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Document 52009IE0049

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung

ABl. C 182 vom 4.8.2009, p. 19–23 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

4.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 182/19


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“

KOM(2008) 426 endg. (Ergänzende Stellungnahme)

(2009/C 182/04)

Berichterstatter: Herr CROOK

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 23. Oktober 2008 gemäß Artikel 29 Buchstabe a) der Durchführungsbestimmungen zur Geschäftsordnung die Erarbeitung einer ergänzenden Stellungnahme zu dem

„Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“

KOM(2008) 426 endg. (ergänzende Stellungnahme zur Initiativstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 10. Dezember 2008 an. Berichterstatter war Herr CROOK.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 450. Plenartagung am 14./15. Januar 2009 (Sitzung vom 14. Januar) mit 183 gegen 7 Stimmen bei 18 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Entwurf der Richtlinie, der den Empfehlungen in seiner unlängst verabschiedeten Initiativstellungnahme zur Ausweitung der Antidiskriminierungsmaßnahmen über die Beschäftigung hinaus auf andere Bereiche (1) weitgehend folgt und zu EU-weit kohärenten Schutzstandards gegen Diskriminierung nach Artikel 13 EGV führen sollte.

1.2   Nach Ansicht des EWSA bietet die Richtlinie jedoch in bestimmten Bereichen weniger Schutz als die bereits bestehenden Richtlinien zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse und zur Geschlechtergleichstellung.

1.3   Das gilt für Artikel 2, der Ausnahmen vom Verbot der Diskriminierung zulässt, vor allem bei Finanzdienstleistungen. Der EWSA empfiehlt, dass für „Alter und Behinderung“ dieselben Anforderungen an Transparenz, Überprüfung und Überwachung gelten sollten wie bereits für das Geschlecht.

1.4   Der EWSA vertritt die Ansicht, dass in Artikel 3 zum Geltungsbereich der Richtlinie Einschränkungen gemacht und umfassende Ausnahmen zugelassen werden, die die Wirksamkeit der Richtlinie insgesamt untergraben werden.

1.5   Nach Auffassung des EWSA wird in Artikel 4 die Pflicht der Anbieter von Gütern und Dienstleistungen, Maßnahmen entsprechend den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen im Voraus vorzusehen und für angemessene Vorkehrungen zu sorgen, zu stark eingeschränkt.

1.6   Der EWSA gibt zu bedenken, dass sich die gemäß Artikel 12 einzurichtenden Stellen für die Gleichbehandlung — im Gegensatz zu den im Rahmen der Richtlinien zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse und zur Geschlechtergleichstellung bezeichneten Stellen — nicht auf den Beschäftigungsbereich erstrecken würden, und empfiehlt daher einen diesbezüglichen neuen Erwägungsgrund.

1.7   Der EWSA bedauert, dass das Problem der Mehrfachdiskriminierung nicht ausreichend in der Richtlinie berücksichtigt wird, und fordert die Kommission auf, eine Empfehlung zu dieser Frage vorzulegen.

2.   Allgemeiner Überblick

2.1   In seiner jüngsten Initiativstellungnahme analysierte der EWSA die derzeitigen Antidiskriminierungsgesetze der EU und der Mitgliedstaaten und gelangte zu dem Schluss, „dass es jetzt neuer EU-Rechtsakte bedarf, die über den Beschäftigungsbereich hinaus die Diskriminierung aus Gründen der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters und der sexuellen Orientierung untersagen“.

2.2   Nachdem er sich eingehend mit dem Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung befasst und festgestellt hat, dass einige der von ihm vorgebrachten Bedenken nicht vollständig berücksichtigt wurden, hat der EWSA beschlossen, eine ergänzende Stellungnahme zu dem Richtlinienentwurf zu erarbeiten.

2.3   Der EWSA begrüßt es, dass in vielen Bestimmungen des Richtlinienvorschlags die bereits in anderen Richtlinien nach Artikel 13 enthaltenen Bestimmungen aufgegriffen wurden, wie etwa die Definition der Begriffe unmittelbare und mittelbare Diskriminierung sowie Belästigung, Bestimmungen zur Umsetzung und zu den Rechtsbehelfen, einschließlich Umkehr der Beweislast, Schutz gegen Viktimisierung sowie Sanktionen, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen. Wie bei der Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse (2) umfasst der Geltungsbereich der vorgeschlagenen Richtlinie den Sozialschutz mit Gesundheitsdiensten, sozialen Vergünstigungen, allgemeiner Bildung und Zugang zu Gütern und Dienstleistungen einschließlich Wohnraum (allerdings — wie an anderer Stelle noch dargelegt wird — mit Einschränkungen und Ausnahmen, die den vollen Geltungsbereich möglicherweise reduzieren).

