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Document 62007CJ0337

Leitsätze des Urteils

Schlüsselwörter
Leitsätze

Schlüsselwörter

1. Völkerrechtliche Verträge – Assoziierungsabkommen EWG–Türkei – Durch das Assoziierungsabkommen EWG–Türkei geschaffener Assoziationsrat – Beschluss Nr. 1/80 – Familienzusammenführung – Recht der Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers, eine Beschäftigung in diesem Mitgliedstaat auszuüben – Voraussetzungen

(Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG–Türkei, Art. 7 Abs. 1)

2. Völkerrechtliche Verträge – Assoziierungsabkommen EWG–Türkei – Durch das Assoziierungsabkommen EWG–Türkei geschaffener Assoziationsrat – Beschluss Nr. 1/80 – Familienzusammenführung – Anerkennung des Rechts eines Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers auf Zugang zum Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats

(Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG–Türkei, Art. 7 Abs. 1)

3. Völkerrechtliche Verträge – Assoziierungsabkommen EWG–Türkei – Durch das Assoziierungsabkommen EWG–Türkei geschaffener Assoziationsrat – Beschluss Nr. 1/80 – Familienzusammenführung – Beschränkung der Rechte der Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers auf dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats aufgrund einer von diesem Arbeitnehmer begangenen Täuschung – Voraussetzungen

(Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG–Türkei, Art. 7 Abs. 1 und 14 Abs. 1)

Leitsätze

1. Art. 7 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG–Türkei ist dahin auszulegen, dass das Kind eines türkischen Arbeitnehmers die Rechte aus dieser Bestimmung in Anspruch nehmen kann, wenn der betreffende Arbeitnehmer während des Zeitraums von drei Jahren, in dem das Kind mit ihm zusammengelebt hat, zweieinhalb Jahre lang erwerbstätig und anschließend sechs Monate lang arbeitslos war.

Das Recht des Kindes eines türkischen Arbeitnehmers, sich im Aufnahmemitgliedstaat auf jedes Stellenangebot zu bewerben, hängt nämlich von zwei Voraussetzungen ab: Der betreffende Arbeitnehmer muss dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates angehören, und das Kind muss dort sei mindestens drei Jahren seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Dass der Arbeitnehmer die Voraussetzung für die Gewährung des Rechts auf Zugang zum Arbeitsmarkt im Aufnahmemitgliedstaat nicht mehr erfüllt, nachdem der Familienangehörige seinerseits dieses Recht erworben hat, kann Letzteres wiederum nicht in Frage stellen. Damit der Familienangehörige eines türkischen Arbeitnehmers das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt im Aufnahmemitgliedstaat erwirbt, muss der betreffende Arbeitnehmer demnach zumindest während der dreijährigen Dauer des Zusammenlebens die Voraussetzung der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt erfüllt haben. Die Lage der unverschuldeten Arbeitslosigkeit kann nicht bereits der weiteren Zugehörigkeit eines türkischen Arbeitnehmers zum regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats entgegenstehen.

(vgl. Randnrn. 22, 26, 36-37, 40, Tenor 1)

2. Die Tatsache, dass ein türkischer Arbeitnehmer das Aufenthaltsrecht in einem Mitgliedstaat und damit das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt in diesem Staat als politischer Flüchtling erworben hat, schließt nicht aus, dass ein Angehöriger seiner Familie die Rechte aus Art. 7 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG–Türkei in Anspruch nehmen kann. Die Ausübung der Rechte, die den türkischen Staatsangehörigen nach dem Beschluss Nr. 1/80 zustehen, hängt nämlich nicht davon ab, aus welchem Grund ihnen die Einreise- und Aufenthaltsgenehmigung im Aufnahmemitgliedstaat ursprünglich erteilt wurde.

