktlebenszyklus und regulierungsbedingter stetiger Wandel des Wettbewerbs

Der Schwerpunkt der wettbewerbsrechtlichen Prüfung, sei es bei der Fusionskontrolle oder in kartellrechtlichen Untersuchungen, richtet sich nach der jeweiligen Phase des Produktlebenszyklus. Der Lebenszyklus von Arzneimitteln ist relativ lang und umfasst die in Abbildung 5 dargestellten drei Hauptphasen.

Abbildung 5: Produktlebenszyklus von Arzneimitteln

Der Lebenszyklus jedes neuen Arzneimittels beginnt mit einer neuen (klein- oder großmolekularen, wie z. B. bei biologischen Arzneimitteln) Verbindung, die in der Regel im Rahmen der häufig mit öffentlichen Mitteln unterstützten Grundlagenforschung der Originalpräparatehersteller oder unabhängiger Forschungseinrichtungen (Universitäten, spezialisierte Laboratorien) entdeckt wird. Die Originalpräparatehersteller prüfen dann, ob ein pharmazeutisches Erzeugnis, das die betreffende chemische Kandidatenverbindung enthält, sicher und wirksam wäre. In der Entwicklungsphase werden die Kandidatenarzneimittel zunächst in Laborversuchen (unter anderem auch an Tieren) getestet; auf diese sogenannte präklinische Phase folgen die klinischen Versuche (an Menschen), die wiederum drei Phasen umfassen.

Wurde die Wirksamkeit und Sicherheit eines neuen Arzneimittels in Studien nachgewiesen, beantragt das Unternehmen bei der Regulierungsbehörde die Zulassung. Dieser Antrag kann entweder bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur („EMA“) oder bei einer nationalen Behörde gestellt werden.

Nach der Zulassung des Arzneimittels werden oftmals in weiteren Studien („Phase-IV-Studien“ oder „Überwachungsstudien nach dem Inverkehrbringen“) weiter Daten generiert, um die Wirkungsweise des Arzneimittels noch besser zu verstehen. Erweist sich, dass die mit einem Arzneimittel verbundenen Risiken im Verhältnis zu seinem Nutzen inakzeptabel hoch sind, können die Regulierungsbehörden Warnungen aussprechen, die zu Änderungen der Packungsbeilage führen; auch in dieser Phase können sie noch die Zulassung des Arzneimittels widerrufen oder zurücknehmen.

Die Entwicklungszyklen innovativer Arzneimittel sind in der Regel risikobehaftet, langwierig und mit hohen Entwicklungskosten verbunden ( 50 ). Darüber hinaus kommen nur die allerwenigsten Kandidatenmoleküle über die Entwicklungsphase hinaus und letztendlich auf den Markt.

Bereits vor dem Inverkehrbringen – d. h. während der präklinischen und der klinischen Phase – kann die Entwicklung neuer Arzneimittel Wettbewerbsdruck auf vorhandene Arzneimittel sowie auf andere in Entwicklung befindliche Arzneimittel ausüben. Sobald neue Arzneimittel auf dem Markt sind, wird versucht, sich deren Verschreibung zu sichern, indem entweder die Nachfrage von anderen Arzneimitteln auf das neue Arzneimittel umgelenkt oder bei den Patienten und Angehörigen der Gesundheitsberufe eine neue Nachfrage für diese Art Arzneimittel geschaffen wird, weil das neue Arzneimittel zum Beispiel eine bisherige medizinische Versorgungslücke deckt. In dieser Phase geht der Wettbewerbsdruck in erster Linie von ähnlichen Arzneimitteln aus. Kurz bevor das Originalpräparat seine Marktexklusivität verliert (weil beispielsweise sein Patentschutz ausläuft), beginnt sich ein Wettbewerbsdruck durch generische, hybride oder Biosimilar-Versionen desselben Arzneimittels aufzubauen. Nach deren Inverkehrbringen kann es für den Originalpräparatehersteller zu erheblichen Absatzeinbußen kommen und die durchschnittlichen Marktpreise sinken unter Umständen drastisch.

Entwicklung neuer Arzneimittel – Innovationswettbewerb

In der EU und weltweit ist die Pharmabranche einer der FuE-intensivsten Wirtschaftszweige ( 51 ). Die wichtigsten Triebkräfte für Innovationen sind die Nachfrage nach neuen, wirksameren und/oder sichereren Behandlungen für die Patienten, die Lebenszyklen der Arzneimittel und der drohende Wettbewerb, insbesondere der nach dem Verlust der Marktexklusivität von Generika ausgehende Wettbewerbsdruck. ( 52 )Wenn die Patienten sukzessive auf neuere, alternative Behandlungen oder günstigere generische Versionen umgestellt werden, können die Originalpräparatehersteller nicht unbegrenzt Gewinne aus ehemals innovativen Erzeugnissen erzielen, sondern müssen in neue innovative Produkte investieren, um nicht durch Innovationen ihrer Wettbewerber überrundet zu werden. Die kontinuierliche Investition in Forschung und Entwicklung, für die der Wettbewerb einen erheblichen Anreiz bietet, führt somit zur Entdeckung neuer oder verbesserter Arzneimittel zum Wohle der Patienten und der Gesellschaft insgesamt.

Zeitliche Begrenzung der Marktexklusivität neuer Arzneimittel

Angesichts der hohen Entwicklungskosten und der Tatsache, dass es nach der Entwicklung eines neuen Arzneimittels für Wettbewerber relativ einfach ist, dieses zu kopieren, gewähren die Rechtsvorschriften den Originalpräparateherstellern verschiedene Exklusivitätsrechte, die ihnen Anreize bieten sollen, in neue FuE-Projekte zu investieren. Allen diesen Exklusivitätsrechten ist jedoch gemeinsam, dass sie zeitlich begrenzt sind und es somit nach ihrem Auslaufen möglich ist, Generika auf den Markt zu bringen.

Der Wirkstoff eines Originalpräparates kann patentiert werden; diese Patente werden häufig als „Wirkstoff‑“ oder „Primärpatente“ bezeichnet. Wurde ein solches Patentrecht erworben, darf kein Wettbewerber ohne Zustimmung des Patentinhabers ein Arzneimittel verkaufen, das den patentierten Wirkstoff enthält. Der Patentschutz kann durch ergänzende Schutzzertifikate (SPC) verlängert werden, die dem Pharma-Innovator einen Ausgleich für den Zeitraum bieten sollen, um den sein Patentschutz durch die langwierigen Zulassungsverfahren für das neue Medizinprodukt verkürzt wurde. Daneben gibt es weitere Schutzinstrumente, die Exklusivitätsrechte gewähren (siehe Kasten 7).

Auch wenn das Arzneimittel bereits auf dem Markt ist, kann es sein, dass der Hersteller weiter Forschung betreibt und klinische Studien durchführt, um neue medizinische Verwendungszwecke für das Arzneimittel zu entwickeln. In der Regel arbeiten die Hersteller auch weiter an der Verbesserung der Herstellungsverfahren, Darreichungsformen und/oder Zusammensetzungen (unterschiedliche Salze, Ester, Kristallstrukturen usw.). Hersteller können versuchen, diese Verbesserungen durch Patentierung zu schützen. Solche Patente, die häufig als „Sekundärpatente“ bezeichnet werden, können es erschweren, Generika schon bald nach Ablauf der Marktexklusivität für den Wirkstoff auf den Markt zu bringen, da andere Eigenschaften des Originalpräparats weiterhin Patentschutz genießen.

Kasten 7: Patente und andere Exklusivitätsrechte bieten befristeten Schutz

Patente bieten dem Erfinder (Originalpräparatehersteller) ein Exklusivitätsrecht, Dritten die Nutzung der Erfindung für bis zu 20 Jahre ab dem Datum der Patentanmeldung zu untersagen. Zumeist meldet der Hersteller das Patent für ein neuartiges Arzneimittel schon sehr früh im Entwicklungsprozess an; der 20-jährige Patentschutz beginnt dann schon lange vor dem Markteintritt des Arzneimittels. Mit einem ergänzenden Schutzzertifikat (SPC) kann die Laufzeit des Patentschutzes für ein neuartiges Arzneimittel um bis zu fünf Jahre verlängert werden.

Originalpräparate genießen auch Markt- und Datenexklusivität. Während der Laufzeit der Datenexklusivität dürfen andere Unternehmen – Hersteller von generischen oder Biosimilar-Versionen desselben Arzneimittels – keine Zulassung nach einem Zulassungsverfahren beantragen, das teilweise auf den für das Originalpräparat vorgelegten Daten beruht.

Zur Förderung der Forschung, Entwicklung und Vermarktung von Behandlungen seltener Erkrankungen ist in den Arzneimittelvorschriften Marktexklusivität für Arzneimittel für seltene Leiden vorgesehen. Das bedeutet, dass die Zulassung ähnlicher Arzneimittel für dieselbe therapeutische Indikation für einen bestimmten Zeitraum weder beantragt noch erteilt (und das Arzneimittel somit nicht auf den Markt gebracht) werden kann; der Zeitraum kann parallel zu einem Patentschutz laufen, was aber nicht der Fall sein muss. Für Arzneimittel, die an die medizinischen Bedürfnisse von Kindern angepasst sind (Arzneimittel für Kinder), kann ebenfalls eine Verlängerung der Exklusivitätsfrist gewährt werden (ergänzende Schutzzertifikate, Daten- oder Marktexklusivität).

Verlust des Schutzes und Wettbewerb durch Generika oder Biosimilars

Die zeitliche Begrenzung aller Schutzinstrumente ist von grundlegender Bedeutung für einen dynamischen Wettbewerb: Sie bietet einen Ausgleich zwischen den mit der Marktexklusivität verbundenen Innovationsanreizen und dem nach dem Auslaufen der Exklusivitätsrechte drohenden Wettbewerb durch Generika oder Biosimilars, wenn mehr günstigere Arzneimittel erhältlich sind. Von Generika und Biosimilars kann ein vollkommen anderer und wesentlich stärkerer Wettbewerbsdruck ausgehen als von anderen Originalpräparaten.

In den meisten Mitgliedstaaten gibt es Regulierungsmechanismen, um die Verschreibung und/oder Abgabe von Generika und Biosimilars statt des teureren Originalpräparats zu fördern. Wird ein Generikum oder Biosimilar in Verkehr gebracht, führen diese Mechanismen zu einem stärkeren Preiswettbewerb durch das Generikum oder Biosimilar und zu bedeutenden Verschiebungen der Verkaufsmengen vom Originalpräparat zum Generikum oder Biosimilar, was möglicherweise die gesamte Patientennachfrage nach dem Originalpräparat gefährdet. Das Inverkehrbringen günstigerer Generika/Biosimilars bewirkt daher in der Regel einen drastischen Rückgang der Umsätze mit dem Originalpräparat sowie der Durchschnittspreise und ist somit eine zentrale Triebfeder für Kosteneinsparungen in den Gesundheitssystemen und für den verbesserten Zugang der Patienten zu Arzneimitteln. Aus verschiedenen Gründen, die nachstehend erklärt werden, scheinen solche Kosteneinsparungen mit Biosimilars schwerer erzielbar zu sein als mit Generika. Trotzdem hatte sich die Zahl neuer biologischer Moleküle mit einem Biosimilar bis 2022 innerhalb von fünf Jahren gegenüber den vorherigen zehn Jahren verdoppelt. ( 53

Im Gegensatz zu auf anderen Molekülen basierenden Arzneimitteln enthalten Generika denselben Wirkstoff, werden in denselben Dosierungen vermarktet und zur Behandlung derselben Indikationen eingesetzt wie das Originalpräparat; somit findet im Fall von Generika der Wettbewerb zwischen homogenen Produkten statt.

Obgleich der Wettbewerb zwischen biologischen Originalpräparaten und Biosimilars einer ähnlichen Dynamik gehorcht wie der zwischen anderen Originalpräparaten und Generika, weisen biologische Arzneimittel einige abweichende Merkmale auf, die dazu führen können, dass sie weniger gut angenommen werden oder geringere Preisvorteile bieten als Generika. Wie oben in Abschnitt 3.1 erklärt wurde, sind Biosimilars keine exakten Kopien des Referenzarzneimittels. Wegen der allen biologischen Arzneimitteln inhärenten Unterschiede gibt es auch Spielraum für Differenzierungsstrategien und einen nichtpreislichen Wettbewerb zwischen verschiedenen Biosimilars desselben Moleküls. Diese Komplexität hat zur Folge, dass für das Inverkehrbringen von Biosimilars größere Hindernisse bestehen als bei klassischen Generika. 2023 hat die Europäische Arzneimittel-Agentur eine allgemeine Erklärung zum wissenschaftlichen Prinzip veröffentlicht, in der die Austauschbarkeit der in der Europäischen Union (EU) zugelassenen Biosimilars offiziell festgestellt wird; in der Erklärung sind auch die diese Position stützenden wissenschaftlichen Studien angeführt.

Kasten 8: Austauschbarkeit von Biosimilars in der EU

In ihrem gemeinsamen Statement heben die Europäische Arzneimittel-Agentur („EMA“) und die Leiter der nationalen Arzneimittelagenturen hervor, dass in der EU zugelassene Biosimilars aus wissenschaftlicher Sicht austauschbar sind; dies bedeutet, dass es möglich ist, ein Biosimilar anstelle seines biologischen Referenzarzneimittels zu verwenden, oder umgekehrt. ( 54 ) In gleicher Weise kann ein Biosimilar anstelle eines anderen Biosimilars desselben Referenzarzneimittels verwendet werden. Ein Austausch sollte jedoch nur nach sorgfältiger Prüfung der Produktinformationen erfolgen.

Wenn ein Biosimilar in der EU zugelassen wurde, sind nach Ansicht der EU-Experten keine zusätzlichen systematischen Umstellungsstudien (Switch-Studien) erforderlich, die die Austauschbarkeit belegen. Im Hinblick auf den wissenschaftlichen Wissensstand und die im Laufe der Jahre gemachten guten Erfahrungen mit Biosimilars in der klinischen Praxis sprechen sich die Leiter der Arzneimittelagenturen und die EU-Sachverständigen der Arbeitsgruppe für Biosimilars dafür aus, dass in der EU als Arzneimittel zugelassene Biosimilars austauschbar verschrieben werden können. Damit wird mehr Patienten der Zugang zu biologischen Arzneimitteln eröffnet, die zur Behandlung von Krankheiten wie Krebs, Diabetes und rheumatischen Erkrankungen notwendig sind. Die Entscheidung darüber, welche biologischen Arzneimittel in ihrem Staatsgebiet verschrieben werden können oder ob eine automatische Substitution auf Apothekenebene gestattet ist, wird weiterhin bei den Mitgliedstaaten liegen.

Das Inverkehrbringen von Generika und Biosimilars führt nicht nur zu einem verstärkten Preiswettbewerb, sondern bietet auch Anreize für Innovationen. Nach Ablauf der verschiedenen Exklusivitätsrechte (z. B. Patente, ergänzende Schutzzertifikate (SPC), Markt- und Datenexklusivität) können andere Unternehmen das hinter einer Innovation stehende Wissen (das in Patentanmeldungen und den Marktzulassungsunterlagen offenbart wird) frei nutzen, um neue Erzeugnisse zu entwickeln und zu vermarkten. Weil der Markteintritt kostengünstigerer Generika oder Biosimilars für den ursprünglichen Innovator den Verlust seiner Marktexklusivität und der ihr zu verdankenden hohen Einnahmen bedeutet, ist er zu FuE-Investitionen motiviert, um weitere Produkte zur Marktreife zu bringen und damit seinen künftigen Einnahmenstrom zu sichern. Der von Generika/Biosimilars ausgehende Wettbewerbsdruck führt somit nicht nur zu niedrigeren Preisen für ältere Arzneimittel, sondern zwingt auch die Originalpräparatehersteller zu weiterer Innovationstätigkeit.

Gelegentlich versuchen Unternehmen, das Regulierungssystem zu missbrauchen, das ihnen Patentschutz oder Exklusivitätsrechte gewährt, um den Zeitraum, in dem sie vor dem Markteintritt von Konkurrenzprodukten geschützt sind, zu verlängern. Neben der gerichtlichen und behördlichen Kontrolle spielen dabei auch die Wettbewerbsbehörden eine Rolle, wenn es gilt, gegen Unternehmen, die zum Schutz ihrer Einnahmen den Wettbewerb unrechtmäßig behindern, vorzugehen, damit es nicht zur Verzerrung von Innovationsanreizen und zur Schlechterstellung der Gesundheitssysteme kommt. Für die Hersteller von Generika und Biosimilars ist es deshalb wichtig, absehen zu können, wann Patente und andere Exklusivitätsrechte, die ein Originalpräparat schützen, ablaufen, um dann auf tragfähige Weise in den Markt eintreten und dort konkurrieren zu können.

3.2.2.Preisfestsetzungs- und Erstattungsregeln haben großen Einfluss auf den Wettbewerb zwischen Arzneimitteln 

In den meisten Mitgliedstaaten müssen die Hersteller Preisfestsetzungs- und Erstattungsverfahren durchlaufen, bevor sie verschreibungspflichtige Arzneimittel auf den Markt bringen können. Die Preis- und Erstattungspolitik sowie die diesbezüglichen Regelungen liegen nach wie vor ausschließlich in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Regulierung, die Vergabe öffentlicher Aufträge und die damit verbundenen Verhandlungen wirken sich auf den Preis eines Arzneimittels aus. Dies gilt sowohl für Originalpräparate als auch für Generika oder Biosimilars.

Die Mitgliedstaaten haben unterschiedliche Preisfestsetzungssysteme eingeführt, die in der Regel auf Verhandlungen zwischen Gesundheitsdienstleistern der Mitgliedstaaten und Herstellern basieren. Faktoren, die dabei berücksichtigt werden können, sind zum Beispiel i) Angaben zum Preis eines Arzneimittels in anderen Mitgliedstaaten, ii) der im Rahmen einer Bewertung von Gesundheitstechnologien („health technology assessment“, HTA) ermittelte Zusatznutzen eines Arzneimittels oder iii) eine Kombination aus den beiden vorgenannten Faktoren. Selbst wenn die Einstandspreise keinen spezifischen Mechanismen unterliegen, werden die Arzneimittelkosten in der Regel nur bis zu einem bestimmten Betrag erstattet.

Um das Potenzial für Kosteneinsparungen auszuschöpfen, ergreifen die meisten Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Förderung des Preiswettbewerbs zwischen gleichwertigen Arzneimitteln. So kann beispielsweise die Abgabe von günstigeren Generika oder Biosimilars durch Regelungen gefördert werden, nach denen Ärzte Generika-Verschreibungen ausstellen müssen (d. h. es wird ein bestimmtes Molekül verschrieben, nicht aber eine bestimmte Marke) und/oder es Apothekern gestattet ist, die jeweils günstigste (generische) Version eines Arzneimittels abzugeben. Auf Märkten, auf denen Generika angeboten werden, können Krankenkassen unter Umständen auch Ausschreibungen organisieren, um den günstigsten Anbieter eines bestimmten Arzneimittels auszuwählen.

Die Regulierungsbehörde kann den Preiswettbewerb zwischen therapeutisch substituierbaren Arzneimitteln fördern, indem beispielsweise lediglich die Kosten des günstigsten Produkts einer Wirkstoffklasse (d. h. der Gruppe von Arzneimitteln, die unterschiedliche Wirkstoffe haben, aber zur Behandlung derselben Erkrankungen eingesetzt werden) erstattet werden, und so eine höhere wirtschaftliche Substitution in Gang setzen (bei der Patienten auf austauschbare, jedoch kostengünstigere Arzneimittel umgestellt werden). Solche Maßnahmen können unter Umständen dazu führen, dass sich die Art und Intensität des Wettbewerbs um alternative Arzneimittel grundlegend ändert, da die Anbieter nicht länger vor dem Preiswettbewerb geschützt sind, der von therapeutischen Alternativen ausgeht.

3.2.3.Reform der EU-Arzneimittelvorschriften und „Eine Arzneimittelstrategie für Europa“

Am 26. April 2023 hat die Europäische Kommission das „Arzneimittelpaket“ ( 55 ) angenommen, mit dem dem Rat und dem Europäischen Parlament vorgeschlagen wird, die EU-Arzneimittelvorschriften auf Grundlage der seit der Annahme von „Eine Arzneimittelstrategie für Europa“ 56 im Jahr 2020 geleisteten Vorarbeiten zu überarbeiten. Zu dem Reformpaket gehören Vorschläge für eine neue Richtlinie und eine neue Verordnung, mit denen die bestehenden Arzneimittelvorschriften (einschließlich der Rechtsvorschriften über Arzneimittel für Kinder und für seltene Erkrankungen) überarbeitet und ersetzt würden. Das Paket enthält auch eine Empfehlung des Rates, die Maßnahmen zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenz zu intensivieren ( 57 ), sowie eine Mitteilung ( 58 ).

Die vorgeschlagene Überarbeitung des Arzneimittelrechts zielt darauf ab, dass Arzneimittel (in allen Mitgliedstaaten) besser zugänglich, besser (zur Bekämpfung von Versorgungsengpässen) verfügbar und (für die nationalen Gesundheitssysteme und für die Patienten) erschwinglicher sein sollen; gleichzeitig hat sie zum Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit der Arzneimittelindustrie in der EU zu stützen, antimikrobielle Resistenz zu bekämpfen und höhere Umweltstandards sicherzustellen.

Die Vorschläge sehen auch Maßnahmen vor, mit denen der Zugang der Patienten zu Arzneimitteln in allen Mitgliedstaaten gefördert werden soll, was dem Rat schon lange ein Anliegen ist. Dies würde insbesondere durch ein System der Anreizdifferenzierung geschehen. Mit der Reform wird angestrebt, die Arzneimittelentwicklung durch Anreize für sämtliche innovativen Arzneimittel zu fördern, wobei die Standardanreize (Schutzzeitraum für die Daten sowie Markenschutz für alle innovativen Arzneimittel und Datenexklusivität für Arzneimittel für seltene Erkrankungen) weiterhin international wettbewerbsfähig sind. Darüber hinaus kämen Unternehmen, die das Arzneimittel in alle Mitgliedstaaten liefern, für die die Marktzulassung gilt, in den Genuss zusätzlicher Schutzzeiträume für die Daten. Die vorgeschlagene Reform lässt das EU-System der Rechte des geistigen Eigentums bzw. der ergänzenden Schutzzertifikate (SPC) unberührt; diese bilden weiterhin ein wesentliches Element des Innovationsschutzes in der EU.

