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Document 52017IP0496

    Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. Dezember 2017 zu dem Recht auf freie Meinungsäußerung in Vietnam und insbesondere dem Fall Nguyen Van Hoa (2017/3001(RSP))

    ABl. C 369 vom 11.10.2018, p. 73–75 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    11.10.2018   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 369/73


    P8_TA(2017)0496

    Meinungsfreiheit in Vietnam, insbesondere der Fall Nguyen Van Hoa

    Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. Dezember 2017 zu dem Recht auf freie Meinungsäußerung in Vietnam und insbesondere dem Fall Nguyen Van Hoa (2017/3001(RSP))

    (2018/C 369/08)

    Das Europäische Parlament,

    unter Hinweis auf seine bisherigen Entschließungen zu Vietnam,

    unter Hinweis auf den 7. Menschenrechtsdialog zwischen der EU und Vietnam vom 1. Dezember 2017,

    unter Hinweis auf das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Vietnam, das am 27. Juni 2012 unterzeichnet wurde,

    unter Hinweis auf die EU-Leitlinien zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern von 2008,

    unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948,

    unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dem Vietnam 1982 beigetreten ist,

    unter Hinweis auf die Entscheidung der Europäischen Bürgerbeauftragten vom 26. Februar 2016 im Fall 1409/2014/MHZ zum Versäumnis der Europäischen Kommission, eine vorausgehende Folgenabschätzung in Bezug auf die Menschenrechte beim Freihandelsabkommen zwischen der EU und Vietnam durchzuführen,

    gestützt auf Artikel 135 Absatz 5 und Artikel 123 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,

    A.

    in der Erwägung, dass die EU Vietnam als einen wichtigen Partner in Asien erachtet; in der Erwägung, dass im Jahre 2015 das 25-jährige Jubiläum der Beziehungen zwischen der EU und Vietnam begangen wurde; in der Erwägung, dass sich die Bandbreite dieser Beziehungen rasch vergrößert und von einer Partnerschaft mit den Schwerpunktthemen Handel und Hilfe zu einer umfassenderen Partnerschaft gewandelt hat;

    B.

    in der Erwägung, dass der 22-jährige Videofilmer und Blogger Nguyen Van Hoa von seiner Familie am 11. Januar 2017 als vermisst gemeldet wurde und sich später herausstellte, dass er von der Polizei ohne Vorlage eines Haftbefehls festgenommen worden war;

    C.

    in der Erwägung, dass Nguyen Van Hoa ursprünglich gemäß § 258 des vietnamesischen Strafgesetzbuchs verhaftet und wegen des „Missbrauchs demokratischer Freiheiten zur Verletzung der staatlichen Interessen“ angeklagt wurde; in der Erwägung, dass diese Anklage im April 2017 hochgestuft und in einen Verstoß gegen § 88 umgewandelt wurde; in der Erwägung, dass § 88 des Strafgesetzbuchs häufig gegen Menschenrechtsverteidiger angewandt wird, die auf Menschenrechtsverletzungen in Vietnam hingewiesen haben;

    D.

    in der Erwägung, dass Nguyen Van Hoa am 27. November 2017 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weil er im Internet Informationen, darunter auch Videoaufnahmen, über die Umweltkatastrophe in der Provinz Ha Tinh von April 2016 verbreitet hatte, als das taiwanesische Stahlunternehmen „Formosa Ha Tinh Steel“ illegal giftige Industrieabfälle ins Meer leiten ließ, was verheerende Umweltschäden auf einer Küstenlinie von 200 km Länge verursacht, das Leben im Meer dort abgetötet und zu Krankheiten bei Menschen geführt hat;

    E.

    in der Erwägung, dass diese Katastrophe in der vietnamesischen Bevölkerung große Entrüstung hervorgerufen hat, was auch in den sozialen Netzwerken starken Widerhall fand und der Auslöser friedlicher Massendemonstrationen in allen Großstädten des Landes war; in der Erwägung, dass neben Nguyen Van Hoa eine Reihe weiterer Personen von den vietnamesischen Staatsorganen in den Tagen vor dem vietnamesischen Neujahrsfest („Tet“) festgenommen wurde;

    F.

    in der Erwägung, dass das Volksgericht der Provinz Ha Tinh nach einem zweieinhalb Stunden währenden Prozess Nguyen Van Hoa unter Berufung auf § 88 für schuldig befand, staatsfeindliche Propaganda erstellt zu haben; in der Erwägung, dass Nguyen Van Hoa der Zugang zu einem Rechtanwalt als seinem Vertreter vor Gericht verwehrt wurde;

    G.

