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Document 52006IE0740

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Flexicurity nach dänischem Muster

    ABl. C 195 vom 18.8.2006, p. 48–53 (ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, SK, SL, FI, SV)

    18.8.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 195/48


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Flexicurity nach dänischem Muster“

    (2006/C 195/12)

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 14. Juli 2005, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Flexicurity nach dänischem Muster“.

    Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 28. April 2006 an. Berichterstatterin war Frau VIUM.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 427. Plenartagung am 17./18. Mai 2006 (Sitzung vom 17. Mai) mit 98 gegen 1 Stimme bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerung und Empfehlungen — „Flexicurity nach dänischem Muster“

    1.1

    Die Flexicurity nach dänischem Muster scheint ein Beispiel dafür abzugeben, wie wirtschaftliches Wachstum, hohe Beschäftigung und gesunde öffentliche Finanzen auf sozial ausgewogenem Wege erreicht werden können. Diese Entwicklung ist mit dem Lissabon-Prozess, durch den das Wachstum, ein hoher Beschäftigungsstand und der Sozialstaat nachhaltig gesichert werden sollen, konform.

    1.2

    Kern des dänischen Flexicurity-Systems ist ein flexibler Arbeitsmarkt, der über eine aktive Arbeitsmarkt- und Ausbildungspolitik verwirklicht wird und von Elementen, die zur sozialen Sicherheit beitragen, flankiert wird — diese Konstellation scheint der Wettbewerbsfähigkeit Dänemarks offenbar zuträglich zu sein. Zusammen mit anderen Charakteristika der dänischen Gesellschaft hat die Flexicurity einen robusten und flexiblen dänischen Arbeitsmarkt entstehen lassen, sodass Dänemark den Herausforderungen der Zukunft entgegensehen kann. Eine hohe Beschäftigungsquote, ein hohes Arbeitslosengeld und eine optimistische Stimmungslage führen dazu, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam die mit diesem System verbundenen Unwägbarkeiten und Nachteile in Kauf nehmen, weil jede Seite Vorteile daraus zieht.

    1.3

    Der Schlüssel zum Verständnis des dänischen Flexicurity-Systems ist, dass Flexibilität und Sicherheit nicht zwangsläufig Gegensätze sind. Die Arbeitgeberseite kann durchaus Interesse an stabilen und sicheren Arbeitsverhältnissen und motivierten Mitarbeitern haben und umgekehrt darf unterstellt werden, dass auch die Arbeitnehmerseite an flexiblen Arbeitszeiten, einer flexiblen Arbeitsorganisation und flexiblen Belohnungssystemen interessiert ist.

    1.4

    Angesichts der Globalisierung und der Betriebsverlagerungen schafft das Flexicurity-System für die Bevölkerung ein hohes Maß an ökonomischer und sozialer Sicherheit durch den Paradigmenwechsel „Beschäftigungssicherheit statt Arbeitsplatzsicherheit“ und „neue persönliche Chancen durch Bereitschaft zum Wechsel mit beschränktem Risiko“. Das Arbeitsplatzverlustrisiko wird damit freilich nicht gebannt, aber immerhin vermag das soziale Sicherheitsnetz kurzfristig die Einkommensgrundlage zu sichern. Längerfristig erhöht die aktive Arbeitsmarktpolitik in Kombination mit der hohen Beschäftigungsquote die Wahrscheinlichkeit, wieder eine Beschäftigung zu finden.

    1.5

    Im dänischen Flexicurity-System ist die Arbeitsplatzsicherheit für den einzelnen Arbeitnehmer gering, weshalb es im Laufe eines Berufslebens zu wiederholtem Arbeitsplatzverlust kommen kann. Dessen ungeachtet vermittelt die systemimmanente Sicherheit, die das Flexicurity-System einerseits durch das hohe Arbeitslosengeld, das aus öffentlichen Mitteln, also durch die Steuerbelastung aller, finanziert wird, und andererseits durch die Beschäftigungssicherheit generiert, den Dänen ein generelles Gefühl der Geborgenheit und Zufriedenheit — vgl. Anhang 2.

    1.6

    Betrachtet man die dänische Flexicurity im europäischen Zusammenhang, wird deutlich, dass sie aufgrund der andersartigen kulturellen, strukturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht „eins zu eins“ auf andere Länder übertragen werden kann. Für Länder und Regionen, die einen gewissen sozialen Standard erreicht haben, besteht aber die Möglichkeit, einige generelle Elemente als politische Strategie zu übernehmen, und zwar besonders dort, wo das Sozialkapital — zu verstehen als die Summe von Normen, Netzen und Vertrauen zwischen Individuen und zwischen Organisationen — ähnlich wie in Dänemark in Form einer Tradition der Zusammenarbeit zwischen der Regierung und den Sozialpartnern sowie einer Veränderungsbereitschaft auf Seiten der Bürger strukturiert ist. Geographische Flexibilität kann allerdings auch sehr ernst zu nehmende Probleme für Familien, Partnerschaften und die Schul- und Ausbildungskarriere der Kinder mit sich bringen, insbesondere in großräumigen Ländern und bei föderalen Strukturen.

