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Document 62006CJ0413

    Leitsätze des Urteils

    Schlüsselwörter
    Leitsätze

    Schlüsselwörter

    1. Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Beurteilung der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt – Beweisanforderungen – Identität bei Genehmigungs- und Untersagungsentscheidungen

    (Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, Art. 2 Abs. 2 und 3, 6 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 10 Abs. 6)

    2. Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Verwaltungsverfahren – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Vorläufiger Charakter

    (Art. 81 EG und 82 EG; Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, Art. 18 Abs. 3; Verordnung Nr. 447/98 der Kommission, Art. 13 Abs. 2)

    3. Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Prüfung durch die Kommission – Erlass einer Entscheidung, mit der die Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt wird – Gerichtliche Kontrolle

    (Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, Art. 18 Abs. 3)

    4. Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Vorbringen von Argumenten in Beantwortung der Mitteilung der Beschwerdepunkte – Recht der anmeldenden Parteien

    (Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, Art. 11, 14, 15, 18 Abs. 3 und 19; Verordnung Nr. 447/98 der Kommission, Art. 3 Abs. 1 und 13 Abs. 2)

    5. Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Beurteilung der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt – Begründung oder Verstärkung einer kollektiven beherrschenden Stellung, die den wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt erheblich behindert – Kriterien

    (Art. 81 EG; Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, Art. 2 Abs. 3)

    6. Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Prüfung durch die Kommission – Wirtschaftliche Beurteilungen – Gerichtliche Kontrolle – Grenzen

    (Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, Art. 2)

    7. Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Entscheidung zur Durchführung der Vorschriften über Unternehmenszusammenschlüsse

    (Art. 253 EG; Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, Art. 8 Abs. 2)

    8. Nichtigkeitsklage – Klagegründe – Verletzung wesentlicher Formvorschriften – Verletzung der Begründungspflicht bei einer Entscheidung über die Genehmigung eines Zusammenschlusses – Gerichtliche Prüfung von Amts wegen

    (Art. 230 EG und 253 EG; Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, Art. 2, 6 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 10 Abs. 6)

    Leitsätze

    1. Aus dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen geht nicht hervor, dass bei Entscheidungen, mit denen ein Zusammenschluss genehmigt wird, andere Beweisanforderungen gelten als bei Entscheidungen, mit denen ein Zusammenschluss untersagt wird. Die bei der Fusionskontrolle gebotene Untersuchung der voraussichtlichen Entwicklung, die darin besteht, zu prüfen, inwieweit ein Zusammenschluss die für den Stand des Wettbewerbs auf einem bestimmten Markt maßgebenden Faktoren verändern könnte, um zu ermitteln, ob sich daraus ein erhebliches Hindernis für einen wirksamen Wettbewerb ergeben würde, erfordert es nämlich, sich die verschiedenen Ursache-Wirkungs-Ketten vor Augen zu führen und von derjenigen mit der größten Wahrscheinlichkeit auszugehen. Aus der Verordnung kann daher keine allgemeine Vermutung der Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit eines angemeldeten Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt abgeleitet werden.

    Dieser Auslegung der Verordnung Nr. 4064/89 steht nicht deren Art. 10 Abs. 6 entgegen, wonach ein angemeldeter Zusammenschluss als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar gilt, wenn die Kommission nicht innerhalb der maßgeblichen Frist eine Entscheidung über seine Vereinbarkeit erlassen hat. Diese Bestimmung ist nämlich eine spezifische Ausprägung des Beschleunigungsgebots, das die allgemeine Systematik der Verordnung kennzeichnet und die Kommission im Hinblick auf den Erlass der abschließenden Entscheidung zur Einhaltung strikter Fristen verpflichtet. Sie stellt jedoch eine Ausnahme von der allgemeinen Systematik der Verordnung dar, wie sie sich u. a. aus deren Art. 6 Abs. 1 und 8 Abs. 1 ergibt, wonach die Kommission über die bei ihr angemeldeten Zusammenschlüsse ausdrücklich entscheidet.

