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Document 52007AE0998

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts und Sozialausschusses zum Thema Rolle der Sozialpartner/Vereinbarung von Beruf, Familie und Privatleben

ABl. C 256 vom 27.10.2007, p. 102–107 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

27.10.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 256/102


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts und Sozialausschusses zum Thema „Rolle der Sozialpartner/Vereinbarung von Beruf, Familie und Privatleben“

(2007/C 256/19)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss erhielt am 13. Februar 2007 ein Befassungsschreiben vom künftigen portugiesischen Ratsvorsitz zum Thema „Rolle der Sozialpartner/Vereinbarung von Beruf, Familie und Privatleben“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 18. Juni 2007 an. Berichterstatter war Herr CLEVER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 437. Plenartagung am 11./12. Juli 2007 (Sitzung vom 11. Juli) mit 145 Ja-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Hintergrund

1.1

Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben sich im Rahmen der Lissabon-Strategie darauf verständigt, bis 2010 die Erwerbstätigenquote von Frauen auf 60 Prozent zu steigern. Dieses Ziel wurde in den integrierten Leitlinien (Leitlinie 17), die als zentraler Bestandteil des neuen Steuerungsmechanismus der Lissabon-Strategie im Jahr 2005 verabschiedet wurde, bestätigt.

1.2

Die Lissabon-Strategie wird ihre ambitionierten Ziele im Hinblick auf Wachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit schneller und nachhaltiger erreichen, wenn es trotz des demografisch bedingten Rückgangs der Menschen im erwerbsfähigen Alter gelingt, die Zahl der Beschäftigten in der EU im kommenden Jahrzehnt weiter zu steigern und ihre Qualifikation zu verbessern. Die Chancen, beides durch eine deutlich höhere Beschäftigungsrate der Frauen zu erreichen, sind günstig, weil die jetzt nachwachsende Generation junger Frauen ihre stärkere Einbindung in Erwerbstätigkeit wünscht und auch deutlich besser ausgebildet ist. Noch bestehende Hindernisse in diesem Zusammenhang gilt es abzubauen.

1.3

Um das Ziel zu erreichen, einigten sich die EU-Mitgliedstaaten unter anderem darauf,

entschlossene Maßnahmen zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und zur Reduzierung geschlechtsspezifischer Unterschiede bei Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Entgelt zu ergreifen und

eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben anzustreben und zugängliche und erschwingliche Betreuungseinrichtungen für Kinder und sonstige betreuungsbedürftige Personen bereitzustellen (Leitlinie 18).

1.4

Der portugiesische Ratsvorsitz hat den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um die Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zum Thema „Rolle der Sozialpartner/Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben“ gebeten.

1.5

Die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben ist aus Sicht der europäischen Sozialpartner ein wichtiger Beitrag, um Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit in Europa zu erreichen.

1.6

Darüber hinaus ist die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben eine der Prioritäten der Europäischen Kommission im Fahrplan für die Gleichstellung von Frauen und Männern, die im März 2006 verabschiedet wurde (1). Zur besseren Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben nennt die Kommission im Fahrplan drei Schwerpunkte:

1.

Flexible Arbeitszeitregelungen sowohl für Frauen als auch für Männer

2.

Ausbau der Betreuungsangebote

3.

Bessere Vereinbarkeit sowohl für Frauen als auch für Männer.

1.7

Mit der im Fahrplan bereits angekündigten Mitteilung „Die demografische Zukunft Europas: Von der Herausforderung zur Chance“ hat die EU-Kommission die erste Sozialpartnerkonsultation zur Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben am 12. Oktober 2006 — nach Artikel 138 (EGV) — eingeleitet.

1.8

Im ersten Teil der Konsultation hebt die Kommission die Bedeutung des Themas Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben hervor. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen muss, gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und dem daraus resultierenden Druck auf die sozialen Sicherungssysteme, verbessert werden. Darüber hinaus wird die Rolle der Vereinbarkeit im Zusammenhang mit der Erreichung der von der Kommission gesetzten Ziele von Lissabon hervorgehoben.

