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Document 51996AC1086

    Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag fuer eine Richtlinie des Rates zur AEnderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Maennern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschaeftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen" (97/C 30/19)

    ABl. C 30 vom 30.1.1997, p. 57–59 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)

    51996AC1086

    Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag fuer eine Richtlinie des Rates zur AEnderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Maennern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschaeftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen" (97/C 30/19) -

    Amtsblatt Nr. C 030 vom 30/01/1997 S. 0057


    Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen" (97/C 30/19)

    Der Rat beschloß am 5. Juni 1996, den Wirtschafts- und Sozialausschuß gemäß Artikel 198 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem vorgenannten Vorschlag zu ersuchen.

    Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Sozial- und Familienfragen, Bildungswesen und Kultur nahm ihre Stellungnahme am 12. September an. Berichterstatterin war Frau Sigmund.

    Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 338. Plenartagung am 25. und 26. September 1996 (Sitzung vom 25. September 1996) mit 97 gegen 2 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

    1. Einleitung

    1.1. Im Oktober 1995 fällte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ein Urteil (Rechtssache Kalanke/Bremen, RS C-450/93). Dieses Urteil wurde in der Folge unterschiedlich ausgelegt, so daß allgemeine Unsicherheit hinsichtlich der Frage der Legalität von bestimmten positiven Maßnahmen zur Erhöhung der Zahl von Frauen in bestimmten Bereichen und Positionen, insbesondere aber bezüglich der Zulässigkeit von Quoten entstand.

    1.2. Der in Diskussion stehende Themenbereich wird in der Richtlinie 76/207/EWG geregelt. Allgemeiner Inhalt dieser Richtlinie ist der "Grundsatz der Gleichbehandlung".

    1.3. In der Rechtssache Kalanke ging es um die Frage, ob die Quotenregelung des Bremer Landesgleichstellungsgesetzes mit den Bestimmungen der Richtlinie 76/207/EWG vereinbar ist oder nicht. Der EuGH entschied, daß Bremen durch die Bestimmung, bei gleicher Qualifikation von Bewerbern unterschiedlichen Geschlechts bei der Einstellung oder Beförderung in Bereichen des öffentlichen Dienstes, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, den weiblichen Bewerbern automatisch Vorrang zu geben, gegen die Richtlinie verstößt.

    1.4. In der anschließenden Diskussion wurde das Urteil unterschiedlich interpretiert:

    Der Rahmen reicht von der Meinung, daß der EuGH lediglich das im Bremer Gesetz vorgesehene System "starrer" Quoten, das - und zwar automatisch - auf Herrn Kalanke angewendet wurde, für gemeinschaftswidrig erkannt habe, bis zu der Meinung, daß Quotensysteme, welcher Form auch immer, gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen. Die derzeitige Unsicherheit in dieser Frage zeigt, daß die Zulässigkeit von Quoten aus Sicht der Mitgliedstaaten nicht eindeutig klar ist.

    1.5. Am 27. März 1996 legte die Kommission einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG vor. In der Rechtfertigung des Vorschlags hält die Kommission fest, daß dieser Vorschlag nur erklärenden Charakter hat und den Anwendungsbereich der Richtlinie nicht ändert. Der Vorschlag für die Änderung ersetzt allerdings die Formulierung "Chancen der Frauen" durch "Chancen des unterrepräsentierten Geschlechts", weiters knüpft er nun die Anwendung von Vorzugsregeln an die Bedingung der "Bewertung der besonderen Umstände eines Einzelfalles".

    1.5.1. Der Ausschuß nimmt die Auffassung der Kommission zur Kenntnis, daß der Gerichtshof in der Rechtssache Kalanke nur das völlig starre Quotensystem mißbilligt und daß von der in Artikel 2 Absatz 4 vorgesehenen Ausnahme für andere Formen positiver Maßnahmen zugunsten von Frauen einschließlich flexibler Quotensysteme von Mitgliedstaaten und Arbeitgebern Gebrauch gemacht werden kann.

