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Document 52023AE1572

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Dekarbonisierung der Fischereiflotte“ (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des spanischen Ratsvorsitzes)

    EESC 2023/01572

    ABl. C 349 vom 29.9.2023, p. 41–49 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    29.9.2023   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 349/41


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Dekarbonisierung der Fischereiflotte“

    (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des spanischen Ratsvorsitzes)

    (2023/C 349/08)

    Berichterstatter:

    Javier GARAT PÉREZ

    Befassung

    Schreiben des spanischen Ratsvorsitzes, 30.1.2023

    Rechtsgrundlage

    Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

    Zuständige Fachgruppe

    Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

    Annahme in der Fachgruppe

    28.6.2023

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    38/6/1

    Verabschiedung im Plenum

    12.7.2023

    Plenartagung Nr.

    580

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    155/0/0

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Strategie für die Energiewende im Fischerei- und Aquakultursektor der EU (1). Der EWSA erkennt an, dass die CO2-Emissionen gesenkt werden müssen und setzt sich entschieden dafür ein, nachhaltige, erneuerbare und wirtschaftlich tragfähige Energiealternativen zu finden und die Energieabhängigkeit von Drittländern zu verringern. Der EWSA fordert die Gesellschaft, die Unternehmen und insbesondere den Fischereisektor auf, zur Verwirklichung der Klimaneutralität bis 2050 beizutragen.

    1.2.

    Der EWSA weist darauf hin, dass die Fischwirtschaft ihren Teil zur Eindämmung der Auswirkungen des Klimawandels beiträgt, da Fischer eines der gesündesten tierischen Eiweiße mit einem besonders geringen CO2-Fußabdruck bereitstellen. Den Daten der UNCTAD zufolge machen die Emissionen der Branche im Jahr 2023 zwischen 0,1 % und 0,5 % der weltweiten Gesamtemissionen aus; die europäische Flotte insbesondere hat ihre Emissionen seit 1990 um 50 % gesenkt (2). Die Fischerei ist für die Gesellschaft daher eine strategisch wichtige Branche, die für die Versorgung der Bevölkerung und die Förderung einer gesunden Ernährung eine entscheidende Rolle spielt. Der EWSA fordert jedoch, weitere Anstrengungen zur Erhöhung der Energieeffizienz und zur Verringerung der Emissionen zu unternehmen.

    1.3.

    Der EWSA fordert einen angemessenen und realistischen Zeitplan für die Dekarbonisierung, bei dem technologischen, logistischen und legislativen Entwicklungen Rechnung getragen wird. Ohne weitere Maßnahmen ist mit einem unverhältnismäßig hohen Anstieg der Kosten (die nicht auf den Verkaufspreis von Fisch abgewälzt werden können, da Fisch sonst zu einem Luxusgut würde), Geschäftsverlusten, prekären Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitslosigkeit zu rechnen. Die Kosten des Übergangs müssen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in den verschiedenen Branchen der maritimen Wirtschaft tragbar sein und es darf niemand zurückgelassen werden.

    1.4.

    Der EWSA erkennt an, dass die Entwicklung und weltweite Verfügbarkeit alternativer und innovativer grüner Technologien, neuer Kraftstoffe und CO2-neutraler Energiequellen die größte Herausforderung für den Fischereisektor darstellt. Die Entwicklung dieser Kraftstoffe und der notwendigen Infrastruktur sind für die Verwirklichung der Dekarbonisierung äußerst wichtig. Der EWSA betrachtet die Hybridisierung als Zwischenlösung, auch wenn sie keine sofortige Aufgabe fossiler Brennstoffe bedeutet.

    1.5.

    Der EWSA betont, dass den europäischen und nationalen Verwaltungen eine ganze Reihe von Energielösungen zur Bewältigung der klimapolitischen Herausforderungen zur Verfügung steht. Derzeit werden 100 % der Fischereifahrzeuge mit Diesel betrieben. Fachleuten zufolge stellen erneuerbare, kohlenstoffarme Kraftstoffe, die nicht aus Pflanzen gewonnen werden, kurzfristig die am besten umsetzbare Alternative für den Ausstieg des Fischereisektors aus fossilen Brennstoffen dar. Allerdings sind die Preise dieser Kraftstoffe im Vergleich zu den Preisen für Dieselkraftstoff heute fast doppelt so hoch und die Kraftstoffe sind nach wie vor nur in sehr geringem Umfang verfügbar. Da der Luftverkehr mit der Entwicklung nachhaltiger Flugkraftstoffe einen eigenen Weg beschreitet und andere Technologien wie Wasserstoff und Strom für Branchen wie die Schifffahrt bzw. den Straßenverkehr besser geeignet sind als für Fischereifahrzeuge, fordert der EWSA ein klares politisches Signal, mit dem der Fischerei bei diesen Ersatzkraftstoffen Vorrang vor den erstgenannten Branchen eingeräumt wird. Er unterstreicht, dass die ehrgeizigen Ziele des europäischen Grünen Deals und des Pakets „Fit für 55“ nicht erreicht werden können, solange keine alternativen Kraftstoffe entwickelt werden (3).

    1.6.

    Nach Ansicht des EWSA gehen die enormen Kosten der Dekarbonisierung einer schwer elektrifizierbaren Branche wie der Fischerei weit über die Möglichkeiten der europäischen Finanzierung hinaus. Die Herausforderung wird darin bestehen, den Fischereisektor und seinen Beitrag zur Ernährungssicherheit zu erhalten. Institutionelle Unterstützung und gezielte Finanzierungs- und Darlehensmaßnahmen, die alle Mitgliedstaaten und ihre Flotten erreichen, müssen vorgesehen werden. Der EWSA ist in diesem Zusammenhang besorgt über die derzeitigen Einschränkungen beim Europäischen Meeres-, Fischerei- und Aquakulturfonds (EMFAF), der, wie die Kommission selbst eingeräumt hat, nicht zur Umsetzung der Energiewende verwendet werden kann. Darüber hinaus fordert der EWSA, zur Bewältigung der Kosten andere Finanzierungsquellen, wie die Europäische Investitionsbank, zu prüfen, die Zolleinnahmen aus dem CO2-Grenzausgleichsystem zu nutzen und Mittel aus der Energiebesteuerung bereitzustellen und dem Fischereisektor zuzuweisen. Der EWSA weist darauf hin, dass das Durchschnittsalter der Flotte in Europa 31,5 Jahre (4) beträgt, und fordert die Europäische Kommission auf, die Einrichtung eines Nothilfefonds vorzuschlagen, mit dem die Dekarbonisierung beschleunigt wird. Ferner fordert der EWSA eine stärkere Komplementarität zwischen den bestehenden Maßnahmen, dem Kohäsionsfonds und dem Fonds für regionale Entwicklung, um den gezielten Einsatz der Mittel zu unterstützen und einen Wettbewerb zwischen den Regionen zu verhindern.

