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Document 62022CJ0242

Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 1. August 2022.
Strafverfahren gegen TL.
Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal da Relação de Évora.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Eilvorabentscheidungsverfahren – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Richtlinie 2010/64/EU – Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen – Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 – Begriff ‚wesentliche Unterlagen‘ – Richtlinie 2012/13/EU – Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren – Art. 3 Abs. 1 Buchst. d – Anwendungsbereich – Fehlende Umsetzung in nationales Recht – Unmittelbare Wirkung – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 47 und Art. 48 Abs. 2 – Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten – Art. 6 – Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung – Verstoß gegen die Bewährungsauflagen – Unterbliebene Übersetzung wesentlicher Unterlagen und Fehlen eines Dolmetschers bei ihrer Erstellung – Widerruf der Strafaussetzung – Keine Übersetzung der den Widerruf betreffenden Verfahrenshandlungen – Folgen für die Gültigkeit des Widerrufs – Mit relativer Nichtigkeit geahndeter Verfahrensmangel.
Rechtssache C-242/22 PPU.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2022:611

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

1. August 2022 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Eilvorabentscheidungsverfahren – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Richtlinie 2010/64/EU – Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen – Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 – Begriff ‚wesentliche Unterlagen‘ – Richtlinie 2012/13/EU – Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren – Art. 3 Abs. 1 Buchst. d – Anwendungsbereich – Fehlende Umsetzung in nationales Recht – Unmittelbare Wirkung – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 47 und Art. 48 Abs. 2 – Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten – Art. 6 – Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung – Verstoß gegen die Bewährungsauflagen – Unterbliebene Übersetzung wesentlicher Unterlagen und Fehlen eines Dolmetschers bei ihrer Erstellung – Widerruf der Strafaussetzung – Keine Übersetzung der den Widerruf betreffenden Verfahrenshandlungen – Folgen für die Gültigkeit des Widerrufs – Mit relativer Nichtigkeit geahndeter Verfahrensmangel“

In der Rechtssache C‑242/22 PPU

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal da Relação de Évora (Berufungsgericht Évora, Portugal) mit Entscheidung vom 8. März 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 6. April 2022, in dem Strafverfahren

TL,

Beteiligter:

Ministério Público,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts und des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben von Richtern der Ersten Kammer, der Richterin I. Ziemele (Berichterstatterin) und des Richters A. Kumin,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von TL, vertreten durch L. C. Esteves, Advogado,

der portugiesischen Regierung, vertreten durch P. Almeida, P. Barros da Costa und C. Chambel Alves als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Rechena und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. Juli 2022

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 bis 3 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (ABl. 2010, L 280, S. 1) sowie von Art. 3 der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren (ABl. 2012, L 142, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen einer Streitigkeit zwischen TL und dem Ministério Público (Staatsanwaltschaft, Portugal) über die Folgen des fehlenden Beistands eines Dolmetschers und der unterbliebenen Übersetzung verschiedener Dokumente, die das gegen TL geführte Strafverfahren betreffen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2010/64

3

In den Erwägungsgründen 5 bis 7, 9, 14, 17, 22 und 33 der Richtlinie 2010/64 heißt es:

„(5)

In Artikel 6 der [am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten] Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten [im Folgenden: EMRK] und in Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union [im Folgenden: Charta] ist das Recht auf ein faires Verfahren verankert. Artikel 48 Absatz 2 der Charta gewährleistet die Verteidigungsrechte. Diese Richtlinie achtet die genannten Rechte und sollte entsprechend umgesetzt werden.

(6)

Zwar haben alle Mitgliedstaaten die EMRK unterzeichnet, doch hat die Erfahrung gezeigt, dass dadurch allein nicht immer ein hinreichendes Maß an Vertrauen in die Strafrechtspflege anderer Mitgliedstaaten hergestellt wird.

(7)

Die Stärkung des gegenseitigen Vertrauens erfordert eine kohärentere Umsetzung der in Artikel 6 EMRK verankerten Rechte und Garantien. Sie erfordert ferner eine Weiterentwicklung der in der EMRK und der Charta verankerten Mindestvorschriften innerhalb der Union durch diese Richtlinie und andere Maßnahmen.

(9)

Gemeinsame Mindestvorschriften sollten das Vertrauen in die Strafrechtspflege aller Mitgliedstaaten stärken, was wiederum zu einer wirksameren Zusammenarbeit der Justizbehörden in einem Klima gegenseitigen Vertrauens führen sollte. Für Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren sollten solche gemeinsamen Mindestvorschriften festgelegt werden.

(14)

Das Recht von Personen, die die Verfahrenssprache des Gerichts nicht sprechen oder nicht verstehen, auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen ergibt sich aus Artikel 6 EMRK in dessen Auslegung in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Diese Richtlinie erleichtert die praktische Anwendung dieses Rechts. Zu diesem Zweck zielt diese Richtlinie darauf ab, das Recht von verdächtigen oder beschuldigten Personen auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren im Hinblick auf die Wahrung des Rechts dieser Personen auf ein faires Verfahren zu gewährleisten.

(17)

Diese Richtlinie sollte gewährleisten, dass es unentgeltliche und angemessene sprachliche Unterstützung gibt, damit verdächtige oder beschuldigte Personen, die die Sprache des Strafverfahrens nicht sprechen oder verstehen, ihre Verteidigungsrechte in vollem Umfang wahrnehmen können und ein faires Verfahren gewährleistet wird.

(22)

Dolmetschleistungen und Übersetzungen nach dieser Richtlinie sollten in der Muttersprache der verdächtigen oder beschuldigten Personen oder einer anderen Sprache, die sie sprechen oder verstehen, zur Verfügung gestellt werden, damit sie ihre Verteidigungsrechte in vollem Umfang wahrnehmen können und um ein faires Verfahren zu gewährleisten.

(33)

Die Bestimmungen dieser Richtlinie, die den durch die EMRK oder die Charta gewährleisteten Rechten entsprechen, sollten entsprechend diesen Rechten, wie sie in der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgelegt werden, ausgelegt und umgesetzt werden.“

4

Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich“) Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)   Diese Richtlinie regelt das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls.

(2)   Das in Absatz 1 genannte Recht gilt für Personen ab dem Zeitpunkt, zu dem sie von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats durch amtliche Mitteilung oder auf sonstige Weise davon in Kenntnis gesetzt werden, dass sie der Begehung einer Straftat verdächtig oder beschuldigt sind, bis zum Abschluss des Verfahrens, worunter die endgültige Klärung der Frage zu verstehen ist, ob sie die Straftat begangen haben, gegebenenfalls einschließlich der Festlegung des Strafmaßes und der abschließenden Entscheidung in einem Rechtsmittelverfahren.“

5

Art. 2 („Recht auf Dolmetschleistungen“) der Richtlinie 2010/64 bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass verdächtigen oder beschuldigten Personen, die die Sprache des betreffenden Strafverfahrens nicht sprechen oder verstehen, unverzüglich Dolmetschleistungen während der Strafverfahren bei Ermittlungs- und Justizbehörden, einschließlich während polizeilicher Vernehmungen, sämtlicher Gerichtsverhandlungen sowie aller erforderlicher Zwischenverhandlungen, zur Verfügung gestellt werden.

(2)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Dolmetschleistungen für die Verständigung zwischen verdächtigen oder beschuldigten Personen und ihrem Rechtsbeistand in unmittelbarem Zusammenhang mit jedweden Vernehmungen und Verhandlungen während des Verfahrens oder bei der Einlegung von Rechtsmitteln oder anderen verfahrensrechtlichen Anträgen zur Verfügung stehen, wenn dies notwendig ist, um ein faires Verfahren zu gewährleisten.

