EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52021DC0078

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN EUROPÄISCHEN RAT UND DEN RAT HERA Incubator: unsere gemeinsame proaktive Antwort auf die Bedrohung durch COVID-19-Varianten

COM/2021/78 final

Brüssel, den 17.2.2021

COM(2021) 78 final

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN EUROPÄISCHEN RAT UND DEN RAT

HERA Incubator: unsere gemeinsame proaktive Antwort auf die Bedrohung durch COVID-19-Varianten


EINLEITUNG

Während die Menschen, Gesellschaften und Volkswirtschaften Europas und der Rest der Welt weiter gegen die COVID-19-Pandemie kämpfen, ergeben sich immer wieder neue Herausforderungen und Bedrohungen – von Virusvarianten über Impfstoffanpassung bis hin zu Impfstoffmassenproduktion. Unsere anhaltenden und vereinten Bemühungen, das Virus zu überwinden und eine Erholung von der Pandemie einzuleiten, könnten dadurch ernsthaft gestört oder erschwert werden. Um das Wohlergehen unserer Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, muss Europa nun bereit und in der Lage sein, Herausforderungen frühzeitig zu erkennen, Bedrohungen proaktiv zu begegnen und sie abzumildern und als Team Europa sowie mit globalen Partnern an allen Fronten geschlossen und solidarisch zusammenzuarbeiten.

Dabei haben wir viele Grundlagen, auf denen wir aufbauen und von denen wir lernen können. Die Impfstrategie der EU hat Zugang zu 2,3 Milliarden Impfstoffdosen im Rahmen der weltweit umfassendsten Palette an sicheren COVID-19-Impfstoffen gesichert. Dies ist unsere wichtigste langfristige Verteidigungsstrategie. Weniger als ein Jahr nach dem ersten Auftreten des Virus in Europa hat die Impfung in allen Mitgliedstaaten begonnen. Dies ist eine bemerkenswerte Leistung der europäischen und globalen fortgeschrittenen Forschung und Impfstoffentwicklung, denn was für gewöhnlich 5-10 Jahre dauert, wurde in nur etwas mehr als 10 Monaten erreicht.

Gleichzeitig haben die vergangenen Wochen jedoch gezeigt, wie schwierig sich ein zügiger Ausbau der industriellen Impfstoffproduktion gestaltet. Um die Produktionskapazität in Europa zu steigern, brauchen wir eine viel engere, stärker integrierte und strategischere öffentlich-private Partnerschaft mit der Industrie. Deshalb hat die Kommission eine Taskforce für den Ausbau der industriellen Produktion von COVID-19-Impfstoffen eingerichtet. Probleme sollen so in Echtzeit erkannt und schneller angegangen werden.

Bei neuen Bedrohungen in der Gegenwart oder in der Zukunft muss Europa stets einen Schritt voraus sein. Die wohl unmittelbarste Gefahr geht von der wachsenden Zahl neuer Virusvarianten aus, die sich derzeit in Europa sowie auf der ganzen Welt verbreiten und entwickeln. Nach aktuellem Kenntnisstand sind die bereits zugelassenen Impfstoffe auch gegen die schon bekannten Varianten wirksam. Europa muss jedoch für den möglichen Fall vorbereitet sein, dass sich künftige Varianten als teilweise oder vollständig resistent gegen die bestehenden Impfstoffe erweisen.

Die sehr reale Bedrohung durch die Virusvarianten erfordert entschlossenes, kollektives und sofortiges Handeln. Unsere Reaktion sollte auf den Erfahrungen aufbauen, die wir seit dem Ausbruch des ursprünglichen Virus gesammelt haben. Insbesondere gilt es, aus Verzögerungen, Störungen und Engpässen in der Vergangenheit Lehren zu ziehen. In diesem Sinne wird die Kommission einen neuen Bereitschaftsplan zur Vorsorge gegen biologische Gefahren namens HERA Incubator erstellen und durchführen. Im Rahmen des Plans sollen alle Mittel und Ressourcen mobilisiert werden, die zur Eindämmung der potenziellen Auswirkungen der Virusvarianten erforderlich sind.

Dazu wird die Kommission an verschiedenen Fronten umgehend handeln:

(1)Schnelle Entdeckung von Varianten;

(2)Rasche Anpassung von Impfstoffen;

(3)Einrichtung eines europäischen Netzes für klinische Prüfungen;

(4)Beschleunigung der Zulassungsverfahren für aktualisierte Impfstoffe und neue oder umfunktionierte Produktionsinfrastrukturen; und

(5)Ermöglichung des Ausbaus der Produktion bestehender, angepasster oder neuartiger COVID-19-Impfstoffe.