    in der Erwägung, dass ein vietnamesisches Gericht am 30. November 2017 die zehnjährige Freiheitsstrafe bestätigt hat, die gegen Nguyen Ngoc Nhu Quynh, eine andere Bloggerin ebenfalls wegen staatsfeindlicher Propaganda verhängt worden war, weil sie kritische Artikel über Umweltzerstörung, Politik und Todesfälle in Polizeigewahrsam verfasst hatte;

    H.

    in der Erwägung, dass das Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte im Rahmen seiner Sonderverfahren und -mechanismen wiederholt § 88 des vietnamesischen Strafgesetzbuchs beanstandet hat, weil er gegen internationale Menschenrechtsnormen verstößt;

    I.

    in der Erwägung, dass die meisten Medienunternehmen in Vietnam in staatlichem Besitz sind und vom Staat kontrolliert werden; in der Erwägung, dass die Pressefreiheit in Vietnam massiv beschnitten wird, in der Erwägung, dass Vietnam auf dem Index der Pressefreiheit in der Welt für das Jahr 2017 von „Reporter ohne Grenzen“ an 175. Stelle von 180 Ländern steht; in der Erwägung, dass die staatlichen Stellen Vietnams als Reaktion auf die große Entrüstung in der Bevölkerung nach der Umweltkatastrophe in der Provinz Ha Tinh vorübergehend den Zugang zu sozialen Netzwerken sperren ließen, Demonstrationen mit Gewalt auflösten und Protestteilnehmer festnahmen;

    J.

    in der Erwägung, dass in Vietnam im April 2016 ein Gesetz über den Zugang zu Informationen und eine neue Fassung des Pressegesetzes verabschiedet worden sind, in deren Rahmen die Freiheit der Meinungsäußerung eingeschränkt und die Zensur verstärkt wurden; in der Erwägung, dass zudem Regelungen eingeführt wurden, in deren Rahmen es untersagt ist, während eines Gerichtsverfahrens vor einem Gerichtsgebäude zu demonstrieren;

    K.

    in der Erwägung, dass die Religions- und Glaubensfreiheit in Vietnam unterdrückt wird und das die katholische Kirche ebenso wie nicht anerkannte Glaubensgemeinschaften wie die Vereinigte Buddhistische Kirche von Vietnam, mehrere protestantische Kirchen und andere wie die ethnische Minderheit der Montagnard weiterhin schwerwiegender religiöser Verfolgung ausgesetzt sind;

    L.

    in der Erwägung, dass während des 7. Menschenrechtsdialogs zwischen der EU und Vietnam die Themen Meinungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Religions- und Glaubensfreiheit sowie der Zugang zu Informationen erörtert wurden; in der Erwägung, dass die EU auf die Verschlechterung der Lage der bürgerlichen und politischen Rechte in Vietnam hingewiesen hat; in der Erwägung, dass die EU Vietnam nahegelegt hat, ständige Einladungen für alle Sonderverfahren der Vereinten Nationen auszusprechen;

    1.

    missbilligt die gegen Nguyen Van Hoa verhängte siebenjährige Gefängnisstrafe; betont, dass Nguyen Van Hoa sein Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen hat; fordert die vietnamesischen Staatsorgane nachdrücklich auf, Nguyen Van Hoa sofort und bedingungslos freizulassen;

    2.

    weist mit Besorgnis auf die wachsende Zahl an Festnahmen, Verhaftungen und Schuldsprüchen hin, die sich gegen vietnamesische Bürger richten und mit den von ihnen zum Ausdruck gebrachten Meinungen in Zusammenhang stehen;

    3.

    bringt seine Besorgnis über das zunehmende restriktive Vorgehen der staatlichen Stellen in Vietnam im Hinblick auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und andere Freiheiten zum Ausdruck; verurteilt in diesem Zusammenhang, dass die staatlichen Stellen auf körperliche und psychische Schikane und Hausarrest ohne rechtliche Grundlage zurückgreifen sowie Druck auf Anwälte, Arbeitgeber, Vermieter und Familienangehörige von politisch engagierten Bürgern ausüben und in die Privatsphäre eingreifende Überwachungsmethoden anwenden; ist zudem darüber besorgt, dass die Freizügigkeit eingeschränkt wird, um Blogger und Aktivisten an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen wie Menschenrechtsdiskussionen oder Gerichtsverhandlungen von politischen Mitstreitern zu hindern;

    4.

    fordert die Staatsorgane Vietnams auf, alle Bürger freizulassen, die wegen der gewaltfreien Wahrnehmung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung inhaftiert wurden;

    5.