Was die etwaige Gewährung einer „doppelten Vergünstigung“ für Flüchtlinge zum einen durch den Beschluss Nr. 1/80 und zum anderen durch das Abkommen von Genf über die Rechtsstellung der Flüchtlinge angeht, bleiben nach Art. 5 des Abkommens Rechte und Vergünstigungen, die den Flüchtlingen unabhängig von diesem Abkommen gewährt werden, von dessen Bestimmungen unberührt. Der Beschluss Nr. 1/80 gewährt den Familienangehörigen türkischer Arbeitnehmer Rechte, auf die sie sich im Rahmen dieses Abkommens nicht berufen können, da dieses kein derartiges Recht verleiht, wie sie in Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 vorgesehen sind. Zwar lässt der Beschluss Nr. 1/80 die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt, Vorschriften sowohl über die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet als auch über die Voraussetzungen für deren erste Beschäftigung zu erlassen; würde aber die Anwendung des Beschlusses Nr. 1/80 abgelehnt, weil ein türkischer Arbeitnehmer den Status eines politischen Flüchtlings hatte, als ihm die Einreise- und Aufenthaltsgenehmigung für einen Mitgliedstaat erteilt wurde, würden die Rechte in Frage gestellt, die er selbst und seine Familienangehörigen nach diesem Beschluss haben.

(vgl. Randnrn. 42-50, Tenor 2)

3. Art. 7 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG–Türkei ist dahin auszulegen, dass, wenn ein türkischer Arbeitnehmer den Status eines politischen Flüchtlings durch unwahre Angaben erlangt hat, die Rechte auf dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats, die ein Angehöriger seiner Familie nach dieser Bestimmung hat, nicht in Frage gestellt werden können, wenn dieser Angehörige zu dem Zeitpunkt, zu dem die dem Arbeitnehmer erteilte Aufenthaltsgenehmigung zurückgenommen wird, die Voraussetzungen der genannten Bestimmung erfüllt.

Wenn die Rechte der Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers zu dem Zeitpunkt, zu dem seine Aufenthaltsgenehmigung zurückgenommen wird, im Entstehen begriffen sind, können die Mitgliedstaaten, soweit die in Art. 7 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 aufgestellte Voraussetzung bezüglich der Dauer des tatsächlichen Zusammenlebens mit dem betreffenden Arbeitnehmer noch nicht erfüllt ist, gegenüber diesen Familienangehörigen die Konsequenzen aus der Täuschung durch den Arbeitnehmer ziehen. Haben die Familienangehörigen dagegen ein eigenes Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt im Aufnahmemitgliedstaat und damit einhergehend ein Aufenthaltsrecht in diesem Staat erworben, können diese Rechte durch Unregelmäßigkeiten, die in der Vergangenheit das Aufenthaltsrecht des betreffenden Arbeitnehmers beeinträchtigt haben, nicht mehr in Frage gestellt werden. Jede andere Lösung liefe dem Grundsatz der Rechtssicherheit zuwider, der nach ständiger Rechtsprechung insbesondere gebietet, dass Rechtsvorschriften, vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen für Einzelne haben können, klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen voraussehbar sein müssen.

Es kann nur zwei Arten von Beschränkungen der Rechte geben, die Art. 7 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 den Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers verleiht, die die Voraussetzungen dieses Absatzes erfüllen: Entweder stellt die Anwesenheit des türkischen Migranten im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche und schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit im Sinne von Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses dar, oder der Betroffene hat das Hoheitsgebiet dieses Staates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen. Der abschließende Charakter der genannten Beschränkungen wäre in Frage gestellt, wenn die nationalen Behörden die eigenen Rechte, die die Familienangehörigen des Wanderarbeitnehmers erworben haben, im Wege der Überprüfung oder einer Neubewertung der Umstände, unter denen dem Arbeitnehmer selbst das Einreise- und Aufenthaltsrecht gewährt wurde, Bedingungen unterwerfen oder sie einschränken oder entziehen könnten.

(vgl. Randnrn. 58-60, 62-64, Tenor 3)

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