Dieser Soforthilfeplan erlaubt es, den kurz- bis mittelfristigen Bedrohungen entgegenzuwirken und uns gleichzeitig für die Zukunft zu wappnen. Er soll ein Wegbereiter für die Europäische Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) 1 sein.

Die Zeit drängt. Was Europa braucht, ist eine gemeinsame Wahrnehmung der Bedrohung, mit der wir konfrontiert sind, eine neue Bereitschaft zu schnellem Handeln an verschiedenen Fronten und eine angepasste Governance, damit Entscheidungen in Echtzeit getroffen werden können.

1.Was muss getan werden?

1.1.Schnelle Entdeckung neuer Varianten

Die zunehmende Verbreitung der neuen SARS-CoV-2-Varianten, die erstmals im Vereinigten Königreich, in Südafrika und in Brasilien festgestellt wurden, leitet möglicherweise einen Paradigmenwechsel im weltweiten Kampf gegen COVID-19 ein. Diese Varianten weisen eine höhere Übertragbarkeit auf und wurden in einigen Fällen mit einem potenziell schwereren Verlauf der Erkrankung in Verbindung gebracht.

Die komplette Genomsequenzierung, durch die sich die einzigartigen genetischen Baupläne verschiedener Varianten des Virus entschlüsseln lassen, kann als wesentliches Instrument dienen, um fundierte Entscheidungen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu treffen. Sie trägt bedeutend dazu bei, Varianten sowohl beim Menschen als auch beim Tier zu entdecken und ihre Ausbreitung in Gemeinschaften und Populationen zu überwachen. Sie ermöglicht die Untersuchung von Virus-Genomen und die Überprüfung auf Mutationen, die sich auf die Übertragbarkeit oder Pathogenität auswirken könnten. Die im Rahmen der kompletten Genomsequenzierung gewonnenen Daten helfen dabei, die Übertragungsdynamik von Ausbrüchen sowie Spillover-Ereignisse bei Mensch und Tier besser zu verstehen und besorgniserregende Varianten ausfindig zu machen.

Es ist wichtig, dass die Mitgliedstaaten über ausreichende Sequenzierkapazitäten verfügen, damit sie die in ihrem Hoheitsgebiet zirkulierenden Virusvarianten überwachen können. Genomsequenzierungs- und epidemiologische Daten sollten zwischen den Mitgliedstaaten – schnell und in vergleichbaren Formaten – ausgetauscht werden, um Entwicklungen und Problembereiche zu ermitteln und rasch darauf reagieren zu können. Dies erfordert eine systematische Probenahme und einen Datenaustausch gemäß den FAIR-Grundsätzen 2 , wobei die Daten für Forschungszwecke offen zugänglich gemacht werden sollten.

In diesem Sinne soll im Rahmen von HERA Incubator eine enge Zusammenarbeit mit dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) erfolgen, sodass sichergestellt ist, dass die Mitgliedstaaten über ausreichende Sequenzierkapazitäten verfügen und Zugang zu Sequenzierdienstleistungen haben. Durch HERA Incubator und das ECDC sollen die Sequenzierverfahren so standardisiert werden, dass die Daten vergleichbar sind.

Neben dem Ausbau der Sequenzierkapazitäten auf das erforderliche Niveau wird durch HERA Incubator und das ECDC auch der verstärkte Einsatz spezieller Tests („RT-PCR-Tests“) unterstützt, mit denen sich Proben ermitteln lassen, die mit erhöhter Wahrscheinlichkeit besorgniserregende Varianten enthalten. Für jede neu auftretende Variante müssen möglicherweise neue RT-PCR-Assays entwickelt, bewertet und angepasst werden, bevor sie eingeführt werden können. Durch HERA Incubator sollen die Entwicklungen aufmerksam verfolgt und bei Bedarf Ressourcen bereitgestellt werden. Die Gewährleistung ausreichender Testkapazitäten in den Mitgliedstaaten wird weiterhin von entscheidender Bedeutung sein.