1.9

Die europäischen Sozialpartner heben in ihren jeweiligen Antworten an die Kommission die Bedeutung des Themas Vereinbarkeit von Familie und Beruf, gerade im Kontext der noch nicht zufrieden stellenden Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen und einer immer älter werdenden Bevölkerung hervor. Die Umsetzung der vom Rat in Barcelona 2002 gesetzten Ziele zum Ausbau der Kinderbetreuung werden darin ausdrücklich unterstützt, Einvernehmen zwischen den Sozialpartnern besteht auch darüber wie die Meinung, dass die drei im Fahrplan für die Gleichstellung genannten Schwerpunkte zielführend sein können. Darüber hinaus betonen die Sozialpartner, dass die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben und die Frage der Chancengleichheit von Frauen und Männern im Arbeitsleben, gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, einen zentralen Stellenwert in der politischen Debatte bekommen muss. Besonderes Augenmerk muss dabei auch auf die Überwindung von vorhandenen Rollenstereotypen zwischen den Geschlechtern gelegt werden, ohne deren Änderung Fortschritte nur schwer zu erzielen sein werden.

1.10

Die Sozialpartner (BUSINESSEUROPE/UEAPME, CEEP und EGB) (2) ihrerseits haben zur Verbesserung der Chancengleichheit von Frauen und Männern im Berufsleben im Jahr 2005 den Aktionsrahmen zur „Gleichstellung von Frauen und Männern“ (3), verabschiedet. Zu den vier Kernbereichen, zu denen die nationalen Sozialpartner bis 2010 Aktionen durchführen werden, zählt ausdrücklich auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Der Ministerrat liegt daher richtig, wenn er die Organisation der Arbeitszeiten, die für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf von großer Bedeutung sind, den Sozialpartnern zuweisen will, um zu praxisnahen Lösungen für alle Beteiligten zu kommen.

1.11

Indem sie zu besseren Arbeitsbedingungen beitragen, können die Sozialpartner die Lebenssituation von Familien verbessern. In diesem Zusammenhang kommt ihnen eine Schlüsselrolle zu. Der Aktionsrahmen ist einer der Beiträge der Sozialpartner zur Umsetzung der Lissabon-Strategie. Angesichts der Tatsache, dass die Ursachen für noch existierende Unausgewogenheiten auf den Arbeitsmärkten komplex sind und in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen, sind die europäischen Sozialpartner davon überzeugt, dass für eine erfolgreiche Beseitigung der Probleme eine integrierte Strategie erforderlich ist, um die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist hierbei eine der wichtigsten Stellschrauben.

1.12

Obwohl das Engagement mancher Unternehmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den letzten Jahren gestiegen ist, so dass Familienfreundlichkeit zu einem festen Bestandteil der Personalpolitik und Unternehmensphilosophie geworden ist, wie die erste gemeinsame Bilanz der Sozialpartnervereinbarung zeigt, die die Sozialpartner im Februar 2007 veröffentlicht haben, müssen noch vorhandene Defizite von Unternehmen, Sozialpartnern und Mitgliedstaaten weiter abgebaut werden (4).

1.13

Die Idee der Chancengleichheit am Arbeitsplatz, die Einführung von Initiativen zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Schaffung eines Modells der Unternehmensführung im Zeichen der Chancengleichheit gehören zum Konzept der sozialen Verantwortung von Unternehmen (CSR), das diese veranlassen soll, eine gute Praxis zu pflegen und ihren Arbeitnehmern gegenüber verantwortlich zu handeln.

2.   Situationsanalyse

2.1

Die Familienstrukturen haben sich durch gesellschaftlichen Wandel stark ausdifferenziert. Eine auf die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben zielende Politik muss alle bestehenden Lebensformen berücksichtigen (z.B. Alleinerziehende, Patchwork-Familien (in die jeder Partner Kinder aus einer früheren Ehe einbringt), Ledige, geschiedene Eltern, Adoptiveltern, erwerbstätige Studierende, gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften, Alleinstehende). Der wachsende Anteil älterer und hoch betagter Menschen steigert zudem den Bedarf nach Pflegedienstleistungen in und außerhalb der Familie.

