Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52015DC0419

    MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT Auf dem Weg zum Weltgipfel für humanitäre Hilfe: eine globale Partnerschaft für grundsatzorientiertes und wirksames humanitäres Handeln

    COM/2015/0419 final

    Brüssel, den 2.9.2015

    COM(2015) 419 final

    MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT

    Auf dem Weg zum Weltgipfel für humanitäre Hilfe: eine globale Partnerschaft für grundsatzorientiertes und wirksames humanitäres Handeln

    {SWD(2015) 166 final}


    I.Weltgipfel für humanitäre Hilfe – Neugestaltung des humanitären Handelns in einem sich wandelnden Umfeld

    a)Einführung

    Der Generalsekretär der Vereinten Nationen (VN) hat den ersten Weltgipfel für humanitäre Hilfe für den 23. und 24. Mai 2016 in Istanbul anberaumt. Anlass ist eine beispiellose Zunahme der Anzahl von Menschen, die von Konflikten und Naturkatastrophen betroffen sind, einschließlich der höchsten Anzahl von Vertreibungen seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Gipfel bietet der internationalen Gemeinschaft die einzigartige Gelegenheit, einen internationalen Konsens zu erzielen, durch den die Grundsätze der humanitären Hilfe bekräftigt werden und das humanitäre Handeln gestärkt wird. Auf dem Gipfel werden Regierungen, Geber, Durchführungsorganisationen 1 , der Privatsektor und Vertreter der betroffenen Bevölkerungsgruppen zusammentreffen. Wo immer nötig, sollten sie sich zu wirksameren Methoden der Zusammenarbeit bei der Verwirklichung des gemeinsamen Ziels, Leben zu retten und Leid zu lindern, verpflichten. Dadurch wird der Gipfel den derzeitigen Modus Operandi für die humanitäre Hilfe so beeinflussen und möglicherweise auch verändern, dass Menschen in Not besser unterstützt werden.

    Die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedstaaten sind wichtige Geber humanitärer Hilfe. Gemeinsam sind sie bedeutende Politikgestalter mit weltweiter operativer Erfahrung. Viele andere Beteiligte erwarten von ihnen, dass sie zum Erfolg des Gipfels beitragen. Diese Mitteilung, die auf dem Europäischen Konsens über die humanitäre Hilfe aufbaut 2 , enthält eine Beschreibung der Vision der Union für die Neugestaltung des humanitären Handelns und Empfehlungen, die vom Gipfel gebilligt werden sollten. Die Kernaussage besteht darin, dass Partnerschaften zwischen einer Vielzahl von Akteuren auf- bzw. ausgebaut werden sollten. Die internationale Gemeinschaft kann auf die eskalierenden und vielschichtigen Krisen und Katastrophen, die humanitäre Hilfe erforderlich machen, nur eingehen, wenn sie ihre Maßnahmen bündelt und koordiniert.

    b)Humanitäre Landschaft im Wandel

    Humanitäre Krisen haben in den letzten 25 Jahren an Häufigkeit, Komplexität und Schwere zugenommen. Im Jahr 2014 gab es mehr als 400 politisch bedingte Konflikte, von denen 50 Millionen Menschen betroffen waren. Mehr als 40 dieser Konflikte waren mit konventioneller Kriegsführung oder terroristischen Handlungen verbunden. 3 Viele von ihnen sind ideologisch motiviert und haben dramatische Auswirkungen auf die Region mit Folgewirkungen für den Zugang zu humanitärer Hilfe, den Schutz der betroffenen Bevölkerungsgruppen und die Sicherheit der humanitären Helfer. Wegen der mangelnden Bereitschaft einiger Akteure zu politischen Lösungen ziehen sich diese Krisen in die Länge, wodurch ein jahre-, wenn nicht jahrzehntelanger Bedarf an humanitärer Hilfe entsteht.

    Jedes Jahr sind 100 Millionen Menschen von Naturkatastrophen betroffen, die teils auf den Klimawandel zurückzuführen sind und teils mit Megatrends zusammenhängen, wie Wasserknappheit, Verstädterung und demografischem Druck. 4 Viele dieser Katastrophen wiederholen sich bereits, bevor die Gemeinschaften Zeit zum Wiederaufbau haben.

    Soziale und wirtschaftliche Fragilität schürt humanitäre Krisen. Seit 1990 hat sich der Anteil der extrem armen Menschen in fragilen Staaten – deren Regierungen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Basisdienstleistungen bereitzustellen oder für soziale Gerechtigkeit zu sorgen – erhöht. Aus diesem Grund sind heute mehr als 250 Millionen Menschen bereits von humanitären Krisen betroffen oder einem entsprechenden Risiko ausgesetzt. 5

    Diese Tendenzen und ihre Wechselbeziehungen haben zu menschlichem Leid in nie dagewesenem Umfang und zu einem beispiellosen Bedarf an humanitärer Hilfe geführt. Mitte 2015 waren nahezu 79 Millionen Menschen in 37 Ländern auf humanitäre Hilfe angewiesen, darunter mehr als 59 Millionen Vertriebene. 6

    Damit steht das System der humanitären Hilfe vor großen Herausforderungen, da mehr Menschen mehr Unterstützung benötigen und höhere Kosten entstehen. Angesichts des Ausmaßes der heutigen Krisen und Katastrophen reichen die Finanzmittel für die Deckung des humanitären Bedarfs nicht mehr aus, obwohl die Geber enorme Beiträge leisten. 7

