EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52011AE0998

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung und Integration der Roma in Europa“ (Sondierungsstellungnahme)

ABl. C 248 vom 25.8.2011, p. 16–21 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

25.8.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 248/16


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung und Integration der Roma in Europa“ (Sondierungsstellungnahme)

2011/C 248/03

Berichterstatter: Ákos TOPOLÁNSZKY

Mit Schreiben vom 15. November 2010 ersuchte Botschafter Péter GYÖRKÖS den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss im Namen des ungarischen Ratsvorsitzes und gemäß Artikel 304 AEUV um eine Sondierungsstellungnahme zu folgendem Thema:

Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung und Integration der Roma in Europa

(Sondierungsstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 27. Mai 2011 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 472. Plenartagung am 15./16. Juni 2011 (Sitzung vom 16. Juni) mit 138 gegen 3 Stimmen ohne Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

DER EUROPÄISCHE WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

1.1   begrüßt und anerkennt nachdrücklich alle Anstrengungen, die die Europäische Union bisher unternommen hat, um die Segregation der Roma (1) zu vermindern und ihre soziale Integration zu fördern, und zwar durch die von den EU-Institutionen erarbeiteten Entschließungen und Rechtsakte, die Schaffung von Kooperationsstrukturen und die Bereitstellung der Strukturfonds und anderer Finanzierungsinstrumente;

1.2   weist gleichzeitig darauf hin, dass mit all diesen Anstrengungen insgesamt weder die Diskriminierung, die viele Roma erleiden, entscheidend verringert noch ihre Lebensqualität und ihre Lebenschancen verbessert werden konnten und dass sich ihre Situation in mehrerer Hinsicht sogar weiter verschlechtert hat;

1.3   unterstreicht, dass diese problematische Situation nur durch eine integrierte, koordinierte und kohärente europaweite Strategie sowie ein entschlossenes, systematisches und alle Politikbereiche abdeckendes Aktionsprogramm auf nationaler Ebene verändert werden kann, sodass den betroffenen Personen und ihren Gemeinschaften die Befugnisse und die Entscheidungsgewalt verliehen werden, die sie benötigen, um ihr Schicksal selbst zu bestimmen (empowerment). Dieses Aktionsprogramm muss auf Ebene der lokalen Gebietskörperschaften in die Praxis umgesetzt werden können (Subsidiarität);

1.4   begrüßt daher die Vorschläge in der Mitteilung der Europäischen Kommission (2) zu einem EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020 und legt großes Gewicht auf deren einheitliche Umsetzung auf nationaler und EU-Ebene. Der EWSA möchte sich als engagierter Partner in diesen Prozess einbringen;

1.5   ist dennoch der Auffassung, dass diese seit langem erwartete Strategie nicht die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt: sie könnte ehrgeiziger, konkreter und besser strukturiert sein;

1.6   vertritt die Auffassung, dass den Mitgliedstaaten die folgenden drei - koordiniert umzusetzenden - Säulen einer realistischen und praktikablen Politik zur Eingliederung der Roma vorgeschlagen werden könnten, die die Natur der Probleme und die strategischen Schwerpunkte bei ihrer Lösung auf gezielte, aber nicht exklusive Weise widerspiegelt:

a)

eine in Bezug auf Rasse und Ethnie neutrale Integrationspolitik, die zur Beseitigung der Konzentration sozialer Probleme und zur Verringerung extremer Armut und Not beiträgt;

b)

eine Politik zur Stärkung der Handlungskompetenz derjenigen, die sich selbst als Mitglied einer Roma-Gemeinschaft betrachten, und zur Würdigung der sozialen Eingliederung, die sie erreicht haben;

c)

allgemeine Maßnahmen und Öffentlichkeitsarbeit zur Bekämpfung von Rassismus;

1.7   betont die Notwendigkeit der Mitwirkung von lokalen Vertretern der Zivilgesellschaft, wissenschaftlichen Fachleuten und der Sozialpartner an der Konsultation zur Integrationspolitik sowie an der Formulierung und Umsetzung dieser Politik, und hebt hervor, dass es unerlässlich ist, Vertreter und Mitglieder der Roma-Bevölkerung und der Roma-Gemeinschaften aktiv und auf allen Ebenen (EU, national, regional und lokal) in die Planung und Umsetzung einzubeziehen - ganz im Sinne der vorliegenden Kommissionsmitteilung;

1.8   unterstreicht die Notwendigkeit einer konsequenten Vertretung des öffentlichen Interesses und fordert daher eine systematische Planung und Umsetzung sowie eine politische Koordinierung. Der EWSA unterstreicht auch die Bedeutung einer lokalen Politikgestaltung und differenzierter, am wirklichen Bedarf orientierter Ansätze sowie einer Bestandsaufnahme der tatsächlichen Situation und einer konsequenten, permanenten und systematischen Evaluierung;

1.9   macht den Rat darauf aufmerksam, dass eine Lösung gefunden werden muss, um jenen Roma, die aus irgendeinem Grund keinen Nachweis ihrer Staatsangehörigkeit mehr besitzen, dieses Dokument zurückzugeben und ihnen damit einen diskriminierungsfreien Zugang zur Unionsbürgerschaft zu garantieren, und dass diese Ungerechtigkeit solange oben auf der Tagesordnung stehen muss, bis eine solche Lösung gefunden wurde.