2.4   Nachstehend befasst sich der EWSA vorrangig mit den Bestimmungen, die seiner Ansicht nach direkt oder indirekt einen geringeren Schutz vor Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung bieten könnten als die anderen Richtlinien nach Artikel 13 betreffend die Diskriminierung aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft oder des Geschlechts.

3.   Anmerkungen zu einzelnen Artikeln

3.1   Artikel 2

In Artikel 2 wird der Begriff der Diskriminierung geklärt, wobei die Absätze 1 und 4 dieses Artikels die gleichen Definitionen wesentlicher Begriffe enthalten wie die anderen Richtlinien nach Artikel 13. Artikel 2 Absatz 5 macht die Verweigerung angemessener Vorkehrungen gemäß Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b) zu einer Form verbotener Diskriminierung.

3.1.1.1   Um eine korrekte Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht zu gewährleisten, empfiehlt der EWSA mit Blick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache Coleman gegen Attridge Law (in dem bestätigt wurde, dass das Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung in Richtlinie 2000/78/EG auch für eine Person gilt, die mit einem behinderten Menschen verwandt ist (3)), in der Richtlinie klarzustellen, dass eine Diskriminierung aus den in der Richtlinie genannten Gründen eine Diskriminierung aufgrund einer Beziehung zu Menschen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, einem bestimmten Alter oder einer bestimmten sexuellen Ausrichtung mit einschließt.

Nach Artikel 2 Absatz 6 können die Mitgliedstaaten festlegen, dass Ungleichbehandlung aufgrund des Alters keine Diskriminierung darstellt, „sofern sie … durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind“.

3.1.2.1   Der EWSA hatte empfohlen (4), dass eine Vorzugsbehandlung auch für Personen mit Behinderungen möglich sein sollte, sofern dies nachweislich gerechtfertigt ist. Das sollte zusätzlich zu den Maßnahmen gelten, die einen effektiven Zugang gemäß Artikel 4 gewährleisten.

3.1.2.2   Es sollte darauf hingewiesen werden, dass ein Ziel für diesen Zweck nur dann als „rechtmäßig“ gelten kann, wenn es mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung im Einklang steht, wie beispielsweise die Unterstützung der betreffenden Gruppe bei der gleichberechtigten Teilnahme am öffentlichen Leben.

Nach Artikel 2 Absatz 7 können die Mitgliedstaaten „verhältnismäßige Ungleichbehandlungen“ durch die Erbringer von Finanzdienstleistungen zulassen, „wenn … die Berücksichtigung des Alters oder einer Behinderung ein zentraler Faktor bei der auf relevanten und exakten versicherungsmathematischen oder statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ist“.

3.1.3.1   Der EWSA befürchtet, dass durch diese umfassende Ausnahme die gut dokumentierte Benachteiligung von jungen und älteren Menschen sowie von Menschen mit Behinderungen in Bezug auf Bank- und zahlreiche Versicherungsprodukte aufrechterhalten wird.

3.1.3.2   Das steht in deutlichem Gegensatz zu der Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (5), der zufolge die Mitgliedstaaten beschließen können, Unterschiede bei den Versicherungsprämien und -leistungen für Frauen und Männer zuzulassen, sofern dies durch genaue versicherungsmathematische Daten gestützt wird, deren Erhebung, Veröffentlichung und regelmäßige Aktualisierung die Mitgliedstaaten sicherstellen. Die Mitgliedstaaten haben ihre Entscheidung nach fünf Jahren zu überprüfen.

3.1.3.3   Der EWSA erkennt an, dass bei einigen Tätigkeiten die Risiken für Menschen bestimmter Altersgruppen oder für Menschen mit bestimmten Behinderungen durchaus größer sein können; Artikel 2 Absatz 7 bietet jedoch einen zu breiten Raum für unterschiedliche Prämien, ohne dass von den Versicherungsgesellschaften eine Offenlegung der versicherungsmathematischen Daten gefordert wird. Potenzielle Kunden können nicht wissen, ob unterschiedliche Prämien gerechtfertigt sind, und den Wettbewerbern fehlt der Anreiz, fairere Preise anzubieten.