    Im Übrigen trifft es zwar zu, dass die Entscheidungen der Kommission über die Vereinbarkeit von Zusammenschlüssen mit dem Gemeinsamen Markt durch hinreichend signifikante und übereinstimmende Beweismittel erhärtet werden müssen und dass im Zusammenhang der Untersuchung eines Zusammenschlusses des Konglomerattyps die Beschaffenheit der von der Kommission zum Nachweis der Erforderlichkeit einer Entscheidung, mit der dieser Zusammenschluss für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt wird, vorgelegten Beweismittel besonders bedeutsam ist. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass die Kommission, insbesondere wenn sie von einer kollektiven beherrschenden Stellung ausgeht, bei Entscheidungen, mit denen Zusammenschlüsse untersagt werden, höhere Beweisanforderungen einhalten muss als bei Entscheidungen, mit denen sie genehmigt werden. Die Hauptfunktion des Beweises besteht nämlich darin, von der Richtigkeit einer These zu überzeugen oder, wie im Bereich der Fusionskontrolle, die Beurteilungen, auf denen die Entscheidungen der Kommission beruhen, zu untermauern. Zudem kann der alleinige Umstand, dass von einer kollektiven beherrschenden Stellung ausgegangen wird oder nicht, nicht die geltenden Beweisanforderungen beeinflussen. Die Komplexität, die stets gegeben ist, wenn einem angemeldeten Zusammenschluss ein Wettbewerbshindernis entgegengehalten wird, stellt einen Gesichtspunkt dar, der bei der Beurteilung der Plausibilität der verschiedenen Folgen dieses Zusammenschlusses, um unter ihnen die wahrscheinlichste zu bestimmen, zu berücksichtigen ist, doch beeinflusst diese Komplexität für sich allein nicht die Höhe der Beweisanforderungen.

    Infolgedessen hat die Kommission, wenn sie gemäß der Verordnung Nr. 4064/89 mit einem Zusammenschluss befasst wird, grundsätzlich entweder für dessen Genehmigung oder für dessen Untersagung Stellung zu beziehen, je nachdem, welche wirtschaftliche Entwicklung des Zusammenschlusses sie für die wahrscheinlichste hält.

    (vgl. Randnrn. 46-52)

    2. Im Fusionskontrollverfahren ist die Mitteilung der Beschwerdepunkte eine vorbereitende Verfahrenshandlung, die, um die wirksame Ausübung der Verteidigungsrechte zu ermöglichen, den Gegenstand des von der Kommission eingeleiteten Verwaltungsverfahrens festlegt und diese somit daran hindert, in ihrer das betreffende Verfahren abschließenden Entscheidung andere Beschwerdepunkte in Betracht zu ziehen. Die Mitteilung der Beschwerdepunkte hat daher vorläufigen Charakter und ist Änderungen anlässlich der späteren Beurteilung zugänglich, die die Kommission auf der Grundlage der von den Beteiligten vorgelegten Stellungnahmen und weiterer Tatsachenfeststellungen vornimmt. Die Kommission muss nämlich die Ergebnisse des gesamten Verwaltungsverfahrens berücksichtigen, sei es, um bestimmte Beschwerdepunkte fallen zu lassen, die nicht ausreichend begründet sind, sei es, um ihre Argumente, auf die sie die aufrechterhaltenen Beschwerdepunkte stützt, in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht neu zu ordnen oder zu ergänzen. Die Mitteilung der Beschwerdepunkte hindert daher die Kommission keineswegs daran, ihre Auffassung zugunsten der betroffenen Unternehmen zu ändern.

    Somit ist die Kommission nicht an ihre tatsächlichen oder rechtlichen Beurteilungen in der Mitteilung der Beschwerdepunkte gebunden. Im Gegenteil, sie muss ihre abschließende Entscheidung mit ihrer endgültigen Beurteilung, die auf den Ergebnissen ihrer gesamten Untersuchung beruht, wie sie beim Abschluss des förmlichen Verfahrens vorliegen, begründen. Im Übrigen ist die Kommission nicht verpflichtet, eventuelle Unterschiede gegenüber ihrer vorläufigen Beurteilung in der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu erläutern.

    An der vorläufigen Natur der Mitteilung der Beschwerdepunkte ändert auch der Umstand nichts, dass die Kommission bei der Fusionskontrolle, anders als im Anwendungsbereich der Art. 81 EG und 82 EG, strengen Verfahrensfristen unterliegt. Die wirksame Ausübung der Verteidigungsrechte erfordert es nämlich, dass das Vorbringen der an einem Zusammenschlussvorhaben Beteiligten im Fusionskontrollverfahren keine geringere Berücksichtigung finden darf als das der betroffenen Unternehmen in den Verfahren nach Art. 81 EG oder 82 EG.