2.   Einleitung

DER EUROPÄISCHE WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

2.1   stimmt der Lagebeurteilung im Bericht der Europäischen Kommission über „Roma in Europa“ (3) und den Vorschlägen in der Mitteilung über die „Soziale und wirtschaftliche Integration der Roma“ (4) zu;

2.2   unterstützt die Stellungnahme des Ausschusses der Regionen zum Thema „Die soziale und wirtschaftliche Integration der Roma in Europa“ (5), in der die Anerkennung und Förderung der strategischen Rolle lokaler Gebietskörperschaften und Gemeinschaften bei der Durchführung integrierter regionaler Maßnahmen gefordert wird;

2.3   wiederholt den Vorschlag aus seiner Sondierungsstellungnahme zum Thema „Integration von Minderheiten – Roma“ (6) und insbesondere den Vorschlag zur Erweiterung der Nutzung bereits bestehender Prozesse der offenen Methode der Koordinierung. Der EWSA bekräftigt ferner das in seiner Entschließung zum Thema „Die Lage der Roma in der Europäischen Union“ (7) geäußerte Engagement für den Schutz der Grundrechte aller Europäer und die Bekämpfung von Diskriminierung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in allen Ländern;

2.4   bekräftigt die in seiner Stellungnahme zum Thema „Integration und Sozialagenda“ aufgestellte Forderung, dass die Bekämpfung der Diskriminierung intensiviert werden muss, indem die bestehenden Rechtsinstrumente umgesetzt und öffentliche Maßnahmen und soziale Anstrengungen zur Integration gestärkt werden (8);

2.5   schließt sich voll und ganz der Lagebeurteilung und den Vorschlägen im Bericht des Europäischen Parlaments über eine „Strategie der EU zur Integration der Roma“ (9) an;

2.6   akzeptiert und teilt rückhaltlos die Wertprinzipien der Nichtdiskriminierung und der Eingliederung ausgegrenzter Personen, die in der Lissabon-Strategie und der EU-Charta der Grundrechte verankert sind;

2.7   unterstützt die zehn Gemeinsamen Grundprinzipien, die im Zuge der Zusammenarbeit in der „integrierten Europäischen Plattform für die Einbeziehung der Roma“ aufgestellt wurden und bereits breite Akzeptanz gefunden haben, und verweist auf die Notwendigkeit, diese Prinzipien nicht zuletzt auch auf nationaler Ebene anzuwenden (10);

2.8   begrüßt ausdrücklich, dass die Strukturfonds und andere nationale, regionale und lokale Finanzierungsinstrumente (11) für die Unterstützung von Maßnahmen zur Integration der Roma zur Verfügung gestellt werden, und empfiehlt, im Interesse einer besseren gesellschaftlichen Stellung der Roma die Finanzierung dieser Maßnahmen zu gewährleisten, und zwar im Rahmen angepasster Verfahren und einer angemessenen technischen Unterstützung unter Berücksichtigung der Komplexität dieses Phänomens, z.B. in Bezug auf den Zugang zu Gesundheitsversorgung, Berufsausbildung, Beschäftigung und Wohnraum;

2.9   begrüßt die Vorschläge, die die Europäische Kommission in der Mitteilung zu einem „EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020“ unterbreitet hat, und misst ihrer einheitlichen Umsetzung auf nationaler und EU-Ebene große Bedeutung bei. Der EWSA möchte sich als engagierter Partner in diesen Prozess einbringen;

2.10   ist dennoch der Ansicht, dass dieses schon seit langem erwartete Dokument die damit verbundenen Erwartungen nicht vollständig erfüllt hat. Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die verschiedenen Zielsetzungen klarer definiert und die anstehenden Aufgaben besser herausgestellt werden müssen, und verweist auf die Bedeutung einer offenen, europaweiten gesellschaftlichen Debatte zu dieser Frage. Der EWSA unterstreicht, dass Bewertungsmechanismen und Leistungsindikatoren eine unterlässliche Erfolgsvoraussetzung sind. Daher misst er den Schlussfolgerungen des Rates, die im Mai angenommen wurden und deren Billigung durch den Europäischen Rat im Juni erwartet wird, in sozialer wie auch in praktischer Hinsicht besondere Bedeutung bei;

2.11   weist darauf hin, dass die Ausgrenzung und Diskriminierung der Roma erhebliche soziale Kosten verursacht und staatliche Ausgaben erfordert, während die Integration eindeutig wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt (12);

2.12   unterstützt - auch durch eigene Mitarbeit - das EU-Roma-Netz, das Jahrzehnt der Roma-Integration, den Europäischen Gipfel zur Integration der Roma, den Gleichstellungsgipfel, die Integrierte Europäische Plattform für die Einbeziehung der Roma, die Europäische Plattform zur Bekämpfung der Armut und der sozialen Ausgrenzung und zahlreiche andere Kooperationsformen, wobei er die Werte der Zivilgesellschaft im weitesten Sinne vertritt;

