EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 23.5.2018
COM(2018) 335 final
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DIE EUROPÄISCHE ZENTRALBANK, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS, DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN UND DIE EUROPÄISCHE INVESTITIONSBANK
Überprüfung der im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehenen Flexibilität
{SWD(2018) 270 final}
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DIE EUROPÄISCHE ZENTRALBANK, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS, DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN UND DIE EUROPÄISCHE INVESTITIONSBANK
Überprüfung der im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehenen Flexibilität
Am 13. Januar 2015 legte die Kommission eine Mitteilung mit dem Titel „Optimale Nutzung der im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehenen Flexibilität“ vor. Diese Mitteilung enthielt neue Orientierungshilfen für die Nutzung der im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehenen Flexibilität mit dem Ziel, die Verknüpfung zwischen den drei Komponenten – Investitionen, Strukturreformen und verantwortungsvolle Haushaltspolitik – ihrer Beschäftigungs- und Wachstumsstrategie, die die Kommission im Zentrum ihrer politischen Bestrebungen verortete, zu stärken und Veränderungen der Wirtschaftslage besser zu berücksichtigen. Diese neuen Klarstellungen der Kommission wurden ausführlich mit den Mitgliedstaaten erörtert und mündeten in die Veröffentlichung eines gemeinsam vereinbarten Standpunktes des Wirtschafts- und Finanzausschusses (WFA), der am 12. Februar 2016 vom Rat der Wirtschafts- und Finanzminister gebilligt wurde.
In den Abschnitten 2.2 und 5 des gemeinsam vereinbarten Standpunktes zur Flexibilität wird die Kommission aufgefordert, die Wirksamkeit der neuen Klarstellungen bis Ende Juni 2018 zu überprüfen. Dabei sollten insbesondere zwei zentrale Bestandteile, nämlich die Wirksamkeit der Modulation der Konsolidierungsanstrengungen entsprechend der konjunkturellen Entwicklung und die Anwendung der Flexibilität auf Strukturreformen und Investitionen, ins Auge genommen werden. Ein technischer Anhang enthält die Berechnungen und die erforderlichen Einzelheiten, die dieser Überprüfung zugrunde gelegt wurden.
1. Die wichtigsten Elemente der im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehenen Flexibilität
Die Mitteilung vom Januar 2015 wurde zu einer Zeit angenommen, als Europa sich allmählich aus der seit 2008 anhaltenden Rezession befreite, die wirtschaftliche Erholung aber noch auf schwachen Füßen stand und die Unterschiede von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat erheblich waren. So verharrte die Arbeitslosigkeit weiter auf einem kontinuierlich hohen Stand, private und öffentliche Investitionen wurden nur verhalten getätigt und die Mitgliedstaaten litten krisenbedingt unter hohen Schulden. Die Inflation blieb verhalten und deutlich unter dem Ziel der Europäischen Zentralbank.
Vor diesem Hintergrund boten die Kommissionsmitteilung und der gemeinsam vereinbarte Standpunkt praktische Orientierungshilfen für eine verantwortungsvolle, differenzierte und wachstumsfreundliche Handhabung der bestehenden Regeln.
Die Klarstellungen betrafen lediglich die präventive Komponente des Pakts, die eine mittelfristig nachhaltige Haushaltslage in den Mitgliedstaaten gewährleisten soll. Der fundamentale Grundsatz der verantwortungsvollen Haushaltspolitik wurde aufrechterhalten und von der Kommission bekräftigt. Gleichzeitig ermöglichte die Kommission die Abstimmung des den Mitgliedstaaten empfohlenen Anpassungspfads auf i) konjunkturelle Schwankungen und ii) die Notwendigkeit zur Förderung von Strukturreformen und Investitionen der öffentlichen Hand.
Die Modulation der haushaltspolitischen Anpassung entsprechend dem Verlauf des Konjunkturzyklus wurde in einer sogenannten „Matrix der Anforderungen“ (im Folgenden „Matrix“) aufgeschlüsselt. Danach sind den Mitgliedstaaten in wirtschaftlich guten Zeiten und/oder bei einem hohen öffentlichen Schuldenstand umfassendere Konsolidierungsanstrengungen abzuverlangen, wohingegen sie in wirtschaftlich schlechten Zeiten und/oder bei niedrigem öffentlichen Schuldenstand moderater ausfallen können (siehe Kasten).