2.2

Frauen sind im Gegensatz zu Männern parallel zu ihrem Beruf immer noch stärker in die Organisation von Haushalt und Familie eingebunden und befinden sich daher häufig in einer Situation von Stress und permanenter Überlastung, hiervon sind auch Bäuerinnen und Frauen, die selbstständig sind, betroffen. Frauen fühlen sich durch diese Rahmenbedingungen oft gezwungen, eine Teilzeittätigkeit, die mit einem geringeren Einkommen, einer schlechteren Altersversorgung und schlechteren Aufstiegschancen verbunden ist, anzunehmen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist daher auch ein wichtiges Instrument, um die Gleichstellung von Frauen und Männern, aber auch von Frauen mit und ohne Kinder, im Berufsleben zu erreichen.

2.3

Gerade weil die zugrunde liegenden Probleme und ihre Lösungsmöglichkeiten aber nicht nur von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat, sondern auch von Region zu Region, ja von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich sind, gibt es keine Patentlösungen, die für alle gleichermaßen gelten sollen. Der EWSA sieht in diesem Zusammenhang eine wichtige Lösungskompetenz bei den Sozialpartnern. Die Sozialpartner können auf Grund ihrer vorhandenen Strukturen in den einzelnen Ländern den Alltag von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch ihr Engagement im Bereich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf maßgeblich beeinflussen.

2.4

Obgleich die Entscheidung für oder gegen Kinder grundsätzlich privater Natur ist, ebenso die Entscheidung, für Verwandte oder andere besonders nahe stehende Personen, Betreuungs- und Pflegeleistungen bei Krankheit, Behinderungen oder im Alter in der Familie zu erbringen, wird von solchen Entscheidungen aber auch die Gesellschaft als Ganzes betroffen. Der wachsende Mangel an Kindern ist gleichbedeutend mit einem späteren Mangel an Fach- und Führungskräften, Kunden, Mitarbeitern, Unternehmern, Wissenschaftlern und Forschern und hat somit negative Konsequenzen für die gesamte Gesellschaft (5). Daher kommt dem Staat bei folgenden Faktoren besondere Verantwortung zu:

materielle finanzielle Unterstützung, Geldleistungen, Anerkennung bei der Altersversorgung),

unterstützende Infrastruktur (Kinderbetreuung, Ganztagsschulen, Angebote für außerschulische Betreuung und Ferienbetreuung und Freizeitprogramme, die von Freiwilligenorganisationen angeboten werden, Hilfsangebote, z.B. für ambulante Pflegedienste),

angemessene Elternzeit für Mütter und Väter (auch im Zusammenhang mit Adoptionen),

familienfreundliche Arbeitswelt.

2.5

Flexible Arbeitszeitregelungen sind aus Sicht der Kommission wichtig, um das gesamte Potenzial der Erwerbsbevölkerung auszuschöpfen, daher müssen sie Frauen und Männern gleichermaßen offen stehen — hierbei ist ein Rechtsrahmen hilfreich. Trotzdem erzeugt die Tatsache, dass bei weitem mehr Frauen als Männer derartige Regelungen nutzen, ein Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern, das negative Auswirkungen auf die Position der Frauen am Arbeitsplatz und auf ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit hat. Männer sollten daher stärker als bisher ermutigt werden, Familienpflichten zu übernehmen, vor allem durch Anreize für Eltern- und Vaterurlaub, um die Lasten der unbezahlten Arbeit im Haus und die Betreuung der Kinder und Angehörigen fair und partnerschaftlich mit den Frauen zu teilen.