    1.7.

    Der EWSA stellt fest, dass für den Umstieg auf eine andere Energiequelle völlig neu konstruierte Schiffe mit einer höheren Ladekapazität („Bruttoraumzahl“) zum Einbau neuer Maschinen benötigt werden. Durch die in der Gemeinsamen Fischereipolitik vorgesehenen Definitionen und Obergrenzen der Fangkapazität wird diese Entwicklung jedoch behindert. Der EWSA fordert die Europäische Kommission daher auf, die Definition der Fangkapazität zu überprüfen, um neue Technologien der Energiewende nutzen zu können.

    1.8.

    Der EWSA fordert, dass die EU so lange keine Steuern auf den bei Fangtätigkeiten verwendeten Kraftstoff (d. h. Diesel) einführt, bis neue Antriebstechnologien kommerziell verfügbar sind und der Rechtsrahmen die Modernisierung, den Einsatz und die Nutzung dieser Technologien ermöglicht.

    1.9.

    Der EWSA beglückwünscht die Kommission zu dem Vorschlag, eine neue multilaterale Partnerschaft für die Energiewende ins Leben zu rufen. Seines Erachtens müssen nicht nur der Fischereisektor, sondern auch Gewerkschaften, Techniker, Werften, Ingenieure und Häfen angehört werden, um konkrete, praktische und nachhaltige Lösungen zu finden. Der EWSA fordert einen umfassenden Plan zur Stärkung der europäischen Kapazitäten für den Bau umweltfreundlicher Fischereifahrzeuge, der eine besonders günstige steuerliche Behandlung der Werften vorsehen sollte.

    1.10.

    Der EWSA fordert insbesondere, Pilotprojekte für neue Energiequellen zu fördern, innovative Wertschöpfungsketten vom Meer zur Industrie einzurichten, den Nutzern unbekannte Technologien näher zu bringen, durch die Entwicklung einer neuen Industrietätigkeit nachhaltige Arbeitsplätze zu schaffen und die Kreislaufwirtschaft zu stärken. Der EWSA fordert überdies, Mittel für die Schulung der Besatzung vorzusehen, damit neue Technologien an Bord sicher und wirksam eingesetzt werden können. Die Folgen des Übergangs können nur dann gerecht bewältigt werden, wenn verhindert wird, dass sie Arbeitnehmer oder Unternehmen unverhältnismäßig belasten.

    1.11.

    Der EWSA möchte die Gelegenheit dieser Sondierungsstellungnahme nutzen, um das Problem der Dekarbonisierung in einem breiteren strategischen Rahmen zu behandeln. Im letzten Kapitel wird eine Zukunftsvision für einen nachhaltigen Fischereisektor der EU entworfen, die als Richtschnur für die künftige Arbeit des EWSA dienen soll.

    2.   Hintergrund

    2.1.

    Am 21. Februar 2023 veröffentlichte die Europäische Kommission die Strategie für die Energiewende im Fischerei- und Aquakultursektor der EU. In der Strategie wird die Notwendigkeit hervorgehoben, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern und im Einklang mit dem Ziel des europäischen Grünen Deals, bis 2050 Klimaneutralität in der EU zu erreichen, möglichst rasch auf erneuerbare und kohlenstoffarme Energiequellen umzusteigen.

    2.2.

    Die Kommission stellt fest, dass die Energie mit den größten Anteil an den Betriebskosten des Fischerei- und Aquakultursektors der EU hat. Der Anstieg der Energiepreise führte dazu, dass sich die Preise für Schiffsdiesel im Jahr 2022 gegenüber den Durchschnittspreisen von 2021 mehr als verdoppelten, sodass die Rentabilität von Flotten- und Aquakulturtätigkeiten in der EU einem enormen Druck ausgesetzt wurde. Angesichts dessen waren rund 40 % der Küstenfischereiflotte, 66 % der Hochseeflotte und 87 % der Fernfischereiflotte auf dem Energiepreisniveau von 2022 nicht rentabel. Infolgedessen war ein Großteil des Fischerei- und Aquakultursektors auf die finanzielle Unterstützung durch die EU-Mitgliedstaaten und die auf EU-Ebene bereitgestellten Finanzinstrumente angewiesen, um den Betrieb fortsetzen zu können.

    2.3.

    Die Europäische Kommission hebt in diesem Zusammenhang die Anfälligkeit des Fischerei- und Aquakultursektors der EU hervor. Um diese Situation zu ändern, werden in der Mitteilung mehrere Aktionsbereiche vorgeschlagen:

    innovative Technologien und Verfahren für die Energiewende;

    Festlegung eines für die Energiewende geeigneten Rechts- und Finanzrahmens für die Fischerei;

    Ermittlung und Bewältigung der Herausforderungen und Hindernisse der Energiewende;

    Förderung der Energiewende im Fischereisektor: Einrichtung von Plattformen und Durchführung von Studien.

    3.   Allgemeine Bemerkungen

    Emissionen

    3.1.

