This document is an excerpt from the EUR-Lex website
Document 62014CJ0061
Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 6. Oktober 2015.
Orizzonte Salute – Studio Infermieristico Associato gegen Azienda Pubblica di Servizi alla persona San Valentino – Città di Levico Terme u. a.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 89/665/EWG – Öffentliche Aufträge – Nationale Rechtsvorschriften – Gebühren für den Zugang zu den Verwaltungsgerichten auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Aufträge – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf – Gebühren mit abschreckender Wirkung – Gerichtliche Kontrolle von Verwaltungsakten – Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz – Praktische Wirksamkeit.
Rechtssache C-61/14.
Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 6. Oktober 2015.
Orizzonte Salute – Studio Infermieristico Associato gegen Azienda Pubblica di Servizi alla persona San Valentino – Città di Levico Terme u. a.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 89/665/EWG – Öffentliche Aufträge – Nationale Rechtsvorschriften – Gebühren für den Zugang zu den Verwaltungsgerichten auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Aufträge – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf – Gebühren mit abschreckender Wirkung – Gerichtliche Kontrolle von Verwaltungsakten – Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz – Praktische Wirksamkeit.
Rechtssache C-61/14.
Court reports – general
Rechtssache C‑61/14
Orizzonte Salute – Studio Infermieristico Associato
gegen
Azienda Pubblica di Servizi alla persona San Valentino – Città di Levico Terme u. a.
(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale regionale di giustizia amministrativa di Trento)
„Vorlage zur Vorabentscheidung — Richtlinie 89/665/EWG — Öffentliche Aufträge — Nationale Rechtsvorschriften — Gebühren für den Zugang zu den Verwaltungsgerichten auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Aufträge — Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf — Gebühren mit abschreckender Wirkung — Gerichtliche Kontrolle von Verwaltungsakten — Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz — Praktische Wirksamkeit“
Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 6. Oktober 2015
Gerichtliches Verfahren — Streithilfe — Vorabentscheidungsverfahren — Streithilfeantrag einer natürlichen oder juristischen Person, die in der Verfahrensordnung nicht ausdrücklich genannt ist — Unzulässigkeit
(Art. 267 AEUV; Satzung des Gerichtshofs, Art. 23; Verfahrensordnung des Gerichtshofs, Art. 96 Abs. 1)
Gerichtliches Verfahren — Streithilfe — Vorabentscheidungsverfahren — Beteiligung der Parteien des Ausgangsrechtsstreits — Zuständigkeit des Gerichtshofs für den Ausschluss einer solchen Partei vom Verfahren — Grenzen
(Art. 267 AEUV; Satzung des Gerichtshofs, Art. 23; Verfahrensordnung des Gerichtshofs, Art. 96 Abs. 1 und 97 Abs. 1)
Rechtsangleichung — Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge — Richtlinie 89/665 — Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ein Nachprüfungsverfahren vorzusehen — Festsetzung von Gerichtskosten — Ermessen der Mitgliedstaaten — Grenzen — Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität sowie der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie 89/665
(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47; Richtlinie 89/665 des Rates in der durch die Richtlinie 2007/66 geänderten Fassung, Art. 1 und 2 Abs. 1 Buchst. b)
Rechtsangleichung — Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge — Richtlinie 89/665 — Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ein Nachprüfungsverfahren vorzusehen — Festsetzung von Gerichtskosten — Nationale Regelung, nach der bei Einlegung des Rechtsbehelfs Gerichtsgebühren zu entrichten sind — Zulässigkeit — Voraussetzungen
(Richtlinie 89/665 des Rates in der durch die Richtlinie 2007/66 geänderten Fassung, Art. 1 und 2 Abs. 1 Buchst. b)
Rechtsangleichung — Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge — Richtlinie 89/665 — Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ein Nachprüfungsverfahren vorzusehen — Festsetzung von Gerichtskosten — Nationale Regelung, nach der ein Einzelner mehrmals Gerichtsgebühren entrichten muss, wenn er im Zusammenhang mit derselben Vergabe eines öffentlichen Auftrags mehrere Rechtsbehelfe einlegt — Zulässigkeit — Voraussetzungen
(Richtlinie 89/665 des Rates in der durch die Richtlinie 2007/66 geänderten Fassung, Art. 1 und 2 Abs. 1 Buchst. b)
Siehe Text der Entscheidung.
