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Document 52014DC0604
COMMUNICATION FROM THE COMMISSION TO THE EUROPEAN PARLIAMENT AND THE COUNCIL Helping national authorities fight abuses of the right to free movement: Handbook on addressing the issue of alleged marriages of convenience between EU citizens and non-EU nationals in the context of EU law on free movement of EU citizens
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT Unterstützung der nationalen Behörden bei der Bekämpfung von Missbräuchen des Rechts auf Freizügigkeit: Handbuch zum Vorgehen gegen mutmaßliche Scheinehen zwischen EU-Bürgern und Nicht-EU-Bürgern im Zusammenhang mit den EU-Rechtsvorschriften zur Freizügigkeit von EU-Bürgern
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT Unterstützung der nationalen Behörden bei der Bekämpfung von Missbräuchen des Rechts auf Freizügigkeit: Handbuch zum Vorgehen gegen mutmaßliche Scheinehen zwischen EU-Bürgern und Nicht-EU-Bürgern im Zusammenhang mit den EU-Rechtsvorschriften zur Freizügigkeit von EU-Bürgern
/* COM/2014/0604 final */
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT Unterstützung der nationalen Behörden bei der Bekämpfung von Missbräuchen des Rechts auf Freizügigkeit: Handbuch zum Vorgehen gegen mutmaßliche Scheinehen zwischen EU-Bürgern und Nicht-EU-Bürgern im Zusammenhang mit den EU-Rechtsvorschriften zur Freizügigkeit von EU-Bürgern /* COM/2014/0604 final */
I.
Einleitung Das
Recht, sich innerhalb der Europäischen Union frei zu bewegen und aufzuhalten,
ist eine der vier im EU-Recht verankerten Grundfreiheiten und ein Eckpfeiler
der europäischen Integration. Die Förderung und Stärkung dieses
Rechts ist ein Kernziel der Europäischen Union. Die
Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten erkennen an, dass die Gewährleistung
des Schutzes des Familienlebens mit dem Ziel der Beseitigung von Hindernissen
für die Ausübung des Grundrechts auf Freizügigkeit von großer Bedeutung
ist. Hätten EU-Bürger nicht die Möglichkeit, ein normales Familienleben im
Aufnahmemitgliedstaat zu führen, würde ihre Grundfreiheit stark beeinträchtigt. EU-Bürger,
die sich auf EU-Recht berufen und von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen,
sind in vollem Umfang durch die EU-Rechtsvorschriften geschützt. Es gibt
allerdings, wie in jedem anderen Rechtsgebiet auch, Fälle, in denen versucht
wird, die Freizügigkeit zu missbrauchen, um nationale Einwanderungsvorschriften
zu umgehen. Der Missbrauch des Rechts auf Freizügigkeit untergräbt dieses
Grundrecht der EU-Bürger. Ein wirksames Vorgehen gegen derartigen
Rechtsmissbrauch ist daher für die Wahrung dieses Rechts von grundlegender
Bedeutung. Auf
seiner Tagung vom 26.–27. April 2012 billigte der Rat (Justiz und Inneres)
den Fahrplan „EU-Aktion gegen Migrationsdruck – Eine strategische Antwort“,
der auf Scheinehen als Möglichkeit zur Erleichterung der illegalen Einreise und
des illegalen Aufenthalts von Nicht-EU-Bürgern in der EU Bezug nimmt. In dem
Fahrplan werden mehrere von der Kommission und/oder den Mitgliedstaaten zu
ergreifende Maßnahmen aufgeführt, die darauf abzielen, den Missbrauch des
Rechts auf Freizügigkeit durch Nicht-EU-Bürger und die organisierte
Kriminalität zur Erleichterung der illegalen Einwanderung besser zu verstehen.