    (vgl. Randnrn. 63-66)

    3. Das Gericht kann ungeachtet des vorbereitenden und vorläufigen Charakters der Mitteilung der Beschwerdepunkte und trotz des Umstands, dass die Kommission nicht verpflichtet ist, eventuelle Abweichungen der endgültigen Entscheidung von der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu erläutern, nicht stets daran gehindert sein, zur Auslegung einer Entscheidung der Kommission im Bereich der Fusionskontrolle, insbesondere bei der Prüfung von deren Tatsachenbasis, die Mitteilung der Beschwerdepunkte heranzuziehen.

    Das Gericht begeht jedoch einen Rechtsfehler, wenn es sich bei der Prüfung des offensichtliche Beurteilungsfehler betreffenden Vorbringens nicht damit begnügt, die Mitteilung der Beschwerdepunkte als Instrument zur Überprüfung der Richtigkeit, Vollständigkeit und Belastbarkeit der Tatsachenbasis der streitigen Entscheidung heranzuziehen, sondern bestimmte in der Mitteilung der Beschwerdepunkte enthaltene Feststellungen als nachgewiesen einstuft, ohne die Gründe anzuführen, aus denen sie ungeachtet des von der Kommission in der streitigen Entscheidung eingenommenen endgültigen Standpunkts als unbestreitbar nachgewiesen anzusehen sein sollten. Abgesehen von etwaigen unbestrittenen Umständen, die z. B. aufgrund ihrer empirischen und nachprüfbaren Natur so offensichtlich sind, dass sie unbestreitbar sind, kann nicht unterstellt werden, dass die Feststellungen in einer Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht aufgrund der Antworten auf sie geändert werden können. Es kann nämlich sein, dass die Anmelder durch ihre Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte ihren Standpunkt zum Funktionieren des oder der fraglichen Märkte in einer Weise ergänzen oder klarstellen, dass neue Umstände berücksichtigt oder von der Kommission bereits geprüfte Tatsachen von einer völlig anderen Warte aus betrachtet werden können.

    (vgl. Randnrn. 69, 73, 75-76)

    4. Aus den Verteidigungsrechten der einen Zusammenschluss anmeldenden Unternehmen folgt, dass diese das Recht haben, im Rahmen ihrer schriftlichen und mündlichen Anhörung nach Erhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte alles vorzubringen, was sie für geeignet halten, um die Beschwerdepunkte der Kommission zu entkräften und diese zu einer Genehmigung des Zusammenschlussvorhabens zu bewegen. Es kann Anmeldern deshalb grundsätzlich nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie bestimmte, möglicherweise fallentscheidende Argumente, Tatsachen oder Beweismittel erst im Rahmen ihres Vorbringens in Beantwortung der Mitteilung der Beschwerdepunkte präsentieren. Denn erst dieser Mitteilung können die Beteiligten des Zusammenschlusses im Detail entnehmen, welche Einwände die Kommission gegen ihr Zusammenschlussvorhaben erhebt und auf welche Argumente und Beweismittel sie sich hierzu stützt. Vorbringen in der Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte ist Teil der im Rahmen des förmlichen Verfahrens durchzuführenden Untersuchung und ist nicht verspätet, sondern erfolgt zum dafür vorgesehenen Zeitpunkt im Fusionskontrollverfahren. Im Hinblick auf die Erfordernisse der Verteidigungsrechte dürfen an ein solches Vorbringen keine höheren Anforderungen in Bezug auf seinen Beweiswert und seine Überzeugungskraft gestellt werden als an das Vorbringen von Wettbewerbern, Kunden und sonstigen Dritten, die von der Kommission im Lauf des Verwaltungsverfahrens befragt werden, oder an das Vorbringen der anmeldenden Unternehmen in einem früheren Stadium der Untersuchung der Kommission.

    Außerdem stellt es keine „Delegation“ der Ermittlungen an die anmeldenden Unternehmen dar, wenn die Kommission in ihrer Entscheidung deren Vorbringen in der Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte prüft und es, ohne Auskünfte einzuholen oder weitere Marktuntersuchungen durchzuführen, zum Anlass nimmt, ihre in dieser Mitteilung enthaltenen vorläufigen Schlussfolgerungen zu überdenken und gegebenenfalls davon abzuweichen.

