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Document 52020XC0408(03)
Communication from the Commission Guidelines on the optimal and rational supply of medicines to avoid shortages during the COVID-19 outbreak 2020/C 116 I/01
Mitteilung der Kommission Leitlinien für die optimale und rationalisierte Versorgung mit Arzneimitteln zur Vermeidung von Engpässen während des COVID-19-Ausbruchs 2020/C 116 I/01
Mitteilung der Kommission Leitlinien für die optimale und rationalisierte Versorgung mit Arzneimitteln zur Vermeidung von Engpässen während des COVID-19-Ausbruchs 2020/C 116 I/01
ABl. C 116I vom 8.4.2020, p. 1–6
(BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)
8.4.2020 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
CI 116/1 |
MITTEILUNG DER KOMMISSION
Leitlinien für die optimale und rationalisierte Versorgung mit Arzneimitteln zur Vermeidung von Engpässen während des COVID-19-Ausbruchs
(2020/C 116 I/01)
1. Zielsetzung und Anwendungsbereich
Ziel dieser Leitlinien ist es, die öffentliche Gesundheit und die Integrität des Binnenmarkts zu schützen und gleichzeitig sicherzustellen, dass Europa während des COVID-19-Ausbruchs mit notwendigen, erschwinglichen Arzneimitteln versorgt werden kann.
Ihr Fokus liegt auf der rationalisierten Versorgung, Zuteilung und Verwendung von Arzneimitteln zur Behandlung von COVID-19-Patienten. Außerdem gelten sie für alle Arzneimittel, für die aufgrund der COVID-19-Pandemie Versorgungsengpässe drohen.
Die nachstehenden Leitlinien sind an die EU-Mitgliedstaaten gerichtet und ebenfalls für die Länder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) von Relevanz. Darin wird die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Organisation der Gesundheitsversorgung und des Einzelhandels mit Arzneimitteln anerkannt. Es sei betont, dass die Leitlinien auf der Prämisse beruhen, dass die Arzneimittelindustrie in der EU verantwortungsbewusst und solidarisch handelt.
Die Mitgliedstaaten können sich angesichts dieser beispiellosen Situation gezwungen sehen, außerordentliche Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit zu ergreifen. Diese Leitlinien wurden auf der Grundlage von Verfahren entwickelt, die sich in den Mitgliedstaaten bewährt haben und der Kommission mitgeteilt wurden.
2. Einleitung
Die derzeitige Krise stellt die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung in der EU während des COVID-19-Ausbruchs auf vielfältige Weise auf die Probe. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage zu überbrücken.
Nachfrage
Aufgrund der COVID-19-Pandemie werden bestimmte Arzneimittel sehr viel stärker nachgefragt.
In EU-/EWR-Ländern, für die Daten vorliegen, werden rund 30 % der diagnostizierten COVID-19-Patienten stationär behandelt (1), und viele Betroffene sind beatmungspflichtig. Intensiv versorgte Patienten, die intubiert werden müssen, benötigen gleichzeitig eine Therapie mit Anästhetika, Antibiotika, Muskelrelaxanzien, Reanimationsmedikamenten und Antidiuretika. Dies hat zu einem erheblichen Anstieg der Nachfrage nach diesen Arzneimitteln und nach medizinischem Sauerstoff geführt. Darüber hinaus werden für die Intensivversorgung und die Pflege dieser COVID-19-Patienten Medikamente für die Atem- und Herzfunktion, Analgetika, Gerinnungshemmer, medizinische Nahrung und großvolumige Parenteralia (LVP) benötigt. Als Reaktion auf die Pandemie ist es auch zu Hamsterkäufen bei nicht verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln gekommen. Die steigende Nachfrage nach Arzneimitteln zur Behandlung von COVID-19 birgt in einigen Fällen auch das Risiko, dass diese nicht mehr für andere Patienten verfügbar sind, die sie zur Behandlung einer chronischen und/oder seltenen Krankheit brauchen.