Zu diesen Maßnahmen zählt die Ausarbeitung eines „Handbuchs über Scheinehen,
einschließlich Richtkriterien als Hilfestellung bei der Ermittlung von
Scheinehen“. In
ihrer Mitteilung vom 25. November 2013 „Freizügigkeit der EU-Bürger und
ihrer Familien: fünf grundlegende Maßnahmen“[1] erläutert die
Kommission die Rechte und Pflichten der EU-Bürger in Bezug auf die
EU-Rechtsvorschriften über die Freizügigkeit und legt fünf Maßnahmen fest, mit
denen die nationalen Behörden bei der wirksamen Anwendung dieser Vorschriften
vor Ort unterstützt werden sollen. In der Mitteilung wird erneut darauf
hingewiesen, dass das EU-Recht eine Reihe solider Garantien enthält, die
den Mitgliedstaaten die Bekämpfung von Rechtsmissbrauch ermöglichen. Eine der
konkreten Maßnahmen zur Unterstützung der Behörden bei der vollständigen
Umsetzung dieser Garantien war die Ausarbeitung eines Handbuchs zur
Bekämpfung von Scheinehen in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten. Als
Reaktion auf die oben genannte Forderung der Mitgliedstaaten und in enger
Kooperation mit ihnen haben die Dienststellen der Kommission daher ein Handbuch zum
Vorgehen gegen mutmaßliche Scheinehen zwischen EU-Bürgern und Nicht-EU-Bürgern
im Zusammenhang mit den EU-Rechtsvorschriften über die Freizügigkeit von
EU-Bürgern erstellt. Das Handbuch ist dieser Mitteilung als Arbeitsunterlage
der Kommissionsdienststellen beigefügt. Es soll dazu beitragen, den nationalen
Behörden bei der wirksamen Bekämpfung einzelner Rechtsmissbrauchsfälle in Form
von Scheinehen zu helfen, ohne das grundlegende Ziel des Schutzes und der
Erleichterung der Freizügigkeit von EU-Bürgern und ihren Familienangehörigen,
die vom EU-Recht in gutem Glauben Gebrauch machen, zu gefährden. Die
von den Mitgliedstaaten vorgelegten Daten über kürzlich festgestellte
Scheinehen zwischen Nicht-EU-Bürgern und EU-Bürgern, die ihr Recht auf
Freizügigkeit innerhalb der EU ausüben, zeigen, dass dieses Phänomen existiert,
aber erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen.[2]
Trotz der begrenzten Anzahl der Fälle ist die Beteiligung von Netzwerken
organisierter Kriminalität, die durch jüngste Berichte von Europol bestätigt
wird, besorgniserregend. Zu
den rechtlichen Rahmenbedingungen auf EU- und internationaler Ebene, die die
nationalen Behörden bei der Rechtsmissbrauchsbekämpfung einhalten müssen,
zählen die EU-Vorschriften über die Freizügigkeit von EU-Bürgern und ihren
Familienangehörigen, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
verankerten Rechte und Garantien sowie andere einschlägige Instrumente des
Völkerrechts, wie etwa die Europäische Menschenrechtskonvention. Neben
der Vorgabe von Leitlinien für die Mitgliedstaaten zur Bekämpfung von
Rechtsmissbrauch in Form von Scheinehen gemäß der Mitteilung der Kommission vom
2. Juli 2009 „Hilfestellung bei der Umsetzung und Anwendung der Richtlinie
2004/38/EG“[3]
(„Leitlinien der Kommission von 2009“) wird in dem Handbuch dieser
Rechtsrahmen näher erläutert. Dabei wird dargelegt, was die Anwendung dieser
Vorschriften in der Praxis bedeutet, und es werden operative Leitlinien für die
nationalen Behörden aufgestellt, die sie bei der wirksamen Aufdeckung und
Untersuchung von Fällen, in denen ein Verdacht auf Scheinehe besteht,
unterstützen. Durch die Berücksichtigung der Angaben und Informationen aus dem
Handbuch soll sichergestellt werden, dass das Vorgehen der zuständigen
nationalen Behörden innerhalb der Union auf den gleichen sachlichen und
rechtlichen Kriterien beruht und die EU-Rechtsvorschriften eingehalten werden. Das
Handbuch ist weder rechtlich bindend noch erschöpfend. Es berührt weder das
geltende EU-Recht oder seine künftige Entwicklung noch die verbindliche
Auslegung des EU-Rechts durch den Gerichtshof. In
dieser Mitteilung sollen die wichtigsten Inhalte des Handbuchs, welches in die
vier Abschnitte „Einleitung“, „Begriffsbestimmungen“, „Geltender Rechtsrahmen“
und „Operative Maßnahmen im nationalen Zuständigkeitsbereich“ unterteilt ist,
zusammengefasst werden. II. Wichtigste Inhalte des Handbuchs 1.