(5)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass verdächtige oder beschuldigte Personen das Recht haben, eine Entscheidung, dass keine Dolmetschleistungen benötigt werden, im Einklang mit den nach einzelstaatlichem Recht vorgesehenen Verfahren anzufechten, und, wenn Dolmetschleistungen zur Verfügung gestellt wurden, die Möglichkeit haben, zu beanstanden, dass die Qualität der Dolmetschleistungen für die Gewährleistung eines fairen Verfahrens unzureichend sei.

…“

6

Art. 3 („Recht auf Übersetzung wesentlicher Unterlagen“) der Richtlinie sieht vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass verdächtige oder beschuldigte Personen, die die Sprache des Strafverfahrens nicht verstehen, innerhalb einer angemessenen Frist eine schriftliche Übersetzung aller Unterlagen erhalten, die wesentlich sind, um zu gewährleisten, dass sie imstande sind, ihre Verteidigungsrechte wahrzunehmen, und um ein faires Verfahren zu gewährleisten.

(2)   Zu den wesentlichen Unterlagen gehören jegliche Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme, jegliche Anklageschrift und jegliches Urteil.

(3)   Die zuständigen Behörden entscheiden im konkreten Fall darüber, ob weitere Dokumente wesentlich sind. Verdächtige oder beschuldigte Personen oder ihr Rechtsbeistand können einen entsprechenden begründeten Antrag stellen.

(5)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass verdächtige oder beschuldigte Personen das Recht haben, eine Entscheidung, dass keine Übersetzung von Dokumenten oder Passagen derselben benötigt wird, im Einklang mit nach einzelstaatlichem Recht vorgesehenen Verfahren anzufechten, und, wenn Übersetzungen zur Verfügung gestellt wurden, die Möglichkeit haben, zu beanstanden, dass die Qualität der Übersetzungen für die Gewährleistung eines fairen Verfahrens unzureichend sei.

…“

Richtlinie 2012/13

7

In den Erwägungsgründen 5, 7, 8, 10, 19, 25 und 40 bis 42 der Richtlinie 2012/13 heißt es:

„(5)

In Artikel 47 der Charta … und Artikel 6 der [EMRK] ist das Recht auf ein faires Verfahren verankert. Artikel 48 Absatz 2 der Charta gewährleistet die Achtung der Verteidigungsrechte.

(7)

Zwar sind alle Mitgliedstaaten Vertragsparteien der EMRK, doch hat die Erfahrung gezeigt, dass dadurch allein nicht immer ein hinreichendes Maß an Vertrauen in die Strafjustiz anderer Mitgliedstaaten geschaffen wird.

(8)

Zur Stärkung des gegenseitigen Vertrauens bedarf es detaillierter Bestimmungen zum Schutz der Verfahrensrechte und ‑garantien, die auf die Charta und die EMRK zurückgehen.

(10)

Gemeinsame Mindestvorschriften sollten das Vertrauen in die Strafrechtspflege aller Mitgliedstaaten stärken, was wiederum zu einer wirksameren Zusammenarbeit der Justizbehörden in einem Klima gegenseitigen Vertrauens führen sollte. Solche gemeinsamen Mindestvorschriften sollten im Bereich der Belehrung in Strafverfahren festgelegt werden.

(19)

Die zuständigen Behörden sollten Verdächtige oder beschuldigte Personen umgehend mündlich oder schriftlich … über [ihre] Verfahrensrechte … belehren. Damit die betreffenden Rechte zweckmäßig und wirksam ausgeübt werden können, sollte diese Belehrung umgehend im Laufe des Verfahrens und spätestens vor der ersten offiziellen Vernehmung des Verdächtigen oder der beschuldigten Person … erfolgen.

(25)

Die Mitgliedstaaten sollten bei der Belehrung und Unterrichtung gemäß dieser Richtlinie sicherstellen, dass den Verdächtigen oder den beschuldigten Personen erforderlichenfalls Übersetzungen und Dolmetschleistungen in einer Sprache, die sie verstehen, gemäß den Standards der Richtlinie [2010/64] bereitgestellt werden.

(40)

Mit dieser Richtlinie werden Mindestvorschriften erlassen. Die Mitgliedstaaten können die in dieser Richtlinie festgelegten Rechte ausweiten, um auch in Situationen, die von dieser Richtlinie nicht ausdrücklich erfasst sind, ein höheres Schutzniveau zu bieten. Das Schutzniveau sollte nie unter den Standards der EMRK in der Auslegung durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte liegen.

(41)

Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die mit der Charta anerkannt wurden. Mit dieser Richtlinie sollen insbesondere das Recht auf Freiheit, das Recht auf ein faires Verfahren und die Verteidigungsrechte gefördert werden. Sie sollte entsprechend umgesetzt werden.

(42)

Die Bestimmungen dieser Richtlinie, die den in der EMRK gewährleisteten Rechten entsprechen, sollten im Einklang mit diesen Rechten, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgelegt werden, ausgelegt und umgesetzt werden.“

8

Art. 1 („Gegenstand“) dieser Richtlinie bestimmt:

„Mit dieser Richtlinie werden Bestimmungen über das Recht von Verdächtigen oder von beschuldigten Personen auf Belehrung über Rechte in Strafverfahren und auf Unterrichtung über den gegen sie erhobenen Tatvorwurf festgelegt. …“

9

Art. 2 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 der Richtlinie 2012/13 lautet:

„Diese Richtlinie gilt ab dem Zeitpunkt, zu dem Personen von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats davon in Kenntnis gesetzt werden, dass sie der Begehung einer Straftat verdächtig oder beschuldigt sind, bis zum Abschluss des Verfahrens, worunter die endgültige Klärung der Frage zu verstehen ist, ob der Verdächtige oder die beschuldigte Person die Straftat begangen hat, gegebenenfalls einschließlich der Festlegung des Strafmaßes und der abschließenden Entscheidung in einem Rechtsmittelverfahren.“

10

Art. 3 („Recht auf Rechtsbelehrung“) der Richtlinie sieht vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verdächtige oder beschuldigte Personen umgehend mindestens über folgende Verfahrensrechte in ihrer Ausgestaltung nach dem innerstaatlichen Recht belehrt werden, um die wirksame Ausübung dieser Rechte zu ermöglichen:

d) das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen;

(2)   Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die in Absatz 1 vorgesehene Rechtsbelehrung entweder mündlich oder schriftlich in einfacher und verständlicher Sprache erfolgt, wobei etwaige besondere Bedürfnisse schutzbedürftiger Verdächtiger oder schutzbedürftiger beschuldigter Personen berücksichtigt werden.“

Portugiesisches Recht

11

Art. 92 („Sprache der Verfahrenshandlungen und Bestellung eines Dolmetschers“) des Código de processo penal (Strafprozessordnung, im Folgenden: CPP) bestimmt in Abs. 1 und 2:

„1.   Sowohl bei schriftlichen als auch bei mündlichen Verfahrenshandlungen ist die portugiesische Sprache zu verwenden, anderenfalls sind diese nichtig.

2.   Wenn eine Person, die keine Kenntnisse der portugiesischen Sprache besitzt oder diese nicht beherrscht, am Verfahren teilnimmt, wird – ohne Kosten für diese Person – ein geeigneter Dolmetscher bestellt …“

12

Art. 120 CPP bestimmt:

„1.   Jede andere als die im vorstehenden Artikel genannte Nichtigkeit muss von den betroffenen Personen geltend gemacht werden und unterliegt den Bestimmungen dieses und des folgenden Artikels.