3.1.3.4   Selbst wenn unterschiedliche Prämien vertretbar sind, ist die Offenlegung versicherungsmathematischer oder statistischer Daten für die Gewährleistung der nach Artikel 2 Absatz 7 geforderten Verhältnismäßigkeit unerlässlich.

3.1.3.5   Der EWSA empfiehlt, dass für „Alter und Behinderung“ dieselben Anforderungen an Transparenz, Überprüfung und Überwachung durch die Mitgliedstaaten gelten sollten wie beim „Geschlecht“. Der Richtlinienvorschlag sollte den Mitgliedstaaten die Zulassung von Unterschieden bei der Behandlung nur dann gestatten, wenn sie den Anbietern von Finanzdienstleistungen vorschreiben, aktuelle versicherungsmathematische und statistische Daten zu veröffentlichen, die für die betreffende „Risikotätigkeit“ — wie beispielsweise Führen eines Kraftfahrzeugs, Reisen, Hypothekentilgung — und für die betreffende Altersgruppe oder Behinderung relevant sind. Zur Feststellung etwaiger Risikoveränderungen sollten diese Daten regelmäßig überprüft werden, und von den Mitgliedstaaten sollte nach einer bestimmten Zeit gefordert werden, dass sie die Nachweise für unterschiedliche Behandlungen überprüfen und eine schrittweise Risikoteilung sowie eine Angleichung der Prämien in Betracht ziehen.

3.2   Artikel 3

Artikel 3 legt den Geltungsbereich der vorgeschlagenen Richtlinie fest, das heißt die Tätigkeitsbereiche, in denen das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung Anwendung findet.

3.2.1.1   Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass der in Artikel 3 Absatz 1 Buchstaben a) bis d) festgelegte Geltungsbereich entsprechend seiner Empfehlung dem Geltungsbereich der Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse (6) entspricht (7).

3.2.1.2   Nachdem in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe d) das Diskriminierungsverbot für „den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich Wohnraum“ festgelegt wurde, heißt es im Richtlinienentwurf weiter: „Buchstabe d gilt für Einzelne nur insoweit, als sie ihre berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausüben“.

3.2.1.3   Diese Ausnahme, die sich auch im Erwägungsgrund 16 wiederfindet, ist in der Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse nicht enthalten. Der EWSA befürchtet, dass ohne eine Definition von „beruflich oder gewerblich“ der Mangel an Klarheit die Wirkung der Richtlinie abschwächen wird. Wenn der Zweck, wie die Kommission behauptet (8), im Ausschluss privater Transaktionen besteht, so kann dies nach Meinung des EWSA davon abgeleitet werden, dass nur Güter und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, erfasst sind. In Erwägungsgrund 17 heißt es weiter: „Durch das Diskriminierungsverbot dürfen andere Grundrechte und Grundfreiheiten nicht beeinträchtigt werden, einschließlich des Schutzes des Privat- und Familienlebens und der in diesem Kontext stattfindenden Transaktionen“.

Nach Artikel 3 Absatz 2 gilt das Verbot der Diskriminierung aus einem der vier Gründe nicht für einzelstaatliche Gesetze über den Ehe- oder Familienstand einschließlich der reproduktiven Rechte.

3.2.2.1   Der EWSA erkennt an, dass Ehe- oder Familienstand und die reproduktiven Rechte in den Bereich der Rechtsetzungsbefugnis der Mitgliedstaaten fallen, akzeptiert jedoch nicht, dass im Rahmen dieser Befugnis ein EU-weiter Rechtsschutz gegen Diskriminierung gänzlich negiert wird.

3.2.2.2   Ehestand. In Bezug auf die nationalen Zuständigkeiten für die Regelung von Ehestandsfragen hat der Gerichtshof kürzlich folgendermaßen entschieden: „Gewiss fallen der Familienstand und davon abhängige Leistungen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, und das Gemeinschaftsrecht lässt diese Zuständigkeit unberührt. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Zuständigkeit das Gemeinschaftsrecht zu beachten haben, insbesondere die Bestimmungen in Bezug auf den Grundsatz der Nichtdiskriminierung“ (9).