3.   Rollenbilder

3.1

Mit dem gesellschaftlichen Wandel haben sich parallel zum stark gestiegenen Qualifikationsniveau von Frauen auch deren Rollenbilder und Lebensvorstellungen gewandelt. Junge Frauen in Europa verfügen heute über eine bessere Qualifikation als junge Männer und sehen eine Berufstätigkeit als festen Bestandteil ihrer Lebensplanung an. Das gestiegene Qualifikationsniveau der Frauen müsste auch dazu führen, dass sich die Unterschiede im durchschnittlichen Lohnniveau von Frauen und Männern verringern werden. Die derzeitigen Verdienstunterschiede ergeben sich großenteils aus dem hohen Anteil der Frauen, die in Teilzeit beschäftigt sind, längeren Berufsunterbrechungen und einer damit verbundenen kürzeren Berufserfahrung, dem geringeren Anteil von Frauen in Führungspositionen und der geringeren Qualifikation von älteren Frauen. Auch wenn die tarifvertragliche Eingruppierung sicherstellt, dass Frauen und Männer für gleiche Arbeit und einen gleichen Qualifikationshintergrund gleichen Lohn erhalten, bleibt aber immer noch das Lohngefälle bestehen. Darüber hinaus ist es für die Wahlfreiheit des individuellen Lebensentwurfs erforderlich, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Frauen und Männern die Möglichkeit geben, sich für den Lebensentwurf zu entscheiden, der ihren eigenen Vorstellungen entspricht, ohne mit einer positiven oder negativen gesellschaftlichen Wertung dieser Entscheidung konfrontiert zu werden.

3.2

Zu den Rahmenbedingungen, die maßgeblich die Gestaltung der Lebensentwürfe mitgestalten, gehört neben der jeweiligen Infrastruktur in der Kinderbetreuung eines Landes auch die gesellschaftliche Einstellung, sowohl zu erwerbstätigen Müttern als auch zu Vätern die sich der Familienarbeit widmen. Wie sich die Sozialpartner in diesen Fragen verhalten, prägt entscheidend auch die gesellschaftliche Einstellung mit. Die Erfahrungen aus den skandinavischen Ländern und Deutschland haben gezeigt, dass es hilfreich sein kann, finanzielle Transferleistungen, wie zum Beispiel Teilbeträge des Elterngeldes nur dann einer Familie zukommen zu lassen bzw. die Transferleistungen zu erhöhen, wenn sich auch der Vater für einen gewisse Zeit um die Betreuung seines Kindes kümmert. Die Väter erhalten hierdurch einen rechtlichen Rahmen, um sich für einen begrenzten Zeitraum leichter der Kindererziehung widmen zu können. Mütter erhalten durch diese Regelung die Chance, früher ins Berufsleben zurückzukehren.

3.3

Der EWSA betont, dass es nicht ausreichen wird, einzelne Stellschrauben zu verändern, um die Doppelbelastung von Frauen im Beruf der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Privatleben zu verändern. Ziel muss es vielmehr sein, die grundsätzliche Aufteilung unbezahlter außerbetrieblicher Arbeit, wie Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, Organisation des Haushaltes zwischen Männern und Frauen neu zu gestalten. Die Männer müssen zu einer echten partnerschaftlichen Lastenteilung gebracht werden. Dies erfordert einen tief greifenden Bewusstseins- und Strukturwandel.

4.   Unterstützungsmaßnahmen der Sozialpartner zur Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Privatleben auf betrieblicher Ebene

4.1

Die demografische Entwicklung und die damit verbundenen Veränderungen haben sowohl für die Arbeitnehmer als auch für die Arbeitgeber große Auswirkungen. Die Sozialpartner haben auf allen Ebenen eine wichtige Hilfsfunktion, um die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben zu verbessern.

4.2

Eine Personalpolitik, die die betrieblichen Belange ebenso wie für jede Arbeitnehmerin und jeden Arbeitnehmer elementare außerbetriebliche Aufgaben und familiäre Verantwortungen und private Belange berücksichtigt und fair austariert, ist die Basis für eine erfolgreiche Vereinbarkeitspolitik in den Unternehmen. Dazu gehört als Grundvoraussetzung, die von den einzelnen Mitgliedstaaten bereitgestellt werden sollte:

eine gute, den bestehenden Bedarf deckende Infrastruktur im Bereich der Betreuung von Kindern — den ganz jungen ebenso wie den heranwachsenden — sowie

ein ausreichendes und qualitativ gutes Angebot an Dienstleistungen für die Betreuung und Pflege von älteren oder behinderten Menschen,

faire Arbeitszeitbedingungen,

Maßnahmen, die sicherstellen, dass Beurlaubungen oder Teilzeitarbeit zur Betreuung von Minderjährigen und abhängigen Personen die künftigen Leistungen nicht beeinträchtigen, und

qualifiziertes und auf gerechte Weise entlohntes Personal.