    1.6. Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich, daß der vorliegende Richtlinienänderungsvorschlag der Kommission als Reaktion auf das "Kalanke"-Urteil des EuGH zu verstehen ist. Nach Ansicht des Ausschusses kann daher der Inhalt einer solchen legistischen Klarstellung nur die Beantwortung der Frage sein, ob positive Maßnahmen (insbesondere Quoten) zulässig sind.

    2. Allgemeine Bemerkungen

    Obwohl sich die Stellungnahme grundsätzlich auf den vorliegenden Richtlinienentwurf beschränkt, ist es nach Ansicht des Ausschusses unerläßlich, den Themenbereich in einem über den Anlaßfall hinausgehenden Zusammenhang zu erörtern.

    2.1. In diesem Zusammenhang verweist der Ausschuß zunächst auf seine Stellungnahme zum Thema "Chancengleichheit der Frauen - mittelfristiges Programm der Gemeinschaft 1986-1990" (). Er stellte darin fest, daß Chancengleichheit ein Thema sei, das die gesamte Gesellschaft betrifft, und daß Rechtsvorschriften zwar notwendig seien, aber allein nicht ausreichen, um Korrekturen überholten Rollenverhaltens vorzunehmen und tiefverwurzelte Denkweisen zu revidieren.

    In der Stellungnahme des Ausschusses zum Thema "Ausgewogene Mitwirkung von Frauen und Männern am Entscheidungsprozeß" () bezeichnete er die unausgewogene Vertretung von Frauen als eine grundlegende Herausforderung für die Demokratie.

    2.2. Das Prinzip der Gleichbehandlung und die seiner Verwirklichung dienenden Maßnahmen sind nach Ansicht des Ausschusses ein Teil eines notwendigen Selbstverständnisses unserer Gesellschaft. Der Ausschuß unterstützt daher alle politischen und rechtlichen Maßnahmen, die dieses Ziel verfolgen. Insbesondere sind positive Maßnahmen ein wichtiges Mittel zur Bekämpfung der Diskriminierung und zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern. Die Kommission, die Mitgliedstaaten und die Sozialpartner müssen verstärkt und mehr Programme für positive Maßnahmen zugunsten von Frauen entwickeln und fördern, vor allem im Privatsektor.

    2.3. Es ist Aufgabe der Europäischen Union, dieses Selbstverständnis unter Berücksichtigung der Unterschiede in Geschichte, Kultur, des ökonomischen Hintergrundes und der sozialen Strukturen ihrer Mitgliedstaaten zu bewahren. Daraus sollte ein europäisches Konzept der Gleichberechtigung entwickelt werden, das sowohl dem Humanismus, Liberalismus als auch dem Pluralismus verpflichtet ist und einen Bezugspunkt für die Maßnahmen der Gemeinschaft und der übrigen Welt bildet.

    2.4. In diesem Zusammenhang verweist der Ausschuß auf die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1979); der Ausschuß hält es für wünschenswert, ihren Inhalt als Ausdruck des Willens der Völkergemeinschaft stärker in politischen und rechtlichen Maßnahmen der Gemeinschaft zu berücksichtigen. Dies würde auch den Erwartungen der europäischen Bürgerinnen und Bürger von heute entsprechen.

    2.5. Es erscheint nach Meinung des Ausschusses nicht nur der Bedeutung des Themas angemessen, sondern auch im höchsten Maße wünschenswert, Regelungen auch auf Ebene des Primärrechts anzustreben. Der Ausschuß begrüßt es daher, daß die Verankerung des Prinzips der Gleichbehandlung im primären Gemeinschaftsrecht im Rahmen der Regierungskonferenz bereits erörtert wird.