Abschnitt „Einleitung“ In
diesem Abschnitt wird betont, dass das Handbuch nur Scheinehen zwischen einem
EU-Bürger und einem Nicht-EU-Bürger erfasst, in denen Ersterer von seinem Recht
auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat und in einen anderen Mitgliedstaat
gezogen ist. Ehen zwischen zwei EU-Bürgern sind somit nicht Gegenstand des
Handbuchs. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass die von den nationalen
Behörden zur Verhinderung von Rechtsmissbrauch getroffenen Maßnahmen den
grundlegenden Regeln und Prinzipien des EU-Rechts uneingeschränkt Rechnung
tragen müssen und dass das Recht auf Freizügigkeit die wichtigste Regel ist,
von der nur in Einzelfällen ausnahmsweise abgewichen werden darf, wenn diese
Abweichung aufgrund eines nachweislichen Rechtsmissbrauchs gerechtfertigt ist. 2.
Abschnitt „Begriffsbestimmungen“ Die
Leitlinien des Handbuchs betreffen Scheinehen, bei denen es sich im Sinne der
Richtlinie 2004/38/EG[4]
(die „Richtlinie“) um Ehen handelt, die lediglich zum Zweck der
Inanspruchnahme des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts gemäß der Richtlinie
geschlossen wurden, auf das andernfalls kein Anspruch bestanden hätte. Gemäß
Artikel 35 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten die Maßnahmen erlassen,
die notwendig sind, um die durch diese Richtlinie verliehenen Rechte im Fall
von Rechtsmissbrauch oder Betrug – wie z. B. bei Schließung einer
Scheinehe – zu verweigern, aufzuheben oder zu widerrufen. In den Leitlinien der
Kommission von 2009 wurden die Begriffe Rechtsmissbrauch und Scheinehen für
die Zwecke der EU-Rechtsvorschriften über die Freizügigkeit genauer erläutert. In
dem Handbuch wird die Bedeutung der wesentlichen Elemente dieser Begriffe
ausführlich erklärt und es werden weitere Angaben zur Unterscheidung von echten
Ehen und Scheinehen gemacht: Hierzu werden die Hauptmerkmale verschiedener
Formen von i) echten Ehen, die manchmal fälschlicherweise als Scheinehen
angesehen werden (z. B. arrangierte Eheschließungen, Ferntrauungen oder
Eheschließungen in einem Konsulat), und ii) unechten Ehen (z. B.
Scheinehen, Eheschließungen durch Täuschung oder Zwangsehen) beschrieben.
Außerdem wird auf die EU-Rechtsvorschriften verwiesen, die in den Fällen
gelten, in denen Tatbestandsmerkmale des Menschenhandels erfüllt sind[5]. 3.
Abschnitt „Geltender Rechtsrahmen“ Das
Handbuch enthält eine umfassende Darstellung der Regeln, die die nationalen
Behörden beim Ergreifen von Maßnahmen zur Verhinderung oder Bekämpfung von
Rechtsmissbrauch berücksichtigen müssen, darunter insbesondere die
EU-Rechtsvorschriften über die Freizügigkeit und die Grundrechte, und
veranschaulicht die Bedeutung dieser Vorschriften in der Praxis. 3.1
EU-Vorschriften und -Grundsätze über die
Freizügigkeit von EU-Bürgern In
Bezug auf Artikel 35 der Richtlinie, wonach die Maßnahmen, die erlassen wurden,
um die durch die Richtlinie verliehenen Rechte im Falle von Scheinehen zu
verweigern, aufzuheben oder zu widerrufen, „verhältnismäßig sein und [...]