Von einer flächendeckenden Infrastruktur profitieren die Arbeitnehmerschaft, die Unternehmen sowie Staat und Gesellschaft gleichermaßen.

4.3

Die Palette, der zum Teil auch zwischen den Sozialpartnern vereinbarten personalpolitischen Instrumente, die in den Unternehmen umgesetzt werden können reicht von

der Einführung innovativer, aber nicht nachteiliger Arbeitszeitmodelle (Stückelung der Arbeitszeit, Ausübung mehrerer Minijobs), Telearbeit, Sabbaticals und Arbeitszeitkonten,

Rechtssicherheit von Festanstellungen,

Kontaktangeboten der Unternehmen während der Elternzeit,

Unterstützungsmaßnahmen bei der Organisation der Kinderbetreuung, in Form von Betriebskindergärten, Ankauf von Belegplätzen, finanziellen Unterstützungsmaßnahmen bis zur

Unterstützung bei der Pflege älterer Angehöriger oder pflegebedürftiger Angehöriger,

Unterstützung bei Maßnahmen zur persönlichen Entwicklung,

Unterstützung bei der Wiedereingliederung nach Beurlaubungen oder Teilzeitarbeit zur Betreuung von Minderjährigen und abhängigen Personen.

4.4

Hiermit wird auch dem Ziel Rechnung getragen, durch maßgeschneiderte und hoch variable, auf die Interessen der Unternehmen wie der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ausgerichtete Teilzeitarbeitsmodelle es allen Beteiligten zu erleichtern, Beruf, Familie und Privatleben besser miteinander vereinbaren zu können. Diesem Ziel dient es nicht, wenn Teilzeitarbeit nicht auf Basis freiwilliger Entscheidungen gewählt wird. Der EWSA hält es für dringend erforderlich, dass die männlichen Arbeitnehmer Teilzeitangebote verstärkt annehmen, wenn es aufgrund der Situation in der Familie erforderlich ist, dass ein Elternteil Teilzeit arbeitet. Dadurch können sie in der Praxis zum Ausdruck bringen, dass die außerbetrieblichen Verpflichtungen in der Partnerschaft und der Familie nicht allein Aufgabe der Frauen, sondern verantwortlich geteilt und gemeinsam wahrgenommen werden sollten.

4.5

Die Sozialpartner können helfen, Antworten darauf zu finden, wie Eltern das Lebensmodell umsetzen können, das sie sich wünschen. In der betrieblichen Praxis haben sich auch spezielle Kontaktangebote auf freiwilliger Basis für Mütter in der Elternzeit in Form von Urlaubs- und Krankenvertretungen, oder auch die Einladung zu Betriebsfesten als sinnvoll erwiesen, damit es Müttern erleichtert wird, nach einer Familienphase wieder an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Der EWSA weist darauf hin, dass die Schutzvorschriften, die es für Schwangere und Mütter und Väter in Elternzeit gibt, zwingend eingehalten werden müssen und auch nicht durch indirekte Diskriminierungen umgangen werden dürfen.

4.6

Des Weiteren können Eltern von einer Unterstützung bei der Organisation der Kinderbetreuung profitieren. Diverse Unternehmen bieten ihren Beschäftigten Angebote im Bereich der Vermittlung von Tagesmüttern und Krippenplätzen und der Notfallbetreuung im Krankheitsfalle des Kindes an. Einige Unternehmen versuchen auch durch gezielte Maßnahmen, wie die Bereitstellung eines Urlaubstages an dem Geburtstag des Kindes, männliche Mitarbeiter dazu zu ermutigen, Familienarbeit zu übernehmen und mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Unternehmen, die sich so verhalten, verdienen Unterstützung. Dennoch werden Eltern in der Praxis in den meisten Fällen nicht unterstützt. Mit einem solchen Verhalten — erst recht, wenn es sogar rechtswidrig ist — schadet sich ein Unternehmen selbst, da es sich negativ auf das Betriebsklima und die Motivation der Mitarbeiter auswirkt.