Die Vorschläge beinhalten auch Maßnahmen zur Innovationsförderung in Bereichen medizinischer Versorgungslücken. Für Arzneimittel, die eine medizinische Versorgungslücke schließen, würde ein längerer Schutzzeitraum für die Daten gelten; außerdem würde die EMA Unternehmen schon frühzeitig regulatorische und wissenschaftliche Unterstützung für in Entwicklung befindliche vielversprechende Arzneimittel leisten, die eine medizinische Versorgungslücke decken würden.

Mit der Überarbeitung wird auch Maßnahmen gegen Arzneimittelengpässe und der Verbesserung der durchgehenden Versorgungssicherheit Rechnung getragen, wobei die als Grundlage dienenden Systeme und Verfahren, die mit der Verordnung über das erweiterte Mandat der EMA eingerichtet wurden, gestärkt werden.

Die Erschwinglichkeit für die Gesundheitssysteme und Patienten in der EU würde durch verschiedene Maßnahmen verbessert. Zum einen würde die Reform das frühere Inverkehrbringen von Generika und Biosimilars erleichtern, weil diese nach Ablauf des Patentschutzes für das Originalpräparat schneller auf den Markt gebracht werden könnten (weil die erweiterte und harmonisierte sogenannte Bolar-Ausnahmeregelung ( 59 ) und die Änderung der Regeln über Marktexklusivität für Arzneimittel für seltene Leiden die Patentanmeldung vor Ablauf der Marktexklusivität ermöglichen), was den Wettbewerb verstärkt und auf die Preise drückt. Zum anderen soll sie durch einen zusätzlichen Schutzzeitraum für Daten Anreize dafür setzen, klinische Vergleichsdaten zu generieren, was den Mitgliedstaaten helfen soll, zeitnahe und evidenzbasierte Preissetzungs- und Erstattungsentscheidungen zu treffen. Des Weiteren enthält es Maßnahmen bezüglich der Transparenz über öffentliche Mittel für die Arzneimittelentwicklung, die die Mitgliedstaaten in ihren Verhandlungen mit Pharmaunternehmen unterstützen werden, was letztlich zu erschwinglicheren Arzneimitteln führen wird.

Das Arzneimittelpaket ist der größte Baustein der im November 2020 angenommenen Strategie „Eine Arzneimittelstrategie für Europa“ und umfasst 55 Aktionspunkte. Die Strategie „Eine Arzneimittelstrategie für Europa“ zielt darauf ab, ein zukunftsfähiges und patientenorientiertes Arzneimittelumfeld für die Innovationsarbeit der EU-Pharmaindustrie zu schaffen. In der Strategie „Eine Arzneimittelstrategie für Europa“ sind auch nicht-gesetzgeberische Maßnahmen vorgesehen, um die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in Bezug auf ihre Preisgestaltungs‑, Erstattungs- und Beschaffungspolitik durch den Austausch von Informationen und bewährten Verfahren im Rahmen der Gruppe der für Preisbildung und Erstattungen zuständigen nationalen Behörden und öffentlichen Gesundheitssysteme (National Competent Authorities on Pricing and Reimbursement and Healthcare Payers, NCAPR) zu fördern.

Sowohl die Reform der EU-Arzneimittelvorschriften als auch die Arzneimittelstrategie sind zentrale Säulen einer starken Europäischen Gesundheitsunion ( 60 ). Sie werden andere wichtige Initiativen ergänzen, darunter die Stärkung des EU-Rahmens für Gesundheitssicherheit durch die neuen Rechtsvorschriften über grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren und durch solidere Mandate für EU-Gesundheitsagenturen, der Aufbau der Behörde für die Krisenvorsorge und ‑reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) sowie Europas Plan gegen den Krebs und der europäische Raum für Gesundheitsdaten.

4.Schutz der Unternehmen und Verbraucher durch das Wettbewerbsrecht auch in der Covid-19-Krise

Von März 2020 bis 2022 stellten die Folgen der Covid-19-Pandemie die Unternehmen in der EU vor besondere Herausforderungen. Viele dieser Unternehmen waren jedoch in der Lage, entscheidend zur Minderung der Auswirkungen der Krise beizutragen. Angesichts der außergewöhnlichen Umstände und der sich daraus ergebenden Herausforderungen mussten Unternehmen zuweilen miteinander kooperieren, um die Lieferung wesentlicher und möglicherweise knapper Produkte und Dienstleistungen und deren gerechte Verteilung unter allen Verbrauchern sicherzustellen.

In Reaktion darauf veröffentlichten die Kommission, die nationalen Wettbewerbsbehörden und die EFTA-Überwachungsbehörde am 23. März 2020 eine gemeinsame Erklärung über die Anwendung des EU-Kartellrechts während der Covid-19-Pandemie, in der sie erklärten, wie die Wettbewerbsbehörden den Unternehmen bei der Krisenbewältigung helfen könnten. ( 61 ) Im Statement wurde klargestellt, dass das ECN nicht aktiv gegen notwendige und vorübergehende Maßnahmen zur Vermeidung von Lieferengpässen vorgehen würde, dass es allerdings nicht zögern würde, einzugreifen, falls Unternehmen die Krisensituation dazu nutzen würden, Kartelle zu bilden oder ihre beherrschende Stellung zu missbrauchen. In diesem Zusammenhang wies das ECN darauf hin, dass es den Herstellern nach den geltenden Vorschriften gestattet ist, Höchstpreise für ihre Produkte festzulegen, was sich als nützlich zur Begrenzung nicht gerechtfertigter Preiserhöhungen auf der Vertriebsebene erweisen könnte.

4.1.Orientierungshilfe der Kommission zu kartellrechtlichen Vorschriften für in Reaktion auf den Covid-19-Ausbruch zusammenarbeitende Unternehmen 

Während der Covid-19-Krise stellte die Kommission Orientierungshilfen für Unternehmen und Branchenverbände in Bezug auf spezifische Initiativen der Zusammenarbeit mit EU-Dimension bereit, die während der Coronavirus-Pandemie rasch umgesetzt werden mussten, und zwar insbesondere in Fällen, in denen noch unklar war, ob die betreffende Initiative mit dem EU-Wettbewerbsrecht vereinbar war. Am 8. April 2020 erging die Mitteilung der Kommission über den befristeten Rahmen für die Prüfung kartellrechtlicher Vorschriften ( 62 ), in dem die wichtigsten Kriterien aufgeführt waren, nach denen Vorhaben der Zusammenarbeit gegen Engpässe bei der Versorgung mit unentbehrlichen Waren und Dienstleistungen während des Coronavirus-Ausbruchs geprüft werden würden. In dem Dokument war auch die Möglichkeit vorgesehen, Unternehmen eine Bescheinigung (in Form von ad hoc ausgestellten sogenannten Comfort Letters) zu bestimmten in den Anwendungsbereich des befristeten Rahmens fallenden Kooperationsprojekten auszustellen ( 63 ).

Im Laufe der Covid-19-Krise gab es zwei Comfort Letters gemäß dem befristeten Rahmen. Der Comfort Letter vom 8. April 2020, der an den Arzneimittelherstellerverband „Medicines for Europe“ ( 64 ) gerichtet war, betraf eine freiwillige Zusammenarbeit, mit der durch erhebliche Steigerung der Produktionskapazitäten für Covid-19-Medikamente der Gefahr von Engpässen bei wichtigen intensivmedizinischen Arzneimitteln für die Behandlung von Covid-19-Patienten entgegengewirkt werden sollte. Im Hinblick auf ihr Ziel, die Produktion gemeinsam zu steigern und nicht zu senken, sowie die zur Ausräumung kartellrechtlicher Bedenken getroffenen Vorkehrungen wurde die vorübergehende Zusammenarbeit für nach dem EU-Kartellrecht zu rechtfertigen befunden.

Einen weiteren solchen Comfort Letter ( 65 ) stellte die Kommission am 25. März 2021 den Organisatoren einer europaweiten Vermittlungsveranstaltung aus, die darauf abzielte, Engpässe bei der Herstellung von COVID-19-Impfstoffen zu beseitigen und die Nutzung zusätzlicher verfügbarer Kapazitäten in ganz Europa zu beschleunigen. In diesem Comfort Letter wurden die Bedingungen angegeben, unter denen ein Informationsaustausch unter Unternehmen, auch unter direkten Wettbewerbern, im Rahmen der EU-Wettbewerbsvorschriften stattfinden konnte.

4.2.Initiativen nationaler Wettbewerbsbehörden und Abstimmung mit der Kommission 

Im Geiste des vorgenannten gemeinsamen ECN-Statements gab es zahlreiche Initiativen und Orientierungshilfen der europäischen Wettbewerbsbehörden für Unternehmen, um den Zugang zu unentbehrlichen medizinischen Produkten und Dienstleistungen, zugleich aber auch die Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften sicherzustellen. Die nachstehend beschriebenen Initiativen sind nur einige wenige Beispiele für deren intensive Tätigkeit in der schwierigen Zeit der Covid-19-Krise, die häufig in Abstimmung mit der Kommission erfolgte.

Auf Medienberichte hin leitete die niederländische nationale zuständige Behörde 2020 eine Untersuchung in Bezug auf Roche Diagnostics ein, die den Ausbau der Testkapazitäten während der Covid-19-Krise betraf. Den Medienberichten zufolge hielt Roche das Rezept für seine Lysis-Puffer, die für die PCR-Covid-19-Tests von Roche verwendet wurden, zurück, was Labors Schwierigkeiten bereitete, ihre eigene Reagens-Lösung zur Verwendung in den PCR-Testgeräten von Roche herzustellen. Auf Auskunftsersuchen hin und nach Gesprächen mit der nationalen Wettbewerbsbehörde, Behörden und Experten verpflichtete sich Roche der nationalen Wettbewerbsbehörde gegenüber, alles in seinen Kräften Stehende zu tun, um Krankenhäusern und Labors die Durchführung möglichst vieler Tests zu ermöglichen, sowie möglichst viele Hindernisse zu beseitigen. Dabei arbeitete die nationale Wettbewerbsbehörde eng mit der Kommission zusammen. ( 66 )

Die griechische nationale Wettbewerbsbehörde richtete eine besondere Covid Task Force ein und ging gegen mutmaßliche Preisabsprachen vor:

Im März 2020 richtete die griechische nationale Wettbewerbsbehörde eine „Covid-19 Competition Task Force“ zur Bekämpfung wettbewerbswidriger Praktiken ein. ( 67 ) Ihre Aufgabe war es, Unternehmen und Bürger über die Anwendung des Wettbewerbsrechts zu informieren; außerdem sollte sie die Öffentlichkeit über die von der nationalen Wettbewerbsbehörde geführten Untersuchungen und Verfahrensangelegenheiten informieren. Einer der Hauptzwecke dieser Task Force war es, die von verschiedenen Einrichtungen und Unternehmen eingehenden Fragen zu den von ihnen beabsichtigten Initiativen und deren Vereinbarkeit mit dem Wettbewerbsrecht an einer zentralen Stelle zu sammeln und umgehend zu beantworten.

Im September 2021 legte die Regierung Preisobergrenzen für Covid-19-Diagnostiktests fest, die in privaten Diagnostiklabors, privaten Kliniken, Apotheken und anderen Einzelhandelsläden durchgeführt wurden. Allerdings gab der griechische Apothekerverband PPA Leitlinien für seine Mitglieder (d. h. für die örtlichen Apothekerverbände) heraus, die den Eindruck erweckten, dass die von der Regierung auf 10 EUR bemessene Obergrenze ein Festpreis sei, wodurch der Wettbewerb im Hinblick auf ein günstigeres Angebot der Tests möglicherweise ausgeschaltet wurde. Statt eine Untersuchung einzuleiten, sandte die griechische nationale Wettbewerbsbehörde dem PPA ein Warnschreiben, in dem wiederholt wurde, dass die von der Regierung angeordneten Preisobergrenzen als Höchstpreise und nicht als Festpreise zu verstehen seien; außerdem wurde der PPA angewiesen, a) seine Leitlinien öffentlich zurückzunehmen sowie b) das Schreiben der nationalen Wettbewerbsbehörde an seine Mitglieder weiterzuleiten und auf seiner Website zu veröffentlichen. Zudem gab die nationale Wettbewerbsbehörde eine öffentliche Erklärung ab, in der klargestellt wurde, dass die von der Regierung angeordneten Preisobergrenzen den Höchstpreis – und nicht einen Festpreis – darstellten; die Bürgerinnen und Bürger wurden aufgefordert, ihnen auffallendes wettbewerbswidriges Verhalten zu melden. ( 68 ) Der PPA kam den Anweisungen der nationalen Wettbewerbsbehörde nach, seine Mitglieder anzuschreiben und geänderte Leitlinien zu veröffentlichen.

Im März 2021 gab die deutsche nationale Wettbewerbsbehörde grünes Licht für den Einstieg der Vollsortiments-Pharmagroßhändler bei der „VCI Notfallplattform Impfzubehör“. Die Plattform wurde mit Einverständnis des Bundeskartellamts gegründet, um die Versorgung mit Impfzubehör (Spritzen, Kanülen und NaCI-Lösung) besser zu koordinieren. Über die B2B-Plattform informierten die Bundesländer und die Hersteller von Impfzubehör über ihre jeweilige Versorgungslage bzw. Lieferfähigkeit. Diese Transparenz sollte dazu beitragen, die Lieferkette besser zu koordinieren, um eine Verknappung beim Impfzubehör bzw. eine Fehlallokation zu verhindern. Die Plattform lieferte keine Angaben zu Preisen und Mengen der Anbieter und sollte temporär auf die aktuelle Notfallsituation beschränkt bleiben.

Die polnische nationale Wettbewerbsbehörde führte mehrere Voruntersuchungen mit Bezug zu Covid-19 durch, die jedoch zu keinem Beschluss zur Feststellung einer Zuwiderhandlung führten. Die Untersuchungen betrafen i) Beschwerden wegen Engpässen und Preiserhöhungen für Ethanol zur Herstellung von magistralen Arzneimitteln (d. h. in der Apotheke nach ärztlicher Vorschrift bereitete Arzneimittel), ii) Engpässe bei Sauerstoff für medizinische Zwecke sowie Engpässe im Bereich persönlicher Schutzausrüstungen. Die polnische nationale Wettbewerbsbehörde stellte fest, dass die Engpässe nicht auf wettbewerbswidriges Verhalten zurückzuführen waren, sondern auf die sprunghaft gestiegene Nachfrage nach den Produkten. Die polnische nationale Wettbewerbsbehörde untersuchte auch, ob Qiagen seine beherrschende Stellung als Vertreiber von Diagnosereagenzien missbraucht hatte, fand jedoch keine Anzeichen für die angebliche Geschäftsverweigerung, Kopplungs- oder Exklusivverträge; sie stellte fest, dass der Lieferverzug vielmehr auf nachfragebedingte Engpässe zurückzuführen war, die wiederum durch die Covid-19-Pandemie verursacht waren.

5.Wettbewerb fördert den Zugang zu erschwinglichen Arzneimitteln

Die Maßnahmen zur Durchsetzung des Wettbewerbsrechts, die einen Beitrag zu den laufenden Bemühungen um die Bereitstellung erschwinglicher Arzneimittel für die europäischen Patienten und Gesundheitssysteme leisten, umfassen insbesondere Maßnahmen gegen Verhaltensweisen, die das Inverkehrbringen von Arzneimitteln und den daraus resultierenden Preiswettbewerb verhindern oder verzögern (Abschnitt 5.1), sowie Maßnahmen gegen übermäßig hohe Arzneimittelpreise, die daraus resultieren, dass Pharmaunternehmen ihre beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzen („unangemessene“ Preise) (Abschnitt 5.2). Darüber hinaus sind die europäischen Wettbewerbsbehörden auch gegen eine Reihe anderer wettbewerbswidriger Verhaltensweisen vorgegangen, die den Preiswettbewerb behindern könnten (z. B. Lieferverweigerungen, vertikale Preisbindung, Angebotsabsprachen, Marktaufteilung sowie Austausch sensibler Geschäftsinformationen), die unmittelbar oder mittelbar zu höheren Arzneimittelpreisen führen (Abschnitt 5.3). Ein weiterer Schwerpunkt der Fusionskontrolle der Kommission im Arzneimittelsektor liegt schließlich auf der Förderung und dem Schutz des Inverkehrbringens von Generika und Biosimilars, in erster Linie durch Abhilfemaßnahmen (Abschnitt 5.4).

5.1.Die Durchsetzung des Kartellrechts unterstützt das reibungslose Inverkehrbringen günstigerer Arzneimittel

Ein wirksamer Wettbewerb durch Generika oder Biosimilars ist in aller Regel eine wichtige Triebfeder des Preiswettbewerbs auf den Arzneimittelmärkten, die einen deutlichen Preisrückgang bewirkt. So wurde beispielsweise in einer für die Kommission durchgeführten Wirtschaftlichkeitsstudie ( 69 ) festgestellt, dass die Preise innovativer Arzneimittel nach dem Inverkehrbringen ihrer Generika durchschnittlich 40 % sinken. Darüber hinaus wurde aufgezeigt, dass Generika zu einem Preis auf den Markt gebracht werden, der im Durchschnitt 50 % unter dem Einstandspreis des entsprechenden Originalpräparats liegt. ( 70 )  Das Inverkehrbringen von Generika und Biosimilars bringt einerseits Vorteile für die Patienten und nationalen Gesundheitssysteme, schmälert jedoch andererseits erheblich die Gewinne von Originalpräparateherstellern, deren Patentschutz oder Exklusivitätsrechte abgelaufen sind.

Um die Auswirkungen des Markteintritts von Generika oder Biosimilars abzuschwächen, entwickeln und verfolgen Originalpräparatehersteller häufig verschiedene Strategien, um die wirtschaftliche Lebensdauer ihrer innovativen Arzneimittel zu verlängern und den Markteintritt von Konkurrenzprodukten zu behindern. Beispiele für solche unlauteren Verhaltensweisen – wie Patentmissbrauch und missbräuchliche Prozessführung, wettbewerbswidrige Absprachen zur Verzögerung des Markteintritts, Verunglimpfung von Konkurrenzprodukten, missbräuchliche Rabatte und Verdrängungspreise sowie andere den Markteintritt behindernde Verhaltensweisen – werden nachstehend beschrieben.

5.1.1.Patentmissbrauch und missbräuchliche Prozessführung

Nach dem für den Arzneimittelsektor geltenden Rechtsrahmen, bei dem Patenten eine Schlüsselrolle zukommt, kann die Nutzung bestimmter Rechte und Sonderrechte, die marktbeherrschenden Unternehmen gewährt wurden, in gewissen Fällen als außerhalb des Leistungswettbewerbs liegend und wettbewerbswidrig einzustufen sein, in welchem Falle ein Verstoß gegen Artikel 102 AEUV gegeben wäre. Ob eine bestimmte Verhaltensweise als missbräuchlich im Sinne des Artikels 102 AEUV zu beurteilen ist, steht im Allgemeinen in keinem Zusammenhang damit, ob das Verhalten mit anderen Rechtsvorschriften ( 71 ), etwa dem für den Arzneimittelsektor geltenden Rechtsrahmen, ein Einklang steht. ( 72 )  Ein Beispiel dafür, wann ein ansonsten legitimes Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens bezüglich seines Patents als Missbrauch einer beherrschenden Stellung anzusehen sein könnte, bieten die vorläufigen Feststellungen im laufenden Verfahren Teva Capaxone.

Kasten 9: Der Fall Teva Copaxone

In ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte gelangte die Kommission am 10. Oktober 2022 zu der vorläufigen Auffassung, dass Teva seine beherrschende Stellung in den Märkten für Glatirameracetat – ein Medikament gegen Multiple Sklerose – in Belgien, Tschechien, Deutschland, Italien, den Niederlanden, Polen und Spanien missbraucht haben könnte. Laut den vorläufigen Feststellungen der Kommission sind Teva zwei Arten von Verhalten vorzuwerfen, die dem allgemeinen Ziel gedient haben sollen, die Exklusivität von Tevas Blockbuster-Medikament Copaxone künstlich zu verlängern, nämlich die Verhinderung des Markteintritts und der Verschreibung konkurrierender Glatirameracetat-Arzneimittel. ( 73 )

Eine der beiden mutmaßlich missbräuchlichen Verhaltensweisen, die die Kommission in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte anführt, ist der Missbrauch von Patentverfahren. ( 74 )  Nach der vorläufigen Auffassung der Kommission soll Tevas mutmaßlich missbräuchliches Verhalten im Wesentlichen darin bestanden haben, nacheinander Teilpatente ( 75 ) mit sich weitgehend überschneidendem Inhalt beim Europäischen Patentamt angemeldet zu haben. Wenn Wettbewerber gerichtlich dagegen vorzugehen versuchten, um den Weg für den eigenen Markteintritt zu ebnen, soll Teva die rechtliche Prüfung seiner Patente dadurch behindert haben, dass die Hauptpatentanmeldungen zurückgenommen wurden, die Teilpatentanmeldungen jedoch nicht. Dies hatte zur Folge, dass sich Wettbewerber von Teva hätten gezwungen sehen können, gegen im Wesentlichen gleiche Patentansprüche von Teva mehrfach (nämlich für jedes Teilpatent) anzugehen, wodurch die Rechtsunsicherheit zum Vorteil von Teva künstlich verlängert und – u. a. aufgrund einstweiliger Verfügungen – der Markteintritt von Generika oder Generika-ähnlichen Arzneimitteln im Effekt verhindert oder verzögert wurde.

Die vorläufige Auffassung der Kommission dazu, dass Tevas Verhalten als missbräuchlich im Sinne des Artikels 102 AEUV einzustufen sein könnte, wurde noch nicht bestätigt, und die Mitteilung der Beschwerdepunkte an Teva greift dem Ergebnis der von der Kommission durchgeführten Untersuchung nicht vor.

Es kann vorkommen, dass Unternehmen den Rechtsweg beschreiten, nicht um ihre Rechte zu wahren, sondern lediglich, um der Gegenpartei Steine in den Weg zu legen und auf diese Weise den Wettbewerb auszuschalten. In solchen Ausnahmefällen, in denen festgestellt wird, dass es objektiv an einer Rechtsgrundlage für das gerichtliche Vorgehen eines marktbeherrschenden Unternehmens fehlt, kann es sich bei einem solchen als „missbräuchliche Prozessführung“ bezeichneten Verhalten um die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung handeln. Solches Verhalten kann im Arzneimittelsektor auch relevant sein, wenn ein Unternehmen zum Beispiel bei Gericht eine einstweilige Verfügung beantragt, jedoch nicht um seine Schutzrechte zu schützen, sondern allein zu dem Zweck, einen Wettbewerber von der Markteinführung eines Produkts abzuhalten und auf diese Weise den Wettbewerb auszuschalten.