Auch für die Entdeckung besorgniserregender Varianten außerhalb der EU sind Bemühungen zur Genomsequenzierung erforderlich. Angesichts des gemeinsamen globalen Interesses an der Sequenzierung und dem Austausch von Proben und Daten wird im Rahmen von HERA Incubator eine Zusammenarbeit mit dem ECDC und der Weltgesundheitsorganisation angestrebt, um Synergien mit wichtigen Einrichtungen zu nutzen und zu stärken. Dazu gehören GISAID 3 , das VEO-Projekt im Rahmen von Horizont 2020 4 und das COVID-19-Datenportal der EU 5 . Letztere wurden im vergangenen Jahr ins Leben gerufen, mit dem Ziel, den Austausch, die Analyse und das Verständnis von Informationen zu Genomsequenzen zu fördern und neue Virusvarianten zu ermitteln. Um die globale Kommunikation und Reaktion auf besorgniserregende Varianten zu erleichtern, müssen die verfügbaren Daten ebenfalls standardisiert werden. Die EU wird mit Partnern erörtern, wie Länder mit geringem Einkommen beim Ausbau ihrer Genomsequenzierungskapazitäten unterstützt werden können, damit Varianten weltweit flächendeckend und frühzeitig entdeckt werden.

Einige Mitgliedstaaten haben aufgezeigt, welchen Mehrwert eine regelmäßige Überwachung von Abwässern in Kombination mit anderen Indikatoren bei der Bewältigung der Pandemie hat. So lassen sich auf diesem Wege große Gruppen der Bevölkerung daraufhin untersuchen, wo eine eingehendere Analyse erforderlich ist. Dies kann letztlich zu einer schnelleren Entdeckung von Varianten beitragen 6 und ein wertvoller Bestandteil einer verstärkten genomischen und epidemiologischen Überwachung sein. Die Kommission wird diesbezüglich die Zusammenarbeit mit den EU-Mitgliedstaaten und anderen betroffenen Akteuren intensivieren, eine Empfehlung zur Abwasserüberwachung vorlegen und eine ständige öffentliche EU-Datenbank einrichten.

WICHTIGSTE MAẞNAHMEN

·Die Mitgliedstaaten sollten Ressourcen mobilisieren, damit sichergestellt ist, dass eine Sequenzierkapazität von mindestens 5 % der positiven Testergebnisse erreicht werden kann.

·Das ECDC wird Leitlinien für eine EU-weite Standardisierung von Sequenzierverfahren ausarbeiten, um Vergleichbarkeit zu gewährleisten und den schnellen Austausch von Daten zu erleichtern.

·Die EU wird den Einsatz PCR-basierter Assays unterstützen, erforderlichenfalls durch Beschaffung auf EU-Ebene oder durch gemeinsame Beschaffung auf Antrag der Mitgliedstaaten.

·Für diese Maßnahmen werden EU-Mittel in Höhe von mindestens 75 Mio. EUR bereitgestellt.

·Die Kommission wird den Mitgliedstaaten eine Empfehlung über den Einsatz der Abwasserüberwachung zur Rückverfolgung von COVID-19 und seiner Varianten vorlegen.

1.2.Forschung, Bewertung und Analyse

Um auf neue Virusvarianten reagieren zu können, wird HERA Incubator die Forschungs-, Bewertungs- und Analysetätigkeiten bündeln, die in der EU und darüber hinaus durchgeführt werden. Ein besserer Zugang zu umfassenden Datensätzen und Forschungsergebnissen sowie eine verstärkte Datenanalyse werden – gepaart mit Genomdaten, epidemiologischen und klinischen Daten – zur Entwicklung wirksamer Maßnahmen, Impfstoffe und Behandlungen beitragen. Auch werden dadurch Lücken aufgezeigt, in denen weitere Forschungsanstrengungen erforderlich sind.

Im Fokus der Forschungsarbeiten werden zentrale Fragestellungen für eine wirksame gesundheitspolitische Reaktion auf Varianten stehen, darunter Risikofaktoren für die Übertragung und Entstehung von Virusvarianten sowie potenziell vor diesen Varianten schützende Impfstoffe. Ferner wird es auch um die Frage gehen, ob die derzeit verfügbaren Impfstoffe vor einer Übertragung schützen und ob regelmäßige Auffrischimpfungen den Schutz erhöhen könnten.

Die Forschungstätigkeiten werden sich an den neuesten zugelassenen Impfstoffen sowie an künftigen Impfstoffkandidaten und den entsprechenden Technologien orientieren. Sie werden einen flexiblen und diversifizierten Ansatz verfolgen, der u. a. die Erprobung von Prime-Boost-Impfstrategien, die Entwicklung multivalenter Impfstoffe sowie die testweise Kombination verschiedener Impfstoffe („Mix and Match“) umfasst. Um schneller Daten über neue Virusvarianten zu gewinnen, kann bei der Forschung auf das Hochleistungsrechnen zurückgegriffen werden.