    1.7

    Hinter dem dänischen System der Flexicurity steht ganz allgemein die Vorstellung, dass eine Kombination aus Flexibilität und Sicherheit für die Arbeitnehmer sowohl die soziale Sicherheit als auch die Wettbewerbsfähigkeit gewährleisten kann. Das dänische Flexicurity-System vereint ein relativ hohes Arbeitslosengeldniveau (einschließlich sonstiger sozialer Transferleistungen) mit Flexibilität im Wege liberaler Kündigungsschutzregeln, wie beispielsweise kurzen Kündigungsfristen. Neben sozialer Sicherheit und hoher Mobilität wird Wert auf eine aktive Arbeitsmarktpolitik gelegt, die die tatsächliche Verfügbarkeit der Arbeitslosen für den Arbeitsmarkt sicherstellt und sie dazu anhält, Qualifikationen für die Aufnahme einer Tätigkeit zu erwerben. Kennzeichnend für die dänische Arbeitsmarktpolitik ist somit ein „Fördern und Fordern“, letzteres beispielsweise in Form der Zwangsaktivierung, die allerdings vorwiegend aus hochwertigen Qualifizierungsangeboten besteht. Die aktive Arbeitsmarktpolitik ist ein notwendiges Instrument, soll ein Arbeitmarkt mit hohem Lohnersatzniveau effizient und mit hohem Arbeitslosengeld funktionieren können.

    1.8

    Das dänische Flexicurity-System kann freilich nicht unabhängig von den Rahmenbedingungen des Sozialstaates und eines hoch entwickelten Organisationssystems betrachtet werden. Die Funktionsweise des dänischen Arbeitsmarktes ist durch eine Reihe sonstiger gesellschaftlicher Faktoren bedingt, so etwa durch die zentrale Stellung der Sozialpartner bei den politischen Beschlüssen und der Umsetzung der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik, durch das umfassende, öffentlich finanzierte soziale Netz, durch das Qualifikationsniveau der Bevölkerung und durch den makroökonomischen Policy-Mix, der im letzten Jahrzehnt durchgeführt wurde.

    1.9

    An der Gestaltung des dänischen Flexicurity-Systems konnten die Sozialpartner an zentraler Stelle mitwirken; sie wurden sowohl in die Entscheidungsprozesse als auch in die Umsetzung der Berufsbildungspolitik und die Umsetzung der Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt miteinbezogen. Auf etlichen Gebieten wird die Entwicklung durch Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern bestimmt, etwa bei der Einführung privater, arbeitsmarktsbasierter Renten. Die Rolle der Sozialpartner ist einerseits auf die historische Entwicklung zurückzuführen und andererseits auf ihren hohen Organisationsgrad. Dank des Einflusses der Sozialpartner konnten kreative Lösungen erarbeitet werden, die auf breite Akzeptanz stießen. Eine starke Mitsprache der Sozialpartner und anderer zivilgesellschaftlicher Beteiligter erfordert im Gegenzug aber auch deren Bereitschaft zu Veränderungen und zur Zusammenarbeit sowie eine unorthodoxe Sicht der Dinge, die für neue Blickwinkel offen ist und auch die allgemeine Sichtweise nachvollziehen kann. Eine größere Partizipation und Mitsprache der Sozialpartner kann sich somit bei den Bemühungen um Wettbewerbs- und Anpassungsfähigkeit als gesellschaftlich nutzbringend erweisen. In diesen Prozessen ist auch die unterstützende Mitwirkung und kritische Begleitung von anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen — wie etwa sozialen Organisationen, assoziativen Fortbildungsorganisationen etc. — von besonderer Bedeutung.

    1.10

    Ein hohes Arbeitslosengeldniveau erfordert ein hohes Qualifikationsniveau der Bevölkerung, da sich sonst eine große Gruppe bilden würde, die kein über den Lohnersatzleistungen liegendes Arbeitseinkommen erreichen könnte. Ein hohes Qualifikationsniveau und Anpassungsbereitschaft, nicht zuletzt auch bei den Arbeitnehmern mit einem geringen Maß an formaler Ausbildung, sind einer der Schlüssel zum Erfolg des dänischen Flexicurity-Systems.

    1.11

    Im Zuge der in der zweiten Hälfte der 90er Jahre in Dänemark durchgeführten tiefgreifenden Strukturreformen wurde der Arbeitsmarkt gestrafft und eine expansive Wirtschaftpolitik befolgt, was zu einer Ankurbelung des Wirtschaftswachstums und zu einer verbesserten Beschäftigungslage führte. Über die Einkommenssicherheit hinaus, die durch das hohe Arbeitslosengeldniveau gewährleistet wird, strebt man in Dänemark auch danach, den Bürgern Beschäftigungssicherheit zu geben. Zwar kann niemand von einer Arbeitsplatzgarantie ausgehen, aber die Chancen auf eine Neueinstellung stehen gut, zumal auch der öffentliche Sektor Hilfe leistet. Überdies sind strukturelle Reformen leichter durchzuführen und finden eher Anklang bei der Bevölkerung, wenn sie in einer Atmosphäre des Optimismus und des beschäftigungsschaffenden Wachstums umgesetzt werden. Das dänische Flexicurity-System stützt sich daher auf ein vielschichtiges, wachstums- und beschäftigungsfreundliches makroökonomisches Instrumentarium.