    Der EWSA unterstützt die Verpflichtung, bis 2050 CO2-Neutralität zu erreichen, und betont, dass die Energiewende und die Dekarbonisierung des Fischereisektors beschleunigt werden müssen. Die Energiewende muss ausgewogen sein, damit die Kosten für die Nachrüstung so auf alle Betreiber verteilt werden, dass die Funktionsfähigkeit nicht beeinträchtigt wird. Darüber hinaus muss sie machbar sein und den Besonderheiten der Flotte (insbesondere Größe und Betrieb der Schiffe) Rechnung tragen, damit in die Produktionsstruktur neue Technologien für den Einsatz neuer Antriebsmethoden aufgenommen werden können.

    3.2.

    Die Treibhausgasemissionen aus dem Seeverkehr haben zwar in den vergangenen Jahren weltweit zugenommen, die Emissionen der EU-Fischereiflotte sind jedoch dank der verbesserten Energieeffizienz (siehe Beispiele unter Ziffer 4.11 und 4.12) und der geringeren Flottengröße um bis zu 50 % (5) zurückgegangen. Was die Flottengröße angeht, so belief sich die Zahl der EU-Schiffe trotz der Erweiterungen der EU im Jahr 2020 auf 73 716 (6) gegenüber 103 834 im Jahr 1996, das heißt 30 000 weniger Fischereifahrzeuge innerhalb von 25 Jahren; lediglich 56 111 Schiffe waren im Einsatz befindlich (75 % unter 12 Meter Länge). Im weltweiten Vergleich gingen die Zahlen in Europa angesichts einer weltweiten Fischereiflotte von schätzungsweise 4,1 Mio. Schiffen im Jahr 2020 noch stärker zurück (7). Schätzungen zufolge verfügt China mit 564 000 Schiffen über die weltweit größte Fischereiflotte. Was die Fischereiproduktion betrifft, so entfielen im Jahr 2020 fast 15 % der weltweiten Fänge auf China, auf die EU hingegen 4 %. Angesichts dessen ist es äußerst wichtig, eine moderne und wettbewerbsfähige europäische Fischereiflotte aufrechtzuerhalten.

    3.3.

    Um die Fortschritte bei der Verringerung der CO2-Emissionen der Flotte zu bewerten, muss nach Ansicht des EWSA ein Bezugsjahr festgelegt werden, das die Branche nicht benachteiligt und mit dem ihre Bemühungen anerkannt werden und das Erreichen der Klimaneutralität weiter vorangetrieben wird. Der EWSA erkennt die Fortschritte an, die die EU-Flotte seit 1990 auf dem Weg zur Klimaneutralität erreicht hat. Durch die Festlegung der Jahre 2005 oder 2008 als Bezugsjahr für die Verringerung der Emissionen des Fischereisektors würden die erreichten Fortschritte seines Erachtens nicht anerkannt und die Branche angesichts der Besonderheiten und Zwänge der Fischwirtschaft benachteiligt.

    Umstellung auf erneuerbare sowie CO2-arme oder CO2-freie Energiequellen

    3.4.

    Der Fischereisektor ist voll und ganz von fossilen Brennstoffen abhängig, daher müssen alle Lösungen mittel- bis langfristig in Erwägung gezogen werden. Angesichts der Notwendigkeit, den Klimawandel zu bekämpfen und den technologischen Fortschritt in anderen Sektoren zu nutzen, muss jedoch unverzüglich nach Lösungen für den Fischereisektor gesucht werden; dies sollte durch einen Nothilfefonds zur Beschleunigung der Dekarbonisierung unterstützt werden.

    3.5.

    Der EWSA nennt als kurzfristig realistischere Maßnahmen kombinierte Lösungen wie die Einführung von Hybridmotoren, den ergänzenden oder unterstützenden Einsatz bestehender, erneuerbarer Technologien (Sonnen- und Windenergie, Strom) sowie die Verwendung moderner alternativer (nicht aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen erzeugter) Kraftstoffe.

    3.6.

    Er hebt in diesem Zusammenhang erneuerbare, kohlenstoffarme Kraftstoffe wegen ihrer Kompatibilität mit konventionellen Verbrennungsmotoren sowie mit bestehenden Versorgungssystemen und deren Produktion hervor. Sie können zudem über vorhandene Industrieanlagen wie Raffinerien verteilt werden. Überdies stärken sie die Energieunabhängigkeit Europas, da für ihre Herstellung heimische Rohstoffe verwendet werden — im Gegensatz zu Erdöl oder Mineralien, die für die Batterieproduktion benötigt werden. Diese Kraftstoffe bieten auch gute Möglichkeiten für die Schaffung von Arbeitsplätzen und industriellem Wohlstand und können entscheidend zum wirtschaftlichen Aufschwung in Europa beitragen. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass erneuerbare, kohlenstoffarme Kraftstoffe derzeit teurer sind als Dieselkraftstoff und nach wie vor nur in sehr geringem Umfang zur Verfügung stehen.

    3.7.

    Der EWSA betont, dass die Preise einiger der neuen alternativen Antriebsquellen, wie Strom, bereits vor der grundlosen Invasion Russlands in die Ukraine gestiegen sind. Die EU muss daher bedenken, dass die Umstellung von fossilen Brennstoffen auf andere erneuerbare Energiequellen nicht immer zu geringeren Kosten führen wird.

    Notwendige Flottenerneuerung und Bedarf an geeigneten Finanzierungsmechanismen

    3.8.

    Abgesehen von Wissens- und Innovationlücken, die geschlossen werden müssen, wird die Entwicklung der bestehenden europäischen Fischereiflotte durch einen weiteren Faktor behindert, nämlich das Durchschnittsalter der Schiffe von über 30 Jahren. Daher können die Reedereien einen Großteil der möglichen Investitionen in die Modernisierung nicht planen. Nach Ansicht des EWSA ist ein reiner Motorwechsel bei derart alten Schiffen weder ausreichend noch machbar. Daher muss ein Plan für die Erneuerung der EU-Flotte aufgestellt werden, mit dem die Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Fischerei mit modernen Schiffen des 21. Jahrhunderts abgeschlossen werden kann. Diese Strategie würde auch dazu beitragen, die sozioökonomischen Perspektiven der Flotte zu verbessern.

    3.9.

    Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, einen speziellen Leitfaden und eine Datenbank zu EU-Fördermitteln und Finanzierungsinstrumenten für die Energiewende zu entwickeln. Im Rahmen des EU-Programms „Horizont Europa“ gibt es derzeit jedoch keine spezielle Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen für die Fischerei. Darüber hinaus sind die Finanzierungsmöglichkeiten im Rahmen des neuen EMFAF stark eingeschränkt, da lediglich geringe Fördersätze für Investitionen in die Flotte vorgesehen sind und Subventionen von der Größe der Schiffe abhängen (z. B. sind die Maßnahmen zur Finanzierung des Austauschs von Motoren auf Schiffe unter 24 Metern begrenzt). Zudem ist die Finanzierung stark von Faktoren wie dem Gleichgewicht der Flotte, ordnungsgemäßem Verhalten und der Fangkapazität abhängig, die bedauerlicherweise weiterhin nur unzureichend gemessen wird. Vor diesem Hintergrund hält es der EWSA für wesentlich, einen speziellen Fonds und Kreditlinien für die Modernisierung und Erneuerung der Flotte einzurichten.

    Hindernisse bei der Energiewende

    3.10.

    In der Regel benötigen alternative Energiequellen mehr Raum und stellen eine zusätzliche Gefahr für die Sicherheit an Bord dar. Im Gegensatz zur Schifffahrtsindustrie bestehen in der Fischerei in der EU jedoch Kapazitätsbeschränkungen für die Bruttoraumzahl, dies macht es noch schwieriger, auf Schiffen neue Technologien einzuführen und Investitionen zu tätigen. Auf Schiffen der handwerklichen Fischerei ist der Einsatz bestimmter Dekarbonisierungstechnologien noch problematischer.

    3.11.

    Die unzureichende Definition der Fangkapazität im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) erschwert nicht nur allgemein die Modernisierung der Flotte und die Einführung neuer Technologien, sondern auch Verbesserungen im sozialen Bereich und bei der Sicherheit. Der Raum an Bord, der für Kombüse, Kabinen, Toiletten oder Freizeitbereiche bestimmt ist und nichts mit den Kapazitäten für den Fang oder die Lagerung von Fisch zu tun hat, wird derzeit bei der Berechnung der Fangkapazität berücksichtigt. Die GFP steht eindeutig im Widerspruch zu den Anforderungen, die in der Sozialgesetzgebung (8), wie etwa im IAO-Übereinkommen Nr. 188 über die Arbeit im Fischereisektor, festgelegt sind.

    3.12.

    Nach Ansicht des EWSA sollten diese Faktoren in der Strategie für die Energiewende berücksichtigt und sollte daher eine Überprüfung der Messung der Kapazität vorgeschlagen werden, um die Einführung neuer Technologien und die Modernisierung der Flotte zu ermöglichen. Als neue Messgrößen könnten die „Nettotonnage“ oder die in Norwegen und Island verwendeten Formeln verwendet werden, bei denen die Freizeit- und Ruhebereiche der Arbeitnehmer abhängig von der zugeteilten Quote oder der Größe des Schiffes bei der Berechnung ausgeschlossen werden. Im Rahmen dieser Überprüfung könnten auch notwendige Verbesserungen der Wohnbedingungen vorgesehen werden, um den Sektor für jüngere Arbeitnehmer attraktiver zu machen, die Kluft zwischen den Generationen zu überwinden und die Einbeziehung von Frauen in den Fischereisektor zu erleichtern.

    Besteuerung herkömmlicher Kraftstoffe

    3.13.

    Da der Neubau von Schiffen ein wirtschaftliches Risiko für die Schiffseigner in der EU darstellen wird, fordert der EWSA die Annahme von Maßnahmen, die den Schifffahrtsunternehmen Rechtssicherheit bieten. Die Einführung neuer Steuern auf konventionelle Fischereikraftstoffe (Diesel) muss verschoben werden, bis neue Antriebs- und Kraftstofftechnologien auf dem Markt verfügbar sind und die rechtlichen Rahmenbedingungen für die erforderlichen Sanierungen bestehen; anderenfalls würde die Branche benachteiligt.

    Partnerschaft für die Energiewende in der Fischerei und Aquakultur der EU

    3.14.

    Der Branche werden weder von Technologieanbietern noch von politischen Entscheidungsträgern Leitlinien dazu an die Hand gegeben, welche Richtung sie bei der Dekarbonisierung einschlagen sollte. Der EWSA begrüßt daher die Initiative der Kommission, ein Team von Fachleuten einzusetzen, das zu verschiedenen verfügbaren Alternativen, künftigen Entwicklungen, Marktentwicklungen usw. berät. Besonders wichtig wäre es, die Technologien zu ermitteln, die für jedes Flottensegment und jede Region am besten geeignet sind, da möglicherweise verschiedene Energiequellen miteinander kombiniert werden müssen. Darüber hinaus wären Informations- und Sensibilisierungskampagnen für die Kette vom Meer zur Industrie sinnvoll, um Anreize für die Dekarbonisierung zu schaffen.

    Blaue Wirtschaft

    3.15.

    Zur blauen Wirtschaft gehören alle vom Meer abhängigen Wirtschaftstätigkeiten. Die einzelnen Zweige der blauen Wirtschaft (Fischerei, Biotechnologie, Schifffahrt, Seeverkehr, Aquakultur, Werften, Lieferkette, Logistik und Verkehr) stehen miteinander in Wechselwirkung, da sie sich auf dieselben Fähigkeiten und eine gemeinsame Infrastruktur (Häfen, Logistiknetze und Stromnetze) stützen und auf die nachhaltige Nutzung der Meeresressourcen ausgerichtet sind. Der EWSA betont, dass eine ganzheitliche Dekarbonisierungsstrategie erforderlich ist, bei der Synergien zwischen den verschiedenen Gliedern der Kette gefunden werden müssen. Darüber hinaus fordert er angemessene personelle Ressourcen und Kompetenzen für die Konzeption, den Bau und den Betrieb moderner Schiffe. Die Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte ist unverzichtbar.