    Zwar ist die Kommission gehalten, das Vorbringen der Beteiligten des Zusammenschlusses sorgfältig auf seine Richtigkeit, Vollständigkeit und Überzeugungskraft zu überprüfen und es bei berechtigten Zweifeln daran unberücksichtigt zu lassen. Außerdem trifft es zu, dass nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 447/98 die Angaben in der Anmeldung des Zusammenschlusses vollständig und richtig sein müssen, dass nach Art. 11 der Verordnung Nr. 4064/89 die Anmelder verpflichtet sind, etwaige Auskunftsverlangen der Kommission umfassend, wahrheitsgemäß und fristgerecht zu beantworten, und dass die Kommission, falls die fraglichen Auskünfte durch Entscheidung verlangt wurden, bei Verstoß dagegen nach den Art. 14 und 15 der Verordnung Nr. 4064/89 Geldbußen und Zwangsgelder festsetzen kann. Doch muss die Kommission im Stadium der Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte, da sonst die Verteidigungsrechte der Anmelder entwertet würden, dieselben Kriterien wie bei der Überprüfung des Vorbringens Dritter oder wie die in einem früheren Stadium der Untersuchung der Kommission geltenden Kriterien anwenden, wobei es ihr unbenommen bleibt, die geeigneten Folgerungen zu ziehen, falls sich in einem sehr fortgeschrittenen Verfahrensstadium herausstellt, dass die Anmeldung nicht den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 447/98 genügt.

    Daher kann die Kommission insbesondere angesichts der zeitlichen Zwänge, die aus den in der Verordnung Nr. 4064/89 vorgesehenen Verfahrensfristen folgen, grundsätzlich nicht in jedem Einzelfall verpflichtet sein, nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte und der Anhörung der betroffenen Unternehmen kurz vor der Übersendung ihres Entscheidungsentwurfs an den Beratenden Ausschuss für die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen gemäß Art. 19 der Verordnung Nr. 4064/89 noch umfangreiche Auskunftsverlangen an zahlreiche Marktteilnehmer zu versenden.

    (vgl. Randnrn. 89, 91-95)

    5. Im Rahmen ihrer Prüfung, ob ein Zusammenschluss mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist, muss die Kommission in Bezug auf eine angebliche Begründung oder Verstärkung einer kollektiven beherrschenden Stellung anhand einer Untersuchung der voraussichtlichen Entwicklung des Referenzmarktes prüfen, ob der Zusammenschluss, mit dem sie befasst ist, zu einer Situation führt, in der ein wirksamer Wettbewerb auf dem relevanten Markt von den zusammengeschlossenen Unternehmen und einem oder mehreren dritten Unternehmen erheblich behindert wird, die insbesondere aufgrund der zwischen ihnen bestehenden verbindenden Faktoren zusammen die Macht zu einheitlichem Vorgehen auf dem Markt besitzen, um aus einer kollektiven wirtschaftlichen Machtstellung Nutzen ziehen zu können, ohne dass die tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerber oder die Kunden und Verbraucher wirksam reagieren können. Zu diesen verbindenden Faktoren gehört insbesondere die Wechselbeziehung zwischen den Mitgliedern eines beschränkten Oligopols, in dessen Rahmen diese auf einem Markt mit den entsprechenden Merkmalen, insbesondere im Hinblick auf Marktkonzentration, Transparenz und Homogenität des Erzeugnisses in der Lage sind, ihre jeweiligen Verhaltensweisen vorherzusehen, und daher unter einem starken Druck stehen, ihr Marktverhalten einander anzupassen, um insbesondere ihren gemeinsamen Gewinn durch Erhöhung der Preise, Beschränkung der Produktion, des Angebots oder der Qualität von Gütern und Dienstleistungen, Verringerung der Innovation oder Beeinflussung der Wettbewerbsfaktoren auf andere Weise zu maximieren. In einem solchen Kontext weiß nämlich jeder Marktbeteiligte, dass eine stark wettbewerbsorientierte Maßnahme seinerseits eine Reaktion seitens der anderen auslösen würde, so dass er keinerlei Vorteil aus seiner Initiative ziehen könnte.