Ein von der spanischen nationalen Wettbewerbsbehörde untersuchter Fall betraf das Pharmaunternehmen Merck Sharp & Dohme GmbH („MSD“), das von 2002 bis 2018 Patentinhaber für den Nuvaring, den ersten empfängnisverhütenden Vaginalring, war. Inzwischen hatte der Wettbewerber Insud Pharma einen alternativen (ebenfalls patentgeschützten) Vaginalring mit anderen Eigenschaften entwickelt. Dieses Produkt wurde im Juni 2017 unter dem Namen Ornibel auf den Markt gebracht. MSD erhob bei einem spanischen Gericht Klage wegen Patentverletzung und beantragte, das Gericht solle Beweis in der Sache erheben und einstweilige Maßnahmen anordnen, ohne Insud Pharma anzuhören (ein sogenanntes einseitiges Verfahren). Die vom Gericht erlassenen einstweiligen Maßnahmen hatten zur Folge, dass die Herstellung und der Vertrieb des Ornibel-Rings in Spanien von September bis Dezember 2017 ausgesetzt wurde; auf den von Insud Pharma eingelegten Rechtsbehelf hin wurden die einstweiligen Maßnahmen im Dezember 2017 vom Gericht aufgehoben.

Nach Ansicht der spanischen nationalen Wettbewerbsbehörde hatte MSD, als das Unternehmen eine Patentverletzung geltend machte sowie die Beweiserhebung und einstweilige Maßnahmen beantragte, eine Strategie zur Irreführung des Gerichts verfolgt, um den Markteintritt eines Wettbewerbers zu behindern; dabei habe es relevante Tatsachen und technische Informationen zurückgehalten und dem Gericht irreführende Informationen übermittelt. Der wahre Zweck des rechtlichen Vorgehens von MSD war nach Auffassung der spanischen nationalen Wettbewerbsbehörde nicht die vernünftige und legitime Durchsetzung der eigenen Patente, sondern die Ausschaltung des Wettbewerbs. Da die einzige Fabrik, in der die Ringe von Insud Pharma hergestellt wurden, in Spanien gelegen war, beeinträchtigte die Aussetzung der Produktion den Vertrieb und Verkauf in sämtlichen Ländern, in denen mit der Vermarktung der Ringe begonnen worden war. Das Verhalten von MSD beeinträchtigte folglich den Wettbewerb in mehreren Ländern der EU. Die nationale Wettbewerbsbehörde gelangte zu dem Schluss, dass die Intransparenz des Verhaltens von MSD gegenüber dem Gericht dem Leistungswettbewerb zuwiderlief, und verhängte gegen MSD eine Geldbuße in Höhe von 38,93 Mio. EUR. ( 76 )

5.1.2.Pay-for-Delay-Vereinbarungen

Pay-for-Delay-Vereinbarungen umfassen eine Vielzahl von Vereinbarungen zwischen den Herstellern von Originalpräparaten und Generika, wobei sich der Generikahersteller zu einer Einschränkung oder Verzögerung seines unabhängigen Markteintritts verpflichtet und im Gegenzug vom Originalpräparatehersteller erhebliche Vorteile zugesichert bekommt. Mit anderen Worten: Der Originalpräparatehersteller bezahlt seinen Wettbewerber, den Generikahersteller, dafür, dass dieser sich für einen bestimmten kürzeren oder längeren Zeitraum aus dem Markt fernhält; dabei können selbst kurze Verzögerungen die Gesellschaft insgesamt teuer zu stehen kommen.

Eine Pay-for-Delay-Vereinbarung kann sowohl für den Originalpräparatehersteller, der aufgrund der verlängerten Marktexklusivität zusätzliche Gewinne erzielt, als auch für den Generikahersteller, der vom Hersteller des Originalpräparats einen unverhofften Gewinn erhält, von Vorteil sein. Ist der vom Originalpräparatehersteller an den Generikahersteller weitergegebene Gewinn deutlich geringer als der Verlust, der dem Originalpräparatehersteller im Falle eines unabhängigen Inverkehrbringens des Generikums entstanden wäre, kann er es sich leisten, ein oder mehrere Generikahersteller auszuzahlen, um ihren Markteintritt zu verhindern. Auch für den Generikahersteller kann eine Pay-for-Delay-Vereinbarung attraktiv sein, da er erhebliche Einnahmen erzielen kann, ohne überhaupt in den Markt eintreten zu müssen, weil er ja einen Teil der Gewinne abschöpft, die dem Originalpräparatehersteller aus der Exklusivität entstehen.

In einem solchem Szenario profitieren diese beiden Akteure (der Originalpräparatehersteller und der Generikahersteller als potenzieller neuer Marktteilnehmer) auf Kosten der Gesundheitssysteme und der Steuerzahler. Patienten und Gesundheitssystemen entstehen Nachteile aus Pay-for-Delay-Vereinbarungen, da ihnen die Einsparungen entgehen, die mit einem zügigen und unabhängigen Inverkehrbringen des Generikums verbunden wären, und sie stattdessen für die höheren Gewinne der Originalpräparate- und Generikahersteller zahlen. Da das Inverkehrbringen von Generika zu erheblichen Preissenkungen führt, können selbst kurze Verzögerungen dem Wettbewerb erheblich schaden.

Auch auf die Innovationstätigkeit können sich Pay-for-Delay-Vereinbarungen negativ auswirken. Von Generika ausgehender Wettbewerbsdruck veranlasst Pharmaunternehmen, sich auf die Entwicklung neuer Arzneimittel zu konzentrieren; dies entfällt, wenn Originalpräparatehersteller versuchen, die Einnahmen aus alten Arzneimitteln durch Tricksereien zur künstlichen Wahrung der Marktexklusivität zu maximieren. ( 77 )

Da Pay-for-Delay-Vereinbarungen Absprachen zwischen Wettbewerbern beinhalten, fallen sie unter Artikel 101 AEUV (und die entsprechenden Bestimmungen der einzelstaatlichen Wettbewerbsvorschriften). Der wettbewerbswidrige Charakter von Pay-for-Delay-Vereinbarungen ist nicht davon abhängig, in welcher Form sie geschlossen werden. Häufig werden solche Vereinbarungen im Zusammenhang mit Streitigkeiten zwischen Originalpräparate- und Generikaherstellern abgeschlossen, die die Gültigkeit und/oder Verletzung von Sekundärpatenten des Originalpräparateherstellers betreffen. Bei solchen Pay-for-Delay-Vereinbarungen bietet der Originalpräparatehersteller dem Generikahersteller einen Anreiz dafür, nicht in den Markt einzutreten, entweder, indem er ihn dafür bezahlt, oder durch andere geschäftliche Vereinbarungen, die im Wesentlichen dazu dienen, den Wettbewerber vom Markt fernzuhalten.

Im Januar 2020 erging die erste Pay-for-Delay-Vereinbarungen betreffende Entscheidung des Gerichtshofs (Urteil in der Rechtssache Generics UK), mit der Vorlagefragen des britischen Competition Appeal Tribunal beantwortet wurden. ( 78 ) Das Urteil bestätigt, dass Pay-for-Delay-Vereinbarungen eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken und es sich dabei um die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschen Stellung handeln kann. Im abschließenden Urteil des Competition Appeal Tribunal, das im Mai 2021 erging, wurden sämtliche sonstigen Rechtsmittelgründe zurückgewiesen, wobei jedoch die Geldbuße von 44,99 Mio. GBP (etwa 51,8 Mio. EUR) 79 auf 27,1 Mio. GBP (31,9 Mio. EUR) herabgesetzt wurde. ( 80 )

Im Mai 2021 bestätigte das Competition Appeal Tribunal den Beschluss der nationalen Wettbewerbsbehörde ( 81 ), dass GlaxoSmithKline und einige Generikahersteller des Antidepressivums Paroxetin gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen hatten. In ihrem 2016 ergangenen Beschluss befand die nationale Wettbewerbsbehörde, dass GlaxoSmithKline seine beherrschende Stellung missbraucht hatte, indem das Unternehmen drei potenziell konkurrierende Generika-Hersteller (IVAX, Generics (UK) und Alpharma) durch Zahlungen und andere Zusagen veranlasst hatte, ihren möglichen unabhängigen Eintritt in den Paroxetin-Markt im Vereinigten Königreich zu verzögern. Im März 2018 legte das Competition Appeal Tribunal, das bereits einige der Rechtsmittelgründe der Unternehmen gegen den Beschluss der nationalen Wettbewerbsbehörde zurückgewiesen hatte, die übrigen Gründe dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung über unionsrechtliche Fragen vor. ( 82 )

In seinem Urteil in der Rechtssache Generics UK hat der Gerichtshof auf den zentralen Aspekt für die Beurteilung von Wertübertragungen hingewiesen. Er ist zu dem Schluss gelangt, dass Pay-for-Delay-Vereinbarungen als bezweckte Einschränkung des Wettbewerbs einzustufen sind, „wenn sich die vereinbarten Wertübertragungen allein durch das geschäftliche Interesse erklären lassen, das sowohl der Patentinhaber als auch das Unternehmen, dem vorgeworfen wird, das Patent zu verletzen, an der Vermeidung von Leistungswettbewerb haben“.

Im Fall Cephalon, dem letzten Pay-for-Delay-Vereinbarungen betreffenden Fall der Kommission, hatte Cephalon Teva veranlasst, keine billigere Version eines Medikaments gegen Schlafstörungen auf den Markt zu bringen; als Gegenleistung wurden mehrere geschäftlichen Nebenabsprachen sowie einige Zahlungen zugesagt. ( 83 ) Der Beschluss der Kommission wurde vom Gericht vollumfänglich bestätigt ( 84 ).

Kasten 10: Die Rechtssache Cephalon

Am 26. November 2020 verhängte die Europäische Kommission gegen Teva und Cephalon eine Geldbuße von 30 Mio. EUR bzw. 30,5 Mio. EUR, weil diese vereinbart hatten, die Markteinführung eines preisgünstigeren Generikums des Cephalon-Arzneimittels Modafinil gegen Schlafstörungen nach Ablauf der Hauptpatente von Cephalon um mehrere Jahre zu verzögern. In fast allen EU-Mitgliedstaaten und EWR-Staaten begann die Zuwiderhandlung im Dezember 2005 und dauerte bis Oktober 2011, dem Zeitpunkt der Übernahme von Cephalon durch Teva, durch die beide Unternehmen Teil derselben Unternehmensgruppe wurden.

Modafinil ist ein Medikament zur Behandlung der mit Narkolepsie verbundenen exzessiven Tagesschläfrigkeit. Unter dem Markennamen Provigil war es jahrelang ein Verkaufsschlager, mit dem Cephalon 40 % seines weltweiten Umsatzes erzielte.

Teva verfügte über eigene Patente für das Fertigungsverfahren und war so weit, dass es sein eigenes Generikum auf den Modafinil-Markt bringen konnte. Im Vereinigten Königreich wurde das Generikum 2005 sogar kurze Zeit verkauft. Kurz nachdem Cephalon Patentverletzungsklage gegen Teva erhoben hatte, schlossen Cephalon und Teva eine Vergleichsvereinbarung. Die Parteien vereinbarten, den Rechtsstreit zu beenden, wobei Teva sich verpflichtete, nicht in den Markt einzutreten und Cephalons Patente nicht anzugreifen. Teva verpflichtete sich, nicht auf den Modafinil-Märkten tätig zu werden – allerdings nicht, weil es von der Stärke der Cephalon-Patente überzeugt war, sondern weil Cephalon ihm erhebliche Vermögenswerte übertrug. Die Wertübertragung erfolgte vor allem durch eine Reihe von geschäftlichen Nebenabsprachen, die Teva ohne die Zusage, nicht in den Markt einzutreten, nicht erreicht hätte. Diese umfassten eine Vertriebsvereinbarung, Cephalons Erwerb einer Lizenz für bestimmte Modafinil-Patente von Teva sowie einen lukrativen Liefervertrag. Darüber hinaus gewährte Cephalon Teva Zugang zu klinischen Daten, die für Teva im Zusammenhang mit einem anderen Arzneimittel sehr wertvoll waren.

Der Beschluss der Kommission und die darin gegebene Begründung, dass die Nebenvereinbarungen gar nicht oder nicht zu denselben für Teva günstigen Konditionen durchgeführt worden wären, wenn sich Teva in der Vergleichsvereinbarung nicht verpflichtet hätte, weder zu konkurrieren noch gegen die Patente vorzugehen, wurde am 18. Oktober 2023 vom Gericht vollumfänglich bestätigt. Auch die einzelnen von den Klägerinnen vorgebrachten Gründe wurden auf der Grundlage der Tatsachenprüfung bezüglich der Nebenvereinbarungen vom Gericht zurückgewiesen. In Anwendung der im Urteil in der Rechtssache Generics UK niedergelegten Grundsätze stellte das Gericht fest, dass die einzige plausible Erklärung für die Zahlungen, die zur Durchführung der in der Vergleichsvereinbarung enthaltenen geschäftlichen Transaktionen vorgesehen waren, darin bestand, dass sie Teva veranlassen sollten, die wettbewerbsbeschränkenden Klauseln dieser Vereinbarung zu akzeptieren und somit darauf zu verzichten, mit Cephalon auf den Märkten für Modafinil in Leistungswettbewerb zu treten. Außerdem wurde mit dem Urteil bestätigt, dass eine Teva erteilte Lizenz, bereits vor dem erwarteten Ablauf von Cephalons Sekundärpatenten in den Modafinil-Markt einzutreten (die sogenannte „Vereinbarung über den vorzeitigen Eintritt“) nicht den im Urteil in der Rechtssache Generics UK aufgestellten strengen Kriterien genügte und nicht als wettbewerbsförderndes Element angesehen werden konnte, das einer Einstufung der Vergleichsvereinbarung als „bezweckte“ Einschränkung des Wettbewerbs entgegengestanden hätte. Abschließend wurde das gesamte Vorbringen der Klägerinnen gegen die von der Kommission vorgenommene Prüfung des Tatbestandsmerkmals „bezweckt“ vom Gericht in vollem Umfang zurückgewiesen.

Pay-for-Delay-Vereinbarungen wurden auch in mehreren anderen Fällen für wettbewerbswidrig befunden. Mit ihrem 2013 ergangenen Lundbeck-Beschluss verhängte die Kommission Geldbußen gegen Pharmaunternehmen, die Vereinbarungen geschlossen hatten, durch die der Markteintritt von generischem Citalopram verzögert wurde ( 85 ).

Der Rechtsstreit über den Servier-Beschluss der Kommission ( 86 ), der fünf Pay-for-Delay-Vereinbarungen betrifft, ist noch beim Gerichtshof anhängig. In erster Instanz wurden die Feststellungen der Kommission zu vier Vereinbarungen vom Gericht zwar bestätigt, wobei der Beschluss jedoch in Bezug auf die Vereinbarung zwischen Servier und Krka und die Feststellungen der Kommission hinsichtlich des sachlich relevanten Marktes und der beherrschenden Stellung sowie in Bezug auf die Schlussfolgerung, dass auch Servier seine beherrschende Stellung unter Verstoß gegen Artikel 102 AEUV missbraucht habe, für nichtig erklärt wurde. ( 87 )

5.1.3.Verunglimpfung

Im Laufe der letzten zehn Jahre haben die Untersuchungen wegen Verunglimpfung in der Pharmabranche zugenommen. In diesen Fällen sind es marktbeherrschende etablierte Unternehmen, die ihre Wettbewerber – in der Regel neue Marktteilnehmer – verunglimpfen, um die Markteiführung von Konkurrenzprodukten zu behindern.

Der Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass die Verbreitung irreführender Informationen an Behörden, Angehörige der Heilberufe und die Öffentlichkeit im Hinblick auf das Wettbewerbsrecht der Union bedenklich ist. Insbesondere hat der Gerichtshof in einem Urteil, das wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen im Sinne des Artikels 101 AEUV betraf, entschieden, dass Unternehmen, solange der wissenschaftliche Kenntnisstand noch nicht gesichert ist, nicht kolludieren dürfen, um irreführende Informationen zu den Nebenwirkungen der zulassungsüberschreitenden Verwendung eines Arzneimittels zu verbreiten, um so den davon ausgehenden Wettbewerbsdruck auf ein anderes Produkt zu verringern. ( 88 )

Die französische nationale Wettbewerbsbehörde war die erste, die eine Reihe von Beschlüssen wegen Verunglimpfung gegen mehrere Unternehmen erließ ( 89 ); drei dieser Beschlüsse wurden von den französischen höchsten Gerichten bestätigt. In der Rechtssache Durogesic wies das Berufungsgericht Paris (Cour d’appel de Paris) mit Urteil vom 11. Juli 2019 den Antrag der Rechtsmittelführer auf Aufhebung des Beschlusses zurück, reduzierte jedoch die Geldbuße von 25 Mio. EUR auf 21 Mio. EUR. ( 90 )  Dies wurde am 1. Juni 2022 vom Kassationsgericht (Cour de cassation) bestätigt. ( 91 )In der Rechtssache Avastin-Lucentis ist das Berufungsverfahren beim Kassationsgericht anhängig.

Kasten 11: Die Avastin-Lucentis-Rechtssachen: irreführende Informationen über die Arzneimittelverwendung

Mehrere nationale Wettbewerbsbehörden führten Untersuchungen in Bezug auf eine von Hoffmann-La Roche und Novartis geschlossene Vereinbarung durch, die darauf abzielte, der zulassungsüberschreitenden Anwendung des onkologischen Arzneimittels Avastin von Hoffmann-La Roche zur Behandlung altersbedingter Makuladegeneration („AMD“) entgegenzuwirken und diese einzuschränken. In den Industrieländern ist AMD die Hauptursache für altersbedingte Blindheit. Die Arzneimittel Avastin (zugelassen für die Behandlung von Tumorerkrankungen) und Lucentis (zugelassen für die Behandlung von Augenerkrankungen) wurden von Genentech entwickelt, einem Unternehmen der Hoffmann-La Roche-Gruppe. Genentech übertrug die geschäftliche Verwertung von Lucentis im Wege einer Lizenzvereinbarung an die Novartis-Gruppe, während Hoffmann-La Roche Avastin für die Krebsbehandlung vermarktet. Da jedoch beide Arzneimittel einen ähnlichen (wenn auch in unterschiedlichen Verfahren entwickelten) Wirkstoff enthalten, wurde Avastin aufgrund seines deutlich niedrigeren Preises häufig im Rahmen einer zulassungsüberschreitenden Verwendung (d. h. ohne Zulassung durch eine Arzneimittelbehörde) anstelle von Lucentis für die Behandlung von Augenerkrankungen eingesetzt.

Die italienische nationale Wettbewerbsbehörde stellte 2014 fest, dass Novartis und Hoffmann-La Roche kolludiert hatten, um auf künstliche Weise zwischen Avastin und Lucentis zu differenzieren und alarmistische Warnungen zu verbreiten. ( 92 )  Die Absprache diente dazu, Informationen zu verbreiten, die zu Bedenken im Hinblick auf die Sicherheit des Einsatzes von Avastin in der Augenheilkunde geben würden, um so die Nachfrage zum teureren Lucentis umzulenken. Laut der nationalen Wettbewerbsbehörde war diese rechtswidrige Kollusion geeignet, zahlreichen Patienten den Zugang zu einer Behandlung zu erschweren; außerdem verursachte sie dem italienischen Gesundheitssystem allein im Jahr 2012 Mehrausgaben in Höhe von schätzungsweise 45 Mio. EUR. Im zweitinstanzlichen Berufungsverfahren gegen den Beschluss der nationalen Wettbewerbsbehörde ersuchte der italienische Staatsrat den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung zu mehreren Fragen bezüglich der Auslegung von Artikel 101 AEUV. In seinen Antworten hat der Gerichtshof unter anderem klargestellt, dass i) ein Arzneimittel, das zulassungsüberschreitend verwendet wird, als mit den für dieselbe therapeutische Indikation zugelassenen Arzneimitteln konkurrierend anzusehen sein kann und ii) die Verbreitung irreführender Informationen über die Sicherheit eines zulassungsüberschreitend verwendeten Arzneimittels an Behörden, Angehörige der Heilberufe und die Öffentlichkeit eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellen kann ( 93 ). Auf diese Vorabentscheidung hin wurde der Beschluss der nationalen Wettbewerbsbehörde 2019 mit einem Urteil des italienischen Staatsrats aufrechterhalten ( 94 ); dies wurde 2021 vom italienischen obersten Kassationsgerichtshofs ( 95 ) und 2023 vom italienischen Staatsrat im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens, das eine weitere Vorabentscheidung des Gerichtshofs erforderte ( 96 ), bestätigt.

Hinsichtlich derselben Arzneimittel verhängte die französische nationale Wettbewerbsbehörde 2020 gegen Novartis, Roche und Genentech Geldbußen in Höhe von insgesamt 444 Mio. EUR. ( 97 ) Die französische nationale Wettbewerbsbehörde stellte in diesem Fall jedoch keine wettbewerbswidrige Vereinbarung fest, sondern den Missbrauch einer kollektiven marktbeherrschenden Stellung dieser drei Unternehmen, die darauf abzielte, sich diese Stellung und den Preis von Lucentis durch Einschränkung der zulassungsüberschreitenden Verwendung von Avastin zu sichern. Die nationale Wettbewerbsbehörde stellte fest, dass Novartis Avastin verunglimpft hatte, da die Risiken, die mit dieser zulassungsüberschreitenden Verwendung verbunden waren, im Vergleich zu denen bei der Verwendung von Lucentis für denselben Zweck in nicht gerechtfertigter Weise übertrieben dargestellt worden waren. Die Kommunikationskampagne, die sich an Augenärzte, Patientenverbände und die allgemeine Öffentlichkeit richtete, sollte die zulassungsüberschreitende Verwendung diskreditieren. Überdies stellte die nationale Wettbewerbsbehörde fest, dass Novartis, Roche und Genentech in unangemessener Weise in die von der französischen Gesundheitsbehörde ergriffenen Initiativen zur Förderung einer solchen zulassungsüberschreitenden Verwendung eingegriffen hatten, indem sie diesbezüglich obstruktives Verhalten an den Tag gelegt und alarmistische oder irreführende Informationen verbreitet hatten. 2023 hat das Berufungsgericht Paris den Beschluss der nationalen Wettbewerbsbehörde aufgehoben und entschieden, dass für keines der drei Unternehmen wettbewerbswidrige Verhaltensweisen nachgewiesen worden seien. ( 98 ) Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel beim Kassationsgericht anhängig.

Die belgische nationale Wettbewerbsbehörde verhängte mit derselben Begründung eine Geldbuße in Höhe von 2,78 Mio. EUR gegen Novartis wegen des Missbrauchs der von Novartis zusammen mit der Roche-Gruppe gehaltenen kollektiven marktbeherrschenden Stellung. ( 99 )

In ihrer an Teva gerichteten Mitteilung der Beschwerdepunkte in der Sache Copaxone (siehe Kasten 9) äußerte die Kommission vorläufige Bedenken im Hinblick auf eine mutmaßliche wettbewerbswidrige und systematische Verunglimpfungskampagne, die sich an Angehörige der Heilberufe richtete und die Sicherheit und Wirksamkeit eines mit Copaxone von Teva konkurrierenden Glatirameracetat-Arzneimittels und dessen therapeutische Gleichwertigkeit in Zweifel zog.