    4.   Besondere Bemerkungen

    Moderne Kraftstoffe

    4.1.

    Der EWSA unterstreicht, dass moderne, nicht aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen erzeugte Kraftstoffe im Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft, die Bekämpfung der Landflucht an den Küsten und fraglos auch die Stärkung der Energieunabhängigkeit der EU Potenzial besitzen. Entsprechend den Zielen der EU für die CO2-Neutralität können die Netto-CO2-Emissionen dieser alternativen Kraftstoffe bei ihrer Verbrennung im Motor auf Null sinken, wenn sie unter Nutzung von Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden.

    4.2.

    Die Kommission beschränkt aus verschiedenen Gründen die Verwendung aus Pflanzen gewonnener Biokraftstoffe, der EWSA hat dies in mehreren Stellungnahmen begrüßt. Es gibt jedoch keine klare Strategie für die Entwicklung und Einführung alternativer Kraftstoffe, was nicht nur für den Fischereisektor, sondern auch für andere Branchen wichtig wäre. Zudem werden keine Prioritäten in Hinblick darauf gesetzt, welche der schwer zu dekarbonisierenden Branchen (zu denen die Fischerei gehört) vorrangig Zugang zu diesen Kraftstoffen haben sollten. Dies erschwert den Einsatz des Fischereisektors für eine möglichst rasche Dekarbonisierung. Der EWSA weist darauf hin, dass erneuerbare, kohlenstoffarme Kraftstoffe bei der Dekarbonisierung schwer elektrifizierbarer Sektoren wie der Fischerei eine sinnvolle Option darstellen. Moderne alternative Kraftstoffe, die nicht aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen erzeugt werden, werden wegen ihrer Knappheit und der anspruchsvolleren Technologie noch teurer sein. Wie der EWSA bereits festgestellt hat (9), muss der Preisunterschied zwischen fossilen und alternativen Kraftstoffen daher verringert werden; die saubereren Kraftstoffe müssen erschwinglicher und breiter verfügbar werden.

    4.3.

    Der EWSA weist darauf hin, dass die derzeit verfügbaren Bio-Dieselkraftstoffe aus Pflanzen (Palmöl, Raps, Soja und Sonnenblumen) hergestellt werden, die nicht für eine vollständige Dekarbonisierung geeignet sind; zudem gibt es nicht genügend Rohstoffe. Die (noch nicht verfügbare) Lösung bestünde darin, den derzeitigen Dieselkraftstoff mit zunehmenden Mengen an E-Diesel, einem synthetischen Kraftstoff aus elektrolytischem grünem Wasserstoff und abgeschiedenem CO2, zu mischen. Diese E-Fuels werden aus Kohlendioxid hergestellt, das zuvor aus der Atmosphäre oder bei industriellen Prozessen abgeschieden wurde, bei denen CO2 entsteht, bevor es freigesetzt wird.

    4.4.

    Anfänglich werden nachhaltige moderne Kraftstoffe nicht in ausreichenden Mengen hergestellt werden, um die Nachfrage der Fischwirtschaft decken zu können. Schätzungen zufolge werden im Jahr 2050 50 Mio. Tonnen weltweit zur Verfügung stehen (der Seeverkehr verbraucht derzeit rund 300 Mio. Tonnen, der Schwerlastverkehr etwa 900 Mio. Tonnen). Bis dahin dürften Lastkraftwagen jedoch elektrifiziert sein, sodass die gesamte Menge voraussichtlich für den Seeverkehr verwendet werden kann. Im Jahr 2020 verbrauchte der Fischereisektor in Europa rund 1 900 Mio. Liter Schiffsdiesel. Es müssen politische Entscheidungen getroffen werden, um hier Prioritäten zu setzen.

    4.5.

    Der EWSA fordert daher die beschleunigte Entwicklung und Herstellung moderner, nicht aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen erzeugter Kraftstoffe (10) und eine klare politische Entscheidung, mit der Fischereifahrzeugen vorrangig Zugang zu diesen modernen Kraftstoffen zu einem erschwinglichen Preis gewährt wird.

    Alternativen zur Dekarbonisierung: alternative Antriebssysteme

    4.6.

    Weltweit wurden verschiedene Energieinitiativen auf den Weg gebracht; bei den meisten handelt es sich jedoch um Pilotprojekte, deren Einführung und Nutzung im Fischereisektor mit Herausforderungen verbunden ist. Eine weitere, noch zu bewältigende Herausforderung besteht darin, dass die Infrastruktur in Europa und in Fischereihäfen in Drittländern ausgebaut werden muss, um Fischereifahrzeuge ähnlich wie Landfahrzeuge aufladen zu können. In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA Pilotprojekte für die Offshore-Ladung durch die Nutzung von Offshore-Bojen oder Offshore-Windparks (11). Auf diese Weise können Elektro- oder Hybridschiffe ihre Batterien aufladen, ohne einen Hafen ansteuern zu müssen.

    4.7.

    Flüssigerdgas (LNG) kann bereits als Schiffskraftstoff eingesetzt werden, da es produziert wird und die entsprechende Infrastruktur, insbesondere in Europa, vorhanden ist. Aus einer aktuellen Studie (12) geht jedoch hervor, dass LNG-Motoren pro Motoreinheit zwar 25 % weniger CO2 ausstoßen als Diesel, das Gas jedoch weitgehend aus Methan besteht, dessen Treibhauseffekt deutlich höher ist als der von CO2. In der Studie wird geschätzt, dass durch die Verwendung von LNG über einen Zeitraum von 100 Jahren lediglich 15 % an Treibhausgasemissionen eingespart würden; LNG ist daher ein wichtiger Schritt nach vorne, kann aber langfristig nicht als endgültige Lösung betrachtet werden. Darüber hinaus müsste es mit Biomethan und E-Methan — knappen und teuren Kraftstoffen — vermischt werden. Die Tanks sind dreimal größer als normale Tanks und an Deck installiert, dies führt zu Kapazitäts- und Sicherheitsproblemen.

    4.8.

