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Document 62001CJ0224
Leitsätze des Urteils
Leitsätze des Urteils
1. Gemeinschaftsrecht - Dem Einzelnen verliehene Rechte - Verletzung durch einen Mitgliedstaat - Pflicht zum Ersatz des dem Einzelnen entstandenen Schadens - Einem obersten Gericht zuzurechnender Verstoß - Unbeachtlich - Für die Entscheidung über einen solchen Schadenersatz zuständiges Gericht - Anwendung des nationalen Rechts
2. Gemeinschaftsrecht - Dem Einzelnen verliehene Rechte - Verletzung durch einen Mitgliedstaat - Pflicht zum Ersatz des dem Einzelnen entstandenen Schadens - Voraussetzungen im Falle eines einem obersten Gericht zuzurechnenden Verstoßes - Offenkundiger Verstoß - Kriterien
3. Freizügigkeit - Arbeitnehmer - Gleichbehandlung - Entgelt von Universitätsprofessoren - Mittelbare Diskriminierung - Dienstalterszulage, bei der nur die an den Universitäten des betreffenden Mitgliedstaats geleistete Dienstzeit berücksichtigt wird - Unzulässigkeit - Kein Rechtfertigungsgrund
(EG-Vertrag, Artikel 48 [nach Änderung jetzt Artikel 39 EG]; Verordnung Nr. 1612/68 des Rates, Artikel 7 Absatz 1)
4. Gemeinschaftsrecht - Verletzung durch einen Mitgliedstaat - Pflicht zum Ersatz des dem Einzelnen entstandenen Schadens - Einem obersten Gericht zuzurechnender Verstoß - Einzelfall - Kein offenkundiger Verstoß
1. Der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten zum Ersatz von Schäden verpflichtet sind, die einem Einzelnen durch ihnen zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, ist auch dann anwendbar, wenn der fragliche Verstoß in einer Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts besteht.
Dieser aus dem Wesen der mit dem EG-Vertrag geschaffenen Rechtsordnung folgende Grundsatz gilt nämlich für jeden Verstoß eines Mitgliedstaats gegen das Gemeinschaftsrecht unabhängig davon, welches mitgliedstaatliche Organ durch sein Handeln oder Unterlassen den Verstoß begangen hat.
Es ist Sache der Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, zu bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über diesen Schadensersatz zuständig ist. Unter dem Vorbehalt, dass die Mitgliedstaaten für den wirksamen Schutz der individuellen, aus der Gemeinschaftsrechtsordnung hergeleiteten Rechte in jedem Einzelfall verantwortlich sind, ist es nämlich nicht Aufgabe des Gerichtshofes, bei der Lösung von Zuständigkeitsfragen mitzuwirken, die die Qualifizierung einer bestimmten, auf dem Gemeinschaftsrecht beruhenden Rechtslage im Bereich der nationalen Gerichtsbarkeit aufwirft.
( vgl. Randnrn. 30-31, 33, 46-47, 50, Tenor 1 )
2. Die Mitgliedstaaten sind zum Ersatz von Schäden verpflichtet, die einem Einzelnen durch ihnen zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, wenn die verletzte Gemeinschaftsrechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und zwischen diesem Verstoß und dem dem Einzelnen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht. Bei der Entscheidung darüber, ob der Verstoß hinreichend qualifiziert ist, muss das zuständige nationale Gericht, wenn sich der Verstoß aus einer letztinstanzlichen Gerichtsentscheidung ergibt, unter Berücksichtigung der Besonderheit der richterlichen Funktion sowie der berechtigten Belange der Rechtssicherheit prüfen, ob dieser Verstoß offenkundig ist.
Insbesondere muss das nationale Gericht alle Gesichtspunkte des Einzelfalls berücksichtigen. Zu diesen Gesichtspunkten gehören u. a. das Maß an Klarheit und Präzision der verletzten Vorschrift, die Vorsätzlichkeit des Verstoßes, die Entschuldbarkeit des Rechtsirrtums, gegebenenfalls die Stellungnahme eines Gemeinschaftsorgans sowie die Verletzung der Vorlagepflicht nach Artikel 234 Absatz 3 EG durch das in Rede stehende Gericht.
Ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ist jedenfalls dann hinreichend qualifiziert, wenn die fragliche Entscheidung die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes offenkundig verkennt.
( vgl. Randnrn. 51-56, Tenor 1 )
3. Die Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) und 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat als Arbeitgeber untersagen, den Universitätsprofessoren eine besondere Dienstalterszulage zu gewähren, die einen finanziellen Vorteil darstellt, der zum Grundgehalt, das sich bereits nach dem Dienstalter richtet, hinzu kommt und die ein Universitätsprofessor erhält, wenn er mindestens 15 Jahre Dienstzeit an einer Universität des betreffenden Mitgliedstaats aufweist und zudem seit mindestens 4 Jahren die normale Dienstalterszulage bezieht.
Denn durch den Ausschluss jeder Möglichkeit, bei der Gewährung der besonderen Dienstalterszulage Dienstzeiten zu berücksichtigen, die ein Universitätsprofessor in einem anderen Mitgliedstaat geleistet hat, kann eine solche Regelung die Freizügigkeit der Arbeitnehmer behindern.
Zwar ist nicht auszuschließen, dass das Ziel der Bindung der Arbeitnehmer an ihre Arbeitgeber im Rahmen einer Politik der Forschung und der Hochschullehre einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellt. Die mit einer solchen Maßnahme verbundene Beeinträchtigung kann jedoch nicht mit diesem Ziel gerechtfertigt werden.
( vgl. Randnrn. 70-72, 83, Tenor 2 )
4. Ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ist nicht offenkundig, wie es nach Gemeinschaftsrecht Voraussetzung der Haftung eines Mitgliedstaats für eine Entscheidung eines seiner letztinstanzlichen Gerichte ist, wenn zum einen das Gemeinschaftsrecht die in Rede stehende Rechtsfrage nicht ausdrücklich regelt, die Frage auch in der Rechtsprechung des Gerichtshofes noch nicht beantwortet worden ist und die Antwort nicht auf der Hand liegt und zum anderen der Verstoß nicht vorsätzlich, sondern aufgrund einer irrigen Auslegung eines Urteils des Gerichtshofes begangen worden ist.
( vgl. Randnrn. 122-123, 126, Tenor 3 )