5.1.4.Missbräuchliche Rabatte und Verdrängungspreise

Marktbeherrschende Pharmaunternehmen müssen darauf achten, dass ihre Rabattgewährung nicht den Tatbestand der missbräuchlichen Ausnutzung ihrer beherrschenden Stellung erfüllen. Auch wenn es auf den ersten Blick so scheinen mag, als ob derartige Rabatte einen gesellschaftlichen Nutzen haben, weil die Gesamtkosten für Arzneimittel sinken, können sich diese doch mittelfristig negativ auswirken, wenn zum Beispiel Wettbewerbern das Wachstum erschwert wird oder sie sogar ganz aus dem Markt gedrängt werden.

2019 leitete die niederländische nationale Wettbewerbsbehörde eine Untersuchung wegen der Rabatte ein, die AbbVie Krankenhäusern für sein Medikament Humira angeboten hatte, das u. a. gegen Rheumatismus, Psoriasis und Morbus Crohn verschrieben wird. Das Patent auf den Wirkstoff von Humira war abgelaufen und es gab andere Arzneimittelhersteller, die Biosimilars von Humira herstellten und vermarkteten. Im Rahmen des Rabattsystems von AbbVie war der erhebliche Rabatt für die Krankenhäuser nur erhältlich, wenn alle bestehenden Patienten weiter Humira nutzten und nicht auf ein Biosimilar umgestellt wurden.

Die Untersuchung der nationalen Wettbewerbsbehörde führte zu dem Schluss, dass AbbVie, der ehemalige Patentinhaber, versuchte, den Herstellern von Biosimilars den Markteintritt zu erschweren. Daraufhin verzichtete AbbVie darauf, seine Rabatte an Bedingungen zu knüpfen, und erklärte, dass die Krankenhäuser nicht durch Rabattsysteme oder Rabattprogramme dazu angehalten werden würden, ausschließlich oder größtenteils bei AbbVie zu kaufen. Angesichts dieser Zusagen stellte die nationale Wettbewerbsbehörde ihre Untersuchung ein. ( 100 )

In einem anderen Fall, der ebenfalls ein biologisches Rheuma-Medikament betraf, hatte die niederländische nationale Wettbewerbsbehörde im Herbst 2021 erfahren, dass Pfizer für sein Rheuma-Medikament Enbrel ein Rabattsystem verwendete, das Krankenhäuser von der Umstellung auf andere konkurrierende Biosimilars abhalten könnte. Die Untersuchung der nationalen Wettbewerbsbehörde ergab, dass Pfizer in verschiedene mit Krankenhäusern geschlossene Verträge eine Klausel aufgenommen hatte, die es Pfizer für den Fall, dass die Abnahmemengen um mehr als einen vorab festgelegten Prozentsatz zurückgehen sollten, ermöglichte, den für künftige Mengen geltenden Rabatt erheblich zu reduzieren. Dies begründete das Risiko, dass sich ein beachtliches finanzielles Hindernis ergäbe, das die Krankenhäuser von der Umstellung auf andere Medikamente abhalten könnte.

Auf Grundlage ihrer Voruntersuchung teilte die nationale Wettbewerbsbehörde Pfizer mit, dass die von Pfizer verwendete Preisstruktur dem Wettbewerbsrecht zuwiderzulaufen schien. In Reaktion darauf entfernte Pfizer die Rabattklauseln aus seinen Enbrel-Verträgen. Daraufhin beschloss die nationale Wettbewerbsbehörde, die Untersuchung in dieser Sache einzustellen. ( 101 )

Wäre das vorgenannte Verhalten fortgesetzt worden, so hätte dies besonders schädliche Auswirkungen auf die Erschwinglichkeit der Arzneimittel gehabt: Auch wenn die Krankenhäuser kurzfristig in den Genuss niedrigerer Preise gekommen wären, hätte dieses Verhalten dazu führen können, dass die Herstellung günstigerer Generika scheitert bzw. dass es für Hersteller von Biosimilars weniger Investitionsanreize gäbe. Beide Fälle zeigen, dass der Eingriff der nationalen Wettbewerbsbehörde, auch wenn dieser nicht zu einem abschließenden Beschluss führte, dazu beitragen konnte, dass Krankenhäuser, Patienten und Versicherungssysteme von der Verbesserung der Markteintrittschancen für Biosimilars profitieren.

Ein weiteres Beispiel für missbräuchliche Rabattgewährung sind die Verdrängungspreise im österreichischen Temozolomid-Fall.

Kasten 12: Der österreichische Temozolomid-Fall

2016 führte die Kommission Nachprüfungen in den Räumlichkeiten von Merck Sharp & Dohme („MSD“) in Wien durch. Grund war der Verdacht auf missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung durch Verdrängungspreise für Temodal. Eingesetzt wird das Arzneimittel mit dem Wirkstoff Temozolomid in der Onkologie zur Behandlung von Hirntumoren wie Glioblastomen (der am häufigsten vorkommenden Art von Hirntumoren bei Erwachsenen). Im Anschluss an die Nachprüfungen der Kommission wurde der Fall an die österreichische nationale Wettbewerbsbehörde verwiesen, die ihre 2018 eingeleitete Untersuchung 2021 abschloss, nachdem MSD Verpflichtungszusagen unterbreitet hatte, mit denen die wettbewerbsrechtlichen Bedenken ausgeräumt wurden. ( 102 )

In der Regel erhalten die Patienten ihre erste Dosis Temodal im Zuge der stationären Behandlung. Später wird das Medikament im Zuge der ambulanten Behandlung von niedergelassenen Fachärzten verschrieben. Diese Ärzte sind für gewöhnlich dieselben, von denen die Patienten stationär behandelt wurden.

Nach Ablauf des Patentschutzes für Temodal verfolgte MSD eine Strategie, die den Zugang der Generika-Hersteller zu den Krankenhäusern verhindern sollte. Dieser Aspekt war für den Zugang von Wettbewerbern entscheidend, denn die im Krankenhaus erfolgte Verschreibung würde darüber entscheiden, welches Medikament dem Patienten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus verschrieben wird. Für die Krankenhäuser soll MSD die Preise unter den Kosten festgesetzt haben, wobei kostenlose Muster zur Verfügung gestellt wurden. In einigen Fällen erhielten die Krankenhäuser zuweilen für die erste Abgabe kostenlose Muster. Dadurch soll nicht nur verhindert worden sein, dass Generika an Krankenhäuser geliefert werden, sondern auch, dass sich die Generika im Wettbewerb in Apotheken behaupten können, da die den ambulant behandelten Patienten ausgestellten Rezepte den Apothekern ausschließlich die Abgabe der Marke Temodal gestatteten. Auf diese Weise wurden Generikahersteller im Zeitraum der mutmaßlichen Zuwiderhandlung am Markteintritt gehindert, und der Wettbewerb wurde durch Verdrängungsmaßnahmen beeinträchtigt.

Bei der Erstverschreibung profitierten die Krankenhäuser von den niedrigeren Kosten. Wenn dann jedoch von den Ärzten in ihren Praxen das teurere Medikament weiterverschrieben wurde, ist es mittelfristig die Gesamtgesellschaft, die draufzahlt. Letztendlich bedeutet dies weniger Preiswettbewerb und somit höhere Gesamtkosten für das Gesundheitssystem.

Die nationale Wettbewerbsbehörde sah strukturbedingte starke Lock-in-Effekte zugunsten der Erstverschreibung. Unter einem Lock-in-Effekt versteht man, dass Kunden einem bestimmten Produkt treu bleiben und der Wechsel auf ein anderes Produkt unwahrscheinlich ist. In diesem Fall gab es für die Krankenhausärzte keinerlei Anreiz, andere Produkte mit Temozolomid zu verschreiben.

MSD verpflichtete sich, seine gegenüber den Krankenhäusern verfolgte aggressive Preisstrategie einzustellen und ein verschiedene Verpflichtungen umfassendes Compliance-Programm aufzulegen (d. h. das Medikament nicht mehr zu unter den Kosten liegenden Preisen zu vertreiben).

5.1.5.Weitere Verhaltensweisen zur Verhinderung des Inverkehrbringens

Neben den oben beschriebenen Fällen haben die europäischen Wettbewerbsbehörden eine Reihe weiterer wettbewerbswidriger Verhaltensweisen von Originalpräparateherstellern aufgedeckt und verfolgt, die auf eine Verhinderung oder Verzögerung des Inverkehrbringens von Generika oder Biosimilars abzielten. Mit allen diesen Verhaltensweisen wurden die mit einem Inverkehrbringen von Generika und Biosimilars verbundenen Preissenkungen verhindert und somit Patienten und Gesundheitssysteme unmittelbar geschädigt.

Im Dezember 2019 ( 103 ) stellte die rumänische nationale Wettbewerbsbehörde fest, dass Roche Romania SRL von 2017 bis 2019 eine Strategie umgesetzt hatte, mit der der Verkauf konkurrierender günstigerer generischer Arzneimittel verhindert werden sollte, um das eigene Medikament Tarceva (ein in der Behandlung von Lungenkrebs und Bauchspeicheldrüsenkrebs eingesetztes Arzneimittel) zu schützen. Roches Strategie sah vor, Patienten mithilfe der Roche Patientenkarte und des Roche-Call-Centers zu Roches teuerstem Produkt Tarceva umzulenken und die von den Patienten beim Kauf von Tarceva zu zahlende Preisdifferenz abzudecken, damit die Patienten vom Kauf eines anderen ähnlichen Arzneimittels abgehalten werden. Verhalten dieser Art kann mittelfristig dazu führen, dass Wettbewerber verdrängt werden. Für dieses Verhalten wurde gegen Roche Romania SRL eine Geldbuße in Höhe von 15 799 839 RON (3,34 Mio. EUR) verhängt.

In einem gesonderten Verfahren verhängte die rumänische nationale Wettbewerbsbehörde eine Geldbuße in Höhe von 59 967 944 RON (etwa 12,8 Mio. EUR) gegen Roche Romania SRL; damit wurde geahndet, dass die Geschäftsstrategie des Unternehmens darauf abzielte, den Wettbewerb auszuschalten und den Markteintritt konkurrierender Biosimilars für verschiedene onkologische Behandlungen zu verzögern. ( 104 ) Um eine Monopolisierung des Arzneimittelvertriebs zu vermeiden, verpflichteten die rumänischen Rechtsvorschriften die Inhaber von Marktzulassungen, ihre Arzneimittel im Großhandel an mindestens drei Vertriebsunternehmen zu liefern (die dann unabhängig an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge teilnehmen konnten). Roche nahm an einem rumänischen zentralen Ausschreibungsverfahren im Rahmen des rumänischen nationalen Onkologieprogramms sowie an mehreren auf Krankenhausebene durchgeführten Ausschreibungsverfahren teil. Allerdings lieferte Roche seine Arzneimittel Rituximab, Trastuzumab und Bevacizumab den Großhändlern, mit denen Roche in den Ausschreibungsverfahren konkurrierte, zu Preisen, die über dem Preis in Roches Ausschreibungsangebot lagen. Auf diese Weise schmälerte Roche die Margen der Großhändler und verdrängte den Wettbewerb in der Auktion. Außerdem beschränkte Roche die Großhändler auf diese Weise in ihren Möglichkeiten, Roches Produkte in dem Ausschreibungsverfahren – das sie möglicherweise gewonnen hätten – durch günstigere alternative Biosimilars, deren Zulassung bald erfolgen würde oder sogar bereits erfolgt war, zu ersetzen. Mit seinem Vorgehen stärkte Roche die eigene beherrschende Stellung und schadete dem Wettbewerb, weil Roche Hindernisse für den Markteintritt schuf und die Akzeptanz günstigerer Biosimilars verzögerte.

5.2.Durchsetzungsmaßnahmen gegen marktbeherrschende Unternehmen, die unangemessen hohe Preise (überhöhte Preise) verlangen

Die europäischen Wettbewerbsbehörden haben in mehreren Fällen Untersuchungen durchgeführt, in denen Unternehmen ihre beherrschende Stellung ausnutzten, um den Patienten und Gesundheitssystemen überhöhte Preise aufzuzwingen. Ausbeutungsmissbrauch durch unangemessene Preisgestaltung (d. h. die Festsetzung „überhöhter Preise“) ist nach den EU-Wettbewerbsvorschriften (Artikel 102 Buchstabe a AEUV) verboten. Der Gerichtshof hat eine Reihe von Voraussetzungen benannt, unter denen die Preise eines marktbeherrschenden Unternehmens als unangemessen anzusehen sind und deshalb gegen Artikel 102 AEUV, der den Missbrauch einer beherrschenden Stellung verbietet, verstoßen. ( 105 )

Bei der Untersuchung potenziell unangemessener Preise müssen die Wettbewerbsbehörden die Notwendigkeit der Vergütung möglicher dynamischer Effizienzen und Innovation sorgfältig gegen die den Verbrauchern und der Gesellschaft durch solche Preise entstehende Belastung abwägen. Darüber hinaus prüfen sie, ob die hohen Preise und Gewinne durch Exzellenz, Risikobereitschaft und Innovation bedingt sind und ob sie durch Marktkräfte in Grenzen gehalten werden können, insbesondere dadurch, dass wegen des hohen Preisniveaus neue Wettbewerber in den Markt einzutreten oder bestehende Wettbewerber zu expandieren drohen.

Dennoch zögern die Wettbewerbsbehörden nicht, bei Bedarf einzugreifen, wenn dies zur Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbs erforderlich ist. Die jüngsten Untersuchungen und Durchsetzungsmaßnahmen in der EU, in deren Rahmen mehrere Beschlüsse im Zusammenhang mit überhöhten Preisen ergingen, zeigen, dass hinsichtlich möglicherweise exzessiver Preisgestaltungspraktiken marktbeherrschender Unternehmen im Arzneimittelsektor durchaus erhöhte wettbewerbsrechtliche Wachsamkeit geboten ist.

Kasten 13: Verpflichtungen zu einer signifikanten Preissenkung im Aspen-Fall der Kommission

2021 erließ die Kommission in ihrer ersten Untersuchung zu überhöhter Preisgestaltung im Arzneimittelsektor einen Verpflichtungsbeschluss. ( 106 ) In dem Beschluss wurden die Bedenken der Kommission hinsichtlich der Preisgestaltung des südafrikanischen Pharmaunternehmens Aspen Pharmacare dargelegt; sie betrafen sechs seiner patentfreien Krebsmedikamente, die in mehreren EU-Mitgliedstaaten (außer Italien) und EWR-Ländern hauptsächlich zur Behandlung von Leukämie und anderen hämatologischen Krebsarten eingesetzt werden.

In ihrer Beurteilung folgte die Kommission dem vom Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache United Brands aufgestellten Prüfungsrahmen. ( 107 )  Die Ertragsdaten von Aspen zeigten insbesondere, dass Aspen nach den Preiserhöhungen durchweg Gewinne aus dem Verkauf dieser Krebsmedikamente in Europa erzielte, die im Vergleich zu den Gewinnen ähnlicher Unternehmen der Branche sehr hoch waren. In bestimmten Fällen lassen sich hohe Gewinnspannen zum Beispiel dadurch erklären, dass es sich lohnen muss, signifikante Innovationen vorzunehmen und kommerzielle Risiken einzugehen. Im Zuge der von der Kommission vorgenommenen Prüfung ergaben sich jedoch keine Anhaltspunkte für eine solche Rechtfertigung des sehr hohen Gewinnniveaus von Aspen.

Die Kommission nahm die endgültigen Verpflichtungszusagen von Aspen an und erklärte diese für verbindlich, da sie sie für geeignet hielt, ihre Bedenken im Hinblick auf die überhöhten Preise auszuräumen. Im Einzelnen handelte es sich um folgende Zusagen: a) Aspen senkte seine Preise für alle sechs untersuchten Krebsmedikamente europaweit um durchschnittlich etwa 73 %; b) diese neuen Preise (die rückwirkend ab Oktober 2019 in Kraft traten, als Aspen der Kommission erstmals eine Verpflichtungszusage vorlegte) waren die für die nächsten zehn Jahre geltenden Höchstpreise, die Aspen fordern darf; und c) Aspen garantierte die Herstellung dieser Arzneimittel für die kommenden fünf Jahre und sollte die Herstellung entweder weitere fünf Jahre selbst fortsetzen oder seine Marktzulassungen für die Medikamente anderen Herstellern zur Verfügung stellen.

Diese Verpflichtungszusagen bieten den Patienten und nationalen Gesundheitssystemen konkreten und greifbaren Nutzen gerade in einer Zeit, in der Besorgnis bestand (und weiterhin besteht), dass sich Unternehmen aus der Belieferung einiger Mitgliedstaaten zurückziehen (eine Besorgnis, die von der Kommission auch in ihrer Strategie „Eine Arzneimittelstrategie für Europa“ hervorgehoben wurde, siehe oben Abschnitt 3.2.3).

Der Fall Aspen in Italien

Noch bevor die Kommission ihren Fall Aspen abgeschlossen hatte (siehe oben Kasten 13), verhängte die italienische nationale Wettbewerbsbehörde im September 2016 eine Geldbuße in Höhe von 5,2 Mio. EUR gegen Aspen wegen Missbrauchs seiner beherrschenden Stellung durch unangemessene Preisgestaltung bezüglich vier in Italien verwendeter Krebsmedikamente. ( 108 ) Die nationale Wettbewerbsbehörde wies Aspen zudem an, Maßnahmen zu ergreifen, die unter anderem darauf abzielten, neue angemessene Preise für die betreffenden Arzneimittel festzulegen. Im Anschluss an diese Anweisung der nationalen Wettbewerbsbehörde erzielte Aspen nach langwierigen Verhandlungen mit der italienischen Arzneimittelbehörde eine Vereinbarung über die Preisgestaltung. Am 13. Juni 2018 stellte die nationale Wettbewerbsbehörde fest, dass Aspen ihrer Anweisung nachgekommen war; ihren Schätzungen zufolge könne der nationale Gesundheitsdienst Italiens durch die geschlossene Vereinbarung jährlich schätzungsweise 8 Mio. EUR einsparen. Der Beschluss der nationalen Wettbewerbsbehörde wurde 2017 vom regionalen Verwaltungsgericht (Tribunale Amministrativo Regionale) bestätigt ( 109 ) und die von Aspen gegen das Urteil eingelegte Berufung wurde 2020 vom italienischen Staatsrat (Consiglio di Stato) zurückgewiesen. ( 110 )

Der dänische Fall CD Pharma

Mit Beschluss vom Januar 2018 ( 111 ) stellte die dänische Wettbewerbsbehörde fest, dass der Pharmahändler CD Pharma seine beherrschende Stellung in Dänemark missbraucht hatte, indem er Amgros (einem Großhandelseinkäufer für öffentliche Krankenhäuser) unangemessene Preise für Syntocinon in Rechnung stellte. Dieses Arzneimittel enthält den Wirkstoff Oxytocin, der schwangeren Frauen während der Entbindung verabreicht wird. Zwischen April 2014 und Oktober 2014 erhöhte CD Pharma den Preis für Syntocinon um 2 000 % von 45 DKK (6 EUR) auf 945 DKK (127 EUR). Die nationale Wettbewerbsbehörde stellte fest, dass die Differenz zwischen den tatsächlich entstandenen Kosten und dem von CD Pharma verlangten Preis übermäßig hoch war. Darüber hinaus verglich die nationale Wettbewerbsbehörde den von CD Pharma in Rechnung gestellten Preis mit dem wirtschaftlichen Wert von Syntocinon, den historischen Syntocinon-Preisen, den von den Wettbewerbern von CD Pharma verlangten Preisen und den außerhalb Dänemarks geltenden Preisen. Im Ergebnis stellte die nationale Wettbewerbsbehörde fest, dass die Preise für Syntocinon unangemessen waren und folglich CD Pharma seine beherrschende Stellung missbraucht hatte. Am 29. November 2018 ( 112 ) bestätigte der dänische Wettbewerbsbeschwerdeausschuss (Konkurrenceankenævnet) die Feststellung der dänischen Wettbewerbsbehörde, dass CD Pharma wegen seines sehr hohen Marktanteils in Dänemark und einer Alleinvertriebsvereinbarung, die die Lieferung von Syntocinon garantierte und dem Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinem Wettbewerber Orifarm verschaffte, eine beherrschende Stellung auf dem dänischen Markt für den Verkauf von Oxytocin innehatte. Was die Art des Missbrauchs angeht, bestätigte der Beschwerdeausschuss des Weiteren die Feststellung der dänischen Wettbewerbsbehörde, dass CD Pharma seine beherrschende Stellung durch Inrechnungstellung überhöhter Preise ausgenutzt hatte, was mit der sich auf 80 % bis 90 % belaufenden Gewinnspanne von CD Pharma begründet wurde.  Darüber hinaus meldete die dänische Wettbewerbsbehörde CD Pharma der Staatsanwaltschaft für schwere Wirtschafts- und internationale Straftaten (SØIK) zur strafrechtlichen Verfolgung und Ahndung.

Gegen den Beschluss des Wettbewerbsbeschwerdeausschusses wurde Rechtsmittel beim See- und Handelsgericht (Sø- og Handelsretten) eingelegt, das die Beschlüsse der nationalen Wettbewerbsbehörde und des Wettbewerbsbeschwerdeausschusses im März 2020 bestätigte. ( 113

Die Leadiant-Fälle

Leadiants Preispolitik für ein Medikament zur Behandlung seltener Erkrankungen hat zu einer Reihe von Beschlüssen nationaler Wettbewerbsbehörden geführt ( 114 ). In den Jahren 2021 und 2022 erließen die niederländischen, italienischen und spanischen Wettbewerbsbehörden Beschlüsse, in denen festgestellt wurde, dass Leadiant seine beherrschende Stellung ausgenutzt hatte, indem das Unternehmen für sein verschreibungspflichtiges Arzneimittel Chenodesoxycholsäure Leadiant („CDCA“) überhöhte Preise verlangt hatte. CDCA wird in der Behandlung einer extrem seltenen Erkrankung, der zerebro-tendinösen Xanthomatose (CTX), eingesetzt, die, wenn sie nicht behandelt wird, zu Demenz und frühem Tod führen kann. Das Medikament wird schon seit mehreren Jahrzehnten außerhalb der zugelassenen Indikationen für die Behandlung von CTX verwendet. CDCA wurde 2017 von Leadiant erworben und als Orphan-Präparat (siehe Kasten 7) neu auf den Markt gebracht, nachdem die Kommission CDCA auf Empfehlung der EMA als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesen und Leadiant eine Marktzulassung erteilt hatte. Damit hatte Leadiant in der EU zehn Jahre Marktexklusivität für auf CDCA basierende Medikamente zur Behandlung von CTX. Die Preise für CDCA wurden dann von Leadiant enorm erhöht (auf das bis zu 20-Fache).