    1.12

    Das dänische Flexicurity-System ist Gegenstand ständiger Überlegungen und Veränderungen. Das System hat seine Vor- und Nachteile — auch wenn zwischen Flexibilität, Sicherheit und einer aktiven Arbeitsmarktpolitik ohne Zweifel ein enger Zusammenhang besteht, wird regelmäßig darüber diskutiert, wie sich das richtige „Mischungsverhältnis“ zwischen diesen Elementen herstellen lässt.

    1.12.1

    Die hohen Steuereinnahmen sind eine Voraussetzung für das dänische Flexicurity-System und andere Faktoren, die Bedeutung für die Funktionsweise des Arbeitsmarkts haben. Die öffentlichen Ausgaben für die Arbeitsmarktspolitik beliefen sich 2003 auf 4,4 % des BIP, was im europäischen Vergleich ein Rekord ist (1). Die hohe Steuerlast von 49 % des BIP wird einerseits von der dänischen Bevölkerung akzeptiert, andererseits jedoch bieten die Steuern ständigen Anlass zu Diskussionen, und die Steuer auf Arbeit dürfte künftig gesenkt werden. Die hohe Steuerlast erklärt sich zum Teil wiederum durch die hohe Beschäftigung, die an sich einen positiven Beitrag für die öffentlichen Finanzen leistet. Durch eine Verbesserung der Beschäftigungssituation können die Steuereinnahmen noch weiter erhöht werden.

    1.13

    Die Bedeutung von „Flexicurity nach dänischem Muster“ für die Europäische Union liegt in der durch diesen Ansatz geförderten Bereitschaft zu einer proaktiven Anpassung an neue Realitäten durch einen ausgewogenen und zwischen den Beteiligten sorgfältig ausgehandelten sozio-ökonomischen Paradigmenwechsel bei voller Respektierung der Grundwerte im europäischen Gesellschaftsmodell.

    2.   Die Wettbewerbsfähigkeit des dänischen Systems

    2.1

    Dänemark kann sich eines stabilen Wachstums und geordneter öffentlicher Haushalte erfreuen. Von 2000 bis 2005 betrug das durchschnittliche Wachstum 1,7 %, die durchschnittliche Beschäftigungsquote 77,5 % und der durchschnittliche gesamtstaatliche Überschuss 1,4 % des BIP. Die Gesamtschulden des Staates lagen 2004 bei 42,7 % des BIP und der gesamtstaatliche Überschuss belief sich auf 2,8 % des BIP. Der Überschuss in den öffentlichen Haushalten ist in erster Linie auf die hervorragende Beschäftigungssituation zurückzuführen, durch die über die hohe Einkommensteuer umfangreiche Steuereinnahmen an den Staat fließen.

    2.2

    Die Fluktuation auf dem dänischen Arbeitsmarkt ist sehr hoch, da jährlich mehr als 10 % aller Arbeitsplätze verschwinden und etwa die gleiche Anzahl geschaffen wird. Etwa 30 % der Beschäftigten wechseln jedes Jahr den Arbeitsplatz, und Dänemark verzeichnet nach Großbritannien die zweitniedrigste durchschnittliche Dauer der Beschäftigungsverhältnisse. Dies ist vor dem Hintergrund der geltenden Bestimmungen, aber auch der dänischen Unternehmensstruktur mit vielen kleinen und mittelgroßen Unternehmen zu sehen.

    2.3

    Die Auswirkung des Policy-Mixes aus makroökonomischen Anreizen und Strukturreformen, die in Dänemark u.a. auf dem Arbeitsmarkt durchgeführt wurden, lassen sich auch anhand der Phillips-Kurve veranschaulichen, die den Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Lohnkostensteigerung darstellt. Die Kurve für Dänemark ist in Anhang 1 wiedergegeben. Sie zeigt, dass es seit 1993 gelungen ist, die Arbeitslosigkeit ohne erhöhte Lohninflation wesentlich zu senken, da die Phillips-Kurve in diesem Zeitraum insgesamt gesehen horizontal verlaufen ist. Arbeitsmarkts- und Bildungsmaßnahmen wirken den Anpassungsproblemen und Hemmnissen entgegen, die sich sonst als Lohn- bzw. Preissteigerungen äußern.

    2.4

    Bei Studien über die Attraktivität von Ländern für Investoren erreicht Dänemark oft Spitzenpositionen. In der Untersuchung Economic Intelligens Units vom März 2005 belegte Dänemark sogar Platz 1. In Anhang 2 wird Dänemarks Position gegenüber den übrigen Mitgliedstaaten bezogen auf eine Reihe von Parametern illustriert.

    3.   Das dänische Verständnis von Flexicurity

    3.1

    Seit nunmehr einigen Jahren ist „Flexicurity“ als Begriff im Gespräch, wobei die Bedeutung dieses Terminus jedoch nicht eindeutig ist und je nach Land unterschiedlich ausgelegt wird.