2.   Die von der Geltendmachung abhängige Nichtigkeit gilt, neben den in anderen Rechtsvorschriften vorgesehenen Fällen, in folgenden Fällen:

c)

Nichtbestellung eines Dolmetschers in den Fällen, in denen das Gesetz dies vorschreibt;

3.   Die in den vorstehenden Absätzen genannte Nichtigkeit muss geltend gemacht werden:

a)

im Fall der Nichtigkeit einer Handlung, bei der der Betroffene anwesend ist, bevor die Handlung abgeschlossen ist;

…“

13

Art. 122 CPP („Wirkungen der Nichtigerklärung“) Abs. 1 lautet:

„Die Nichtigkeit führt zur Ungültigkeit der Handlung, bei der sie vorliegt, sowie der Handlungen, die von dieser abhängen und durch deren Nichtigkeit beeinträchtigt sein können.“

14

In Art. 196 CPP, in dem die „Erklärung über die Identität und den Wohnsitz“ („Termo de Identidade e Residência“, im Folgenden: TIR) geregelt ist, heißt es:

„1.   Die Justizbehörde oder das Organ der Kriminalpolizei verlangt im Verfahren von jedem Beschuldigten die Abgabe eines [TIR], auch wenn er bereits identifiziert worden ist.

2.   Der Beschuldigte gibt … seinen Wohnsitz, den Arbeitsort oder eine andere Anschrift seiner Wahl an.

3.   Aus dem [TIR] muss hervorgehen, dass er Kenntnis erhalten hat von

a)

der Verpflichtung, vor der zuständigen öffentlichen Stelle zu erscheinen oder sich zu ihrer Verfügung zu halten, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist oder wenn er ordnungsgemäß vorgeladen wurde;

b)

der Verpflichtung, den Wohnsitz nicht zu wechseln und nicht für mehr als fünf Tage zu verlassen, ohne seinen neuen Wohnsitz oder den Ort, an dem er angetroffen werden kann, mitzuteilen;

c)

dem Umstand, dass spätere Zustellungen durch einfache Post an die in Abs. 2 angegebene Anschrift erfolgen, es sei denn, der Beschuldigte teilt eine andere Anschrift durch einen Antrag mit, der bei der Geschäftsstelle, bei der die Akte zu diesem Zeitpunkt geführt wird, abgegeben oder dieser per Einschreiben zugesandt wurde;

d)

dem Umstand, dass die Nichteinhaltung der in den vorstehenden Buchstaben enthaltenen Vorschriften seine Vertretung durch einen Verteidiger bei allen Verfahrenshandlungen, bei denen er das Recht oder die Pflicht hat, anwesend zu sein, sowie die Durchführung der Verhandlung in seiner Abwesenheit … rechtfertigt;

e)

dem Umstand, dass der [TIR] im Falle einer Verurteilung erst mit Erlöschen der Strafe erlischt.

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

15

Am 10. Juli 2019 wurde gegen TL, einen moldauischen Staatsangehörigen, der der portugiesischen Sprache nicht mächtig war, in Portugal eine Voruntersuchung wegen Widerstands und Nötigung gegenüber einem Beamten, gefährdenden Führens eines Kraftfahrzeugs und Führens eines Kraftfahrzeugs ohne Fahrerlaubnis eröffnet. Die entsprechende Niederschrift wurde in die rumänische Sprache, die Amtssprache der Republik Moldau, übersetzt.

16

Am selben Tag wurde von den zuständigen Behörden der TIR erstellt, ohne dass ein Dolmetscher beigezogen und dieses Dokument ins Rumänische übersetzt worden wäre.

17

Mit Urteil vom 11. Juli 2019, das am 26. September 2019 rechtskräftig wurde, wurde TL zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren, deren Vollstreckung für denselben Zeitraum unter Auflagen ausgesetzt wurde, zu einer Nebenstrafe in Form eines zwölfmonatigen Fahrverbots für Kraftfahrzeuge und einer Geldstrafe in Höhe von 480 Euro (80 Tagessätze zu je 6 Euro) verurteilt. In der Hauptverhandlung wurde TL von einer Rechtanwältin und einer Dolmetscherin unterstützt.

18

Im Hinblick auf die Durchführung der im Urteil vom 11. Juli 2019 vorgesehenen Bewährungsregelung versuchten die zuständigen Behörden vergeblich, mit TL unter der im TIR angegebenen Anschrift Kontakt aufzunehmen.

19

TL wurde daraufhin mit Beschluss des Tribunal Judicial da Comarca de Beja (Bezirksgericht Beja, Portugal) vom 7. Januar 2021, zugestellt am 12. Januar 2021 an die im TIR angegebene Anschrift, vorgeladen, um zum Verstoß gegen die im Urteil vom 11. Juli 2019 festgelegten Bewährungsauflagen gehört zu werden. Am 6. April 2021 wurde eine erneute Zustellung an dieselbe Anschrift vorgenommen. Beide Zustellungen erfolgten in portugiesischer Sprache.

20

Da TL zum angegebenen Termin nicht erschien, widerrief das Bezirksgericht mit Beschluss vom 9. Juni 2021 die Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe. Dieser Beschluss, der am 25. Juni 2021 in portugiesischer Sprache sowohl TL an der im TIR angegebenen Anschrift als auch seiner Rechtsanwältin zugestellt wurde, wurde am 20. September 2021 rechtskräftig.

21

Am 30. September 2021 wurde TL an seiner neuen Anschrift zur Verbüßung seiner Strafe festgenommen. Seitdem befindet er sich in Haft.

22

Nachdem er am 11. Oktober 2021 einen neuen Rechtsanwalt bestellt hatte, beantragte TL am 18. November 2021, die Nichtigkeit u. a. des TIR sowie der Beschlüsse vom 7. Januar 2021 über die Vorladung und vom 9. Juni 2021 über den Widerruf der Strafaussetzung festzustellen.

23

Zur Stützung dieses Antrags machte er geltend, er sei wegen eines Wohnsitzwechsels nicht unter der im TIR angegebenen Adresse erreichbar gewesen und habe daher die Zustellungen dieser Beschlüsse nicht empfangen können. Er habe den Wohnsitzwechsel nicht mitgeteilt, weil er nicht gewusst habe, dass er dies tun müsse, da der TIR, in dem die entsprechende Verpflichtung und die Folgen ihrer Nichteinhaltung festgelegt seien, nicht ins Rumänische übersetzt worden sei. Außerdem habe ihm weder bei dieser Gelegenheit noch bei der Eröffnung der Voruntersuchung ein Dolmetscher beigestanden. Schließlich sei weder der Beschluss vom 7. Januar 2021, mit dem er wegen Verstoßes gegen die Bewährungsauflagen vorgeladen worden sei, noch der Beschluss vom 9. Juni 2021 über den Widerruf der Strafaussetzung in eine Sprache übersetzt worden, die er spreche oder verstehe.

24

Das im ersten Rechtszug damit befasste Tribunal Judicial da Comarca de Beja (Bezirksgericht Beja) wies den Antrag mit der Begründung zurück, dass die von TL gerügten Verfahrensfehler zwar vorlägen, aber geheilt seien, weil sie nicht innerhalb der in Art. 120 Abs. 3 CPP vorgesehenen Fristen gerügt worden seien.

25

Das mit dem Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung befasste vorlegende Gericht hegt Zweifel an der Vereinbarkeit dieser nationalen Bestimmung mit den Richtlinien 2010/64 und 2012/13 in Verbindung mit Art. 6 EMRK.

26

Es weist erstens darauf hin, dass diese Richtlinien noch nicht in portugiesisches Recht umgesetzt worden seien, obwohl die Umsetzungsfristen abgelaufen seien. Die einschlägigen Richtlinienbestimmungen entfalteten allerdings unmittelbare Wirkung und seien daher unmittelbar auf das Ausgangsverfahren anwendbar, weil sie unbedingt, hinreichend klar und genau seien und dem Einzelnen ein Recht auf Dolmetschleistungen, Übersetzungen sowie Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren verliehen.