    Ammoniak stellt zwar als Antriebsmittel keine tragfähige Alternative dar, hat aber nach Ansicht des EWSA dennoch Bedeutung für den Dekarbonisierungsprozess. Ammoniakkühlung wird bei großen Fischereifahrzeugen umfassend eingesetzt, insbesondere bei Fahrzeugen, die ihre Fänge an Bord tiefgefrieren oder verarbeiten. Diese Energiequelle ist umweltfreundlich, da sie keine bekannten Auswirkungen auf die Ozonschicht hat. Es ist jedoch ein Gas, weshalb die Sicherheit an Bord von Fischereifahrzeugen verstärkt und Leckagen verhindert werden müssen.

    4.9.

    Der Einsatz von Wasserstoff (H2) scheint im Fischereisektor ebenfalls nicht realisierbar zu sein und ist selbst bei Handelsschiffen problematisch. Dies ist vor allem darin begründet, dass die Lagertanks viermal größer sein müssten als bei fossilen Brennstoffen. Dennoch sollten Wasserstoff-Brennstoffzellen-Motoren besonders erwähnt werden. Es handelt sich dabei um eine elektrochemische Anlage, die chemische Energie direkt in elektrische Energie umwandelt. Das dabei stattfindende elektrochemische Verfahren ist äußerst effektiv und hat minimale Umweltauswirkungen, insbesondere, wenn für die Elektrolyse (die Energie benötigt) Solar- oder Windenergie genutzt wird. Nach Ansicht des EWSA sollten die Möglichkeiten geprüft werden, diese Technologie für Fischereifahrzeuge zu entwickeln und sie an Bord als Hilfsenergie einzusetzen.

    4.10.

    Im Hinblick auf neu gebaute Schiffe spricht sich der EWSA dafür aus, Lösungen zu prüfen und umzusetzen, die für Handelsschiffe anwendbar sind. So könnte Methanol beispielsweise in Zweistoffmotoren eingesetzt werden, dabei würde Diesel verwendet und Methanol beigemischt, sobald grünes Methanol verfügbar ist. Weitere mögliche Technologien und Bereiche für Verbesserungen sind segelunterstützte Fischereifahrzeuge, eine verbesserte Hydrodynamik, verbesserte Energiesysteme, so durch den Umstieg von mechanischen/hydraulischen Mechanismen auf elektrische Mechanismen, sowie Leichtbau und Leicht-Werkstoffe (z. B. nichtmetallische Scherbretter).

    4.11.

    Die Fischwirtschaft arbeitet seit Jahrzehnten mit der Wissenschaft zusammen, um die Konstruktion und Effizienz von Fanggeräten zu verbessern. Mit vielen innovativen Fangtechniken wurden bereits große technische Fortschritte erzielt, indem die Selektivität erhöht, der Kontakt zum Meeresboden oder der Widerstand bei der Navigation verringert und der Kraftstoffverbrauch gesenkt wurden (13). Ein Beispiel für innovative Fanggeräte sind halbpelagische Scherbretter, die zwei bis fünf Meter über dem Grund eingesetzt werden und dadurch keinen Kontakt mit dem Meeresboden haben. Diese Technik hat deutlich geringere Auswirkungen auf benthische Ökosysteme und senkt die Zahl der unbeabsichtigten Fänge. Die neue Technologie verringert auch den Kraftstoffverbrauch und damit die Umweltverschmutzung und Treibhausgasemissionen.

    4.12.

    Der EWSA weist darauf hin, dass die Verringerung des ökologischen Fußabdrucks der Fischerei nicht nur von Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Antriebssystem abhängen wird. Die EU sollte deshalb in neue gewerbliche Verwendungszwecke von Meereserzeugnissen (Arzneimittel, Kosmetika usw.) investieren, um den gefangenen Fisch bestmöglich zu nutzen. Parallel dazu sollte die EU Anreize für Unternehmen schaffen, recycelbare Materialien zu erwerben, kreislauforientierte Initiativen zur Wiederverwendung von Abfällen an Bord von Schiffen fördern und Programme für die Sammlung von Abfällen im Meer wie „Fishing for Litter“ (14) finanzieren. Die Verbesserung des Zustands der Fischbestände hat auch zu einer Verringerung des Fischereiaufwands und damit der Fangzeit sowie des Kraftstoffverbrauchs geführt. Eine Senkung der Emissionen kann ebenfalls durch eine Optimierung von Flottenmanagement und -logistik (Senkung der THG-Emissionen um 5-50 %) und eine Optimierung der Fangreise (Senkung der THG-Emissionen um 1-10 %) (15) erreicht werden.

    4.13.

    Der EWSA stellt fest, dass einige neue Technologien den Fischereifahrzeugen lediglich eine begrenzte Reichweite ermöglichen. So bieten die derzeitigen Prototypen für elektrische Energie eine Reichweite von 5 bis 6 Stunden, die für einen vollen Fangtag (der bis zu 12 oder 14 Stunden dauern könnte), ganz zu schweigen von mehrwöchigen Fangreisen, nicht ausreichen würde. Ebenso wichtig ist die Verbesserung der Konstruktion und der Leistungsfähigkeit von Schiffen.

    5.    „Freunde der Fische und der Fischer“: Eine Zukunftsvision für einen nachhaltigen Fischereisektor in der EU

    5.1.

    In den vergangenen Jahren hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss strategische Visionen in mehreren Bereichen entwickelt, so zu einer umfassenden Lebensmittelpolitik (16), zur nachhaltigen ländlichen und städtischen Entwicklung (17) und zur Ökonomie des Wohlergehens (18). Es ist nun an der Zeit, dass der EWSA auch eine umfassende, langfristige Vision für eine nachhaltige Fischerei in der EU erarbeitet, mit der die EU — neben den Bemühungen in den Bereichen biologische Vielfalt, nachhaltige Lebensmittelpolitik, Gesundheit und Wohlergehen, gute Arbeitsbedingungen, nachhaltige ländliche und städtische Entwicklung und strategische Autonomie — zur Dekarbonisierung der Branche verpflichtet werden sollte, um die für die Verwirklichung des europäischen Grünen Deals und die Umsetzung der Agenda 2030 erforderliche wirtschaftliche Tragfähigkeit sicherzustellen. Der EWSA betont, dass der Beitrag der aquatischen Lebensmittelsysteme zu einer gesunden, sicheren, nahrhaften und erschwinglichen Ernährung für alle im Einklang mit der Strategie der FAO für einen blauen Wandel und im Rahmen der allgemeineren Forderung des EWSA nach einem europäischen blauen Deal sichergestellt und nachhaltig erhöht werden muss, um die Abhängigkeit des EU-Marktes von Fischeinfuhren zu verringern.