    Die humanitäre Landschaft hat sich jedoch nicht nur wegen der vielfältigeren Herausforderungen verändert, sondern auch wegen einer größeren Anzahl von Akteuren, die einen Beitrag zu den humanitären Anstrengungen leisten. Dies bringt zusätzliche Mittel, verändert aber auch die Art und Weise, wie die humanitäre Gemeinschaft plant, koordiniert und reagiert. 8 Folglich muss das von den VN koordinierte System angepasst werden, um aktuell zu bleiben und einen Mehrwert zu bieten. Trotz der Fortschritte, die dank der Reform von 2005 der humanitären Hilfe und der 2011 aufgelegten Transformationsagenda 9 erzielt wurden, bleibt das System immer noch häufig hinter den Erwartungen zurück, was Führungsrolle, Koordinierung und Rechenschaftspflicht angeht. Vor allem darf es nicht länger als kleine Gruppe von Organisationen und Gebern wahrgenommen werden, die von westlichen Werten geprägt sind. Auf dem Gipfel sollte daher die Vielfalt der humanitären Akteure anerkannt und gewürdigt werden, während zugleich die humanitären Grundsätze bekräftigt und die Schwachstellen im humanitären Handeln angegangen werden.

    II.Wichtigste Empfehlungen für den Weltgipfel für humanitäre Hilfe

    An den Vorbereitungen für den Gipfel war ein breites Spektrum von humanitären Akteuren beteiligt, die Ideen zur Verbesserung der humanitären Hilfe ausgetauscht haben. Die vorliegende Mitteilung stützt sich auf diese Beratungen. Empfohlen wird eine globale Partnerschaft zur Stärkung der Solidarität der internationalen Gemeinschaft mit den Opfern von Konflikten und Katastrophen, die ausgehend von den humanitären Grundsätzen für konkrete Verbesserungen des Systems der humanitären Hilfe eintritt. Die Empfehlungen, die einander ergänzen und miteinander verknüpft sind, dienen allesamt demselben Zweck, nämlich der humanitären Gemeinschaft zu ermöglichen, bei der Verwirklichung ihrer gemeinsamen Ziele – Leben retten, Krisen und Katastrophen verhindern und den Wiederaufbau fördern – zusammenzuarbeiten.

    1.Eine globale Partnerschaft für grundsatzorientiertes humanitäres Handeln

    `)Bekräftigung der der humanitären Hilfe zugrunde liegenden Werte und Verpflichtung zum Handeln

    Menschenwürde, Integrität und Solidarität sind universelle Werte. Sie sind das Herzstück aller Kulturen, ungeachtet der geografischen Lage, der ethnischen Zugehörigkeit oder der Glaubensrichtung. Die humanitären Grundsätze Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit sind ein konkreter Ausdruck dieser gemeinsamen Werte. 10 Darüber hinaus sind sie auf operativer Ebene notwendig, denn sie tragen dazu bei, den Zugang zur Hilfe sicherzustellen, die Schwächsten zu schützen und die Sicherheit der humanitären Helfer zu gewährleisten.

    Während umfassende Lösungen für Krisen schwer realisierbar bleiben, werden diese Grundwerte jedoch zunehmend missachtet. Dies zeigt sich an der steigenden Anzahl von Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht, einschließlich der universell ratifizierten Genfer Konventionen, und an der Unfähigkeit der Staaten und der internationalen Gemeinschaft, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.

    Die meiste humanitäre Arbeit wird im Zusammenhang mit Konflikten geleistet, die von einem fragilen politischen Umfeld und unzulänglicher sozioökonomischer Entwicklung geprägt sind. Die Lösung der Konflikte, die das menschliche Leid verursachen, ist nicht Aufgabe der humanitären Geber. Dennoch müssen die humanitären Akteure das politische und sozioökonomische Umfeld verstehen, in dem sie agieren. Auch wenn die humanitäre Hilfe weder ein politisches, noch ein militärisches oder friedenskonsolidierendes Instrument ist, müssen die humanitären Akteure mit anderen Instanzen zusammenarbeiten – und sie auf die Problematik der humanitären Krisen aufmerksam machen –, damit diese geeignete Maßnahmen ergreifen können. 11

    Empfehlung:

    Der Gipfel bietet eine einzigartige Chance für ein erneuertes kollektives Engagement, mit dem wir unsere kollektive Verantwortung bekräftigen, Menschenleben zu schützen und humanitäre Hilfe zu leisten. Dabei sollte dazu aufgerufen werden, dass die jeweiligen Akteure zu diesem Zweck sämtliche politischen, entwicklungsbezogenen und humanitären Mittel einsetzen. In den Schlussfolgerungen des Gipfels sollten die gemeinsamen Grundlagen bekräftigt werden, d. h. die Werte der Menschenwürde, Integrität und Solidarität, die humanitären Grundsätze, die Einhaltung der Verpflichtungen im Rahmen des humanitären Völkerrechts und die Verpflichtung, die humanitäre Arbeit von der Politik zu trennen.

    a)Gewährleistung des humanitären Zugangs

    Die Erfahrung zeigt, dass die Achtung der humanitären Grundsätze den Zugang zur humanitären Hilfe tatsächlich erleichtert. Zugang bedeutet in erster Linie, dass die Menschen die Hilfe auch in Anspruch nehmen können, und die Erleichterung des Zugangs der humanitären Akteure zu den Betroffenen ist die grundlegende Voraussetzung dafür, dass humanitäre Hilfe überhaupt erbracht werden kann.

    Die Art der Konflikte hat allerdings dazu geführt, dass es vermehrt zu Angriffen auf humanitäre Helfer und zur Entwendung von Sachgütern kommt. Deswegen können die humanitären Helfer viele betroffene Regionen inzwischen nicht mehr betreten, so dass manchen bedürftigen Bevölkerungsgruppen der Zugang zu Hilfe systematisch verwehrt bleibt. Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um das Bewusstsein für die universellen Werte zu stärken, die humanitären Maßnahmen zugrunde liegen, insbesondere in fragilen Staaten. Der Schwerpunkt des Dialogs mit den Konfliktparteien, vor allem mit nichtstaatlichen Akteuren, sollte stärker auf die objektiven Bedürfnisse der betroffenen Menschen gerichtet werden.