Die Kommission hat mit Unterstützung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) Daten zu dem Zweck zusammengetragen, Engpässe auf EU-Ebene, insbesondere in Krankenhäusern, zu überwachen, zu bewerten und zu antizipieren. Außerdem wurden Informationen über die Gesamtnachfrage aus den Mitgliedstaaten und die möglichen Auswirkungen von durch Drittländer verhängten Exportverboten gesammelt. Auf verwaltungstechnischer Ebene führt die EMA im Netz der zentralen Anlaufstellen (Single Point of Contact Network, im Folgenden „SPOC-Netz“) den Vorsitz über einen regelmäßigen Austausch mit den Mitgliedstaaten zu Engpässen. Das SPOC-Netz wird dazu genutzt, Informationen über bestehende oder zu erwartende Verknappungen von zur Intensivversorgung benötigten Arzneimitteln zu sammeln. In ähnlicher Weise werden unmittelbar von Akteuren der Lieferkette Berichte über tatsächliche und zu erwartende Engpässe bei kritischen Arzneimitteln, die im Kontext von COVID-19 verwendet werden, zusammengetragen, und zwar sowohl für zentral als auch für national zugelassene Arzneimittel.
Angebot
Die Kommission hat die Lage seit dem Ausbruch der Krise aufmerksam verfolgt. In wöchentlichen Treffen mit den EU-Verbänden, die die verschiedenen Akteure der Arzneimittellieferkette vertreten, wird die Industrie zum Austausch von Informationen, zur Meldung von Engpässen und zur Vorbeugung etwaiger Störungen bei der Versorgung mit kritischen Produkten aufgerufen. Die Kommission hat die Arzneimittelindustrie förmlich aufgefordert, die Produktionskapazität für alle Arzneimittel, die infolge von COVID-19 stärker nachgefragt werden, zu erhöhen, insbesondere für Arzneimittel, für die das Risiko eines Versorgungsengpasses besteht.
Es hat sich gezeigt, dass die weltweite Arzneimittellieferkette von protektionistischen Maßnahmen betroffen ist. Ausfuhrverbote und die Bevorratung auf nationaler Ebene innerhalb und außerhalb der EU können leicht zu einer ungerechten Verteilung und zu Versorgungsengpässen in der EU und weltweit führen. Komplettausfuhrverbote für Arzneimittel stehen nicht im Einklang mit dem Vertrag und beeinträchtigen das Funktionieren des Binnenmarktes. Die Europäische Kommission fordert alle Mitgliedstaaten auf, ungerechtfertigte Ausfuhrverbote für Arzneimittel innerhalb des Binnenmarkts aufzuheben.
Die Praxis der Bevorratung zur Vorwegnahme möglicher Engpässe kann dazu beitragen, dass solche Engpässe tatsächlich auftreten. Ein gewisses Maß an Bevorratung unentbehrlicher Arzneimittel für Notfälle ist durchaus nachvollziehbar, aber je stärker diese auf lokaler Ebene stattfindet, desto größer ist die Tendenz hin zu einem unhaltbaren Anstieg der antizipativen Gesamtnachfrage, was, wenn das Angebot nicht Schritt halten kann, zu Engpässen dort führen wird, wo Bedarf besteht. Daher liegt die für alle Mitgliedstaaten optimale Lösung in der Bevorratung auf EU-Ebene (z. B. durch RescEU), und jegliche Bevorratung durch die Mitgliedstaaten sollte auf nationaler Ebene und in moderaten Mengen auf der Grundlage epidemiologischer Indikationen erfolgen.
Rückläufige Produktionskapazitäten, die Schließung von Unternehmen, die Rohstoffe/pharmazeutische Wirkstoffe liefern, Logistikprobleme in betroffenen Ländern sowie Transportbarrieren zwischen den Ländern wirken sich ebenfalls unmittelbar auf die Verfügbarkeit von Arzneimitteln sowie auf die Entwicklung neuer Therapien zur Behandlung von COVID-19 aus. Weltweit haben Ausgangsbeschränkungen zu Störungen und Preissteigerungen im Luft- und Seefrachtverkehr geführt.
Alle müssen zu der Einsicht gelangen, dass kein Land autark ist, wenn es um Rohstoffe, Zwischenprodukte, pharmazeutische Wirkstoffe und Fertigarzneimittel geht, die gebraucht werden, um ein gut funktionierendes Gesundheitssystem zu gewährleisten.