2.13   betont, dass die Europäische Union und ihre Institutionen bereits erhebliche Bemühungen im Bereich der Regelung, Anleitung und Finanzierung unternommen haben, um die Konzipierung, Verabschiedung und Umsetzung von Eingliederungsmaßnahmen für die Roma zu fördern;

2.14   stellt zugleich mit Besorgnis fest, dass diese kombinierten Bemühungen nicht maßgeblich dazu beigetragen haben, die von vielen Roma erlittene Diskriminierung zu beseitigen oder ihre Lebensqualität bzw. ihre Chancen zu verbessern - in einigen Bereichen hat sich ihre Lage sogar noch verschlechtert. Obwohl die Roma zum überwiegenden Teil EU-Bürger sind und damit dieselben Rechte und Pflichten haben wie jeder andere Bürger eines Mitgliedstaats, muss eingeräumt werden, dass sie nach wie vor einer ständigen gravierenden Diskriminierung ausgesetzt sind, sei es auf dem Arbeitsmarkt, in den Bereichen Bildung, Wohnung und Gesundheit, beim Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen oder bei der Freizügigkeit;

2.15   ist sich der Tatsache bewusst, dass sich die Lebenssituationen der einzelnen Roma-Gruppen sehr stark unterscheiden: Während viele von ihnen in ihren Wohngemeinden - ob in der Stadt oder auf dem Lande - sehr gut integriert sind, leben andere in Armut und äußerster Not und sind Opfer einer permanenten Ausgrenzung. Ein kleiner Teil hat hingegen eine typische nomadische Lebensweise, die vom jeweiligen Umfeld nicht gutgeheißen wird;

2.16   vertritt die Auffassung, dass es auf die Stärkung der Handlungskompetenz der Menschen ankommt, die in Armut leben und Diskriminierung erfahren. Echte Selbstbestimmung setzt Wahlfreiheit voraus. Ein entscheidender Faktor bei der Umsetzung von Integrationsmaßnahmen besteht generell darin, dass die Betroffenen über die nötige Kraft und die nötigen Instrumente und Entscheidungskompetenzen verfügen, um ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Deshalb muss die gesamte Politik einschließlich der einzelnen Maßnahmebereiche darauf ausgerichtet sein, den Betroffenen bei der Entwicklung der Fähigkeit zu helfen, ihr Leben unter Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze eigenständig zu gestalten;

2.17   ist der festen Überzeugung, dass die Roma keine Sonderrechte erhalten sollten, jedoch ihre Unionsbürgerschaft uneingeschränkt geachtet werden muss und dass ihnen alle grundlegenden EU-Rechte sowie sämtliche Bürgerrechte gewährt werden müssen, wobei sicherzustellen ist, dass diese Rechte geachtet werden und jede Missachtung bestraft wird, vor allem wenn es sich um unfaire und diskriminierende Verhaltensweisen von Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörden handelt;

2.18   weist darauf hin, dass innerhalb der Gruppe der Roma Frauen, Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen besonders stark von Ausgrenzung betroffen sind und dass die soziale und wirtschaftliche Krise diese negativen Erscheinungen zwangsläufig verstärkt;

2.19   ist überzeugt, dass diese Probleme nur durch ein integriertes, abgestimmtes und in sich schlüssiges strategisches Programm und eine konsequente, systematische Herangehensweise in allen Politikbereichen gelöst werden können. Der EWSA ist darüber erfreut, dass die EU-Organe und -Einrichtungen (nicht zuletzt der EWSA) gemeinsam mit der ungarischen Regierung, die momentan den Ratsvorsitz innehat, an der Schaffung der Voraussetzungen für die Bewältigung dieser Problematik arbeiten, und empfiehlt, während der polnischen Ratspräsidentschaft eine Ministerkonferenz zur Erörterung der gesammelten Erfahrungen und erzielten Ergebnisse abzuhalten.

3.   Politische Empfehlungen  (13)

DER EUROPÄISCHE WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

3.1   stellt fest, dass der traditionelle Ansatz für die Definition der Zielgruppe der Roma darauf beruht, welche Vorstellungen die Bevölkerungsmehrheit von den Roma haben. Ein solcher Ansatz kann zwar beispielsweise aus Sicht der Forschung nützlich sein und eine effektive Beurteilung der Natur der sozialen Ausgrenzung ermöglichen, doch jede Methode, bei der die Roma anhand äußerer rassischer Merkmale identifiziert werden, ist nicht nur sinnlos und politisch untragbar, sondern verstößt auch gegen grundlegende Menschenrechte, insbesondere gegen das Recht auf Bestimmung der eigenen Identität;

3.2   empfiehlt, dass die Mitgliedstaaten entgegen dem traditionellen Ansatz die grundlegenden Wertprinzipien des angenommenen strategischen Rahmens achten und zugleich den „gezielten, aber nicht exklusiven“ Ansatz verfolgen, der zu den zehn Grundprinzipien der Plattform für die Einbeziehung der Roma zählt. Ausgehend von den vier Maßnahmebereichen, die in der Mitteilung der Kommission genannt werden (Bildung, Beschäftigung, Gesundheit, Wohnen), sollten sie drei strategische Aspekte berücksichtigen, die den Charakter der Probleme und die Handlungsoptionen verdeutlichen und zusammen die drei Säulen einer realistischen, praktikablen Politik zur Integration der Roma bilden:

a)

eine in Bezug auf Rasse und Ethnie neutrale Integrationspolitik, die zur Beseitigung der Konzentration sozialer Probleme und zur Verringerung extremer Armut und Not beiträgt;

b)

eine Politik zur Stärkung der Handlungskompetenz derjenigen, die sich selbst als Mitglied einer Roma-Gemeinschaft betrachten, und zur Würdigung der sozialen Eingliederung, die sie erreicht haben;

c)

allgemeine Maßnahmen und Öffentlichkeitsarbeit zur Bekämpfung von Rassismus.