    Einige Regierungen von Empfängerländern und nichtstaatliche Akteure behindern den humanitären Zugang durch Einschränkungen der Freizügigkeit und bürokratische Hindernisse für Helfer und Hilfslieferungen oder indem sie keinen Schutz gewährleisten. Die laufenden Arbeiten der Völkerrechtskommission zum Schutz von Personen im Katastrophenfall sollten in diesem Zusammenhang Orientierung bieten. 12 Gleichzeitig scheuen Durchführungsorganisationen gelegentlich davor zurück, in problematischen Gebieten tätig zu werden. Darüber hinaus können die Terrorismusbekämpfungsmaßnahmen einiger Geberregierungen in bestimmten Situationen die Arbeit der humanitären Akteure beeinträchtigen, die mit einem Dilemma konfrontiert sein können: Entweder sie leisten humanitäre Hilfe und riskieren damit eine strafrechtliche Verfolgung oder sie können ihren humanitären Auftrag nicht erfüllen. Aus den genannten Gründen kann nicht immer eine einheitliche Bereitstellung lebensnotwendiger Unterstützung gewährleistet werden.

    Empfehlungen:

    Die humanitären Akteure sollten mit Konfliktparteien einen robusteren Dialog führen und Advocacy-Arbeit leisten, um Zugang, Schutz und Sicherheit zu gewährleisten. Die lokalen Gemeinschaften und insbesondere die lokale Zivilgesellschaft sollten ermutigt und befähigt werden, gegenüber Konfliktparteien für die universellen Werte einzutreten, die den humanitären Maßnahmen zugrunde liegen.

    Die Regierungen sollten in erster Linie für ein sicheres und geschütztes Umfeld für humanitäre Maßnahmen sorgen. Außerdem sollten sie geeignete politische und rechtliche Rahmenbedingungen schaffen, um den humanitären Zugang zu erleichtern: a) für die humanitären Helfer (hinsichtlich Vorrechten und Befreiungen, Visa- und Einreiseanforderungen, Arbeitserlaubnissen und Freizügigkeit sowie im Hinblick auf die Ermöglichung grundsatzorientierter humanitärer Hilfe im Kontext von Terrorismusbekämpfungsmaßnahmen) und b) für Ausrüstungen und Waren (hinsichtlich Zollvorschriften und -tarifen, Steuern und Beförderung).

    Die Durchführungsorganisationen sollten ihre Präsenz in abgelegenen und gefährlichen Gebieten steigern, um die Nähe zu den betroffenen Bevölkerungsgruppen sicherzustellen. Dies erfordert strikte, aber zweckdienliche Sicherheitsprotokolle, den Einsatz von qualifiziertem und geschultem Personal und die Zusammenarbeit mit jenen Akteuren, die Zugang zur bedürftigen Bevölkerung haben.

    b)Den Schutz in den Mittelpunkt der humanitären Hilfe stellen

    Durch humanitäre Krisen werden die betroffenen Bevölkerungsgruppen häufig anfällig für Ausbeutung und Misshandlung. Aufgrund der Missachtung der humanitären Grundsätze und des humanitären Völkerrechts sind sie noch weiterer Unsicherheit, Diskriminierung, Missbrauch oder Lebensgefahr ausgesetzt. Frauen und Mädchen, Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen sind häufig am stärksten betroffen. Es sollte hervorgehoben werden, dass die Hauptverantwortung für den Schutz der Opfer humanitärer Krisen bei den Staaten liegt. Doch wenn diese versagen oder selbst Verletzungen des humanitären Völkerrechts begehen, müssen die humanitären Akteure handeln.

    Bisher haben Schutzmaßnahmen für die Menschen im Rahmen des humanitären Handelns noch keine ausreichende Beachtung gefunden. 13 Dies ist das Ergebnis von Faktoren wie einem Mangel an strategischer Ausrichtung, begrenzten Kapazitäten, unterschiedlichen Auslegungen des Schutzbegriffs und der Unfähigkeit, mit den betroffenen Gemeinschaften in Konfliktumfeldern Kontakt aufzunehmen. Es muss erneut gefordert werden, dass der Schutz in den Mittelpunkt der humanitären Hilfe gerückt wird. Humanitäre Maßnahmen sind zwar ausschließlich bedarfsorientiert, sollten jedoch darauf abzielen, die Achtung der Rechte jedes Einzelnen im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht, den Menschenrechten und dem Flüchtlingsrecht sicherzustellen. Gleichzeitig sollte die humanitäre Hilfe gemeinschaftsbasierte Schutzmechanismen unterstützen, aber kein Ersatz hierfür sein.

    Die humanitären Akteure können den Schutz der Bedürftigen nicht alleine gewährleisten. Daher müssen engere Bindungen zwischen humanitären Akteuren und Menschenrechtlern geknüpft werden. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass die humanitäre Hilfe neutral, unparteiisch und unabhängig bleibt, um zu verhindern, dass die betroffene Bevölkerung und die Helfer zur Zielscheibe von Angriffen seitens der Konfliktparteien werden oder dass der humanitäre Zugang verweigert wird. 14

    Empfehlungen:

    Die humanitäre Gemeinschaft sollte Schutzmaßnahmen systematisch in die humanitäre Hilfe einbeziehen, wobei die Anfälligkeit und die Kapazitäten spezifischer Bevölkerungsgruppen in bestimmten Situationen und die Bedrohungen, denen sie ausgesetzt sind, zu berücksichtigen sind. Die Durchführungsorganisationen sollten durch geeignete Koordinierungsmechanismen wie humanitäre Länderteams oder Cluster umfassende Schutzstrategien einschließlich Analyse, Programmierung und Überwachung entwickeln und über Personal verfügen, das sich speziell mit Schutzmaßnahmen befasst.