All dies trägt dazu bei, dass das Risiko von Verknappungen unentbehrlicher COVID-19-Arzneimittel (im Folgenden unentbehrliche Arzneimittel) wächst. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, Angebot, Zuteilung und Verwendung zu optimieren und zu rationalisieren, damit die optimale Verfügbarkeit der für die Reaktion auf die Pandemie erforderlichen unentbehrlichen Arzneimittel gewährleistet werden kann.
3. Solidarität zeigen
a. Aufhebung von Ausfuhrverboten und -beschränkungen
Es wird von den Mitgliedstaaten erwartet, dass sie die öffentliche Gesundheit im Geiste der europäischen Solidarität schützen. (2) Damit dieses Ziel erreicht werden kann, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Mitgliedstaaten Ausfuhrverbote für Arzneimittel innerhalb des Binnenmarktes aufheben. Es ist durchaus verständlich, dass Länder die Verfügbarkeit unentbehrlicher Arzneimittel auf nationaler Ebene sicherstellen wollen, allerdings wirken sich Ausfuhrverbote – selbst wenn sie aus rechtlicher Sicht vertretbar sind – verheerend auf die Verfügbarkeit von Arzneimitteln für Patienten in ganz Europa aus. Maßnahmen, die zur Beschlagnahme von Arzneimitteln, Zwischenprodukten oder pharmazeutischen Wirkstoffen oder der Produktionsmittel führen, dürfen keine Option sein. Solche Maßnahmen, insbesondere wenn sie pharmazeutische Wirkstoffe oder Zwischenprodukte betreffen, setzen die Versorgung aufs Spiel, da sie zu einer Verlangsamung der Industrieproduktion führen.
b. Vermeidung der nationalen Bevorratung
Die COVID-19-Pandemie betrifft alle Mitgliedstaaten. Sie müssen sicherstellen, dass unentbehrliche Arzneimittel in den Krankenhäusern und Apotheken erhältlich sind, die sie am dringendsten benötigen – egal, wo sie sich befinden. Die präventive Bevorratung durch die Mitgliedstaaten gefährdet die Versorgung für alle Länder. Eine Bevorratung auf lokaler Ebene kann sogar noch schädlicher sein. Daher sollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Bevorratung durch Großhandel und Apotheken (einschließlich Krankenhausapotheken) verhindert wird.
c. Vermeidung von Fehlinformationen, die zu einer missbräuchlichen Verwendung und unnötigen Bevorratung führen
Um Panikkäufe oder irrationalen Konsum durch die Bevölkerung sowie eine exzessive Beschaffung durch Großhandel und Apotheken zu verhindern, sollten die nationalen Behörden sicherstellen, dass die Akteure der Lieferkette Zugang zu verlässlichen Informationen über die Verwendung von Arzneimitteln im Kontext von COVID-19 haben. Die Mitgliedstaaten sollten ihre Bürgerinnen und Bürger über die Maßnahmen informieren, die sie zur Behebung tatsächlicher und potenzieller Verfügbarkeitsprobleme ergriffen haben, und Fehlinformationen über Verknappungen korrigieren. Ferner sollten die Mitgliedstaaten auch die Kommunikationstätigkeit der Europäischen Arzneimittel-Agentur berücksichtigen.