den Verfahrensgarantien nach den Artikeln 30 und 31“ unterliegen müssen,
liefert das Handbuch nähere Angaben darüber, wie der allgemeine EU-Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der betreffenden Entscheidungen anzuwenden
ist. Ferner wird darauf hingewiesen, dass sich die Notwendigkeit
sicherzustellen, dass derartige Maßnahmen mit dem materiellen Schutz der
Verhältnismäßigkeit gemäß Artikel 35 der Richtlinie vereinbar sind, auch
aus den für solche Maßnahmen geltenden Verfahrensgarantien gemäß den Artikeln
30 und 31 der Richtlinie ergibt. 3.2
Weiterer Kontext des europäischen und
internationalen Rechts In
dem Handbuch wird auf die in den europäischen und internationalen
Rechtsvorschriften festgelegten Grundrechte verwiesen, die bei der Aufdeckung,
Untersuchung und Ahndung von Scheinehen zu berücksichtigen sind. Von besonderer
Bedeutung sind das Recht auf Eheschließung, das Recht auf Achtung des Privat-
und Familienlebens und die Rechte des Kindes sowie das Verbot von
Diskriminierung, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und das Recht auf
Verteidigung gemäß der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (die
„Charta“). Da
die in der Charta verankerten Rechte, die den durch die Europäische
Menschenrechtskonvention (die „Konvention“) garantierten Rechten
entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite wie die entsprechenden in der
Konvention festgelegten Rechte haben sollten[6], gibt das
Handbuch einen Überblick über die wichtigsten Elemente der entsprechenden
Bestimmungen der Konvention und der einschlägigen Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte („EGMR“), um so Leitlinien
für deren Auslegung vorzugeben. Im
Hinblick auf das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen,
wie es in Artikel 9 der Charta und Artikel 12 der Konvention
verankert ist, wird in dem Handbuch darauf hingewiesen, dass der letztgenannte
Artikel den nationalen Behörden einen gewissen Ermessensspielraum bei der
Ausübung des Rechts auf Eheschließung auf nationaler Ebene einräumt, wobei
dieser Spielraum begrenzt ist, und es wird die einschlägige Rechtsprechung des
EGMR[7]
angeführt. Im
Hinblick auf das Recht auf Achtung des Familienlebens, wie es in
Artikel 7 der Charta und Artikel 8 der Konvention verankert ist, wird
in dem Handbuch auf die Rechtsprechung des EGMR[8] verwiesen, in
der die Faktoren dargelegt werden, die im Zusammenhang mit Scheinehen bei der
Beurteilung der Frage zu berücksichtigen sind, ob eine Entscheidung über die
Beschränkung des Rechts auf Einreise und Aufenthalt in einer demokratischen
Gesellschaft als erforderlich erachtet werden kann und in einem angemessenen
Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Ziel steht, ohne dabei das Recht auf
Familienleben zu beeinträchtigen. In
Bezug auf Fälle, in denen Kinder (meist aus früheren Beziehungen der Ehegatten)
von einer Scheinehe betroffen sind, wird darauf hingewiesen, dass die Rechte
des Kindes im Einklang mit Artikel 24 der Charta und Artikel 8
der Konvention, der auch in diesen Fällen Anwendung findet, angemessen zu
berücksichtigen sind. Da sich Artikel 24 der Charta auf die Konvention der
Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes, insbesondere auf die
Artikel 3, 9, 12 und 13, stützt, wird in dem Handbuch auf die
praxisbezogenen Hinweise zu deren Anwendung verwiesen, die die
UNHCR-Richtlinien zur Bestimmung des Kindeswohls von Mai 2008[9]
liefern. Insbesondere wird dargelegt, dass im Falle einer Scheinehe, bei der
mindestens ein Ehegatte die elterliche Verantwortung für ein Kind hat, das Wohl
des Kindes bei der Entscheidung darüber, ob die betreffende(n) Person(en)
abgeschoben werden sollte(n), ausreichend zu berücksichtigen ist. Auch
wird darauf hingewiesen, dass betroffene Kinder, die Staatsangehörige des
Aufnahmemitgliedstaats sind, zusätzlichen Schutz durch nationale und
internationale Rechtsvorschriften über das Verbot der Ausweisung eigener
Staatsangehöriger oder, in Ausnahmefällen, durch die Rechtsprechung des