    Eine kollektive beherrschende Stellung, durch die der wirksame Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert wird, kann sich daher aus einem Zusammenschluss ergeben, wenn dieser – aufgrund der Merkmale des relevanten Marktes und deren Änderung durch den Zusammenschluss – dazu führt, dass jedes Mitglied des betreffenden Oligopols es in Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen für möglich, wirtschaftlich vernünftig und daher ratsam hält, dauerhaft einheitlich auf dem Markt vorzugehen, um zu höheren als den Wettbewerbspreisen zu verkaufen, ohne zuvor eine Vereinbarung im Sinne von Art. 81 EG treffen oder auf eine abgestimmte Verhaltensweise im Sinne dieser Vorschrift zurückgreifen zu müssen und ohne dass die tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerber oder die Kunden und Verbraucher wirksam reagieren können. Eine solche stillschweigende Koordinierung ist wahrscheinlicher, wenn die Wettbewerber hinsichtlich der Funktionsweise einer solchen Koordinierung, insbesondere der zu koordinierenden Parameter, leicht zu einer gemeinsamen Vorstellung gelangen können. Denn ohne die Möglichkeit, stillschweigend zu einem Einverständnis über die Modalitäten der Koordinierung zu gelangen, müssten die Wettbewerber eventuell zu nach Art. 81 EG verbotenen Praktiken greifen, um auf dem Markt einheitlich vorgehen zu können. Zudem ist insbesondere im Hinblick darauf, dass einzelne Teilnehmer an einer stillschweigenden Koordinierung versucht sein könnten, davon zur kurzfristigen Steigerung ihres Nutzens abzuweichen, zu beurteilen, ob eine solche Koordinierung von Dauer sein kann. Hierzu müssen die Unternehmen, die ihr Verhalten koordinieren, in der Lage sein, in hinreichendem Maße zu überwachen, ob die Modalitäten der Koordinierung eingehalten werden. Der Markt müsste daher so transparent sein, dass insbesondere jedes beteiligte Unternehmen mit hinreichender Genauigkeit und Schnelligkeit die Entwicklung des Verhaltens aller anderen an der Koordinierung Beteiligten auf dem Markt in Erfahrung bringen kann. Zudem muss es aus Gründen der Disziplin eine Art Abschreckungsmechanismus geben, der glaubwürdig ist und im Fall eines abweichenden Verhaltens ausgelöst werden kann. Überdies dürfen die Reaktionen von Unternehmen, die sich nicht an der Koordinierung beteiligen, wie z. B. von derzeitigen oder potenziellen Wettbewerbern, oder die Reaktionen von Kunden den voraussichtlichen Effekt der Koordinierung nicht in Frage stellen.

    Bei der Anwendung dieser Kriterien darf jedoch nicht mechanisch in einer Weise vorgegangen werden, bei der jedes Kriterium einzeln für sich allein geprüft wird, ohne den wirtschaftlichen Gesamtmechanismus einer unterstellten stillschweigenden Koordinierung zu beachten. Insoweit dürfte z. B. die Transparenz eines bestimmten Marktes nicht isoliert und abstrakt, sondern müsste in Bezug auf einen Mechanismus einer unterstellten stillschweigenden Koordinierung beurteilt werden. Denn nur bei Berücksichtigung eines solchen Falles lässt sich nachprüfen, ob etwaige Faktoren der Transparenz auf einem Markt tatsächlich dazu geeignet sind, die stillschweigende Festlegung eines gemeinsamen Vorgehens zu erleichtern und/oder es den beteiligten Wettbewerbern zu ermöglichen, in hinreichendem Maße zu überwachen, ob die Modalitäten eines solchen Vorgehens eingehalten werden. In dieser Hinsicht ist es zur Untersuchung, ob eine postulierte stillschweigende Koordinierung von Dauer ist, erforderlich, die Überwachungsmechanismen zu berücksichtigen, die den an dieser Koordinierung Beteiligten möglicherweise zugänglich sind, um nachzuprüfen, ob sie aufgrund dieser Mechanismen etwa mit hinreichender Genauigkeit und Schnelligkeit die Entwicklung des Verhaltens aller anderen an der Koordinierung Beteiligten auf dem Markt in Erfahrung bringen könnten.

    Schließlich kann die Untersuchung einer bereits bestehenden kollektiven beherrschenden Stellung, bei der auf eine Reihe von Faktoren abgestellt wird, die gewöhnlich als Anhaltspunkte für das Vorliegen oder die Wahrscheinlichkeit einer stillschweigenden Koordinierung zwischen Wettbewerbern angesehen werden, als solche nicht in Frage gestellt werden. Jedoch ist diese Untersuchung mit Vorsicht und vor allem im Rahmen eines Ansatzes zu führen, der auf der Analyse der möglichen plausiblen Koordinierungsstrategien beruht.

