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Document 62013CJ0337

Leitsätze des Urteils

Rechtssache C‑337/13

Almos Agrárkülkereskedelmi Kft

gegen

Nemzeti Adó- és Vámhivatal Közép-magyarországi Regionális Adó Főigazgatósága

(Vorabentscheidungsersuchen der Kúria)

„Vorabentscheidungsersuchen — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem — Richtlinie 2006/112/EG — Art. 90 — Minderung der Bemessungsgrundlage — Umfang der Pflichten der Mitgliedstaaten — Unmittelbare Wirkung“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Siebte Kammer) vom 15. Mai 2014

  1. Harmonisierung des Steuerrechts – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Besteuerungsgrundlage – Minderung im Fall der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung oder des Preisnachlasses – Nationale Regelung, die keine Minderung im Fall der Nichtzahlung des Preises vorsieht – Zulässigkeit – Voraussetzungen – Anwendung der für den Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung des Preises vorgesehenen Ausnahme durch einen Mitgliedstaat

    (Richtlinie 2006/112 des Rates, Art. 90 Abs. 1 und 2)

  2. Harmonisierung des Steuerrechts – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Besteuerungsgrundlage – Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 – Minderung im Fall der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung oder des Preisnachlasses – Unmittelbare Wirkung

    (Richtlinie 2006/112 des Rates, Art. 1 Abs. 1)

  3. Harmonisierung des Steuerrechts – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Besteuerungsgrundlage – Minderung im Fall der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung oder des Preisnachlasses – Nationale Regelung, die eine solche Minderung von bestimmten Formalitäten abhängig macht – Zulässigkeit – Voraussetzungen – Verhältnismäßigkeit

    (Richtlinie 2006/112 des Rates, Art. 2 Abs. 1 und 4)

  1.  Die Bestimmungen von Art. 90 der Richtlinie 2006/112 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Vorschrift nicht entgegenstehen, die im Fall der Nichtbezahlung des Preises keine Minderung der Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer vorsieht, wenn von der in Art. 90 Abs. 2 vorgesehenen Ausnahme Gebrauch gemacht wird. Diese Vorschrift muss dann jedoch alle anderen Fälle erfassen, in denen Art. 90 Abs. 1 zur Anwendung kommt und der Steuerpflichtige nach der Bewirkung eines Umsatzes die Gegenleistung nur teilweise oder gar nicht erhält; dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts.

    Zwar ist Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 Ausdruck eines fundamentalen Grundsatzes der Mehrwertsteuerrichtlinie, nach dem Bemessungsgrundlage die tatsächlich erhaltene Gegenleistung ist und aus dem folgt, dass die Steuerverwaltung als Mehrwertsteuer keinen höheren als den dem Steuerpflichtigen gezahlten Betrag erheben darf.

    Art. 90 Abs. 2 dieser Richtlinie erlaubt den Mitgliedstaaten jedoch, im Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung des Preises des Umsatzes von dieser Regel abzuweichen. Die genannte nationale Vorschrift ist als Ergebnis der Ausübung der dem Mitgliedstaat durch diesen Artikel eingeräumten Befugnis zur Abweichung zu sehen.

    Sofern es im Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung des Kaufpreises nicht zu einer Auflösung oder Annullierung des Vertrags kommt, schuldet der Käufer weiter den vereinbarten Preis und steht dem Verkäufer, auch wenn er nicht mehr Eigentümer des Gegenstands ist, grundsätzlich immer noch seine Forderung zu, die er vor Gericht geltend machen kann. Da jedoch nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine solche Forderung tatsächlich endgültig uneinbringlich wird, wollte der Unionsgesetzgeber jedem Mitgliedstaat die Entscheidung überlassen, zu bestimmen, ob der Fall der Nichtbezahlung des Kaufpreises, die als solche im Gegensatz zur Auflösung oder Annullierung des Vertrags die Parteien nicht in ihre Ausgangslage zurückversetzt, ein Recht auf entsprechende Minderung der Steuerbemessungsgrundlage unter den von ihm festgelegten Bedingungen eröffnet oder ob eine solche Minderung in diesem Fall nicht zulässig ist.

    (vgl. Rn. 22-25, 28, Tenor 1))

  2.  Die Steuerpflichtigen können sich vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Mitgliedstaat auf Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 berufen, um in den Genuss einer Minderung ihrer Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer zu kommen.

    Der Einzelne kann sich nämlich in allen Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt hat.

    Eine Bestimmung des Unionsrechts ist in diesem Sinne unbedingt, wenn sie eine Verpflichtung normiert, die an keine Bedingung geknüpft ist und zu ihrer Durchführung oder Wirksamkeit auch keiner weiteren Maßnahme der Unionsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf.