Gerichtshofs zur Unionsbürgerschaft genießen, wenn die Abschiebung eines
Elternteils ohne Unionsbürgerschaft, der eine Scheinehe eingegangen ist, das
Kind zum Verlassen des Aufnahmemitgliedstaats[10] oder der EU
als Ganzes[11]
zwingen würde. Schließlich
wird in dem Handbuch betont, dass beim Ergreifen von Maßnahmen zur Bekämpfung
von potenziellem Rechtsmissbrauch die nationalen Behörden die betreffenden
Personen weder einer erniedrigenden Behandlung noch einer Diskriminierung
aus jeglichen Gründen, wie beispielsweise des Geschlechts, der Rasse, der
Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der
Sprache, der Staatsangehörigkeit, der Religion oder der Weltanschauung, der
politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen
Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der
sexuellen Ausrichtung aussetzen dürfen, da derartige Maßnahmen gegen
Artikel 4 der Charta (und Artikel 3 der Konvention) sowie
Artikel 21 der Charta (und möglicherweise auch Artikel 14 der
Konvention) verstoßen würden. 3.3
Beweisanforderungen und Beweislast In
dem Handbuch wird hervorgehoben, dass alle Maßnahmen, die die nationalen
Behörden im Rahmen der Ermittlungen und der Beweiserhebung im Falle einer
mutmaßlichen Scheinehe ergreifen, mit den grundlegenden Verfahrensgarantien des
nationalen Rechts und des EU-Rechts vereinbar sein müssen. Eine Ehe kann nur
dann überprüft werden, wenn berechtigte Zweifel daran bestehen, dass es sich um
eine echte Ehe handelt. Solche berechtigten Zweifel reichen zwar aus, um die
Einleitung von Ermittlungen zu rechtfertigen. Sobald die Ermittlungen jedoch
stattgefunden und zu dem Ergebnis geführt haben, dass es sich um eine Scheinehe
handelt, können die Rechte gemäß den Freizügigkeitsvorschriften nur dann
verweigert werden, wenn dies ordnungsgemäß von den nationalen Behörden unter
Berücksichtigung der jeweiligen Beweisanforderungen[12]
festgestellt worden ist. Im
Hinblick auf die Beweislast wird in dem Handbuch ergänzend zu den Angaben aus
den Leitlinien der Kommission von 2009 erklärt, wie dabei in der Praxis
vorzugehen ist. Es wird insbesondere erläutert, dass die Beweislast bei den
nationalen Behörden liegt und Ehepaare somit in der Regel nicht verpflichtet
werden können, Beweise darüber vorzulegen, dass ihre Eheschließung nicht
missbräuchlich war. Haben die nationalen Behörden jedoch den begründeten
Verdacht, dass es sich bei einer bestimmten Ehe um eine Scheinehe handelt, und
können sie dies durch Beweise (zum Beispiel widersprüchliche Angaben der
Ehegatten) untermauern, so können sie die Ehegatten auffordern, weitere
einschlägige Unterlagen oder Nachweise vorzulegen. Die
Ehegatten sind verpflichtet, mit den Behörden zusammenzuarbeiten, und sollten
über diese Verpflichtung informiert werden. Wenn es ihnen nicht gelingt, die
sie entlastenden Nachweise vorzulegen, die „echte“ Ehepaare üblicherweise
besitzen, oder wenn sie sogar gar keine Nachweise vorlegen, kann dies nicht der
einzige oder ausschlaggebende Grund für die Annahme sein, dass es sich um eine
Scheinehe handelt. Diese Tatsache kann jedoch von den Behörden zusammen mit
allen anderen relevanten Umständen bei der Beurteilung des Wesens der Ehe
berücksichtigt werden. 3.4
Verfahrensgarantien Das
Handbuch enthält detaillierte Informationen über die Verfahrensgarantien, die
die nationalen Behörden im Einklang mit Artikel 35 der Richtlinie bei
einer Entscheidung zur Beschränkung des Rechts auf Freizügigkeit bei Vorliegen
einer Scheinehe beachten müssen, d. h. die Verfahrensgarantien gemäß den
Artikeln 30 und 31 der Richtlinie, welche insbesondere Fragen im Zusammenhang
mit der Mitteilung solcher Entscheidungen und dem Einlegen von Rechtsbehelfen
regeln. Es wird ferner darauf hingewiesen, dass
die Verfahrensgarantien der Richtlinie auch im Zusammenhang mit anderen
einschlägigen Grundrechten, wie dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und
ein unparteiisches Gericht sowie dem Recht auf Verteidigung (Artikel 47 bzw.
48 der Charta), berücksichtigt werden müssen. 4.