Die Kommission wird die Forschung zu Varianten unverzüglich fördern, indem sie mehreren Projekten, die im Rahmen von Horizont 2020 durchgeführt werden, zusätzliche 30 Mio. EUR zur Verfügung stellt. Sie beabsichtigt, im Rahmen des neuen Programms Horizont Europa zeitnah zusätzliche 120 Mio. EUR für neue Maßnahmen zur Bewältigung der jüngsten Herausforderungen der Pandemie bereitzustellen.

Bei allen Forschungs-, Bewertungs- und Analysetätigkeiten wird HERA Incubator eine frühzeitige Koordinierung mit Herstellern und Regulierungsbehörden gewährleisten, damit ein rascher Übergang von Forschung und Entwicklung zur klinischen Phase mit entsprechender Zulassung und Massenproduktion ermöglicht wird.

Durch den Zugang zu hochwertigen Daten wird es in Abstimmung mit den einschlägigen internationalen Systemen und Netzen möglich sein, neue Virusvarianten zu ermitteln und geeignete Gegenmaßnahmen auszuarbeiten. Dadurch wird sichergestellt, dass die Entwicklung neuer Impfstoffe und Behandlungen auf besonders besorgniserregende Varianten ausgerichtet ist. Diese Arbeit sollte auch auf bestehende Systeme und Netze, wie etwa das Globale System der WHO zur Überwachung und Bekämpfung von Influenza (GISRS) 7 , zurückgreifen.

WICHTIGSTE MAẞNAHMEN

·Um die oben genannten Maßnahmen zu unterstützen, wird die Kommission zeitnah 30 Mio. EUR im Rahmen von Horizont 2020 und 120 Mio. EUR im Rahmen von Horizont Europa bereitstellen.

·Die Mitgliedstaaten sollten Daten über einschlägige Forschungsprojekte rascher austauschen.

·Die Kommission wird in Absprache mit der WHO alle wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzen, um Leitlinien für die Ermittlung von Varianten, für die Forschungsarbeiten durchgeführt werden sollten, bereitzustellen.

1.3.Anpassung an Virusvarianten: Europäisches Netz für klinische Prüfungen

Die Phase der klinischen Prüfungen, in der die Sicherheit, Wirksamkeit und Immunogenität von Impfstoffkandidaten beim Menschen untersucht werden, ist ein entscheidender Schritt in der Impfstoffentwicklung. Die Pandemie hat uns gelehrt, dass klinische Prüfungen mit Problemen im Zusammenhang mit Größe, Geschwindigkeit und Umfang konfrontiert sein können. Um den Zugang zu Netzen für klinische Prüfungen in Europa und weltweit zu erleichtern und so diese Tätigkeiten weiter zu unterstützen und auszuweiten, wird HERA Incubator daher eng mit der Forschungsgemeinschaft, den Regulierungsbehörden und der Industrie zusammenarbeiten.

In diesem Rahmen wird parallel zu dieser Mitteilung ein neues, von der EU finanziertes EU-weites Netz für die Erprobung von Impfstoffen mit dem Namen VACCELERATE 8 eingerichtet. Alle Mitgliedstaaten sind aufgefordert, sich daran zu beteiligen. Das Netz wird sicherstellen, dass in ganz Europa Impfstofferprobungsstellen – in der Regel Krankenhäuser – zur Testung von Impfstoffen verfügbar sind. Dies umfasst klinische Prüfungen von veränderten und/oder neuartigen COVID-19-Impfstoffkandidaten, einschließlich gezielter Prüfungen; ein Schwerpunkt liegt dabei auf Impfstoffkandidaten, die auf neue Varianten ausgerichtet sind. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) ist eng in diese Arbeit eingebunden und trägt zur Straffung des regulatorischen Zulassungsverfahrens bei.

WICHTIGSTE MAẞNAHMEN

·Die Mitgliedstaaten sind nachdrücklich aufgefordert, sich dem neuen VACCELERATE-Netz für die Erprobung von Impfstoffen oder anderen ähnlichen Netzen für klinische Prüfungen anzuschließen.

·Die EMA und die Kommission werden diesen Prozess begleiten und das regulatorische Zulassungsverfahren straffen.

1.4.Abnahmegarantien für die Impfstoffe der nächsten Generation

Unternehmen, die erfolgreich COVID-19-Impfstoffe entwickelt haben, verfolgen bereits sehr genau die Wirksamkeit ihrer Impfstoffe bei neu auftretenden besorgniserregenden Varianten. Sie prüfen, wie ihre Impfstoffe an neu auftretende Varianten angepasst werden können. Die Kommission wird das Instrument der Abnahmegarantien weiterhin nutzen und aufbauend auf ihren bisherigen Erfolgen weiterhin einen raschen Zugang zu Impfstoffen der nächsten Generation und deren Auslieferung gewährleisten.