    Art. 90 der Richtlinie 2006/112 lässt den Mitgliedstaaten zwar einen gewissen Gestaltungsspielraum bei der Festlegung der Maßnahmen zur Bestimmung des Betrags der Minderung; dieser Umstand beeinträchtigt jedoch nicht die Genauigkeit und Unbedingtheit der Verpflichtung, in den von diesem Artikel erfassten Fällen ein Recht auf Minderung der Bemessungsgrundlage einzuräumen.

    (vgl. Rn. 31, 32, 34, 40, Tenor 2)

  3.  Die Mitgliedstaaten dürfen zwar die Ausübung des Rechts auf Minderung einer Steuerbemessungsgrundlage von der Erfüllung bestimmter Formalitäten abhängig machen, die insbesondere den Nachweis ermöglichen, dass der Steuerpflichtige nach Bewirkung des Umsatzes die Gegenleistung zum Teil oder in vollem Umfang endgültig nicht erlangt hat und dass er sich auf das Vorliegen eines der von Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 erfassten Sachverhalte berufen konnte, doch dürfen die insoweit getroffenen Maßnahmen nicht über das für diesen Nachweis Erforderliche hinausgehen; dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts.

    Art. 90 Abs. 1 und Art. 273 dieser Richtlinie räumen, da sie außer den von ihnen festgelegten Grenzen weder die Bedingungen noch die Pflichten angeben, die die Mitgliedstaaten vorsehen können, zwar den Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum insbesondere in Bezug auf die Formalitäten ein, die der Steuerpflichtige gegenüber den Steuerbehörden der Mitgliedstaaten erfüllen muss, um die Steuerbemessungsgrundlage zu vermindern.

    Jedoch dürfen die Maßnahmen, die geeignet sind, Steuerbetrug oder Steuerhinterziehung zu verhindern, grundsätzlich von der Einhaltung der Regeln über die Steuerbemessungsgrundlage nur insoweit abweichen, als dies für die Erreichung dieses spezifischen Ziels zwingend erforderlich ist. Denn sie dürfen die Ziele und Grundsätze der Richtlinie 2006/112 nur so wenig wie möglich beeinträchtigen und können daher nicht so eingesetzt werden, dass sie die Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage stellen würden.

    (vgl. Rn. 37, 38, 40, Tenor 2)

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Rechtssache C‑337/13

Almos Agrárkülkereskedelmi Kft

gegen

Nemzeti Adó- és Vámhivatal Közép-magyarországi Regionális Adó Főigazgatósága

(Vorabentscheidungsersuchen der Kúria)

„Vorabentscheidungsersuchen — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem — Richtlinie 2006/112/EG — Art. 90 — Minderung der Bemessungsgrundlage — Umfang der Pflichten der Mitgliedstaaten — Unmittelbare Wirkung“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Siebte Kammer) vom 15. Mai 2014

  1. Harmonisierung des Steuerrechts — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem — Besteuerungsgrundlage — Minderung im Fall der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung oder des Preisnachlasses — Nationale Regelung, die keine Minderung im Fall der Nichtzahlung des Preises vorsieht — Zulässigkeit — Voraussetzungen — Anwendung der für den Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung des Preises vorgesehenen Ausnahme durch einen Mitgliedstaat

    (Richtlinie 2006/112 des Rates, Art. 90 Abs. 1 und 2)

  2. Harmonisierung des Steuerrechts — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem — Besteuerungsgrundlage — Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 — Minderung im Fall der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung oder des Preisnachlasses — Unmittelbare Wirkung

    (Richtlinie 2006/112 des Rates, Art. 1 Abs. 1)

  3. Harmonisierung des Steuerrechts — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem — Besteuerungsgrundlage — Minderung im Fall der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung oder des Preisnachlasses — Nationale Regelung, die eine solche Minderung von bestimmten Formalitäten abhängig macht — Zulässigkeit — Voraussetzungen — Verhältnismäßigkeit

    (Richtlinie 2006/112 des Rates, Art. 2 Abs. 1 und 4)

  1.  Die Bestimmungen von Art. 90 der Richtlinie 2006/112 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Vorschrift nicht entgegenstehen, die im Fall der Nichtbezahlung des Preises keine Minderung der Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer vorsieht, wenn von der in Art. 90 Abs. 2 vorgesehenen Ausnahme Gebrauch gemacht wird. Diese Vorschrift muss dann jedoch alle anderen Fälle erfassen, in denen Art. 90 Abs. 1 zur Anwendung kommt und der Steuerpflichtige nach der Bewirkung eines Umsatzes die Gegenleistung nur teilweise oder gar nicht erhält; dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts.