    (vgl. Randnrn. 120-123, 125-126, 129)

    6. Die Kommission verfügt in Wirtschaftsfragen über einen Beurteilungsspielraum bei der Anwendung der Grundregeln der Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, insbesondere ihres Art. 2. Daher beschränkt sich die Kontrolle einer Entscheidung der Kommission im Bereich der Zusammenschlüsse durch den Gemeinschaftsrichter auf die Nachprüfung der materiellen Richtigkeit des Sachverhalts und auf offensichtliche Beurteilungsfehler. So darf zwar der Gemeinschaftsrichter bei der Anwendung der Grundregeln der Verordnung nicht seine eigene wirtschaftliche Beurteilung an die Stelle derjenigen der Kommission setzen, doch bedeutet dies nicht, dass er eine Kontrolle der rechtlichen Einordnung von Wirtschaftsdaten durch die Kommission unterlassen muss. Der Gemeinschaftsrichter muss nämlich nicht nur die sachliche Richtigkeit der angeführten Beweise, ihre Zuverlässigkeit und ihre Kohärenz prüfen, sondern auch kontrollieren, ob diese Beweise alle relevanten Daten darstellen, die bei der Beurteilung einer komplexen Situation heranzuziehen waren, und ob sie die aus ihnen gezogenen Schlüsse zu stützen vermögen.

    (vgl. Randnrn. 144-145)

    7. Die Kommission verstößt nicht gegen ihre Begründungspflicht, wenn sie bei der Ausübung ihrer Kontrollbefugnis hinsichtlich der Zusammenschlüsse in ihrer Entscheidung nicht genau die Gründe für die Würdigung bestimmter Aspekte des Zusammenschlusses darlegt, die ihrer Ansicht nach offenkundig neben der Sache liegen oder keine oder eine eindeutig untergeordnete Bedeutung für die Einschätzung dieses Zusammenschlusses haben. Ein solches Erfordernis wäre nämlich schwerlich vereinbar mit dem Beschleunigungsgebot und den kurzen Verfahrensfristen, denen die Kommission bei der Ausübung ihrer Kontrollbefugnis hinsichtlich der Zusammenschlüsse nachkommen muss und die zu den besonderen Umständen eines Verfahrens zu deren Kontrolle gehören. Daher ist, sofern die Kommission nach Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 4064/89 einen Zusammenschluss für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt, der Begründungspflicht genügt, wenn in der Entscheidung deutlich dargelegt ist, aus welchen Gründen die Kommission der Meinung ist, dass der fragliche Zusammenschluss, gegebenenfalls nach entsprechenden Änderungen durch die beteiligten Unternehmen, keine beherrschende Stellung begründet oder verstärkt, durch die wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert würde. In diesem Zusammenhang muss die Kommission jedoch, auch wenn sie in der Begründung von Entscheidungen, die gemäß der Verordnung erlassen werden, nicht auf alle vor ihr geltend gemachten Faktoren und Argumente, einschließlich jener, die für die vorzunehmende Würdigung eindeutig untergeordnete Bedeutung haben, einzugehen braucht, die Tatsachen und rechtlichen Erwägungen anführen, denen nach dem Aufbau der Entscheidung eine wesentliche Bedeutung zukommt. Ferner muss die Begründung folgerichtig sein und darf insbesondere keine inneren Widersprüche aufweisen.

    (vgl. Randnrn. 167-169)

    8. Aus Art. 10 Abs. 6 der Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, der die Rechtssicherheit in dem Fall gewährleisten soll, dass die Kommission ausnahmsweise nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist eine Entscheidung erlassen hat, so dass es den betroffenen Unternehmen freistünde, den Zusammenschluss durchzuführen, da eine stillschweigende Genehmigung vorliegt, kann eine Ausnahme von der Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung, mit der ein solcher Zusammenschluss genehmigt wird, wegen eines Verstoßes gegen die Begründungspflicht in Frage zu stellen, ebenso wenig hergeleitet werden wie eine allgemeine Vermutung für die Vereinbarkeit von Zusammenschlüssen mit dem Gemeinsamen Markt. Diese Bestimmung, die eine Ausnahme von der allgemeinen Systematik der Verordnung darstellt, wie sie sich u. a. aus deren Art. 6 Abs. 1 und 8 Abs. 1 ergibt, wonach die Kommission über die bei ihr angemeldeten Zusammenschlüsse ausdrücklich befindet, gleich ob ihre Entscheidung negativ oder positiv ausfällt, ist nämlich im Licht der Art. 230 EG und 253 EG auszulegen und anzuwenden. Eine unzureichende Begründung, die gegen Art. 253 EG verstößt, stellt jedoch eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften im Sinne des Art. 230 EG dar und ist überdies ein Gesichtspunkt, den der Gemeinschaftsrichter von Amts wegen prüfen kann und muss.

    (vgl. Randnrn. 172, 174-175)

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