    Die Zusammenarbeit zwischen humanitärer Gemeinschaft und Menschenrechtsorganisationen, die beide Akteure des Schutzes sind, sollte verstärkt werden. Humanitäre Helfer sollten jedoch weiter von Berichtspflichten ausgenommen werden, die ihre Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit beeinträchtigen oder dem humanitären Zugang abträglich sein könnten.

    2.Eine globale Partnerschaft für wirksames humanitäres Handeln

    a)Eine globale Partnerschaft zu den Grundlagen der Wirksamkeit humanitärer Hilfe

    Angesichts der sich wandelnden humanitären Landschaft muss die humanitäre Gemeinschaft eine viel größere Wirksamkeit entfalten als heute der Fall ist. Keine humanitäre Krise gleicht der anderen - die Umstände sind von Fall zu Fall unterschiedlich. Im Bereich der humanitären Hilfe wird jedoch in vielerlei Hinsicht weiterhin nach einem Einheitskonzept vorgegangen, das den Bedürfnissen nicht immer gerecht wird und bei dem die Hilfe nicht immer auf die effizienteste Art und Weise bereitgestellt wird. Zudem gibt es im Bereich der humanitären Hilfe derzeit keine verlässlichen und vergleichbaren Bedarfsanalysen. Das aktuelle System beruht auf einer Vielzahl unterschiedlicher Datenerhebungen und Einzelanalysen, die zu abweichenden Bewertungen und zum Wettbewerb um Finanzmittel führen. Diese Effizienzverluste sind heute nicht mehr tragbar.

    Wirksames humanitäres Handeln erfordert verlässliche aufgeschlüsselte Daten zu den Bedürfnissen und den verfügbaren Kapazitäten, einschließlich der Kapazitäten nichttraditioneller Akteure, sofern diese einen relevanten Beitrag leisten. Hierfür ist eine systematische Datenerhebung seitens der vor Ort präsenten Akteure erforderlich. Die erhobenen Daten sollten allen Akteuren der humanitären Hilfe zugänglich sein und für gemeinsame Analysen und koordinierte Bedarfsbewertungen verwendet werden.

    Qualität, Ergebnisse, Kosteneffizienz und Rechenschaftspflicht gegenüber den betroffenen Bevölkerungsgruppen sind weitere Schlüsselelemente der Wirksamkeit humanitärer Hilfe. Es sind gemeinsame Instrumente vonnöten, mit denen gemessen werden kann, ob die Hilfe dem tatsächlichen Bedarf entspricht und die gewünschte Wirkung erzielt. Parallel dazu sollte es im Hinblick auf die größtmögliche Reichweite und Relevanz der Maßnahmen Mechanismen geben, mit denen sichergestellt wird, dass die Sichtweise der betroffenen Bevölkerungsgruppen, insbesondere von Frauen und Kindern, während der gesamten Dauer der Hilfsmaßnahmen berücksichtigt wird. Diese Anstrengungen sollten durch eine funktionierende Finanzüberwachung untermauert werden, wenn möglich mit Erfassung der Daten bis hin zur Ebene der tatsächlichen Hilfeleistungen an die Empfänger, um Lücken und Überschneidungen zu vermeiden. Ein solches Vorgehen dürfte wiederum die Evaluierung der Ergebnisse mit Blick auf weitere Verbesserungen erleichtern.

    Forschung, Innovation und wissenschaftliche Lösungen können zur Verbesserung der Wirksamkeit der humanitären Hilfe beitragen, sowohl in Bezug auf die Entscheidungsprozesse als auch auf die Bereitstellung der Hilfe. Neben traditionellen Partnerschaften ist hier auch die Zusammenarbeit mit Hochschuleinrichtungen, Forschungsnetzen, Wissenschaftskreisen und dem Privatsektor unverzichtbar.

    Bei der Wirksamkeit humanitärer Hilfe geht es darum, die kollektive Verantwortung über die individuellen Interessen einzelner Institutionen und Einrichtungen zu stellen. Nur wenn alle verfügbaren Fachkenntnisse und Ressourcen gebündelt werden, kann die humanitäre Gemeinschaft mehr Wirkung erzielen. Das VN-System sollte fester Bestandteil dieser Bemühungen sein, und die verschiedenen Teile dieses Systems müssen ihren jeweiligen Auftrag koordiniert und effizient erfüllen. Sonst werden die derzeitigen Arbeitsmethoden im Bestreben um eine verstärkte Wirksamkeit neu zu überdenken sein. In dieser Hinsicht ist und bleibt die vollständige Umsetzung der Transformationsagenda entscheidend.

    Empfehlungen:

    Die humanitäre Gemeinschaft sollte ein Übersichtsraster zur Wirksamkeit der humanitären Hilfe entwickeln, um den gesamten Interventionszyklus zu fördern. Alle an den Hilfsmaßnahmen beteiligten Akteure sollten dieses Raster speisen und nutzen. Es könnte Folgendes beinhalten:

    Sammlung der übermittelten Daten zu Bedarf, Risiken, Anfälligkeit und Zugang

    Inventar der verfügbaren Kapazitäten

    Plattform für gemeinsame Risikoanalysen und zur Koordinierung der Bedarfsbewertungen

    Datenbank zur vollständigen Erfassung aller Mittelzuweisungen aus allen Quellen sowie von Daten über die Auftragsvergabe an lokale Partner – bis hin zu den Empfängern

    gemeinsame Qualitätskennungen

    gemeinsame Ergebnisindikatoren

    Evaluierung der Ergebnisse und der Wirkung

    Forschungsdaten

    Die Geber sollten von den Durchführungsorganisationen verlangen, dass sie die Bedarfsbewertungen unter Berücksichtigung des jeweiligen Kontexts und der Kapazitäten koordinieren und dazu aufgeschlüsselte Daten sowie Qualitätskennungen verwenden. Die Geber sollten diese Bewertungen bei ihren Entscheidungen über Mittelzuweisungen heranziehen. Sie sollten sich ferner dazu verpflichten, ihre Vertragsabschluss- und Berichterstattungsverfahren unter Einhaltung ihrer rechtlichen Verpflichtungen und Erfüllung ihrer Rechenschaftspflicht zu straffen. Die Durchführungsorganisationen sollten in Bezug auf Qualität und Ergebnisse Bericht erstatten.