Eine befristete und begrenzte Lockerung der erforderlichen haushaltspolitischen Anpassung wurde zur Unterstützung von Strukturreformen und Investitionen vorgesehen. Der Pakt erlaubt es einem Mitgliedstaat, von einem soliden Haushalt (oder dem Anpassungspfad zu diesem) abzuweichen, um die kurzfristigen Kosten von Strukturreformen aufzufangen, die sich langfristig positiv auf den Haushalt auswirken. Dabei handelt es sich um die sogenannte „Strukturreform-Klausel“. Im haushaltspolitischen Kurs eines Mitgliedstaates können sich auch signifikante öffentliche Investitionen niederschlagen, die vom Mitgliedstaat vorgenommen, aber von der Union kofinanziert werden. Dabei handelt es sich um die sogenannte „Investitionsklausel“. Beide Klauseln werden von Sicherheitsvorkehrungen flankiert, die ein Gleichgewicht zwischen dieser Flexibilität und der notwendigen Bewahrung einer verantwortungsvollen Haushaltspolitik gewährleisten sollen. Im Kasten wird ausführlicher dargestellt, wie diese beiden Klauseln funktionieren.
Kasten: Wichtigste Punkte der Mitteilung vom Januar 2015
Die Mitteilung vom 13. Januar 2015 besteht aus zwei Hauptteilen. Sie beschreibt die Anwendung der Flexibilität in der präventiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts i) in Bezug auf die Berücksichtigung konjunktureller Schwankungen und ii) im Hinblick auf die Schaffung von Spielräumen zur Durchführung von Strukturreformen und Investitionen.
Modulation der erforderlichen haushaltspolitischen Anpassung entsprechend dem Konjunkturverlauf
Der Umfang der erforderlichen jährlichen haushaltspolitischen Anpassung wird in der sogenannten „Matrix der Anforderungen“ dargestellt. Dort wird bis ins Detail aufgeschlüsselt, wie hoch die erforderliche jährliche Anpassung unter Berücksichtigung der Konjunkturlage und der Nachhaltigkeitsbedürfnisse jedes einzelnen Mitgliedstaats und der wirtschaftlichen Entwicklung ausfallen muss.
Die Konjunkturlage wird vor allem mit der Produktionslücke, d. h. der Differenz zwischen dem tatsächlichen BIP und dem geschätzten potentiellen BIP, erfasst. Je höher die positive (negative) Produktionslücke ist, desto größer (kleiner) sind die erforderlichen Anpassungsanstrengungen. Eine insgesamt ungünstige Haushaltslage erfordert eine raschere Haushaltsanpassung, insbesondere wenn die Haushaltsstabilität gefährdet ist oder der Schuldenstand im Verhältnis zum BIP über dem im Vertrag verankerten Schwellenwert von 60 % liegt.
Flexibilität zur Förderung von Strukturreformen und Investitionen
Die präventive Komponente des Pakts ermöglicht die erforderliche Flexibilität innerhalb der bestehenden Regeln, ohne von einer verantwortungsvollen Haushaltspolitik abzuweichen. Im Falle der Strukturreformen und Investitionen schlägt sie sich in einem Haushaltsspielraum (technisch in einer befristeten Abweichung vom mittelfristigen Ziel oder dem Anpassungspfad dorthin) nieder, der ihren kurzfristigen Haushaltsfolgen entspricht.
Sowohl Strukturreformen als auch Investitionen wirken sich langfristig positiv auf die öffentlichen Haushalte aus und sind potenziell wachstumsfördernd. Es muss sich um größere Strukturreformen handeln, die vollständig umgesetzt werden. Investitionen müssen zu einem erheblichen Teil von der Union kofinanziert werden, wobei nur der national finanzierte Anteil berücksichtigt wird.
Beide Klauseln werden von Sicherheitsvorkehrungen flankiert, die eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik gewährleisten sollen. Beispielsweise können die Klauseln lediglich einmal während eines Anpassungszeitraums genutzt werden. Außerdem darf ihre Anwendung nicht zu einem Verstoß gegen die Defizitobergrenze von 3 % führen, und es ist ein Sicherheitsabstand zu diesem Schwellenwert zu wahren. Nur in wirtschaftlich schlechten Zeiten können Mitgliedstaaten die Anwendung der Investitionsklausel beantragen. Außerdem dürfen die Investitionen der öffentlichen Hand insgesamt nicht zurückgehen.
2. Die wichtigsten Ergebnisse der Überprüfung
Entsprechend dem der Kommission erteilten Auftrag werden in dieser Überprüfung zwei zentrale Fragen beantwortet. Die erste Frage ist, ob die Matrix zur Aufschlüsselung der jährlichen Anpassungsanforderung tatsächlich eine Modulation des Anpassungspfads entsprechend dem Konjunkturzyklus bewirkt. Die zweite Frage ist, ob weitergehende Flexibilität tatsächlich mehr Strukturreformen und Investitionen ermöglicht. Die wichtigsten Feststellungen (vollständige Analyse im Anhang) lassen sich wie folgt zusammenfassen.