27

Zweitens fielen die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Handlungen, d. h. der TIR sowie die Beschlüsse vom 7. Januar 2021 über die Vorladung von TL und vom 9. Juni 2021 über den Widerruf der Strafaussetzung, wegen ihrer Bedeutung für die Verteidigungsrechte von Beschuldigten und in Anbetracht der darin enthaltenen verfahrensrechtlichen Informationen unter den Begriff „wesentliche Unterlagen“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2010/64. Insbesondere werde der Betroffene mit dem TIR über die Wohnsitzauflagen und vor allem die Pflicht, den Behörden jede Änderung seiner Anschrift mitzuteilen, unterrichtet.

28

In Anbetracht dieser Erwägungen stellt sich dem vorlegenden Gericht die Frage, ob es die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung unangewendet zu lassen hat, nach der – wie im vorliegenden Fall – Verfahrensfehler im Zusammenhang mit dem fehlenden Beistand eines Dolmetschers und der unterbliebenen Übersetzung wesentlicher Unterlagen in eine für den Betroffenen verständliche Sprache innerhalb der vorgesehenen Ausschlussfristen geltend gemacht werden müssen.

29

Unter diesen Umständen hat das Tribunal da Relação de Évora (Berufungsgericht Évora, Portugal) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Können die Art. 1 bis 3 der Richtlinie 2010/64 sowie Art. 3 der Richtlinie 2012/13 allein oder in Verbindung mit Art. 6 EMRK dahin ausgelegt werden, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegenstehen, die die Nichtbestellung eines Dolmetschers und die fehlende Übersetzung von für einen Beschuldigten, der die Verfahrenssprache nicht versteht, wesentlichen Verfahrenshandlungen mit relativer – von der Geltendmachung abhängiger – Nichtigkeit belegt und die Heilung dieser Mängel durch Zeitablauf zulässt?

Zum Antrag auf Anwendung des Eilvorabentscheidungsverfahrens

30

Das vorlegende Gericht hat beantragt, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilvorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 23a Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen.

31

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Anwendung dieses Verfahrens erfüllt sind.

32

Zum einen betrifft das Vorabentscheidungsersuchen die Auslegung von Bestimmungen der Richtlinien 2010/64 und 2012/13, die zu den von Titel V („Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“) des Dritten Teils des AEU‑Vertrags erfassten Bereichen gehören. Daher kann dieses Ersuchen Gegenstand des Eilvorabentscheidungsverfahrens sein.

33

Was zum anderen das Kriterium der Dringlichkeit betrifft, ist dieses nach der ständigen Rechtsprechung erfüllt, wenn der im Ausgangsverfahren betroffenen Person zum Zeitpunkt der Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens ihre Freiheit entzogen ist und ihre weitere Inhaftierung von der Entscheidung im Ausgangsverfahren abhängt (Urteil vom 28. April 2022, C und CD [Rechtliche Hindernisse der Durchführung einer Übergabeentscheidung], C‑804/21 PPU, EU:C:2022:307, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Aus der Sachverhaltsdarstellung des vorlegenden Gerichts ergibt sich, dass TL, dem im Ausgangsverfahren Betroffenen, zum Zeitpunkt der Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens tatsächlich seine Freiheit entzogen war.

35

Außerdem möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob es mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine nationale Regelung angewandt wird, nach der bestimmte Mängel, die im Rahmen eines Strafverfahrens aufgetreten sind und die insbesondere zum Widerruf der Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe, zu der der Betroffene verurteilt wurde, geführt haben, nur unter Einhaltung bestimmter Fristen geltend gemacht werden können. Je nach der Antwort des Gerichtshofs auf die Vorlagefrage könnte sich das vorlegende Gericht somit dazu veranlasst sehen, die mangelbehafteten Handlungen für nichtig zu erklären und damit die Freilassung von TL anzuordnen.

36

Unter diesen Umständen hat die Erste Kammer des Gerichtshofs am 12. Mai 2022 auf Vorschlag der Berichterstatterin und nach Anhörung des Generalanwalts beschlossen, dem Antrag des vorlegenden Gerichts, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilvorabentscheidungsverfahren zu unterwerfen, stattzugeben.

Zur Vorlagefrage

37

Auch wenn das vorlegende Gericht seine Frage der Form nach auf die Auslegung einer bestimmten Unionsrechtsvorschrift beschränkt hat, hindert dies den Gerichtshof im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit nicht daran, ihm alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die für die Entscheidung in dem bei ihm anhängigen Verfahren von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen hat. Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten vom nationalen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Ausgangsrechtsstreits einer Auslegung bedürfen (Urteil vom 15. Juli 2021, DocMorris, C‑190/20, EU:C:2021:609, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Da sich die Vorlagefrage auf die Art. 1 bis 3 der Richtlinie 2010/64 und Art. 3 der Richtlinie 2012/13 allein oder in Verbindung mit Art. 6 EMRK bezieht, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass diese letztere Bestimmung das Recht auf ein faires Verfahren und die Achtung der Verteidigungsrechte garantiert, was nach Art. 6 Abs. 3 EMRK das Recht jeder angeklagten Person umfasst, innerhalb möglichst kurzer Frist in einer Sprache, die sie spricht oder versteht, in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden und unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht spricht oder versteht.

39

Zum anderen sieht Art. 52 Abs. 3 der Charta vor, dass, soweit die Charta Rechte enthält, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, diese Rechte die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der EMRK verliehen werden. Nach den Erläuterungen zu Art. 47 und Art. 48 Abs. 2 der Charta, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 der Charta bei deren Auslegung zu berücksichtigen sind, entsprechen diese Bestimmungen Art. 6 Abs. 1 bzw. Art. 6 Abs. 2 und 3 EMRK (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. November 2021, IS [Rechtswidrigkeit des Vorlagebeschlusses], C‑564/19, EU:C:2021:949, Rn. 101).

40

Was ferner die Auslegung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Richtlinien betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass nach den Erwägungsgründen 5 bis 7, 9 und 33 sowie Art. 1 der Richtlinie 2010/64 und den Erwägungsgründen 5, 7, 8, 10 und 42 sowie Art. 1 der Richtlinie 2012/13 mit diesen Richtlinien gemeinsame Mindestvorschriften zum Schutz der sich aus Art. 47 und Art. 48 Abs. 2 der Charta sowie Art. 6 EMRK ergebenden Verfahrensgarantien und ‑rechte, insbesondere im Bereich der Dolmetschleistungen, Übersetzungen sowie Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren, festgelegt werden sollen und dass diese Mindestvorschriften im Einklang mit diesen Rechten ausgelegt und umgesetzt werden sollten, um das gegenseitige Vertrauen in die Strafrechtspflege der Mitgliedstaaten zu stärken und damit die Effizienz der justiziellen Zusammenarbeit in diesem Bereich zu verbessern.

41

So müssen die Mitgliedstaaten nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2010/64 sicherstellen, dass verdächtigen oder beschuldigten Personen, die die Sprache des betreffenden Strafverfahrens nicht sprechen oder verstehen, unverzüglich Dolmetschleistungen während der Strafverfahren bei Ermittlungs- und Justizbehörden zur Verfügung gestellt werden, während sie nach Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie sicherstellen müssen, dass verdächtige oder beschuldigte Personen, die diese Sprache nicht verstehen, innerhalb einer angemessenen Frist eine schriftliche Übersetzung aller Unterlagen erhalten, die wesentlich sind, um zu gewährleisten, dass sie imstande sind, ihre Verteidigungsrechte wahrzunehmen, und um ein faires Verfahren zu gewährleisten. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2012/13 müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Verdächtige oder beschuldigte Personen umgehend über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen belehrt werden, um die wirksame Ausübung dieser Rechte zu ermöglichen.