4.7

Der EWSA verweist auf wissenschaftliche Untersuchungen der Prognos AG, denen zu Folge sich die Umsetzung von Maßnahmen, die gezielt auch dem Familien- und Privatleben dienende berechtigte Belange der Arbeitnehmerschaft fördern, in Unternehmen betriebswirtschaftlich rechnen, da diese personalpolitischen Instrumente die Fehlzeiten senken und die Mitarbeiterbindung sowie die Motivation und die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten erhöhen. Zusätzlich stärkt eine solche Personalpolitik die Arbeitsplatzattraktivität, insbesondere wenn sie auch den Arbeitnehmerinnen mit Familienpflichten den Aufstieg und Verbleib in Führungsfunktionen erleichtern. Eine solche Unternehmenskultur sichert zudem ein gutes Betriebsklima und wirkt als ein positiver Standortfaktor in der jeweiligen Region.

4.8

Der EWSA weist darauf hin, dass im Zusammenhang mit der Einführung von flexiblen Arbeitszeitmodellen der Flexicurity-Ansatz berücksichtigt werden sollte. Im Kontext der Lissabon-Strategie bietet Flexicurity einen integrierten Arbeitsmarktreformansatz, der notwendige oder gewünschte Flexibilitäten fördert und diese gleichzeitig mit dem erforderlichen Maß an Sicherheit und Planbarkeit für alle Beteiligten verbindet. Zwischen den Sozialpartnern ausgehandelte Flexibilität muss auf eine Win-win-Situation für Unternehmen und Arbeitnehmer(innen) abzielen. Den Anpassungserfordernissen der Unternehmen an Markterfordernisse soll ebenso Rechnung getragen werden, wie dem steigenden Flexibilisierungsinteresse der Arbeitnehmer, zum Beispiel im Hinblick auf die Gestaltung ihrer Arbeitszeit, um familiären oder anderen außerbetrieblichen Belangen des Privatlebens besser Rechnung tragen zu können; dabei muss die Sicherheit der Arbeitsverhältnisse weiter gewährleistet bleiben und Prekarität vermieden werden. Zielführend sind hier individuelle und bedarfsgerechte Lösungen, die in der Regel von den Sozialpartnern ausgehandelt werden. Der EWSA betont, dass in der Flexicurity-Debatte der unterschiedlichen Betroffenheit der Geschlechter mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss (6).

4.9

Die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben ist umso erfolgreicher, je stärker die einzelnen Instrumente zur Vereinbarkeit in der betrieblichen Realität gelebt werden. Der Umsetzung auf nationaler Ebene muss daher größtmögliche Bedeutung geschenkt werden.

4.10

Der EWSA sieht von Sozialpartnern mitgetragene Unternehmenswettbewerbe als ein mögliches geeignetes Instrument an, familien- und frauenfreundliche Beispiele öffentlich zu kommunizieren und zur Nachahmung zu empfehlen. Neue innovative Instrumente, wie

die Einrichtung von Spielzimmern für Mitarbeiterkinder,

Betriebskindergärten bis hin zu einem

Generationennetzwerk im Unternehmen, das ehrenamtliche Dienste, wie das Erledigen von Behördengängen und Einkäufen von pensionierten Mitarbeitern für junge Mitarbeiter mit Familienverantwortung koordiniert,

werden durch Unternehmenswettbewerbe einer breiten Öffentlichkeit präsentiert.

4.11

Dabei ist es einsichtig, dass der Vielzahl kleiner oder mittlerer Unternehmen, die die Mehrheit der Unternehmen in der EU stellen, die Mittel für solch attraktive Angebote fehlen; deshalb sind spezifische Steueranreize zu erwägen. Gerade in kleinen und mittleren Unternehmen sind die engeren sozialen Kontakte ein Garant dafür, dass sich die Beteiligten auf individuelle, ganz praxis- und zeitnahe Lösungen für die einzelnen Mitarbeiter verständigen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass sich in einer Region mehrere kleinere Unternehmen mit den lokalen Körperschaften, Bürgervereinigungen und nichtstaatlichen Organisationen für gemeinsame Angebote zusammenschließen, um zum einen sich selbst als Unternehmen und zum anderen ihren regionalen Standort aufzuwerten.