Die Modulation der erforderlichen haushaltspolitischen Anpassung im Verlauf des Konjunkturzyklus funktioniert. Die Matrix bildet die Grundlage für die Festsetzung und Quantifizierung der Vorgaben für den haushaltspolitischen Anpassungspfad in den länderspezifischen Empfehlungen der Kommission in sämtlichen Runden des Europäischen Semesters seit 2015. Die Matrix ist so konzipiert, dass die erforderlichen Haushaltsanstrengungen tatsächlich auf die Konjunkturlage und den Schuldenstand in den Mitgliedstaaten abgestimmt werden. Hierdurch wird das Standardtempo der erforderlichen Haushaltsanpassung nicht verringert. Die Matrix unterstützt somit das Erreichen eines mittelfristig stabilen Haushalts und fördert einen ausreichend raschen Schuldenabbau.
Vier Mitgliedstaaten haben seit 2015 die Anwendung der Strukturreform- und/oder der Investitionsklausel beantragt. Es handelt sich um Finnland, Italien, Lettland und Litauen (Strukturreformklausel) sowie nochmals um Finnland und Italien (Investitionsklausel). Nahezu die Hälfte der Mitgliedstaaten hätte die Strukturreformklausel in Anspruch nehmen können, aber die meisten haben darauf verzichtet. Die Bedingung, dass sich ein Mitgliedstaat in einer schlechten wirtschaftlichen Lage befinden muss, um die Investitionsklausel in Anspruch nehmen zu können, hat ihre Anwendung erheblich eingeschränkt. Die Notwendigkeit, einen Sicherheitsabstand zur Defizitobergrenze von 3 % zu wahren, hat sich für einige Mitgliedstaaten ebenfalls als Hemmnis erwiesen.
Die positiven Auswirkungen von Reformen und Investitionen auf die Nachhaltigkeit der öffentlichen Haushalte werden erst über einen längeren Zeitraum sichtbar als jenen, auf den sich diese Überprüfung erstreckt. Ferner lassen sich die Auswirkungen auf das Gesamtvolumen der öffentlichen Investitionen wegen ihrer Komplexität kaum genau bemessen.
3. Fazit: Das neue Konzept funktioniert und wirkt
Insgesamt zeigt die Überprüfung, dass die wichtigsten Ziele der Kommissionsmitteilung und des gemeinsam vereinbarten Standpunktes zur Flexibilität weitgehend erreicht wurden. Sie bilden einen berechenbaren und transparenten Rahmen, dank dessen die Kommission die bestehenden Regeln des Pakts in einer länderspezifischen, ausgewogenen Art und Weise handhaben konnte. Der erste Jahresbericht des Europäischen Fiskalausschusses lässt ebenfalls auf eine ausgewogene Anwendung des Pakts schließen.
Die im Pakt vorgesehene Flexibilität hat es ermöglicht, das Ziel der Gewährleistung einer verantwortungsvollen Haushaltspolitik ausgewogen mit dem Ziel der wirtschaftlichen Stabilisierung zu verbinden. Laut der Frühjahrsprognose 2018 der Kommission gingen die Schulden und Defizite der öffentlichen Haushalte zurück, und die Wirtschaftstätigkeit hat seit 2016 an Schwung gewonnen (siehe Abbildungen 1 und 2).
Die Möglichkeit der Abstimmung auf die konjunkturelle Entwicklung wird die Mitgliedstaaten künftig ermutigen, ihre Haushaltsanstrengungen in guten Zeiten zu intensivieren, um unsere Volkswirtschaften widerstandsfähiger zu machen. Jetzt, da der Aufschwung in Europa in sein fünftes Jahr geht, ist die Zeit reif, Haushaltsspielräume aufzubauen, damit automatische Stabilisatoren beim nächsten Konjunkturrückgang ihre Funktion vollumfänglich ausüben und die beschäftigungsbezogenen und sozialen Folgen abmildern können. Dies ist eine dringliche Aufgabe, da die Verbesserung der Haushaltslage in vielen Mitgliedstaaten in letzter Zeit vor allem auf die gute konjunkturelle Entwicklung zurückgeht, die Schuldenstände in mehreren Mitgliedstaaten sich aber nach wie vor in Nähe ihrer historischen Höchstmarke befinden.
Abbildung 1: Öffentliche Haushalte und reales Wachstum in der EU-28
Quelle: Frühjahrsprognose 2018 der Kommission
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Abbildung 2: Öffentliche Haushalte und reales Wachstum im Euro-Währungsgebiet
Quelle: Frühjahrsprognose 2018 der Kommission
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