Des Weiteren wurde festgestellt, dass Leadiant dem einzigen zugelassenen Lieferanten für den pharmazeutischen Wirkstoff, mit dem CDCA in ausreichender Menge und Güte hergestellt werden kann, eine Exklusivitätsklausel auferlegte (wodurch alternative Medikamente, die industriell oder in einer Apotheke nach ärztlicher Verschreibung zubereitet werden, verhindert werden). Frei von jeglichem Druck durch Wettbewerber und Kunden war Leadiant dann in der Lage, überhöhte Preise zu verlangen bzw. ein überhöhtes Preisniveau zu wahren. Alle drei nationalen Wettbewerbsbehörden gelangen in ihren Beschlüssen zu dem Ergebnis, dass Leadiant mit den Preisen, die das Unternehmen in ihren nationalen Märkten verlangte, seine beherrschende Stellung missbrauchte. In dem Beschluss der spanischen Wettbewerbsbehörde wird darüber hinaus festgestellt, dass die mit dem Lieferanten eingegangenen Exklusivitätsvereinbarungen den Tatbestand der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung erfüllten.

In den Niederlanden bot Leadiant seit 2008 das auf CDCA basierende Medikament Chenofalk an (das Leadiant nicht selbst entwickelt, sondern von einem anderen Hersteller erworben hatte). Der höchste Preis pro Packung betrug damals 46 EUR. Ende 2009 änderte Leadiant den Namen des Medikaments zu Xenbilox und erhöhte den Preis auf das fast 20-Fache des ursprünglichen Preises. 2014 erhöhte Leadiant den Preis für Xenbilox nochmals (auf bis zu 3 103 EUR). Im Juni 2017 brachte Leadiant CDCA unter dem Namen CDCA-Leadiant auf den niederländischen Markt und stellte den Verkauf von CDCA unter dem alten Namen Xenbilox ein. Von diesem Zeitpunkt an verlangte Leadiant 14 000 EUR je Packung. Auf Grundlage der vorgenannten Kriterien befand die niederländische Wettbewerbsbehörde die Preise für missbräuchlich und verhängte eine Geldbuße in Höhe von 19,6 Mio. EUR. ( 115 )

In Italien begann Leadiant (damals Sigma-Tau) Anfang 2016, Xenbilox zum Preis von 2 900 EUR je Packung zu verkaufen (bis dahin waren den Patienten auf CDCA basierende Magistralrezepturen verordnet worden, deren Endpreis sich auf etwa 70 EUR je Packung belief). Als Leadiant 2017 als Orphan-Präparat ausgewiesen wurde und die Marktzulassung erhielt, begann das Unternehmen CDCA-Leadiant zum Preis von 15 507 EUR je Packung zu verkaufen. Xenbilox war dann nicht mehr erhältlich. Im Dezember 2019 vereinbarte Leadiant mit der Agenzia Italiana del Farmaco (AIFA) einen Preis von (5 000 bis 7 000) EUR je Packung, der im März 2020 in Kraft trat. Die italienische Wettbewerbsbehörde stellte fest, dass das untersuchte Verhalten eine missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung darstellte, und beschloss, gegen Leadiant eine Geldbuße in Höhe von 3,5 Mio. EUR zu verhängen.

In Spanien nahm Leadiant das auf CDCA basierende Medikament, das es seit 2010 vermarktet hatte (Xenbilox), vom spanischen Markt; es wurde neuformuliert, um es dann unter einem anderen Markennamen (CDCA-Leadiant) als Orphan-Präparat zu einem 14-mal höheren Preis auf den Markt zu bringen. Das einzige in Spanien erhältliche Medikament zur Behandlung von CTX, das im September 2010 984 EUR je Packung gekostet hatte, kostete im Juni 2017 14 618 EUR je Packung. Im November 2022 verhängte die spanische Wettbewerbsbehörde eine Geldbuße in Höhe von 10,25 Mio. EUR gegen Leadiant.

Hinsichtlich der Beurteilung überhöhter Preise koordinierten die nationalen Wettbewerbsbehörden ihre Methodik, wobei sie sich auf die vom Gerichtshof in der Rechtssache United Brands eingeführte zweistufige Prüfung stützten. ( 116 )

Im ersten Schritt stellten sie fest, dass Leadiants Preise für CDCA übermäßig hoch waren. Die nationalen Wettbewerbsbehörden befanden, dass die interne Verzinsung (Internal Rate of Return on Investment, IRR) die für diese Investition als angemessen zu erachtenden gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten (weighted average of cost of capital, WACC) bei Weitem überstieg, wenn man die von Leadiant angegebenen Kosten und internen Risikoschätzungen zugrunde legt.

Im zweiten Schritt befanden die nationalen Wettbewerbsbehörden Leadiants CDCA-Preise für sich genommen für unangemessen. Dabei stellten die nationalen Wettbewerbsbehörden vorwiegend auf qualitative Kriterien ab, u. a.: die Art des Produkts (CDCA-Leadiant, das als Arzneimittel für seltene Erkrankungen ausgewiesene Produkt, ist Leadiants Vorgängerprodukt Xenbilox gleichwertig, einem ebenfalls auf CDCA basierenden und außerhalb der zugelassenen Indikationen verwendeten, jedoch nicht als Arzneimittel für seltene Erkrankungen ausgewiesenen Medikament zur Behandlung von CTX); die geringen Investitionen in Forschung und Entwicklung und die geringen Geschäftsrisiken, die für Leadiant damit verbunden waren.

Zu beachten ist dabei, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden den Kontext, nämlich die Ausweisung als Arzneimittel für seltene Erkrankungen und die Zulassung, berücksichtigten (Leadiant hatte CDCA für CTX registrieren lassen, jedoch kein innovatives Produkt auf den Markt gebracht, denn das Leadiant-Produkt hatte keinerlei therapeutischen Mehrwert gegenüber den früheren, auf CDCA basierenden Medikamenten). Laut den Feststellungen der nationalen Wettbewerbsbehörden war die Unangemessenheit der Preise für CDCA-Leadiant auch daraus ersichtlich, dass dieser Preis weit höher war als die Preise für Chenofalk und Xenbilox in den Jahren zuvor – und dies, obwohl die Medikamente chemisch identisch waren.

Der Fall Pfizer/Flynn

2016 stellte die britische Wettbewerbsbehörde fest, dass Pfizer und Flynn ihre jeweilige beherrschende Stellung missbraucht hatten, indem sie unangemessene Preise für die im Vereinigten Königreich von Pfizer hergestellten Phenytoin-Natrium-Kapseln (ein Epilepsiepräparat) durchgesetzt hatten ( 117 ). Pfizer und Flynn hatten Vereinbarungen geschlossen, in deren Rahmen Pfizer seine Marktzulassungen für Epanutin auf Flynn übertrug, das Produkt aber weiterhin herstellte und für den Vertrieb im Vereinigten Königreich an Flynn lieferte. Die Lieferpreise, die Pfizer Flynn in Rechnung stellte, waren jedoch um 780 % bis 1 600 % höher als die Preise, die Pfizer zuvor von Händlern verlangt hatte. Flynn wiederum erhöhte die von den Händlern zu zahlenden Preise um bis zu 2 600 % gegenüber dem früheren Preisniveau, als das Arzneimittel unter seinem Markennamen vertrieben wurde. Dies war möglich, weil Flynn das Arzneimittel Epanutin unter seiner generischen Bezeichnung Phenytoin-Natrium (ohne den Markennamen) zu verkaufen begann und sich dabei eine Gesetzeslücke zunutze machte: Anders als Markenarzneimittel unterlagen nämlich Generika zum damaligen Zeitpunkt keinerlei Preisbeschränkungen. Die nationale Wettbewerbsbehörde verhängte gegen Pfizer und Flynn Geldbußen in Höhe von 84,2 Mio. GBP (99,2 Mio. EUR) bzw. 5,16 Mio. GBP (6,08 Mio. EUR).

2018 bestätigte das britische Competition Appeal Tribunal mehrere Feststellungen der nationalen Wettbewerbsbehörde (nämlich die enge Marktabgrenzung sowie die Feststellung, dass sowohl Pfizer als auch Flynn eine beherrschende Stellung innehatten), befand jedoch die Schlussfolgerungen der nationalen Wettbewerbsbehörde bezüglich der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung für rechtsfehlerhaft und verwies die Sache zurück an die nationale Wettbewerbsbehörde. ( 118 ) Sowohl die nationale Wettbewerbsbehörde als auch Flynn gingen dagegen in Berufung, und im Rechtsmittelverfahren trat die Kommission als Amicus Curiae auf. ( 119 ) In seinem Urteil vom März 2020 gab das Berufungsgericht (Court of Appeal) der Berufung der nationalen Wettbewerbsbehörde zum Teil statt; Flynns Berufung wurde vollumfänglich zurückgewiesen. ( 120 ) Nach diesem Urteil erließ die nationale Wettbewerbsbehörde 2022 einen neuen Beschluss zur Feststellung einer Zuwiderhandlung, mit dem Pfizer eine Geldbuße von 63,3 Mio. GBP (73,2 Mio. EUR) und Flynn eine Geldbuße von 6,7 Mio. GBP (7,7 Mio. EUR) auferlegt wurde. ( 121 ) Gegen diesen Beschluss legten Pfizer und Flynn Berufung vor dem Competition Appeal Tribunal ein, wobei die Verhandlung in der Sache auf November und Dezember 2023 terminiert war.

5.3.Andere wettbewerbswidrige Verhaltensweisen, die den Preiswettbewerb behindern können

Die europäischen Wettbewerbsbehörden sind auch gegen verschiedene andere wettbewerbswidrige Verhaltensweisen vorgegangen, die den Preiswettbewerb bei Arzneimitteln behindern. Einige dieser Verhaltensweisen sind spezifisch für den Arzneimittelsektor und werden durch seine wirtschaftlichen und regulatorischen Merkmale geprägt, während andere, die auch aus anderen Sektoren bekannt sind, ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf die Arzneimittelpreise haben können.

In einigen Fällen haben Unternehmen den Wettbewerbsdruck, der ihre Preissetzungsmacht normalerweise einschränkt, künstlich verringert. Die betreffenden Verhaltensweisen reichen von Kartellen oder kartellähnlichen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht (z. B. Angebotsabsprachen, Preisabsprachen und Marktaufteilung) bis hin zur missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschen Stellung und Beschränkungen der Beziehungen zwischen Anbietern und ihren Kunden. Allen unten anhand von Beispielen erläuterten Verhaltensweisen ist gemein, dass sie unmittelbare Auswirkungen auf die Arzneimittelpreise haben, die von den europäischen Patienten und Gesundheitssystemen entrichtet werden.

Angebotsabsprachen, Preisabsprachen und andere Formen der Koordinierung zwischen Wettbewerbern zählen zu den bekannten und zugleich zu den perfidesten Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht.

In einer Reihe von Beschlüssen ahndeten die europäischen Wettbewerbsbehörden Verhaltensweisen, die darauf abzielten, Wettbewerber auszuschließen oder deren Wettbewerbsfähigkeit einzuschränken. In der Regel ging es dabei darum, den Zugang von Pharmaunternehmen zu Kunden oder Produktionsmitteln zu unterbinden, um ihnen langfristig den Verkauf günstigerer Arzneimittel zu erschweren.

Einschränkung oder Unterbrechung der Lieferung von Immunglobulin

Im Dezember 2021 verhängte die rumänische Wettbewerbsbehörde Geldbußen gegen fünf Lieferanten von Immunglobulin und anderen aus menschlichem Blutplasma gewonnenen Arzneimitteln – Baxalta GmbH, CSL Behring GmbH, Biotest AG, Kedrion Spa und Octapharma AG – sowie gegen den Verband der Hersteller von Plasmaproteintherapien („PPTA“) in Höhe von insgesamt 353 393 694 RON (etwa 71 Mio. EUR). ( 122 ) Immunglobuline sind medizinische Produkte zur Behandlung schwerer Entzündungskrankheiten und Autoimmunerkrankungen.

Die rumänische Wettbewerbsbehörde stellte fest, dass die fünf Unternehmen, die sich in einer vom PPTA organsierten Arbeitsgruppe trafen, im Zeitraum 2015-2018 Absprachen getroffen hatten, um die Belieferung des rumänischen Markts mit Immunglobulin einzuschränken oder sogar zu stören. Die Unternehmen kolludierten, um Druck auf die Behörden auszuüben, damit diese eine bestimmte Steuer aussetzen, die für Hersteller und Lieferanten aus menschlichem Blut oder Blutplasma gewonnener erstattungsfähiger Arzneimittel galt. Ihr Ziel war, auf diese Weise ihre Gewinnspannen zu erhöhen.

Im Zeitraum der Zuwiderhandlung begannen die Immunglobulinhersteller allmählich, die Menge des in Rumänien gelieferten Immunglobulins zu reduzieren, bis sie dann die Lieferung ganz einstellten, wodurch einige Patienten in Lebensgefahr gerieten.

Nachdem die nationale Wettbewerbsbehörde 2018 ihre Untersuchung eingeleitet hatte und behördliche Maßnahmen ergriffen worden waren, nahmen fast alle Hersteller die Lieferung von Immunglobulin in Rumänien wieder auf: 2019 war die Gesamtmenge des gelieferten Immunglobulins rund 130 % höher als 2018, und 2020 war ein weiterer Anstieg zu verzeichnen.

Vertikale Preisbindung

Die portugiesische Wettbewerbsbehörde ging gegen Farmodiética – Cosmética, Dietética e Produtos Farmacêuticos, S.A. vor, weil das Unternehmen die Wiederverkaufspreise seiner Produkte in Portugal sowohl auf direkte als auch auf indirekte Weise festgesetzt hatte; dazu hatte das Unternehmen ein Überwachungssystem eingeführt und Anreize für die Einhaltung der so festgesetzten Preise geschaffen. ( 123 ) Die nationale Wettbewerbsbehörde stellte fest, dass dieses Verhalten einen schweren Verstoß gegen Artikel 101 Absatz 1 AEUV darstellte und verhängte gegen Farmodiética eine Geldbuße in Höhe von 1 258 900 EUR (im Hinblick auf die Vergleichsbereitschaft des Unternehmens war der ursprünglich vorgesehene Betrag um 30 % reduziert worden).

Im Mai 2021 leitete die italienische Wettbewerbsbehörde eine Untersuchung ein, nachdem eine Beschwerde gegen SOFAR S.p.A., einen Hersteller von Probiotika, eingegangen war. Der Beschwerde zufolge habe das Unternehmen von Online-Händlern verlangt, ihren Kunden festgesetzte Preise für den Weiterverkauf des Produkts Enterolactis Plus in Rechnung zu stellen. Außerdem habe es nur wenige Händler in sein Vertriebsnetz für den Verkauf des Produkts auf E-Commerce-Plattformen zugelassen. Auf die von der nationalen Wettbewerbsbehörden geäußerten Bedenken hin bot SOFAR Verpflichtungszusagen an, die die nationale Wettbewerbsbehörde für geeignet befand, den Wettbewerb wiederherzustellen, und per Beschluss für verbindlich erklärte ( 124 ). Das Unternehmen verpflichtete sich, keine Mindestpreise für den Weiterverkauf vorzugeben und die Freiheit seiner Händler, die SOFAR-Produkte auf anderen Handelskanälen zu verkaufen, nicht einzuschränken sowie dies seinen Händlern in einem schriftlichen Memorandum mitzuteilen.

Absprachen zwischen Apotheken und Pharmaunternehmen

2017 beschloss das litauische Gesundheitsministerium, zu prüfen, ob eine Änderung der nach den litauischen Gesetzen geltenden Margen für den Einzel- und Großhandel mit Arzneimitteln erforderlich wäre; es forderte deshalb den litauischen Apothekerverband auf, auf wirtschaftlichen Berechnungen beruhende Margen vorzuschlagen. Die litauische Wettbewerbsbehörde stellte allerdings fest, dass die für erstattungsfähige Arzneimittel vorgeschlagenen Margen vom litauischen Apothekerverband und acht Pharmaunternehmen abgesprochen worden waren und nicht nur die Kosten der Unternehmen deckten, sondern auch zusätzliche Gewinne für die Wettbewerber sicherstellten. Nach Ansicht der nationalen Wettbewerbsbehörde verstieß die Absprache bezüglich der von den Unternehmen vorgelegten Vorschläge und Daten, mit denen der Markt verzerrt werden sollte, gegen das Wettbewerbsrecht; schließlich hätte das Ministerium, wenn es diese Kollusion nicht gegeben hätte, seine Entscheidung auf Grundlage anderer Informationen treffen können. Gegen die Unternehmen wurden Geldbußen von mehr als 72 Mio. EUR verhängt. ( 125 ) Die nationale Wettbewerbsbehörde gab dem Ministerium und der Regierung Gelegenheit, den Rechtsrahmen neu zu bewerten und zu ändern sowie neue Margen für den Einzel- und Großhandel mit erstattungsfähigen Arzneimitteln festzulegen.

Impfstoffkartell

Im Februar 2022 erließ die belgische Wettbewerbsbehörde einen Vergleichsbeschluss, mit dem sie Geldbußen gegen Febelco CV und Pharma Belgium-Belmedis SA verhängte, zwei Arzneimittelgroßhändler, die an einem Kartell teilgenommen hatten, das den Direktverkauf von Pharmaunternehmen an Apotheken sowie Grippeimpfstoffe betraf. ( 126 ) Die Großhändler hatten sich verpflichtet, in den Vorverkaufszeiträumen sowohl für den Vertrieb von Arzneimitteln über ein „Direktverkauf an Apotheken“-System als auch für den Verkauf von Grippeimpfstoffen an Apotheken dieselben Geschäftsbedingungen anzuwenden. Insbesondere verpflichteten sich die Unternehmen, Apotheken keine Rabatte zu gewähren und während des Vorverkaufszeitraums bestellte, unverkaufte Impfstoffe nicht zurückzunehmen. Die nationale Wettbewerbsbehörde verhängte gegen Pharma Belgium-Belmedis eine Geldbuße von insgesamt 29,8 Mio. EUR. Gegen Febelco wurde keine Geldbuße erlassen, weil das Unternehmen das Kartell angezeigt hatte.

Angebotsabsprache, Marktaufteilung und Austausch wettbewerblich bedeutsamer Informationen

Die spanische Wettbewerbsbehörde verhängte Geldbußen gegen Advanced Accelerator Applications Ibérica (AAA) und Curium Pharma Spain, die beiden Hauptlieferanten von PET-Radiopharmaka, weil diese den Markt für Lieferverträge für dieses Pharmazeutikum mindestens vier Jahre lang untereinander aufgeteilt hatten. AAA und Curium verfolgten eine Doppelstrategie. Anstatt zu konkurrieren, vereinbarten sie, ihre Ausschreibungsangebote abzusprechen (z. B. kein Angebot einzureichen oder im Ausschreibungsverfahren Fehler zu machen, um nicht den Zuschlag zu bekommen) und sich anschließend zu niedrigeren Preisen gegenseitig als Subunternehmer zu beauftragen. Die nationale Wettbewerbsbehörde verhängte eine Geldbuße von 5,76 Mio. EUR gegen die beiden Pharmaunternehmen sowie Geldbußen von 46 000 EUR gegen zwei ihrer Manager, die direkt für die Verstöße verantwortlich befunden worden waren. ( 127 )

Die britische Wettbewerbsbehörde verhängte Geldbußen gegen King, Lexon (UK) Ltd und Alissa Healthcare Research Ltd, weil diese rechtswidrig bedeutsame Geschäftsinformationen ausgetauscht hatten, um das hohe Preisniveau für Nortriptylin zu halten. Im Zeitraum 2015 bis 2017, als die Kosten für das Medikament fielen, hatten die Unternehmen Informationen über Preise, Liefermengen und Alissas geplanten Markteintritt ausgetauscht. Die nationale Wettbewerbsbehörde verhängte Geldbußen in Höhe von insgesamt 1,47 Mio. GBP (1,73 Mio. EUR). ( 128 )

In einem gesonderten Beschluss stellte die nationale Wettbewerbsbehörde des Weiteren fest, dass King Pharmaceuticals Ltd und Auden Mckenzie (Pharma Division) Ltd die Lieferung von Nortriptylin an einen großen Arzneimittelgroßhändler unter sich aufgeteilt hatten. Die beiden Unternehmen hatten vereinbart, dass King von September 2014 bis Mai 2015 nur 25 mg-Tabletten liefern würde und Auden Mckenzie nur 10 mg-Tabletten. Die Firmen kolludierten auch, um die Mengen und Preise festzusetzen. Dafür verhängte die nationale Wettbewerbsbehörde gegen King und Accord-UK Geldbußen von 75 573 GBP (88 915 EUR) bzw. 1 882 238 GBP (2,2 Mio. EUR). Darüber hinaus verpflichteten sich Accord-UK und Auden Mckenzie im Zusammenhang mit diesem Fall zur Zahlung von 1 Mio. GBP (1,17 Mio. EUR) an den britischen National Health Service (NHS). ( 129 )

Die britische Wettbewerbsbehörde verhängte auch Geldbußen gegen drei Pharmaunternehmen, die an einer rechtswidrigen Absprache teilgenommen hatten, die die Lieferung von Fludrocortison betraf. Fludrocortison ist ein lebensrettendes Medikament, das verschreibungspflichtig ist und vorwiegend zur Behandlung von Nebennierenrindeninsuffizienz eingesetzt wird. Die nationale Wettbewerbsbehörde stellte fest, dass die Unternehmen Amilco und Tiofarma abgesprochen hatten, sich aus dem Fludrocortison-Markt herauszuhalten, damit Aspen weiter seine Stellung als einziger Lieferant im Vereinigten Königreich genießen konnte. Als Gegenleistung erhielt Amilco einen Anteil von 30 % an den erhöhten Preisen, die Aspen durchsetzen konnte, während Tiofarma das Recht erwarb, der einzige Hersteller des Medikaments für den Direktverkauf im Vereinigten Königreich zu sein. Nach dieser Absprache stieg der Preis für das an den NHS gelieferte Fludrocortison infolge dieser Kollusion um bis zu 1800 %. Die Untersuchung führte zur Verhängung von Geldbußen in Höhe von insgesamt fast 2,3 Mio. GBP (2,5 Mio. EUR) sowie einer direkten Zahlung von 8 Mio. GBP (8,7 Mio. EUR) an den NHS. ( 130 )

Andere auf den Ausschluss von Wettbewerbern abzielende Verhaltensweisen

In einer Reihe von Beschlüssen ahndeten die europäischen Wettbewerbsbehörden Verhaltensweisen, die darauf abzielten, Wettbewerber auszuschließen oder deren Wettbewerbsfähigkeit einzuschränken. In der Regel ging es dabei darum, den Zugang von Pharmaunternehmen zu Kunden oder Produktionsmitteln zu unterbinden, um ihnen langfristig den Verkauf günstigerer Arzneimittel zu erschweren.