    Die Geber sollten sich dazu verpflichten, den Aspekt der Rechenschaftspflicht gegenüber betroffenen Bevölkerungsgruppen in die von ihnen finanzierten Programme systematisch einzubeziehen. Die Durchführungsorganisationen sollten Standards zur Einbeziehung betroffener Bevölkerungsgruppen im Verlauf des gesamten Interventionszyklus festlegen, einschließlich spezifischer Ansätze für bestimmte Gruppen, und entsprechende Verfahren einrichten.

    Die VN und andere im Ständigen interinstitutionellen Ausschusses (IASC) vertretene Durchführungsorganisationen sollten nachweisen, dass die Transformationsagenda flächendeckend und systematisch umgesetzt wird. Die Geber sollten diese Umsetzung beobachten, geeignete Anreize hierfür bieten und ferner prüfen, in welchen Bereichen eine Überarbeitung der Arbeitsmethoden bzw. der Gesamtstruktur der internationalen humanitären Hilfe im Hinblick auf die Verwirklichung der gewünschten Ergebnisse erforderlich ist.

    b)Partnerschaft mit lokalen, nationalen und regionalen Akteuren: Subsidiarität und Solidarität

    Im Sinne der Wirksamkeit der humanitären Hilfe ist es auch erforderlich, das gesamte Spektrum der verfügbaren Kapazitäten aller Akteure besser zu nutzen. Das internationale System der humanitäre Hilfe, das durch die Resolution 46/182 der VN-Generalversammlung geschaffen wurde, gründet sich auf die Prämisse, dass die Verantwortung für die Deckung des humanitären Bedarfs bedürftiger Bevölkerungsgruppen in erster Linie bei den Regierungen liegt. Zahlreiche lokale, nationale und regionale Akteure – insbesondere in Ländern der mittleren Einkommenskategorie – haben ihre Fähigkeit zum Umgang mit Krisen, insbesondere mit Naturkatastrophen, verbessert. Die zunehmend wichtigere Rolle dieser Akteure muss bei der Gestaltung, Koordinierung und Durchführung internationaler Hilfemaßnahmen klarer anerkannt werden.

    Die humanitäre Hilfe sollte sich auf die miteinander verbundenen Grundsätze der Subsidiarität und der Solidarität stützen, wobei lokale, nationale und regionale Akteure als Ersthelfer fungieren und die internationale Gemeinschaft im Bedarfsfall zusätzliche Unterstützung bereitstellt. Die internationale Gemeinschaft sollte nur tätig werden, wenn die Kapazitäten der lokalen Helfer völlig überlastet sind, wenn diese Akteure nicht bereit oder in der Lage sind, die Bedürfnisse aller betroffenen Bevölkerungsgruppen zu decken oder wenn sie nicht verhindern können, dass die Auswirkungen von Krisen auch auf die Nachbarländer übergreifen.

    Das internationale System muss Verbindungen zur breiteren Gruppe der Helfer herstellen und künftig alle beteiligten Parteien einbeziehen, um – je nach den Besonderheiten der betreffenden Krise – die Arbeit aller relevanten Akteure zu erleichtern. Es müssen abgestimmte Bemühungen zur Stärkung der Interaktion und der Interoperabilität unternommen werden, um Lücken und Überschneidungen zu vermeiden. Um hier die gewünschte Wirksamkeit zu erzielen, könnte die internationale Gemeinschaft die Erstellung eines umfassenden weltweiten Inventars der Sachmittel erwägen, die bei Hilfseinsätzen in Anspruch genommen werden können. Gleichzeitig sollten die Regierungen und alle an der Durchführung beteiligten Akteure Anstrengungen unternehmen, um sicherzustellen, dass ihre Maßnahmen mit den wichtigsten internationalen Standards vereinbar sind.

    Hierfür ist ein klares Verständnis der Frage, wann und in welchem Umfang das internationale System der humanitären Hilfe aktiviert werden sollte, erforderlich. So sollte das internationale System zum Beispiel bei Verstößen gegen humanitäre Grundsätze und gegen das humanitäre Völkerrecht auf jeden Fall in Gang gesetzt werden, um die Bedürfnisse betroffener Bevölkerungsgruppen zu decken.

    Regierungen und Akteure der Entwicklungszusammenarbeit sollten – mit Unterstützung der humanitären Gemeinschaft – in den Aufbau tragfähiger lokaler Kapazitäten investieren, um lokale Gemeinschaften in die Lage zu versetzen, Krisenfolgen standzuhalten und die humanitäre Hilfeleistung zu erleichtern. Regionale Organisationen sollten diese Bemühungen unterstützen, indem sie den Austausch von Know-how fördern und die von verschiedenen Staaten geleistete Hilfe koordinieren. Zudem können durch die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Regionen der Welt bei Katastrophenmanagement und Krisenreaktion die Interoperabilität weiter verbessert, die Auswirkungen von Krisen verringert und die Planung wie auch die Krisen- und Katastrophenvorsorge verbessert werden.