Dieser Ansatz der Risikobegrenzung für private Investitionen beim frühen Aufbau von Produktionskapazitäten für Impfstoffkandidaten, die sich noch in einer frühen Phase klinischer Prüfungen befinden, hat sich bewährt und bietet eine fertige Struktur, auf der aufgebaut werden kann.

Bestehende Abnahmegarantien müssen möglicherweise aktualisiert werden, um den Schutz vor Virusvarianten abzudecken. Ausgehend von den gewonnenen Erkenntnissen ist dafür ein detaillierter und glaubwürdiger Plan erforderlich, der aufzeigt, dass in der EU in einem zuverlässigen Zeitrahmen Impfstoffe hergestellt und ausgeliefert werden können. Dies sollte die EU nicht daran hindern, bei Bedarf Quellen von außerhalb der EU in Erwägung zu ziehen, sofern diese die EU-Sicherheitsanforderungen erfüllen.

Hilfe beim Kapazitätsaufbau wird insbesondere für kleinere Unternehmen erwogen, um die Herstellung von Impfstoffen zu erleichtern und die Verfügbarkeit von zwischengeschalteten Produktionsfaktoren und Infrastrukturen wie Laboratorien zu gewährleisten.

WICHTIGSTE MAẞNAHMEN

·Die Kommission, die Mitgliedstaaten und die Impfstoffentwickler werden laufend prüfen, welche Impfstoffe an neu auftretende besorgniserregende Varianten angepasst werden sollten.

·Falls erforderlich wird die Kommission gemeinsam mit den Mitgliedstaaten umgehend bestehende Abnahmegarantien aktualisieren oder neue Abnahmegarantien unterzeichnen; die Finanzierung soll über das Soforthilfeinstrument erfolgen.

·Die Kommission ist bereit, alle für die Zwecke dieser Garantien erforderlichen Mittel zu mobilisieren.

·Zusätzliche Mittel werden durch die Zusammenarbeit mit der Europäischen Investitionsbank über die Finanzierungsfazilität InnovFin – Infektionskrankheiten (IDFF) im Rahmen von Horizont 2020 sowie im Rahmen von InvestEU bereitgestellt.

2.Voraussetzungen für den Erfolg

2.1.Ein optimierter regulatorischer Rahmen

Ein verlässlicher, zielführender regulatorischer Rahmen, der Sicherheit gewährleistet, ist von entscheidender Bedeutung, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu sichern, und bildet eine solide Grundlage für den Schutz der öffentlichen Gesundheit. Hier besteht Spielraum zur Anpassung der Verfahren, um den besonderen Eigenschaften der Varianten Rechnung zu tragen. Die EMA leistet den Impfstoffentwicklern weiterhin Unterstützung; alle vorgeschlagenen Änderungen lassen die wissenschaftliche Unabhängigkeit und Exzellenz der Agentur unberührt.

Gemeinsam mit der EMA und den Mitgliedstaaten wird die Kommission die regulatorische Flexibilität weiterhin voll ausschöpfen, um die Zulassung von Impfstoffen gegen COVID-19 zu beschleunigen. Außerdem wird das Regelungsverfahren so geändert, dass die Zulassung von COVID-19-Impfstoffen gegen die neuen Varianten 9  beschleunigt wird, wie dies derzeit auch bei Impfstoffen gegen die Influenza beim Menschen der Fall ist. Dies ermöglicht die Zulassung eines angepassten Impfstoffs auf Grundlage der fortlaufenden Übermittlung eines kleineren Satzes zusätzlicher Daten 10 an die EMA, wobei das Konzept der fortlaufenden Überprüfung auch für Änderungen nach der Zulassung angewandt wird. Es gewährleistet ein maßgeschneidertes EU-System für angepasste Impfstoffe und ergänzt die Anstrengungen der Impfstoffhersteller.

Die EMA entwickelt derzeit Leitlinien bezüglich klarer wissenschaftlicher Anforderungen für Entwickler, damit die Anforderungen im Hinblick auf Varianten vorab bekannt sind. Darüber hinaus wird die EMA auch weiterhin – im Einklang mit den vereinbarten pädiatrischen Prüfkonzepten – die Möglichkeiten der Entwicklung von Impfstoffen für Kinder und Jugendliche eingehend überwachen und bewerten. Es ist äußerst wichtig, dass Kinder und Jugendliche aller Altersgruppen in die klinischen Prüfungen 11 einbezogen werden, und das neue VACCELERATE-Netz wird dies im Rahmen des Machbaren ermöglichen.