Abschnitt „Operative Maßnahmen im
nationalen Zuständigkeitsbereich“ In
diesem Abschnitt des Handbuchs werden die von den Vorgehensweisen der
Mitgliedstaaten abgeleiteten operativen Maßnahmen vorgestellt, die die
nationalen Behörden bei der wirksamen Aufdeckung und Untersuchung von
mutmaßlichen Scheinehen unterstützen sollen. Den Mitgliedstaaten werden dadurch
vielfältige Lösungen zur Verfügung gestellt, mit denen sie entsprechend ihren
spezifischen Bedürfnissen und vorhandenen Mitteln geeignete operative Systeme
einrichten können, wobei diese Lösungen nicht als Konzept für alle
Untersuchungsmuster und -verfahren gedacht sind. 4.1
Hinweise auf einen mutmaßlichen
Rechtsmissbrauch, die zur Einleitung einer Untersuchung führen können In
Bezug auf mögliche Auslöser von Untersuchungen werden in dem Handbuch die
Leitlinien der Kommission von 2009 sowie die Entschließung des Rates über
Maßnahmen zur Bekämpfung von Scheinehen vom 4. Dezember 1997[13]
näher erläutert, insbesondere im Hinblick auf die Berücksichtigung einer Reihe
von Anhaltspunkten bzw. Hinweisen auf Rechtsmissbrauch, die sich aus den
Verhaltensweisen, die in Scheinehe lebende Ehegatten üblicherweise deutlich
öfter aufweisen als echte Paare, ableiten lassen. Der Begriff „hints of abuse“
(Hinweise auf Rechtsmissbrauch), der für die Zwecke des Handbuchs verwendet
wird, ist so zu verstehen, dass solche von den nationalen Behörden gesammelten
Hinweise nie automatisch oder unweigerlich einen Beweis für die missbräuchliche
Natur der betreffenden Eheschließung darstellen. Es ist stets eine umfassendere
und neutrale Bewertung aller Sachverhalte vorzunehmen – sowohl derer, die den
anfänglichen Verdacht des Rechtsmissbrauchs bestätigen, als auch derer, die den
Verdacht entkräften. Bei
der Bekämpfung von Rechtsmissbrauch vor Ort kommt es vor, dass die Mitarbeiter
der nationalen Behörden auf untypische Paare treffen, die zunächst eine Reihe
von Merkmalen einer Scheinehe aufzuweisen scheinen, tatsächlich aber eine echte
Ehe führen. Aus diesem Grund wird in dem Handbuch ein Mechanismus zur
doppelten Absicherung erläutert, durch dessen Anwendung die Gefahr von
falschen positiven Identifizierungen minimiert werden kann (beispielsweise,
wenn die Ehegatten keinen gemeinsamen Haushalt haben oder einer der Ehegatten
eine ungünstige Einwanderungsgeschichte vorzuweisen hat). Dieser
Mechanismus beinhaltet erstens eine strikte Anwendung des Grundsatzes, dass
die Freizügigkeit die wichtigste Regel ist, die nur in Einzelfällen
eingeschränkt werden darf, wenn dies aufgrund eines Rechtsmissbrauchs
gerechtfertigt ist. Zweitens sieht der Mechanismus vor, dass sich nationale
Behörden bei ihren Untersuchungen zum Rechtsmissbrauch nicht grundsätzlich in
erster Linie auf Hinweise, die ihren anfänglichen Verdacht bezüglich der
betreffenden Eheschließung bestätigen, konzentrieren sollten. Vielmehr sollten
sie zunächst Hinweise darauf, dass kein Rechtsmissbrauch vorliegt,
berücksichtigen (beispielsweise eine langjährige Beziehung, eine
langfristige rechtliche oder finanzielle Verpflichtung oder gemeinsame
elterliche Verantwortung), welche die Annahme bestätigen, dass die Ehe echt
ist und das Ehepaar ein Recht auf Freizügigkeit und freien Aufenthalt hat. Nur
wenn die Prüfung der Hinweise darauf, dass kein Rechtsmissbrauch vorliegt,
nicht zu dem Schluss führt, dass es sich um eine echte Ehe handelt, würden die
Behörden prüfen, ob Hinweise auf Rechtsmissbrauch vorliegen. Hinweise
auf einen möglichen Rechtsmissbrauch, die auf bestimmten Verhaltensweisen
beruhen, welche häufiger bei Ehegatten in einer Scheinehe als bei echten
Ehegatten vorzufinden sind, lassen sich anhand der entsprechenden „Phasen“