    3.2

    Auf dem Arbeitsmarkt gelten die Vorkehrungen als das „goldene Dreieck“ zwischen flexiblen Einstellungsregeln (die zu hoher numerischer Flexibilität führen), einem großzügigen Unterstützungssystem (das soziale Sicherheit bietet) und massiven Aktivierungs- und Bildungsmaßnahmen (die Arbeitslose sowohl zur Arbeitssuche motivieren als auch zum Wiedereintritt in den offenen Arbeitsmarkt qualifizieren).

    3.2.1

    Das dänische Flexicurity-System trägt zur Schaffung korrekter, d.h. hochwertiger Arbeitsplätze bei. Das hohe Arbeitslosengeld resultiert in einem hohen Schwellenlohn, der dafür sorgt, dass man in Dänemark von seinem Arbeitsentgelt leben kann. Deshalb sind auf dem ersten Arbeitsmarkt „berufstätige Arme“ („working poor“) ein seltenes und eher schwach ausgeprägtes Phänomen — auch unter Dänen mit Migrationshintergrund.

    3.3

    Nachstehend eine Illustration des „goldenen Dreiecks“. Das dänische System der Transfereinkommen und der aktiven Arbeitsmarktspolitik wird in Anhang 3 kurz skizziert.

    Die Schwerpunkte des dänischen Flexicurity-Systems:

    Image

    3.4

    Die Flexibilität des dänischen Arbeitsmarktes weist indes mehrere Dimensionen auf und ist nicht alleine dem lockeren Kündigungsschutz geschuldet; sie wird auch durch die flexiblen Arbeitszeiten ermöglicht, wobei tarifvertragsgemäß die Arbeitszeit im Zeitraum eines Jahres fluktuieren und innerhalb kürzerer Zeiträume Arbeitsteilung durchgeführt werden kann. Tendenziell erfolgt die endgültige Festsetzung der Löhne auf Unternehmensebene im Rahmen von Tarifverträgen, was ebenfalls eine gewisse Lohnflexibilität sichert. Die Flexibilität ist auch auf die breite Kompetenzgrundlage der Arbeitnehmer zurückzuführen, die selbstständig arbeiten, offen für Veränderungen und verantwortungsbewusst sind und sich somit rasch auf eine Umstellung der Produktion oder eine neue Arbeit einstellen können.

    3.5

    Die Sicherheit auf dem dänischen Arbeitsmarkt ist nicht ausschließlich auf das relativ hohe Niveau des Arbeitslosengeldes zurückzuführen, sondern auch auf den hohen Beschäftigungsgrad und die Fluktuation auf dem Arbeitsmarkt, die für eine gewisse Arbeitsplatzsicherheit sorgen. Diese Arbeitsplatzsicherheit wird durch ein breites Spektrum von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen unterstützt, die von der öffentlichen Hand und den Sozialpartnern gemeinschaftlich bereitgestellt und verwaltet werden. Darüber hinaus bietet die dänische Gesellschaft auch den Familien hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine gewisse Sicherheit, etwa in Form von günstigen Regelungen für den Mutterschaftsurlaub, Kinderbetreuungsangeboten usw.

    3.6

    Der Schlüssel zum Verständnis des dänischen Flexicurity-Systems ist, dass Flexibilität und Sicherheit nicht zwangsläufig Gegensätze sind. Traditionell war der Wunsch der Arbeitgeberseite nach einem höheren Grad an Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt unvereinbar mit dem Wunsch der Arbeitnehmerseite nach Arbeitsplatzsicherheit und hohen wirtschaftlichen Ersatzleistungen bei Arbeitslosigkeit und Krankheit.

    3.7

    Die Idee der Flexicurity bricht mit diesem unterstellten Gegensatz. Die Arbeitgeberseite kann durchaus Interesse an stabilen und sicheren Arbeitsverhältnissen und motivierten Mitarbeitern haben und umgekehrt darf unterstellt werden, dass auch die Arbeitnehmerseite an flexiblen Arbeitszeiten, einer flexiblen Arbeitsorganisation und flexiblen Belohnungssystemen interessiert ist. Solche neuen Arbeitsmärkte können somit ein neues Zusammenspiel von Flexibilität und Sicherheit zur Folge haben.

    3.8

    Auf dem Arbeitsmarkt sorgt das dänische Flexicurity-System dank universeller öffentlicher Dienstleistungen und eines Einkommensausgleichs für die Kombination der Dynamik einer freien Marktwirtschaft mit der sozialen Sicherheit und dem sozialen Ausgleich eines skandinavischen Wohlfahrtsstaats. Von einer höheren Warte aus betrachtet ist dies eines der Ergebnisse der politischen Zielsetzung, den Menschen Chancen auf den Eintritt ins Berufsleben zu eröffnen und über die öffentlichen Haushalte und Maßnahmen eine Umverteilung der Ressourcen zu erwirken. Dies führt über einen starken Einkommensausgleich zu gesellschaftlichem Zusammenhalt und verhindert starke soziale Spannungen, was den Arbeitnehmern die Sicherheit gibt, sich neu zu orientieren und flexibel zu sein.