Die frühzeitige Einbeziehung der für die Zertifizierung der neuen Produktionslinien zuständigen Aufsichtsbehörden ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Dies gilt für die Vorbereitung neuer oder auf eine neue Nutzung umgestellter Produktionsstätten und/oder für den Technologietransfer zwischen Standorten. Die zeitnahe, rasche Gewinnung der erforderlichen Prozesskontroll-, Validierungs- und Stabilitätsdaten durch die Unternehmen ist entscheidend, um eine fortlaufende Überprüfung durch die EMA und die rasche Zulassung der neuen Produktionsstätten zu ermöglichen. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, zählt die Kommission auf die uneingeschränkte Zusammenarbeit von Herstellern und Mitgliedstaaten.

Die Kommission ist auch bereit, eine gezielte Änderung der Rechtsvorschriften im pharmazeutischen Bereich vorzuschlagen, um eine Notzulassung von Impfstoffen auf EU-Ebene mit geteilter Haftung zwischen den Mitgliedstaaten einzuführen.

WICHTIGSTE MAẞNAHMEN

·Die Kommission wird einen Vorschlag vorlegen, um den regulatorischen Rahmen für die Zulassung neuer Impfstoffe anzupassen, die eine Adaptation bereits zugelassener Impfstoffe darstellen.

·Die EMA und die nationalen Aufsichtsbehörden werden ihre Unterstützung für die Forschung und die Hersteller intensivieren, um die für die Zulassung neuer Impfstoffe und neuer Produktionslinien benötigte Zeit weitestmöglich zu reduzieren.

·Die Kommission wird Forschungsprojekte, insbesondere VACCELERATE, nutzen, um Kinder und Jugendliche in klinische Prüfungen einzubeziehen.

2.2.Steigerung der industriellen Produktion von Impfstoffen

Wenn neue oder modifizierte Impfstoffe gegen Varianten erfolgreich und rasch in großem Maßstab hergestellt werden sollen, kann sich die EU keine Probleme in der Lieferkette oder unzureichende Produktionskapazitäten leisten.

Viele Impfstoffe gegen andere Krankheiten als COVID-19 werden heute an integrierten Standorten hergestellt, die verschiedene Teile des Produktionsprozesses abdecken. Die Hersteller sind derzeit und auch künftig an zahlreichen Stellen der Lieferkette mit Engpässen konfrontiert. Dies betrifft unter anderem den Zugang zu Rohstoffen und Verpackungsmaterial, einschließlich der Versorgung mit lipidbasierten Nanopartikeln für mRNA-Impfstoffe, Fachpersonal, Produktionsausrüstung sowie Phiolen und Nadeln. Ein besser verteiltes, synchronisiertes und flexibleres Produktionsmodell kann dazu beitragen, diese Engpässe kurzfristig zu beseitigen. Europa verfügt über eine breit aufgestellte, innovative pharmazeutische und chemische Industrie, die weitere Anstrengungen unternehmen kann, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Wir haben bereits positive Beispiele dafür gesehen, dass Unternehmen Partnerschaften eingehen, um ihre Produktionskapazitäten zu erhöhen.

Die Kommission wird auch weiterhin daran arbeiten, potenzielle Engpässe bei der Produktion und bei der Versorgung mit Rohstoffen sowie anderem für die Impfstoffproduktion benötigtem Material zu beseitigen. Dabei wird sie sich auf die laufende Kartierung der vorhandenen industriellen Kapazitäten für die Impfstoffproduktion in Europa sowie der Anlagen stützen, die potenziell auf die Produktion von Impfstoffen umgestellt werden können. Hierzu könnten beispielsweise Pharmaunternehmen gehören, die keine Impfstoffe herstellen, oder Hersteller von Tierarzneimitteln. In diesem Zusammenhang fungiert die Taskforce „Industrial Scale-up“ unter anderem als zentrale Anlaufstelle für Anfragen und operative Unterstützung.

Für die Entwicklung und die Produktion von Impfstoffen bedarf es hochspezialisierter und -qualifizierter Fachkräfte. Zu diesem Zweck wird die Kommission im Rahmen ihres Kompetenzpakts weiterhin starke Kompetenzpartnerschaften aufbauen.