5.   Praxisnahe Initiativen auf regionaler und lokaler Ebene

5.1

Um die Rahmenbedingungen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben ganz praktisch und realitätsnah zu verbessern, ist es besonders hilfreich, wenn die unterschiedlichsten lokalen Akteure zu einem aufeinander abgestimmten Verhalten kommen. Deshalb ermutigt der EWSA die Sozialpartner zu Initiativen auf regionaler und lokaler Ebene, um engagierte Akteure (Unternehmer, Betriebsräte, Elternkreise, Glaubensgemeinschaften, Sportvereine, Kommunalvertreter usw.) in Städten und Gemeinden zusammenzubringen, mit dem Ziel, das lokale Lebensumfeld so miteinander abgestimmt zu gestalten, dass betriebliche, familiäre und private Belange bestmöglich vereinbart werden können. Veränderungen vor Ort bewirken unmittelbare praktische Unterstützung für alle Beteiligten. Der Aktionsbereich unterschiedlichster lokaler Akteure ist extrem vielfältig und offen für alle Formen kreativer Ideen. Einige konkrete Beispiele, die aber beliebig ergänzt werden können:

der Aufbau einer städtischen Website, die über gezielte Angebote für Familien informiert;

die Einrichtung von Datenbanken zur Vermittlung von Kinderbetreuungsplätzen;

Großelternservicestellen, die junge Familien ohne Großeltern und ältere Menschen ohne Familien zusammenbringen;

eine Schulwegbetreuung;

Unterstützung von Freiwilligenorganisationen und Freiwilligen, die sich in ihrer Freizeit um die Betreuung von Kindern kümmern,

Workshops über familienfreundliche Stadtentwicklung, um die Abwanderung von jungen Familien zu stoppen;

Mentoringprogramme für Familienväter, die in Teilzeit arbeiten;

die Umgestaltung von Schulbusplänen, die es Eltern erleichtern, ihren Arbeitsbeginn mit dem Schulbeginn besser zu koordinieren;

die Flexibilisierung von Kindergartenöffnungszeiten;

Unternehmensveranstaltungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, bei denen Unternehmen ihre familienfreundliche Personalpolitik der Öffentlichkeit vorstellen;

Kinderfreundlichkeitsprüfung für alle kommunalen Entscheidungen.

6.   Kinderbetreuungseinrichtungen und Pflege älterer Angehöriger

6.1

Der EWSA weist darauf hin, dass in dem zweiten Fortschrittsbericht der EU-Kommission zur Umsetzung der Lissabon-Strategie, der Mitte Dezember 2006 (7) vorgelegt wurde, darauf verwiesen wird, dass in mehreren Mitgliedstaaten die Verfügbarkeit bezahlbarer Kinderbetreuungen ein Problem ist. Die Mitgliedstaaten werden daher aufgefordert, gemäß ihren eigenen Zielen mehr Kinderbetreuungen von hoher Qualität anzubieten, die für alle zugänglich sind.

6.2

Darüber hinaus hat der Europäische Rat 2002 in Barcelona (8) beschlossen, dass in den Mitgliedsländern bis zum Jahr 2010 für 90 % der Kinder zwischen drei Jahren und dem Schuleintritt und für 33 % der Kinder unter drei Jahren ein Betreuungsplatz zur Verfügung stehen sollte.

6.3

Gerade auch im Zusammenhang mit den veränderten Rollenbildern von Frauen und Männern ist es wichtig, dass die Sozialpartner verdeutlichen, dass die kindliche Entwicklung durch eine Berufstätigkeit der Mutter oder durch eine Familienarbeit des Vaters nicht negativ beeinflusst wird.

6.4

Vor dem Hintergrund der großen Variationsbreite an Betreuungsplätzen für unter 3-Jährige in den einzelnen Mitgliedsländern empfiehlt der EWSA mit Nachdruck, dass sich jeder Mitgliedstaat hinsichtlich der Betreuungsinfrastruktur für Kinder unter drei Jahren konkret quantifizierte Ziele setzt. Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten, sollte im Minimum für 33 % aller Kinder unter drei Jahren bis zum Jahr 2010 ein Platz in einer Kindertageseinrichtung oder bei einer qualifizierten Tagesmutter vorhanden sein.