    4.   Die Rolle der Sozialpartner

    4.1

    Die Sozialpartner haben traditionsgemäß ein zentrales Mitspracherecht bei den Gestaltungs- und Verwaltungsmechanismen der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik. Der Einfluss der Sozialpartner hat dazu beigetragen, kreative und ausgewogene Lösungen für die Markt- und Innovationsprobleme zu finden, was wiederum dazu beigetragen hat, Dänemark so zu positionieren, dass das Land gut für die globalisierungsbedingten Veränderungs- und Entwicklungsanforderungen gerüstet ist. Hilfreich dabei ist auch, dass die Partner ggf. auftretenden Handlungsbedarf einschätzen und für Anpassungen sorgen können. Durch die laufenden Absprachen zwischen den Akteuren hat sich im Laufe der Zeit auch ein soziales Kapital herausgebildet, das sich als besseres Vertrauensverhältnis, Verantwortungsbewusstsein und eine gemeinsame Sicht der Dinge äußert.

    4.2

    Die derzeitige Situation hat historische Gründe, die mehr als 100 Jahre zurück liegen. Das besondere dänische Modell zur Regulierung des Arbeitsmarkts geht auf das Jahr 1899 zurück, als mit dem so genannten „Septemberkompromiss“ zwischen dem dänischen Gewerkschaftsbund (LO — Landsorganisationen) und dem dänischen Arbeitgeberverband (DA — Dansk Arbejdsgiverforening), die kurz zuvor als landesweite Organisationen gegründet worden waren, der weltweit erste Manteltarifvertrag abgeschlossen wurde. Seither stellt dieser den Rahmen für den Abschluss von Vereinbarungen und für das Zusammenspiel zwischen den Sozialpartnern dar.

    4.2.1

    Während die Arbeitgeberseite den dänischen Gewerkschaftsbund als verhandlungsberechtigte Partei anerkannte, akzeptierte der Gewerkschaftsbund das Einstellungs- und Entlassungsrecht des Arbeitgebers und erkannte damit das Direktionsrecht an. Diese Grundbestimmung hat zu der in Dänemark herrschenden liberalen Anschauung in Bezug auf Kündigungen beigetragen. Die Friedenspflicht während der Laufzeit des Tarifvertrags war ebenfalls ein wichtiges Element des Septemberkompromisses. Noch bis 2003 war die voluntaristische Arbeitsmarktregulierung und die selbständige Konfliktlösung das Nonplusultra für die Sozialpartner. Erst als die EU die eigenständige Umsetzung der Richtlinien durch die Sozialpartner nicht anerkennen wollte, begannen in Dänemark zusätzliche Rechtsvorschriften zu entstehen. Anhang 4 enthält weitere Informationen zur historischen Entwicklung der Rolle der Sozialpartner und zur Etablierung des dänischen Modells.

    4.3

    Nach vielen Jahren mit hohen Inflationsraten und einer sehr volatilen Reallohnentwicklung gelangten die Sozialpartner 1987/88 zu der Einsicht, dass bei den Abkommen auch übergeordnete volkswirtschaftliche Gesichtspunkte Beachtung finden müssten. Selbstverständlich unterscheidet sich die Haltung der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der Regierung in Dänemark, aber zugleich gibt es eine grundlegende Dialog- und Konsenskultur, die Teil des „Sozialkapitals“ ist. Flache Hierarchien auf allen Gesellschaftsebenen tragen dazu bei, diese Konsenskultur aufrechtzuerhalten.

    4.4

    Politisch gesehen wurde in Dänemark seit den 60er Jahren ein umfassendes öffentliches System für die berufliche Fort- und Weiterbildung der Erwerbstätigen wie auch der Arbeitslosen aufgebaut. Dies hat sich für die Anpassungsbereitschaft der gesamten Arbeitskräfte als nützlich erwiesen. Die Sozialpartner waren über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg in Schlüsselpositionen der öffentlichen Entscheidungs- und Umsetzungsstrukturen und sind es immer noch. Im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern wurde ihre diesbezügliche Rolle seit 1993/94 sogar noch weiter ausgebaut.

    4.5

    Die Arbeitsmarktpolitik erfuhr eine inhaltliche Umgestaltung: war sie vormals regelorientiert, ist sie nun bedarfsorientiert und wendet individuelle Lösungsstrategien an. Die Sozialpartner zusammen mit den Kommunen wurden die zentralen Akteure in 14 regionalen Arbeitsmarkträten, denen sowohl Befugnisse als auch Haushaltsmittel eingeräumt wurden, um den Schwerpunkt auf Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und auf eine regionale Arbeitsmarktpolitik zu legen.