einer Scheinehe in mehrere Gruppen unterteilen. Beispiele für solche Hinweise
werden im Folgenden vorgestellt: Vor
dem ersten Treffen der Ehegatten: Im Vergleich zu Bona-fide-Nicht-EU-Bürgern
ist es bei Personen, die einen Rechtsmissbrauch begehen, wahrscheinlicher,
dass sie zuvor irregulär in einen EU-Staat eingereist sind oder sich derzeit
irregulär in einem EU-Staat aufhalten oder bereits zuvor Scheinehen eingegangen
sind oder andere Arten von Rechtsmissbrauch oder Betrug begangen haben. Im
Vergleich zu Bona-fide-EU-Bürgern ist es bei Personen, die einen
Rechtsmissbrauch begehen, wahrscheinlicher, dass sie sich in einer schlechten
finanziellen Lage befinden (zum Beispiel hohe Verschuldung). Vor
der Eheschließung: Im Vergleich zu echten Paaren ist es bei Personen,
die einen Rechtsmissbrauch begehen, wahrscheinlicher, dass sie sich vor der
Eheschließung nie persönlich getroffen haben oder keine gemeinsame Sprache
sprechen, die beide Partner verstehen (und es zudem keine Hinweise dafür
gibt, dass sie Anstrengungen unternehmen, eine gemeinsame
Kommunikationsgrundlage zu schaffen). Bei
den Vorbereitungen der Hochzeitsfeier: Im Vergleich zu
echten Paaren ist es bei Personen, die einen Rechtsmissbrauch begehen,
wahrscheinlicher, dass sie einen Hochzeitsort wählen, der für missbräuchliche
Eheschließungen bekannt ist oder bei dem mutmaßliche Verbindungen zu
organisierter Kriminalität bestehen, dass sie für die Eheschließung einen
Geldbetrag zahlen oder Geschenke machen (hiervon ausgenommen ist eine
Mitgift, wie sie in bestimmten Kulturkreisen üblich ist), dass die
eingereichten Unterlagen Unstimmigkeiten aufweisen, die Anlass zu der Annahme
geben, dass es sich um Fälschungen handelt, oder dass sie eine falsche
Anschrift angeben. Bei
der Beantragung eines Einreisevisums oder Aufenthaltstitels durch den aus einem
Drittland stammenden Ehegatten nach der Eheschließung: Im
Vergleich zu echten Paaren ist es bei Personen, die einen Rechtsmissbrauch
begehen, wahrscheinlicher, dass sie widersprüchliche oder falsche Angaben bei
der Beantwortung persönlicher Fragen über den jeweils anderen Ehegatten machen (Name,
Geburtsdatum und Alter, Staatsangehörigkeit, nahe Familienangehörige,
eventuelle frühere Ehen, Bildung, Beruf), eine falsche Anschrift angeben
oder der aus einem Drittstaat stammende Ehepartner mit einer anderen Person
zusammenlebt. Nach
der Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels an das Ehepaar, welches im
Aufnahmemitgliedstaat wohnhaft ist: Im Vergleich zu echten Paaren
ist es bei Personen, die einen Rechtsmissbrauch begehen, wahrscheinlicher, dass
sie ihre eheliche Lebensgemeinschaft nicht aufrechterhalten oder nach der
Eheschließung weiterhin ohne ersichtlichen Grund (zum Beispiel Arbeitsplatz,
im Ausland lebende Kinder aus früheren Beziehungen) voneinander getrennt
leben oder ein Ehegatte mit einer anderen Person zusammenlebt. Bei
der Einleitung von Schritten zur offiziellen Auflösung der Ehe durch die Ehegatten: Im
Vergleich zu echten Paaren ist es bei Personen, die einen Rechtsmissbrauch
begehen, wahrscheinlicher, dass sie sich, kurz nachdem der aus einem Drittstaat
stammende Ehegatte ein eigenständiges Aufenthaltsrecht oder die
Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erhalten hat, scheiden lassen. 4.2
Untersuchung von Scheinehen In
dem Handbuch werden die wichtigsten Instrumente vorgestellt, die den nationalen
Behörden die Überprüfung von Scheinehen ermöglichen, darunter gleichzeitige
Befragungen oder gleichzeitig auszufüllende Fragebögen, Unterlagen- und
Zuverlässigkeitsüberprüfungen, Kontrollen durch die Strafverfolgungs-,
Einwanderungs- oder sonstigen zuständigen Behörden und Kontrollen auf