4. Sicherstellung der Versorgung
a. Steigerung und Neuorganisation der Produktion
Die derzeitige Krise macht eine erhebliche Steigerung der Produktion notwendig. Sie könnte auch erfordern, dass Lieferketten und Produktionslinien neu organisiert und vorhandene Bestände dazu genutzt werden, die Produktion so schnell wie möglich zu steigern. Sollten solche vorübergehenden Maßnahmen von Arzneimittelunternehmen eine Zusammenarbeit oder Koordinierung mit anderen Unternehmen nötig machen, damit die ununterbrochene Versorgung von COVID-19-Patienten sichergestellt werden kann, steht die Kommission bereit, diesen Unternehmen Orientierungshilfen und Rechtssicherheit in Bezug auf die Einhaltung der EU-Wettbewerbsvorschriften zu bieten. (3)
Die Mitgliedstaaten sollten mit Unterstützung der Kommission und der Europäischen Arzneimittel-Agentur weiterhin:
— |
fordern, dass die Akteure der Lieferkette ihre Lagerbestände und Produktionskapazitäten überwachen, den Behörden Informationen liefern, Verknappungen melden und mögliche Lieferunterbrechungen bei unentbehrlichen Arzneimitteln überwachen; |
— |
erforderlichenfalls gemeinsame Anstrengungen der Industrie zur Ermittlung wirksamer Maßnahmen und Ressourcen zur Verringerung von Engpässen und zur Deckung der Nachfrage nach COVID-19-Arzneimitteln fordern, erleichtern und koordinieren; und |
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erforderlichenfalls Initiativen zur Nachfragestützung und Beschaffung umsetzen, um eine angemessene Versorgung der Patienten zu fördern (etwa Instrumente auf EU-Ebene wie RescEU und die gemeinsame Beschaffungsvereinbarung der EU sowie das Soforthilfeinstrument, wenn durch die Haushaltsbehörde genehmigt). |
b. Gewährleistung einer kontinuierlichen vollen Nutzung der Produktionskapazitäten
Die Arzneimittelerzeugung (einschließlich aller erforderlichen Rohstoffe und Bestandteile) sollte als wesentliche Aktivität ausgewiesen und ihre Weiterführung gestattet werden. Insbesondere sollte die Herstellung von unentbehrlichen Arzneimitteln, soweit möglich, gesteigert oder zumindest auf dem derzeitigen Niveau aufrechterhalten werden. Die Mitgliedstaaten sollten die Industrie beim Ausbau ihrer Produktionskapazitäten unterstützen, insbesondere durch steuerliche Anreize und staatliche Beihilfen. (4) Es ist von größter Bedeutung, dafür zu sorgen, dass Arzneimittel, die für den Schutz der öffentlichen Gesundheit als unentbehrlich erachtet werden, zu wettbewerbsfähigen Preisen verfügbar bleiben. (5)
Darüber hinaus sind die folgenden Maßnahmen von grundlegender Bedeutung, damit sichergestellt werden kann, dass die Produktionskapazitäten optimal funktionieren können:
— |
Die Mitgliedstaaten sollten für die Akteure in der Arzneimittellieferkette den Zugang zu persönlicher Schutzausrüstung (PSA) sicherstellen, da diese nicht nur gemäß den geltenden EU-Arbeitsschutzvorschriften vorgeschrieben‚ sondern auch notwendig ist, um Kreuzkontaminationen zu verhindern und die Qualität der Arzneimittel zu gewährleisten. |
— |
Beschäftigte in Produktionsstätten sollten sich weiterhin an ihren Arbeitsort begeben dürfen. Grenzgängern sollte im Einklang mit den Leitlinien der Kommission besondere Flexibilität eingeräumt werden. (6) |
c. Flexible Handhabung von Regulierungsfragen
Um ein ausreichendes Angebot zu gewährleisten und die Produktionskapazitäten zu optimieren, wird den Mitgliedstaaten empfohlen, in Bezug auf Zulassungsänderungen im Einklang mit den einschlägigen Leitlinien regulatorische Flexibilität gegenüber der Arzneimittelindustrie an den Tag zu legen.
Angesichts der derzeitigen beispiellosen Krise sollten die Verfahren für den Wechsel von Lieferanten pharmazeutischer Wirkstoffe, die Ausweisung neuer Produktionsstätten oder die Verlängerung der Verfallsdaten beschleunigt werden, solange die Qualität gewährleistet bleibt.