(vgl. Rn. 32)
In Vorabentscheidungsverfahren werden die „Parteien des Ausgangsrechtsstreits“ nach Art. 97 Abs. 1 der Verfahrensordnung vom vorlegenden Gericht gemäß den nationalen Verfahrensvorschriften als solche bezeichnet. Es ist somit Sache des vorlegenden Gerichts, auf der Grundlage der nationalen Verfahrensvorschriften die Parteien des vor ihm anhängigen Rechtsstreits zu bestimmen. Insoweit ist es nicht Sache des Gerichtshofs, nachzuprüfen, ob eine Entscheidung des vorlegenden Gerichts, mit der es eine Streithilfe im bei ihm anhängigen Rechtsstreit zulässt, diesen Vorschriften entspricht.
Einer Person kann jedoch die Eigenschaft einer „Partei des Ausgangsverfahrens“ im Sinne von Art. 96 Abs. 1 der Verfahrensordnung in Verbindung mit Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs nicht zuerkannt werden und diese kann in einem Verfahren vor dem Gerichtshof nach Art. 267 AEUV nicht zugelassen werden, wenn sie ihren Antrag auf Zulassung als Streithelfer bei einem nationalen Gericht nicht stellt, um aktiv in den weiteren Verlauf des Verfahrens vor dem nationalen Gericht einzugreifen, sondern nur, um am Verfahren vor dem Gerichtshof teilzunehmen.
Der Gerichtshof kann sich außerdem veranlasst sehen, einem im Ausgangsrechtsstreit zugelassenen Streithelfer die Abgabe schriftlicher Erklärungen nur innerhalb der Frist zu gestatten, die den Beteiligten im Sinne von Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs, denen das Vorabentscheidungsersuchen zunächst zugestellt worden war, dafür zusteht. Es widerspräche aber dem Grundsatz der geordneten Rechtspflege und dem Erfordernis der Erledigung von Vorabentscheidungsverfahren innerhalb angemessener Frist, wenn das schriftliche Verfahren vor dem Gerichtshof wegen wiederholter Zulassungen als Streithelfer und aufgrund der Frist des Art. 23 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs von zwei Monaten für die Abgabe schriftlicher Erklärungen dieser Streithelfer nicht abgeschlossen werden könnte oder neu eröffnet werden müsste.
(vgl. Rn. 32, 33, 35, 37, 39)
Die Richtlinie 89/665 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2007/66 geänderten Fassung weist keine Bestimmung auf, die sich speziell auf Gerichtsgebühren bezieht, die der Einzelne zu entrichten hat, wenn er gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie eine Nachprüfung anstrengt, die auf die Aufhebung einer seiner Meinung nach rechtswidrigen Entscheidung im Zusammenhang mit einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags gerichtet ist. Insoweit ist es mangels einer einschlägigen Unionsregelung gemäß dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, die Modalitäten für das Verwaltungsverfahren und das Gerichtsverfahren zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Diese Verfahrensmodalitäten dürfen jedoch nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die für entsprechende innerstaatliche Rechtsbehelfe (Grundsatz der Äquivalenz) und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität).
Da zudem solche Gerichtsgebühren Modalitäten gerichtlicher Verfahren zum Schutz der Rechte darstellen, die das Unionsrecht den durch Entscheidungen öffentlicher Auftraggeber geschädigten Bewerbern und Bietern einräumt, dürfen sie die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 89/665 nicht beeinträchtigen. Auch ist Art. 1 der Richtlinie 89/665 notwendig im Licht der in der Charta verankerten Grundrechte auszulegen, insbesondere im Licht des Rechts aus Art. 47 auf Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs bei einem Gericht.
(vgl. Rn. 45-47, 49)
Art. 1 der Richtlinie 89/665 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2007/66 geänderten Fassung sowie die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, nach der bei der Einlegung eines Rechtsbehelfs im Bereich öffentlicher Aufträge bei den Verwaltungsgerichten Gerichtsgebühren wie eine Einheitsgebühr, die sich nach dem Streitwert des Verfahrens richtet, zu entrichten sind.