Gemeindeebene, bei denen überprüft wird, ob das Ehepaar zusammenlebt und einen
gemeinsamen Haushalt führt. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, wie
wichtig es ist, das Recht auf Privatleben und die geltenden Garantien zu
achten, und es werden von den nationalen Behörden entwickelte gemeinsame Verfahren
beschrieben, die die Wirksamkeit solcher Instrumente erhöhen. 4.3
Grenzübergreifende Zusammenarbeit bei
der Bekämpfung von Scheinehen In
dem Handbuch wird dargelegt, inwiefern eine grenzübergreifende Zusammenarbeit
zu einer wirksamen Aufdeckung, Untersuchung und strafrechtlichen Verfolgung von
Scheinehen beitragen kann. Es enthält insbesondere nähere Angaben zu der
Unterstützung der nationalen Behörden durch Europol in Fällen, in denen
organisierte Kriminalität in Form von Menschenhandel beteiligt ist, und durch
Eurojust, vor allem bei der Untersuchung und Verfolgung bestimmter Tatbestände,
sowie zur Koordinierung zwischen den nationalen Behörden. Ferner wird
erläutert, wie Europol und Eurojust die Mitgliedstaaten bei der Bildung
gemeinsamer Ermittlungsgruppen unterstützen können und in welchen Situationen
solche Gruppen geeignet und nützlich sein können. 4.4
Rollen der verschiedenen nationalen
Behörden Im
letzten Abschnitt des Handbuchs werden die verschiedenen Behörden auf
nationaler Ebene genannt, die an der Bekämpfung von Scheinehen beteiligt sein
können. Außerdem wird insbesondere betont, wie wichtig ein ganzheitliches
Vorgehen bei der Bekämpfung solcher Ehen und bei der Festlegung der Rollen der
verschiedenen nationalen Akteure ist. Entsprechend ihren jeweiligen
Bedürfnissen sollten die Mitgliedstaaten auch prüfen, wie sich die Arbeit der
wichtigsten Akteure am besten koordinieren lässt, etwa durch die Einrichtung
einer zentralen Koordinierungsstelle oder durch Anlaufstellen in jeder der
beteiligten Dienststellen. [1] COM(2013)
837 final - http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52013DC0837&rid=1. [2] Mitteilung
„Freizügigkeit der EU-Bürger und ihrer Familien: fünf grundlegende Maßnahmen“,
siehe Abschnitt 3.1. [3] KOM(2009)
313 endgültig. [4] Erwägungsgrund
28 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April
2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im
Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl. L 158,
S. 77). [5] Richtlinie
2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur
Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer – http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:101:0001:0011:DE:PDF. [6] Artikel 52
Absatz 3 der Charta; vgl. dazu auch die Erläuterungen zur Charta
(ABl. C 303 vom 14.12.2007, S. 2) über die Bedeutung und
Tragweite besonderer Bestimmungen der Charta im Vergleich zu den entsprechenden
Bestimmungen der Konvention. [7] Z. B.
Entscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte in der
Rechtssache Sanders gegen Frankreich (Individualbeschwerde 31401/96) und
in der Rechtssache Klip und Krüger gegen die Niederlande
(Individualbeschwerde 33257/96). [8] Urteil Űner
gegen die Niederlande (Individualbeschwerde 46410/99). [9] http://www.unhcr.org/4566b16b2.html [10] Artikel 3
Protokoll 4 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten. [11] Siehe
insbesondere die Rechtssachen C-34/09, Ruiz Zambrano, C-256/11, Dereci
und die verbundenen Rechtssachen C‑356/11 und C‑357/11,
O. und S. [12] Je
nachdem, ob das missbräuchliche Verhalten nach dem Straf-, Einwanderungs-,
Verwaltungs- oder Personenstandsrecht verfolgt wird, können unterschiedliche
Beweisanforderungen gelten. [13] http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31997Y1216(01):DE:HTML