Vereinfachte Kontrollverfahren könnten auch für kontrollierte Stoffe eingeführt werden, die unter die internationalen Vorschriften gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Substanzen fallen und die zur Herstellung vieler in der Intensivversorgung eingesetzter Arzneimittel verwendet werden. In einigen Fällen wird die grenzüberschreitende Verbringung dieser Stoffe innerhalb der EU durch administrative Verfahren gebremst. Daher sollte die Bearbeitung von Einfuhrgenehmigungen beschleunigt und es sollte in Erwägung gezogen werden, die Verbringung von Arzneimitteln, die kontrollierte Stoffe enthalten, zwischen den Mitgliedstaaten im Einklang mit den Empfehlungen des Internationalen Suchtstoff-Kontrollamts abzuwickeln.
d. Überwachung der verfügbaren Bestände auf nationaler Ebene
Die Mitgliedstaaten sollten Zulassungsinhabern, Großhändlern und Krankenhausapotheken Informationen wie z. B. epidemiologische Prognosen (7) übermitteln, um diese darin zu unterstützen‚ sich besser auf die gestiegene Nachfrage einzustellen und den Bedürfnissen des betreffenden Mitgliedstaates gerecht zu werden. Kontakte zwischen den nationalen Behörden und der Industrie sollten über eine einzige Anlaufstelle organisiert werden. Informationen aus der Industrie sollten auf EU-Ebene über das von der EMA koordinierte SPOC-Netz ausgetauscht werden. Die Europäische Kommission sollte direkt über alle Versorgungsprobleme informiert werden, die auf Ausfuhrverbote aus Drittländern zurückzuführen sind und eine Kontaktnahme auf politischer Ebene erfordern. Zulassungsinhaber sollten ihrerseits sicherstellen, dass die Behörden der Mitgliedstaaten unverzüglich von potenziellen oder zu erwartenden Engpässen und anderen relevanten Informationen in Kenntnis gesetzt werden.
e. Gewährleistung der notwendigen Unterstützung des Großhandels
Arzneimittelgroßhändler sind für den Vertrieb von Arzneimitteln innerhalb der EU/des EWR zuständig. Sie müssen weiterhin uneingeschränkt operieren und Krankenhäuser und Apotheken mit Arzneimitteln versorgen dürfen. Ihre Beschäftigten sollten Zugang zu den erforderlichen persönlichen Schutzausrüstungen haben. Damit die Auslieferung sichergestellt ist, sollten Fahrer von Lieferwagen außerdem eine uneingeschränkte Reiseerlaubnis sowie Zugang zu Krankenhäusern, Apotheken und anderen Ausgabestellen erhalten (insbesondere in Quarantänegebieten).
f. Vollständige Durchsetzung der Green Lanes
Herstellung und Vertrieb von Arzneimitteln erfolgen multinational und sind aufgrund von Grenzkontrollen anfällig für Verzögerungen. Es ist wichtig, die zur Vereinfachung des Transports von Gütern jeglicher Art eingerichteten Green Lanes vollständig durchzusetzen, denn sie ermöglichen nicht nur den reibungslosen Transport von Arzneimitteln, sondern auch von Rohstoffen, Zwischenprodukten, pharmazeutischen Wirkstoffen, Substanzen menschlichen Ursprungs (z. B. Plasma) und dazugehörigem Material wie Verpackungen. (8) Um den Transport wirksam zu erleichtern, müssen auch Laster auf ihrem Weg zu oder zurück von den Produktionsstätten die Grenzen ohne Verzögerungen überqueren dürfen.
g. Erleichterung des Luftfrachtverkehrs und anderer Transportmethoden
Die derzeitigen Ausgangsbeschränkungen haben zu einem Rückgang der Luftfrachtkapazität und zu Preiserhöhungen geführt. Die Arzneimittelindustrie ist in erster Linie auf Kleintransporte auf dem Luftweg angewiesen. Die Mitgliedstaaten sollten Maßnahmen zur Gewährleistung von Luftfrachtkapazitäten für den Transport von Arzneimitteln, pharmazeutischen Wirkstoffen, Zwischenprodukten und Rohstoffen im Einklang mit den Leitlinien der Kommission (9) in Erwägung ziehen. Die Mitgliedstaaten sollten Fracht- und Expressfluggesellschaften dazu auffordern, in Ausnahmefällen Kapazitäten für die Versorgung mit unverzichtbaren Gütern, insbesondere medizinische Ausstattung und Notfalllieferungen, zu reservieren und für solche Lieferungen angemessene Frachtraten anzuwenden.