    4.6

    Über viele Jahre hinweg haben die Sozialpartner ein umfassendes kollektives soziales Bewusstsein für ihre gesellschaftliche Verantwortung entwickelt, und die öffentliche Hand hat gelernt, deren Ressourcen und Einfluss für sich zu nutzen. Die Sozialpartner besitzen einzigartige Informationen und Wissen über den Arbeitsmarkt, weshalb sie rasch zuverlässige Bedarfsmeldungen geben können. So werden im Wege ihrer Einbeziehung die Ressourcen der öffentlichen Hand kostenneutral erweitert. Sie finden kreative Lösungen für gemeinsame Probleme durch Diskussionen und Entscheidungsrunden, und die Organisationen sind ausschlaggebend dafür, dass Politiken beschlossen und umgesetzt werden und, was nicht vergessen werden darf, auch Akzeptanz finden. Die öffentliche Hand ist somit abhängig vom Mitwirken der Sozialpartner bei den Flexicurity-Vereinbarungen.

    5.   Der richtige Policy-Mix

    5.1

    Um die dänische Flexicurity in all ihren Dimensionen zu verstehen, muss man den gesellschaftliche Zusammenhang berücksichtigen, in den das System eingebettet ist. Sowohl die Wirtschaftspolitik und die sonstigen Einflüsse der öffentlichen Hand beeinflussen die Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes; zusammen ergeben die Elemente das „dänische Model“. Dieses Zusammenwirken ist aus der Abbildung in Anhang 7 ersichtlich.

    5.2

    In der zweiten Hälfte der 80er Jahre und zu Beginn der 90er Jahre durchlebte die dänische Wirtschaft eine Krise. Im Durchschnitt wuchs die Wirtschaft in diesem Zeitraum um nur 0,8 % jährlich, während die Arbeitslosigkeit von 5,0 % im Jahre 1987 auf 9,6 % im Jahre 1993 kletterte. Diese Krise war unter anderem auch eine Folge der straffen Wirtschaftspolitik, die aufgrund der großen Haushaltsdefizite in den vorausgehenden Jahren eingeleitet wurde.

    5.3

    Ab 1993 wurde die aktive Arbeitsmarktspolitik gestärkt, während die Wirtschaft gleichzeitig Rückenwind in Form von niedrigen Zinsen und einer expansiven Wirtschaftspolitik bekam. Zu Beginn der Wachstumsperiode Mitte der 90er Jahre verzeichnete Dänemark so große Haushaltsdefizite, dass die Regeln des Wachstums- und Stabilitätspakts verletzt worden wären, wenn er zu jener Zeit schon bestanden hätte. Darüber hinaus wurden u.a. die Bestimmungen für die Finanzierung von Immobilien geändert (längere Darlehenslaufzeiten und Umschuldungsmöglichkeiten), sodass die Menschen mehr Geld zur Verfügung hatten. Durch das hohe Wachstum, die sinkende Arbeitslosigkeit und den aufkeimenden Optimismus akzeptierte die Bevölkerung leichter die Verschärfung der Arbeitsmarktregelungen.

    5.4

    Die zusätzlichen öffentlichen Ausgaben wurden u.a. für massive Maßnahmen zur verstärkten Deckung des Bedarfs an Kinderbetreuung genutzt, sodass Frauen mit kleinen Kindern dem Arbeitsmarkt tatsächlich zur Verfügung standen.

    5.5

    Die verstärkte Konzentration auf die Arbeitsmarktpolitik bedeutete auch verstärkte Maßnahmen für Aus-, Fort- und Weiterbildung, in deren Rahmen der Staat massive Zuschüsse leistete, damit sowohl Beschäftigte als auch Arbeitslose fort- bzw. weitergebildet werden konnten. Die Zuschüsse erfolgten sowohl durch die Finanzierung der Ausbildung als auch durch die teilweise Deckung des Lohnausfalls. Gleichzeitig wurde auf allen Ebenen die Zahl der Ausbildungsplätze für Jugendliche erhöht.

    5.6

    Generell ist darauf hinzuweisen, dass für das dänische System mit einem hohen Arbeitslosengeldniveau und damit einem hohen Schwellenlohn qualifizierte und produktive Arbeitskräfte erforderlich sind. Das Vorhandensein einer großen Gruppe Geringqualifizierter, die das Lohnniveau, das zu einem hohen Arbeitslosengeld berechtigt, nicht erreichen können, würde zu einer zu hohen Arbeitslosigkeit führen.

    5.7

    Die wirtschaftliche Strategie, die ab Mitte der 90er Jahre erfolgreich angewandt wurde, war eine Investitionsstrategie, die mit offensiven Reformen und Investitionen in das Bildungswesen und in Leistungen der Daseinsvorsorge eine Wachstumsdynamik erzeugte. Vertrauen in die Zukunft und hohe Einkommenssicherheit fördern die Konsumfreude und sichern eine hohe Binnennachfrage.

    5.8

    Die jetzige Wirtschaftsstrategie ist als Reaktion auf die Wirtschaftskrise zu sehen, die ab 1987 in Dänemark herrschte und während der die Regierung die großen Defizite in den öffentlichen Haushalten und in der Zahlungsbilanz durch Einsparungen und Straffungen abbaute. Diese Strategie des Sparens löste zwar Bilanzprobleme, resultierte jedoch in niedrigem Wachstum und grassierender Arbeitslosigkeit. Die jetzige Strategie sichert offenbar das Wachstum und die Beschäftigung, ohne zu Lasten der öffentlichen Haushalte und der Zahlungsbilanz zu gehen. Eine Kombination, die es in Dänemark zuletzt vor der Ölkrise in den 70er Jahren gab.