Einer der schnellsten Wege zur Steigerung der Produktion ist die Einbeziehung derjenigen europäischen Anlagen, die über entsprechende Kapazitäten verfügen. Die Steigerung der Produktions- und der Abfüll- und Verpackungskapazitäten kann damit verbunden sein, das technologische Know-how und das geistige Eigentum hinter den Impfstoffen und der entsprechenden Technologie zu teilen, um die für den Technologietransfer erforderliche Zeit zu verkürzen. Die Kommission wird bei Bedarf die Einführung eines freiwilligen speziellen Lizenzierungsmechanismus fördern, der es den Eigentümern einer Technologie erlauben würde, dauerhaft die Kontrolle über ihre Rechte zu behalten, während gleichzeitig sichergestellt würde, dass Technologien, Know-how und Daten effektiv an eine größere Gruppe von Herstellern weitergegeben werden.

Die Kommission wird auch die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen vor der Produktion zum Aufbau von Produktionskapazitäten unterstützen 12 . Die Zusammenarbeit sollte sich auf das beschränken, was zur Erreichung des spezifischen Ziels in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Produktion oder Lieferung unabdingbar ist und von den einzelnen Unternehmen allein nicht geleistet werden könnte. Die Kommission bietet wettbewerbsfördernde rechtliche Orientierungshilfen im Zusammenhang mit der Impfstoffproduktion oder mit Behandlungen, auch hinsichtlich der im befristeten Rahmen für die Prüfung kartellrechtlicher Fragen festgelegten Kriterien.

Die Investitionen der EU in hochmoderne Forschung und Entwicklung in den Bereichen Impfstoffe und Arzneimittel sowie in die Schaffung der entsprechenden Produktionskapazitäten werden eine tragende Säule jeder künftigen Pandemievorsorge und -reaktion bilden. Sie werden zudem die offene strategische Autonomie im Gesundheitsbereich und die strategische Positionierung des europäischen Gesundheitssektors stärken.

Die obigen Maßnahmen werden zur Schaffung eines „EU-Fab“-Projekts beitragen, eines Netzes stets verfügbarer Produktionskapazitäten für Impfstoffe und Arzneimittel auf europäischer Ebene für einzelne oder mehrere Nutzer und für einzelne oder mehrere Technologien; dieses Netz wird sich im Lauf der Zeit als Trumpfkarte der künftigen HERA erweisen.

WICHTIGSTE MAẞNAHMEN

Die Kommission wird

·eng mit den Herstellern zusammenarbeiten, um die Überwachung der Lieferketten zu unterstützen und festgestellte Produktionsengpässe zu beseitigen;

·die Herstellung zusätzlicher Impfstoffe gegen neue Varianten unterstützen;

·einen speziellen freiwilligen Lizenzierungsmechanismus zur Erleichterung des Technologietransfers entwickeln;

·die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen vor der Produktion unterstützen;

·die Produktionskapazitäten der EU durch den Aufbau des „EU-Fab“-Projekts sicherstellen.

SCHLUSSFOLGERUNG

Dieses Virus passt sich rasch an, und Europa muss entsprechend schnell reagieren. Europa wird die Produktion und die Verteilung zugelassener Impfstoffe weiter vorantreiben und sich gleichzeitig auf die unmittelbare, neue Bedrohung durch Varianten vorbereiten. Im Bestreben, der Entwicklung einen Schritt voraus zu sein, kann sich Europa auf die Erfahrung, das Wissen und die bisherigen Lehren aus der Krise stützen. Wir müssen Probleme früher antizipieren, Schwierigkeiten schneller erkennen und gemeinsam reagieren – unsere Stärken in einer öffentlich-privaten Herangehensweise und Reaktion bündeln. Dieses Konzept und diese Herangehensweise liegen dem Programm HERA Incubator zugrunde, das heute von der Kommission ins Leben gerufen wird.

HERA Incubator wird den kontinuierlichen Austausch und die operative Zusammenarbeit zwischen Regulierungsstellen, Behörden und den an der Wertschöpfungs- und Lieferkette beteiligten Industriezweigen gewährleisten. Das Programm wird von der Kommission durchgeführt und soll das Rückgrat einer Zusammenarbeit zwischen Forschung, Technologieunternehmen, Entwicklung, Herstellern, Regulierungsstellen und Behörden bilden.