Ebenso müssen Seeverkehrsdienstleistungen reibungslos und ohne unnötige Verzögerungen funktionieren, um die Kontinuität der Lieferketten zu gewährleisten. (10) Um den Transport wirksam zu erleichtern, müssen auch Binnenschiffe auf ihrem Weg zu oder zurück von den Produktionsstätten die Grenzen ohne Verzögerungen überqueren dürfen.
h. Gewährleistung einer gerechten Verteilung
Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass Großhändler, Apotheken und Krankenhäuser ihre üblichen Arzneimittelvorräte erhalten. Die zusätzliche Nachfrage (freiwillige Bevorratung) ist anhand der Zahl der COVID-19-Patienten im betroffenen Gebiet zu begründen. In Zeiten hoher Nachfrage sollte eine nationale Koordinierung zwischen Behörden, Beschaffern und Industrie eingerichtet werden, damit eine gerechte Verteilung von Arzneimitteln sichergestellt werden kann. Zur Gewährleistung einer angemessenen Versorgung und insbesondere bei dringender Nachfrage sollten die in den Leitlinien der Kommission für die Nutzung des Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge in Krisensituationen im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise skizzierten Flexibilitätsmöglichkeiten berücksichtigt werden. (11)
Es wird empfohlen, die Beschaffung regelmäßig und in kurzen Abständen zu organisieren, um Engpässe zu vermeiden und eine Bevorratung zu verhindern. Zwecks Effizienzsteigerung sollte die Beschaffung für Krankenhäuser so weit wie möglich gebündelt und von zentralen Beschaffungsstellen im Gesundheitswesen organisiert werden.
5. Optimale Verwendung von Arzneimitteln in Krankenhäusern
a. Gerechte Verteilung der verfügbaren Arzneimittel
Die nationalen Behörden sollten in der Lage sein, die Lagerbestände entsprechend dem Bedarf zwischen den Krankenhäusern umzuverteilen. Die Versorgung der Krankenhausapotheken mit unentbehrlichen Arzneimitteln muss auf einer Ebene koordiniert werden, die je nach Organisation und Struktur des jeweiligen Mitgliedstaats dazu geeignet ist, eine effiziente und gerechte Verteilung der verfügbaren Arzneimittel zu ermöglichen. Die nationalen Behörden sollten Vorräte und Nachfrage durch die Einrichtung eines effizienten Meldesystems überwachen, über das Krankenhausapotheken die verfügbaren und erforderlichen Vorräte an unentbehrlichen Arzneimitteln einmal oder sogar mehrmals wöchentlich mitteilen können. So dürfte eine Umverteilung der Lagerbestände auf die Krankenhäuser mit dem höchsten Bedarf möglich sein. Eine koordinierte oder aggregierte Beschaffung trägt auch dazu bei, die Lieferungen bedarfsgerecht unter den Krankenhäusern aufzuteilen.
b. Austausch von medizinischen Leitlinien zur Behandlung von Patienten
Die Verwendung von Arzneimitteln in Krankenhäusern sollte nach validierten medizinischen Leitlinien erfolgen, mit denen der Einsatz der zur Behandlung von Patienten verabreichten Mittel quantitativ optimiert wird. Solche Leitlinien sollten evidenzbasiert sein und entsprechend den Erfahrungen mit der Behandlung von COVID-19-Patienten angepasst werden. Die Mitgliedstaaten sollten den Austausch dieser Erfahrungen fördern. Es sollten optimierte medizinische Leitlinien mit bestätigten Ergebnissen zum EU-weiten Austausch zwischen Krankenhäusern zur Verfügung gestellt werden. Krankenhäuser können das von der Kommission eingerichtete System zur Unterstützung des klinischen Managements von COVID-19 (12) dazu nutzen, ihre Leitlinien anzupassen, um bessere klinische Ergebnisse zu erzielen, und den Einsatz von Arzneimitteln zu optimieren.
c. Prüfung der Verwendung alternativer Arzneimittel auf der Grundlage medizinischer und nationaler Leitlinien
Im Falle einer nachweislichen Arzneimittelverknappung sollten Krankenhäuser ihre bestehenden medizinischen Leitlinien anpassen oder neue validierte Leitlinien aufstellen, in denen die optimale Alternative genannt wird. Diese Informationen sollten, falls zweckdienlich, dem Zulassungsinhaber und den Großhändlern mitgeteilt werden, um es ihnen zu erleichtern, alternative Arzneimittel zu liefern, falls die Therapie der ersten Wahl nicht verfügbar ist.