42

Daher ist zum einen festzustellen, dass es im Ausgangsverfahren vor allem um Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2010/64 sowie Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2012/13 geht, und zum anderen, dass diese Vorschriften die Grundrechte auf ein faires Verfahren und auf Achtung der Verteidigungsrechte, wie sie insbesondere in Art. 47 und Art. 48 Abs. 2 der Charta verankert sind, konkretisieren und anhand dieser letzteren Bestimmungen auszulegen sind.

43

Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2010/64 sowie Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2012/13 in Verbindung mit Art. 47 und Art. 48 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die Verletzung der in diesen Richtlinienbestimmungen verankerten Rechte zum einen nur von dem durch diese Rechte Begünstigten geltend gemacht werden kann und zum anderen innerhalb einer bestimmten Ausschlussfrist geltend gemacht werden muss.

44

Hierzu ist zunächst festzustellen, dass TL, wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, bei der Erstellung des TIR kein Dolmetscher beigestanden hat und dass dieses Dokument nicht für ihn in eine Sprache übersetzt wurde, die er spricht oder versteht. Auch der Beschluss vom 7. Januar 2021, mit dem er wegen Verstoßes gegen die Bewährungsauflagen vorgeladen wurde, und der Beschluss vom 9. Juni 2021 über den Widerruf der Strafaussetzung wurden nicht in eine für TL verständliche Sprache übersetzt.

45

Sodann wird zwar in der Vorlageentscheidung nicht ausdrücklich erwähnt, dass TL bei der Eröffnung der Voruntersuchung nicht über sein Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzung der wesentlichen Unterlagen des gegen ihn geführten Strafverfahrens belehrt wurde, doch geht das vorlegende Gericht ersichtlich davon aus, dass eine solche Belehrung nicht erfolgt ist, weshalb es den Gerichtshof nicht nur zur Auslegung der Richtlinie 2010/64, sondern auch zur Auslegung der Richtlinie 2012/13 befragt.

46

Schließlich heißt es in der Vorlageentscheidung, dass Art. 92 Abs. 2 CPP, der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar sei, die Bestellung eines Dolmetschers in Verfahren vorschreibe, die eine Person beträfen, die keine Kenntnisse der portugiesischen Sprache besitze oder diese nicht beherrsche, und dass nach Art. 120 CPP die Nichtbestellung eines Dolmetschers bei der Vornahme einer Handlung im Beisein des Betroffenen zur Nichtigkeit dieser Handlung führen kann, wenn erstens die Nichtigkeit vom Betroffenen geltend gemacht wird und zweitens die Geltendmachung erfolgt, bevor die Handlung abgeschlossen ist.

47

Die in Rn. 43 des vorliegenden Urteils umformulierte Frage ist daher anhand dieses Kontexts zu prüfen.

48

Zur Beantwortung dieser Frage ist erstens festzustellen, dass sich TL selbst dann, wenn Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2010/64 sowie Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2012/13 nicht oder nicht vollständig in das portugiesische Recht umgesetzt worden sein sollten – was nach Ansicht des vorlegenden Gerichts feststeht, von der portugiesischen Regierung aber bestritten zu werden scheint –, auf die Rechte berufen kann, die sich aus diesen Bestimmungen ergeben, da diese, wie das vorlegende Gericht und alle am Verfahren vor dem Gerichtshof Beteiligten ausgeführt haben, unmittelbare Wirkung entfalten.

49

Der Einzelne kann sich nämlich in allen Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor den nationalen Gerichten gegenüber dem betreffenden Mitgliedstaat auf diese Bestimmungen berufen, wenn der Mitgliedstaat die Richtlinie nicht fristgemäß oder unzulänglich in nationales Recht umgesetzt hat (Urteil vom 14. Januar 2021, RTS infra und Aannemingsbedrijf Norré-Behaegel, C‑387/19, EU:C:2021:13, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50

Insoweit hat der Gerichtshof klargestellt, dass eine Unionsvorschrift zum einen unbedingt ist, wenn sie eine Verpflichtung normiert, die an keine Bedingung geknüpft ist und zu ihrer Durchführung oder Wirksamkeit auch keiner weiteren Maßnahmen der Unionsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf, und sie zum anderen hinreichend genau ist, um von einem Einzelnen geltend gemacht und vom Gericht angewandt zu werden, wenn sie in unzweideutigen Worten eine Verpflichtung festlegt (Urteil vom 14. Januar 2021, RTS infra und Aannemingsbedrijf Norré-Behaegel, C‑387/19, EU:C:2021:13, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

51

Der Gerichtshof hat außerdem entschieden, dass eine Bestimmung einer Richtlinie auch dann, wenn die Richtlinie den Mitgliedstaaten einen gewissen Gestaltungsspielraum beim Erlass der Durchführungsvorschriften lässt, als unbedingt und genau angesehen werden kann, wenn sie den Mitgliedstaaten unmissverständlich eine Verpflichtung zur Erreichung eines bestimmten Ergebnisses auferlegt, die im Hinblick auf die Anwendung der dort aufgestellten Regel durch keinerlei Bedingungen eingeschränkt ist (Urteil vom 14. Januar 2021, RTS infra und Aannemingsbedrijf Norré-Behaegel, C‑387/19, EU:C:2021:13, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52

Da Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2010/64 sowie Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2012/13, wie der Generalanwalt in den Nrn. 58 bis 62 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, Inhalt und Umfang der Rechte, die verdächtigen oder beschuldigten Personen in Bezug auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen wesentlicher Unterlagen sowie auf entsprechende Belehrung und Unterrichtung zustehen, genau und unbedingt bestimmen, kommt ihnen unmittelbare Wirkung zu, so dass jeder durch diese Rechte Begünstigte sie dem Mitgliedstaat vor den nationalen Gerichten entgegenhalten kann.

53

Zweitens ist festzustellen, dass die drei im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verfahrenshandlungen, nämlich der TIR, der Beschluss vom 7. Januar 2021, mit dem TL vorgeladen wurde, und der Beschluss vom 9. Juni 2021 über den Widerruf der Strafaussetzung in den Anwendungsbereich der Richtlinien 2010/64 und 2012/13 fallen und insbesondere wesentliche Unterlagen darstellen, deren schriftliche Übersetzung TL gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2010/64 zur Verfügung hätte gestellt werden müssen.

54

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2010/64 und Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2012/13 die darin anerkannten Rechte für Personen ab dem Zeitpunkt gelten, zu dem sie von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats davon in Kenntnis gesetzt werden, dass sie der Begehung einer Straftat verdächtig oder beschuldigt sind, bis zum Abschluss des Strafverfahrens, worunter die endgültige Klärung der Frage zu verstehen ist, ob die verdächtige oder beschuldigte Person die ihr zur Last gelegte Straftat begangen hat, gegebenenfalls einschließlich der Festlegung des Strafmaßes und der abschließenden Entscheidung in einem Rechtsmittelverfahren.

55

Aus den in der vorstehenden Randnummer angeführten Bestimmungen ergibt sich somit, dass diese Richtlinien auf Strafverfahren anwendbar sind, soweit mit ihnen geklärt werden soll, ob die verdächtige oder beschuldigte Person eine Straftat begangen hat (Urteil vom 16. Dezember 2021, AB u. a. [Rücknahme einer Amnestie], C‑203/20, EU:C:2021:1016, Rn. 69).

56

Dagegen kann ein Verfahren, das nicht die Feststellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit einer Person zum Gegenstand hat, wie ein Verfahren mit Gesetzgebungscharakter über die Rücknahme einer Amnestie oder ein gerichtliches Verfahren, das die Überprüfung der Vereinbarkeit dieser Rücknahme mit der nationalen Verfassung zum Gegenstand hat, nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2012/13 fallen (Urteil vom 16. Dezember 2021, AB u. a. [Rücknahme einer Amnestie], C‑203/20, EU:C:2021:1016, Rn. 70 und 71).