3.2.2.3   Familienstand. Der Begriff des Familienstandes ist nicht definiert und folglich zu unscharf, um als Grundlage für den Schutzausschluss herangezogen zu werden.

3.2.2.4   Reproduktive Rechte. Der EWSA erachtet den Zugang zu reproduktionsmedizinischen Leistungen als integralen Bestandteil des Gesundheitswesens, in dem es sowohl nach Gemeinschaftsrecht als auch nach einzelstaatlichem Recht keine Diskriminierung, aus welchem Grunde auch immer, geben sollte. In Bezug auf reproduktionsmedizinische Leistungen ist jedoch nachweislich eine Diskriminierung aus Gründen der sexuellen Ausrichtung, einer Behinderung und des Alters vorhanden. Und da es Frauen sind, die diese Leistungen benötigen und in Anspruch nehmen, könnte die Ausklammerung dieses Bereichs beim Schutz gegen Diskriminierung eine Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts wie auch einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung darstellen.

3.2.2.5   Daher sollte nach Ansicht des EWSA Artikel 3 Absatz 2 insgesamt überprüft werden, und in der endgültigen Formulierung sollte eindeutig festgelegt werden, dass einzelstaatliche Rechtsvorschriften zum Ehe- und Familienstand bzw. zu reproduktiven Rechten ohne Diskriminierung wegen der in der Richtlinie aufgeführten Gründe umzusetzen sind.

3.2.2.6   Nach Artikel 3 Absatz 3 ist ein Verbot der Diskriminierung im Bildungswesen direkt gekoppelt an die „Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte, die Aktivitäten und die Gestaltung ihres Bildungssystems einschließlich der Sonderpädagogik“.

3.2.2.7   Der EWSA befürchtet, dass durch diese Ausnahme, die nicht in der Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse enthalten ist und über Artikel 149 — die im Vertrag enthaltene spezifische Festlegung zum Bildungswesen (10) — hinausgeht, die Einflussnahme der Richtlinie auf die Beseitigung von Diskriminierung und Belästigung in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen zu stark eingeschränkt werden könnte.

3.2.2.8   Der EWSA merkt an, dass Artikel 150 EGV nahezu gleichlautend mit Artikel 149 feststellt, dass die Mitgliedstaaten die Verantwortung für den Inhalt und die Gestaltung der beruflichen Bildung tragen. Diese ist jedoch bisher ohne Einschränkungen in den Geltungsbereich der EU-Antidiskriminierungsgesetze gefallen (11).

3.2.2.9   Die Tatsache, dass es EU-weit im Bildungsbereich nachweislich Fälle von Diskriminierung aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung oder der sexuellen Ausrichtung gibt, war einer der Hauptgründe für die Erarbeitung der vorgeschlagenen Richtlinie. Das Verbot der Diskriminierung und die Durchsetzung der Gleichbehandlung im Bildungssektor sind nach Ansicht des EWSA für die Entwicklung demokratischer und toleranter Gesellschaften, für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung und für die Sicherung des sozialen Zusammenhalts von solch grundlegender Bedeutung, dass eine einschlägige Gesetzgebung auf Gemeinschaftsebene erforderlich ist, die mit den in Artikel 5 EGV festgelegten Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit im Einklang steht.

3.2.2.10   Besonders im Bereich der Sonderpädagogik ist beim Schutz gegen Diskriminierung ein hohes Niveau vorzusehen, um unabhängig von der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung eine faire und korrekte Behandlung aller Kinder zu sichern. Die Konzepte der Mitgliedstaaten für gesonderte oder integrierte Bildung würden dadurch nicht beeinträchtigt, jedoch wäre deren diskriminierungsfreie Anwendung sichergestellt. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Rechtssache D. H. und andere gegen Tschechische Republik macht deutlich, wie gerade bei Entscheidungen darüber, wer eine sonderpädagogische Bildung erhält, althergebrachte Formen der Diskriminierung im Bildungsbereich aufrechterhalten werden können (12).