    2.6. Der Ausschuß fordert daher die Beteiligten auf, einen entsprechenden Artikel in den EG-Vertrag aufzunehmen, der über ein reines Diskriminierungsverbot hinaus einen grundsätzlichen Anspruch auf Gleichbehandlung von Frauen und Männern festlegt.

    3. Besondere Bemerkungen

    Der Ausschuß begrüßt grundsätzlich die Initiative der Kommission, die Frage der Gleichbehandlung von Frauen und Männern zu klären.

    3.1. Der Ausschuß hat Verständnis dafür, welche Schwierigkeiten die unmißverständliche Klarstellung dieser Frage mit sich bringt. Dennoch sollte die Kommission nach Ansicht des Ausschusses eindeutig Stellung dazu nehmen, ob die Zulässigkeit von positiven Maßnahmen - insbesondere von Quoten - in Zukunft grundsätzlich im Gemeinschaftsrecht verankert werden soll. Der Vorschlag der Kommission erfuellt jedoch nach Ansicht des Ausschusses nicht den von der Kommission selbst formulierten Anspruch der endgültigen Klärung.

    3.2. Der Ausschuß ist sich dessen bewußt, daß die Ausgangssituation für positive Maßnahmen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden ist. Gerade deshalb sollte die Kommission, wenn sie der Ansicht ist, daß das in der Richtlinie verankerte Recht des Individuums auf Gleichbehandlung mit dem Begriff der Gruppe und daher mit Quoten vereinbart werden kann, dies ausdrücklich aussprechen und eine entsprechende Begründung hierfür abgeben.

    3.3. Dazu weist der Ausschuß nochmals darauf hin, daß es im Sinne des Subsidiaritätsprinzips den Mitgliedstaaten überlassen bleiben muß, welche positiven Maßnahmen zur Durchsetzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung sie ergreifen.

    3.4. Der Ausschuß betont, daß nach seiner Ansicht eine Richtlinie nicht das geeignete Rechtsinstrument ist, um eine eindeutige und abschließende Klarstellung dieser Grundsatzfrage herbeizuführen.

    3.5. Nach Ansicht des Ausschusses ist der vorliegende Richtlinienänderungsvorschlag ein Vorgriff auf eine im Primärrecht zu erzielende Klarstellung und daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt unzweckmäßig. Der Ausschuß empfiehlt daher, die Ergebnisse der Regierungskonferenz abzuwarten.

    3.6. Aufgrund dieser grundsätzlichen Position hat der Ausschuß darauf verzichtet, im einzelnen eine Erörterung der im vorliegenden Entwurf enthaltenen Formulierungen vorzunehmen.

    3.7. Der Ausschuß setzt sich als Wahrer der Interessen der europäischen Bürgerinnen und Bürger dafür ein, daß ein Thema so weitreichender Bedeutung, wie es das Prinzip der Gleichbehandlung ist, in dem von der Regierungskonferenz zu beschließenden Vertragswerk in der Form zu behandeln ist, daß die Mitgliedstaaten primärrechtlich verpflichtet werden, die Gleichstellung von Frauen und Männern zu gewährleisten.

    3.8. Abschließend gibt der Ausschuß seiner Hoffnung Ausdruck, daß die Frage der Gleichbehandlung und deren Förderung durch positive Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene im Primärrecht in einer für die europäischen Bürgerinnen und Bürger verständlichen und zufriedenstellenden Form geregelt werden kann. In jedem Falle müsse es nach Ansicht des Ausschusses das gemeinsame Anliegen sein, das in Artikel 1 der Richtlinie 76/207/EWG formulierte Ziel - die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in den Mitgliedstaaten - auf der Grundlage klarer, unmißverständlicher rechtlicher Bestimmungen zu erreichen.

    Brüssel, den 25. September 1996.

    Der Präsident des Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Carlos FERRER

    () ABl. Nr. C 189 vom 28. 7. 1986, S. 31.

    () ABl. Nr. C 204 vom 15. 7. 1996, S. 21.

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