3.3   Eine in Bezug auf Rasse und Ethnie neutrale Integrationspolitik - allgemeiner Zugang, Beseitigung der Konzentration sozialer Probleme und Verringerung extremer Armut und Not:

3.3.1

Eine diskriminierungsfreie Integrationspolitik darf sich nicht auf ethnische oder rassische Merkmale konzentrieren, sondern muss Probleme der sozialen Ausgrenzung ungeachtet rassischer Gesichtspunkte bekämpfen, so z.B. die Probleme in den Bereichen Bildung, Beschäftigung (einschließlich unterschiedlicher Arten von Beschäftigung wie Existenzgründung, selbstständige Erwerbstätigkeit usw.), Gesundheit und Wohnen, die in der Mitteilung der Kommission genannt werden. Sie muss die geografische Konzentration sozioökonomischer Nachteile unabhängig von der (ethnischen oder sonstigen) Zusammensetzung der ausgegrenzten Personengruppe berücksichtigen und im Sinne der Europa-2020-Strategie der Lösung zweier spezifischer Probleme Vorrang einräumen.

3.3.2

Der erste dieser Prioritäten ist die einheitliche Anwendung des Kriteriums „uneingeschränkter Zugang“. Darunter ist nicht nur die Beseitigung rechtlicher Diskriminierung zu verstehen, sondern „uneingeschränkter Zugang“ heißt auch: Schaffung der Voraussetzungen für physische Erreichbarkeit und Nutzbarkeit, Anpassung an bestehende Bedürfnisse, Erschwinglichkeit und eine den Standards entsprechende Qualität. Neben der Ausräumung rechtlicher Hindernisse geht es darum, öffentliche Dienstleistungen näher an Wohngebiete mit einer hohen Konzentration von Roma-Angehörigen zu bringen und die Verkehrsverbindungen zu den Institutionen und Dienstleistungseinrichtungen auszubauen, zu deren Inanspruchnahme sie aufgrund ihrer Lebensumstände berechtigt sind.

3.3.3

Eine Konzentration von Ausgrenzung kann vor allem in zweierlei Hinsicht auftreten: 1) in bestimmten geografischen Gebieten und Wohngebieten, und 2) bei bestimmten Einrichtungen, wenn es die betreffenden Dienstleistungsanbieter (darunter auch öffentliche Dienstleister) mit sozial ausgegrenzten Klienten zu tun haben (institutionelle Segregation).

3.3.4

Die Konzentration von Ausgrenzung kann verringert werden, indem erstens eine gezielte Verbesserung der Bedingungen in den jeweiligen Einrichtungen bzw. in den ärmsten und unzulänglichsten Wohngebieten erfolgt, und indem zweitens Reformen zur Förderung der institutionellen Integration und zur Förderung menschlicher Begegnungen und Interaktionen durchgeführt werden, um der Isolierung entgegenzuwirken.

3.3.5

Uneingeschränkter Zugang ist ein zentraler Aspekt der grundlegenden Zielsetzungen der Lissabon-Strategie; daher haben Maßnahmen, die den Arbeitsmarkt oder andere soziale Bereiche wie Mobilitätsförderung und Bildung betreffen, auch weiterhin Priorität. Die Strategiedokumente der letzten Jahre lassen eine erneute stärkere Hinwendung zur Gesundheitspolitik (insbesondere öffentliche Gesundheit) sowie zur Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik erkennen - mit einem Schwerpunkt auf der Abschaffung von isolierten Wohngebieten, Lagern und sonstigen segregationsfördernden Einrichtungen sowie auf der Entwicklung von lokalen Wirtschaftsinitiativen, gemeindenahen Initiativen, kleinste (selbstständige Erwerbstätigkeit), kleine und mittlere Unternehmen sowie öffentlich oder privat (d.h. von Nichtregierungsorganisationen) erbrachten kommunalen Dienstleistungen. Sehr wichtig ist auch die Abstimmung zwischen den Strategien zur Bekämpfung der Kinderarmut und denen zur Integration der Roma (Unterstützung von Müttern beim Zugang zur Beschäftigung durch Stärkung der kommunalen Verantwortung für die Kindererziehung; Gewährleistung eines umfassenderen Zugangs zu Vorschuleinrichtungen und Einrichtungen für frühkindliches Lernen, unter Berücksichtigung der erforderlichen Zuschüsse und Anreize für die Aus- und Weiterbildung von Kindern, deren Eltern in Armut leben).