57

Ebenso wenig fällt ein besonderes Verfahren wie ein Verfahren, das die Anerkennung einer rechtskräftigen Entscheidung eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats zum Gegenstand hat, deren Übersetzung der Betroffene gemäß Art. 3 der Richtlinie 2010/64 bereits erhalten hatte, in deren Anwendungsbereich, da zum einen ein solches Verfahren definitionsgemäß nach der endgültigen Klärung der Frage, ob die verdächtige oder beschuldigte Person die ihr zur Last gelegte Straftat begangen hat, und gegebenenfalls nach der Verurteilung dieser Person stattfindet und zum anderen eine erneute Übersetzung dieser Gerichtsentscheidung zum Schutz der Verteidigungsrechte des Betroffenen oder seines Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nicht erforderlich und folglich nicht durch die mit der Richtlinie 2010/64 verfolgten Ziele gerechtfertigt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juni 2016, Balogh, C‑25/15, EU:C:2016:423, Rn. 37 bis 40).

58

In diesem Zusammenhang soll die Richtlinie 2010/64, wie sich insbesondere aus ihren Erwägungsgründen 14, 17 und 22 ergibt, das Recht von verdächtigen oder beschuldigten Personen, die die Verfahrenssprache nicht sprechen oder nicht verstehen, auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen gewährleisten, indem die praktische Anwendung dieses Rechts erleichtert wird, um für ein faires Verfahren zu sorgen. Daher haben die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie sicherzustellen, dass solche Personen innerhalb einer angemessenen Frist eine schriftliche Übersetzung aller wesentlichen Unterlagen, zu denen insbesondere jegliche Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme, jegliche Anklageschrift und jegliches gegen sie ergangene Urteil gehören, erhalten, damit sie imstande sind, ihre Verteidigungsrechte wahrzunehmen, und um ein faires Verfahren zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juni 2016, Balogh, C‑25/15, EU:C:2016:423, Rn. 38).

59

Allerdings sind, wie sowohl das vorlegende Gericht als auch alle am Verfahren vor dem Gerichtshof Beteiligten im Wesentlichen ausgeführt haben, die drei im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verfahrenshandlungen – anders als dies in den Rechtssachen der Fall war, in denen die Urteile vom 16. Dezember 2021, AB u. a. (Rücknahme einer Amnestie) (C‑203/20, EU:C:2021:1016), und vom 9. Juni 2016, Balogh (C‑25/15, EU:C:2016:423), ergangen sind – Teil des Verfahrens, in dem die strafrechtliche Verantwortlichkeit von TL festgestellt wurde, und die Anwendung der Richtlinien 2010/64 und 2012/13 auf diese Handlungen ist durch die mit den Richtlinien verfolgten Ziele voll und ganz gerechtfertigt.

60

Was zum einen den TIR betrifft, ergibt sich aus der Vorlageentscheidung und aus Art. 196 CPP, dass diese Erklärung, die ab der Eröffnung der Voruntersuchung als eines Abschnitts des gegen eine Person geführten Strafverfahrens erstellt wird, eine vorgeschaltete Zwangsmaßnahme darstellt, mit der für diese Person eine Reihe von Pflichten und die mit deren Nichterfüllung verbundenen verfahrensrechtlichen Folgen festgelegt werden und es insbesondere den zuständigen Behörden ermöglicht wird, die Anschrift zu erfahren, an der sich diese Person zu ihrer Verfügung halten soll, wobei u. a. jede Änderung der Anschrift gemeldet werden muss. Diese Zwangsmaßnahme bleibt bis zur Tilgung der Strafe, zu der diese Person gegebenenfalls verurteilt wird, wirksam. Die Nichtbeachtung dieser Zwangsmaßnahme kann somit zum Widerruf der Aussetzung einer verhängten Strafe führen. In Anbetracht der Pflichten und der erheblichen Folgen, die sich für die betroffene Person während des gesamten Strafverfahrens aus dem TIR ergeben, und der Tatsache, dass sie durch diese Erklärung hierüber belehrt wird, geht das vorlegende Gericht zu Recht davon aus, dass der TIR zu den „wesentlichen Unterlagen“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2010/64 gehört, wobei Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2010/64 im Übrigen klarstellt, dass „die zuständigen Behörden … im konkreten Fall darüber [entscheiden], ob weitere Dokumente wesentlich sind“.

61

Folglich hatte TL nach Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2010/64 ein Recht auf eine schriftliche Übersetzung des TIR sowie auf den Beistand eines Dolmetschers bei der Erstellung dieser Erklärung. Außerdem hatte er gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2012/13 ein Recht darauf, über diese Rechte belehrt zu werden. Insoweit ergibt sich aus dem 19. Erwägungsgrund der Richtlinie 2012/13, dass diese Belehrung umgehend im Lauf des Verfahrens und spätestens vor der ersten offiziellen Vernehmung des Verdächtigen oder der beschuldigten Person durch die Polizei oder eine andere zuständige Behörde erfolgen sollte, damit diese Verfahrensrechte zweckmäßig und wirksam ausgeübt werden können.

62

Die portugiesische Regierung hat zwar in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof vorgetragen, dass die Rechte nach den in der vorstehenden Randnummer genannten Bestimmungen in Strafverfahren gegen Personen, die die portugiesische Sprache nicht verstünden, im Allgemeinen gewahrt würden. Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch hervor, dass dies in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Situation nicht der Fall war, da TL über die in Art. 196 CPP vorgesehene Pflicht, seinen Wohnsitz nicht zu wechseln, ohne seine neue Anschrift mitzuteilen, nicht belehrt wurde und ihr damit nicht nachkommen konnte. Dies hatte zur Folge, dass die Versuche der für die Kontrolle der Erfüllung der Bewährungsauflagen zuständigen Behörden, mit TL an der im TIR angegebenen Anschrift Kontakt aufzunehmen, fehlschlugen. Außerdem wurden der Beschluss vom 7. Januar 2021, mit dem TL wegen Verstoßes gegen diese Auflagen vorgeladen wurde, und der Beschluss vom 9. Juni 2021 über den Widerruf der Strafaussetzung an diese und nicht an seine neue Anschrift zugestellt, so dass TL von diesen Beschlüssen nicht Kenntnis nehmen konnte.

63

Zum anderen ist festzustellen, dass diese Beschlüsse, wie die portugiesische Regierung und die Kommission ausgeführt haben, Verfahrenshandlungen darstellen, die die Verurteilung des Betroffenen ergänzen und noch Teil des Strafverfahrens im Sinne der Richtlinien 2010/64 und 2012/13 sind.

64

Insoweit ist die Anwendung der Richtlinien 2010/64 und 2012/13 auf Verfahrenshandlungen im Zusammenhang mit einem etwaigen Widerruf der Aussetzung der gegen die betroffene Person verhängten Freiheitsstrafe, ohne dass diese Person in die Lage versetzt worden wäre, die im Lauf des Strafverfahrens erstellten wesentlichen Unterlagen zu verstehen, im Hinblick auf das Ziel dieser Richtlinien erforderlich, das darin besteht, die Wahrung des in Art. 47 der Charta verankerten Rechts auf ein faires Verfahren und die in Art. 48 Abs. 2 der Charta garantierte Achtung der Verteidigungsrechte zu gewährleisten und damit das gegenseitige Vertrauen in die Strafrechtspflege der Mitgliedstaaten zu stärken, um die Effizienz der justiziellen Zusammenarbeit in diesem Bereich zu verbessern.