    6.   Derzeitige Herausforderungen

    6.1

    Auch wenn das dänische Flexicurity-System in den letzten Jahren zu positiven Ergebnissen geführt hat, gibt es selbstverständlich Herausforderungen, die es anzugehen gilt.

    6.2

    Die Globalisierung und die technologische Entwicklung setzen den dänischen Arbeitsmarkt unter einen gewissen allgemeinen Druck. Besonders ungelernte Arbeitskräfte kommen durch die Konkurrenz aus Ländern mit niedrigerem Lohnniveau und die Automatisierung der Produktion unter Druck.

    6.2.1

    Bis auf weiteres konnte Dänemark den Druck durch die Verringerung der Zahl ungelernter Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt ausgleichen, da unter den älteren Arbeitskräften, die sich aus dem Arbeitsmarkt zurückziehen, ein größerer Anteil ungelernt ist als unter den jüngeren, die in den Arbeitsmarkt eintreten. Momentan erhalten jedoch viele Jugendliche keine berufliche Qualifizierung, wodurch das dänische Flexicurity-Modell längerfristig untergraben werden kann. Wenn nicht dafür gesorgt wird, dass sich das Angebot an qualifizierten Arbeitskräften einigermaßen mit der Nachfrage deckt, werden die öffentlichen Aufwendungen für die Unterstützung der Arbeitslosen und die sonstigen Transfereinkommen leicht zu groß.

    6.2.2

    In Dänemark sind Standortverlagerungen zu beobachten, bei denen Firmen ihre Betriebsstätten schließen und ihre Produktion teilweise oder ganz in Niedriglohnländer verlegen. Als eine besondere Herausforderung erweist sich dies in entlegenen Gebieten, die bei Betriebsschließungen besonders hart getroffen werden. Der dänische Arbeitsmarkt, dessen Struktur durch kleine und mittelgroße Firmen geprägt ist, wird jedoch als dynamisches Phänomen betrachtet. Anstatt diese Arbeitsplätze aufrechtzuerhalten, wird versucht, auf politischer Ebene und in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern neue, wettbewerbsfähigere Arbeitsplätze zu schaffen.

    6.3

    Die hohe Fluktuation auf dem Arbeitsmarkt führt dazu, dass die Arbeitgeber weniger geneigt sind, Fortbildungen zu finanzieren, da sie nicht wissen, wie lange das Personal bleibt. Das Problem betrifft vor allem Arbeitnehmer ohne Ausbildung, da die Arbeitnehmer stärker in begehrte Fachkräfte investieren und ungelernte Arbeiter oft nicht die Motivation haben, um an Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen. An dieser Stelle springt ein umfassendes, zusätzlich zu Pflichtbeiträgen der Arbeitgeber von der öffentlichen Hand bezuschusstes System in die Bresche, das der Aus- und Fortbildung ungelernter Arbeiter und Fachkräfte dient, da hochqualifizierte Arbeitskräfte eine Voraussetzung für das Funktionieren des dänischen Flexicurity-Systems sind und politisch eine „Qualifizierungsoffensive“ auf breiter Front wünschenswert ist.

    6.4

    Viele Zuwanderer haben Schwierigkeiten, auf dem dänischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, was ein Hemmnis für ihre Integration ist. Ihre Probleme auf dem Arbeitsmarkt sind unter anderem darauf zurückzuführen, dass einige Zuwanderergruppen und ihre Nachkommen nicht über die erforderlichen Kompetenzen verfügen, um das in Dänemark übliche hohe Arbeitslosengeld- und Lohnniveau zu erreichen. Das Bildungsniveau bei Zuwanderern und ihren Nachkommen ist durchschnittlich niedriger als bei Dänen, und sie haben eine niedrigere Erwerbsbeteiligung und eine höhere Arbeitslosigkeit zu verzeichnen. Die Probleme können sprachlicher und sozialer Art sein oder auch die Ausbildung betreffen.

    6.4.1

    Die Erklärung ist teilweise ggf. auch in kulturellen Unterschieden und tief verwurzelten Verhaltensmustern zu suchen. Die Erfahrung zeigt, dass die Arbeitslosigkeit unter diesen Gruppen mehr als bei anderen schwankt. Sinkt die Arbeitslosigkeit, wählen die Arbeitgeber erfahrungsgemäß neue Wege und rekrutieren Menschen mit anderem ethnischen Hintergrund. Eine hohe Beschäftigungsquote und niedrige Arbeitslosigkeit können also bereits für sich genommen dafür sorgen, dass Zuwanderer und ihre Nachkommen leichter Arbeit finden, wodurch freilich das Integrationsproblem nicht zur Gänze gelöst wird. Die demographische Entwicklung dürfte dazu führen, dass dänische Arbeitsplätze in den kommenden Jahren immer zugänglicher für Zuwanderer werden.