Ein vorrangiges Ziel von HERA Incubator besteht darin, zu gewährleisten, dass sich die EU schnell Zugang zu der Menge an Impfstoffen sichern kann, die zur Bekämpfung der Bedrohung durch die Varianten benötigt wird. In Anbetracht der Ungewissheit, ob es gelingen wird, geeignete neue oder angepasste Impfstoffe zu entwickeln, sollte HERA Incubator zunächst mehrere parallele Projekte ermöglichen und unterstützen, um die vielversprechendsten Impfstoffkandidaten zu ermitteln und zu fördern. Anschließend sollte es die Verfügbarkeit von Produktionskapazitäten sicherstellen, damit neue oder angepasste Impfstoffe in großem Maßstab produziert und geliefert werden können. Ein reibungslos funktionierender Binnenmarkt mit unterbrechungsfreien Lieferketten und die Freizügigkeit werden in dieser Hinsicht weiterhin von zentraler Bedeutung sein.

Bei der Durchführung von HERA Incubator wird die Kommission im Namen der EU handeln, und zwar in öffentlich-privater Zusammenarbeit mit Mitgliedstaaten, Regulierungsstellen, Unternehmen und der Wissenschaftsgemeinschaft; hierbei gewährleistet sie eine transparente Berichterstattung an die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament, vorbehaltlich vertraglicher Vertraulichkeitsvereinbarungen, die für den Erfolg dieses Vorgangs erforderlich sind.

Da der Impfstoffproduktion in der EU für die weltweite Versorgung entscheidende Bedeutung zukommt, wird diese Initiative weit über die Grenzen der EU hinaus von Nutzen sein. Zu den Aktivitäten von HERA Incubator werden die Kontaktaufnahme und die Zusammenarbeit mit den externen und globalen Partnern der EU, darunter CEPI, GAVI und die WHO, im Hinblick auf die Bedrohung durch Varianten gehören. Mittel- und langfristig sollte die EU mit Ländern mit niedrigerem und mittlerem Einkommen zusammenarbeiten, insbesondere in Afrika, um den Ausbau lokaler Produktionskapazitäten voranzutreiben.

Angesichts des Wettlaufs gegen die Zeit müssen rasch ausreichende Mittel bereitgestellt werden, und die Kommission ist bereit, dazu alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten einzusetzen, auch über das Soforthilfeinstrument. Die Aktivitäten im Rahmen des Programms HERA Incubator werden unverzüglich anlaufen.

Die Kommission ruft die europäischen Staats- und Regierungschefs auf, das Programm HERA Incubator auf ihrer Tagung am 25. Februar zu billigen und mit einem geeigneten Mandat auszustatten und die relevanten nationalen Akteure und Kapazitäten für diese koordinierte Anstrengung zu mobilisieren.

(1)    Wie von Präsidentin von der Leyen in der Rede zur Lage der Union angekündigt und anschließend in die Mitteilung vom 11. November 2020 mit dem Titel „Schaffung einer europäischen Gesundheitsunion: Die Resilienz der EU gegenüber grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren stärken“ aufgenommen.
(2)    Auffindbar, zugänglich, interoperabel und weiterverwendbar https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52020PC0767  
(3)     https://www.gisaid.org/  
(4)     https://www.veo-europe.eu/  
(5)     https://www.covid19dataportal.org/
(6)      Weitere Informationen dazu, wie Abwasserproben zur Rückverfolgung von COVID-19 eingesetzt werden können, sind abrufbar unter: https://ec.europa.eu/environment/water/water-urbanwaste/info/pdf/Waste%20Waters%20and%20Covid%2019%20MEMO.pdf  
(7)     https://www.who.int/influenza/gisrs_laboratory/en/  
(8)    Das Netz umfasst bereits 16 EU-Mitgliedstaaten sowie 5 assoziierte Länder (einschließlich der Schweiz und Israels); weitere Länder haben Interesse an einer Teilnahme zu einem späteren Zeitpunkt bekundet.
(9)    Die EMA wird sich auch mit anderen Aufsichtsbehörden auf nationaler Ebene und in Drittländern abstimmen, z. B. mit der US-Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelzulassungsbehörde (Food and Drug Administration). Die Anpassung der Regelungsverfahren wird zur Straffung der Abläufe für die betroffenen Interessenträger in der Industrie beitragen und die Versorgungssicherheit verbessern.
(10)    https://www.ema.europa.eu/en/news/ema-preparing-guidance-tackle-covid-19-variants
(11)     https://www.ema.europa.eu/en/news/ema-recommends-first-covid-19-vaccine-authorisation-eu ; https://www.ema.europa.eu/en/news/ema-recommends-covid-19-vaccine-moderna-authorisation-eu ; https://www.ema.europa.eu/en/news/ema-recommends-covid-19-vaccine-astrazeneca-authorisation-eu  
(12) https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52020XC0408(04)&from=PT  
Top