    Empfehlungen:

    Alle an einem gegebenen Hilfseinsatz beteiligten Akteure sollten in auf internationaler und nationaler Ebene betriebene Koordinierungsstrukturen eingebunden werden. Dies könnte zum Beispiel erreicht werden, indem die humanitären Länderteams oder Cluster des IASC für weitere Beteiligte geöffnet werden. Ist eine Zusammenarbeit mit den bestehenden Koordinierungsmechanismen nicht möglich, so sollte das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) andere Methoden zur Gewährleistung der Interoperabilität der Systeme fördern.

    Die humanitären Hilfsmaßnahmen sollten sich in erster Linie auf die Grundsätze der Subsidiarität und der Solidarität stützen. Für alle Länder sollten Risikobewertungen oder Fragilitätsanalysen erstellt werden. Es sollte eine Übersicht über die Vorsorge- und Reaktionskapazitäten der einschlägigen lokalen, nationalen und internationalen Akteure erstellt werden. Auf internationaler Ebene könnte eine solche Bestandsaufnahme vom OCHA unterstützt werden.

    Die humanitäre Gemeinschaft sollte Orientierungshilfen für kontextspezifische Szenarios ausarbeiten, in denen die Rolle der verschiedenen Helfer geklärt und die Umstände definiert werden, unter denen internationale Hilfe einzuleiten ist. Parallel dazu sollte ein Mechanismus geschaffen werden, mit dem für Disziplin bei der systematischen Anwendung dieser verschiedenen Ansätze gesorgt wird. Das OCHA könnte einen solchen Prozess in Zusammenarbeit mit relevanten Partnern unterstützen.

    Regierungen und Geber sollten den Kapazitätsaufbau bei lokalen Helfern unterstützen und ggf. erwägen, ihnen bei Hilfseinsätzen zur Seite zu stehen.

    Regionale Organisationen sollten beim Aufbau eines Netzwerks für den Erfahrungsaustausch und für Schulungsübungen unterstützt werden. Regionale Organisationen sollten ermutigt werden, in ihre Satzungen Bestimmungen zur Solidarität aufzunehmen, so dass sie Mitgliedern, die von Natur- oder von Menschen verursachten Katastrophen betroffen sind, Hilfe leisten können.

    c)Partnerschaft mit Gebern, Privatsektor, Wohlfahrtsorganisationen, Stiftungen und Durchführungsorganisationen für eine wirksame und ausreichende Finanzierung der humanitären Hilfe

    Sollen mit der humanitären Hilfe die gewünschten Ergebnisse erzielt werden, müssen dafür angemessene Ressourcen bereitstehen. Dazu gilt es, einerseits sicherzustellen, dass jeder Euro an Hilfe so effizient wie möglich genutzt wird, und andererseits die Finanzierungsbasis zu erweitern.

    Tatsächliche und vermeintliche Ineffizienzen bei den Ausgaben für die humanitäre Hilfe können sowohl die Wirkung als auch die Glaubwürdigkeit der humanitären Hilfseinsätze schmälern. Es ist notwendig, ein vollständiges und kohärentes Bild aller Bedürfnisse aufzustellen, was wiederum der verstärkten Koordinierung der Aufrufe und einer verbesserten finanziellen Planung für unvorhergesehene Ereignisse förderlich sein wird. Indem – wo immer im gegebenen Kontext sinnvoll – innovative Methoden für die Hilfeleistung gefördert werden, wie beispielsweise Konzepte zur Unterstützung in Form von Barmitteln, können sowohl Fixkosten als auch Einheits- und Transaktionskosten reduziert werden. All diese Maßnahmen erfordern eine enge partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Vertretern der Empfänger, Durchführungsorganisationen und Gebern sowie mit dem Privatsektor.

    Effizienzsteigerungen bei der Finanzierung der humanitären Hilfe sind also unverzichtbar, doch gleichzeitig ist offensichtlich, dass der derzeitige Umfang der Finanzierung nicht ausreichend ist, um den humanitären Bedarf weltweit zu decken. Dies gilt in besonderem Maße für lang anhaltende Krisen, die nach und nach durch neue Krisenfälle aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verdrängt werden.

    Zudem hat das System unter einer übermäßigen Abhängigkeit von einigen wenigen Gebern gelitten. Obwohl Geber, die nicht Mitglied im OECD-Entwicklungsausschuss (DAC) sind, und der Privatsektor – einschließlich Wohlfahrtsorganisationen und Stiftungen – in manchen Krisen wichtige positive Impulse gegeben haben, hat das System noch nicht den richtigen Weg gefunden, diese bestmöglich einzubeziehen und ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Das System muss für neue und vielfältige Akteure attraktiver werden, indem ihr wichtiger Beitrag hervorgehoben, die Wirkung der von ihnen bereitgestellten Unterstützung bekannt gemacht und die partnerschaftliche Zusammenarbeit vor Ort begünstigt wird. Das internationale System sollte sich darauf konzentrieren, Anreize für neue Akteure zu schaffen, einen regelmäßigeren Dialog zu etablieren und Situationen zu ermitteln, in denen ihre Beteiligung von besonderem Interesse für sie wäre.

    Empfehlungen:

    Struktur und Effizienz des humanitären Handelns müssen verbessert werden. Durchführungsorganisationen sollten – unter der Leitung des IASC – das System für die Hilfeaufrufe überarbeiten, um sicherzustellen, dass es ein vollständiges Bild der Bedürfnisse und des Finanzierungsbedarfs vermittelt – dies könnte über ein Erfassungstool innerhalb des vorgeschlagenen Übersichtsrasters umgesetzt werden. Einzelne Durchführungsorganisationen sollten sich idealerweise in dieses System einfügen und vermeiden, bei humanitären Notfällen gesonderte Aufrufe zu starten. Vielmehr sollten sie ihre Bemühungen koordinieren, um einen unangemessenen Wettbewerb, der zulasten der Effizienz geht, zu vermeiden. Gleichzeitig sollten die Aufrufe die Bereitstellung hochwertiger Hilfe begünstigen. Die Berichterstattung über durchgeführte Aufrufe sollte Daten sowohl zu den Bedürfnissen umfassen, die gedeckt wurden, als auch zu den nicht gedeckten Bedürfnissen.