    6.5

    Das dänische Sozialstaatsmodell wäre ohne die hohe Beschäftigungsquote der Frauen undenkbar — nur so können die notwendigen öffentlichen Dienstleistungen erbracht und die hohen Steuereinnahmen gewährleistet werden. Daraus ergibt sich zum einen eine größere wirtschaftliche Selbstständigkeit der Frauen, zum anderen auch die Herausforderung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten. Verglichen mit anderen europäischen Ländern ist Dänemark hier sehr weit gekommen, jedoch müssen noch weitere Anstrengungen unternommen werden, um gleiche Karrieremöglichkeiten für Männer und Frauen herzustellen.

    6.6

    Das dänische System ist für den Staat kostenintensiv, da er einen großen Teil der Lohnersatzleistungen finanziert. Die Ausgaben für die passive Arbeitsmarktpolitik beliefen sich 2003 auf 2,7 % des BIP — im EU-Vergleich ein Rekord. In Zukunft wird die Finanzierung des dänischen Sozialstaats von mehreren Seiten unter Druck geraten. Damit der Sozialstaat ohne Steuererhöhungen finanzierbar bleibt, sind höhere Beschäftigungsquoten der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter notwendig.

    6.6.1

    Im EU-Vergleich ist Dänemark eines derjenigen Länder mit der höchsten Steuerlast. Die Steuerlast in Dänemark liegt bei 49 % des BIP, wohingegen der EU-Durchschnitt bei cirka 40 % liegt. Dies gilt vor allem für die sehr hohen Verbrauchsteuern, wohingegen die Besteuerung der Arbeit nicht zu den höchsten gehört. Die Einkommensteuer ist hoch und stark progressiv, während die Arbeitgeber im Großen und Ganzen kaum Sozialabgaben zu entrichten haben. Die Steuerstruktur Dänemarks wird ausführlicher in Anhang 5 beschrieben. Durch die Globalisierung können bestimmte Steuereinnahmen künftig unter Druck geraten.

    6.6.2

    Die demographische Entwicklung bringt es mit sich, dass es immer mehr ältere und immer weniger erwerbstätige Bürger geben wird. Dies hängt mit den zahlenmäßig schwachen jungen Jahrgängen, den großen Nachkriegsgenerationen und dem zunehmenden Alter zusammen. Bei möglichen Reformen des Sozialstaats stehen auch die Arbeitsmarktpolitik einschließlich der Arbeitslosenunterstützung zur Debatte. Das dänische Rentensystem ist jedoch teilweise auf diese Veränderungen vorbereitet, wie aus Anhang 6 hervorgeht. Ein Mangel an Arbeitskräften steht zu befürchten, und da sich die aus den Frauen bestehende Arbeitskraftreserve bereits weitgehend auf dem Arbeitsmarkt befindet, müssen andere Wege gefunden werden, um die Beschäftigung zu erhöhen. Dies kann z.B. dadurch geschehen, dass das Renteneintrittsalter angehoben oder die Zuwanderung von Arbeitskräften mit Kompetenzen gesteigert wird, für die eine Nachfrage besteht.

    6.7

    Etwa ein Viertel der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter geht keiner Erwerbstätigkeit nach und lebt in der einen oder anderen Form von öffentlichen Geldern (Arbeitslosigkeit, „Aktivierung“ (z.B. Bildungsangebot), Frührente usw.). Etwa die Hälfte hat sich aufgrund von Verschleißerscheinungen, Arbeitslosigkeit oder freiwillig dauerhaft aus dem Arbeitsmarkt zurückgezogen, während die andere Hälfte nur vorübergehend ohne Beschäftigung ist. Die Versorgung dieser Menschen durch den Staat ist im dänischen Modell vorgesehen, stellt jedoch für die künftige Finanzierung des Sozialstaats eine Herausforderung dar. Der Bevölkerungsanteil, der sich frühzeitig aus dem Arbeitsleben zurückzieht, muss gesenkt werden, soll die langfristige Finanzierbarkeit des Sozialstaats gesichert sein.

    6.8

    Nach und nach wird ein immer größerer Teil der Arbeitsmarktpolitik gemäß den von der EU festgelegten Bestimmungen und Verfahrensweisen geregelt. Die Arbeitsmarktverhältnisse in Dänemark werden traditionell zwischen den Sozialpartnern vereinbart und nicht mit Hilfe von Rechtsvorschriften festgelegt. Wird die Regulierung durch die EU zu detailliert, besteht die Gefahr, dass die Akzeptanz der Bevölkerung sinkt und die Entwicklung in eine andere als die von den Sozialpartnern gewünschte Richtung geht. Mit der Methode der offenen Koordinierung der Europäischen Union scheint ein Weg gefunden worden zu sein, der sowohl die Weiterentwicklung dänischer Traditionen als auch die Synchronisierung der europäischen Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik gewährleisten kann.

    Brüssel, den 17. Mai 2006

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    (1)  Vgl. OECD employment Outlook 2005, Tabelle H.


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