6.5

Der EWSA sieht es als notwendig an, dass der Ausbau der Kinderbetreuung in den EU-Mitgliedstaaten einen höheren Stellenwert als bisher erhält und durch politische Maßnahmen weiter forciert und unterstützt wird.

6.6

Mit der Stellungnahme „Die Familie und die demografische Entwicklung“ (9) hat der EWSA ausführlich auf den demografischen Wandel in der Europäischen Union und dessen Konsequenzen für die Familien hingewiesen. Der Anstieg der Lebenserwartung kann für viele Menschen einen Gewinn an Lebensqualität bedeuten. Die steigende Lebenserwartung wird aber auch dazu führen, dass sich immer mehr Menschen zukünftig neben dem Beruf um die Pflege älterer Angehöriger kümmern werden müssen. Der Ausbau von Dienstleistungen im Bereich der Pflege sollte daher verstärkt in den Blickpunkt rücken, um pflegende Angehörige zu entlasten.

6.7

Aufgabe der Sozialpartner in diesem Themenfeld kann es sein, über Instrumente, die sich in der Praxis bereits bewährt haben, zu informieren. Hierzu können zum Beispiel eine kurzfristige Anpassung der Arbeitszeiten an den häufig plötzlich eintretenden Pflegefall gehören; eine pflegeerleichternde Arbeitsplatzausstattung, d.h. der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin ist telefonisch erreichbar und hat Zugang zu Computern und Internet, um Betreuungsangelegenheiten regeln zu können und die Bereitstellung von Informationsmaterial über die organisatorischen, finanziellen und rechtlichen Aspekte der Pflegesituation.

7.   Ausblick

7.1

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben unausweichlich mit der Verwirklichung der Chancengleichheit verbunden ist und diese Vereinbarkeit durch die von den Sozialpartnern diesbezüglich angestrebten Ziele, sobald sie erreicht sind, gefördert wird. Damit sie eine Selbstverständlichkeit wird, sollten Bildungsprogramme für Kinder zeigen, dass die Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben normal und notwendig ist.

7.2

Der EWSA bittet den Rat, das Europäische Parlament und die Kommission, die in dieser Sondierungsstellungnahme gemachten Vorschläge bei ihrer zukünftigen Arbeit zu berücksichtigen und mitzutragen, um die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben in Europa weiter zu verbessern.

Brüssel, den 11. Juli 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2006) 92 endg.

(2)  BUSINESSEUROPE (ehemals UNICE) ist der Dachverband der europäischen Arbeitgeber- und Industrieverbände, UEAPME ist der europäische Verband des Handwerks und der KMU, CEEP ist der Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft, der EGB ist der europäische Gewerkschaftsbund.

(3)  http://ec.europa.eu/employment_social/news/2005/mar/gender_equality_en.pdf.

(4)  Siehe die EWSA-Sondierungsstellungnahme vom 14.3.2007 zu dem Thema „Überalterung der Bevölkerung: Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Haushalte“, Berichterstatterin: Frau FLORIO (ABl. C 161 vom 13.7.2007).

(5)  Siehe dazu die EWSA-Sondierungsstellungnahme vom 14.3.2007 zum Thema „Die Familie und die demografische Entwicklung“, Berichterstatter: Herr BUFFETAUT (ABl. C 161 vom 13.7.2007).

(6)  Siehe dazu die EWSA-Sondierungsstellungnahme vom 12.7.2007 zum Thema „Flexicurity (die Dimension der internen FlexibilitätTarifverhandlungen und Sozialer Dialog als Instrumente der Arbeitsmarktregulierung und -reform)“, Berichterstatter: Herr JANSON (ABl. C 97 vom 28.4.2007).

(7)  KOM(2006) 816 endg., „Mitteilung der Kommission für die Frühjahrstagung des Europäischen RatesUmsetzung der erneuerten Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung ‚Ein Jahr der Ergebnisse‘“.

(8)  Schlussfolgerungen des Vorsitzes: Europäischer Rat von Barcelona am 15./16. März 2002.

(9)  Siehe dazu die EWSA-Sondierungsstellungnahme vom 14.3.2007 zum Thema „Die Familie und die demografische Entwicklung“, Berichterstatter: Herr BUFFETAUT (ABl. C 161 vom 13.7.2007).


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