d. Verlängerung der Verfallsdaten von Arzneimitteln
Krankenhausapotheken verfügen möglicherweise über Vorräte an Arzneimitteln, deren Verfallsdatum in Kürze erreicht wird oder seit Kurzem überschritten ist. Die Zulassungsinhaber sollten aufgefordert werden, die Verlängerung der Verfallsdaten von Chargen unentbehrlicher Arzneimittel nach Möglichkeit auf der Grundlage von Daten zur Lagerstabilität bei den zuständigen nationalen Behörden zu beantragen.
e. Prüfung der Verwendung von Rezepturarzneimitteln oder Tierarzneimitteln
Rezepturarzneimittel sollten als Ersatz für nicht verfügbare Arzneimittel Einsatz finden. Im Falle einer kritischen Verknappung unentbehrlicher zugelassener Humanarzneimittel sollte auch die Verwendung gleichwertiger Arzneimittel (derselbe Wirkstoff, dieselbe Stärke und Darreichungsform) in Betracht gezogen werden, die für die Verabreichung an Tiere zugelassen wurden. Eine solche Substitution sollte immer sorgfältig von der zuständigen nationalen Behörde unter Berücksichtigung der möglichen Besonderheiten des Veterinärsektors bewertet und genehmigt werden. Besonderes Augenmerk sollte auf der Sicherstellung einer angemessenen Dosierung und der zusätzlichen Meldung von Nebenwirkungen gelten. Wenn die regulären Quellen erschöpft sind, sollten unentbehrliche Arzneimittel außerhalb der EU/des EWR unter der Aufsicht der nationalen Behörden oder der Europäischen Arzneimittel-Agentur beschafft werden dürfen.
f. Zulassungsüberschreitende Verwendung von Arzneimitteln und Verwendung in klinischen Studien
Bei Arzneimitteln, die sich in der Entwicklung befinden, oder solchen, die momentan zur Behandlung anderer Krankheiten zugelassen sind und im Rahmen eines Early-Access-Programms oder klinischer Studien zur Therapierung von COVID-19-Patienten außerhalb der zugelassenen Indikationen verwendet werden („Off-Label-Arzneimittel“), ist es wichtig, dass eine umfassende Prognose der benötigten Menge erstellt werden kann und dabei den Bedürfnissen der Patienten Rechnung getragen wird, die diese Arzneimittel zulassungskonform erhalten. Die Durchführung umfangreicher klinischer Studien, in die möglichst viele europäische Länder einbezogen sind, muss Vorrang erhalten, denn sie sind zur Gewinnung belastbarer Daten notwendig, die es zum Nachweis der Wirksamkeit braucht, die Gesundheitsfachkräften und Patienten als Grundlage für eine angemessene Beratung dienen und die Regulierungsbehörden die Entscheidungsfindung ermöglichen.
6. Optimierung der Arzneimittelausgabe in Apotheken, damit keine Medikamente gehortet werden
a. Einführung von Maßnahmen, die Personen, die auf Medikamente angewiesen sind, ein Gefühl der Sicherheit vermitteln
Patienten könnten versucht sein, Arzneimittel zu horten, um den Besuch von Apotheken und die Exposition gegenüber dem Coronavirus während der Pandemie zu vermeiden. Die Mitgliedstaaten sollten daher – zumindest für Risikopatienten – alternative Liefermaßnahmen fördern, um exzessive Käufe durch die Bevölkerung zu verhindern (z. B. Heimzustelldienste, die von örtlichen Apotheken eingerichtet werden).
b. Einführung von Verkaufsbeschränkungen in Apotheken
Die Mitgliedstaaten sollten die Abgabe und den Verkauf bestimmter verschreibungspflichtiger und nicht verschreibungspflichtiger Medikamente beschränken (z. B. indem nur eine Monatsration verschreibungspflichtiger Medikamente oder – bei nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten – höchstens eine Packung pro Kunde abgegeben wird). Sie sollten diese Beschränkungen auf Arzneimittel anwenden, bei denen eine Verknappungsgefahr oder eine erhöhte Nachfrage bestehen.