65

Diese Grundrechte würden nämlich verletzt, wenn einer Person, die wegen einer Straftat zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt wurde, die Möglichkeit genommen würde, insbesondere zu den Gründen, aus denen sie gegen die Bewährungsauflagen verstoßen hat, gehört zu werden, weil die Vorladung nicht übersetzt wurde oder in der Verhandlung über einen Widerruf der Strafaussetzung kein Dolmetscher anwesend war. Diese Möglichkeit der Anhörung setzt somit zum einen voraus, dass die betroffene Person die Ladung zur Verhandlung über einen Widerruf der Strafaussetzung in einer Sprache erhält, die sie spricht oder versteht, da sie sonst nicht als ordnungsgemäß geladen und über die Gründe dieser Ladung unterrichtet gilt, und zum anderen, dass ihr in dieser Verhandlung erforderlichenfalls ein Dolmetscher zur Verfügung gestellt wird, damit sie tatsächlich in der Lage ist, die Gründe – die möglicherweise berechtigt sind und damit die Aufrechterhaltung der Strafaussetzung rechtfertigen können – zu erläutern, aus denen sie gegen die Bewährungsauflagen verstoßen hat.

66

Ferner muss, da der Beschluss über den Widerruf der Strafaussetzung zur Vollstreckung der gegen die betroffene Person verhängten Freiheitsstrafe führt, auch dieser Beschluss – wenn diese Person die Verfahrenssprache nicht spricht oder versteht – übersetzt werden, damit sie insbesondere die ihn tragenden Gründe verstehen und gegebenenfalls einen Rechtsbehelf gegen ihn einlegen kann.

67

Diese Auslegung wird durch die Systematik der Richtlinie 2010/64 gestützt. Zum einen bezieht sich die Richtlinie nach ihrem Art. 1 Abs. 2 ausdrücklich auf die „Festlegung des Strafmaßes“, und zum anderen schließt nach ihrem Art. 3 Abs. 2 der Begriff „wesentliche Unterlagen“ ausdrücklich „jegliche Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme“ ein, so dass es widersprüchlich wäre, Handlungen in Bezug auf einen Widerruf der Strafaussetzung vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen, da diese Handlungen letztlich zur tatsächlichen Inhaftierung der betroffenen Person und damit zum größtmöglichen Eingriff in ihre Grundrechte im Lauf des Strafverfahrens führen.

68

Darüber hinaus hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine Person, wenn eine Verfahrenshandlung nur in der Sprache des jeweiligen Verfahrens an sie gerichtet wird, obwohl sie diese Sprache nicht beherrscht, nicht in der Lage ist, die ihr gegenüber erhobenen Vorwürfe zu verstehen, und somit ihre Verteidigungsrechte nicht wirksam ausüben kann, wenn sie nicht eine entsprechende Übersetzung in eine Sprache erhält, die sie spricht oder versteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Oktober 2017, Sleutjes, C‑278/16, EU:C:2017:757, Rn. 33).

69

Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass weder der Beschluss vom 7. Januar 2021, mit dem TL vorgeladen wurde, noch der Beschluss vom 9. Juni 2021 über den Widerruf der Strafaussetzung ins Rumänische übersetzt wurde. Außerdem wurde TL nicht über sein Recht belehrt, Übersetzungen dieser Beschlüsse zu erhalten. Schließlich ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten nicht, dass TL in der Verhandlung über die Verstöße gegen die Bewährungsauflagen ein Dolmetscher zur Verfügung gestellt oder auch nur über dieses Recht belehrt worden wäre.

70

Wie sich aus den Rn. 61 und 69 des vorliegenden Urteils ergibt, wurde TL daher im Rahmen des Ausgangsstrafverfahrens in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2010/64 sowie aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2012/13 verletzt.

71

Was drittens die Folgen dieser Verstöße betrifft, ergibt sich aus den Feststellungen des vorlegenden Gerichts, dass die Verletzung des Rechts auf Dolmetschleistungen in der portugiesischen Rechtsordnung einen Verfahrensfehler darstellt, der nach Art. 120 CPP zur relativen Nichtigkeit der entsprechenden Verfahrenshandlungen führt. Nach Art. 120 Abs. 2 Buchst. c CPP ist es aber zum einen Sache des Betroffenen, die Verletzung dieses Rechts geltend zu machen. Zum anderen ist nach Art. 120 Abs. 3 Buchst. a CPP bei einem Antrag auf Nichtigerklärung einer Handlung, bei der die betroffene Person anwesend ist, dieser Verfahrensfehler zu rügen, bevor die Handlung abgeschlossen ist; anderenfalls gilt er als geheilt.

72

Auf eine Frage des Gerichtshofs in der mündlichen Verhandlung hat die portugiesische Regierung bestätigt, dass Art. 120 CPP auch auf die Geltendmachung von Mängeln im Zusammenhang mit dem Verstoß gegen das Recht auf Übersetzung wesentlicher Unterlagen des Strafverfahrens anwendbar sei, was – ebenso wie die Anwendbarkeit dieser Bestimmung auf die Verletzung des Rechts auf Belehrung und Unterrichtung über das Recht auf Dolmetschleistungen und auf Übersetzung wesentlicher Unterlagen – zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

73

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 2 Abs. 5 und Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2010/64 sicherstellen müssen, dass die betroffenen Personen das Recht haben, eine Entscheidung, dass keine Dolmetschleistungen benötigt werden bzw. keine Übersetzung benötigt wird, im Einklang mit den nach einzelstaatlichem Recht vorgesehenen Verfahren anzufechten.

74

Allerdings ist weder in dieser Richtlinie noch in der Richtlinie 2012/13 festgelegt, welche Folgen sich aus einer Verletzung der dort vorgesehenen Rechte ergeben müssen, und zwar insbesondere dann, wenn die betroffene Person – wie hier – weder darüber unterrichtet wurde, dass eine solche Entscheidung existiert, noch darüber, dass sie ein Recht auf Hinzuziehung eines Dolmetschers und Erhalt einer Übersetzung der fraglichen Unterlagen hat bzw. dass bestimmte dieser Unterlagen überhaupt erstellt wurden.

75

Nach ständiger Rechtsprechung sind mangels einschlägiger spezifischer Vorschriften die Modalitäten für die Ausübung der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten. Diese Modalitäten dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juni 2021, BNP Paribas Personal Finance, C‑776/19 bis C‑782/19, EU:C:2021:470, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

76

Zum Äquivalenzgrundsatz ist vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht durchzuführenden Überprüfung festzustellen, dass aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten nicht ersichtlich ist, dass dieser Grundsatz durch die Anwendung von Art. 120 CPP auf die Verstöße gegen die Rechte aus den Richtlinien 2010/64 und 2012/13 verletzt worden wäre. Diese Vorschrift regelt die Voraussetzungen für die Geltendmachung einer Nichtigkeit nämlich unabhängig davon, ob diese Nichtigkeit auf einem Verstoß gegen eine Regel des nationalen Rechts oder einem Verstoß gegen eine Regel des Unionsrechts beruht.

77

Hinsichtlich des Effektivitätsgrundsatzes ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinien 2010/64 und 2012/13 zwar nicht die Modalitäten im Zusammenhang mit den dort vorgesehenen Rechten regeln, diese Modalitäten jedoch nicht das mit ihnen verfolgte Ziel beeinträchtigen dürfen, das darin besteht, ein faires Strafverfahren und die Achtung der Verteidigungsrechte der verdächtigen und beschuldigten Personen in diesem Verfahren zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Oktober 2015, Covaci, C‑216/14, EU:C:2015:686, Rn. 63, und vom 22. März 2017, Tranca u. a., C‑124/16, C‑188/16 und C‑213/16, EU:C:2017:228, Rn. 38).

78

Zum einen ist aber die den nationalen Behörden durch Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2012/13 auferlegte Verpflichtung, Verdächtige und beschuldigte Personen über ihr Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen nach Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2010/64 zu belehren, von wesentlicher Bedeutung für die wirksame Gewährleistung dieses Rechts und damit für die Einhaltung von Art. 47 und Art. 48 Abs. 2 der Charta. Ohne diese Belehrung wüsste die betroffene Person nämlich weder, dass sie dieses Recht hat und worin es besteht, noch könnte sie es geltend machen, so dass es ihr unmöglich wäre, ihre Verteidigungsrechte in vollem Umfang wahrzunehmen und ein faires Verfahren zu erhalten.