Sieht nämlich eine nationale Regelung vor, dass die Gerichtsgebühren für die Einlegung eines Rechtsbehelfs in verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Bereich öffentlicher Aufträge 2 % des Auftragswerts nicht übersteigen, können diese Gebühren die Ausübung der von der Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte im Bereich öffentlicher Aufträge nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Sofern diese Einheitsgebühr hinsichtlich Art und Höhe unterschiedslos jedem auferlegt wird, der einen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers einlegen möchte, führt ein solches System ferner nicht zu einer Diskriminierung zwischen Wirtschaftsteilnehmern, die im gleichen Sektor tätig sind.
Was den Grundsatz der Äquivalenz anbelangt, kann der Umstand, dass die im Rahmen von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge zu entrichtende Einheitsgebühr höher ist als in verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten, die dem allgemeinen Verfahren unterliegen, und zudem höher als die Gerichtsgebühren in Zivilverfahren, für sich allein noch keine Verletzung dieses Grundsatzes belegen. Dieser Grundsatz verlangt nämlich eine Gleichbehandlung von Rechtsbehelfen, mit denen ein Verstoß gegen nationales Recht gerügt wird, und ähnlichen Rechtsbehelfen, mit denen ein Verstoß gegen Unionsrecht gerügt wird, und betrifft nicht die Äquivalenz nationaler Verfahrensvorschriften, die für Rechtsstreitigkeiten unterschiedlicher Art wie zivilrechtliche auf der einen Seite und verwaltungsrechtliche auf der anderen Seite oder Streitigkeiten mit Bezug zu zwei unterschiedlichen Rechtsgebieten gelten
(vgl. Rn. 58, 62, 63, 66, 67, 79, Tenor 1)
Art. 1 der Richtlinie 89/665 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2007/66 geänderten Fassung sowie die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität stehen weder der mehrmaligen Erhebung von Gerichtsgebühren bei einem Einzelnen, der im Zusammenhang mit derselben Vergabe eines öffentlichen Auftrags mehrere gerichtliche Rechtsbehelfe einlegt, noch der Verpflichtung dieses Einzelnen entgegen, zusätzliche Gerichtsgebühren zu entrichten, um im Zusammenhang mit derselben Vergabe eines öffentlichen Auftrags in einem laufenden Gerichtsverfahren ergänzende Gründe vorbringen zu können. Jedoch ist es im Fall der Beanstandung durch eine betroffene Partei Sache des nationalen Richters, den Gegenstand der von einem Einzelnen eingelegten Rechtsbehelfe oder der im Rahmen desselben Verfahrens von ihm vorgetragenen Gründe zu prüfen. Stellt der nationale Richter fest, dass der Gegenstand tatsächlich kein anderer oder keine erhebliche Erweiterung des bereits anhängigen Streitgegenstands ist, hat er diesen Einzelnen von der Verpflichtung zur Entrichtung kumulativer Gerichtsgebühren freizustellen.
Die Erhebung mehrfacher und kumulativer Gerichtsgebühren im Rahmen desselben verwaltungsgerichtlichen Verfahrens trägt nämlich grundsätzlich zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Gerichtssystems bei, da sie eine Finanzierungsquelle für die gerichtliche Tätigkeit der Mitgliedstaaten darstellt und von der Einreichung von Anträgen abschreckt, die offensichtlich unbegründet sind oder nur der Verfahrensverzögerung dienen. Diese Ziele können eine gehäufte Anwendung von Gerichtsgebühren wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nur dann rechtfertigen, wenn der Gegenstand der zusätzlichen Rechtsbehelfe oder Gründe tatsächlich ein anderer ist und eine erhebliche Erweiterung des bereits anhängigen Streitgegenstands darstellt. Ist das hingegen nicht der Fall, ist eine Pflicht zur Entrichtung solcher zusätzlicher Gerichtsgebühren wegen der Einlegung solcher Rechtsbehelfe oder der Geltendmachung solcher Gründe nicht mit dem von der Richtlinie 89/665 gewährleisteten Zugang zu Rechtsbehelfen und dem Grundsatz der Effektivität vereinbar.
(vgl. Rn. 72-75, 79, Tenor 2)