c. Beschränkung des Online-Verkaufs verknappungsgefährdeter Produkte
Für eine bessere Kontrolle der Versorgung von Patienten mit unentbehrlichen Arzneimitteln kann eine vorübergehende Beschränkung des Online-Verkaufs unentbehrlicher Arzneimittel in Erwägung gezogen werden. Die Mitgliedstaaten sollten auch erwägen, besser über das gemeinsame EU-Logo zu informieren, das legal operierende Online-Einzelhändler kennzeichnet, um zu verhindern, dass Patienten gefälschte Arzneimittel von nicht zugelassenen Verkäufern erwerben.
d. Die Patienten beruhigen
Die Mitgliedstaaten sollten die rationalisierte Verwendung von Arzneimitteln fördern und die Öffentlichkeit von Verfügbarkeit und sicherer Verwendung von Arzneimitteln überzeugen. Außerdem sollten sie die Bevölkerung über alle Empfehlungen der Europäischen Arzneimittel-Agentur informieren. (13)
(1) ECDC report on risk assessment on COVID-19 (Bericht des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten über die Risikobewertung zu COVID-19), 25.3.2020.
(2) Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, die Europäische Zentralbank, die Europäische Investitionsbank und die Euro-Gruppe – Die koordinierte wirtschaftliche Reaktion auf die COVID-19-Pandemie (COM(2020) 112 final vom 13.3.2020).
(3) Siehe auch die Mitteilung der Kommission über den Befristeten Rahmen für die Prüfung kartellrechtlicher Fragen der Zusammenarbeit von Unternehmen in durch die derzeitige COVID-19-Pandemie verursachten Notsituationen, 8.4.2020, C(2020) 3200.
(4) Mitteilung der Kommission über die Änderung des Befristeten Rahmens für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19, 3.4.2020, C(2020) 2215 final.
(5) Gemeinsame Erklärung des Europäischen Wettbewerbsnetzes (ECN) zur Anwendung des Wettbewerbsrechts während der Corona-Krise, 23.3.2020 (https://ec.europa.eu/competition/ecn/202003_joint-statement_ecn_corona-crisis.pdf).
(6) Mitteilung der Kommission über die Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitskräfte während des COVID-19-Ausbruchs, 30.3.2020, (ABl. C 102 I vom 30.3.2020, S. 12).
(7) Ein Bespiel hierfür sind die Prognosen der Epidemic Prediction Initiative: https://epiforecasts.io/covid/posts/global/.
(8) Leitlinien für Grenzmanagementmaßnahmen zum Schutz der Gesundheit und zur Sicherstellung der Verfügbarkeit von Waren und wesentlichen Dienstleistungen, 16.3.2020, COM(2020) 1753 final, und Mitteilung über die Umsetzung sogenannter „Green Lanes“, C(2020) 1897 final.
(9) Mitteilung der Kommission über die Erleichterung des Luftfrachtbetriebs während des COVID-19-Ausbruchs, 26.3.2020, C(2020) 2010 final.
(10) Mitteilung der Kommission über Leitlinien zum Schutz der Gesundheit, zur Rückkehr und zur Regelung der Reise von Seeleuten, Fahrgästen und anderen Personen an Bord von Schiffen, 8.4.2020, C(2020) 3100.
(11) Leitlinien der Europäischen Kommission zur Nutzung des Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der durch die COVID-19-Krise verursachten Notsituation, (ABl. C 108 I vom 1.4.2020, S. 1).
(12) System zur Unterstützung des klinischen Managements von COVID-19: https://ec.europa.eu/eusurvey/runner/COVID19CENTRES.
(13) Etwa über die Empfehlung der Europäischen Arzneimittel-Agentur zur Verwendung nicht steroidaler entzündungshemmender Mittel für COVID-19: https://www.ema.europa.eu/en/documents/press-release/ema-gives-advice-use-non-steroidal-anti-inflammatories-covid-19_en.pdf