79

Würde von einer Person, gegen die ein Strafverfahren in einer Sprache geführt wird, die sie nicht spricht oder versteht, verlangt, dass sie innerhalb einer bestimmten Ausschlussfrist geltend macht, dass sie nicht über ihr in Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2010/64 vorgesehenes Recht auf Dolmetschleistungen bzw. auf Übersetzungen belehrt worden sei, würde dies zu einer Aushöhlung des durch Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2012/13 garantierten Rechts auf Belehrung führen und damit ihr in Art. 47 bzw. Art. 48 Abs. 2 der Charta verankertes Recht auf ein faires Verfahren und auf Achtung der Verteidigungsrechte in Frage stellen. Ohne eine solche Belehrung wüsste die betroffene Person nämlich gar nicht, dass ihr Recht auf Belehrung verletzt wurde, und könnte diese Verletzung daher auch nicht geltend machen.

80

Dies gilt aus demselben Grund auch für das in Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2010/64 vorgesehene Recht auf Dolmetschleistungen bzw. auf Übersetzungen, wenn die betroffene Person nicht über Bestehen und Umfang dieses Rechts belehrt wurde.

81

Im vorliegenden Fall ist es in Anbetracht dessen, dass in der Vorlageentscheidung, wie in Rn. 45 des vorliegenden Urteils ausgeführt, nicht ausdrücklich erwähnt wird, dass TL bei der Eröffnung der Voruntersuchung nicht über sein Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzung der wesentlichen Unterlagen des gegen ihn geführten Strafverfahrens belehrt wurde, Sache des vorlegenden Gerichts, gegebenenfalls zu prüfen, ob diese Belehrung tatsächlich erfolgt ist.

82

Zum anderen muss, wie der Generalanwalt in den Nrn. 83 bis 87 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, die betroffene Person, selbst wenn sie tatsächlich rechtzeitig belehrt wurde, auch wissen, dass die fraglichen wesentlichen Unterlagen existieren, welchen Inhalt sie haben und welche Wirkungen mit ihnen verbunden sind, damit sie eine Verletzung ihres Rechts auf Übersetzung dieser Unterlagen nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2010/64 oder ihres Rechts auf Dolmetschleistungen bei ihrer Erstellung nach Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie geltend machen und damit, wie in Art. 47 und Art. 48 Abs. 2 der Charta vorgeschrieben, ein faires Verfahren unter Achtung ihrer Verteidigungsrechte erhalten kann.

83

Daher würde der Effektivitätsgrundsatz verletzt, wenn die Frist, die nach einer nationalen Verfahrensvorschrift für die Geltendmachung einer Verletzung der Rechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2010/64 sowie Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2012/13 gilt, zu laufen begänne, noch bevor die betroffene Person in einer Sprache, die sie spricht oder versteht, zum einen über Bestehen und Umfang ihres Rechts auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen und zum anderen über Existenz und Inhalt der fraglichen wesentlichen Unterlagen sowie die mit ihnen verbundenen Wirkungen unterrichtet wurde (vgl. entsprechend Urteil vom 15. Oktober 2015, Covaci, C‑216/14, EU:C:2015:686, Rn. 66 und 67).

84

Im vorliegenden Fall ergibt sich jedoch aus den Feststellungen des vorlegenden Gerichts, das für die Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften allein zuständig ist, dass die bloße Anwendung von Art. 120 CPP auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens, wie sie das erstinstanzliche Gericht vorgenommen zu haben scheint, nicht sicherstellen konnte, dass die sich aus der vorstehenden Randnummer ergebenden Anforderungen eingehalten werden.

85

Insbesondere geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Informationen hervor, dass nach Art. 120 Abs. 3 Buchst. a CPP die Nichtigkeit einer Handlung, bei der der Betroffene anwesend ist, geltend gemacht werden muss, bevor die Handlung abgeschlossen ist; anderenfalls gilt der Mangel als geheilt.

86

Dies bedeutet insbesondere bei einem Verfahrensakt wie dem TIR, dass einer Person, die sich in der Situation von TL befindet, faktisch die Möglichkeit genommen wird, die Nichtigkeit geltend zu machen. Ist diese Person, die der Sprache des Strafverfahrens nicht kundig ist, nicht in der Lage, die Bedeutung dieses Verfahrensakts und seiner Auswirkungen zu verstehen, verfügt sie nämlich nicht über ausreichende Informationen, um die Notwendigkeit des Beistands eines Dolmetschers bei seiner Erstellung oder einer schriftlichen Übersetzung des Verfahrensakts, der als reine Formalität erscheinen kann, beurteilen zu können. Außerdem wird die Möglichkeit, seine Nichtigkeit geltend zu machen, anschließend zum einen dadurch beeinträchtigt, dass keine Belehrung über das Recht auf eine solche Übersetzung und den Beistand eines Dolmetschers erfolgt, und zum anderen dadurch, dass die Frist für die Geltendmachung dieser Nichtigkeit allein aufgrund der Vornahme der fraglichen Handlung im Wesentlichen sofort abläuft.

87

Unter diesen Umständen ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob es zu einer Auslegung der nationalen Regelung gelangen kann, die es ermöglicht, die sich aus Rn. 83 des vorliegenden Urteils ergebenden Anforderungen einzuhalten und damit die Wahrnehmung der Verteidigungsrechte im Rahmen eines fairen Verfahrens zu gewährleisten.

88

Für den Fall, dass das vorlegende Gericht der Auffassung sein sollte, dass eine solche Auslegung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung nicht möglich ist, ist daran zu erinnern, dass das nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat und eine nationale Regelung nicht im Einklang mit den Anforderungen des Unionsrechts auslegen kann, nach dem Grundsatz des Vorrangs verpflichtet ist, für die volle Wirksamkeit dieser Anforderungen in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede – auch spätere – nationale Regelung oder Praxis, die einer Bestimmung des Unionsrechts mit unmittelbarer Wirkung entgegensteht, aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser nationalen Regelung oder Praxis auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (Urteil vom 8. März 2022, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld [Unmittelbare Wirkung], C‑205/20, EU:C:2022:168, Rn. 37).

89

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2010/64 sowie Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2012/13 in Verbindung mit Art. 47 und Art. 48 Abs. 2 der Charta und dem Effektivitätsgrundsatz dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung, nach der die Verletzung der in diesen Richtlinienbestimmungen vorgesehenen Rechte von dem durch diese Rechte Begünstigten innerhalb einer bestimmten Ausschlussfrist geltend gemacht werden muss, entgegenstehen, wenn diese Frist zu laufen beginnt, noch bevor der Betroffene in einer Sprache, die er spricht oder versteht, zum einen über Bestehen und Umfang seines Rechts auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen und zum anderen über Existenz und Inhalt der fraglichen wesentlichen Unterlagen sowie die mit ihnen verbundenen Wirkungen unterrichtet wurde.

Kosten

90

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren sowie Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren in Verbindung mit Art. 47 und Art. 48 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und dem Grundsatz der Effektivität sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, nach der die Verletzung der in diesen Richtlinienbestimmungen vorgesehenen Rechte von dem durch diese Rechte Begünstigten innerhalb einer bestimmten Ausschlussfrist geltend gemacht werden muss, entgegenstehen, wenn diese Frist zu laufen beginnt, noch bevor der Betroffene in einer Sprache, die er spricht oder versteht, zum einen über Bestehen und Umfang seines Rechts auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen und zum anderen über Existenz und Inhalt der fraglichen wesentlichen Unterlagen sowie die mit ihnen verbundenen Wirkungen unterrichtet wurde.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Portugiesisch.

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