3.4   Eine Politik zur Stärkung der Handlungskompetenz derjenigen, die sich selbst als Mitglied einer Roma-Gemeinschaft betrachten, und zur Würdigung der sozialen Eingliederung, die sie erreicht haben:

3.4.1

Es muss unbedingt sichergestellt werden, dass diejenigen, die sich durch ihre Identität miteinander verbunden sehen, auf eigene Initiative, gemeinsam mit Gleichgestellten und als Gemeinschaft ihren eigenen Weg wählen und die Sprache, die Kultur und das Brauchtum bewahren können, die die Grundlage ihrer Identität bilden. Daher muss die nationale Roma-Integrationsstrategie den Weg dafür ebnen, dass diejenigen, die für sich die Roma-Identität in Anspruch nehmen, ihre eigenen Gemeinschaften, öffentlichen Foren (Medien) und Organisationen gründen sowie deren Funktionieren gewährleisten können; dies gilt auch für jede andere Minderheit, die sozial ausgegrenzt wird. Ebenso wichtig ist, dass die staatlichen und nichtstaatlichen Roma-Organisationen dieselben Entfaltungsmöglichkeiten haben wie die Organisationen anderer ethnischer Minderheiten und dass sie gegebenenfalls (unter Berücksichtigung ihrer zahlenmäßigen Stärke) dieselbe Unterstützung wie andere ethnische Minderheiten erhalten.

3.4.2

Dies kann nur geschehen, wenn ein kulturelles Miteinander, eine lebendige wechselseitige Interaktion und Kommunikation und die Integration - in grundsätzlicher und theoretischer Hinsicht sowie im Hinblick auf eine gute gemeinschaftliche und institutionelle Praxis in Europa - reale Handlungsgrundlagen und Teil des täglichen Lebens werden.

3.4.3

Bei diesen Fördermaßnahmen geht es im Grunde darum, die Angehörigen einer Minderheit in die Lage zu versetzen, sich Gehör zu verschaffen und ihre Interessen zu vertreten. Wir müssen Instrumente und Konzepte fördern, die ihnen helfen, ihre sozialen Benachteiligungen klar herauszustellen und sie auf politischer Ebene zu bekämpfen.

3.4.4

Die Empowerment-Strategien sollten Maßnahmen zur Förderung der Arbeitsmarktintegration von Roma beinhalten; dazu gehört auch, dass hochrangige Positionen in der Wirtschaft, der öffentlichen Verwaltung, der Politik, den Medien, der Wissenschaft und der Kunstszene mit Roma besetzt werden und Roma Unterstützung bei der Gründung mittelständischer Unternehmen erhalten.

3.5   Antirassismuspolitik

3.5.1   Zielgruppe einer Antirassismus-Strategie ist stets die Gesellschaft insgesamt; die politische Dimension einer solchen Strategie ist geprägt von der Überzeugung, dass die gesellschaftliche Stellung eines Menschen in einer dynamischen, gerechten und humanen Welt von seinen Kompetenzen und Talenten abhängig sein sollte und nicht von durch die Geburt bestimmten Vor- oder Nachteilen, die über seine Lebenschancen entscheiden. Ein Mensch sollte auch nicht die negativen Konsequenzen der Ausgrenzung erleiden müssen. Vererbte, unabänderliche Merkmale wie Geschlecht, Herkunft und Religion dürfen keinen Anlass zu Diskriminierung geben. Die Antidiskriminierungsvorschriften bieten ein äußerst starkes Instrumentarium für die praktische Durchsetzung dieser Prinzipien. Daher wäre es der Sache äußerst dienlich, wenn diese EU-Vorschriften auf nationaler Ebene in den verschiedenen Maßnahmebereichen und Regulierungssystemen vollständig umgesetzt würden. Derartige Bestimmungen sind nicht nur wegen der in Aussicht gestellten Strafen und ihres abschreckenden Charakters wirksam, sondern auch deshalb, weil die gesetzestreuen Bürger, die in einer demokratischen Gesellschaft in der Mehrheit sind, sich an Buchstaben und Geist des Gesetzes halten.

3.5.2   Da es schwieriger ist, Menschen mit Vernunftsargumenten von ihren Vorurteilen und von rassistischen Überzeugungen abzubringen, zielen Maßnahmen zur Rassismusbekämpfung größtenteils auf die Förderung von Verhaltensmodellen und Kommunikationsmustern ab, die ein positives Bild von gewaltfreier Kommunikation, Zusammenarbeit und Problemlösung vermitteln; zugleich werden aggressive und rassistische Verhaltensweisen, die auf Vorurteilen und Hass beruhen, an den Pranger gestellt. In dieser Hinsicht tragen die Meinungsbildner und insbesondere die führenden Politiker und Medienvertreter besondere Verantwortung.