    Zwar ist Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 Ausdruck eines fundamentalen Grundsatzes der Mehrwertsteuerrichtlinie, nach dem Bemessungsgrundlage die tatsächlich erhaltene Gegenleistung ist und aus dem folgt, dass die Steuerverwaltung als Mehrwertsteuer keinen höheren als den dem Steuerpflichtigen gezahlten Betrag erheben darf.

    Art. 90 Abs. 2 dieser Richtlinie erlaubt den Mitgliedstaaten jedoch, im Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung des Preises des Umsatzes von dieser Regel abzuweichen. Die genannte nationale Vorschrift ist als Ergebnis der Ausübung der dem Mitgliedstaat durch diesen Artikel eingeräumten Befugnis zur Abweichung zu sehen.

    Sofern es im Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung des Kaufpreises nicht zu einer Auflösung oder Annullierung des Vertrags kommt, schuldet der Käufer weiter den vereinbarten Preis und steht dem Verkäufer, auch wenn er nicht mehr Eigentümer des Gegenstands ist, grundsätzlich immer noch seine Forderung zu, die er vor Gericht geltend machen kann. Da jedoch nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine solche Forderung tatsächlich endgültig uneinbringlich wird, wollte der Unionsgesetzgeber jedem Mitgliedstaat die Entscheidung überlassen, zu bestimmen, ob der Fall der Nichtbezahlung des Kaufpreises, die als solche im Gegensatz zur Auflösung oder Annullierung des Vertrags die Parteien nicht in ihre Ausgangslage zurückversetzt, ein Recht auf entsprechende Minderung der Steuerbemessungsgrundlage unter den von ihm festgelegten Bedingungen eröffnet oder ob eine solche Minderung in diesem Fall nicht zulässig ist.

    (vgl. Rn. 22-25, 28, Tenor 1))

  2.  Die Steuerpflichtigen können sich vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Mitgliedstaat auf Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 berufen, um in den Genuss einer Minderung ihrer Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer zu kommen.

    Der Einzelne kann sich nämlich in allen Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt hat.

    Eine Bestimmung des Unionsrechts ist in diesem Sinne unbedingt, wenn sie eine Verpflichtung normiert, die an keine Bedingung geknüpft ist und zu ihrer Durchführung oder Wirksamkeit auch keiner weiteren Maßnahme der Unionsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf.

    Art. 90 der Richtlinie 2006/112 lässt den Mitgliedstaaten zwar einen gewissen Gestaltungsspielraum bei der Festlegung der Maßnahmen zur Bestimmung des Betrags der Minderung; dieser Umstand beeinträchtigt jedoch nicht die Genauigkeit und Unbedingtheit der Verpflichtung, in den von diesem Artikel erfassten Fällen ein Recht auf Minderung der Bemessungsgrundlage einzuräumen.

    (vgl. Rn. 31, 32, 34, 40, Tenor 2)

  3.  Die Mitgliedstaaten dürfen zwar die Ausübung des Rechts auf Minderung einer Steuerbemessungsgrundlage von der Erfüllung bestimmter Formalitäten abhängig machen, die insbesondere den Nachweis ermöglichen, dass der Steuerpflichtige nach Bewirkung des Umsatzes die Gegenleistung zum Teil oder in vollem Umfang endgültig nicht erlangt hat und dass er sich auf das Vorliegen eines der von Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 erfassten Sachverhalte berufen konnte, doch dürfen die insoweit getroffenen Maßnahmen nicht über das für diesen Nachweis Erforderliche hinausgehen; dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts.

    Art. 90 Abs. 1 und Art. 273 dieser Richtlinie räumen, da sie außer den von ihnen festgelegten Grenzen weder die Bedingungen noch die Pflichten angeben, die die Mitgliedstaaten vorsehen können, zwar den Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum insbesondere in Bezug auf die Formalitäten ein, die der Steuerpflichtige gegenüber den Steuerbehörden der Mitgliedstaaten erfüllen muss, um die Steuerbemessungsgrundlage zu vermindern.

    Jedoch dürfen die Maßnahmen, die geeignet sind, Steuerbetrug oder Steuerhinterziehung zu verhindern, grundsätzlich von der Einhaltung der Regeln über die Steuerbemessungsgrundlage nur insoweit abweichen, als dies für die Erreichung dieses spezifischen Ziels zwingend erforderlich ist. Denn sie dürfen die Ziele und Grundsätze der Richtlinie 2006/112 nur so wenig wie möglich beeinträchtigen und können daher nicht so eingesetzt werden, dass sie die Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage stellen würden.

    (vgl. Rn. 37, 38, 40, Tenor 2)

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