    fordert die Staatsorgane Vietnams auf, alle Restriktionen aufzuheben und die Drangsalierung von Menschenrechtsverteidigern einzustellen sowie unter allen Umständen zu garantieren, dass sie ihrer legitimen Tätigkeit im Bereich Menschenrechte nachgehen können, ohne Repressalien fürchten zu müssen und ohne Restriktionen einschließlich der Schikane vonseiten der Justiz ausgesetzt zu sein;

    6.

    ist wegen der massiven Anwendung der Bestimmungen des vietnamesischen Strafgesetzbuchs in Bezug auf die nationale Sicherheit zutiefst besorgt;

    7.

    prangert die Anwendung der Todesstrafe in Vietnam bei bestimmten Straftatbeständen in Verbindung mit der nationalen Sicherheit an, wie es in dem novellierten Strafgesetzbuch vorgeschrieben ist, und verurteilt, dass in dem Land weiterhin Todesurteile gefällt werden; bekräftigt, dass die EU die Todesstrafe in allen Fällen und ausnahmslos vehement ablehnt; fordert die vietnamesischen Staatsorgane erneut auf, ein Moratorium für die Todesstrafe als ersten Schritt in Richtung ihrer Abschaffung für alle Straftaten zu verhängen;

    8.

    fordert die vietnamesische Regierung nachdrücklich auf, bestimmte Paragraphen des Strafgesetzbuchs zu ändern, darunter § 88 zu Propaganda und § 79 zu Handlungen mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen, die vom Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) als Verstoß gegen internationale Menschenrechtsnormen beanstandet worden sind, sowie dafür Sorge zu tragen, dass Belange der nationalen Sicherheit nicht als Vorwand dafür dienen, die Menschenrechte einschließlich der Meinungsfreiheit und der Religions- und Glaubensfreiheit zu unterdrücken; bringt seine Sorge über das neue Vereinigungsgesetz und das Gesetz über Glauben und Religion zum Ausdruck, die mit den Völkerrechtsnormen unvereinbar sind;

    9.

    fordert Vietnam nachdrücklich auf, ständige Einladungen an die Sonderverfahren der Vereinten Nationen auszusprechen, insbesondere an den Sonderberichterstatter über die Förderung und den Schutz der Meinungsfreiheit und des Rechts der freien Meinungsäußerung und an den Sonderberichterstatter über die Lage von Menschenrechtsverteidigern, und ihnen freien und ungehinderten Zugang zu all denjenigen zu gewähren, die sie befragen möchten;

    10.

    begrüßt, dass Vietnam das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter ratifiziert hat, und fordert das Land nachdrücklich auf, sich in diesem Rahmen sinnvoll zu engagieren, indem es unter anderem regelmäßige und ausführliche Eingaben gemäß den Vorschriften des Übereinkommens einreicht; beharrt darauf, dass keine durch Folter oder andere Formen der Misshandlung erzwungenen Aussagen als Beweismittel verwendet werden dürfen, um wegen Propaganda oder anderer politisch motivierter Anschuldigungen angeklagte Personen schuldig zu sprechen;

    11.

    begrüßt die gestärkte Partnerschaft und den Menschenrechtsdialog zwischen der EU und Vietnam und weist darauf hin, wie wichtig dieser Dialog als ein wesentliches Instrument ist, das effizient genutzt werden muss, um Vietnam bei der Umsetzung der notwendigen Reformen zu begleiten und zu unterstützen;

    12.

    begrüßt die Tatsache, dass die EU während des 7. Menschenrechtsdialogs zwischen der EU und China die Themen Meinungs- und Vereinigungsfreiheit und die wachsende Zahl an Festnahmen, Verhaftungen und Schuldsprüchen zur Sprache gebracht hat; fordert die Kommission nachdrücklich auf, die im Rahmen des Dialogs erzielten Fortschritte mithilfe der Einführung von Richtwerten und entsprechenden Mechanismen zu überwachen; fordert die Kommission und die VP/HV nachdrücklich auf, das Thema der Meinungsfreiheit in ihrem regelmäßigen Dialog mit Vietnam weiterhin anzusprechen, so auch während des nächsten Asien-Europa-Gipfels (ASEM) im Jahr 2018 in Brüssel;

    13.

    fordert die vietnamesischen Staatsorgane auf, sich mit der Umweltkatastrophe in der Provinz Ha Tinh zu befassen, was zu einem Massenfischsterben in der Region geführt und sich auf das Leben tausender Menschen ausgewirkt hat, indem legislative Maßnahmen zum Wiederaufbau und der Sanierung der lokalen Wirtschaft ergriffen werden;

    14.

    beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Generalsekretär des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN) sowie der Regierung und der Nationalversammlung von Vietnam zu übermitteln.

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