3.6   Stärkung des „evidenzbasierten“ Charakters der Strategie

3.6.1   Während der vergangenen zwei Jahre ist es der EU in verschiedenen Politikbereichen deutlich besser gelungen, eine objektive Bewertung der sozialen Ausgrenzung und deren Bekämpfung vorzunehmen und die Ergebnisse dieser Bewertung in die Sozialpolitik einfließen zu lassen. Die Verfügbarkeit von Daten ist eine wesentliche Voraussetzung für die Anwendung und Beurteilung geeigneter politischer Maßnahmen. Trotz aller bisherigen Bemühungen jedoch gibt es noch nicht viel Datenmaterial, sei es zur Gesamtbevölkerung oder zu den Zielgruppen. In Anbetracht der Ziele der Strategie sind Fortschritte in den folgenden Bereichen vonnöten:

3.6.2   „In Bezug auf Rasse und Ethnie neutrale Integrationspolitik“: Bei der weiteren Entwicklung von Methoden zur Bewertung verschiedener Formen von Armut und Not kommt es darauf an, das Ausmaß der Konzentration der Ausgrenzung genau zu erfassen und die Auswirkungen der auf der Grundlage der relevanten Politiken getroffenen Maßnahmen aufzuzeigen. Der EWSA empfiehlt, dass Eurostat und die Statistikbehörden der Mitgliedstaaten Indikatoren für extreme Armut und Ausgrenzung zu ihren Ausgrenzungsindikatoren hinzufügen und eine Methode zur statistischen Quantifizierung und Verarbeitung entwickeln, um extreme Armut und Not messen zu können.

3.6.3   Auf dieser Grundlage sollten die Mitgliedstaaten in ihren Strategien die Areale (Stadtbezirke, Elendsviertel, Innenstadtgebiete, Lager, isolierte Bezirke, ländliche Siedlungen usw.) bestimmen, die als bewohnte Gebiete eine besonders hohe Konzentration an Ausgrenzung und extremer Ausgrenzung aufweisen, unabhängig davon, ob es sich dabei nach Ansicht der Öffentlichkeit um von Roma bevölkerte Gebieten handelt. Der EWSA empfiehlt den Mitgliedstaaten die Entwicklung von Stadtplanungsstrategien, um diese Gebiete in ihrer jetzigen Form zu beseitigen bzw. bewohnbar zu machen, sowie die Einrichtung von evidenzbasierten Mechanismen zur Überwachung dieser Strategien.

3.6.4   „Stärkung der Handlungskompetenz der Roma“: Erschwernisse und Benachteiligungen können nur ermittelt werden, wenn diejenigen, die für sich eine ethnische Identität in Anspruch nehmen, darum ersuchen, als Angehörige der jeweiligen Minderheit in öffentliche Register aufgenommen zu werden. Wird jedoch kein solches Ersuchen gestellt, ist jeglicher Verweis auf die Rasse aufgrund von Rassenmerkmalen in den nationalen Registern kategorisch und rigoros zu verbieten. Da die Daten zu ethnischen Minderheiten besonders sensibel sind, ist für personenbezogene Daten unter Verwendung aller möglichen Mittel ein maximaler Schutz zu gewährleisten, während gleichzeitig aggregierte Daten über Minderheiten möglichst umfassend bekanntzumachen sind.

3.6.5   Neben der Verringerung der Ausgrenzung und der Armut und der Abschwächung ihrer extremsten Formen schlägt der EWSA vor, zur Entwicklung der Roma-Gemeinschaft Sprach-, Kultur-, Bildungs- und Gemeinschaftsprogramme zu unterstützen, die die Roma auch wirklich erreichen.

3.6.6   „Antirassismuspolitik“: Es sollte künftig möglich sein, ausgehend von Untersuchungen sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene zu beobachten, wie sich die den Roma entgegengebrachten Vorurteile, deren Vorkommen in verschiedenen sozialen Gruppen und die Auswirkungen politischer Maßnahmen auf die Entwicklung von ethnischen Vorurteilen und Rassismus verändern. Erforderlich sind Kampagnen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit, um die in der Bevölkerung anzutreffenden Ausgrenzungsbestrebungen und rassistischen Vorurteile zu bekämpfen. Dabei ist eine regelmäßige Überwachung sicherzustellen.

3.6.7   Der Ausschuss empfiehlt nachdrücklich, nicht nur die Tendenzen bei Vorurteilen und Rassismus zu verfolgen, sondern auch die positiven Auswirkungen und gesellschaftlichen Vorteile von öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Initiativen sowie bewährte Verfahren, deren Ziel es ist, die Vorurteile gegenüber den Roma und die Roma-Feindlichkeit abzubauen und die interkulturelle Teilhabe und Integration zu verbessern.

3.7   Aspekte von allgemeinem Interesse bei der Umsetzung auf einzelstaatlicher Ebene

3.7.1   Komplexität: Der EWSA weist darauf hin, dass in einer Vielzahl von Bereichen gezielt Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die positive Rolle der Roma in der Gesellschaft zu stärken, ihre Lebensbedingungen zu verbessern und ihre Integration zu fördern, und dass diese Maßnahmen zu einer systematischen Politik weiterentwickelt werden müssen. Zu diesem Zweck ist es notwendig, erstens Elemente verschiedener Politikbereiche miteinander zu verzahnen, zweitens sektorübergreifende und durch gute Verwaltung geprägte Beziehungen herzustellen und drittens eine systematische Umsetzung auf politischer Ebene einzuleiten. Das erfordert ein einheitliches, abgestimmtes Vorgehen aller Beteiligten;

3.7.2   Alle Teile des Programms müssen in sich schlüssig (Kohärenz) und integriert (inhaltliche Kontinuität) sein. Ein dritter wichtiger Aspekt der Umsetzung sind die Planung und die Festlegung von Prioritäten (sequenzielles Vorgehen), d.h. eine Realisierung der Ziele ist nur möglich, wenn in gut geplanten Etappen vorgegangen wird und ein Schritt auf dem anderen aufbaut. Das erfordert eine reibungslos funktionierende Koordinierungsbehörde, die mit den erforderlichen Kompetenzen ausgestattet ist.