    Die Geber sollten ihre Anstrengungen systematisch koordinieren und die Hilfepraxis der Durchführungsorganisationen auf der Grundlage gemeinsamer humanitärer Standards evaluieren, um ihren Mehrwert und potenzielle Kosteneffizienzen zu ermitteln. 15

    Geber und Durchführungsorganisationen sollten – unter Berücksichtigung des jeweiligen Kontexts – den Anteil der Empfänger, die Barmittel-Hilfe erhalten, steigern. Hier könnte eine Zielvorgabe erwogen werden.

    Das VN-System und die traditionelle Gebergemeinschaft sollten einen intensiveren Dialog mit verschiedenen Partnern aufnehmen: mit Gebern, die nicht dem DAC angehören, Ländern mit mittlerem Einkommen, regionalen Organisationen, dem Privatsektor, Wohlfahrtsorganisationen und Stiftungen im Bereich der humanitären Hilfe. Dies könnte durch regelmäßige, formelle oder informelle Treffen im Rahmen der Donor Support Group des OCHA 16 oder der Initiative zur verantwortlichen Geberpraxis (Good Humanitarian Donorship) erfolgen. 17

    Für den Privatsektor sollten mehr Anreize geschaffen werden, zur humanitären Hilfe beizutragen, zum Beispiel bei der Festlegung von in der sozialen Verantwortung der Unternehmen liegenden Zielen.

    d)Partnerschaft mit Akteuren der Entwicklungszusammenarbeit

    Durch die Zunahme der humanitären Krisen hat die Bedeutung der Partnerschaft zwischen den Akteuren der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit noch zugenommen. Angesichts wiederholter und anhaltender humanitärer Krisen und andauernder Vertreibungen kann die Last nicht mehr allein von der humanitären Nothilfe getragen werden. Es ist dringend notwendig, die Zusammenarbeit zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit so umzugestalten, dass diese Partnerschaft zur Verbesserung der Ergebnisse in beiden Bereiche beiträgt. Die Stärkung der Resilienz hat sich bereits als gemeinsames Ziel der Akteure der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit herauskristallisiert.

    Die Interaktion zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit sollte bereits vor dem Auftreten konkreter Krisen einsetzen. Sie sollte gemeinsame Analysen umfassen, die unter anderem die gegebenen Risiken und Anfälligkeitsfaktoren berücksichtigen und als Grundlage für Investitionen in Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz und zur Risikominderung dienen, um die Krisen- und Katastrophenvorhersage und -vorsorge wie auch die Reaktion auf Krisen und Katastrophen zu verbessern. 18 Während der Krisen oder Katastrophen und unmittelbar im Anschluss daran sollte eine gemeinsame Strategieplanung und Mehrjahresprogrammierung eingerichtet werden. Im Rahmen einer solchen gemeinsamen Planung sollten die Maßnahmen in beiden Aktionsbereichen erfasst, Synergien auf der Grundlage der jeweiligen Stärken geschaffen und – bei Bedarf – klare Eckpunkte für den flexiblen Übergang von der humanitären zur Entwicklungshilfe festgelegt werden.

    Die Finanzmittel sollten über die Instrumente für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit bereitgestellt werden, wobei eine klare auf dem jeweiligen Mehrwert beruhende Arbeitsteilung geschaffen werden muss, damit Maßnahmen zur Deckung des unmittelbaren Bedarfs mit mittel- und langfristig angelegten Maßnahmen zur Bewältigung der Grundursachen der jeweiligen Krise kombiniert werden können. Langfristige Entwicklungsfinanzierung ist bei anhaltenden Krisen besonders wichtig, um den Weg für dauerhafte Lösungen zu bereiten, vor allem um die Kapazität der Aufnahme- und der lokalen Gemeinschaften zur Versorgung der vertriebenen Bevölkerungsgruppen zu verbessern.

    Empfehlungen:

    Es bedarf eines neuen Modells für die Zusammenarbeit zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungshilfe. Dieses sollte eine gemeinsame Risikoanalyse umfassen, die unterschiedliche Gefährdungsfaktoren berücksichtigt, sowie ggf. eine Mehrjahresprogrammierung und -finanzierung sowie Strategien für den Ausstieg aus der humanitären Hilfe. Es sollte unter anderem die folgenden Aspekte abdecken: Vorsorge und Flüchtlinge/Binnenvertriebene, insbesondere bei anhaltenden Krisensituationen.

    Die Geber sollten sich darum bemühen, – insbesondere bei länger anhaltenden Krisen – eine besser vorhersehbare Mehrjahresfinanzierung zu fördern, bei der die Mittel der humanitären Hilfe und der Entwicklungshilfe zusammengelegt werden.

    Die Geber sollten Krisenklauseln in Entwicklungsprogramme aufnehmen, die eine Umwidmung von Ressourcen zugunsten von Krisenreaktionsmaßnahmen und damit ein flexibleres Vorgehen ermöglichen.