3.2.2.11   Der EWSA hält im Bildungswesen einen durchgängigen Schutz gegen Diskriminierung für besonders erforderlich, da sich in diesem Bereich Diskriminierungen aus Gründen der Rasse und der ethnischen Herkunft sowie aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung häufig überschneiden. Wenn in der Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse eine Einschränkung, wie sie in Artikel 3 Absatz 3 vorgesehen ist, nicht erforderlich war, ist nicht klar, warum sie in diesem Richtlinienentwurf enthalten sein muss.

3.2.2.12   Unabhängig davon, inwieweit die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für den Bildungsbereich begrenzt sind, sollte es in der Richtlinie ausdrücklich heißen, dass alle betreffenden Maßnahmen ohne Diskriminierung umzusetzen sind.

3.2.2.13   Der zweite Satz in Artikel 3 Absatz 3 gestattet beim Zugang zu Bildungseinrichtungen eine Ungleichbehandlung aufgrund der Religion oder Weltanschauung. Nach Ansicht des EWSA sollte durch die Richtlinie sichergestellt werden, dass diese Einrichtungen nicht aus einem anderen Grunde diskriminieren können.

3.3   Artikel 4

Artikel 4 betrifft die Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen.

3.3.1.1   Im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (13) wird, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aufgezählt, wer zu den „Menschen mit Behinderungen“ zu zählen ist. Die Mitgliedstaaten sollten diesen Kriterien bei der Erarbeitung nationaler Rechtsvorschriften zum Schutz und zur Förderung der Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen Rechnung tragen. Eine entsprechende Handlungsempfehlung sollte in die vorgeschlagene Richtlinie aufgenommen werden.

3.3.1.2   Der EWSA begrüßt in Artikel 4 den zweigleisigen Ansatz zum Abbau von Beschränkungen beim Zugang zu Sozialschutz, sozialen Vergünstigungen, Gesundheitsdiensten und Bildung sowie beim Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich Wohnraum und Transport, was mit der Empfehlung des EWSA in Einklang steht (14). Das beinhaltet die Pflicht, Maßnahmen entsprechend den Zugangsbedürfnissen von Menschen mit Behinderungen im Voraus vorzusehen (Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a)), sowie die Forderung nach angemessenen Vorkehrungen, um im konkreten Fall einen diskriminierungsfreien Zugang zu gewährleisten (Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b)). Nach Artikel 2 Absatz 5 stellt die Nichteinhaltung von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b) eine Form verbotener Diskriminierung dar. Der EWSA empfiehlt, dass der Begriff „effektiver diskriminierungsfreier Zugang“ in dieser Richtlinie geklärt wird.

3.3.1.3   Der EWSA ist besorgt über die in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a) enthaltenen drei Einschränkungen der Verpflichtung, im Voraus entsprechende Maßnahmen vorzusehen, nämlich dass Maßnahmen für spezielle Zugangsbedingungen

a)

keine unverhältnismäßige Belastung bedeuten sollten,

b)

keine grundlegende Veränderung des Sozialschutzes, der sozialen Vergünstigungen, der Gesundheitsdienste, der Bildung oder der betreffenden Güter und Dienstleistungen zur Pflicht machen sollten oder

c)

nicht die Bereitstellung von entsprechenden Alternativen erfordern.

3.3.1.4   Die Einschränkungen unter b) und c) sind sehr ungenau und dürften die Beibehaltung ungerechtfertigter diskriminierender Praktiken zur Folge haben. So könnte beispielsweise ein Erbringer von Gesundheitsleistungen, der diese nur für nicht behinderte Personen anbietet, unter Berufung auf Buchstabe b) Forderungen nach Änderung seiner Leistungen zurückweisen. Oder eine kommunale Behörde, die einen Omnibusdienst zum örtlichen Krankenhaus anbietet, bei dem jedoch keine Rollstühle befördert werden, könnte unter Hinweis auf Buchstabe c) Forderungen nach einer alternativen Transportart ablehnen. Nach Ansicht des EWSA wäre es ausreichend zu fordern, dass die antizipierenden Maßnahmen angemessen sind — was jedoch derzeit in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a) nicht der Fall ist -, und die in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a) enthaltene Verpflichtung einzig und allein an die Bedingung zu koppeln, dass diese Maßnahmen keine unverhältnismäßige Belastung darstellen.