3.7.3   Planung und Durchführung der Integrationspolitik sind auf die tatsächlichen Bedürfnisse auszurichten und erfordern ein differenziertes und flexibles Herangehen, sodass spezifische lokale (regionale) Merkmale bestmöglich berücksichtigt werden können. Integrationsstrategien sollten auf der Basis der Gegenseitigkeit konzipiert und umgesetzt werden, damit Bemühungen und Einflussnahme auf beiden Seiten spürbar werden und ein Nutzen für alle Beteiligten erreicht wird.

3.7.4   Im Falle von Aufforderungen zur Interessenbekundung und EU-Finanzmitteln ist es unerlässlich, die Bedingungen für Ausschreibungen und Berichterstattung zu vereinfachen. Bei einer sorgfältig geplanten Umsetzung sollte das Hauptaugenmerk auf den Kapazitätsaufbau, eine geeignete Koordinierung und die Unterstützung eines engagierten politischen Willens gerichtet werden. Ebenso wichtig ist die Einbeziehung von Vertretern der Interessengruppen in den Planungsprozess.

3.7.5   Evidenzbasierte Umsetzung - Indikatoren: Die Wirksamkeit der politischen Maßnahmen muss klar nachprüfbar sein, d.h. sie müssen effektiv zur Realisierung der ursprünglichen Ziele beitragen. Sie dürfen keine größeren Schäden und Risiken hervorbringen als die, vor denen sie uns eigentlich schützen sollen. Auch dürfen sie nicht unnötig teuer sein. Daher wurde bislang auf bedeutende, aber unzureichende Weise daran gearbeitet, diese Politik stärker evidenzbasiert zu machen. Bei den Anstrengungen zur Integration der Roma ist es für uns besonders wichtig, dass wir nicht nur die Programme, sondern die Politik insgesamt beurteilen können. Wir müssen daher sowohl auf einzelstaatlicher als auch auf EU-Ebene eine regelmäßige Bewertung, strengere Anforderungen, die einheitliche Festlegung von sozioökonomischen und sozialen statistischen Leistungsindikatoren - immer mit Blick auf die entsprechende Zielgruppe - und die Schaffung einer auf wissenschaftlicher Grundlage arbeitenden Bewertungseinrichtung fördern. Die Bereitstellung angemessener Finanzmittel für diese Zwecke ist sicherzustellen.

3.7.6   Der EWSA unterstützt die Umsetzung des EU-Rahmens für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020 und der dazu konzipierten einzelstaatlichen Maßnahmen, möchte jedoch aufgrund des ihm von der Zivilgesellschaft übertragenen Mandats und seiner inhärenten Verbindungen mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen in den Mitgliedstaaten in die Bewertung dieser Politiken einbezogen werden. Er möchte zwischen den EU-Institutionen und der organisierten Zivilgesellschaft vermittelnd tätig sein und sich aktiv an der Europäischen Plattform für die Einbeziehung der Roma und anderen Formen des strukturierten Dialogs beteiligen.

3.7.7   Teilnahme und Vertretung: Keine Integrationspolitik ist sinnvoll - sei es in der Theorie oder in der Praxis -, wenn nicht die Betroffenen eng mit einbezogen werden. Paternalistische Vorgehensweisen, die zu einer Beschränkung der Rechte führen, müssen daher vermieden werden. Vielmehr ist es angeraten, Basisorganisationen der Roma, lokale Vertreter der Zivilgesellschaft, Fachwissenschaftler und Sozialpartner so eng und vielschichtig wie möglich in die Entscheidungsfindung, Umsetzung und Überwachung einzubeziehen, wie es in der Mitteilung der Kommission und anderen relevanten Dokumenten klar zum Ausdruck gebracht wird. In den Zielbereichen kommt es insbesondere darauf an, durch entsprechende Maßnahmen zu gewährleisten, dass besonders benachteiligte Gruppen (Frauen, alleinerziehende Mütter, Menschen mit fremder Muttersprache, Menschen mit Behinderungen usw.) am politischen Leben teilnehmen können.

3.7.8   Aussagekraft, Glaubwürdigkeit und Effektivität der Politik hängen im Wesentlichen davon ab, wie eng die Hauptnutznießer daran beteiligt sind und wie sehr sie sich mit ihr identifizieren. Und aus diesem Grunde müssen wir Vertreter der Roma auf europäischer, einzelstaatlicher und natürlich lokaler Ebene an der Ausarbeitung und Umsetzung von Maßnahmen zur Förderung ihrer Integration teilhaben lassen (Integration durch Partizipation).