2019 erließ die belgische Wettbewerbsbehörde einen Beschluss, in dem dem Apothekerverband (Ordre des pharmaciens) vorgeworfen wurde, die Akzeptanz und Entwicklung der Gruppe MediCare-Market behindert zu haben, indem er Disziplinarverfahren gegen die der Gruppe angehörenden Apotheker eingeleitet hatte. Laut dem Apothekerverband würde das Geschäftsmodell von MediCare-Market zur Verwechslung von Arzneimitteln und parapharmazeutischen Erzeugnissen führen, da in den Läden von MediCare-Market beide zu finden seien (wobei diese jedoch physisch getrennt sind). Dieser Beschluss wurde 2020 im Hinblick auf die Festsetzung des Betrags der Geldbuße auf 1 Mio. EUR vom Berufungsgericht aufgehoben; gleichzeitig wurden jedoch das Vorliegen einer Zuwiderhandlung und die grundsätzliche Schlussfolgerung, dass eine Geldbuße verhängt werden sollte, bestätigt. ( 131 )

In einem gesonderten Fall wurde eine weitere Geldbuße in Höhe von 225 000 EUR gegen den belgischen Apothekerverband verhängt, um einige der vom Verband getroffenen Entscheidungen zur Einschränkung der Werbemöglichkeiten für Apotheker zu ahnden. ( 132 ) Die nationale Wettbewerbsbehörde gelangte mit dem Apothekerverband zu einem Vergleich, in dem dieser sich verpflichtete, seinen Ethikkodex anzupassen und die Erläuterungen zu Werbung und Geschäftspraktiken regelmäßig zu überprüfen, um zu vermeiden, dass Disziplinarorgane den Begriff des Wettbewerbs in restriktiver Weise auslegen.

Die griechische Wettbewerbsbehörde verhängte einer Geldbuße in Höhe von 2096 EUR gegen die Karditsa Pharmaceutical Association, die eine Reihe von Apotheken in Karditsa daran gehindert hatte, während der nach der damaligen Apothekenverordnung zulässigen verlängerten Öffnungszeiten zu öffnen. ( 133 )

2020 leitete die britische Wettbewerbsbehörde im Hinblick auf die beabsichtigte Einstellung der Herstellung von Priadel, eines Medikaments von Essential Pharma zur Behandlung bipolarer Störungen, eine Untersuchung ein. Es bestanden Bedenken, weil die für die Patienten in Betracht kommenden Alternativmedikamente teurer waren und die Medikamentenumstellung erhebliche Probleme für die Patienten hätte mit sich bringen können. Auf die Einleitung der Untersuchung hin setzte Essential Pharma sein Vorhaben sofort aus und nahm Preisverhandlungen mit dem britischen Ministerium für Gesundheit und Pflege auf, im Zuge derer ein neuer Preis vereinbart wurde. Außerdem verpflichtete sich das Unternehmen gegenüber der nationalen Wettbewerbsbehörde, die Lieferung von Priadel für einen Zeitraum von fünf Jahren sicherzustellen; diese Verpflichtungszusage wurde von der nationalen Wettbewerbsbehörde gebilligt. ( 134 )

5.4.Fusionskontrolle und erschwingliche Arzneimittel

Die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts in Fällen von Missbrauch einer beherrschenden Stellung und wettbewerbswidriger Koordinierung wird ergänzt durch die Prüfung von Zusammenschlüssen, in deren Folge Marktstrukturen entstehen könnten, die Unternehmen von jedem Wettbewerbsdruck befreien und somit zu höheren Arzneimittelpreisen führen können.

5.4.1.Wie wirken sich Zusammenschlüsse auf die Arzneimittelpreise aus?

Zusammenschlüsse von Pharmaunternehmen können dazu führen, dass das zusammengeschlossene Unternehmen Marktmacht erhält oder seine Marktmacht ausbaut, indem der Wettbewerbsdruck zwischen den beteiligten Unternehmen beseitigt und der Wettbewerbsdruck am Markt verringert wird. Je mehr Marktmacht durch einen Zusammenschluss entsteht, desto wahrscheinlicher ist es, dass dieser höhere Preise und Nachteile für Patienten und Gesundheitssysteme nach sich zieht.

Ein wesentliches Ziel der Fusionskontrolle im Arzneimittelsektor besteht darin zu gewährleisten, dass die durch einen Zusammenschluss bewirkten Veränderungen der Marktstruktur nicht zu höheren Preisen führen. In diesem Zusammenhang werden Zusammenschlüsse geprüft, die den Wettbewerb zwischen Originalpräparaten, Generika oder Biosimilars berühren. Beispielsweise kann ein Zusammenschluss zwischen einem Originalpräparatehersteller und einem Generikahersteller den Preiswettbewerb zwischen den Originalpräparaten und ihren günstigeren generischen Versionen erheblich beeinträchtigen. Generika sind für gewöhnlich ein vollwertiger Ersatz für das Originalpräparat, und der Wettbewerb erfolgt in erster Linie über den Preis ( 135 ).

Zusammenschlüsse können erhebliche negative Preiseffekte nach sich ziehen. Der verringerte Wettbewerbsdruck kann das zusammengeschlossene Unternehmen unter Umständen in die Lage versetzen, seine eigenen Preise zu erhöhen (unmittelbar oder durch die Reduzierung von Rabatten und Skonti, die Aushandlung neuer, erhöhter Preise mit den nationalen Gesundheitsbehörden, die Verzögerung des Inverkehrbringens eines günstigeren Generikums usw.), aber auch einen Anstieg der Preise am Markt insgesamt bewirken ( 136 ).

5.4.2.Wie werden Preiserhöhungen infolge von Zusammenschlüssen durch die Fusionskontrolle verhindert?

Nach den EU-Fusionskontrollvorschriften hat die Kommission den Auftrag, einzuschreiten, wenn ein Zusammenschluss geeignet ist, den Wettbewerb zu beeinträchtigen. Ein anschauliches Beispiel ist der Fall Mylan/Upjohn: Der Zusammenschluss von Mylan, einem der fünf führenden Generikahersteller im EWR, und Upjohn (Pfizers Sparte für die Vermarktung seiner nicht mehr unter Patentschutz stehenden Markenprodukte und Generika), drohte in mehreren Märkten den Wettbewerb zu beseitigen.

Kasten 14: Der Mylan/Upjohn-Fall (April 2020)

Das Vorhaben betraf den Zusammenschluss des globalen Pharmaunternehmens Mylan mit Upjohn, Pfizers Sparte für seine nicht mehr unter Patentschutz stehenden Markenprodukte und Generika, darunter sehr bekannte Markenprodukte wie Viagra, Xanax und Lipitor. Bereits vor dem Zusammenschluss war Mylan einer der fünf größten Lieferanten generischer Arzneimittel im EWR.

Die Kommission untersuchte die Marktauswirkungen des Zusammenschlusses und sammelte Beweise von den beteiligten Unternehmen wie auch von deren Kunden und Wettbewerbern. Dies umfasste auch eine eingehende Überprüfung der Geschäftsunterlagen der Beteiligten. Im Verfahren stellte sich heraus, dass es zwischen den verschiedenen Versionen bestimmter nicht mehr patentgeschützter Moleküle (einschließlich Generika und nicht mehr patentgeschützter Originalpräparate) keinerlei direkten Preiswettbewerb gab. Die Kommission stellte fest, dass der Zusammenschluss im Fall von zwölf Molekülen dem Wettbewerb schaden würde, weil das aus dem Zusammenschluss hervorgehende Unternehmen in mehreren Mitgliedstaaten eine starke Stellung erlangen würde, wodurch Wettbewerbsdruck wegfalle.

Die Bedenken betrafen verschiedene Bereiche, zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des Bewegungsapparats, des Nervensystems und des Harnwegs. So stellte die Kommission beispielsweise fest, dass der Deal in Griechenland, Island, Irland, Italien und Portugal dem Wettbewerb um Alprazolam schaden würde, das zur Behandlung von Angst- und Panikstörungen eingesetzt wird (das Medikament wurde von Upjohn unter dem Markennamen Xanax verkauft, von Mylan dagegen in einer nicht markengeschützten Version). Schon vor dem Zusammenschluss war Upjohn in den meisten Fällen der führende Lieferant; der Deal hätte seine Marktmacht weiter gestärkt und in einigen Fällen zu einer Beinahe-Monopolstellung geführt, weil es nur wenige überzeugende Alternativen gab, von denen Preisdruck hätte ausgehen können.

Um die Bedenken der Kommission unter anderem bezüglich drohender Preiserhöhungen auszuräumen, boten die Unternehmen Abhilfemaßnahmen an. Insbesondere verpflichteten sie sich, Mylans Sparte für diejenigen Produkte, für die Bedenken bestanden, zu veräußern, und zwar einschließlich der Zulassungen, Verträge und Marken. Dies führte dazu, dass verschiedene Arzneimittel in mehr als 20 Ländern aus allen Teilen des EWR und des Vereinigten Königreichs an vier verschiedene Käufer veräußert wurden, die in der Lage waren, dieses Geschäft aktiv so weiterzuentwickeln, dass es mit Mylan/Upjohn konkurriert und Preisdruck ausübt.

Der Fall Mylan/Upjohn ist ein Beispiel dafür, wie dank der Untersuchung der Kommission Bedenken u. a. im Hinblick auf mögliche Preissteigerungen festgestellt wurden, die durch die vorgeschlagenen Veräußerungen ausgeräumt wurden. In den letzten Jahren ist die Kommission in den verschiedensten Märkten gegen dieses Risiko vorgegangen: Die Spanne reicht von rezeptfreien Schmerzmitteln (Consumer Health Business von GlaxoSmithKline/Pfizer) bis zu Arzneimitteln gegen chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (AbbVie/Allergan, Takeda/Shire). In einem anderen Fall, der Hämostase-Patches für die Blutstillung bei chirurgischen Eingriffen betraf, beschlossen die beteiligten Unternehmen, vom Zusammenschluss abzusehen, nachdem die Kommission Bedenken im Hinblick darauf geäußert hatte, dass der Deal, indem er den Markteintritt eines neuen Produkts in Europa verhinderte, das Preisniveau hoch halten (oder Auswahl und Innovation verringern) könnte (Johnson & Johnson/Tachosil).

In Fällen, in denen die Kommission eingreift und die Unternehmen sich verpflichten, die festgestellten Bedenken auszuräumen (bedingte Freigabe), endet die Tätigkeit der Kommission nicht mit ihrem Beschluss. Die Kommission bleibt weiterhin aktiv, um sicherzustellen, dass die Abhilfemaßnahmen ordnungsgemäß in die Praxis umgesetzt werden. Insbesondere überprüft die Kommission mithilfe von Überwachungstreuhändern das Verfahren für die Auswahl eines geeigneten Käufers für das zu veräußernde Geschäft und stellt sicher, dass Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit des zu veräußernden Geschäfts in seiner Gesamtheit bis zu seiner Übertragung auf den Käufer nicht beeinträchtigt werden. Zudem kann die Kommission nach der Veräußerung des Geschäfts an den Käufer die Übergangsvereinbarungen überwachen, bis die vollkommene Unabhängigkeit des Geschäfts von dem zusammengeschlossenen Unternehmen erreicht ist (d. h. bis die Übertragung der Zulassungen, die Produktionsverlagerung in das eigene Werk des Käufers usw. abgeschlossen sind).

6.Wettbewerb fördert Innovation und erhöht die Auswahl an Medikamenten

Wie in Abschnitt  3.2.1 erläutert, ist Innovation im Arzneimittelsektor von entscheidender Bedeutung, wobei sich die wichtigsten gesundheitlichen Vorteile aus der Forschung und Entwicklung im Bereich neuartiger Behandlungsformen ergeben. Aus dieser Forschung und Entwicklung können neue Arzneimittel für bislang nicht behandelbare Erkrankungen, für eine wirksamere Behandlung bestimmter Erkrankungen und/oder für Therapien mit weniger Nebenwirkungen hervorgehen. Darüber hinaus kann sie zu der Entdeckung führen, dass ein vorhandenes Arzneimittel für die Behandlung anderer Erkrankungen eingesetzt werden kann, für die es zuvor nicht verschrieben wurde.

Zudem kann Innovation die Behandlungskosten senken, wenn beispielsweise Herstellungsverfahren entwickelt werden, die eine kommerzielle Herstellung günstigerer Arzneimittel rentabel machen. Innovation kann ferner die Entwicklung neuer, effizienterer Technologien ermöglichen, mit denen qualitativ hochwertigere Arzneimittel hergestellt werden können. Im Arzneimittelsektor ist Innovation nach wie vor eine besonders wichtige Wettbewerbskraft; dennoch kommt es vor, dass auf diesen Märkten tätige Unternehmen auf verschiedene Weise versuchen, den kontinuierlichen Innovationsdruck zu dämpfen (z. B. durch defensive Patentstrategien, die darauf abzielen, ein konkurrierendes FuE-Projekt zu behindern). Solche Praktiken können unter bestimmten Umständen wettbewerbswidrig sein und erhebliche Nachteile für Patienten und nationale Gesundheitssysteme mit sich bringen.

6.1.Die Durchsetzung der Kartellvorschriften fördert Innovation und Auswahl

In diesem Abschnitt 6.1 wird aufgezeigt, wie die Durchsetzung der Kartellvorschriften zu mehr Auswahl für die Patienten beiträgt und deren Zugang zu innovativen Arzneimitteln verbessert, indem interveniert wird, wenn Unternehmen – allein oder gemeinsam mit anderen – den sie zu weiteren Innovationen zwingenden Wettbewerbsdruck dämpfen oder andere Unternehmen von Innovationen abhalten. In Abschnitt 6.2 wird sodann dargestellt, wie die Kommission nach den Fusionskontrollvorschriften Zusammenschlüsse, die geeignet sind, Innovationen einzuschränken oder zu behindern, verhindern kann, wobei im Zuge ihrer Prüfung auch etwaige positive Auswirkungen von Zusammenschlüssen auf die Innovationstätigkeit Berücksichtigung finden können ( 137 ).

6.1.1.Durchsetzungsmaßnahmen gegen Verhaltensweisen, die Innovationen verhindern oder die Wahlmöglichkeiten der Patienten einschränken

Die Marktteilnehmer stehen Innovationen nicht immer positiv gegenüber. Innovationen können ihre Märkte stören oder sogar vollständig untergraben. In der Regel gibt es kaum Möglichkeiten, die Innovationstätigkeit von Wettbewerbern zu unterbinden. Unternehmen können aber den Verkauf innovativer Konkurrenzprodukte an die Verbraucher erschweren. Die Durchsetzung der Kartellvorschriften kann dazu beitragen zu verhindern, dass Unternehmen ihre Macht missbrauchen oder Vereinbarungen schließen, die Innovationen aufhalten.

2022 leitete die Kommission eine förmliche kartellrechtliche Untersuchung gegen Vifor Pharma ein, um zu prüfen, ob das Unternehmen durch Verunglimpfung von Pharmacosmos, seines engsten Wettbewerbers im Bereich der Lieferung intravenöser Eisenpräparate, den Wettbewerb beschränkt hat. ( 138 )  Das Verhalten von Vifor Pharma scheint darauf abzuzielen, sein Blockbuster-Medikament Ferinject, ein hochdosiertes intravenöses Eisenpräparat, vor dem Wettbewerb durch Monofer, ein anderes innovatives Arzneimittel, zu schützen. Im EWR werden derzeit jährlich rund 1,8 Mio. Patienten, die unter Eisenmangel leiden, mit hochdosierten intravenösen Eisenpräparaten behandelt. Die Kommission hat Bedenken, dass Monofer, das Produkt von Pharmacosmos, von Vifor Pharma verunglimpft worden sein könnte, indem irreführende Informationen über dessen Sicherheit verbreitet wurden, die insbesondere an Angehörige der Heilberufe gerichtet waren. Sollten sich die Bedenken der Kommission als richtig erweisen, könnte das Verhalten von Vifor Pharma den Tatbestand des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung erfüllen und gegen Artikel 102 AEUV und Artikel 54 des EWR-Abkommens verstoßen. Die Einleitung eines förmlichen Verfahrens greift dem Ergebnis des Verfahrens in keiner Weise vor.

6.1.2.Unterstützung wettbewerbsfördernder Innovationszusammenarbeit durch das Wettbewerbsrecht

Die Wettbewerbsbehörden müssen nicht nur die potenziellen negativen Marktauswirkungen einer untersuchten Verhaltensweise berücksichtigen, sondern auch die möglichen positiven Auswirkungen, die im Wege der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts geschützt und idealerweise verstärkt werden sollten. In zahlreichen Wettbewerbsvorschriften wird anerkannt, dass Unternehmen durch ihr Verhalten Synergien bewirken können, die der Innovation förderlich sein können (beispielsweise Synergien aus der Kombination sich ergänzender Assets, die für die Forschung und Entwicklung notwendig sind, oder aus der Lizenzierung von Technologien). Diese Vorschriften helfen den Unternehmen, ihre Kooperationsprojekte im Einklang mit dem Wettbewerbsrecht zu gestalten und Durchsetzungsmaßnahmen der Wettbewerbsbehörden zu vermeiden. 2019 begann die Kommission mit der Evaluierung der 2010 erlassenen Gruppenfreistellungsverordnung für Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung ( 139 ). Am 1. Juni 2023 wurden die Horizontal-Gruppenfreistellungsverordnungen für Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung (FuE) und für Spezialisierungsvereinbarungen („HGVOs“) ( 140 ) angenommen; außerdem wurden überarbeitete Horizontal-Leitlinien ( 141 ) veröffentlicht. Durch die HGVOs werden FuE- sowie Spezialisierungsvereinbarungen unter bestimmten Voraussetzungen vom Verbot in Artikel 101 Absatz 1 AEUV ausgenommen. Diese Vorschriften bieten also Schutz, indem sie bestimmte Vereinbarungen durch eine Gruppenfreistellung von den Wettbewerbsvorschriften ausnehmen.

6.2.Schutz des Innovationswettbewerbs bei Arzneimitteln durch die Fusionskontrolle

Die Fusionskontrolle im Arzneimittelsektor durch die Kommission stellt nicht nur die Wahrung eines gesunden Preiswettbewerbs zum Wohle der Patienten und nationalen Gesundheitssysteme sicher, sondern sorgt auch dafür, dass FuE-Tätigkeiten für das Inverkehrbringen neuer Arzneimittel oder die Ausweitung der therapeutischen Verwendung vorhandener Arzneimittel nicht durch Zusammenschlüsse beeinträchtigt werden.

Bei mehreren in jüngster Zeit von der Kommission untersuchten Zusammenschlüssen im Arzneimittelsektor wurden die Auswirkungen deutlich, die Zusammenschlüsse auf die für Pharmaunternehmen bestehenden Anreize für die Fortführung der Entwicklung paralleler FuE-Programme nach dem Zusammenschluss haben können. In einigen dieser Fälle machte die Kommission die Genehmigung eines geplanten Zusammenschlusses, der andernfalls die Entwicklung eines vielversprechenden neuen Arzneimittels hätte zum Stillstand bringen oder behindern können, von geeigneten Abhilfemaßnahmen abhängig.

6.2.1.Wie können Zusammenschlüsse die Innovation im Arzneimittelsektor beeinträchtigen?

Die Branchenkonsolidierung kann wettbewerbsneutral sein oder sogar wettbewerbsfördernd wirken, wenn die einander ergänzenden Tätigkeiten der beteiligten Unternehmen zusammengeführt und dadurch sowohl die Fähigkeit als auch die Anreize, Innovationen auf den Markt zu bringen, gestärkt werden. Das kann selbst bei großen Übernahmen der Fall sein: So kam die Kommission 2019 bei ihrer Prüfung der Übernahme von Celgene durch BMS – die mit einem Wert von 74 Mrd. USD eine der größten Übernahmen aller Zeiten in der Arzneimittelbranche war – nach sorgfältiger Analyse der Wettbewerbslandschaft zu dem Schluss, dass der Zusammenschluss genehmigt werden konnte, da er zu keiner Beeinträchtigung des Wettbewerbs im EWR führen würde.

Umgekehrt können Zusammenschlüsse aber auch Umfang oder Reichweite von Innovationen beeinträchtigen und somit die den Patienten und Ärzten künftig zur Verfügung stehende Auswahl an innovativen Behandlungen einschränken. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn ein in Entwicklung befindliches Produkt eines der an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen mit einem von einem anderen beteiligten Unternehmen vermarkteten Produkt in Wettbewerb stünde und deshalb wahrscheinlich in erheblichem Maße Erträge von dem konkurrierenden Produkt des andern Unternehmens abzöge. In einem solchen Fall könnte das zusammengeschlossene Unternehmen geneigt sein, das konkurrierende Pipeline-Projekt einzustellen, zu verzögern oder umzulenken, um die Gewinne des zusammengeschlossenen Unternehmens zu steigern. Ebenso ist es möglich, dass die an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen an konkurrierenden FuE-Programmen arbeiten, sodass sie sich, wenn es nicht zum Zusammenschluss käme, künftig gewinnbringende Umsätze streitig machen würden. Werden zwei konkurrierende Unternehmen eigentumsrechtlich zusammengeführt, kann dies zur Folge haben, dass für sie wenig Anreiz für parallele FuE-Tätigkeiten besteht.

Die Einschränkung des Innovationswettbewerbs führt dazu, dass Patienten und Gesundheitssystemen künftige Vorteile aus innovativen und erschwinglichen Arzneimitteln vorenthalten werden. Mögliche negative Auswirkungen sind etwa, dass den Patienten potenziell bessere Behandlungen entgehen, geringere künftige Arzneimittelvielfalt im Markt, verzögerter Zugang zu den für die Krankheitsbehandlung erforderlichen Arzneimitteln und höhere Preise.

6.2.2.Wie kann die Fusionskontrolle zur Sicherung der Innovationsvoraussetzungen beitragen?