3.3.1.5   Artikel 4 Absatz 2 würde spezifische Faktoren rechtsverbindlich machen, die bei der Bewertung der Frage, ob Maßnahmen zur Einhaltung der Bestimmungen in Artikel 4 Absatz 1 Buchstaben a) und b) „eine unverhältnismäßige Belastung bedeuten“, zu berücksichtigen sind. In Erwägungsgrund 19 werden die Größe, die Ressourcen und die Art der Organisation als Parameter genannt, die bei der Bewertung der Frage, ob die Belastung unverhältnismäßig ist, herangezogen werden sollten. In der Richtlinie 2000/78/EG wurden im Erwägungsgrund 21 ähnliche Kriterien genannt. Artikel 4 Absatz 2 führt zwei weitere Faktoren an, nämlich den „Lebenszyklus der Güter und Dienstleistungen“ und „die möglichen Vorteile eines verbesserten Zugangs für Menschen mit Behinderungen“. Der EWSA ist der Ansicht, dass diese zusätzlichen Elemente unnötig sind, da beide Bestandteil einer jeden Verhältnismäßigkeitsbewertung sein sollten und die Anbieter in den Bereichen Sozialschutz, soziale Vergünstigungen, Gesundheitsdienste, Bildung, Güter und Dienstleistungen sowie Wohnraum und Transport davon abhalten könnten, die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Sicherung eines effektiven Zugangs für Menschen mit Behinderungen anzuerkennen.

3.3.1.6   Artikel 15 Absatz 2 gestattet es den Mitgliedstaaten festzulegen, dass der Verpflichtung, effektiven Zugang zu gewährleisten, bis spätestens vier Jahre nach der Annahme nachzukommen ist. Obwohl der EWSA natürlich hofft, dass alle Mitgliedstaaten möglichst rasch Maßnahmen zur Sicherung eines guten Zugangs für Menschen mit Behinderungen ergreifen, spricht er sich nicht dagegen aus, dass den Mitgliedstaaten — nur für diesen begrenzten Zeitraum — Aufschub bei der Anwendung der in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a) festgelegten Verpflichtung zur vorausschauenden Festlegung von Maßnahmen gewährt werden sollte. In der Richtlinie ist jedoch klar zum Ausdruck zu bringen, dass für die in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b) vorgesehene Verpflichtung, im konkreten Fall für angemessene Vorkehrungen zu sorgen, nach Ablauf der Umsetzungsfrist kein weiterer Aufschub gestattet wird.

3.4   Artikel 12

3.4.1   Der EWSA begrüßt die an die Mitgliedstaaten gestellte Forderung, eine oder mehrere Stellen zu bezeichnen, deren Aufgabe darin besteht, die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu fördern. Deren Zuständigkeiten sollten ähnlich gelagert sein wie diejenigen, die in der Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse und in der Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen für derartige Stellen festgelegt sind. Außerdem begrüßt der EWSA die klare Feststellung in der Präambel (15), dass sich diese Stellen an den Pariser Grundsätzen der Vereinten Nationen orientieren sollten, bei denen es insbesondere um die Gewährleistung der Unabhängigkeit der nationalen Menschenrechtseinrichtungen geht. Wie der EWSA bereits bemerkte, sollten diese Stellen regelmäßig die Ergebnisse von Antidiskriminierungsmaßnahmen bewerten (16). Von diesen Stellen ist zu erwarten, dass sie regelmäßig einen inhaltlichen Dialog mit Organisationen führen, die Menschen vertreten, welche von Diskriminierung aus allen in dem Richtlinienvorschlag enthaltenen Gründen bedroht sind.

3.4.2   Der Vorschlag in Artikel 12 lässt jedoch eine Lücke offen, da es weiterhin keine Forderung an die Mitgliedstaaten geben wird, eine oder mehrere Stellen zu bezeichnen, die die Gleichbehandlung ungeachtet der genannten Aspekte in Beschäftigung und Beruf fördern, da in der Beschäftigungsrahmenrichtlinie (2000/78/EG) keine entsprechende Gleichstellungsstelle gefordert wird. Die im Rahmen der Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse eingerichteten Stellen müssen sich mit der Gleichbehandlung ungeachtet der Rasse oder der ethnischen Herkunft sowohl inner- als auch außerhalb der Arbeitswelt befassen, und die Stellen, die im Rahmen der Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen sowie die (neugefasste) Gleichbehandlungsrichtlinie (2006/54/EG) geschaffen wurden, sollten für die Geschlechtergleichstellung inner- und außerhalb der Beschäftigung zuständig sein.