    5.2.

    Der EWSA möchte die Gelegenheit dieser Sondierungsstellungnahme nutzen, um das Problem der Dekarbonisierung in einem breiteren strategischen Rahmen zu behandeln. In den folgenden sechs Bereichen sollte ein umfassender Ansatz für einen nachhaltigen Fischereisektor verfolgt werden:

    5.2.1.   Biodiversität

    Im Einklang mit dem Nachhaltigkeitsziel Nr. 14 „Leben unter Wasser“ und mit Blick auf das historische Übereinkommen der COP 15 über die biologische Vielfalt (19) bekräftigt der EWSA sein entschiedenes Engagement für die Erhaltung gesunder und produktiver Fischbestände sowie für die Förderung sonstiger Aspekte der biologischen Vielfalt im Fischereisektor. Für alle kommerziell genutzten Bestände muss umgehend der höchstmögliche Dauerertrag (MSY) oder ein höherer Wert erreicht werden, der mit der Aufrechterhaltung einer langfristigen Rentabilität der verschiedenen Fischereiflotten vereinbar ist. In diesem Zusammenhang sollten Wissenschaftler, die Bewertungen des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) und des Wissenschafts-, Technik- und Wirtschaftsausschusses für die Fischerei (STECF) durchführen, die erforderlichen Mittel erhalten, um die fehlenden Daten zu ergänzen. Liegen keine ausreichenden wissenschaftlichen Daten vor, gilt für die Bewirtschaftung der Fischbestände, einschließlich der Verringerung der Fänge, soweit von Wissenschaftlern empfohlen, systematisch das Vorsorgeprinzip. Gegebenenfalls sehen Stilllegungsprogramme mit angemessenen Haushaltsmitteln zur Anpassung der Flottengröße an die verfügbaren Fangmöglichkeiten Umschulungsmöglichkeiten für Besatzungsmitglieder vor.

    5.2.2.   Dekarbonisierung

    Der Fischereisektor der EU sollte sich verpflichten, bis 2050 CO2-Neutralität zu erreichen, indem die von der Europäischen Union festgelegten und durch Innovation und Technologie unterstützten Ziele für die Energiewende verwirklicht werden. Eine umfassende Studie über den Stand der Technik und die verfügbaren Technologien ist ein erster Schritt, um (statt Pauschallösungen) eine maßgeschneiderte Lösung für jedes Flottensegment zu finden.

    5.2.3.   Gerechte Löhne, Sicherheit und Arbeitsbedingungen

    Die Fischer werden die erforderlichen Instrumente und Orientierungshilfen erhalten, um sich auf den bevorstehenden (und in jedem Fall stattfindenden) Übergang einzustellen; sie sollten jedoch sowohl bei der Dekarbonisierung als auch während der umfassenderen Prozesse des Strukturwandels unterstützt werden. Die Erneuerung der Fischereifahrzeuge muss Vorrang haben, um die Wohn- und Lebensbedingungen sowie die Sicherheit an Bord zu verbessern und dadurch den Sektor attraktiver zu machen und den Generationswechsel zu ermöglichen. Weitere notwendige Verbesserungen im Zusammenhang mit der Dekarbonisierung sind die Ersetzung von Antriebs- und Hilfssystemen durch fortschrittlichere und effizientere Lösungen und der Einsatz moderner, energieeffizienter und selektiver Fanggeräte, die keine — oder unwesentliche — nachteiligen Auswirkungen auf die Gesundheit und die biologische Vielfalt des Ökosystems insgesamt haben. Dazu muss eine umfassende Studie auf EU-Ebene über die für die Energiewende im Fischerei- und Aquakultursektor verfügbaren Technologien und ihre Kosten und Vorteile für jedes Flottensegment unter Berücksichtigung der besonderen Bedingungen in jedem Land durchgeführt werden. Ebenso wichtig ist die Umschulung und Weiterqualifizierung der Arbeitskräfte, damit die in der maritimen Wirtschaft Beschäftigten (im Einklang mit der Europäischen Kompetenzagenda für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit, soziale Gerechtigkeit und Resilienz) geschult und auf die Energiewende vorbereitet werden. Angesichts der prekären wirtschaftlichen Lage der Fischwirtschaft in vielen Teilen Europas und des fortschreitenden Flottenabbaus sollten strategische Pläne und Instrumente konzipiert werden, um die Wettbewerbsfähigkeit der Branche zu verbessern, ihre Entwicklung und Innovation zu unterstützen und einen Beitrag zu einem angemessenen Lebensstandard für die von der Fischerei abhängigen Gruppen zu leisten.

    5.2.4.   Ländliche und abgelegene Küstengebiete

    Eine Diversifizierung und teilweise Umstellung auf andere Wirtschaftszweige wie die Freizeitfischerei oder sonstige nachhaltige Tourismusbranchen ist zweifellos möglich, sofern die Raumplanung dies zulässt; allerdings ist der Fischereisektor in vielen Küstenregionen und -orten nach wie vor die wichtigste Beschäftigungs- und Einkommensquelle, dies gilt nicht nur für das Personal an Bord, sondern auch für die Arbeitnehmer in allen damit verbundenen Wirtschaftszweigen und Dienstleistungsbereichen. Die Einstellung der Fischerei würde nicht nur den Niedergang dieser Regionen und einen fortschreitenden Schwund ihrer Bevölkerung bedeuten, sondern auch einen irreparablen Verlust des kulturellen Erbes mit sich bringen, das das Wesen der europäischen Gesellschaften ausmacht. Die Arbeit aller beteiligten Akteure muss dazu beitragen, ein positiveres Narrativ für den Fischereisektor zu erreichen. Darüber hinaus kann die Aquakultur im Binnenland neue wirtschaftliche Möglichkeiten für ländliche Gebiete eröffnen.