Mit der Fusionskontrolle soll verhindert werden, dass ein Vorhaben den Wettbewerb, einschließlich des Innovationswettbewerbs ( 142 ), in erheblichem Maße behindert und letztendlich zu höheren Preisen oder einer geringeren Auswahl für die Patienten führt. Bei Bedenken hinsichtlich des Innovationswettbewerbs kann die Kommission den Zusammenschluss verbieten, es sei denn, die Unternehmen bieten geeignete Abhilfemaßnahmen an, die darauf ausgelegt sind, Innovationsfähigkeit und ‑anreize zu bewahren und einen wirksamen Innovationswettbewerb wiederherzustellen. Zu diesen möglichen Abhilfemaßnahmen zählt beispielsweise die Veräußerung von Pipeline-Produkten oder den dazugehörigen FuE-Kapazitäten.

Bei etlichen der in letzter Zeit durchgeführten Untersuchungen von Zusammenschlüssen ging es vor allem um innovative Arzneimittel; daran wird deutlich, dass der Kommission der Erhalt der Innovationstätigkeit wichtig ist, sowohl was chemische Originalpräparate als auch was biologische Arzneimittel und Biosimilars angeht. In einigen Fällen wurde die Kommission tätig, um den von noch in der Anfangsphase der Produktentwicklung befindlichen Arzneimitteln ausgehenden Wettbewerb zu schützen. Sie kann auch tätig werden, um sicherzustellen, dass ein Zusammenschluss nicht darauf hinausläuft, dass ein Unternehmen auf einem bestimmten pharmazeutischen Gebiet ein Monopol auf FuE-Ressourcen und ‑Kapazitäten erlangt. ( 143  

2022 gab die Kommission eine Studie zur Ex-Post-Bewertung in Auftrag ( 144 ), um das Phänomen sogenannter „Killer-Übernahmen“ im Arzneimittelsektor zu untersuchen. Damit sind Zusammenschlüsse gemeint, die – zum Nachteil des Wettbewerbs – wahrscheinlich die Einstellung sich überschneidender Arzneimittelforschungs- und ‑entwicklungsprojekte bezwecken bzw. bewirken (einschließlich Überschneidungen zwischen Pipeline-Produkten sowie zwischen Pipeline-Produkten und auf dem Markt befindlichen Produkten). In der Studie werden Transaktionen untersucht, die im Zeitraum 2014-2018 in Form von Zusammenschlüssen oder Vereinbarungen wie den Erwerb von Rechten des geistigen Eigentums und Lizenzierung erfolgten. Die Studie soll sowohl eine Typologie der Erscheinungsformen dieses Phänomens in der Praxis als auch eine praktikable Methodologie entwickeln, mit der die Kommission derartige Transaktionen künftig besser erkennen kann.

Die Kommission greift ein, wenn ein Zusammenschluss zwischen zwei Originalpräparateherstellern zu weniger Innovationswettbewerb und weniger Anreizen für das Inverkehrbringen neuer oder verbesserter Behandlungen führen würde. So hat beispielsweise das Streben, wirksame Behandlungen für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen zu entwickeln, zu einer Branchenkonsolidierung geführt, weshalb die Kommission kürzlich in zwei Fällen eingreifen musste; beide Fälle wurden mit einer Abhilfemaßnahme beigelegt (AbbVie/Allergan sowie Takeda/Shire). Bei AbbVie/Allergan beruhten die Bedenken der Kommission darauf, dass ein Unternehmen bereits ein Medikament zur Behandlung einer bestimmten Erkrankung vermarktete, während das andere an der Entwicklung eines für denselben Zweck vorgesehenen Arzneimittels arbeitete.

Kasten 15: Der Fall AbbVie/Allergan (Januar 2020)

AbbVie ist ein globales Pharmaunternehmen mit einer breiten Produktpalette, das an der Entwicklung mehrerer biologischer Arzneimittel gegen Colitis ulcerosa und Morbus Crohn (zusammen als chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) bezeichnet) arbeitete. CED sind lebenslange Autoimmunerkrankungen, die eine Entzündung des Verdauungstraktes bewirken und bisher nicht geheilt werden können.

Zum Zeitpunkt des Zusammenschlusses arbeitete Allergan an der Entwicklung eines CED-Medikaments. Die Medikamente beider Unternehmen gehören zu einer vielversprechenden Klasse biologischer Arzneimittel, die als „IL-23 Inhibitoren“ bezeichnet werden. Die Kommission stellte fest, dass diese beiden in Entwicklung befindlichen Arzneimittel voraussichtlich direkt miteinander konkurrieren würden und wahrscheinlich wenig Wettbewerber hätten, da weltweit nur an der Entwicklung von zwei anderen konkurrierenden Präparaten gearbeitet wurde. Durch die Übernahme wären die klinischen Programme im Portfolio von AbbVie dupliziert worden.

Die Kommission hatte Bedenken, dass AbbVie die Entwicklung des Produkts von Allergan einstellen könnte, da das Produkt möglicherweise die Umsätze des Alternativprodukts, an dem AbbVie arbeitete, schmälern würde. In ihrer Bewertung berücksichtigte die Kommission den voraussichtlichen Nutzen, den es für die Patienten und Gesundheitssysteme hätte, wenn diese beiden innovativen Medikamente zur Verfügung stünden, zumal ja nur wenig Alternativen dazu entwickelt wurden.

AbbVie bot an, die für die Fortsetzung der Innovationsarbeit bezüglich des Pipeline-Projekts erforderlichen Bedingungen durch die Veräußerung von Allergans Pipeline-Produkt einschließlich der Rechte für die Entwicklung, Herstellung und den weltweiten Vertrieb des Produkts an einen geeigneten Käufer wiederherzustellen. Dieser Käufer würde die Fortsetzung der Medikamentenentwicklung sicherstellen, sodass die Bedenken der Kommission ausgeräumt wären. Letztendlich schlug AbbVie vor, dieses Medikament an AstraZeneca zu veräußern, was von der Kommission genehmigt wurde.

Ohne diese Abhilfemaßnahme hätte Allergan das Medikament wahrscheinlich eingestellt, um Doppelarbeit an den Pipeline-Produkten zu vermeiden. Es ist also davon auszugehen, dass die Abhilfemaßnahmen einen Beitrag zum Erhalt der Innovationstätigkeit geleistet und den Wettbewerb im Bereich der CED-Behandlung gefördert haben. Dies ist wichtig, um den Patienten eine größere Auswahl an innovativen Behandlungen und eine bessere Versorgung zu bieten.

Bei der Fusionskontrolle geht es auch darum, sicherzustellen, dass Fusionen und Übernahmen nicht dazu führen, dass ein wichtiger Lieferant seinen Kunden schadet, um einen Teil seiner Geschäftstätigkeit, die mit der Tätigkeit der betreffenden Kunden im Wettbewerb steht, zu begünstigen. Dies war der Grund für die Untersuchung der Kommission in der Sache Illumina/GRAIL, in der die Kommission das Zusammenschlussvorhaben letztendlich untersagte. Auch wenn dieser Fall nicht Arzneimittel betrifft, sondern neuartige Diagnostiktests, zeigt er doch auf, dass das Vorgehen der Kommission zum Schutz der Innovation wichtig ist, damit den Patienten und dem Gesundheitssystem letztendlich ein breites Spektrum modernster Mittel zur Krebsbekämpfung offensteht.

Kasten 16: Der Fall Illumina/GRAIL (September 2022)

Dieser Fall war der erste, in dem die Kommission ihren überarbeiteten Ansatz für die Verweisung von Fusionskontrollsachen anwandte, nach dem die nationalen Wettbewerbsbehörden auch Fälle an sie verweisen können, in denen der Zusammenschluss weder die nationalen noch die unionsweiten Anmeldeschwellen erreicht. Dies war angemessen, weil das Zielunternehmen buchstäblich keinerlei Erträge hatte, jedoch an der Entwicklung eines sehr vielversprechenden Produkts arbeitete und erhebliches Wettbewerbspotenzial hatte.

Der Fall betraf die Entwicklung von Tests zur Krebsfrüherkennung, die die Art und Weise, wie Krebs bei noch asymptomatischen Personen erkannt werden kann, revolutionieren könnten. Illumina liefert Sequenzierungssysteme der nächsten Generation („NGS“), bei denen es sich um Diagnostikinstrumente handelt, die für ein breites Spektrum von Anwendungen eingesetzt werden. Eine der herausragendsten Anwendungen, an deren Entwicklung gearbeitet wird, ist der Einsatz von Illuminas Sequenzierungssystemen für die Entwicklung und den Verkauf von Krebserkennungstests. GRAIL ist ein Biotech-Unternehmen, das Illuminas NGS-Systeme verwendet, um einen Bluttest für die Erkennung von etwa 50 Krebsarten bei symptomfreien Patienten zu entwickeln. Illumina beabsichtigte, GRAIL für etwa 8 Mrd. USD zu übernehmen, obwohl GRAIL, das in erster Linie ein Forschungsunternehmen war, zu dem Zeitpunkt fast keine Umsätze erzielte.

Die Kommission untersuchte den Deal und stellte fest, dass es ein dynamisches und aktives Rennen um die Entwicklung von Krebserkennungstests und die Inverkehrbringung von Früherkennungstests für Krebs gab. Es gab einige Entwickler, die in erheblichem Umfang Kapital und Arbeit einsetzten, um Krebserkennungstests zu entwickeln, die sie dann weltweit kommerziell nutzen wollten, auch in Europa und in Mitgliedstaaten, deren nationale Wettbewerbsbehörden den Fall an die Kommission verwiesen hatten. Kernstück dieses Prozesses sind die NGS-Systeme von Illumina, zu denen es keine überzeugende Alternative gibt; die NGS-Systeme sind notwendig, um die Tests entwickeln und sie den Patienten anbieten zu können. Würde es Illumina gestattet, GRAIL zu übernehmen, so wäre es für Illumina profitabel, die Wettbewerber von GRAIL an der Entwicklung dieser Tests zu hindern oder deren Entwicklungsarbeit zu bremsen (etwa durch die Einstellung der Belieferung von Wettbewerbern, durch Verzögerungen oder Reduzierung der Qualität des technischen Supports oder der Entwicklungszusammenarbeit oder durch Preiserhöhungen, um den Wettbewerbern höhere Kosten zu verursachen), damit der Test von GRAIL der erste und attraktivste Test auf dem Markt ist. GRAIL hätte einen Startvorteil gegenüber seinen Wettbewerbern und wäre weniger Wettbewerb (u. a. Preiswettbewerb) ausgesetzt. Die Verbraucher und Gesundheitssysteme hätten weniger Auswahl und müssten mehr für den Zugang zu diesen lebensrettenden Tests zahlen. Als Eigentümer von GRAIL könnte sich Illumina einen Großteil eines sehr profitablen Markts erobern, der 2035 voraussichtlich ein Volumen von mehr als 40 Mrd. EUR jährlich haben wird.

Illumina versuchte zwar, Abhilfemaßnahmen anzubieten, um diese Bedenken auszuräumen, doch diese wurden von der Kommission für nicht hinreichend befunden, eine erhebliche Beeinträchtigung konkurrierender Testentwickler – und letztendlich der Verbraucher – zu vermeiden. Der Zusammenschluss wurde deshalb von der Kommission untersagt. Damit stellte sie sicher, dass die Innovationsarbeit an der Entwicklung von Krebserkennungstests, einem enorm wichtigen Instrument in der Krebsbekämpfung, zu fairen Bedingungen weitergehen kann. Zur Durchsetzung dieses Verbotsbeschlusses hat die Kommission angeordnet, dass Illumina GRAIL veräußern muss (und Geldbußen gegen die beteiligten Unternehmen verhängt, weil diese den Zusammenschluss bereits rechtwidrig vollzogen hatten, als die Untersuchung noch andauerte). Die Veräußerung ist zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts noch nicht abgeschlossen. ( 145

7.Schlussfolgerung 

Der obige Überblick und die Beispiele für Wettbewerbsfälle, in denen die europäischen Wettbewerbsbehörden im Zeitraum 2018 bis 2022 Untersuchungen durchgeführt und Beschlüsse erlassen haben, zeigen, dass die Durchsetzung der Kartell- und Fusionskontrollvorschriften dazu beitragen, den Patienten und Gesundheitssystemen einen besseren Zugang zu erschwinglichen und innovativen Arzneimitteln und Behandlungsformen zu gewährleisten.

Gegenüber dem im vorhergehenden Bericht abgedeckten Zeitraum 2009-2017 (neun Jahre) stieg die Zahl der kartellrechtlichen Beschlüsse in der Pharmabranche im Zeitraum 2018-2022 (fünf Jahre) von durchschnittlich drei auf fünf Beschlüsse pro Jahr. Die Zahl der neuen Kartell- und Fusionskontrollsachen aus dem Arzneimittelsektor ist gleichbleibend, wenn nicht gar steigend. Nicht zuletzt wegen der Covid-19-Pandemie haben diese Branche und das Gesundheitswesen im Allgemeinen unionsweit eine hohe Priorität.

Der Bericht stellt ein breites Spektrum wettbewerbswidriger Verhaltensweisen vor, von denen einige erstmals Gegenstand von Untersuchungen waren. Die europäischen Wettbewerbsbehörden sind erfolgreich dagegen vorgegangen und haben eine Reihe bahnbrechender Präzedenzfälle entschieden, mit denen die Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts auf die Arzneimittelmärkte klargestellt wurde. Der wirksamen Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts im Arzneimittelsektor kommt nach wie vor hohe Priorität zu, und die Wettbewerbsbehörden werden potenziell wettbewerbswidrige Verhaltensweisen auch weiterhin überwachen und proaktiv untersuchen.

Auch wenn die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts einen bedeutenden Beitrag zur Verbesserung des Preis- und Innovationswettbewerbs leistet, indem sie Orientierungshilfen bietet und mit Präzedenzfällen für Abschreckung sorgt, ist sie doch den einschlägigen Rechtsetzungs- und Regulierungsmaßnahmen, etwa der Reform der EU-Arzneimittelvorschriften und der Arzneimittelstrategie, untergeordnet.

(1) ()    Was das Vereinigte Königreich angeht, erstreckt sich dieser Bericht auf den Zeitraum bis Ende 2020, da der Übergangszeitraum nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union am 31. Dezember 2020 endete. Seit dem 1. Januar 2021 wird das EU-Wettbewerbsrecht im Vereinigten Königreich nicht mehr durchgesetzt.
(2) ()    https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/9cb466c8-7b71-11e9-9f05-01aa75ed71a1
(3) ()    Außerdem intervenierte die Kommission in mehreren Fällen außerhalb des Arzneimittelsektors, die Gesundheits- oder (bio‑)medizinische Technologien betrafen, und untersagte hier insbesondere einen Zusammenschluss, der Krebserkennungstests betraf (vgl. dazu Abschnitte 2.2.1 und 6.2.2).
(4) ()    Was das Vereinigte Königreich angeht, erstreckt sich dieser Bericht auf den Zeitraum bis Ende 2020, da der Übergangszeitraum nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union am 31. Dezember 2020 endete. Seit dem 1. Januar 2021 wird das EU-Wettbewerbsrecht im Vereinigten Königreich nicht mehr durchgesetzt.
(5) ()    Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Arzneimittelsektor (2009-2017), https://competition-policy.ec.europa.eu/sectors/pharmaceuticals-health-services_en .
(6) ()    Schlussfolgerungen des Rates zur Verstärkung der Ausgewogenheit der Arzneimittelsysteme in der EU und ihren Mitgliedstaaten, 17. Juni 2016, Rn. 48 (ABl. C 269 vom 23.7.2016, S. 31).
(7) ()    Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. März 2017 zu den Optionen der EU, den Zugang zu Arzneimitteln zu verbessern (2016/2057(INI)), 2. März 2017.
(8) ()    Siehe OECD (2022), Health at a Glance: Europe 2022, S. 132.
(9) ()    Siehe OECD (2022), Health at a Glance: Europe 2022, S. 142. Im Durchschnitt der EU-Staaten entfielen 2020 etwa 15 % der Ausgaben für die Gesundheitsversorgung auf den Einzelhandelsverkauf von Arzneimitteln. In dieser Zahl sind die in Krankenhäusern verwendeten Arzneimittel nicht enthalten, was die Arzneimittelkosten der einzelnen Länder um weitere 20 % erhöhen dürfte.
(10) ()    Weder die Beihilfenkontrolle der Kommission (z. B. FuE-Beihilfen für Pharmaunternehmen oder staatliche Beihilfen im Bereich des Krankenversicherungswesens) noch Wettbewerbsverfälschungen infolge der Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte durch einen Mitgliedstaat (z. B. Beschwerden privater Gesundheitsdienstleister gegen potenziell überhöhte Ausgleichsleistungen für Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft) sind Gegenstand dieses Berichts.
(11) ()    Unter Innovation wird sowohl Innovation durch neue Arzneimittel verstanden als auch Innovation, die die Auswahl unter verschiedenen Behandlungen oder Verbesserungen anderer Parameter ermöglicht, z. B. der Qualität im Hinblick auf die Wirksamkeit, die Sicherheit oder die Verbesserung des Herstellungsverfahrens. Der Preiswettbewerb beruht auf der Auswahl zwischen verschiedenen Behandlungen, die beide die erforderliche Qualität aufweisen und gegeneinander austauschbar sind.
(12) ()    Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. L 1 vom 4.1.2003, S. 1).
(13) ()    Ein Überblick über die geltenden Vorschriften ist verfügbar unter:  https://competition-policy.ec.europa.eu/antitrust-and-cartels/legislation_en .
(14) ()    Bis Ende 2020 waren es 28 (vgl. auch Fußnote 7).
(15) ()    Richtlinie (EU) 2019/1 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts (ABl. L 11 vom 14.1.2019, S. 3).
(16) ()    Das förmliche Verfahren, nach dem die Kommission Verpflichtungszusagen für verbindlich erklären kann, ist in Artikel 9 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates geregelt.
(17) ()    Beschluss des Consiliul Concurenței vom 28. Dezember 2017.
(18) ()    Beschluss des Consiliul Concurenței vom 11. August 2020, mit dem eine Geldbuße in Höhe von 11,9 Mio. RON (etwa 2,5 Mio. EUR) verhängt wurde.
(19) ()    Siehe Fußnote 11.
(20) ()    Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. L 349 vom 5.12.2014, S. 1).
(21) ()    Urteil des Tribunale di Venezia vom 4. Februar 2021 (6471/2015).
(22) ()    In diesem Bericht werden diese 26 Kartellverfahren in den Fußnoten mit dem Namen der Wettbewerbsbehörde und dem Datum des Beschlusses genannt. Die vollständige Liste der Fälle ist verfügbar unter:  https://competition-policy.ec.europa.eu/document/552ebb75-e502-491a-9fbd-f0f9d61dac39_en . Diese Aufstellung umfasst auch Links zu öffentlich zugänglichen Informationen (z. B. Pressemitteilungen, Wortlaut des Beschlusses, Gerichtsurteil).
(23) ()    Die für die Geldbußen angegebenen Beträge sind nicht endgültig, da in mehreren Fällen Rechtsmittel anhängig sind.
(24)

()    Dies war zum Beispiel bei zwei Untersuchungen der Kommission der Fall. Im Fall AT.40731 Quidel: Diagnostische Testkits wurde ein langjähriges Wettbewerbsverbot in Bezug auf Testkits für Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgehoben. Im Fall AT.40576 Lonza wurden die mutmaßlichen Ausschlusspraktiken bei der Vertragsentwicklung und der Herstellung biologischer Arzneimittel während der Untersuchung eingestellt.