    III.EU-Beitrag und nächste Schritte

    Der Weltgipfel für humanitäre Hilfe und der Vorbereitungsprozess dafür schaffen eine politische Dynamik, mit der die Solidarität der internationalen Gemeinschaft mit von humanitären Krisen und Katastrophen betroffenen Menschen gestärkt werden kann. Er bietet die Gelegenheit, Drittländern, europäischen Bürgerinnen und Bürgern und anderen Partnern gegenüber die moralische Verpflichtung, Opfern von Konflikten und Katastrophen zu helfen, sowie indirekte Krisenfolgen wie Instabilität oder Vertreibungen zu thematisieren. Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten und andere Partner auf, zu diesem Zweck ihre Erfahrungen auszutauschen und zusammenzuarbeiten.

    Der Gipfel wird ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg hin zu einem grundsatzorientierten und wirksamen humanitären Handeln sein und die Gelegenheit bieten, die Agenda für die Änderung des Systems der humanitären Hilfe festzulegen. Die Umsetzung der Ergebnisse des Gipfeltreffens werden Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft und der einzelnen Akteure dieser Gemeinschaft erfordern. Daher sollten die Verpflichtungen, die in Istanbul eingegangen werden, überprüfbar und messbar sein. Es wäre nützlich, in regelmäßigen Abständen eine Bestandaufnahme ihrer Umsetzung vorzunehmen, damit der Fokus fest auf die erzielten Fortschritte gerichtet bleibt

    Nach dem Gipfel wird die Kommission den spezifischen EU-Beitrag zur Umsetzung der auf dem Gipfel vereinbarten Ziele festlegen. In der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen, die dieser Mitteilung beigefügt ist, werden beispielhaft einige Bemühungen beschrieben, die bereits jetzt innerhalb der EU unternommen werden, um eine bedarfsgerechtere Gestaltung des humanitären Handelns zu gewährleisten.

    (1)

     Durchführungsorganisationen, die humanitäre Hilfe erbringen, sind z. B. die VN-Organisationen, internationale Organisationen, das Rote Kreuz und der Rote Halbmond sowie NRO. Dabei kann es sich um internationale, regionale, nationale oder gemeinschaftsbasierte Einrichtungen handeln.

    (2)

     Europäischer Konsens über die humanitäre Hilfe, ABl. C 25 vom 30.1.2008.

    (3)

    Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK), Conflict Barometer 2014, S. 14-15, http://www.hiik.de/de/konfliktbarometer/pdf/ConflictBarometer_2014.pdf.

    (4)

    Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften, World Disasters Report 2014, S. 223, https://www.ifrc.org/Global/Documents/Secretariat/201410/WDR%202014.pdf

    (5)

    Welt bank, Fragility, Conflict and Violence, http://www.worldbank.org/en/topic/fragilityconflictviolence/overview.

    (6)

    OCHA, Global Humanitarian Overview June 2015, https://www.humanitarianresponse.info/en/programme-cycle/space/document/global-humanitarian-overview-2015-june-status-report. UNHCR, Global Trends Report 2014, http://www.unhcr.org/556725e69.html.

    (7)

    2014 lancierten die Vereinten Nationen einen Aufruf zu humanitärer Hilfe in Höhe von 17 Mrd. EUR – dies ist der höchste Betrag in der Geschichte. Die Geber reagierten mit Rekordzusagen von 10 Mrd. EUR, was jedoch immer noch hinter dem Bedarf zurückblieb. OCHA, Global Humanitarian Overview December 2014, a. a. O.

    (8)

     Unter humanitärer Gemeinschaft ist das Kollektiv der humanitären Akteure zu verstehen. Humanitäre Akteure sind alle Einrichtungen, die an verschiedenen Aspekten der humanitären Hilfe beteiligt sind, wie Regierungen, Durchführungsorganisationen der Geber, internationale und regionale Organisationen, private Akteure, die akademische Welt oder lokale Gemeinschaften.

    (9)

    Die Transformationsagenda zielt auf die Verbesserung der Reaktion der humanitären Gemeinschaft auf Krisen ab. Ihr Schwerpunkt liegt auf den Aspekten Führung, Koordinierung und Rechenschaftspflicht. Sie baut auf der Reform der humanitären Hilfe auf. Weitere Informationen: https://interagencystandingcommittee.org/iasc-transformative-agenda

    (10)

     Europäischer Konsens über die humanitäre Hilfe, a. a. O., S. 1, Randnr. 10.

    (11)

     EU-Gesamtkonzept für externe Konflikte und Krisen, (JOIN(2013)30).

    (12)

    Völkerrechtskommission, Protection of persons in the event of disasters, Entwurf, GE 14-60901, http://legal.un.org/docs/?symbol=A/CN.4/L.831.

    (13)

    UNHCR, Placing Protection at the Centre of Humanitarian Action 2015, http://www.refworld.org/pdfid/557ea67c4.pdf; IASC, Principals' Statement on the Centrality of Protection in Humanitarian Action 2015, https://interagencystandingcommittee.org/protection-priority-global-protection-cluster; OCHA, Background Paper on Protection 2015, https://docs.unocha.org/sites/dms/documents/oom_protection_english.pdf .

    (14)

     Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie (2015-2019) - Bekräftigung der Menschenrechte als Kernstück der EU-Agenda, (JOIN(2015)16).

    (15)

     Mit solchen Standards soll die Qualität der Hilfe unter anderem in Bezug auf folgende Aspekte gewährleistet werden: Rechenschaftspflicht, Management und Koordinierung.

    (16)

    Weitere Informationen: http://ec.europa.eu/echo/partnerships/relations/ocha-odsg_en.

    (17)

    Weitere Informationen: http://www.ghdinitiative.org/.

    (18)

     Ein EU-Konzept für Resilienz, COM(2012) 586 final; Action Plan for Resilience in Crisis Prone Countries, SWD(2013) 227 final; Auf dem Weg zu einem Hyogo-Rahmenaktionsplan für die Zeit nach 2015, COM(2014) 216 final.

    Top