    5.2.5.   Gesunde und nachhaltige Ernährung

    Die nachhaltige Fischerei liefert tierische Eiweiße, die nicht nur einen besonders geringen CO2-Fußabdruck, sondern auch einen ausgezeichneten Nährwert aufweisen. Angesichts des derzeitigen Konsumverhaltens der Europäer bei Fleisch sollte Qualität Vorrang vor Quantität haben; gilt dies nicht für Fisch, dessen Verzehr in den meisten Fällen unterhalb der Ernährungsempfehlungen liegt. Die Behörden sollten in erster Linie den Konsum von erschwinglichem Fisch für die gesamte Bevölkerung unterstützen, z. B. durch die Förderung der Wertschätzung weniger bekannter Arten. Für Fisch als Grundpfeiler einer gesunden und ausgewogenen Ernährung (20) sollte ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz gelten.

    5.2.6.   Strategische Autonomie und Rolle der Aquakultur

    Die Europäische Union importiert drei Viertel des Fischs, den sie konsumiert. Einmal abgesehen von einer unausgeglichenen Handelsbilanz stellt sich bei diesen Einfuhren, die nicht vom Hof bis zum Tisch verfolgt werden können, das Problem ungleicher Bestimmungen für die Lebensmittelsicherheit. Um hier Abhilfe zu schaffen, muss die EU bilaterale und multilaterale Handelsinstrumente nutzen, damit lediglich nachhaltige Meereserzeugnisse aus Drittländern eingeführt werden, deren Vorschriften denen der EU entsprechen; dadurch kann ein fairer Wettbewerb unter gleichen Bedingungen gewährleistet werden. Der Aquakultursektor ist zweifellos in der Lage, den Bedarf des Fischmarkts der EU zu decken. Nachhaltiges Wachstum kann erreicht werden, indem durch eine angemessene Raumplanung und die Straffung von Genehmigungsverfahren, für die häufig mehrere Abteilungen von Behörden oder sogar unterschiedliche Ebenen (nationale, regionale, lokale Stellen) zuständig sind, Raum für neue Tätigkeiten geschaffen wird. Damit die EU ihre Ernährungssouveränität sicherstellen kann, müssen alle Möglichkeiten einer nachhaltigen Erhöhung der Produktion von Fisch und Meeresfrüchten genutzt werden.

    Brüssel, den 12. Juli 2023

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Oliver RÖPKE


    (1)  COM(2023) 100 final.

    (2)  Siehe Jahresemissionsdaten, die die Europäische Kommission jährlich dem Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (Kyoto-Protokoll) gemäß den vom Weltklimarat festgelegten Leitlinien übermittelt hat und aus denen die Entwicklung der Emissionen zwischen 1990 und 2020 in Tonnen CO2, CH4 und N2O für den Fischereisektor der EU hervorgeht (vgl. Tabellen 1.A (a) s4, 3s1 und 3s2, 1.A (a) s3, 1.D).

    (3)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Nutzung erneuerbarer und kohlenstoffarmer Kraftstoffe im Seeverkehr und zur Änderung der Richtlinie 2009/16/EG“ (COM(2021) 562 final — 2021/0210 (COD)) (ABl. C 152 vom 6.4.2022, S. 145).

    (4)  https://oceans-and-fisheries.ec.europa.eu/facts-and-figures/facts-and-figures-common-fisheries-policy/fishing-fleet_en.

    (5)  https://ebcd.org/wp-content/uploads/2021/11/Je%CC%81ro%CC%82me-UAPF.pptx.

    (6)  https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/bba413d1-484c-11ed-92ed-01aa75ed71a1.

    (7)  https://www.fao.org/3/cc0461en/online/sofia/2022/capture-fisheries-production.html.

    (8)  Studie zu den sozialen Auswirkungen der Obergrenzen für Bruttoraumzahl und Antriebsleistung sowie möglichen Alternativen, durchgeführt im Rahmen eines Projekts des sozialen Dialogs.

    (9)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Nutzung erneuerbarer und kohlenstoffarmer Kraftstoffe im Seeverkehr und zur Änderung der Richtlinie 2009/16/EG“ (COM(2021) 562 final — 2021/0210 (COD)) ABl. C 152 vom 6.4.2022, S. 145.

    (10)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Für einen starken und nachhaltigen Algensektor in der EU“ (COM(2022) 592 final) (ABl. C 228 vom 29.6.2023, S. 126).

    (11)  https://www.maersksupplyservice.com/2022/01/25/maersk-supply-service-launches-venture-company-stillstrom/.

    (12)  https://theicct.org/sites/default/files/publications/LNG%20as%20marine%20fuel%2C%20working%20paper-02_FINAL_20200416.pdf.

    (13)  https://www.ices.dk/news-and-events/news-archive/news/Pages/InnovativeFishingGear.aspx.

    (14)  https://fishingforlitter.org/.

    (15)  NSAC Advice Ref. 17-2122. NSAC Advice on decarbonisation of fishing fleet.

    (16)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Beitrag der Zivilgesellschaft zur Ausarbeitung einer umfassenden Ernährungspolitik in der EU“ (Initiativstellungnahme) (ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 18).

    (17)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Eine ganzheitliche Strategie für nachhaltige ländliche und städtische Entwicklung (Initiativstellungnahme) (ABl. C 105 vom 4.3.2022, S. 49).

    (18)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die nachhaltige Wirtschaft, die wir brauchen“ (Initiativstellungnahme) (ABl. C 106 vom 31.3.2020, S. 1).

    (19)  Beschluss 15/4 „Globaler Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal“.

    (20)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Förderung einer gesunden und nachhaltigen Ernährung in der EU“ (Initiativstellungnahme) (ABl. C 190 vom 5.6.2019, S. 9).


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