(25) ()    Am 11. September 2020 kündigte die Kommission einen neuen Ansatz für die Verweisung von Zusammenschlussvorhaben an, die nach den Rechtsvorschriften auf EU- bzw. Mitgliedstaatsebene nicht anmeldepflichtig sind; dieser Ansatz ist in Kasten 4 beschrieben.
(26) ()    Beispielsweise können die an einem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen sowie ein oder mehrere Mitgliedstaaten die Kommission unter bestimmten Voraussetzungen ersuchen, einen Zusammenschluss zu prüfen, der die für die Zuständigkeit der EU festgelegten Umsatzschwellenwerte nicht erreicht (ein solcher Antrag kann beispielsweise von den am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen gestellt werden, wenn der Zusammenschluss in mindestens drei Mitgliedstaaten geprüft wird und diese der Verweisung zustimmen). Analog können die an einem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen und ein Mitgliedstaat beantragen, dass ein Zusammenschluss, der die für die Zuständigkeit der EU festgelegten Umsatzschwellenwerte erreicht, von einer nationalen Wettbewerbsbehörde geprüft wird, wenn sich der Zusammenschluss speziell auf diesen Mitgliedstaat auswirken wird.
(27) ()    Vgl. Mitteilung der Kommission – Leitfaden zur Anwendung des Verweisungssystems nach Artikel 22 der Fusionskontrollverordnung auf bestimmte Kategorien von Vorhaben (ABl. C 113 vom 31.3.2021, S. 1), Rn. 9-12.
(28) ()    Mitteilung der Kommission – Leitfaden zur Anwendung des Verweisungssystems nach Artikel 22 der EU-Fusionskontrollverordnung auf bestimmte Kategorien von Vorhaben (ABl. C 113 vom 31.3.2021, S. 1).
(29) ()    Rechtssache T‑227/21 – Illumina/Kommission. In dieser Sache wurde Rechtsmittel eingelegt und sie ist zurzeit beim Gerichtshof anhängig (Rechtssache C‑611/22 – Illumina/Kommission und Rechtssache C‑625/22, Grail/Kommission).
(30) ()    Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EU-Fusionskontrollverordnung“) (ABl. L 24 vom 29.1.2004, S. 1) und Verordnung (EG) Nr. 802/2004 der Kommission vom 7. April 2004 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. L 133 vom 30.4.2004, S. 1).
(31) ()    Ein Überblick über die geltenden Vorschriften ist verfügbar unter:     
https://competition-policy.ec.europa.eu/mergers/legislation_en
(32) ()    Ein anderes Beispiel für einen Fall, der die Veräußerung vermarkteter Medikamente zum Gegenstand hatte, ist die Sache M.9517 – Mylan/Upjohn (2020).
(33) ()    Andere Beispiele für die Veräußerung von Pipeline-Medikamenten sind etwa M.8955 – Takeda/Shire (2018); M.8401 – J&J/Actelion (2017); M.7275 – Novartis/GSK Onkologiesparte (2015).
(34) ()    Darüber hinaus hat die Kommission eine Reihe von Zusammenschlüssen in den Bereichen Biotechnologie und Tiergesundheit geprüft, wobei insbesondere ein Vorhaben (M.10188 Illumina/GRAIL (2022)) untersagt wurde und bei einem anderen Vorhaben Interoperabilitätsverpflichtungen verlangt wurden (M.9945 Siemens/Varian (2021)). Überdies hat die Kommission im Zeitraum 2021-2022 mehr als zehn Zusammenschlüsse in den Bereichen Arzneimittel, Biotech und Medizinprodukte im Hinblick darauf geprüft, ob die nationalen Wettbewerbsbehörden ersucht werden sollten, nach dem neuen Verweisungsansatz die Verweisung der Fusionssache an die Kommission zu beantragen.
(35) ()    M.8955 – Takeda/Shire (2018, bedingte Freigabe mit Auflagen), M.9274 – GSK/Pfizer Consumer Health Business (2019, bedingte Freigabe mit Auflagen), M.9461 – AbbVie/Allergan (2020, bedingte Freigabe mit Auflagen), M.9517 – Mylan/Upjohn (2020, bedingte Freigabe mit Auflagen), M.9547 – J&J/Tachosil (2020, aufgegeben nach Einleitung des eingehenden Prüfverfahrens durch die Kommission).
(36) ()    Die Interventionsquote berechnet sich aus dem Verhältnis zwischen der Anzahl der untersagten und der unter Auflagen genehmigten Unternehmenszusammenschlüsse sowie der (während einer Phase II-Untersuchung) zurückgezogenen Zusammenschlussanmeldungen einerseits und der Gesamtzahl der bei der Kommission angemeldeten Zusammenschlussvorhaben andererseits.
(37) ()    Artikel 17 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates bezüglich der Befugnis der Kommission, Untersuchungen einzelner Wirtschaftszweige durchzuführen.
(38) ()     https://competition-policy.ec.europa.eu/document/34141778-9e31-4cc4-ac9e-5b8c64f798bb_en . Diese Aufstellung umfasst Links zu öffentlich zugänglichen Informationen und/oder den Berichten selbst.
(39) ()    In einigen Mitgliedstaaten übernehmen Krankenhäuser auch die Beschaffung von Arzneimitteln, deren Abgabe in der Krankenhausapotheke erfolgt.
(40) ()    Artikel 10 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311 vom 28.11.2004, S. 67).
(41) ()    Artikel 10 Absatz 3 der Richtlinie 2001/83/EG.
(42)    Biosimilars in the EU: Information Guide for Healthcare professionals, Europäische Arzneimittel-Agentur, 2019 (Gemeinsame Erklärung der Europäischen Arzneimittel-Agentur und der Kommission).
(43) ()    Biologische Arzneimittel zählen zu den teuersten Behandlungsformen, und ihr Einsatz nimmt stetig zu (2022 entfielen 35 % der Arzneimittelausgaben auf biologische Arzneimittel). Da der Patentschutz für einige wichtige biologische Arzneimittel demnächst ausläuft, dürfte der zunehmende Einsatz von Biosimilars zu Kosteneinsparungen für die nationalen Gesundheitssysteme führen. Aus verschiedenen Gründen – beispielsweise dem im Vergleich zu Generika geringeren Substitutionsgrad – hat es jedoch den Anschein, dass sich diese Kosteneinsparungen schwerer mittels der herkömmlichen Wettbewerbsmechanismen erzielen lassen. Nichtsdestoweniger hatte sich die Zahl neuer biologischer Moleküle mit einem Biosimilar bis 2022 innerhalb von fünf Jahren gegenüber den vorherigen zehn Jahren verdoppelt, wobei es 2022 insgesamt 18 Moleküle mit direkter Biosimilar-Konkurrenz gab, die im Durchschnitt 3,8 zugelassene Konkurrenten hatten. (Quelle: The Impact of Biosimilar Competition in Europe, Dezember 2022, IQVIA).
(44) ()    Statement on the scientific rationale supporting interchangeability of biosimilar medicines in the EU, 21. April 2023, EMA/627319/2022.
(45) ()    Die Europäische Investitionsbank (EIB) hat, seit sie sich 1997 in diesem Sektor zu engagieren begann, insgesamt Finanzierungen in Höhe von mehr als 42 Mrd. EUR für Projekte mit Bezug zum Gesundheitswesen bereitgestellt. Wegen Covid-19 waren die Finanzierungen in den letzten Jahren wesentlich höher als in den Jahren vor der Pandemie. 2022 hat die EIB zum Beispiel 5,1 Mrd. EUR für Projekte im Bereich Gesundheits- und Biowissenschaften bereitgestellt. Der Europäische Investitionsfonds (EIF), ein Tochterunternehmen der EIB-Gruppe, das auf Risikofinanzierung für kleine und mittlere Unternehmen spezialisiert ist, hat etwa 400 Mio. EUR für Fonds zugesagt, die den Gesundheitssektor unterstützen sollen. (Publikation der Europäischen Investitionsbank: Health Overview 2023, https://www.eib.org/attachments/lucalli/20220314_health_overview_2023_en.pdf).
(46) ()    Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft (ABl. C 372 vom 9.12.1997, S. 5). Die Bekanntmachung der Kommission wird zurzeit überarbeitet (siehe auch: https://competition-policy.ec.europa.eu/public-consultations/2022-market-definition-notice_en).
(47) ()    Urteil des Gerichtshofs vom 30. Januar 2020, Generics (UK) u. a., C‑307/18, ECLI:EU:C:2020:52, Rn. 129 und die dort angeführte Rechtsprechung.
(48) ()    Vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 30. Januar 2020, Generics (UK) u. a., C‑307/18, ECLI:EU:C:2020:52, Rn. 130-131.
(49) ()    Vgl. Abschnitt  3.2.2 .
(50) ()    Schätzungen zufolge kostet es zwischen 0,5 Mrd. EUR und 2,2 Mrd. EUR, ein Arzneimittel aus dem Labor bis auf den Markt zu bringen. Copenhagen Economics, Study on the economic impact of supplementary protection certificates, pharmaceutical incentives and rewards in Europe, Final Report, Mai 2018: https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/human-use/docs/pharmaceuticals_incentives_study_en.pdf .
(51) ()    Im Jahr 2017 beliefen sich die FuE-Ausgaben im Arzneimittelsektor auf 13,7 % und im Biotechnologiesektor auf 24 % der Umsätze (Europäische Kommission, Industrial Research and Innovation, The 2017 EU Industrial R&D Investment Scoreboard, Ausgabe 2022, z. B. Tabelle 1.2, S. 11); https://iri.jrc.ec.europa.eu/sites/default/files/contentype/scoreboard/2022-12/EU%20RD%20Scoreboard%202022%20FINAL%20online_0.pdf.
(52) ()    Zu den Exklusivitätsrechten siehe Kasten 7 im nächsten Abschnitt.
(53) ()    2022 gab es insgesamt 18 Moleküle mit direkter Biosimilar-Konkurrenz, die im Durchschnitt 3,8 zugelassene Konkurrenten hatten. (Quelle: The Impact of Biosimilar Competition in Europe, Dezember 2022, IQVIA).
(54) ()    Statement on the scientific rationale supporting interchangeability of biosimilar medicines in the EU, 21. April 2023, EMA/627319/2022.
(55) ()    https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/12963-Revision-of-the-EU-general-pharmaceuticals-legislation_de
(56)

()    Mitteilung der Kommission „Eine Arzneimittelstrategie für Europa“ (COM(2020) 761 final).

(57) ()    Empfehlung des Rates zur Intensivierung der EU-Maßnahmen zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenz im Rahmen des Konzepts „Eine Gesundheit“ 2023/C 220/01 (ABl. C 220 vom 22.6.2023, S. 1).
(58) ()    Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Reform des Arzneimittelrechts und Maßnahmen zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen (COM(2023) 190 final).
(59) ()    Nach der EU-Bolar-Ausnahmeregelung (in Artikel 10 Absatz 6 der Richtlinie 2001/83/EG und Artikel 41 der Verordnung (EU) 2019/6 (vormals Artikel 13 Absatz 6 der Richtlinie 2001/82/EG)) sind Verfahren wie die Herstellung von für die regulatorische Zulassung erforderlichen Mustern unter bestimmten Voraussetzungen nicht als widersprüchlich zu den sich aus Patenten oder aus ergänzenden Schutzzertifikaten für Arzneimittel ergebenden Rechten anzusehen.
(60) ()    https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/priorities-2019-2024/promoting-our-european-way-life/european-health-union_de
(61) ()     https://competition-policy.ec.europa.eu/system/files/2021-03/202003_joint-statement_ecn_corona-crisis.pdf . Ein ähnliches Statement wurde am 8. April 2020 vom International Competition Network herausgegeben: https://www.internationalcompetitionnetwork.org/wp-content/uploads/2020/04/SG-Covid19Statement-April2020.pdf.
(62) ()    Mitteilung der Kommission – Befristeter Rahmen für die Prüfung kartellrechtlicher Fragen der Zusammenarbeit von Unternehmen in durch den derzeitigen COVID-19-Ausbruch verursachten Notsituationen (ABl. C 116I vom 8.4.2020, S. 7).
(63) ()     https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/IP_20_618  
(64) ()    chrome-extension://efaidnbmnnnibpcajpcglclefindmkaj/https://competition-policy.ec.europa.eu/system/files/2021-03/medicines_for_europe_comfort_letter.pdf
(65) ()     https://competition-policy.ec.europa.eu/document/5cfbb468-decb-4ca5-b583-f3764773209f_en  
(66) ()     https://www.acm.nl/en/publications/acm-has-confidence-commitments-made-roche-help-solve-problems-test-materials
(67) ()     https://www.epant.gr/en/enimerosi/press-releases/item/858-press-release-covid-19-task-force-to-fight-anticompetitive-practices.html
(68) ()     https://www.epant.gr/en/enimerosi/press-releases/item/1604-press-release-pricing-of-pcr-and-rapid-tests-in-the-greek-market.html
(69) ()    Copenhagen Economics, vgl. Fn. 45.
(70) ()    Beispiele aus der Durchsetzungspraxis der Kommission belegen, dass die Preissenkungen bei Blockbuster-Arzneimitteln sogar noch drastischer ausfallen können. So stellte die Kommission beispielsweise in der Sache Lundbeck fest, dass die Preise für generisches Citalopram im Vereinigten Königreich innerhalb der ersten 13 Monate nach der breiten Markteinführung der Generika im Durchschnitt 90 % gegenüber dem vorherigen Preisniveau von Lundbeck gefallen waren (Beschluss der Kommission vom 19. Juni 2013 in der Sache COMP/AT.39226, Lundbeck, Erwägungsgrund 726).
(71) ()    Urteil des Gerichtshofs vom 12. Mai 2022, Servizio Elettrico Nazionale SpA u. a., C‑377/20 P, EU:C:2022:379, Rn. 67.
(72) ()    Urteil des Gerichtshofs vom 6. Dezember 2012, AstraZeneca/Kommission, C‑457/10 P, EU:C:2012:770, Rn. 132.
(73) ()    Pressemitteilung: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/IP_22_6062 .
(74) ()    Vgl. Abschnitt 5.1.3 mit näheren Ausführungen zu der anderen Art potenziell missbräuchlichen Verhaltens, das Teva in der Mitteilung der Beschwerdepunkte von der Kommission vorgeworfen wurde.
(75) ()    Teilpatente sind Patente, die auf einer früheren Patentanmeldung (dem sogenannten „Hauptpatent“) beruhen und deren Gegenstand bereits davon abgedeckt wird.
(76) ()    Beschluss der Comisión Nacional de los Mercados y la Competencia vom 21. Oktober 2022.
(77) ()    Vgl. entsprechend Urteil des Gerichts vom 1. Juli 2010, AstraZeneca AB und AstraZeneca plc/Europäische Kommission, T‑321/05, ECLI:EU:T:2010:266, Rn. 367: „eine solche missbräuchliche Anwendung des Patentsystems [würde] den Innovationsanreiz potenziell verringern, da dem marktbeherrschenden Unternehmen die Möglichkeit gegeben würde, seine Alleinstellung über den vom Gesetzgeber bestimmten Zeitraum hinaus aufrechtzuerhalten“.
(78) ()    Urteil des Gerichtshofs vom 30. Januar 2020, Generics (UK) u.a., C‑307/18, ECLI:EU:C:2020:52, Rn. 87.
(79) ()    Alle in diesem Bericht genannten Euro-Gegenwerte wurden anhand des durchschnittlichen Wechselkurses der Europäischen Zentralbank aus dem Jahr des Beschlusses der nationalen Wettbewerbsbehörde ermittelt.
(80) ()    Urteil des Competition Appeal Tribunal vom 10. Mai 2021. Die Herabsetzung wurde mit der Neuartigkeit des Falls sowie mit der Länge des zwischen den Verstößen und dem Beginn der Untersuchung liegenden Zeitraums begründet.
(81) ()    Beschluss der Competition and Markets Authority vom 12. Februar 2016.
(82) ()    Urteil des Gerichtshofs vom 30. Januar 2020, Generics (UK) Ltd, GlaxoSmithKline Plc, Xellia Pharmaceuticals ApS, Alpharma, LLC, Actavis UK Ltd. und Merck KGaA/Competition and Markets Authority, C‑307/18, ECLI:EU:C:2020:52.
(83) ()    Beschluss der Kommission vom 26. November 2020 in der Sache COMP/AT.39686, Cephalon.
(84) ()    Urteil des Gerichts vom 18. Oktober 2023.
(85) ()    Beschluss der Kommission vom 19. Juni 2013. Vgl. auch den Bericht über die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Arzneimittelsektor von 2019.
(86) ()    Beschluss der Kommission vom 9. Juli 2014.
(87) ()    Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 2018. Vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 14. Juli 2022.
(88) ()    Urteil des Gerichtshofs vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche Ltd und andere/Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato, C‑179/16, ECLI:EU:C:2018:25.
(89) ()    Vgl. auch den Bericht über die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Arzneimittelsektor von 2019: Plavix-Beschluss (Beschluss der Autorité de la concurrence vom 14. Mai 2013), Subutex-Beschluss (Beschluss der Autorité de la concurrence vom 18. Dezember 2013), Durogesic-Beschluss (Beschluss der Autorité de la concurrence vom 20. Dezember 2017) und Avastin Lucentis-Beschluss (siehe Kasten 11).
(90) ()    Urteil des Berufungsgerichts Paris (Cour d’appel de Paris) vom 11. Juli 2019.
(91) ()    Urteil der Handelskammer (Chambre commerciale) des Kassationsgerichts (Cour de cassation) vom 1. Juni 2022.
(92) ()    Beschluss der Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato vom 27. Februar 2014.
(93) ()    Urteil des Gerichtshofs vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche Ltd und andere/Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato, C‑179/16, ECLI:EU:C:2018:25.
(94) ()    Urteil des italienischen Staatsrats vom 15. Juli 2019.
(95) ()    Urteil des italienischen Staatsrats vom 8. Mai 2023.
(96) ()    Urteil des Gerichtshofs vom 7. Juli 2022, F. Hoffmann-La Roche Ltd und andere/Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato, C‑261/21, ECLI:EU:C:2022:534.
(97) ()    Beschluss der Autorité de la concurrence vom 9. September 2020.
(98) ()    Entscheidung des Berufungsgerichts Paris (Cour d’appel de Paris) vom 16. Februar 2023.
(99) ()    Beschluss der Autorité belge de la concurrence/Belgische Mededingingsautoriteit vom 23. Januar 2023.
(100) ()     https://www.acm.nl/en/publications/acm-closes-investigation-drug-manufacturer-abbvie-competitors-get-more-room-now
(101) ()     https://www.acm.nl/en/publications/drug-manufacturer-pfizer-discontinue-its-steering-pricing-structure-enbrel-following-discussions-acm  
(102) ()    Beschluss der Bundeswettbewerbsbehörde vom 2. April 2021.
(103) ()    Beschluss 91 des Consiliul Concurenței vom 16. Dezember 2019.
(104) ()    Beschluss 92 des Consiliul Concurenței vom 16. Dezember 2019.
(105) ()    Urteil des Gerichtshofs vom 14. Februar 1978, United Brands/Kommission, 27/76, ECLI:EU:C:1978:22, und Urteil des Gerichtshofs vom 14. September 2017, AKKA/LAA, C‑177/16, ECLI:EU:C:2017:689.
(106) ()    Beschluss der Kommission vom 10. Februar 2021.
(107) ()    Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 14. Februar 1978.
(108) ()    Beschluss der Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato vom 29. September 2016.
(109) ()    Urteil des Tribunale Amministrativo Regionale per il Lazio vom 26. Juli 2017.
(110) ()    Urteil des Consiglio di Stato vom 13. März 2020.
(111) ()    Beschluss der Konkurrence- og Forbrugerstyrelsen vom 31. Januar 2018.
(112) ()    Urteil des Konkurrenceankenævnet vom 29. November 2018.
(113) ()    Urteil des Sø- og Handelsretten vom 2. März 2020.
(114) ()    Beschluss der Autoriteit Consument en Markt vom 1. Juli 2021, Beschluss der Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato vom 31. Mai 2022 und Beschluss der Comisión Nacional de los Mercados y la Competencia vom 10. November 2022. Rechtsmittel gegen diese Beschlüsse sind weiterhin bei den zuständigen nationalen Gerichten anhängig. Am 20. Juli 2023 wurde der Beschluss der italienischen Wettbewerbsbehörde in erster Instanz vom regionalen Verwaltungsgericht bestätigt. Die belgische Wettbewerbsbehörde leitete ein Verfahren ein, beschloss dann jedoch, der weiteren Verfolgung des Falls keine Priorität einzuräumen.
(115) ()    Auf den dagegen eingelegten Widerspruch hin wurde die Geldbuße am 22. Juni 2023 auf 17 Mio. EUR herabgesetzt.
(116) ()    Urteil des Gerichtshofs vom 14. Februar 1978, United Brands/Kommission, C‑27/76, ECLI:EU:C:1978:22.
(117) ()    Beschluss der Competition and Markets Authority vom 7. Dezember 2016.
(118) ()    Urteil des Competition Appeal Tribunal vom 7. Juni 2018.
(119) ()    Gemäß Artikel 15 Absatz 3 der Verordnung 1/2003 kann die Kommission, sofern es die kohärente Anwendung der Artikel 101 oder 102 AEUV erfordert, aus eigener Initiative den Gerichten der Mitgliedstaaten schriftliche Stellungnahmen (Amicus-Curiae-Stellungnahmen) übermitteln. Mit Erlaubnis des betreffenden Gerichts kann sie auch mündlich Stellung nehmen.
(120) ()    Urteil des Competition Appeal Tribunal vom 10. März 2020.
(121) ()    Beschluss der Competition and Markets Authority vom 21. Juli 2022. Die Berufung gegen diesen Beschluss ist zurzeit beim Competition Appeal Tribunal anhängig.
(122) ()    Beschluss des Consiliul Concurenței vom 20. Dezember 2021.
(123) ()    Beschluss der Autoridade da Concorrência vom 15. November 2022.
(124) ()    Beschluss der Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato vom 3. Dezember 2021.
(125) ()    Beschluss der Konkurencijos tarybą vom 9. Dezember 2022.
(126) ()    Beschluss der Autorité belge de la concurrence/Belgische Mededingingsautoriteit vom 18. Februar 2022.
(127) ()    Beschluss der Comisión Nacional de los Mercados y la Competencia vom 2. Februar 2021.
(128) ()    Beschluss der Competition and Markets Authority vom 4. März 2020 (Informationsaustausch). Dieser Beschluss wurde im Berufungsverfahren vom Competition Appeal Tribunal bestätigt.
(129) ()    Beschluss der Competition and Markets Authority vom 4. März 2020 (Marktaufteilung).
(130) ()    Vergleichsbeschluss der Competition and Markets Authority vom 3. Oktober 2019 und Beschluss vom 9. Juli 2020 zur Feststellung einer Zuwiderhandlung.
(131) ()    Beschluss der Autorité belge de la concurrence/Belgische Mededingingsautoriteit vom 26. März 2021. 2021 erließ die belgische Wettbewerbsbehörde den abschließenden Beschluss, mit dem die Geldbuße auf 245 000 EUR festgesetzt wurde.
(132) ()    Beschluss der Autorité belge de la concurrence/Belgische Mededingingsautoriteit vom 16. Oktober 2019.
(133) ()    Beschluss der Wettbewerbsbehörde Επιτροπή Προστασίας Tού Ανταγωνισμού vom 2. Dezember 2020.
(134) ()    Beschluss der Competition and Markets Authority vom 18. Dezember 2020.
(135) ()    Die Kommission hat in mehreren Beschlüssen auf die Gleichwertigkeit von Generika hingewiesen, beispielsweise in der Sache M.7559, Pfizer/Hospira.
(136) ()    Dies sind die sogenannten „nicht koordinierten oder unilateralen“ Preiseffekte.
(137) ()    Die Kommission hat eine Studie zur Untersuchung der Auswirkungen von Fusionen und Übernahmen auf die Innovation im Arzneimittelsektor in Auftrag gegeben. Die Veröffentlichung der Ergebnisse dieser Studie ist für 2019 geplant.
(138) ()     https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_22_3882  
(139) ()    Verordnung (EU) Nr. 1217/2010 der Kommission vom 14. Dezember 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung (ABl. L 335 vom 18.12.2010, S. 36).
(140) ()    Verordnung (EU) 2023/1066 der Kommission vom 1. Juni 2023 über die Anwendung des Artikels 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung (ABl. L 143 vom 2.6.2023).
(141) ()    Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit (ABl. C 259 vom 21.7.2023).
(142) ()    Zu den möglichen Auswirkungen eines Zusammenschlusses auf Innovationen siehe insbesondere die Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (2004/C 31/03), Rn. 38.
(143) ()    In der Praxis untersucht die Kommission, ob es auf vier Ebenen aus wettbewerblicher Sicht Überschneidungen zwischen den Tätigkeiten der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen gibt: i) ob die von ihnen vermarkteten Produkte miteinander konkurrieren, ii) ob die von dem einen Unternehmen vermarkteten Produkte mit den in Entwicklung befindlichen Medikamenten des anderen Unternehmens konkurrieren, iii) ob die Pipeline-Medikamente der Unternehmen miteinander konkurrieren und iv) inwieweit sich die FuE-Kapazitäten allgemein überschneiden. In letzter Zeit hat die Kommission Fälle untersucht, in denen es um Medikamente ging, die sich noch in einer frühen Entwicklungsphase bzw. sogar, soweit angemessen, in der präklinischen Phase befanden (siehe beispielsweise die Fälle M.9294 BMS/Celgene, M.10165 AstraZeneca/Alexion, M.10629 CSL/Vifor).
(144) ()    COMP/2021/OP/0002 – Ex-Post-Bewertung: Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts und Übernahme innovativer Wettbewerber in der Pharmabranche mit der Folge, dass sich überschneidende Arzneimittelforschungs- und ‑entwicklungsprojekte eingestellt werden. Der Abschlussbericht der Studie wird am 30. Januar 2024 veröffentlicht.
(145) ()    Sache M.10939, Illumina/Grail (Wiederherstellungsmaßnahmen nach Artikel 8 Absatz 4 Buchstabe a).
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