3.7.9   Soziale Ausgrenzung und ihre extremen Formen sind - in den einzelnen Mitgliedstaaten auf unterschiedliche Art und Weise - oftmals eng mit Verhaltensweisen, Lebensstilen und Gewohnheiten verbunden, die sich von denen der Mehrheit der Bevölkerung unterscheiden (z.B. Nichtsesshaftigkeit, spezifische Tätigkeiten wie das Sammeln und Verkaufen von Secondhandwaren oder spezifisches Handwerk). Diesen Eigenheiten sollte bei der Erarbeitung der nationalen Strategien besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Gelegentlich jedoch werden der ethnischen Gruppe regelrecht deviante und kriminelle Einstellungen zugeschrieben. Die Sicherung eines friedlichen Miteinanders von gegensätzlichen kulturellen Normen bei gleichzeitig unablässigem Bemühen, die durch die unterschiedlichen Einstellungen und Verhaltensweisen verursachten Spannungen und Gegensätze in den Grenzen der Legalität zu halten, sind Zielstellungen, die den spezifischen integrativen Charakter der nationalen Strategien und zugleich die besondere Herausforderung definieren, die sie bewältigen müssen. Zu diesem Zweck ist es wichtig, Möglichkeiten für eine offene Kommunikation sowie Verfahren zu bieten, die auch für die Hauptbetroffenen zugänglich sind und in deren Rahmen Multikulturalismus-Experten - einschließlich Menschen mit Roma-Hintergrund oder -Identität - und Sozialarbeiter sowohl in den öffentlichen Diensten als auch in den Gemeinschaftsprogrammen eine entscheidende Rolle spielen müssen (Vermittlung, Prävention, Schlichtung usw.), wie aus der Mitteilung der Kommission hervorgeht.

3.8   Zukunftsaussichten

3.8.1   Nach Auffassung des EWSA ist die EU dank der gemeinsamen Anstrengungen von EU-Institutionen, Regierungen, Mitgliedstaaten sowie lokalen Behörden und Gemeinschaften wahrscheinlich an einem historischen Wendepunkt angelangt: Sie könnte endlich eine Politik zum Wohle der am stärksten ausgegrenzten und benachteiligten ethnischen Gruppe auf dem Weg bringen, die auf einem gemeinsamen Ansatz basiert, der nicht zu einem kostspieligen Scheitern, sondern zu intelligenten und menschenwürdigen Ergebnissen führen kann. Der EWSA möchte diesen Prozess und seine Umsetzung uneingeschränkt unterstützen.

Brüssel, den 16. Juni 2011

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Dieses Dokument beruht auf der Definition in der Stellungnahme des AdR zum Thema „Soziale und wirtschaftliche Integration der Roma in Europa“ (ABl. C 42 vom 10. Februar 2011, S. 23), wonach „(…) die in dieser Stellungnahme verwendete Bezeichnung ‚Roma‘ andere Volksgruppen einschließt, die wie die Roma am Rande der Gesellschaft leben und in Europa unter sozialer Ausgrenzung leiden (Sinti, Zigeuner, fahrendes Volk, Kalè, Camminanti, Aschkali usw.)“.

(2)  KOM(2011) 173 endg.

(3)  SEK(2010) 400 endg.

(4)  KOM(2010) 133 endg.

(5)  Stellungnahme des Ausschusses der Regionen „Soziale und wirtschaftliche Integration der Roma in Europa“ (ABl. C 42 vom 10. Februar 2011, S. 23).

(6)  ABl. C 27 vom 3. Februar 2009, S. 88-94.

(7)  ABl. C 48 vom 15. Februar 2011, S. 1.

(8)  ABl. C 347 vom 18. Dezember 2010, S. 19-27.

(9)  Europäisches Parlament, INI/2010/2276, 24. November 2010.

(10)  Dies gilt insbesondere für die Prinzipien „gezielte Strategien ohne ausschließenden Charakter“, „interkultureller Ansatz“ und „gesellschaftliche Teilhabe“.

(11)  Europäischer Sozialfonds, Europäischer Fonds für regionale Entwicklung, Instrument für Heranführungshilfe, Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums / Weltbank, Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen.

(12)  „Der überwiegenden Mehrheit der Roma im erwerbsfähigen Alter fehlt es an ausreichender Bildung, um am Arbeitsmarkt erfolgreich teilzuhaben. (…) In der Folge verlieren europäische Länder jedes Jahr Hunderte Millionen Euro an Produktivität und staatlichen Steuereinnahmen. (…) Die jährlichen Steuergewinne aus der Überbrückung der Beschäftigungslücke sind viel höher als die Gesamtkosten der Investitionen in die öffentliche Bildung für alle Roma-Kinder (…). Der Anteil der Roma an der Erwerbsbevölkerung wird zunehmen, da die Mehrheitsbevölkerungen in Ost- und Mitteleuropa rasch altern. Die gleichberechtigte Teilnahme der Roma am Arbeitsmarkt ist wesentlich, um die auf nationaler Ebene steigenden Ausgaben für Renten, Gesundheitswesen und andere aus der Bevölkerungsalterung resultierende Kosten tragen zu können.“ (Originaltext nur auf Englisch, aus: „Economic costs of Roma exclusion“, Weltbank, 2010).

(13)  In diesem Abschnitt werden Empfehlungen zu allgemeinen politischen Maßnahmen bzw. zu deren Kontext gegeben, doch kann aus Platzgründen nicht im Detail auf die jeweiligen Fragen eingegangen werden.


Top