3.4.3   Der EWSA empfiehlt daher die Aufnahme eines zusätzlichen Erwägungsgrundes in die Präambel der vorgeschlagenen Richtlinie, in dem die Mitgliedstaaten angehalten werden, die nach Artikel 12 bezeichneten Stellen mit gleichwertigen Kompetenzen zur Durchsetzung der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung im Geltungsbereich der Beschäftigungsrahmenrichtlinie auszustatten.

4.   Mehrfachdiskriminierung

4.1   In seiner jüngsten Initiativstellungnahme verwies der EWSA darauf, dass es nachgewiesenermaßen häufig zu Mehrfachdiskriminierungen kommt, das heißt zur Diskriminierung aus mehr als einem der in Artikel 13 genannten Gründe. Der EWSA hatte daher empfohlen, in einer neuen Richtlinie zu bekräftigen, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung den Schutz vor Mehrfachdiskriminierung einschließt, damit diesem Umstand in der Gesetzgebung der EU und der Mitgliedstaaten Rechnung getragen wird.

4.2   In dem Richtlinienvorschlag wird anerkannt (17), dass Frauen oftmals Opfer von Mehrfachdiskriminierung sind; es wird jedoch nicht auf andere Gründe der Mehrfachdiskriminierung eingegangen. Der EWSA hält zwei Wege für möglich, um Fortschritte bei der umfassenden Anerkennung von Mehrfachdiskriminierungen zu erzielen:

a)

die Aufnahme eines zusätzlichen Erwägungsgrundes in die vorgeschlagene Richtlinie, dem zufolge die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen sollen, dass Gerichtsverfahren bestehen, in denen Fälle von Mehrfachdiskriminierung behandelt werden können. Dabei ist insbesondere festzulegen, dass es den Klägern im Rahmen der nationalen Gerichtsverfahren möglich sein muss, alle Aspekte einer Mehrfachdiskriminierungsklage in einer einzigen Rechtssache vorzubringen;

b)

eine Empfehlung der Kommission, in der auf die notwendige Berücksichtigung von Mehrfachdiskriminierung bei der Erarbeitung und Durchsetzung nationaler Rechtsvorschriften hingewiesen wird, und die von den nationalen Gerichten berücksichtigt werden müsste, auch wenn sie für die Mitgliedstaaten nicht bindend ist.

Brüssel, den 14. Januar 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Ausweitung der Antidiskriminierungsmaßnahmen über die Beschäftigung hinaus auf andere Bereiche und Zweckmäßigkeit einer einzigen umfassenden Antidiskriminierungsrichtlinie“, Berichterstatter: Herr Crook (ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 102).

(2)  Richtlinie 2000/43/EG des Rates, Artikel 3.

(3)  [2008] EuGH C-303/06 vom 17. Juli 2008, in diesem Fall eines nicht behinderten Elterteils, der Hauptbetreuer eines behinderten Kindes ist.

(4)  Fußnote 1, Ziffer 8.10.5.

(5)  Richtlinie 2004/113/EG des Rates, Artikel 5.

(6)  Richtlinie 2000/43/EG des Rates, Artikel 3.

(7)  Fußnote 1, Ziffer 8.6.

(8)  Kapitel 5 „Detaillierte Erläuterung der einzelnen Bestimmungen“ in KOM(2008) 426 endg.

(9)  Maruko gegen Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen, C-267/06, 1. April 2008, Randnr. 59.

(10)  In Artikel 149 Absatz 1 EGV heißt es: „Die Gemeinschaft trägt zur Entwicklung einer qualitativ hochstehenden Bildung dadurch bei, dass sie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördert und die Tätigkeit der Mitgliedstaaten unter strikter Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems sowie der Vielfalt ihrer Kulturen und Sprachen erforderlichenfalls unterstützt und ergänzt.“

(11)  Beispielsweise Richtlinie 2000/43/EG des Rates, Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b), oder Richtlinie 2000/78/EG des Rates, Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b).

(12)  Urteil der Großen Kammer vom 13.11.2007 (Nr. 57325/00).

(13)  Artikel 1.

(14)  Siehe Fußnote 1, Punkt 8.10.2.

(15)  Erwägungsgrund 28.

(16)  Fußnote 1, Ziffer 8.10.8.

(17)  Erwägungsgrund 13.


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